Ende
Kapitel XXIV : Ende
Am nächsten Morgen erwachte ich wie gerädert. Es war mir ein Rätsel, wie und vor allem wann ich eingeschlafen sein musste, denn alles, an das ich mich erinnern konnte, war dieses endlose Nachdenken über Grey und - natürlich - über mein kleines Gespräch mit Ron.
Hoffentlich wird er mich nicht gleich darauf ansprechen …, dachte ich, meine Augenbrauen wegen des Hammers, der von innen gegen meine Schläfen schlug zusammenkneifend. Der Lärm in der Großen Halle, der mir entgegenschlug, als ich dort ankam, wirkte auf mich wie auf einer Baustelle.
Schlecht gelaunt ließ ich mich auf meinen Stammplatz zwischen Hermine und Ron fallen und nahm mir lustlos ein Brötchen und biss hinein. Ich hatte nicht wirklich Hunger, doch ich wollte vermeiden, dass auch noch Hermine auf mich aufmerksam wurde.
Nach kurzer Zeit wurde ich mir auf einmal eines seltsamen Prickelns in meinem Nacken gewahr, doch aus irgendeinem diffusen Grund wollte ich mich nicht umdrehen, um zu sehen, von was es zeugte. Oder sollte ich besser von wem sagen?
„Harry …“ Hermine hatte sich zu mir gebeugt. „Professor Grey starrt dich an.“
Ich konnte nicht anders. Natürlich drehte ich mich um, natürlich suchte mein Blick den von meinem Lehrer - und natürlich scheute er sich nicht, mir geradewegs in die Augen zu schauen. Ich schluckte. Es war nicht so, als würde ich den Ausdruck seiner Augen nicht genauestens kennen, doch dieses Mal hatte sich etwas anderes zu der Traurigkeit und Einsamkeit in ihnen gemischt - etwas Wissendes.
Und zum ersten Mal seit gestern Abend kam mir in den Sinn, dass Grey vielleicht etwas gemerkt haben könnte.
Die Panik, die mir plötzlich in die Magengrube stieg, ließ mir schlecht werden und in der Kombination mit meinen hämmernden Kopfschmerzen hatte ich das Gefühl, als würde ich hier jeden Moment vor aller Augen krepieren.
„Scheiße, Mann …“ brummte ich und ließ meinen Kopf auf den Tisch sinken.
„Geh in den Krankenflügel!“ forderte Hermine mich auf, und stupste mich an, um ihre Worte noch zu unterstreichen.
Ich murrte und war im Grunde viel zu faul um mich zu bewegen, sah jedoch bald ein, dass meine Freundin Recht hatte. Wie immer.
Nach dem Frühstück ging ich also tatsächlich nicht wie all die anderen zu den Gemeinschaftsräumen - es war Wochenende - sondern steuerte den zweiten Stock und damit hoffentlich auch die Erlösung von meinen Kopfschmerzen an.
Die Tür ging auf, noch ehe ich überhaupt den Türknauf berühren konnte. Madam Pomfrey stand vor mir, in ihrer Hand ein kleiner Zettel, am Ellbogen des gleichen Armes ein großer Korb, der anscheinend auch noch magisch vergrößert worden war.
„Mr Potter!“ sagte sie überrascht. „Was führt Sie zu mir?“
„Ich hab Kopfschmerzen.“ Meine Stimme war gereizt.
Sie sah mich mitleidig an.
„Oh … Tut mir Leid, ich habe den Trank im Moment nicht vorrätig. Ich wollte gerade zu Professor Grey“, sie wies auf ihren Korb, „und mir welche besorgen.“ Leicht lächelnd musterte sie mich. „Andererseits … Sie könnten das doch für mich erledigen, nicht wahr? Kommen Sie, machen Sie sich nützlich!“ Und schon bekam ich Korb plus ‚Einkaufszettel‘ in die Hand gedrückt; und ehe ich auch nur ein Wort des Protestes hervorbringen konnte, war die Tür wieder zugeschlagen und ich allein gelassen worden. Scheiße.
~~~~~*~~~~~
War es Schicksal, dass ich mich schon wieder in diesem gottverdammten Turm befand? Wenn ja, dann hatte es entweder etwas gegen mich oder war einfach nur unfähig, was mein Leben anging.
Ich seufzte. Pomfrey erwartete mich, also sollte ich mich besser beeilen. Außerdem konnte ich diesen Umstand als Ausrede benutzen, falls er mit mir ein Gespräch führen wollen sollte.
Ich hatte bereits geklopft, doch bisher hatte Grey mir noch nicht geöffnet. Das war nicht unbedingt eine Seltenheit; oft war er gerade mit einem Trank beschäftigt und konnte deswegen nicht an die Tür gehen. Doch dieses Mal hatte er noch nicht einmal ‚Herein‘ gerufen.
Ich beschloss, einfach mal in seine Privatsphäre einzudringen und die Tür von mir aus zu öffnen, denn ich wollte diese Angelegenheit so schnell wie möglich beenden. Dabei hoffte ich, dass ich ihn nicht schon wieder in so einer beklemmenden Situation auffinden würde, wie dieses eine Mal, wo er mich hochkant rausgeschmissen hatte.
Leise öffnete ich die Tür und lugte hindurch; als ich niemanden sah, huschte ich hinein und schloss sie wieder hinter mir. Dann sah ich mich um. Das Zimmer war wie immer unaufgeräumt, nur brodelte dieses Mal kein Trank in der Ecke.
Es war so still, dass ich sogar meinen eigenen Atem hören konnte. Und nicht nur den.
Er lag so ruhig da, dass ich ihn beim Hereinkommen glatt übersehen hatte; den Kopf auf den Armen abgelegt, die Beine in verschiedene Richtungen zeigend schlief er leise durch die Nase Luft holend an seinem Schreibtisch, vor sich Türme von Büchern und Pergamentrollen.
Ich wusste nicht so recht, ob ich ihn wecken oder doch besser wieder gehen sollte. Einerseits war sicherlich das Letztere besser, denn er war sicher müde, wenn er jetzt schon schlief - dabei war er gerade eben noch in der Großen Halle gewesen und hatte wie wir gefrühstückt. Andererseits konnte ich es einfach nicht über mich bringen, jetzt schon zu gehen. Außerdem brauch ich die Tränke!, redete ich mir ein. Ob ich mich selbst bedienen sollte?
Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht den blassesten Schimmer, welche der vielen Glasflaschen, die sich in seinen Regalen und vermutlich auch in dem Schrank an der Wand befanden, das Richtige beinhalteten. Ausprobieren? Mit Sicherheit nicht; ich wollte niemanden vergiften. Außer Malfoy vielleicht.
Malfoy …
Er irritierte mich. Das Schlimmste an der ganzen Affäre, wenn man das denn so nennen konnte, war, dass das, was mich erschreckte und mich ängstigte, keineswegs die Küsse und sonstigen Annäherungen gewesen waren, noch nicht einmal, dass es Malfoy selbst gewesen war, sondern eher, dass er mir all dies aufzwang und mich gar nicht nach meinem eigenen Willen fragte. Was bei ihm natürlich auch nicht verwunderlich war.
Was versprach er sich von der ganzen Angelegenheit? Er konnte sicherlich Dutzende Mädchen haben, so schlecht sah er doch auch nicht aus.
Oder liegt es daran, dass er gar nicht an Mädchen interessiert ist?
Der Gedanke strömte auf einmal zu mir hin und webte sich in die anderen ein. Das musste des Rätsels Lösung sein. Das war es, was ihn so nah bei mir hielt, nicht das, was ich bisher angenommen hatte.
Malfoy steht auf mich …
Ein leises Murmeln und Rascheln lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Grey regte sich, blinzelte sich den Schlaf aus den Augen und gähnte herzhaft, wobei er vergaß, sich die Hand vor den Mund zu halten. Dann vollführte sein Oberkörper eine halbe Umdrehung, seine Augen schweiften mit, bis sie schließlich auf mir zu ruhen kamen.
„Was … machst du hier?“ fragte er mich lahm; er schien noch etwas schläfrig zu sein. Ich bemerkte die aufkommende Röte auf meinen Wangen. Sicherlich musste meine Anwesenheit in seinem Büro - während er schlief! - ziemlich abstrakt wirken. Wenn nicht sogar aufdringlich. Hoffentlich denkt er nicht, ich will rumschnüffeln!
Doch das schien nicht der Fall zu sein. Tatsächlich setzte er ein warmes Lächeln auf, was mich jedes negativen Gedankens beraubte. Wie konnte man nur so verführerisch lächeln?
Ich lächelte zurück, ohne weiter darüber nachzudenken, was ich hier eigentlich tat.
„Harry …“ Sein Lächeln erstarb sofort und ein Schwindel erregendes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit.
„Ja?“ Ich versuchte, nicht allzu krampfhaft zu wirken, doch ich hatte dummerweise das Gefühl, dass es mir gar nicht gelingen wollte.
Grey seufzte, stützte seinen Kopf kurz in eine Hand, schien sich dann doch um zu entscheiden und legte beide Hände auf seinem Schoß ab. Unverwandt sah er mich an.
„Harry, ich breche unsere Treffen ab.“ sagte er mir rundheraus und ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken.
Meine Wimpern jedoch zeigten eine Regung; ich blinzelte, einmal, zweimal, dann schnappte ich nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
„W-Was?“ fragte ich fassungslos. Grey sah mich immer noch so an - kalt?
„Ich denke, es ist besser für beide Parteien.“ Seine Augen bohrten sich in meine und ich hatte das ungute Gefühl, dass er damit etwas ganz Bestimmtes meinte. „Außerdem solltest du ein wenig mehr für die Schule tun.“ Er lächelte wieder, doch dieses Mal hinterließ mir dies weder ein warmes Gefühl im Bauch noch sonst irgendetwas, was mit Glückshormonen zu tun hatte, sondern nur eine eisige, kalte Leere in meinem Herzen. „Natürlich kommst du noch wegen des Trankes zu mir, okay?“
Es war eine rhetorische Frage, also nickte ich nur einmal kurz, als sei sein Beschluss eine geschäftliche Vereinbarung zwischen uns beiden gewesen und verließ sein Büro ohne ein Geste des Abschiedes.
Die Tränke für Madam Pomfrey hatte ich völlig aus meinem Geist verbannt.
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So, bitte nicht denken, dass das hier das Ende wäre, nur weil das Kapitel so heißt xDD