Pilfer 1/7
Kapitel 61:
Pilfer
Samstags - gegen 14.00h bis 15.00h
Sanjis Sicht
Noch geschlagene zehn Minuten standen wir im Türrahmen und küssten uns zum Abschied, bis Nami
dann wirklich gehen musste. Sie war zum Mittagessen vorbeigekommen und wir hatten uns einen
gemütlichen Vormittag gemacht, an dem ich ihr mal wieder bewiesen hatte, was für ein Meister im
Kochen ich war, denn Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Heute hatte sie mich nicht auf
irgendetwas angesprochen so wie am Vortag schon, worüber ich erleichtert war. Das zeigte mir, dass
sie mich verstand und meine Gefühle respektierte und sie mir nichts abverlangte. Ich hatte den Tisch
noch mit ihr zusammen abgedeckt, also brauchte ich nur noch den Abwasch zu machen. Doch immer
wieder glitten dabei meine Gedanken ab, zu Mama hin. Wieso nur musste mich Nami darauf
ansprechen? Irgendwie stimmte mich das traurig, obwohl es doch keinen Grund dazu gab. Es war so,
wie es war, und weiter? War es der Fakt, dass es sich einfach nur um Nami handelte? Sie sollte sich aus
meiner Vergangenheit raushalten, ansonsten würde sie darin herumwühlen und alte Wunden von mir
aufreißen, soviel stand für mich fest. Nein, danke, dass brauchte nicht sein. Nami stand für mich für die
Zukunft, also wollte ich nicht, dass sie mit meiner Vorzeit etwas zu tun hatte, und ich hoffte, dass sie
sich auch daran halten würde, ohne, dass ich wieder mit dem Thema anfangen müsste.
Ich ging in mein Zimmer und lief zum Regal. Da holte ich Mamas Foto raus, den schönen Rahmen, und
sah sie mir genau an. Wirklich gut hatte ich sie nicht kennen gelernt... dafür hatte mir die Zeit gefehlt.
Hatte uns die Zeit gefehlt. Mich plagten so oft noch immer fürchterliche Schuldgefühle, ich war total
traurig, hatte ihr nie richtig gesagt, dass ich sie lieb hatte. Mir kam es immer so vor, als hätte sie sich
nie richtig um mich gekümmert, dabei war ich immer nur so auf mich selbst beschränkt, dass ich mich
nie in ihre Lage gesetzt hatte. Sie wusste, dass ich ohne Papa aufwuchs und hatte deshalb unsere kleine
Familie mit Jeff und Seulgi aufgestellt und als das dann alles instabil wurde, wohnte ich zwar nicht mehr
Zuhause, aber behielt meine Freiheit. Irgendwie war das ja ein schwerwiegender Fehler, und ich finde,
sie hätten mich härte an den Zügeln nehmen sollen, ganz klar. An dem Punkt war es total
verantwortungslos, immerhin wussten sie ja nicht, was ich anstellen würde. Ich hätte mir damals
genauso gut auch das Leben nehmen können, aber ist ja nie so weit gekommen... zum Glück!
Ansonsten hätte ich Nami nie kennen gelernt, und irgendwo sind die Erfahrungen ja auch gut, die ich
gemacht hatte, denn ohne sie wäre mein Leben ganz anders verlaufen und ich wäre nicht so, wie ich
heute war.
Mir fiel das Fotobuch wieder ein, das sich in meinem Nachttisch befand. Mamas Foto legte ich wieder
auf die Rückseite zurück und wollte mir mein Sammelwerk heraussuchen. Nami hatte mich mal drauf
angesprochen, aber ich konnte es ihr nicht zeigen. Was würde sie bloß von mir denken, wenn sie
ausschließlich Bilder von Seulgi sehen würde? Das kam ja für mich schon komisch rüber... hätte ich
niemals diese Liebe für sie empfunden... Ich hatte schon überlegt, dass Buch einfach kaputt zu machen
wie zum Beispiel durch Verbrennung oder in der Badewanne einweichen zu lassen – aber man sollte
Erinnerungen erhalten, so gut es ging. Von Mama hatte ich nichts übernommen und es im Nachhinein
bereut, also war die Beseitigung meines Fotobuches keine gute Lösung. Ich hatte auch daran gedacht,
es vielleicht Seulgi zu geben, da sie es nie gesehen hatte. Sie würde es so oder so nie sehen können,
fiel mir ironischer Weise ein und es wäre wahrscheinlich gut, wenn es in ihrer Obhut wäre. Sie sollte die
freie Entscheidung haben, was damit geschehen sollte.
Ich guckte, wo das grün eingeschlagene Buch war, doch es befand sich nicht mehr an seinem üblichen
Platz. Wo war es denn hin?
Ich suchte auch in der unteren Schublade und in dem kleinen Seitenschränkchen, ob ich es vielleicht da
rein getan hatte, aber da war nichts. Ich hatte es mir seit Ewigkeiten nicht angesehen, also konnte es
nicht weit weg sein. Wobei, Nami hatte es doch mal rausgeholt und vielleicht woanders hingelegt? Ich
sah an allen möglichen Orten nach, wo man ein Buch hintun könnte, aber ich hatte sie doch gebeten, es
dahin zurückzulegen –oder? Sollte sie es etwa eingesteckt haben? Nein, so was würde sie nicht
machen... höchstens aus Versehen, fiel mir ein. Jedoch war mir das ganz und gar unangenehm, denn
selbst wenn sie es zu Hause bei sich in der Tasche finden würde, wäre ihre Neugierde sicherlich groß
genug, dass sie es öffnen würde... schließlich wusste sie ja nicht, was sich da drin befand. Oh Shit, die
Erkenntnis, dass sich das Buch in ihren Besitz befindet, war mir mehr als nur unbehaglich!
erstellt am 02.05.2007
4Kolibris,
Elena