Coaching - Gegenwart
Kapitel 14:
Coaching - Gegenwart
Sanjis Sicht
In der einen Woche war dieser Zehnstundentest am Freitag... und am vorangehenden Dienstag wollte
mir Nami helfen, dafür zu lernen. Ich war überglücklich, dass sie mir das angeboten hatte. Im Unterricht
wollte ich auch so gut es ging aufpassen, damit sie stolz auf mich sein würde. Nur konnte ich mich
überhaupt nicht konzentrieren, ich war noch total müde und musste immer wieder an das Wochenende
denken. Himmel noch mal, die beiden waren doch solche Psychopaten! Das wollte ich Seulgi nicht so
schnell verzeihen, dass sie mir einfach die Lippe aufgeschlitzt hatte. Ich weiß schon gar nicht mehr, was
sie dazu genommen hatte. Es musste ein Zirkel oder so gewesen sein, jedenfalls hatte das höllisch
wehgetan. Nun wusste ich sehr genau, wie Blut schmeckte. Ich musste mir immer wieder die Wunde
abtasten, mein Mund brannte davon förmlich. Er war die ganze Zeit über heiß und ich konnte nichts
groß dagegen tun. Ein Pflaster war dort unmöglich einsetzbar und eine Creme wusste ich dafür auch
nicht. Naja, es hätte schlimmer kommen können. Wenn sie das als kleinen Racheakt ansah,
meinetwegen. Ich wollte nicht dauernd darauf zurückkommen, sondern mich auf den Nachmittag bei
Nami freuen. Nur haute das nicht so ganz hin, da meine Gedanken immer wieder abwichen.
Dienstags in der Pause bestätigte sie mir, dass es auch klappte und sie wirklich Zeit hatte. Innerlich war
ich eigentlich total happy, nur war ich nach außen hin so betrübt, dass man das gar nicht merkte.
Natürlich wollte ich ihr meine Lächeln schenken und sie umschwärmen, aber konnte mich ehrlich zu
nichts aufraffen. Ich war in einem richtigen Tief angelangt, wobei das jedem so ergehen würde, der
dasselbe wie ich durchmachen würde. Ich musste die ganze Zeit im Unterricht bloß gähnen, ich war
einfach zu lange unterwegs gewesen. Mir kam es so vor, als würden Ruffy und Lysop nur um mich
herumhopsten, obgleich das sicher nicht so extrem war, wie in meinen Wahrnehmungen. Zorro war
irgendwie gar nicht vorhanden und meine zugeschnürte Aufmerksamkeit widmete ich Nami. Ich konnte
sie einfach nur immerzu ansehen und davon träumen, sie einmal zu küssen. Sie hatte mir ja schon so
sehr geholfen, ich fand sie einfach immer nur anmutig und süß und sie war ja auch so schlau und das
liebevollste Mädchen, das ich kannte. Meine Tagträume beschranken sich auf Annäherungsversuche,
nur verliefen die so tadellos, dass es schon gar nicht mehr realistisch war. Nach der Schule wollte ich
noch mal nach Hause, um mich zurecht zu machen, immerhin war es das erste Mal, dass ich Nami
alleine traf, ohne die anderen. Aber dann kam von ihr der überraschende Vorschlag, direkt mit zu ihr zu
kommen. Etwas perplex stimmte ich ihr zu, da ich ihr einfach nichts ausschlagen konnte.
Bei ihr zu Hause fingen wir nicht direkt mit Schulaufgaben an, worüber ich froh war. Nami bot mir an,
dass ich uns etwas in der Küche zubereiten konnte, was ich dann auch tat. Erstmal musste ich runter
kommen und mich entspannen, das ging mit Kochen schon immer am Besten. Mit zwei kleinen
Schüsseln voll Obst kam ich ins Esszimmer, wo sie schon alles zurecht gelegt hatte. Bei den
sommerlichen Temperaturen ist Obst einfach das Erfrischenste schlecht hin. „Das sieht lecker aus.“
lobte sie mich und befreite schon einen kleinen Vorboten aus meinem Schmetterlingskäfig. „Danke.“
meinte ich und hätte lieber nicht so schüchtern geklungen. „Also ich würde sagen, wir erklären erstmal
alle Begriffe, die wir wissen müssen. Danach erkläre ich dir die Zusammenhänge, okay?“ „Du hast
vollkommen Recht.“ Schon wieder war mein Mundwerk schneller gewesen, als mein Kopf. Mann, das
konnte ja heiter werden. Sie schlug ihr Heft auf und fing an. Erstmal wollte sie testen, was ich auf dem
Kasten hatte. „Weißt du, wann Nebel entsteht?“ Nebel? Zu meinem eigenen Erstaunen wusste ich die
Antwort sogar. „Ja klar, das ist, wenn... also wenn die Luftfeuchtigkeit sehr hoch ist, dann gibt es
Nebel.“ Ob das auch stimmte? Ich wollte so viel wie möglich richtig beantworten und war fest davon
überzeugt, dass das der richtige Start war. Aber so ganz war sie noch nicht zufrieden. „Ja schon, aber
wann entsteht Nebel denn ganz genau?“ Ich wusste es einfach nicht. Wozu mussten wir so was auch für
Erdkunde können? Ich überlegte wirklich fieberhaft, kam aber nicht drauf. Schließlich resignierte ich.
„Tut mir Leid, ich weiß es nicht.“ „Aber darum musst du dich doch nicht entschuldigen! Weswegen sind
wir denn hier? Also ich sag’s dir.“ Ich wartete gespannt, wobei mich die Antwort nicht im Geringsten
interessierte. Ich wollte bloß Zeit mit ihr verbringen und ich empfand wieder einmal pures Glück. Als sie
weiter sprach, sah ich ganz genau auf ihre Lippen, zwischendurch blickte ich hoch zu ihrem Gesicht, in
ihre Augen. „Also wenn feuchte, kühle Luft durch heiße Luft darüber kondensiert, dann ergibt das
Nebel.“ Sie sah mich erwartungsvoll an. Ich hatte schon bei dem Wort ’kondensieren’ Schwierigkeiten,
der Satz an sich ergab für mich erst recht keinen Sinn. „Hast du das verstanden?“ vergewisserte sie sich.
„Äm, ja, ...ja.“ log ich und tat konzentriert. Ich war so müde, wollte es mir aber nicht anmerken lassen.
„Also das musst du einfach auswendig lernen, da führt glaub ich kein Weg dran vorbei. Wir machen das
ja nur, dass du’s schon mal gehört hast.“ Ich zwang ein Lächeln aus mir heraus. Meine Lippen brannten
schon wieder wie verrückt.
Sie sah wieder auf ihr Heft und ich konnte das Gähnen gar nicht unterdrücken, das in mir aufkam,
deshalb versuchte ich es hinter meiner Hand zu verbergen. Hoffentlich sah sie es nicht. „Hm. Ich denke
mal, dass wir lieber direkt zur Elektroenergiegewinnung kommen sollten.“ Und sie sah mich an. Gerade
rechtzeitig erwiderte ich ihren Blick, ansonsten hatte ich nur auf ihren Mund geglotzt. Mir kam das echt
vor, als würde sie Bahnhof sprechen. Mensch, so konnte das doch nie was werden. Ich riss mich
zusammen und wollte mir genau merken, was sie sagte. „Der Ozean enthält Wärmeenergie, das ist
gespeicherte Sonnenenergie. Dann enthält er auch noch Bewegungsenergie, daher entspringen auch die
Wellen. Ok?“ Das war leicht zu merken, deshalb nickte ich. „Die Menschen haben schon immer versucht,
aus dem Meer zu gewinnen. Es wurden viele Werke gebaut, die mit dem Meer funktionieren. Zum
Beispiel gibt es die Gezeitenkraftwerke, die Wellenkraftwerke und die Temperaturgefällekraftwerke.
Mehr haben wir nicht aufgeschrieben.“ Was auch immer das heißen mochte, es ging nicht in meinen
Kopf rein. Ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder heraus. Mit großen Augen sah ich sie an. Nach
einem fast unmerklichen Seufzer fuhr sie fort. „Ich erklär dir, was die heißen. Also das
Gezeitenkraftwerk erzeugt Strom, mit Turbinen. Diese Turbinen werden von Ebbe- und Flutströmung
angetrieben.“ Sie legte eine kurze Pause ein. „Das Temperaturgefällekraftwerk nutzt den
Temperaturunterschied zwischen warmen Oberflächenwasser und dem kalten Tiefenseewasser der
Weltmeere. Hmm...“ Sie überflog ein paar Zeilen und ich sah weiterhin auf ihre Lippen. Ein Kuss... ich
wollte wissen, wie es sich anfühlte, sie zu küssen. Diesen schön geschwungenen Mund zu küssen. Ich
schloss kurz die Augen, um wieder klar im Kopf zu werden, musste mich selbst ermahnen, nicht in
Träumereien zu versinken. „Mache ich zu schnell?“ Mit einem Augenaufschlag sah ich sie wieder an.
„Nein, geht schon.“ beteuerte ich. „Also ich glaube nicht, dass du viel von dem verstehst, was ich dir
sage.“ bezweifelte sie, denn mir musste die Müdigkeit doch im Gesicht geschrieben stehen. Ich wollte
nicht, dass sie glaubte, dass ich mich bei ihr langweilte. Ich fand es ja ganz toll, dass sie mir helfen
wollte! Nur lenkte sie mich gleichzeitig so sehr ab. Ich hang die ganze Zeit nur an ihren Lippen, wie
sollte ich mich da denn schon konzentrieren? Es war ja nicht ihre Schuld, nur... „Ich hab eine Idee.“ fing
sie an zu sprechen. „Wir gehen jetzt erstmal zum Sofa.“ Und damit stand sie auf. Zum Sofa?
Mit ihrem Heft unterm Arm geklemmt wies sie mich an, mich hinzulegen. Ohne darüber nachzudenken,
setzte ich mich auf das Polster. „Du kannst dich hinlegen.“ Sie zog einen Hocker vor die Couch und
platzierte sich darauf. „Ich lese dir vor und du machst die Augen zu.“ Dieses Angebot musste ich wohl
oder übel annehmen. Ich tat, was sie sagte. Mit geschlossenen Augen lauschte ich ihrer Stimme. „Also
wir waren bei den Kraftwerken am Meer. Das Wellenkraftwerk kannst du dir leicht merken. Die Wellen
schlagen da an und setzen große Schwingflügel in Bewegung. Diese Flügel pumpen Wasser durch
Rückschlagventile... ach, ich glaube nicht, dass wir genau wissen müssen, wie die funktionieren. Es
reicht, dass du alle nennen kannst und weißt, wozu sie da sind.“ Das alles hatte ich schon mal gehört,
wahrscheinlich im Unterricht. Nur wurde mir wirklich schwarz vor Augen und ich bekam Schiss,
einzunicken. Also musste ich meinen Kopf zu ihr drehen und sie ansehen. „Kannst du noch?“ fragte sie
freundlich. Meinem Geschmack nach war meine Antwort zu schwach, sie sollte auflockernder klingen.
„Grad so.“ Sie legte ihre Unterlagen weg. „Ich glaube, dass du nicht mehr so ganz aufnahmefähig bist.
Du bist heute auch echt müde.“ Diese Feststellung brauchte sie nicht zu machen, aber nun war ich
wenigstens durchschaut. „Ja, schon.“ kam es von mir. „Wann gehst du abends denn ins Bett? Ich denke
mal dass du Schlaf nötig hast.“ Sie meinte es ja nur gut mit mir. Meine Süße, du brauchst dir doch
keinen Kopf um mich zu machen. „Ich hab gestern noch nen Film geguckt.“ log ich und hätte mir am
Liebsten in den Hintern getreten. „Also, wir haben noch zwei Tage Zeit, um für die Arbeit zu lernen. Du
solltest dich entweder heute früh hinlegen, oder du bleibst morgen ganz zu Hause. Einen Tag kannst
du dir ja leisten zu fehlen, und was du dann verpasst zeige ich dir. Wir holen alles nach, versprochen.
Lieber mehr Arbeit und einen aufgeweckten Schüler als eine Schlafmütze.“ Ich hätte sie am Liebsten in
die Arme genommen und fest an mich gedrückt. Doch statt meinen Sehnsüchten nachzugehen,
stimmte ich ihr zu. Dabei wusste ich schon ganz genau, dass ich keine ihrer Alternativen annehmen
würde. „Also wir können uns morgen noch mal treffen, aber du musst dir wirklich zu Hause alles
durchlesen.“ Ich sah ihr hübsches Gesicht. Ihre hübschen, großen Augen. Ihren hübschen Mund. Ein
Seufzer entfuhr mir und ich stand auf.
Nami begleitete mich an die Tür, ich glaube, ich war viel zu schnell dorthin gegangen. Ich hätte ja noch
bleiben können und mit ihr über etwas anderes als Schule reden können. Ich hohle Nuss... Da fiel ihr
noch etwas ein. „Achja, bevor ich’s vergesse: morgen können wir hier gar nicht lernen. Nojiko wollte die
untere Etage für sich haben. Mein Zimmer ist glaube ich unpraktisch, falls sie laut Musik hören will.
Also... wir können ja dann zu dir gehen, oder?“ Ich war wieder einmal verwundert über ihre
Denkweitreiche. „Klar geht das.“ Und ein letztes Lächeln bekam ich hin, ein guter Abgang. Vielleicht
blieb ihr dieser peinliche Misserfolg auch nicht so schlecht in Erinnerung, wie mir. Sie sollte ja auch
Spaß daran haben, mir etwas beizubringen. „Und les dir wirklich noch mal alles durch, damit tust du
schon ne Menge.“ legte sie mir ans Herz. Einen letzten müden Blick warf ich auf sie und ging dann auf
die Straße. Ich schlenderte im Normalmarsch zur Bushaltestelle und dachte an den kommenden Abend.
Ich würde so oder so wieder auf Streife gehen, da war nichts mit ausschlafen oder Friede-Freude-
Eierkuchen.
erstellt am 16.04.2007
4Kolibris,
Elena