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Heilloser Romantiker

von

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Kapitel 56

Kapitel 56
 

Enttäuscht sahen Joe und seine Mutter auf die vor ihnen ausgebreitete Landkarte und der Blonde sank alsbald in seinem Stuhl zurück.
 

„Es tut mir leid, Joe“, versuchte Veronica sich für ihre Idee zu entschuldigen, die im Endeffekt totale Resignation in ihr hervorgerufen hatte.
 

Doch Joe erwiderte nichts, seine Augen waren starr auf das Rechteck, das er vor wenigen Minuten gezeichnet hatte, gerichtet.

„Ich glaube,…“, er beugte sich nun wieder nach vorne und nahm erneut den Stift zur Hand. „Ich glaube, du hast gar nicht so verkehrt gelegen, Mom. Was wäre denn,…“ Mit seiner Rechten zog er eine weitere Linie auf dem Papier. „… wenn wir einzig die Orte in Betracht ziehen, auf die die Rätsel wirklich verwiesen haben? Dazu gehört meine Wohnung nicht…“
 

„Der Schwerpunkt eines Dreiecks“, murmelte sie, woraufhin er nickte und den entsprechenden Punkt markierte.
 

„Und nun müssen wir uns nur noch überlegen, wie wir ihn da herausholen.“
 

„So wie es aussieht, hast du nur eine Wahl.“ Fest fixierte sie ihn. „Meinst du, du hast noch die Kraft dazu?“
 

„Das steht außer Frage.“
 

„In Ordnung,… hier.“ Sie überreichte ihm die Autoschlüssel.
 

„Danke.“ Nachdem er aufgestanden war, stützte er sich noch mal kurz mit einer Hand auf dem Tisch auf. „Ich hoffe, dass Damon wirklich nichts damit zu tun hat.“
 

„Wer hofft das nicht.“ Zum Abschied strich sie ihm über die Wange. „Pass gut auf dich auf.“
 

Er steckte die Karte ein und lief aus der Cafeteria. Als er außer Sichtweite war, nahm er sein Handy aus der Tasche und wählte zum x-ten Mal ein- und dieselbe Nummer an, doch noch immer war Ricks Vater nicht erreichbar. Seufzend steckte er das Telefon zurück in die Hose und besah sich noch einmal den Weg, den er sich gleichzeitig fest einzuprägen versuchte. Nach einem Blick auf die Tafel neben dem Eingang, die auch das Stockwerk, auf dem Steven lag, kennzeichnete, verließ er das Gebäude.

Als er an die frische Luft trat, sah er gen Himmel. Mittlerweile regnete es nicht mehr und zwischen den grauen Wolken taten sich bereits die ersten Lücken auf. Der Mond stand fast voll am Himmel und Joe riss die Augen weit auf. Das Gelb, in dem er sonst erstrahlte, war einem kräftigen Orange gewichen.
 

/Ist gar nicht der Abend gemeint?

Hüte dich vor der roten Glut der 13!

Woher sie das auch immer gewusst haben mögen, bedeutet das, dass ich Rick noch vor Mitternacht da rausholen muss!/
 

Mit bebendem Herzen rannte er zum Parkplatz und brachte den Schlüssel zunächst nicht ins Schloss.
 

„Verdammt! Mach schon!“
 

Beim vierten Versuch glitt er in die vorhergesehene Öffnung und das Adrenalin in dem jungen Mann begann dann erst richtig zu wallen. Alles schien zu kribbeln und er hatte wirklich Mühe, das Auto auszuparken, so zittrig wie seine Beine waren. Als er sich auf offener Straße befand, atmete er einmal laut aus.

Er hatte Glück, dass so gut wie kein Verkehr vorherrschte, sonst wäre er Gefahr gelaufen, entgegenkommende Autos zu touchieren, denn er fuhr meist eher auf der Mittellinie als auf seiner Fahrbahnseite. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und zeugten von der Aufregung, die ihn von oben bis unten befallen hat. An sich konzentrierte er sich wahrlich nicht darauf, wie er sein Auto steuerte, er hatte genug damit zu tun, an den richtigen Stellen abzubiegen. Dass er an keiner Streife vorbeifuhr, die ihn mit Blaulicht zum Stehenbleiben aufforderte, war wohl eine Art Fügung des Schicksals. Aber die Polizei wäre in seinem Zustand ohnehin nicht die Art Mensch gewesen, die er hätte sehen wollen. So wie er sich selbst in diesem Augenblick einschätzte, hätte er wüste Beleidigungen von sich gegeben und wäre am Ende für eine Nacht hinter Gittern gelandet. Doch die Zeit der Reue hatte er nicht.

Ein letztes Mal setzte er den Blinker und blieb dann direkt nach der Kurve kurz stehen. Eigentlich hatte er schon erwartet, in einer noblen Wohngegend zu landen, wenngleich er diesen Teil vom Landkreis Veneawers bisher noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Es lag nicht nur daran, dass scheinbar nur wohlhabende Leute dort wohnten, sondern insbesondere daran, dass die Gegend ziemlich weit außerhalb angesiedelt war. Nach über einer Stunde Fahrt stellte er den Motor ab. Bevor er aber ausstieg, besah er sich noch einmal die Karte, denn er durfte jetzt keinen Fehler mehr begehen. Als die Tür neben ihm aufgemacht wurde, blieb ihm das Herz stehen.
 

„Darf ich bitten?“, fragte eine ihm unbekannte Stimme.
 

Spätestens jetzt wusste er, dass er richtig war. Und ob ihn das wirklich erleichterte, wusste er nicht, denn die Gestalt, die ihn bat aus dem Auto zu steigen, bestand lediglich aus Muskeln. Als Joe neben dem Mann stand, kam er sich vollkommen schmächtig und klein vor, obwohl er das für normale Verhältnisse gar nicht war.
 

„Folgen Sie mir.“
 

Während Joe dem anderen hinterher lief, versuchte er, ein wenig Ruhe in seinen Körper zu bekommen. Nun durften seine Nerven nicht versagen.

Alsbald betrat er ein Anwesen, das durch eine hohe Mauer vom Rest seiner Umgebung abgegrenzt war.
 

/Diese Menschen dürfen nicht ungestraft davon kommen, auch wenn sie die Macht in den Händen zu halten scheinen. Irgendwas… Irgendetwas muss uns einfallen, damit sie keinen Unschuldigen mehr derart quälen können. Rick,… ich bin hier, Rick…/
 


 

„Jetzt wird’s interessant.“
 

Alexandros lehnte im Türrahmen und sah zu Rick, der ihn gar nicht zu beachten schien. Zwar hatte er die Tür gehört, wie sie geöffnet wurde, aber er wollte kein Wort mehr mit diesen Bastarden wechseln.
 

„Dein kleiner Freund ist gerade angekommen.“
 

Unvermittelt schoss Ricks Gesicht gen Tür. Mit plötzlich pochendem Herzen stand er auf und ging ein paar Schritte auf den anderen zu.

„Joe…“

Er sah ein Bild von seinem Freund vor sich und die Emotionen in ihm begannen sich gegenseitig überbieten zu wollen. Es war schwer zu sagen, welche überwog; ob die Freude, dass Joe es bis hierher geschafft hatte, oder ob die Angst, dass ihm etwas passierte.

„Ich will ihn sehen.“

Rick war bereits an der Tür angelangt und wollte an Alexandros vorbei, der den Weg aber mit einem Bein, dessen Fuß er an die andere Seite des Rahmens abstützte, versperrte.

„Ich muss ihn sehen“, flehte er verzweifelt.
 

„Du kommst hier nicht raus.“
 

„Aber… er ist doch hier! Er hat mich gefunden!“

Genügte das denn nicht? Joe war endlich wieder so nah und er wollte unbedingt zu ihm. Tagelang hatte er darauf gehofft und hatte immer von neuem Schandtaten über sich ergehen lassen müssen. Vor wenigen Augenblicken hatte er sogar mit dem Gedanken gespielt, das Licht in ihm gänzlich zum Erlischen zu bringen.

Aber sein Freund war hier. Verdammt, er hatte doch alle Hindernisse überwunden!
 

„Tja, aber das war nur ein Teil seiner Aufgabe.“
 

Die Arroganz in Alexandros Worten und Augen missfiel dem Dunkelhaarigen dermaßen, dass sich seine Hände zu Fäusten ballten.
 

„Schlage mich doch. Dann wird es mir Freude bereiten, deinen kleinen Freund vor deinen Augen zu nehmen.“
 

Rick begann am ganzen Körper zu zittern. Der Kerl war in der Tat kaltherzig und fand scheinbar an allem Gefallen, was mit Qualen anderer zu tun hatte. Dazu brauchte er nur an Olivier zu denken, der eindeutig von dem falschen Menschen groß gezogen worden war. Und dann hing er auch noch an diesem Mann…
 

„Deswegen musst du mich doch nicht gleich mit deinen Blicken erdolchen“, äußerte Alexandros mit einem kalten Grinsen. „Aber bevor ich mich etwaigen wirklich von dir trennen muss, bekomme ich noch einen Kuss, nicht wahr?“
 

Rick stolperte ein paar Schritte rückwärts. Noch einmal diese unbändigen, gierigen Lippen spüren? Noch einmal diese raue Zunge, die unerbittlich in ihn hineinstößt? Schmerzhaft landete er auf seinem Hintern, als er am Schrank anstieß und sein Gleichgewicht verlor.
 

/JOE!!!!/
 


 

„Warten Sie hier.“

Mit einer Hand wies der fremde Mann Joe an, im Foyer Platz zu nehmen. Es gab nur zwei hölzerne Stühle, die jedoch keineswegs schlicht oder heruntergekommen aussahen. Sie waren nicht einfach dort hingestellt worden, um Gästen eine Möglichkeit zum Sitzen zu bieten; sie waren perfekt in Szene gesetzt, so wie sie unter einem riesigen Gemälde thronten.

Joe war wirklich nicht nach Sitzen zumute, doch er ließ sich trotzdem auf einem der gülden schimmernden Stühle nieder. An sich war das Haus bereits auf die ersten wenigen Blicke eine Wucht, doch sobald er daran dachte, wem es zu gehören schien, verlor es mächtig an Glanz.

Er brauchte nicht zu lange zu warten, bis eine Person auf ihn zukam, die hier eigentlich gar nicht sein dürfte.
 

„Serrat“, murmelte er vor sich hin.
 

„Schön Sie zu sehen. Sie sind weiter gekommen als jeder von uns geglaubt hat, aber damit verdienen Sie meinen Respekt.“
 

„Wer sagt, dass ich den haben möchte? Ich habe alle Rätsel gelöst, also lassen Sie Rick endlich frei.“

Sein Blut schien regelrecht zu kochen und er spürte, wie ihm die Hitze auch ins Gesicht stieg.
 

„Nicht so hastig. Schließlich bin ich von Beruf immer noch Polizist und werde meine Pflicht erfüllen, doch vorher…“ Er schnippte mit dem Finger und der Mann von vorher brachte eine kleine Rolle herbei, die er Serrat übergab. „Vorher musst du dir Ricks Freiheit restlich erarbeiten.“
 

Joes Augen wurden erst groß, bevor er sie zu schmalen Schlitzen verengte. „Haben Sie denn nie genug? Seit Tagen schlafe ich weder richtig noch esse ich vernünftig, verbringe jedwede vierundzwanzig Stunden damit, Ihre dummen Rätsel zu lösen. Und nun wollen Sie mir sagen, dass ich seine Freiheit noch nicht erarbeitet hätte? Was soll ich noch tun? Mich statt seiner einsperren lassen?“
 

Schmunzelnd rieb sich Serrat das Kinn. „Eine interessante Möglichkeit… Würden Sie das denn für ihn tun?“
 

Plötzlich stutzte Joe. Er wollte schreien: ’Natürlich!’… Doch beließ es, weil sein Verstand ihm sagte, dass das lediglich negative Konsequenzen haben konnte. Stattdessen visierte er den anderen an und vergrub seine Hände in den Hosentaschen, damit dieser nicht sah, wie sie sich zu Fäusten ballen wollten. Dabei vermied er auf die diabolische Stimme in ihm zu hören, die immer wieder schrie er solle diesen Kerl zu Boden prügeln. Sein Körper zuckte bereits und er hätte wirklich nichts lieber als das getan, aber noch konnte er sich zurückhalten.
 

„Nachdem Sie keine Einwände mehr zu haben scheinen, betraue ich Sie nun mit Ihrer Aufgabe.“ Behände warf er die Rolle Joe zu, der seine Rechte aus der Tasche schnellen ließ und die Rolle mühelos auffing. „Sie haben eine Stunde Zeit. Wenn Sie bis dahin nicht des Rätsels Lösung wissen und die rote Glut der 13 am Himmel steht, dann ist es zu spät.“

Bevor er sich von Joe verabschiedete und ihn in eines der Zimmer führen ließ, fügte er an: „Und bedanken Sie sich bei Alexandros, wenn Sie erneut Beschwerden äußern wollen.“
 

Nur kurz sah sich Joe in dem Raum um, in dem er nun ganz alleine war. Und das Schwinden der Zeit war für ihn bereits jetzt schon die Hölle. In diesen Gemäuern umgeben von solchen Leuten konnte man sich einfach nicht wohl fühlen und so langsam begriff er, wie es Rick ergehen musste, was ihm das Herz zuschnürte. Mit rasselndem Atem zog er das Papier aus der Rolle und breitete es auf dem mahagonifarbenen Tisch in der Mitte des Zimmers aus. Wie immer prangten weiße Lettern auf dem Papier, nur dass dieses heute nicht schwarz, sondern rot war.

Er war wütend. Von Anfang hatte als allererstes ’4 Blätter’ auf allen Hinweisen gestanden und er hatte tatsächlich vier erhalten. Dass es nun ein weiteres Rätsel gab, rief einfach nur Zorn und auch Hass in ihm hervor.
 

„Es hatte verdammt noch mal vier geheißen“, schrie er lautstark gen Tür.
 

Bald wusste er nicht mehr, wie er seine Gefühle noch im Zaum halten konnte.

Tief ein- und ausatmend versuchte er seinen Blick zu klären und ihn dann auf die Buchstaben vor ihm zu richten. Irgendwie sah es von der Struktur anders aus als die anderen und doch irgendwie identisch.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 4 Blätter ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

~~~~~ Das Ende ~~~~~
 

„Was soll das?“
 

/Das ist doch kein Rätsel! Die wollen mich eindeutig zur Weißglut treiben und wenn sie so weiter machen, schaffen sie das auch! Wie bitte soll ich denn da was herauslesen?

Das Ende… von dieser wahnwitzigen Entführung?

Das Ende… meiner Nerven?

Das Ende von… Mist! Verflucht!/
 

Als er das Ticken der Wanduhr vernahm, wandte er sich zu ihr um. Sie zeigte zehn nach dreiundzwanzig Uhr an. Er hatte also nur noch fünfzig Minuten. Nach seinem Inneren zu urteilen, könnte er um sich schlagen und alles zu Kleinholz in diesem Raum verarbeiten, doch das brächte ihn kein Stück weiter.

Verzweifelt suchte er nach einer Möglichkeit, sich zu beruhigen. Aber es war neben dem Lösen des Rätsels die schwerste Aufgabe, die er zu bewältigen hatte. Unter sonstigen Umständen konnte er sich stets unter Kontrolle bringen, doch das Maß an Selbstbeherrschung war mittlerweile erschöpft.

Rick war nur wenige Meter von ihm getrennt; er spürte sogar seine Anwesenheit und alles in ihm sehnte sich nach ihm. Er wollte nichts mehr außer seinen Freund in seine Arme zu ziehen und ihn riechen. Der Tag, wo sie sich das letzte Mal sahen, schien Ewigkeiten her zu sein und jetzt, wo er ihm so nahe war, konnte er den Drang in sich nicht mehr unterdrücken, Rick wiedersehen zu wollen. Er liebte ihn… und wie er ihn liebte.

Der stetige Klang der Uhr ging ihm immer mehr gegen den Strich. Festen Schrittes ging er auf sie zu und funkelte sie an, bevor er sie von der Wand und ihr die Batterien entnahm. Er hatte eine Uhr, da brauchte er solch eine monströse Variante nicht, die ihm ohnehin nur den Rest seines Verstandes raubte. Als er sie zurück hing seufzte er laut auf und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Wie so oft in den vergangenen Stunden setzte er dann unentwegt einen Fuß vor den anderen.
 

Das Ende.
 

Ja, er war sichtlich am Ende. Doch auf das wollte Alexandros sicherlich nicht hinaus.
 

Zehn Minuten vor Mitternacht und Joe lief immer noch im Zimmer auf und ab. Bisher war er auf nichts gestoßen, was er als ultimative Lösung des Rätsels ansah. Bisweilen war er schweißnass und fuhr sich immer wieder fahrig durchs Haar. Wenn er sich nicht selbst zur Räson gerufen hätte, hätte er jetzt auf seinen Fingernägeln gekaut. Das war aber auch nicht auszuhalten. Die Minuten verrannen und er hatte einfach keinen blassen Schimmer, was diese Kerle von ihm wollten. Warum reichte es auch nicht aus, dass er hierher gefunden hatte? War es wirklich zu viel verlangt, ihm Rick einfach zu übergeben? Hatten sie denn nicht schon genug Leid erlitten?
 

/Nur noch acht Minuten… Ich sollte aufhören, alle zwei Sekunden auf die Uhr zu blicken! Das alles macht mich irre! Warum komme ich nicht darauf, was damit gemeint ist? Gott, ich drehe noch durch!/
 

Bis es irgendwann an der Tür klopfte und sie daraufhin aufging, war er einfach nur noch unstet hin- und hergelaufen. Er hatte resigniert. Die Lösung wusste er einfach nicht.
 

/Das war’s also…/
 

Alexandros betrat mit einem süffisanten Grinsen den Raum.

„Schade, dass ich deinen kleinen Freund allein lassen musste. Er bettelte mich sogar an, mitkommen zu dürfen. Aber nach einem kleinen Kuss hat er sich in eine Ecke verkrochen am ganzen Leib bebend. Immer wieder murmelte er deinen Namen vor sich hin. Sah eigentlich richtig süß aus.“
 

„Sie arroganter Mistkerl! Was haben Sie ihm angetan!?“
 

Scharf sog Alexandros die Luft ein. „Du bist wirklich ganz schön aufbrausend. Ich habe dir beim letzten Mal wohl meinen Ellbogen nicht fest genug in den Magen gerammt, was? Das kann ich gerne nachholen, wenn du so danach lechzt.“
 

„Ohne Gewalt geht es bei Ihnen wohl nicht“, meinte Joe gepresst.

Er wollte diesen Typen eine reinhauen. Wie er sich allerdings zurückhalten konnte, konnte er sich nur damit erklären, dass sich ein Bild von Rick vor seinem inneren Auge auftat, der ihn darum anflehte, nichts Unüberlegtes zu tun. Zwar hegte er diesen Wunsch bewusst, doch er wollte Rick nicht im letzten Moment doch noch verlieren. Er stand dem Mann gegenüber, der ihn ihm zurückgeben konnte, und das konnte er nicht leichfertig aufs Spiel setzen. Nur kannte er des Rätsels Lösung nicht, was ihn innerlich total mürbe machte.
 

Lässig ging der andere an ihm vorbei und drehte einen Stuhl um hundertachtzig Grad, so dass er sich verkehrt herum breitbeinig auf ihm niederlassen konnte.

„Du hattest nun exakt eine Stunde Zeit. Gut, dann sage mir, was du zu sagen hast.“
 

Schwer schluckte Joe. Wirklich sehr schwer. Er fühlte tausend Steine in seinem Magen. Obgleich er sich das Hirn zermatert hatte, hatte er doch nicht das gefunden, wonach er gesucht hatte. Schließlich war er kein Philosoph, der sich mir nicht dir nichts was aus den Fingern saugen konnte. Dann begann er plötzlich schief zu grinsen, woraufhin Alexandros ihn ziemlich interessiert anblickte.
 

„4 Blätter“, begann der Blonde. „Zuerst dachte ich, sie stünden einzig für die Anzahl der Rätsel, die auf mich zukommen würden. Doch dieses heute hat mich eines besseren belehrt. ’Unser aller Beginn’ hat ebenfalls eine weitere Bedeutung, habe ich Recht? Natürlich sollte das zugehörige Rätsel auf einen Ort verweisen, doch haben die kleinen Wörtchen ’Osten’, ’Norden’, ’Süden’ und ’Westen’ nicht auch einen symbolischen Charakter? Jedwede Silbe von Ihnen hat ihre ganz eigene, versteckte Mehrdeutigkeit.

Fangen wir beim ersten Rätsel an. ’ Über die Spitze ragt im Winter die Sonne niemals!’ Da haben Sie zum ersten Mal auf eine Jahreszeit verwiesen. Doch das war bei weitem nicht das letzte Mal. ’Blühender Neuanfang!’ weist auf den Frühling hin. Das dritte Rätsel führte mich zum Supermarkt und das bringt den Sommer ins Spiel, denn ich habe mir wohl den Namen des Geschäftsführers gemerkt. Und den Herbst haben wir innerhalb der Formulierung des dritten Rätsels, denn es war bereits Herbst, als ich Sie dabei erwischte, wie Sie Rick Ihre Zunge aufdrängten. Das ganze Jahr vereint, genau wie die Himmelsrichtungen. Die Natur verliert im Herbst ihre Blätter, wiederum eines Ihrer Pseudonyme, aber sie erhält sie im Frühling wieder. Wege führen in verschiedene Richtungen, wie ich sie auch abgelaufen bin, um letztendlich hierher zu gelangen. Im Leben durchläuft man die verschiedensten Phasen.

Sie lieben eindeutig die Vielseitigkeit und insbesondere Metaphern. ’Das Ende’ ist der Anfang von etwas Neuem. Nämlich mein Leben gemeinsam mit Rick, immer diese Zeit in Erinnerung, die hier und jetzt aber zu Ende geht…“
 

Verwirrt und dennoch so klar im Kopf wie schon lange nicht mehr sank Joe in die Knie und hörte sein Herz schlagen. Er hatte keine Ahnung, ob irgendetwas von dem stimmte, was er da gerade von sich gegeben hatte, geschweige denn, wie er darauf gekommen war. Von einem Moment auf den anderen hatte plötzlich alles einen Sinn gegeben und er hatte zu reden begonnen.

Konzentriert lauschte er auf jedwede Geräusche von Alexandros. Er rechnete schon mit schallendem Gelächter, das jeden Moment laut an seine Ohren dringen würde. Doch es setzte nicht ein.

Nervös hob er seinen Kopf wieder an. Alexandros saß einfach nur da und regte sich nicht. Joes Miene drückte zunehmend mehr Unsicherheit aus. Hatte er nun völligen Schwachsinn von sich gegeben, obgleich es ihm irgendwie logisch erschien?

Plötzlich begann der andere zu klatschen. Immer wenn seine Handflächen aufeinander trafen, drangen applaudierende Laute an die Ohren des Blonden. Zeugten sie aber tatsächlich von Honorierung?
 

„Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Wenn ich einen hätte, würde ich nun den Hut vor dir ziehen.“
 

Joe glaubte sich zu verhören, aber das Lächeln, das sich allmählich in seinem Gesicht ausbreitete, meinte das Gegenteil.
 

„Warte hier.“

Bevor Alexandros aber das Zimmer verließ, besah er sich Joe noch einmal von oben bis unten.
 


 

Ungeduldig stand Rick neben der Tür und betete sie schon förmlich an endlich aufzugehen. Nachdem Alexandros ihm in der Tat einen Kuss gestohlen hatte, hatte er ihn wieder allein gelassen und der Dunkelhaarige konnte das Wiedersehen mit Joe gar nicht mehr erwarten. Sein Freund war wirklich hier, er hatte durchgehalten und holte ihn hier raus. Wie er sich das all die Zeit gewünscht hatte; die Sehnsucht war am Ende nur noch mit Schmerzen verbunden gewesen. Aber jetzt würde der Alptraum endlich vorbei sein.

Es knackte und die Tür wurde regelrecht aufgestoßen. Rick sprang ein Stück zur Seite, so dass ihn das Holz nicht traf.
 

Alexandros Miene war ernst. „Ich hätte deinen Geschmack gerne noch öfter auf meiner Zunge gehabt.“
 

Ricks Augen leuchteten auf und er spürte sein Herz pochen. Der Rhythmus wurde von Sekunde zu Sekunde schneller.
 

„Du hast deine Freiheit wieder.“
 

Konnte Alexandros das wiederholen? Hätte sich Rick nicht auf einmal total gelähmt gefühlt, wäre er in die Luft gesprungen. Plötzlich kam ihm der Raum gar nicht mehr so trostlos vor wie all die Zeit, wo er hier gewesen war. Er wurde grob am Arm gepackt und durch ein ganzes Labyrinth von Gängen und Treppen gezerrt. Die Umgebung schien wie ein falscher Film an ihm vorbeizuziehen, denn er hatte nur noch ein Bild vor Augen: Joe!
 

Vor einer massiven Türe stoppten sie und er nahm allmählich den Schmerz wahr, der von seinem Arm ausging. Halbherzig strich er sich über die wunde Stelle und beobachtete, wie Alexandros ein wenig missmutig die Tür öffnete und dann gänzlich aufschob.
 

Da stand er, ebenso paralysiert. Rick konnte es kaum glauben, bis sich die aufkeimende Freude in ihm rasant ausbreitete. Wie in Trance bewegte er sich auf seinen Freund zu. Dabei unterbrach er niemals den Blickkontakt; unentwegt sah er in seine grünen Augen, in das Strahlen, das er dermaßen vermisst hatte.

„Joe?“, wisperte er und biss sich aus lauter Unfähigkeit sich anderweitig zu artikulieren auf die Unterlippe.
 

Er roch ihn, er spürte ihn, er fühlte starke Arme, die sich um ihn schlangen. Zunächst hatte er das dumpfe Gefühl er träume, doch als er die Stelle an seinem Arm bemerkte wie sie zwickte, wusste er, dass das leibhaftig Joe war, an den er sich gerade presste. Es war als verlöre er alle Ängste auf einmal aufgrund der Geborgenheit, die von seinem Freund ausging. Seine Augen füllten sich mit Tränen, denn das Ausmaß seiner Empfindungen war viel zu gewaltig, um auf einen Schlag verarbeitet werden zu können.
 

„Endlich“, hörte er Joe flüstern.
 

Genau das dachte er auch. Endlich hatten sie sich wieder.
 

„Wenn ihr Turteltäubchen mal fertig seid, dann verlasst bitte das Haus.“
 

Obgleich Alexandros zum ersten Mal das kleine Wörtchen ’bitte’ in den Mund nahm, ging das an Rick ungeachtet vorbei. Joe hatte Mühe zu gehen, so wie Rick an ihm klebte, aber auch er war nicht gewillt seinen Freund loszulassen. Als er die frische Nachtluft in seinem Gesicht spürte, begann er zu lächeln und drückte den Dunkelhaarigen noch fester an sich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  inulin
2007-04-30T20:46:32+00:00 30.04.2007 22:46
Jaaaaaa *kreisch*
Endlich *schnief*
Mensch. Denk dir bitte nie wieder so ein Rätsel aus. *wimmer*
Ich bin so erleichtert, dass Rick da endlich raus ist. Und schön find ich es auch, dass Alexandros zu seinem Wort steht und ihn wirklich freilässt.
Ich glaub heute Nacht kann ich gut schlafen. ^^
Was mich jez nur noch interessiert ist, ob sie Damon deswegen noch ausfindig machen werden. Und ob Rick immer noch eine Versöhnung mit seinen Eltern will.
Gott... die eine nervenaufreibende Geschichte überstanden und frage schon nach Ricks nächsten gefühlsmäßigen Tief. *seufz*


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