HUMAN 1
HUMAN 1
Ein kleines Wäldchen, welches von völliger Stille umgeben war. Bis ein lautes Geräusch aus der Ferne immer näher kam. Ein Auto fuhr knatternd durch die Gegend.
Das Fahrzeug verlor langsam an Geschwindigkeit nachdem es schon eine beachtliche Strecke zurückgelegt hatte. Der Fahrer entspannte sich merklich, obwohl die innere Unruhe nach wie vor weiterwütete.
"Wie weit noch?"
Der Blauhaarige wandte den Kopf in Richtung seines Beifahrers der eine Karte vor sich hatte.
Dieser zog die Stirn kraus und drehte die Karte etwas. "Ich schätze noch an die 10 Kilometer... soweit müsste das Benzin noch langen." Der Schwarzhaarige schaute zu dem Zeiger, welcher bedenklicher weise anzeigte, dass sie nicht mehr viel Treibstoff hatten.
"Hm..."
Horo richtete seinen Blick wieder auf die Straße und trat das Gas durch. So konnten sie gegebenenfalls noch ein Stück weit rollen, selbst wenn der Motor nicht mehr lief.
"Wie geht’s dem Bein?"
Etwas Besorgnis schwang in seiner Stimme mit während er das beschädigte Bein seines Kameraden betrachtete. Wenn sie nicht schnell genug vorankamen konnte das eine erneute Gefangennahme bedeuten.
"Geht schon...", meinte Ren und versuchte so locker wie möglich zu klingen. Es war doch schon mehr als nur beschädigt. Aber darüber sollten sie sich jetzt keine Gedanken machen, jetzt mussten sie sich erst einmal weiter von ihrem verhassten Ort entfernen. Der Schwarzhaarige sah von seiner Karte auf und blickte Horo mit seinen goldenen Augen an.
"Schau lieber auf die Straße! Mann~"
Der Fahrer sagte nichts mehr dazu und konzentrierte sich ganz aufs Fahren. Wobei dieser Vorgang eigentlich überhaupt keine Konzentration benötigte da, er durch einige Schaltkreise und Programmierungen automatisch ablief. So verfiel Horo mehr oder weniger in einen Ruhemodus.
Ren widmete sich noch kurz der Karte, bis er sie wieder zusammenklappte. Er hatte den gesamten Plan nun im Kopf, was ihnen sicher bald helfen wird. Zum Glück besaß er ein hervorragendes Gedächtnis, benötigte man in seinem Bereich schließlich auch unwiderruflich.
Nach einer gewissen Zeit konnte man ein zunehmendes Gestotter seitens des Motors vernehmen. Horo spürte es mehr als das er es hörte und wurde dadurch auch aus seiner Ruhephase gerissen. Er lehnte sich nach vorn und suchte mit den Augen sofort systematisch die Umgebung ab, schließlich konnten sie das Fahrzeug nicht mitten auf der Straße stehen lassen. Sein Blick blieb an einem kleinen See haften der in nicht allzu großer Entfernung von ihnen still dalag.
"Halt dich fest und mach die Tür auf wenn ich es sage..."
Horo sprach in einem alarmierenden Ton, den Blick starr auf das Gewässer gerichtet. Ren, welcher auch bemerkte, dass das Benzin alle wurde, nickte nur. Aber leider verstand er erst nicht, was sein Kollege vorhatte. Erst als er dessen Blick folgte, erahnte er die Gedankengänge. "Sag, mal, willst du echt-...?“
"Was hast du denn gedacht?"
Er wandte kurz den Kopf zu Ren mit einem entsprechenden Grinsen. Nun riss er mit einem Ruck das Lenkrad herum und lenkte sie so von der Straße über eine schön begrünte Wiese direkt auf den See zu. Er trat das Gas weiter voll durch und öffnete die Fahrertür, hielt sie aber nach wie vor fest.
"Spring!"
Rief er dem Schwarzhaarigen laut und knapp zu. Er selbst blieb noch in seiner Position und rettete sich erst im letzten Augenblick aus dem Fahrzeug, welches Sekundenbruchteile später laut auf das Wasser aufschlug und versank.
Ren sah Horo nur verständnislos an. Dieser Kerl hatte nicht mehr alle Schaltkreise im Zentrum...
Als er auch noch das "Spring!" hörte, musste er sich beeilen. Dachte Horo, das er so leicht mit dem Bein aus dem Fahrzeug kommen konnte? Zum Glück war er nicht angeschnallt, riss die Fahrzeugtür auf und sprang halb aus dem Wagen. Er rollte sich am Boden ab, hörte noch ein lautes "Platsch!".
Der Schwarzhaarige sah auf, der Blauschopf war nur einen knappen Meter von ihm entfernt. Der Wagen soff derweil mit lautem Blubbern ab.
Auch Horo hatte sich geübt, in seinem Fall eher programmiert, abgerollt und stand völlig unbeschadet auf.
Er beobachtete noch wie der Firmenwagen langsam ganz im dreckigen Wasser des Sees verschwand und wandte sich anschließend wieder Ren zu.
"Wohin?"
Fragte er nun da er wusste, dass sich dieser den Plan auf seiner Festplatte gespeichert hatte.
Ren seufzte, setzte sich halb hin. "Erst mal nirgendwohin, ich brauch einen Stock oder irgendwas auf was ich mich stützen kann..." Leider brauchte er einen Halt, er hatte das im Sprung gerade leider feststellen müssen. So konnte er sich nicht einmal aufsetzen.
Horo blickte sich darauf hin suchen um. Sein Blick blieb an ein paar Bäumen hängen die unweit von ihnen friedlich die Landschaft schmückten. Nun bewegte er sich im Laufschritt auf diese zu und "fällte" einen Kleineren mit einem gezielten Schlag. Anschließend zückte er ein größeres Messer, das zu seiner Grundausstattung gehörte, und stutze ihn an den richtigen Stellen zurecht. Mit dem nun Mannsgroßen Stock kehrte er schnell zu Ren zurück und reichte ihm sein Werk.
"Das müsste vorerst reichen..." Ren seufzte und nahm den Stock an sich. Er stützte sich darauf und stand, wenn auch etwas ungewohnt mit dem Stab.
"Danke..." meinte er etwas leise, bevor er sich richtig hinstellte. “Jedenfalls…", fing er an und zeigte in eine Richtung "müssen wir erst mal da lang."
Horo machte schon eine Bewegung um ihn zu stützen, ließ es dann aber als Ren es von selbst schaffte. Anschließend blickte er in die Richtung die gezeigt wurde. Der Blauhaarige nickte stumm und machte sich in seinem gewohnten bzw. programmierten Tempo auf den Weg, außer Acht lassend, dass ihm der Andere nicht in der Geschwindigkeit folgen konnte.
Ren gab sich Mühe, Horo hinterherzukommen. Aber es war ja nicht nur so, das er sein Bein nicht bewegen konnte. Es war, als würde diese Verletzung immer stärker werden. Hoffentlich hielt er das noch eine Weile aus. Er musste unbedingt zu jemand, der sich mit der Behandlung auskannte. Er hätte Horo ja auch einfach fragen können, ob er langsamer gehen könnte. Aber irgendwas hinderte ihn daran.
Nach einer gewissen Zeit wunderte er sich schon warum Ren immer noch nicht zu ihm aufgeschlossen hatte, daher drehte er sich um und erblickte ihn ein Stück hinter sich. Dabei kam ihm auch wieder sein anscheinend nutzloses Bein in den Sinn. Kurzum lief er zu Ren zurück und deutete diesem stehen zu bleiben. Ohne ein Wort hockte er sich vor ihn und streckte die Arme nach hinten, bereit ihn zu tragen. Als nicht sofort etwas geschah wandte er den Kopf etwas zur Seite und sagte nun doch etwas dazu:
"Bei dem Tempo kommen wir nicht schnell genug voran, wir sind trotz allem noch zu dicht am Labor... hier werden sie zuerst suchen..."
Ren seufzte. Ihm war es, ja man konnte schon fast sagen, unangenehm, das Horo ihn tragen wollte. Er wunderte sich auch, dass dieser anscheinend gar nichts abbekommen hatte, während er selbst spürte, dass nicht nur die Bewegung die Beschädigung alleine verschlimmerte. Sich dann doch zusammenreißend krabbelte er auf Horos Rücken und schlang die Arme um dessen Hals, um sich festzuhalten.
Horo selbst war selbst schon der Gedanke gekommen, ob er nicht vielleicht auch von dem Virus verschont geblieben ist. Dennoch beschloss er sich nicht zu früh zu freuen da genauso gut auch Spätfolgen auftreten konnten oder er sich gar nach und nach selbst abbaute ohne es zu merken. So hob er Ren mit Leichtigkeit hoch, ihn an den Kniekehlen festhaltend. Er kam in seinem gewohnten Tempo gut voran und könnte bei Bedarf auch schneller, da bei Ren leichtere Bauchteile eingesetzt wurden, um ihn an sich agiler zu machen und seiner Funktion anzupassen.
Er lief immer weiter und es schien ihm als würden die Geräusche in der Umgebung immer leiser. Ren ließ sich tragen, wachte aber dafür genau über ihre Umgebung. Er hatte ein besonders gutes Gehör und eine sehr gute Sehstärke. Natürlich konnte er auch zoomen. Diese ganzen Eigenschaften waren beim spionieren äußerst hilfreich.
Als Horo aber etwas zu weit zur Seite hin lief, sagte Ren. "Etwas mehr südlich."
Horo lief einfach weiter als würde er Ren ignorieren. Tatsächlich hatte er nicht ein Wort verstanden. Die plötzliche Stille hatte ihn zuvor auch schon wachsamer werden lassen, dennoch war er bisher noch nicht von einem Defekt bei sich selbst ausgegangen. Da Ren sich auf seinem Rücken befand konnte er ja auch noch nicht einmal sehen dass er sprach, so lief er unbeirrt weiter.
Ren dachte erst, Horo würde ihn ignorieren. So einer!
"He, Horo, hast du nicht gehört was ich gesagt habe?" Doch er erhielt keine Antwort. Da begann Ren an Horos Schultern zu rütteln und ihm eine Kopfnuss zu geben. Seit wann machte er selbst so was denn?
"Hast du mir nicht zugehört? Weiter nach links! Sonst landen wir gleich in einen Moor!"
Er blieb auch augenblicklich stehen als er plötzlich an der Schulter gerüttelt wurde und etwas gegen den Kopf bekam. Vollkommen verständnislos wandte er den Kopf zu Demjenigen auf seinem Rücken. Durch den Ruck schien auch die Umgebung wieder Laute von sich zu geben.
"W - was?"
Fragte er so vollkommen irritiert. "Ich hab jetzt dreimal gesagt, dass du mehr links gehen sollst! Hast du mich nicht gehört?" Leicht verständnislos sah er zu dem Blauhaarigen, der anscheinend nichts mitbekommen hatte.
Zuerst schlug Horo die genannte Richtung ein ehe er wieder nachdenklich anschaute. mit bedachter Stimme antwortete er nun schließlich:
"Nein..."
Ren zog eine Augenbraue hoch. „Wirklich komisch... vielleicht ein Defekt hier drin." Der Schwarzhaarige klopfte kurz auf Horos Kopf. Das war aber mehr scherzhaft gemeint. Er wollte ihn nicht unnötig beunruhigen.
"Vielleicht..."
Antwortete der Blauhaarige nur ausweichend. Er wollte nun nicht darüber nachdenken, nur um den Vorfall eventuell noch mit dem Virus in Verbindung zu bringen. So belastete er seine Schaltkreise nicht weiter damit und konzentrierte sich nur auf seine aktuelle Aufgabe sie zu einem sicheren Versteck zu bringen. Ren hielt sich danach wieder fest, damit er nicht runterrutschte. Ihm kam schon der Gedanke, das Horos Gehör wahrscheinlich durch den Virus extrem gefährdet ist. Er wollte es sich gar nicht ausmalen, was wäre wenn Horo nichts mehr hören könnte...
Sie hatten inzwischen ein Waldstück erreicht, das eher spärlich mit Bäumen bewachsen war und somit noch gut erleuchtet. Man konnte in einiger Entfernung jedoch sehen, dass das Unterholz dichter und die Lichtverhältnisse schlechter wurden. An einem älteren, dickeren Baum machten Horo schließlich halt und setzte Ren ab.
"Ich hab kein Nachtsichtgerät und es wird bald dunkel, was machen wir?"
"Äh... ich kann nachts gut sehen... das aber nützt ja nichts, du läufst... also können wir uns nur einen halb sicheren Platz suchen", meinte Ren und lehnte sich leicht an den Baum. Sie waren doch schon weit gekommen. Horo nickte dazu nur und schaute sich schon nach einem geeigneten Platz für ihr Nachtlager um.
Nebenbei lehnte er den Stab den Ren zum gehen brauchte gegen den Baum an, an den der Schwarzhaarige sich lehnte. Da hatte er auch schon eine Baumgruppe entdeckt die günstig stand. So ließ er Ren zurück und sammelte auf dem Weg zu jener Baumgruppe noch eine Äste auf, die er dann als eine Art Sichtschutz um die Bäume lehnte. Da sie keine konstante Körpertemperatur zum funktionieren benötigten, brauchten sie auch kein Feuer zu machen oder Ähnliches.
Anschließend ging er zurück und trug Ren zu ihrer Raststätte.
Ren hatte Horo dabei beobachtet, wie er den Sichtwall baute. Als er ihn dann aber schon wieder trug, war es dem Schwarzhaarigen dann doch zu viel. "Das bisschen kann ich auch noch laufen!" meckerte er.
Horo schaute ihn erst verdutzt an, da er ihn inzwischen schon zum Zielort transportiert hatte. Dann schaute er den Weg kurz zurück ehe er antwortete:
"Soll ich dich wieder zurücktragen, dann kannst du laufen!"
Ein leichtes Grinsen schlich sich dabei auf sein Gesicht, welches die Professoren wohl gleich als Fehlfunktion eingestuft hätten. Der Kleinere stutzte auch über dieses Grinsen. Horo gehörte zum Typ der als Soldat ausgebildet wurde. Diese dachten nicht viel, und etwas wie ´Emotionen´, oder alleine Gesichtszüge, waren ihnen eigentlich fremd. Zum anderen sah er den Blauhaarigen zum ersten Mal so nach der Flucht.
Aber Ren fing sich wieder.
"Nein, brauchst du nichts, aber beim nächsten Mal lässt du mich laufen, mein Bein ist zwar Schrott, aber es funktioniert noch." Ren streckte ihm darauf die Zunge raus - ihm kam es selbst langsam so vor als hätte er auch noch einen Schaltkreisschaden.
Nachdenklich zuckte der Größere mit den Schultern. "Es gibt bestimmt viele Orte an die wir gehen könnten, aber um ehrlich zu sein ich weiß nicht wo genau wir hin sollen. Auf jeden Fall weit weg. Wo sie uns nie wieder finden.", meinte er leise und schaute mit leicht verträumten Blick über die Landschaft. Dann schaute er zu dem Schwarzhaarigen. "Wir werden schon einen Platz finden.", sagte er, vielleicht auch um sich selbst ein wenig Mut zu zusprechen. Aber was sollte jetzt denn noch schief gehen? Sie hatten die Flucht heil überstanden auch wenn sie nicht einfach gewesen war, doch nun waren sie hier und alles Weitere würde sich schon irgendwie ergeben.
Innerlich stutze er ebenso über dieses Phänomen wie Derjenige den er immer noch trug. Sollten Soldaten überhaupt soviel denken? Durften sie das überhaupt? Zudem war nicht klar ob das Ganze auf einen Fehler der Programmierer oder des Virus zurückzuführen war. Aber falls dem so war, empfand er sogar so etwas wie Freude darüber, das sie, durch was oder wen auch immer, ein Stück menschlicher waren als sie eigentlich hätten sein sollen.
"Kannst du mich jetzt absetzen?", fragte der Getragene, weil Horohoro ihn noch immer trug. Er hätte sich natürlich auch herauswinden können, so schwach war er ja nicht, aber er wollte seinem Kameraden nicht wehtun.
Rens Stimme ließ ihn aufschrecken aus Gedanken die er eigentlich gar nicht hätte haben dürfen. So nickte er kurz und setzt Ren fast vorsichtig ab. Anschließend setzte er sich langsam neben ihn und starrte etwas ziellos vor sich hin.
"Was wird jetzt?" Der Kleinere lehnte sich an den alten Baum, und er konnte spüren wie die morsche Rinde an seinen Sachen rieb. Spüren? Seit wann spürte er was ein Baum für Rinde hatte. Ren ließ kurz den Kopf hängen, nicht nur wegen diese Frage und Horos.
Aus dieser Position heraus sah er zu dem Größeren. "Kennst du das Programm ´recovery´?"
Erwartungsvoll blickten ihn die goldenen Augen an, welche mal wieder die Antwort zu kennen schienen bevor die Frage gestellt war. Etwas träge wandte Horo nun den Kopf in Richtung des Spionageroboters. Auf seinem Gesicht schien ein großes Fragezeichen zu stehen. Als Soldat war er nicht mit allzu vielen Informationen ausgestattet worden, nur mit dem nötigsten. Bei Ren sah die Sache schon ganz anders aus, das war sogar einem dummen Cyborg wie ihm klar.
"Wir oder zumindest ich haben uns doch diese Virus eingefangen... das kann ja wie du dir denkst Schaden hervorrufen. Aber gegen jedes Computervirus gibt es auch ein Gegenmittel, und das ist das Programm recovery. Wenn wir das haben, sind wir wieder voll einsatzfähig und brauchen keine Angst vor den Folgen zu haben."
Ren redete bedacht, sodass Horo wenigstens alles verstand. Er wusste nicht, ob das vielleicht zu viele Informationen auf einmal waren.
"Ich habe so eine ungefähre Ahnung, wo der Entwickler oder ein Entwickler dieses Programms wohnt. Zu ihm müssen wir, den ich glaube nicht das wir einfach zurückspazieren können und da dieses Programm holen können. Leider habe sogar ich nur spärliche Informationen... dabei hatte ich mich extra in den Hauptrechner eingeschlichen..."
Ren sprach für das eine mal wirklich viel. Das war sonst gar nicht sein programmiertes Wesen. Rens Stimme schwankte ziemlich in seinen Ohren, dennoch glaubte er das Wichtigste verstanden zu haben. Jedoch um sein Gehör, Mikrofone oder was auch immer dabei fungierte, wieder in Schwung zu bringen schüttelte er ein paar Mal heftig den Kopf. Dann wandte er seinen Blick wieder zum Kleineren:
"Also... Heilung?"
Ren sah Horo kurz komisch an. Wieso schüttelte er den Kopf, wenn er angeblich verstanden hatte? Aber was sollte ihn das kümmern.
"Ja, kann man so sagen. Aber wir müssten uns beeilen. Vielleicht treffen wir auch andere der R, vielleicht einen AR, der kann mein Bein wieder flicken..."
Der SR schaute erst eine Weile fast nachdenklich auf Rens nicht funktionstüchtiges Bein, wandte dann jedoch den Blick ab als sei ihm aufgefallen, dass das unhöflich war. So ließ er den Kopf langsam nach hinten gegen den Stamm des Baumes sinken an den er lehnte. Als er die Augen wieder öffnete wirkte das was er zuerst sah seltsam beruhigend auf ihn. Ein ruhiger, klarer Himmel in der Dämmerung, ein paar vorüberziehend Vögel und Baumwipfel, die sich seicht im Wind wiegten. Tatsächlich war er so ruhig wie noch nie seit seiner "Geburt", in dem Fall wohl eher Konstruktion.
Träge rollte er nun seinen Kopf am Stamm entlang in Rens Richtung und sprach das aus was ihn nun schon seit geraumer Zeit beschäftigte:
"Glaubst du nicht auch... dieses Virus macht uns menschlicher?"
Als Stille über ihnen hereinbrach, schloss Ren die Augen. Nicht, weil er müde war, schließlich war er ein Roboter. Aber in diesem Zustand konnte er seine äußeren Steuerungen abschalten und in Ruhe nach Informationen in seinem Speicher suchen. Manches hatte er nicht sofort zum Gebrauch bereit.
Als Horo fragte, brauchte er nicht einmal die Augen zu öffnen. Die Antwort war ihm schon vorher klar, was wohl mit seinem Bau und seiner Programmierung zusammenhing.
"Menschen sind aber schwach." Und diese Schwäche musste er beim spionieren ausnutzen. Menschen gaben sich immer irgendwann eine Blöße.
"Und das wäre für uns nicht gerade gut..."
"Hm..."
Erwiderte der Blauhaarige darauf nur schwammig. Eigentlich sollte er kurze, genaue Antworten geben, doch darauf hatte er keine parat.
"Aber..."
Auch dürfte er als Soldat eigentlich gar nicht widersprechen.
"... machen sie diese Schwächen denn nicht gerade zu etwas... "
Er suchte nach den passenden Worten, nach welchen die das was er dachte.
"... Besonderem?"
Fragend wandte er den Kopf zu seinem sonst allwissenden Kollegen.
"Außerdem können sie Glück und Trauer empfinden... Sie SPÜREN Dinge..."
Etwas betreten wandte er nun seinen Blick nach unten auf die Hände auf seinem Schoß. Er hob sie an und drehte die Handinnenflächen zu seinem Gesicht.
"Ich wüsste gern wie das ist..."
Der Kleine seufzte und öffnete dann doch die Augen. „Wir sind so oder so schon was Besonderes... wir sind die erste Einheit von Maschinen die selbstständig handelt, auch ohne den Virus bis zu einem gewissen Grad." Danach sah Ren genau in Horos Augen. "Und schön und gut mit dem fühlen... aber es gibt nicht nur schöne Dinge. Es gibt auch Schmerz und Trauer... und darauf bin ich nicht scharf die zu fühlen. Ich glaube auch nicht, das der Virus uns so zerstören kann das wir... plötzlich etwas ... ´lieben´"
Das letzte Wort sprach er bedacht aus. Er hatte überhaupt keine genaue Definition für dieses Wort, er wusste nur dass die Menschen immer davon faselten. Er wusste wohl mal wieder zu viel.
Der Größere brummte nur etwas Unverständliches vor sich hin und starrte nach wie vor nachdenklich auf seine Hände. Anschließend drückte er den kleinen Finger der rechten Hand mit einem Ruck nach hinten bis man kleinere Metallteile brechen hörte, ganz leise. Dann hielt er sich die Hand mit dem unnatürlich verbogenen Finger vors Gesicht. Jenes war emotionslos wie es sein soll.
"Weißt du denn wie sich Schmerz anfühlt?"
"Natürlich nicht!", meinte Ren vorwurfsvoll, und schaute auf den nun beschädigten Finger. Er zog sich diese Hand herbei und schaute sie genau an. Er analysierte, beugte sich dann zu seinem kaputten Bein. Der Stoff war an der Stelle auch eingerissen, und Ren riss einen kleinen Streifen ab. Dann nahm er sich Horos Finger, biegt ihn wieder einigermaßen zurecht und band den Stofffetzen darum.
"Aber ich weis, das jeder normale Mensch geschrien hätte vor Schmerz, also wird es wohl nicht angenehm sein." Der SR betrachtet Rens tun mit zu gleichen Teilen Verwunderung und Faszination soweit er dazu eben fähig war. Anschließend betrachtet er auch seinen "verarzteten" Finger mit den gleichen Ausdrücken in den Augen. Dann überlegte er wieder kurz. Anschließend wandte er sich wieder dem Kleineren zu:
"Vielleicht... Aber ich glaube ein Mensch würde bei dem was du gerade getan hast auch Dankbarkeit empfinden..."
Er versuchte sich in einem Lächeln das jedoch etwas bizarr aussah. Er hatte diesen Ausdruck ein paar Mal bei einigen Professoren gesehen und glaubte in etwa seine Funktion und Bedeutung zu kennen. Daraufhin tat Ren das, was man wohl als eine überraschende Wendung kennzeichnen würde.
Er nahm jeweils mit jeder Hand eine Wangenseite von Horo und zog an diesen, was bewirkte das das ohnehin bizarre Lächeln verschwand.
"Probier das mal irgendwo von einem Spiegel. Jeder normale Mensch hätte dich jetzt für verrückt gehalten, so sah das aus."
Danach ließ er los und setzte sich wieder gerade hin.
"Und natürlich wärst du mir jetzt zu einem gewissen Grad dankbar gewesen... da ich aber recht grob bin hättest du vor Schmerzen gejammert."
Egal was Horo sagte, Ren fand immer ein Gegenargument.
Der Größere blinzelte verwundert als er Rens Hände im Gesicht spürte. Natürlich spürte er sie nicht wirklich, er GLAUBTE lediglich sie zu spüren. mit einem fast beleidigten Brummen wandte er sich dann wieder ab.
"Tut mir leid"
Er sagte es obgleich er nicht fähig war wirkliche Reue zu empfinden, dennoch brachen die Worte fast als eine Art Reflex aus ihm heraus. An seiner Mimik würde er in Zukunft noch arbeiten, das nahm er sich schon einmal für sein "zukünftiges Leben" vor. Ren beherrschte als dies sicher als Spion... oder? Zum wiederholten Male an diesem Tag wandte er den Blick wieder zu seinem Kameraden.
"Lächle!"
Ren schnaubte nur. "Soll ich jetzt lächeln? Du Trantüte." Zuerst wand sich der Schwarzhaarige ab. Als er aber merkte das Horo noch immer wartete, seufzte er. "Na gut..."
Er ließ den Blick kurz zum Boden wenden, schloss die Augen kurz und öffnete sie dann wieder. Was er Horo zeigte, war nicht das Beste lächeln. Es wirkte weder kalt noch warm. Wie ein Lächeln, nur um jemanden unbekannten nicht zu beleidigen. Es machte Rens Gesicht ganz anders, was der Kleinere ja nicht wissen konnte. Der Größere blinzelte langsam einmal, zweimal. Dieser Ausdruck auf Rens Gesicht war so völlig anders als er es erstens gewohnt war und zweitens es bei den Professoren, also den einzigen Menschen denen er bisher begegnet war, gesehen hatte. Dementsprechend irritiert schaute er auch.
"Du siehst..."
Er versuchte ein Wort zu finden was das beschreib was er dort nun vor sich sah.
"... ab normal aus."
Ren sah sofort beleidigt aus. Ein "Tze!" unterstrich das ganze, und er drehte den Kopf weg. Das Lächeln war verschwunden. "Immer noch besser als dein Versuch, der sah nicht nur ab normal sondern unmenschlich aus..."
Eigentlich hatte Horo ja Recht, das wusste der Kleinere. Das Lächeln erstellte sich auch nur aufgrund eines Programms, und das war noch nicht ausgereift.
Horo musste lachen. Oder zumindest etwas das so ähnlich klang. Diesmal kam es auch fast wie ein Reflex, die Ironie in dem Ganzen veranlasste ihn einfach dazu.
"Ich bin ja auch kein Mensch."
Er bekam einen fast traurigen Blick bei dieser banalen, mehr als wahren Aussage. Ren grunzte kurz. Wo hatte er den Laut den gespeichert?
"Ich ja aber auch nicht! Also brauchst du gar nicht so auf dem Lächeln rum zu trampeln", sagte Ren und stellte dies auch fest. Er sah wieder zu den Sternen auf um sich nicht um Horo kümmern zu müssen. Er wusste genau wie viel Zeit sie verquatscht hatten, bald würde es schon wieder Dämmern.
Horo folgte seinem Blick und musste feststellen, dass auch dieser Anblick eine gewisse Ruhe auf ihn ausübte. Obwohl es für Außenstehende wohl ganz anders gewirkt hätte einen mit emotionsloser Miene in den Himmel starrenden Cyborg im Wald zu finden.
Er hatte nichts zu tun, keine Aufgabe, keine Mission, nichts dergleichen. Eigentlich hätte er sich so unnütz fühlen müssen, doch er tat es nicht. Er genoss es richtig, wenn man es so nennen konnte.
Ren dagegen war gar nicht ruhig. Seine Schaltkreise liefen auf Hochtouren, um den nächsten Weg zu bestimmen. Auch hatte er einen leisen Verdacht, den er nicht aussprach. Sie saßen noch eine Weile da, als die Sonne schließlich aufging und etwas durch den Sichtschutz sickerte.
Bei der langsam heller werdenden Umgebung erwachte auch der SR aus seinem "Stand-by Modus". Langsam begann er alle Scharniere und Gelenke zu bewegen um das Getriebeöl gleichmäßig verteilt zu wissen. Es umgab ihn eine angenehme Stille, die ihm gleichzeitig aber auch Sorge bereitete.
"Ren?"
Ren reagierte, ohne seinen Körper zu bewegen.
"Ja?", meinte er etwas leise, denn auch er hatte die Stille bemerkt.
Es war zu still, keine Vögel sangen und kein Wind bewegte die Blätter. Gerade diese schien dem Kleineren in seinen Ohren besonders laut.
Nun wusste Horo auch das dies nicht wieder ein Defekt bei ihm war, da er Rens Stimme erschreckend klar vernahm. Misstrauisch ließ er nun langsam den Blick wandern möglichst ohne irgendwelchen hektischen Bewegungen zu machen. Er versuchte die Lage einzuschätzen. Waren sie ihnen schon so dicht auf den Fersen? Oder hatten sie inzwischen schon neue Feinde?
Durch diese Stille hörte man ein klitzekleines Summen. Dies kam von Rens Augen, da er ´zoomte´ und so ihre Umgebung ganz genau unter die Lupe nehmen konnte. "Ich sehe da jemanden... aber ich kann nicht sagen wer das ist." Ganz leise sprach der Schwarzhaarige, um ja keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. "Wir müssen hier weg..."
Ein zustimmendes Nicken seitens Horo war die Antwort. In kurzen, schnellen Bewegungen zerstörte er den Sichtschutz um keine Spuren zu hinterlassen. Anschließend wogte er kurz ab welches der viel versprechend Fluchtweg war. So bewegte er sich erst langsam rückwärts direkt auf den Wald zu bis Ren zu ihm aufgeschlossene hatte.
Ren folgte ihm, er gab sich die größte Mühe schnell zu laufen. Das Problem war nur das sein beschädigtes Bein leichte Geräusche von Metall auf Metall machte; Die Ruhe hatte ihm wohl mehr geschadet als gut getan.
Da Horo nicht wusste wie schnell die Verfolger, sofern es denn welche waren, zu ihnen aufschlossen, blieb er mit einem Mal stehen und hockte sich wie schon am Vortag vor Ren, bereit ihn zu tragen. Selbst wenn sich ihre vermeintlichen Feinde nur langsam bewegten wollte er es nicht drauf ankommen lassen, zudem war er darauf programmiert kein unnötiges Risiko einzugehen. Mit einer kurzen Ansage unterstütze er seine Geste noch:
"Rauf!" Ren rollte als er das sah die Augen. Eine Geste, die er wirklich nicht oft machte. Danach kletterte er aber ohne murren auf Horos Rücken. Er hielt sich fest und hielt den Gehstock auch weiterhin. Er warf einen Blick zurück und wieder hörte man ein Summen. Ren würde genau auf ihre vermeintlichen Verfolger achten.
Er hielt Rens Beine fest an seinen Körper gedrückt während er sich in beachtlicher Geschwindigkeit seinen Weg durch das teils sehr dichte Unterholz bahnte. Einige Male duckte er sich tiefer als nötig unter herabhängenden Ästen hindurch um auch Rens Kopf in Sicherheit zu wissen. Obwohl er ein Roboter war hatte man ihm trotz allem keine Augen in den Hinterkopf installiert. Aber dafür hatte er jetzt im Moment ja Ren, welcher ganz genau auf ihre Rückansicht aufpasste. Sie hatten eine gute Geschwindigkeit drauf, nach ein paar Minuten konnte Ren nur noch in sehr weiter Entfernung etwas erkennen.
Als der Wald sich nach einiger Zeit wieder etwas lichtete drosselte er sein Tempo wieder. Nicht, dass er keine Kraft mehr hatte, es war lediglich taktisch unklug ohne weiteres quer über offenes Gelände zu rennen. Immerhin wussten sie nicht ob sie nicht auch aus der Luft verfolgt wurden etwa. All das drückte sich nun stärker in sein Bewusstsein als je zuvor, konnte das von dem plötzlichen Überlebenswillen kommen, den sie anscheinend alle entwickelt hatten? Er hatte weder, die Zeit noch den freien Arbeitsspeicher um sich damit nun auseinander zusetzten, dennoch würde er sich früher oder später damit befassen müssen.
Er wandte den Kopf nun etwas in Rens Richtung:
"Wie sieht's aus?"
"Ganz gut, wir sind schon seit längerem außer der Sichtweite. Der Boden sieht nicht bearbeitet aus, und aus der Luft konnte ich auch nichts wahrnehmen..."
Rens Stimme klang nicht so ruhig, wie die Worte ihn eigentlich gestimmt hätten müssen. Er konnte ihre Lage durchaus einschätzen. Nur wenn es zu einer Konfrontation kommen sollte, was sie ja möglichst vermeiden wollten, hatten sie nicht mal Waffen um sich zu schützen.
Zur Antwort nickte der Größere wieder nur und besah sich dann noch einmal selbst den Boden und den Luftraum um ganz sicher zu gehen. Anschließend setzte er sich wieder mit zügigen Schritten in Bewegung durch diesen lichteren teil des Waldes. Ihm bereitete der Fall einer Konfrontation ebenfalls Kopfschmerzen, jedoch in einem etwas anderen Sinne als Ren. Waffen hatte er, auch wenn diese nur aus ein paar Messern bestanden, die nun einmal zu seiner Grundausstattung gehörten. So konnte er sich im Falle des Falles bis zu einem bestimmten Grad zur Wehr setzten, bei Ren sah das jedoch anders aus. Er wusste nicht ob er vielleicht über spezielle Kampftechniken verfügte und selbst wenn wären die mit seinem kaputten Bein ziemlich nutzlos. So stellte er sich darauf ein sie notfalls Beide zu verteidigen.
Ren dachte weiter nach. Er war ein Spionageroboter, seine Aufgabe bestand darin Sachen herauszufinden und zu analysieren. seine einzige körperliche Stärke war seine Ausdauer, die ihm mit dem Bein aber nichts nützte. Horo dagegen konnte laufen...
Plötzlich kam ihm eine Idee.
Er beugte sich zu Horo hinab, und sprach einen Plan an sein Ohr, welches eigentlich undenkbar für einen Roboter war.
"Lass mich hier, dann kommst du sicher heil hier raus..."
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