Epilog I
Moinsen Folks!
Hier der erste Epilog, der allerdings die Länge eines "richtigen" Kapitels hat. Warum? June-Flower fragte mal, ob es bei zwei Prologen auch zwei Epiloge geben würde. Aus reiner Konsequentheit: gute Idee. Also hier der erste.^^
Tausend Dank an meinen Beta AmY_SaN, die mir trotz internetloser Zeit mit Rat und Tat zur Seite stand und das rettete, was noch zu retten war. ;) Danke für deine Zeit und Mühe.
Tausend Dank an die Review-Schreiber! Ihr wisst warum! :)
Musik: Keane – Bedshaped, u.a.
~Epilog I~
Feiner Staub hing dunstschwadengleich in der Luft. Es wehte kein Windchen, das ihn hätte vertreiben können. Wie ein Nebelschleier hing er vor der Mittagsonne und färbte sie in ein blasses Rot.
Tonnenschweres Geröll lag dort, wo zuvor nichts gewesen war. Soweit das Auge reichte nur Steine.
Eine ganze Felswüste.
Naruto hastete über sie hinweg, die knirschenden Laute unter seinen Schuhen waren neben seinem Atem die einzigen Geräusche weit und breit in dieser unwirklichen Atmosphäre. Er hielt sich nicht einmal die Nase zu, obwohl er in dem Staub kaum atmen konnte. Denn daran dachte er erst gar nicht.
~*~*~
Shizune war überrascht, als Ibiki und sechs weitere ANBU plötzlich aus dem Nichts auftauchten und sie mit gezogenen Ninjatos umstellten.
„Was geht hier vor?“, fragte Tsunade entrüstet von ihrem Schreibtisch aus, neben dem ihre treue rechte Hand Shizune gerade voll beladen mit Dokumenten stand und die Hokage eigentlich gerade mit Arbeit und Pflichten eindecken wollte.
„Shizune-san. Es besteht dringender Tatverdacht.“, sprach Ibiki mit undeutbarem Blick.
„Wegen was?“, fragte Tsunade leicht erbost und ihre Augenbrauen senkten sich gefährlich.
Ibikis Erklärung kam ruhig und gefasst: „Wegen Hochverrats.“
~*~*~
Gaara war Naruto nur wenige Schritt weit den Hang hinauf gefolgt. Der Kazekage blieb am Fuße dessen stehen, was einst ein mächtiger Berg an der Seite seiner kleineren Brüder im Murasame-Gebirge gewesen war. In seinem Rücken lag das von Kampfspuren gezeichnete Waldtal.
Mit seinen dunklen Augen folgte er jeder von Narutos Bewegungen. Er hatte sich entschlossen, ihm nicht zu folgen sondern dort zu warten wo er stand.
Denn ihm war die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens sogleich unumdeutbar klar gewesen.
Naruto spürte nichts.
Mit seinen feinen Ninja-Sinnen konnte er nichts spüren, mit seinen Augen nichts sehen. Es gab hier nichts, was er hätte spüren können. Nur eine endlose Steinwüste. Nur Tod. Keine Anhaltspunkte, nichts.
Seine Rufe hallten dumpf über die Steine, aber außer dem unverständlichen Echo kam keine Antwort.
Durch die Dunstschwaden wirkte alles so unwirklich, verstärkt durch den unnatürlich flachen Gesteinshang... Naruto ging in die Knie, das spitze Geröll schnitt ihm sofort in die Haut, und begann mit bloßen Händen zu graben. „Ich finde euch! Hört ihr? Ich finde euch!“
Nie zuvor hatte er Hinata mehr vermisst und gebraucht wie in diesem Moment. „Ich finde euch! Ich hol euch da raus! Auch ohne Hinata…! Ich hol euch da raus!“
Als er aufblickte um sich mit dem staubigen Handrücken über die Augen zu wischen, blendete ihn die tiefstehende Sonne. Doch er entdeckte Umrisse. Dort. Etwas weiter entfernt stand ein uralter Baum, ein Kirschbaum, der nicht das Schlimmste abbekommen hatte und sich mit seinen knorrigen, alten Wurzeln hartnäckig an den Felsen klammerte und deswegen gerade so noch stand.
Dort vielleicht.
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Während Naruto mit blutigen Händen unzählige Kilometer entfernt von Konoha eine Steinwüste umdrehte, erhob sich die Hokage mit einem wütenden Ruck, die Handflächen krachten auf den Schreibtisch und alle Papiere wurden davon geweht.
Während Genma unter Raidous mahnendem Blick unzählige Kilometer entfernt von Konoha ein weiteres Leben mit grausamer Präzision auslöschte in dem Bemühen sein eigenes zu retten, verlangte die Hokage nach der Erklärung, warum ausgerechnet ihre beste Freundin all das verraten sollte, wofür sie ihr Leben lang gestanden und das sie unter Einsatz ihres Lebens zu beschützen geschworen hatte.
Während Shizune mit großen Augen Ibikis logischen Schlussfolgerungen lauschte, landete auf Orochimarus ausgestrecktem Arm viele, viele Kilometer entfernt von Konoha der Nachrichtenvogel, den sie geschickt hatte.
Und während Ibiki seinen Bericht beendete, wurden an vielen anderen Orten alle nötigen Vorkehrungen für einen Krieg gegen das Dorf, das versteckt unter den Blättern liegt, getroffen, um für den anstehenden Überraschungsangriff vorbereitet zu sein.
Shizune und Kanimori Fuse waren es, die für Orochimaru gearbeitet hatten, für Ankos Verletzungen verantwortlich waren und für so viele fehlgeschlagene Missionen. Sie waren es, die sich gegenseitig immer wieder Deckung gegeben hatten um Ibikis Untersuchungen zu stören und zu erschweren…
Shizune hätte die ganze Zeit über fassungslos den Kopf geschüttelt, wenn sie nicht blitzartig eine große Angst ergriffen hätte. Sie konnte sich an viele der Handlungen, die Ibiki bei ihr beobachtet haben wollte nicht einmal erinnern. Aber durch sie schienen ein paar Ungereimtheiten der letzten Wochen plötzlich einen Sinn zu erhalten. Sie glaubte ihm. Und das machte es furchtbar.
Shizune streckte ihre Hände aus und Fesseln schlossen sich darum.
Die Hokage von Konoha folgte Ibiki, Shizune und der ANBU-Eskorte energisch in den nächsten Untersuchungsraum, in dem Tsunade persönlich einen Bannkreis erschuf, die sicherheitshalber gefesselte Shizune in dessen Mitte platzierte und mit geschlossenen Augen und mit dem Zeigefinger auf der Stirn ihrer besten Freundin eben jene einer Untersuchung auf Spuren eines Jutsus unterzog. Und sie hoffte sehr, welche zu finden.
Dann plötzlich verzerrte sich Shizunes Gesicht, sie schnellte hervor wie eine angreifende Schlange und wollte Tsunade die Kehle durchbeißen.
Sofort waren die ANBU an ihrer Seite und pressten die keifende, kreischende Frau zu Boden. Wären sie nicht zur Stelle gewesen, Tsunade hätte nicht gewusst, ob sie rechtzeitig reagiert hätte, da sie durch ihr Jutsu bereits zu tief in Shizunes Geist eingedrungen war und deswegen ihre Reaktionszeit wahrscheinlich zu langsam gewesen wäre.
Fast wäre sie also in diesem Augenblick gestorben. Durch ihre beste Freundin.
Die Hokage verzog keine Miene, als sie ihre Untersuchung an der zu Boden gezwungenen Jonin fortführte. Die aufmerksamen Blicke der Umstehenden ignorierte sie. Dann stutzte sie. Tsunade hatte gefunden, wonach sie gesucht hatte. Und sie sorgte dafür, dass es den Körper ihrer besten Freundin auf der Stelle verließ.
Ohnmächtig blieb Shizune auf dem Boden liegen. Ein Finger am Hals informierte Tsunade über den nach wie vor kräftigen Pulsschlag.
Angewidert betrachtete sie dann das kleine, zuckende Tier, das aus Shizunes Ohr gekrochen war. Beinahe hätte sie es vor Wut in ihrer Hand zerquetscht.
Einzig das rechtzeitig hingehaltene Reagenzgläschen durch Ibikis große Hand ließ die Vernunft siegen. Sie ließ das Wesen hinein und versiegelte das Glas zusätzlich zu dem Korken mit einem Siegel – nur um sicher zu gehen.
Dann betrachteten alle das winzige, zappelnde Ding, das ihrer aller Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geändert hatte.
Tsunade musste einmal tief Luft holen. Es war so klein… so unsichtbar… So hässlich und mächtig. Es könnte jeden treffen.
Unwillkürliches Misstrauen ließ sie den Blick über die anderen Anwesenden schweifen. Schnell schluckte sie dieses unwillkommene Gefühl herunter.
Misstrauen… Wenn sie dies zuließ, würde Orochimaru gewinnen. Wenn sie den Falschen traute, allerdings auch. Was würde diese unsichere Zukunft also bringen?
Unwillkürlich kniete sie sich an Shizunes Seite und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. „Shizune?“. Ich brauche dich jetzt.
~*~*~
Narutos blutige Hände durchwühlten Geröll und Schutt neben dem Kirschbaum. Den ganzen Tag und die folgende Nacht verbrachte er damit, zu graben. Dann gab er es schließlich auf.
Er hatte geglaubt, der Kirschbaum sei ein Zeichen. Er hatte geglaubt, wenn nicht hier, dann würde er sie niemals finden, aber er konnte einfach nicht Tonnen und Abermillionentonnen Gesteinsmasse umdrehen, und das auch noch rechtzeitig. Es war einfach zu viel.
Der Wind kam und trieb den hartnäckigen Staub vor sich her und schließlich davon, und jetzt im Licht des neuen Tages konnte Naruto das ganze Ausmaß der Katastrophe sehen und die Gewissheit sackte endlich in sein Bewusstsein: Er würde sie niemals finden. Es lag nicht in seiner Kraft.
Sie hatten ihn verlassen.
Er erhob sich mit zittrigen Knien und richtete den Blick zum Himmel. Dann ließ er sich doch wieder auf einen Stein plumpsen und legte locker die Arme auf seine Oberschenkel. Seine blauen Augen richteten sich starr der roten Sonne entgegen. Der Wind wisperte verspielt durch sein Haar.
Gaara saß auf einem Felsen, wie immer gefasst und die Ruhe selbst. Er würde warten auf Naruto. Warten konnte er gut.
Also wartete er.
Kankuro trat an seine Seite und Temari hockte sich auf einen benachbarten Steinbrocken. „Sollten wir ihn irgendwie… ihr wisst schon: bekümmern?“
„Lass ihn einfach.“
„Hey!“, drang eine unhöfliche Stimme zu ihnen, und Temari und Kankuro drehten sich um.
Ein völlig zerkratzter aber nicht minder finster dreinschauender Koshirou stand vor ihnen. Sein linker Armstumpf war abgebunden, in der rechten hielt er den verkümmerten Rest seines von der Explosion unsauber abgerissenen Armes. „Ist von euch zufällig einer Medi-Nin?“
„Du lebst noch?“, wunderte sich Temari wenig besorgt.
„Wie du siehst waren es nicht meine Eingeweide, die in der tollen Explosion zerplatzt sind.“, kam es sofort bissig zurück. „Es hätte ja ruhig mal einer nach mir suchen können, ich lag die ganze Zeit in einem Graben und hab verdammte Sternchen gezählt.“ Er hob seinen abgetrennten Arm an und schaute die Kunoichi aus Suna intensiv an. „Kannst du so was? Mach ihn wieder dran.“
„Bist du bescheuert, so was muss man sofort machen! Über einen Tag später geht das nicht mehr! Das ist gefährlich, wenn du die Wunde nicht von Fachpersonal behandeln lässt, du riskierst eine ernstzunehmende Infektion!“
„Ich hab ne Jodsalbe draufgeschmiert. Was ist mit dir, Puppenmann? Näh den mit deinen Drähten wieder dran.“
Kankuro blickte ihn ungläubig an. „Der ist ja verrückt!“
„Ich hab jedenfalls nicht vor, den Rest meines Lebens als einarmiger Krüppel rumzulaufen.“
„Berufsrisiko.“, sagte Temari und wandte sich ab.
„Hey!“
„Solltest du dich nicht lieber um dein Team sorgen, als um dich selbst?“, erklang unerwartet Gaaras Stimme.
Koshirou senkte die Augenbrauen. „Verzeiht mir, Kazekage-sama. Ich hab keine Ahnung wo mein Team ist.“
Gaara nickte in Richtung des zertrümmerten Berges und Koshirou schluckte schwer. Er konnte nur Naruto ausmachen, der geistesabwesend neben einem schrägen und halbentwurzelten Kirschblütenbaum stand und ins Leere starrte.
Koshirou ließ langsam die Luft aus. „Damit hab ich jetzt aber nicht gerechnet.“, murmelte er.
„Wenn ihr nach Konoha zurückkehrt, richtet der Hokage aus, dass Suna die Bündnisverträge zu bekräftigen wünscht. Mit dem Tod des Tsuchikages, der Sunagakure und Konohagakure mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Schuhe geschoben werden wird, ist Orochimarus Kriegserklärung ausgesprochen.
Der vierte große Ninjakrieg hat begonnen.
Teile das deiner Hokage mit, wenn du Naruto nach Konoha bringst.“ Gaara erhob sich und klopfte den Staub von seiner Kleidung.
Koshirou verbeugte sich respektvoll. „Kazekage-sama. Danke für Eure Hilfe. Ich werde mich um alles Weitere hier kümmern.“
Gaara nickte.
Dann setzte er sich ohne Worte des Abschieds in Bewegung, und Temari und Kankuro folgten ihm. Nicht jedoch, ohne noch einen letzten merkwürdigen Blick auf Koshirou zu werfen, den Verrückten, und einen bedauernden auf Naruto, ihren Freund.
Koshirou rubbelte sich unwohl durchs wilde Haar und setzte sich neben Naruto. Dann seufzte er.
„Ich hab keine Ahnung, was die richtigen Worte sind in solchen Momenten. Ich trample ständig allen Leuten auf den Kimono. Ich kann mit Worten so gut umgehen wie ein Kleinkind mit Schwertern.“ Er seufzte. Miserabler Einstieg. Lass es einfach, Koshirou. Du bist nicht der Typ für so was! „Ähm… Wir müssen zurück nach Konoha. Wir müssen ihnen berichten, was hier geschehen ist. Und was noch geschehen wird. Sie müssen vorbereitet sein wenn es soweit ist.“
Keine Antwort. Keine Reaktion.
Als Koshirou glaubte, Naruto würde überhaupt nicht mehr reagieren, erhob sich dieser plötzlich mit entschlossenen Augen.
„Ich gehe nicht. Noch nicht. Ich kann nicht. Geh ohne mich und berichte Tsunade-obaa-san was hier passiert ist und dass sie sich zum Kampf bereit machen soll.“
Koshirou blickte zu dem jungen Mann auf.
Dann erhob er sich ebenfalls, warf seinen nutzlosen Arm fort und prüfte die Beweglichkeit der verbliebenen Hand. Es war die Hand, die er sich in einem anderen Kampf hatte annähen lassen. Welch Ironie. Jetzt hatte er keine eigenen Finger mehr die er für das folgende benutzen würde.
„Den Rest des Tages.“
„Hm?“ Naruto blickte ihn verwirrt an.
„Den Rest des Tages werde ich dir helfen mit der Suche. Danach gehe ich nach Konoha. Du kannst mitkommen, wenn du möchtest. Länger als zwei Tage würde niemand unter diesen Tonnen überleben, sollten sie es denn geschafft haben. Ich schick einen Nachrichtenvogel, dann müssen wir nicht sofort aufbrechen.“
Naruto starrte den grimmigen ANBU an. Dann wandelte sich seine angespannte Mimik zu einem dünnen aber dankbaren Lächeln. „Absurd, dass ausgerechnet du mir mal freiwillig helfen würdest.“
„Gewöhn dich einfach nicht dran.“
„Narutooo.“, rief plötzlich jemand, und die beiden Konoha-Shinobi wandten sich überrascht um.
Eine Gruppe auf Krückstöcken hinkender, weißhaariger Rentner näherte sich ihnen, angeführt vom halb zahnlosen alten Schmu. „Braucht ihr unsere Hilfe?“
Naruto lächelte schwach. Dann nickte er.
~*~*~ ~*~*~
Koshirous schwarzgefiederter Nachrichtenvogel sauste mit einem Aufschrei hoch über Konohas Stadtmauer hinweg, getragen von einem ruppigen Wind, die weit ausgebreiteten Schwingen schimmerten schwach unter der bewölkten Sonne.
Darunter lachte Gyboue, ohne von dem Tier Kenntnis zu nehmen, und prostete seinem Freund zu. Die wenigsten von Konohas Shinobi ahnten etwas von dem bevorstehenden Krieg.
Auf dem Hocker neben ihm am Schnellrestaurant-Stand saß sein Freund Tatami Iwashi. Beide hatten vor sich auf dem Tresen dampfenden Tee stehen, und Gyobue schlürfte gewohnt geräuschvoll. „Heute ist der große Tag, heute kommt er heim. Du wirst sehen, es wird ein richtiger Mann aus ihm geworden sein, auf den ganz Konoha stolz sein wird.“
Iwashi wollte gerade einen Kommentar loslassen, als es am Tor unruhig wurde.
„Da, sie tragen wieder welche rein.“, sagte die Bedienung hinter dem Tresen betroffen. Gyobue grinste noch breit über Iwashis sorgfältiges Benehmen beim Teetrinken in der Öffentlichkeit, als er sich umdrehte. Sein Lächeln entglitt ihm wie die Teetasse seinen Händen.
Krachend zerschellte das Tongefäß auf dem Boden und der dampfende Tee verteilte sich auf der trockenen Erde.
Ein Krieg beginnt mit Opfern: zuerst die Wahrheit, dann folgt der Mensch.
Er spürte nicht, wie er sich automatisch vom Tresen erhob und mit erst langsamen, dann immer schneller werdenden Schritten den Neuankömmlingen entgegenlief.
Die Neuankömmlinge, die flankiert von drei ANBU den kleinen Jubei in den Armen trugen.
Gyobue spürte nicht, wie er dem Träger seinen Jubei aus den Armen riss, und wie er mit ihm einige Meter lief, bis er auf dem Platz stolperte und in die Knie ging.
~„Das ist Jubei, mein Neffe, mein ganzer Stolz.“~
Der Bann war gebrochen. Gyobue weinte laut und ohne die geringste Scham. Alles was für ihn in diesem Moment zählte war die kleine leblose Gestalt in seinen großen, starken Händen. Er konnte es kaum fassen. Er erkannte nicht einmal, wer seinen Neffen zurückgebracht hatte. Er wiegte den Jungen fürsorglich in seinen kolossalen Armen. Krokodilstränen lösten sich aus seinen Augen und seine großen Schultern bebten. Seine fassungslosen Schluchzer und sein Kummer waren weithin zu hören.
~„Ich kann mir niemanden vorstellen, bei dem er besser aufgehoben ist, Genma. Versprich mir, dass du ihn heil zurück bringst und ihm ein paar nützliche Dinge beibringst.“
„Versprochen.“~
Verspreche nichts, wenn du nicht weißt, ob du es auch einhalten kannst. Wenn du nicht weißt, ob alles gut wird. Denn im Krieg ist alles anders.
Iwashi trat zu Gyobue heran, wagte jedoch nicht, ihn zu stören. Ein schmerzlicher Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Etwas in ihm sträubte sich gegen die lauten Schluchzer seines eigentlich so starken Freundes. Er wirkte verstört.
Seine Augen fanden Genmas, der ihnen mit einer ungewohnten, kühlen Distanziertheit standhielt.
Du weißt es, Genma…
Iwashi wurde es in dem Moment bewusst, als Genma seinem Blick begegnete: Genma wusste genau, dass Gyobue ihm niemals verzeihen würde. Sie hatten Jubei verloren, Gyobues ganzen Stolz. Damit war ihre Freundschaft ebenfalls verloren. Egal was passierte.
„Es wird Krieg geben.“, sagte Genma, anstelle einer Entschuldigung. „Er hat schon begonnen.“ Es klang durcheinander.
Iwashi spürte, wie sich seine Kehle zusammenschnürte und seine zur Faust geballten Hände zu zittern begannen. Vor diesem Wort hatte er Angst. Es war nicht sein erster Krieg, aber er fürchtete das, was als Kollateralschäden bezeichnet wurde.
Krieg… Hoffentlich wirst du niemals darauf angewiesen sein, dass Gyobue dir den Rücken freihält, Genma…
Raidou atmete einmal tief ein und blickte dann auf die riesigen, massiven Flügel des großen Tores von Konoha, das nach draußen führte und nur in Kriegsfällen und Notstandsituationen geschlossen wurde. Er fühlte sich klein und unbedeutend daneben und schaute schnell woanders hin.
Jemand versuchte Gyobue anzusprechen, aber der ließ es nicht zu sondern hielt heulend den kleinen Jubei hoch und schluchzte.
Eine Einheit Medi-Nins kümmerte sich um Sachiko und ihren Sohn. Nabeshima Saiyori Rens Körper wurde untersucht und anschließend mit einem Tuch abgedeckt.
Damit war es seltsam endgültig. Und seltsam routiniert.
Wie sehr Raidou diesen Moment ihrer Rückkehr hasste. Denn es war nichts, wie es sein sollte.
Im Gegenteil.
Alles schien zu entgleiten. Alles war aus den Fugen geraten.
Es waren Dinge ins Rollen gekommen, die sie nicht hatten aufhalten können, und die nun mit der Gewalt eines gebrochenen Staudamms über Konoha hereinbrechen würden.
Es war nicht so, wie es sein sollte.
Sie hatten es nicht geschafft, es zu ändern. Es zu verhindern.
So schnell das Licht auch ist, die Dunkelheit ist immer schon dort.
Um ihn herum gab es keine Anzeichen dafür, dass sich seine Freunde in angemessener Kondition für das Kommende befanden.
Raidou fröstelte.
Er hatte Angst.
Vor Krieg, Misstrauen und dem Tod. Das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen war verloren.
Und er fragte sich unwillkürlich, wie es wohl den anderen, wie es Team Kakashi ergangen war.
Wenn wir drei überlebt haben, dann müsst ihr es auch. Ich pfeiff auf Fairness im Leben, wenn nicht. Ganz im ernst… Sonst weiß ich nicht, wofür ich all das hier bislang überlebt habe… Den Rauch und das Blut, all das Leid kann ich förmlich schon riechen… Ihr tragt die Zuversicht und die Hoffnung für dieses Land mit. Drückt euch nicht vor der Verantwortung. Verschwindet nicht einfach aus unserem Leben wie die anderen, Kakashi, Naruto,… ohne euch kann Konoha die Stille nicht ertragen…
~*~*~
Die Suche dauerte bis spät in die Nacht.
Koshirou war inzwischen nach Konoha aufgebrochen, ein paar der rüstigen Rentnertruppe begleiteten ihn, da sie fürchteten, er könne unterwegs aufgrund seiner Armverletzung umkippen. Zornig über diese Bemerkung war Koshirou vorausgeprescht, doch der alte Schmu hatte Naruto versichert, dass die anderen ihn schnell einholen würden.
Schließlich war nur noch der der alte Schmu bei Naruto. Alle anderen waren nach Konoha aufgebrochen und es war wieder seltsam still. Grillen zirpten und ein paar nächtliche Jäger und ihre Beute streiften durch die Wälder des Tales im ewigen Kreislauf der Natur, gleichgültig demgegenüber, was sich in der Welt der Menschen abspielte. Und doch wirkte alles ungeheuer friedlich.
„Wir sollten auch heimkehren, Naruto-chan.“
„Wie kann ich das…? Was, wenn sie noch… Hier irgendwo…“ Naruto sprach nicht weiter sondern ließ den Kopf hängen. Der Alte lächelte müde, nahm ihn in seine dürren Arme und drückte Narutos Blondschopf schützend gegen seine hagere Brust.
„Es ist gut. Es sieht niemand zu… Naruto-chan...“
Da brach alles aus dem jungen Mann heraus. Sein Traum war zerplatzt. Sein Versprechen Sakura gegenüber war wertlos geworden, sein Ziel, Sasuke jemals zurückzuholen verloren. Kakashi-Sensei war von ihm gegangen und er war allein, ganz allein auf einem riesigen, großen Berg voller Trümmer und Schutt. Es war ihm auch nicht gelungen, einen Krieg zu verhindern, der noch so unendlich viel mehr Leid hervorbringen würde...
Es war kein Zorn und keine Wut. Es war eine tiefe, unendliche Trauer die alles andere erstickte.
Und das heimlich nagende Gefühl, versagt zu haben.
Allein bin ich wertlos…Ich brauche sie doch…
Der Alte blieb bei ihm und hielt ihn fest.
Hoffnung war so eine schöne Illusion. Zwei Tage lang hatte Naruto sich ihr hingegeben. Zwei schöne, lange Tage.
Aber sie waren fort.
Hatake Kakashi und Haruno Sakura waren gemeinsam mit diesem Berg gestorben. Was zurück blieb, war eine schreckliche, unerträgliche Stille.
„Es ist nicht fair.“, heulte Naruto.
„Es ist niemals fair.“
„Aber er hat immer gesagt, alles wird gut!“
„…“
Der alte Schmu schwieg und seufzte schwer. Von dem Mädchen, Sakura, hatte er nur gehört – sie war eine hoffnungsvolle Schülerin der Hokage gewesen. Aber den Jungen, Kakashi, den kannte er gut. Vielleicht war es gut so. Vielleicht war es gut so, dass er mit all den Schatten seiner Vergangenheit vereint war und seine Reise ein Ende gefunden hatte. Obito wäre dort, Minato, Sakumo,…
„Es ist immer eine zweiseitige Angelegenheit, Naruto-chan: Für die einen bedeutet es Abschied, für andere Wiedersehen.
Jede Zeit hat ihr Ende, jedes Ende seine Zeit.
Er hat gesagt, alles wird gut. Vielleicht ist es das geworden, ohne dass es sich uns Zurückgebliebenen zeigt.
Überdies…
Du weißt, dass manche Versprechen nicht dazu gedacht sind, wahr zu werden, Naruto-chan. Das weiß ich selbst wohl sehr gut. Sie sollen nur Ziele sein. Ansporn. Ansporn zu leben. Denn was wir glauben und wonach wir handeln, macht uns aus.
Eine wichtige Lektion, Naruto-chan. Du kannst so vieles mit dem Willen steuern, soviel mit purem Glauben erreichen, aber alles unterliegt letztendlich den Gesetzen und Grenzen der Natur. Und manchmal erfüllen sich deswegen Wünsche nicht.
Deswegen sind Wünsche Ziele und keine Zuversicht. So ist das im Leben. Manchmal geht es schief für die einen, dafür aber gut für andere. Mit Fairness hat das nichts zu tun, sondern mit Ausgleichsbestrebungen der Natur.“
„Was hilft es mir, das zu wissen?“, fragte Naruto bitter.
Die Stimme des Alten war nur ein leises, raues Flüstern, als er antwortete.
„Es wird dir helfen zu entscheiden, wie du damit umgehen wirst. Verwachsene Grasflächen überwuchern nach und nach einen Berghang, und die Wurzeln der Kiefern spalten die stärksten Felsbrocken. Zeit ist dein Freund, der dich Weisheit, Schmerz und Rat lehrt. Verschließe dich nicht vor neuen Aufgaben und Herausforderungen, so unerreichbar sie auch erscheinen. Du bist kein einfacher Junge, Naruto. Du gebietest über Fähigkeiten, die anderen nicht gegeben sind. Lerne, Verantwortung zu tragen und zu entscheiden, wie du aus dieser Situation herausgehen willst.
Denn eines Tages wirst du der Hokage von Konoha sein.
Das sagte Hatake Kakashi einst zu mir.
Und ich neige dazu zu glauben, dass er recht behalten wird.“
Die Stille ist der Geruch
nach Rauch und nach Nebel
in den Ruinen
an einem Kriegswintermorgen
Die Stille ist der Nachhall
der Reden und der Versprechen
Die Stille ist
der Bodensatz aller Worte
Die Stille ist das
was übrig bleibt von den Schreien
Die Stille ist die Stille
Die Stille ist meine Zukunft
Erich Fried
~Ende Kapitel 37 ~Ende Epilog I ~