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Heilloser Romantiker

von

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Kapitel 27

Kapitel 27
 

Mit einem unguten Gefühl zog sich Rick um und dachte dabei unentwegt an die plötzliche Unbeschwertheit seines Freundes, die ihm einfach nicht behagte. Wie oft hatte er sie beneidet und für sich selbst ersehnt und nun war sie völlig fehl am Platz. Hatte er das letzte Nacht falsch verstanden? War Joe nur so einfühlsam gewesen, weil er sein bester Freund war?... Bester Freund… Er dachte wirklich, er durfte endlich mehr sein als nur ein bester Freund. Wut kroch in seinen Körper und ließ ihn aufstampfen. Was wollte das Leben eigentlich von ihm? Ihn erst die Menschen lieben lassen, damit sie ihm gleich darauf wieder genommen wurden? Von einem ziehenden Schmerz in der Brust begleitet sank Rick auf die Knie und verzerrte das Gesicht.
 

/Er darf mir nicht auch noch genommen werden, das würde ich nicht aushalten!/
 

„Bist du fertig?“
 

Joes Stimme drang wie aus weiter Ferne an seine Ohren und ließ den unsanften Schmerz noch mehr in ihm wallen. Keuchend erhob er sich und wandte den Kopf gen Tür.
 

„Zwei Minuten.“
 

Er musste alle negativen Gedanken abschütteln und das möglichst schnell. Joe durfte nicht merken, wie es ihm dabei erging, anscheinend nur als bester Freund angesehen zu werden. Als er den letzten Knopf seines Hemdes schloss, rang er sich bemüht ein Lächeln ab und als er in den Spiegel neben dem Kleiderschrank gegenüber des Bettes blickte, bemühte er sich darum, dieses Lächeln so ehrlich wie möglich aussehen zu lassen.
 

„Na endlich, was hast du denn da drin getrieben?“, fragte der Größere ungeduldig, als Rick aus dem Schlafzimmer trat.
 

/Sein Lächeln ist so heiter, es scheint ihn nicht zu stören, dass wir unsere Berührungen der letzten Nacht nicht fortführen… Warum nur tut mein Herz dabei so weh?/, dachte der Blonde bitter.
 

„Auf geht’s“, meinte Rick und streifte sich seine Schuhe über.
 

„Dann mal los.“
 

Joe trabte seinem Freund hinterher und zwang sich, die Lethargie, die ihn beim Anblick Ricks plötzlich wieder überfallen hatte, abzulegen. Er wollte für seinen kleinen Romantiker unbeschwert sein, damit dieser sich nicht an die schmerzhafte Vergangenheit erinnerte. Vor ein paar Stunden noch war Rick aufgrund seiner Eltern völlig aufgelöst gewesen, hatte im Regen gestanden und in seinen Armen geweint. Hatte ihn ganz fest umklammert, so als ob er der einzige Halt in seinem Leben sei.
 

/Der einzige Halt?... Verkörpere ich vielleicht wirklich den einzigen Halt für dich?/
 

Mit zusammengepressten Lippen sah Joe auf die vor ihm laufende Gestalt, die gerade in eines der vielen Schaufenster blickte. Die glücklichen Augen, wie sie den Inhalt des Schaufensters fasziniert anblickten, ließen sein Herz schneller schlagen. Rick wirkte so unschuldig, fast einem Kind gleich, das die Neuheiten der Technik voller Aufregung anstarrte in dem Wissen, es sei noch zu klein für Videospiele. Bu-bumm… Joes Brust pochte wild. Dieser unbefleckte Anblick brachte seinen gesamten Körper zum Erbeben. Wie fern gesteuert ging er die wenigen Meter, die ihn von Rick trennten, bis er neben ihm stand und wie in Trance nach einer Hand von dem reinen Wesen ergriff und sie bestimmt in seine bettete.
 

Ricks Züge entgleisten völlig, aus dem erheiterten Funkeln wurde eines der Verwirrung. Das tiefe Blau seiner Augen überzog ein feiner feuchter Film, der über alle Maßen glänzte.
 

„Ich…“, hörte er sich sagen.
 


 


 


 

„Ich liebe dich!“
 

Beide weiteten die Augen und sahen sich benommen an. Hatten sie beide eben dasselbe gesagt? Heißt das, dass ihre Liebe auf Gegenseitigkeit beruhte?
 

„Ich liebe dich“, wiederholte Joe, um sicher zu gehen, streifte dabei mit seiner freien Hand Ricks Wange.
 

„Ich liebe dich“, erwiderte Rick mit Freudentränen hinter seinen Lidern.
 

Keiner konnte ihr Glück fassen. Sie blickten sich an und waren vorerst aller Bewegungsmöglichkeiten beraubt. Ihre Blicke woben sich immer tiefer ineinander und das Funkeln beider Augenpaare war am Ende unermesslich.

Mit zittrigen Fingern fuhr der Größere seinem Freund durchs Haar und zog ihn dann zu einem innigen Kuss an sich. Mit seinen eigenen Lippen berührte er die des anderen, ließ seine Zunge die des anderen umkreisen und genoss dabei jedwede noch so kleine Berührung. Ein wenig außer Atem lösten sie sich voneinander und Joe konnte den Kleineren einfach nicht loslassen.
 

„Rick?“, fragte er auf gewisse Art und Weise abwesend.
 

„Ja?“
 

„Du musst bitte jetzt ehrlich zu mir sein: Seit wann liebst du mich?“
 

„…“
 

Ein seltsames Schweigen befiel die beiden, eine Zeit brach herein, in der Joe Rick ansah, aber dieser einen Punkt fernab von den grünen, ihn fixierenden Augen fokussierte. Betreten und ängstlich zugleich biss er sich auf die Unterlippe und unterdrückte die Tränen, die aus ihm heraussprudeln wollten, ausgelöst durch das Gefühl der innerlichen Zerrissenheit, die sein Herz plagte.
 

Er sollte ehrlich antworten.
 

Ehrlichkeit, keine Lüge.
 

Ihre Liebe war nun endlich entfacht und Rick fühlte sich aufgrund dessen ungemein glücklich. Irgendwie bezweifelte er, dass Joe ihm vergeben würde, wenn er nun gestand, dass er nicht erst seit wenigen Tagen ihm gegenüber Liebe empfand, sondern schon seit Monaten, vielmehr Jahren.
 

/Das kannst du von mir nicht verlangen!/
 

Doch die Frage war bereits ausgesprochen und nicht mehr rückgängig zu machen. Sie lag in der Luft, so schwer wie ein Felsblock, der sich partout nicht rücken lassen wollte.
 

„Mami, schau mal, die zwei Männer umarmen sich!“
 

Der Ausruf eines kleinen Jungen riss Rick aus seiner Starre und er blickte den Jungen an, der mit dem Finger auf sie deutete. Seine Mutter war sehr bemüht, nicht rot zu werden und ihren Sohn weiterzuschieben.
 

„Das gehört sich nicht, Jonas.“
 

Die Stimme der Frau war zu kalt für eine Mutter und doch waren ihre Bewegungen so liebevoll, dass man sie als sympathisch titulieren konnte.
 

„Achte nicht auf die beiden, denn du schuldest mir eine Antwort. Bevor ich nicht einen Laut von dir gehört habe, lasse ich dich nicht los und da könnte eine ganze Armee hier auftauchen, die mit dem Finger auf uns zeigt.“
 

Unwillkürlich musste Rick grinsen und er sah Joe an, der aber nicht mal das kleinste Lächeln in seinen Mundwinkeln barg. Die eher steinerne Miene vertrieb sofort wieder das Zeugnis von Amüsement aus dem Gesicht des Kleineren. Er schluckte schwer und wandte seinen Blick erneut vom blonden jungen Mann ab. Noch immer wusste er nicht recht, was er antworten sollte. Die Wahrheit war meist der beste Weg, doch auch in diesem Fall? Irgendetwas ließ ihn verzagen, wollte ihn von seiner Ehrlichkeit abbringen. Wollte er Joe nicht verletzen, weil er ihn monatelang angelogen hatte und ihm das jetzt nicht einfach ins Gesicht sagen konnte? Dabei war er doch derjenige, der gelitten hatte und nicht Joe…
 

/Er liebt mich… ich kann ihm vertrauen… Auf was warte ich noch?/
 

„Entschuldige Joe…“, setzte der Dunkelhaarige an und brachte es nicht fertig, ihm dabei in die Augen zu sehen. „Ich… liebe… dich… seit…“
 

Was würde Joe hören wollen? Ahnte er etwas?
 

„Ja?“, entfuhr es dem Größeren barsch.
 

„Willst du das wirklich wissen?“, schrie Rick nun beinahe und besah sich in dem spiegelnden Glas des Schaufensters, schaute in sein eigenes wütendes und zugleich verzweifeltes Gesicht.
 

„Ja Rick!“
 

„Seit meinem Outing! Bist du nun zufrieden?“
 

Ricks Stimme überschlug sich fast und als sich seine Worte endlich in der Weite verloren, wand er sich unsanft aus Joes Umklammerung. Viele Leute hatten sich nach ihnen umgedreht, tuschelten miteinander, gingen dann aber nach ein paar Minuten wieder weiter, als die beiden jungen Schauobjekte keine Regung mehr zeigten. Wie angewurzelt standen sie da. Ricks Brustkorb hob und senkte sich in einem schnellen Rhythmus und Joe glich einfach nur einem starren Mast. Unbekannte Stimmen drangen an ihre Ohren, doch die Dinge, um die es in den Gesprächen der Fremden ging, waren für sie belanglos, Nichtigkeiten gleich, die keine Beachtung verdient hatten.

Mit einem Mal stürzte sich Joe auf seinen Freund und erdrückte ihn beinahe, so fest schlang er seine Arme um ihn.
 

„Das heißt, du musstest wegen mir die ganze Zeit leiden!?“
 

Rick stockte der Atem, eine derartige Reaktion hatte er sich niemals ausgemalt. Wie auch, wenn man bedenkt, wie schwer es ist, Gefühle zu unterdrücken. Da glaubt man nicht daran, dass der andere auf das Geständnis hin in solch einer Form handeln könnte.
 

„Wie soll ich sagen…“, begann Rick. Indem er sein Gesicht tief in Joes Kleidung verbarg und die Augen fest zusammenkniff, suchte er verzweifelt nach den richtigen Worten. Nach einiger Zeit hob er seinen Kopf an. „Dich kann man nichts als lieben.“
 

„Ich ahnte nie etwas…“, hauchte Joe in Ricks Nacken. „Warum hast du mir nie etwas gesagt?“
 

„Weil du kein Interesse an Männern hast?“, erwiderte Rick und erschrak dabei über den Sarkasmus, der in seiner Stimme mitschwang.
 

„Hattest würde wohl eher zutreffen… Warum habe ich das nie erkannt?“
 

Die Frage galt wohl eher ihm selbst als Rick. Er machte sich Vorwürfe, denn wenn er eines nicht leiden konnte, dann war es, Rick unglücklich zu sehen. Und sein kleiner Romantiker schien wohl wegen ihm einiges durchgemacht zu haben, wovon er niemals den Hauch einer Ahnung gehabt hatte. Nun drückte er den Dunkelhaarigen noch fester an sich.
 

„Wie kann ich das wieder gut machen?“
 

„Was? Dass meine Liebe unerwidert war? Das hast du doch schon längst wieder gut gemacht.“
 

Irritiert legte Joe seine Hände an Ricks Hüften und brachte wieder ein wenig Abstand zwischen ihm und sich. Mit verständnislosem Ausdruck sah er ihn an.
 

„Wie denn?“
 

Rick lächelte und legte seine Linke auf Joes Gesicht. „Allein deine Nähe macht alles wieder wett.“
 

„Du bist zu gut für diese Welt“, kam tonlos über Joes Lippen, die sich dann auf die von Rick legten.
 

Der wievielte Kuss war das eigentlich? Keiner von beiden konnte es mehr sagen und beiden war das völlig egal. Die Wärme des anderen fühlte sich einfach zu gut an, als sich über solche Bagatellen den Kopf zu zerbrechen.
 

„Weg hier! So was dulde ich vor meinem Laden nicht, ihr verscheucht mir alle Kunden!“
 

Perplex sahen Rick und Joe auf einen Mann, der mit einem Besen in der Hand in der Ladentüre stand und dessen Gesicht vor Wut gänzlich verzerrt war.
 

„Schert euch zum Teufel, ihr perversen Flegel!“
 

„Wir wollten eh gehen“, erwiderte Joe ganz ruhig und warf seinem Freund einen vielsagenden Blick zu. „Oder Rick?“
 

„Ja, denn solche Ignoranz ist uns einfach zuwider.“
 

„Wenn ich einen von euch zwischen die Finger bekomme, dann kann er was erleben!“, zeterte der grauhaarige Mann und stürmte auf sie zu.
 

„Komm!“, meinte Joe und zog Rick hinter sich her.
 

Ihr Vorteil war, dass sie um einiges jünger waren und somit ihre Flucht ohne Schwierigkeiten gesichert war.
 

„Hast du sein Gesicht gesehen?“, fragte er den Dunkelhaarigen mit einem frechen Grinsen.
 

„Wir haben ihn ganz schön verärgert.“
 

„Na und? Können wir was dafür, dass er mit uns nicht klarkommt?“
 

„Joe?“ Rick klammerte sich an Joes Arm fest. „Du bist wundervoll.“
 

„Ich?“
 

„Ja du.“
 

„Solche Worte habe ich gar nicht verdient.“
 

„Und ob!“ Mit strahlenden Augen sah er den Größeren an. „Denn du bekennst dich zu mir.“
 

Diese Worte aus Ricks Mund ließen Joes Herz hüpfen. Hatte er jemals ein solches Kompliment bekommen, insbesondere eines, das an Ernsthaftigkeit nicht zu übertreffen war?
 

„Danke, mein kleiner Romantiker, das bedeutet mir sehr viel.“
 

„Da seid ihr ja!“, fauchte es hinter ihnen.
 

„Was? Der ist uns bis hierher gefolgt?“, meinte der Blonde wirklich verblüfft. „Der hat vielleicht eine Ausdauer.“
 

„Joe, komm’ schon, mit dem ist nicht zu spaßen.“
 

„Mit dem werde ich schon fertig.“
 

„Du magst dir doch deine Hände nicht mit Intoleranz beschmutzen?“
 

„Mhh, nein nicht unbedingt. Okay, gehen wir.“
 

Kurz bevor der ältliche Mann sie erreichen konnte, liefen sie erneut davon und bogen wenig später in eine Seitenstraße ein, die um einiges weniger belebt war.
 

„Da rein“, meinte Joe und zog Rick mit sich in einen kleinen Supermarkt.
 

In dem Laden waren um einiges mehr Menschen als erwartet und die Regale reichten fast bis zur Decke.
 

„Warst du hier schon einmal?“ Joe drehte sich im Kreis.
 

„Nein, nicht das ich wüsste.“
 

„Sieht sehr verlockend aus“, strahlte der blonde junge Mann und schnappte sich einen Einkaufskorb vom Stapel zu seiner Linken. Mit einem „Bau den voll!“ streckte er ihn Rick entgegen, der zu lachen begann.
 

„Muss ich wohl wieder mal meiner Rolle gerecht werden?“
 

„Selbstverständlich, mein werter Herr Magenfüller.“
 

„Dann sollten wir mal keine Zeit verschwenden, wenn ich den Trubel hier so betrachte.“
 

„Zuerst brauchen wir Fleisch“, meinte der Größere und steuerte zielgerecht die Tiefkühltruhen an. Sein Orientierungssinn war erstaunlich gut, vor allem, wenn man bedachte, dass er zuvor noch nie in diesem Supermarkt gewesen war.
 

Als der Korb in Ricks Arm fast überlief, beugte sich Joe verdächtlich nahe an Ricks Ohr.
 

„Bin gleich wieder da“, hauchte er.
 

Blasse Röte zierte Ricks Wangen, während er seinen Freund hinter dem nächsten Regal verschwinden sah.
 

/Mein süßer Vielfraß/, dachte er zufrieden mit sich und der Welt.
 

„Was erblicken meine Augen?“
 

Rick erstarrte…
 

Mit trockener Kehle sah er einen Arm vor seinen Augen, wie er sich an dem Regal neben ihm abstützte. Wenig später spürte er warmen Atem in seinem Nacken.
 

„JOE?“, wollte Rick rufen, doch seine Stimme war wie durch eine unsichtbare Hand genommen kaum noch da, was nur ein ersticktes Krächzen zur Folge hatte.
 

„Na na, wer möchte hier um Hilfe rufen. Wir wurden schon einmal gestört, das lass ich kein zweites Mal zu.“
 

Die raue, tiefe Stimme brannte sich wie eine Stichflamme in Ricks Herz. Er hatte diesen widerlichen Kerl schon einmal in sich gespürt, er konnte und wollte keine Wiederholung zulassen. Vor allem nicht jetzt, wo er endlich Joe bei sich haben durfte.
 

/Beweg dich Rick, beweg dich!/
 

Tatsächlich schaffte er es, wieder Gewalt über seinen Körper zu bekommen und ein paar Schritte von dem Mann wegzulaufen, der ihn amüsiert anblickte, aber nach dem nächsten Wimpernschlag Rick schon am Arm gepackt hatte.
 

„Wie ein kleines Rehkitz, das vor lauter Angst das Weite sucht. Und nun wirst du meines sein!“
 

„Das werde ich nicht!“, erwiderte Rick gepresst und suchte verzweifelt seine Stimme. „Joe?“, wisperte er.
 

„Mhh, du möchtest mir doch nicht damit sagen, dass du deinen Körper einem anderen zur Verfügung stellst.“
 

„Dir gewiss nicht“, würgte er hervor und blickte den Schwarzhaarigen angeekelt an.
 

/Joe, wo steckst du nur?/
 

Voller Antipathie spürte er lange Finger, die sich um seine Hüfte legten und die ihn alsbald an den fremden Körper drückten. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von dem des Mannes entfernt, der ihn lüstern betrachtete. Mit beiden Händen zu Fäusten geballt begann Rick um sich zu schlagen und traf sein Gegenüber hart am Mund, aus dem gleich darauf ein feines Rinnsal Blut herablief.
 

„Nicht schlecht, aber das macht dich noch reizvoller. Ein willenloses Kitz wäre keine angemessene Beute.“
 

Rick wand sich vergebens, er kam nicht frei. So sehr er auch um sich trat, es gab keinen Weg aus den Fängen dieses Mannes, der ihm kräftemäßig weit überlegen war.
 

„Lass mich los!“
 

„Du knurrst ja schon wie ein Kätzchen.“
 

Der Fremde überwand kalt lächelnd die letzten Zentimeter zu Ricks Mund und zwang ihm einen Kuss auf, der einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken des Kleineren jagte. Ricks Augen drückten den ganzen Schmerz aus, den er dabei empfand und seine Lider waren weit aufgerissen.
 

/Neeeeeinnnnn! Joe sieh nicht hin!/
 

Aus dem Augenwinkel konnte Rick seinen Freund sehen, der ihn fassungslos anblickte.
 


 

Mit einem lauten Knall landete die Dose, die Joe eben noch in der Hand gehalten hatte, auf dem Boden, zerprang dabei in zwei Hälften und kam scheppernd nach ein paar Sekunden zum Erliegen. Bestürzt sah er Rick, wie er von einem anderen Mann geküsst wurde. Doch nicht nur diese intime Berührung bohrte ihm eine metaphorische Stange in die Brust, sondern auch das entsetzte Gesicht seines Freundes. Allmählich wandelte sich seine Fassungslosigkeit in Wut und er stürzte sich auf den Kerl, der es wagte, sich an der reinsten Seele, die er kannte, zu vergehen. Mit beiden Händen bekam er den Mann am Hals zu fassen und drückte aller Sinne beraubt so fest zu wie er konnte.
 

„Nimm deine dreckigen Hände von Rick!“, schrie Joe.
 

Keuchend löste sich der Fremde von Rick und schubste ihn von sich weg, so dass der Dunkelhaarige aufs Regal knallte und zu Boden fiel. Wütend drehte er sich im Kreis und schleuderte Joe an die Wand, der hinter Rick auf dem harten Untergrund aufprallte.
 

„Joe?“, fragte Rick besorgt und kroch langsam auf seinen Freund zu, dessen Kleidung sich nach und nach rot tränkte.
 

„Geht schon“, stieß Joe aus und richtete sich mit zusammengekniffenen Augen wieder auf.
 

„Auf bald Rehkitz!“, flüsterte der Schwarzhaarige Rick entgegen und funkelte Joe verächtlich an.
 

„Das wirst du mir büßen!“
 

Abermals hastete Joe übermütig auf den Unbekannten zu, der geschickt auswich und seinen Ellbogen dem Blonden in die Magengrube hieb, worunter dieser aufstöhnte und zu Boden sackte.
 

„Was ist hier los?“ Der Ladenbesitzer erschien, an dem der Fremde mit einem steinernen Lächeln im Gesicht vorbeilief. „Halt!“
 

Unsanft wurde der Kaufmann am Kragen gepackt. „Die sind für alles verantwortlich“, schnaubte er ihn an und deutete auf die beiden Freunde. Anschließend ließ er ihn wieder los und verschwand ungehindert aus dem Supermarkt.
 

„Joe, sag was!“ Rick beugte sich voller Sorge über seinen Freund und hielt sein Gesicht zwischen seinen Händen. „Komm’ zu dir, bitte!“
 

Zuerst blinzelte Joe, dann schlug er die Augen auf. Das erste, was er sah, waren dunkelblaue Tiefen, die kleine Perlen in sich trugen. „Lass’ mich los!“, sagte er mit Zorn bedeckter Stimme.
 

„Aber?“
 

„Heul’ nicht!“
 

Grob riss er Rick mit hoch, als er sich selbst aufrappelte. Er drückte dem Ladenbesitzer ein paar Scheine in die Hand und zog einen völlig aufgelösten Rick hinter sich her.
 

/Wie?... Was war…?/
 

In dem Dunkelhaarigen kreisten zusammenhanglose Worte, die einem vollkommenen Chaos glichen, in das man keine Ordnung zu bringen vermochte. Verunsichert tasteten seine Finger ziellos seine Lippen ab, die wie Feuer brannten. Sie schienen nicht ihm selbst zu gehören und doch waren sie der Auslöser für die höllischen Qualen in seinem Inneren. Prompt tauchte das markante Gesicht des Fremden vor seinen Augen auf, durchsichtig, aber für ihn überaus real. Sein Körper erbebte aufgrund des Schocks, den er erfahren hatte. Undeutlich machte er eine Gestalt aus, die seine Hand festhielt und daran zog. Zu wem gehörte die Silhouette, die sich vor dem grauen Hintergrund abhob? Ricks Kehle schnürte sich zu und er begann noch heftiger zu zittern.
 

/Lass mich-/
 

„Los!!!“
 

Sein Schrei klang verzweifelt und er sackte gleich darauf in sich zusammen, prallte hart mit den Knien auf dem Boden auf und knallte durch den Zug an seinem Arm längs auf dem Untergrund auf. Hörte er eine Stimme? – Wenn ja, dann musste sie einem Engel gehören…
 


 

/Seit einer Stunde möchtest du nicht zu mir zurückkehren, dein Gesicht ist so bleich und ich vermag dir nicht zu helfen… Verdammt, wer war dieser Kerl!!!/
 

Zärtlich strich Joe eine Strähne aus Ricks Stirn und hauchte anschließend einen Kuss auf eben diese. Mit seinem Körper versuchte er seinem Freund die Wärme zurückzugeben, die ihm abhanden gekommen war. Als er Rick in sein Bett gelegt hatte, hatte er die eisige Kälte gespürt, die von ihm ausging.
 

/Du fühlst dich schon wesentlich wärmer an und doch schlägst du die Augen nicht auf./
 

Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht, so dass der zerbrechlich wirkenden Gestalt unter ihm der Blutfluss nicht genommen wurde. Sein nackter Oberkörper streifte dabei den von Rick, was ihn halb verrückt werden ließ.
 

/Du hast gesagt, dass du mich liebst, also kehr endlich zu mir zurück!! Verdammt, wie konnte der sich nur an dir vergreifen…!?/
 

Trotz aller Sorgen und Ängste loderte ein weiteres Gefühl in Joe. Er konnte es nicht verdrängen, zumal es immer stärker wurde. Fast schon unermessliche Wut wütete in ihm, Wut gegenüber dem blauäugigen jungen Mann, auf dem er gerade lag. Verbissen betrachtete er das liebliche Gesicht, hin- und hergerissen zwischen Liebe und Zorn.
 

/Ich dachte, dass du mir vertraust!/
 

Kleine silbrige Tropfen sammelten sich in seinen Augen und seine Stirn legte sich in Falten. Es war das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit, wo er den Tränen nahe war, eine Eigenschaft, die er nie wirklich gekannt hatte. Selbst bei den schlimmsten Verletzungen in seiner Kindheit hatte er nie geweint, nicht einmal, als er sich das Bein gebrochen hatte, obwohl das damals in der Tat sehr weh getan hatte. Nie hatte er dieses salzige Nass vergossen, ob durch physischen oder psychischen Schmerz bedingt. Und nun war es innerhalb von vierundzwanzig Stunden das zweite Mal so weit. Mit einer Hand zu einer leicht geformten Faust schlug er aufs Kopfkissen, nahe neben Ricks Kopf. Er wollte nicht heulen! Und doch wehrte sich sein Körper nicht gegen die Reaktion von Trauer und Empörung. Die funkelnden Perlen sammelten sich in den Winkeln und liefen alsbald über die heißen Wangen, auf denen sie bereits halb trockneten. Leidend sah er hinunter auf Rick, der immer noch keine Regung zeigte. Lang konnte er den Anblick nicht mehr ertragen, so dass er sein Gesicht in den Nacken seines Freundes bettete.
 

/Komme endlich wieder zu dir…/
 


 

„Wer hat gesagt, dass ich dich lieben würde?“
 

Spöttisch grinste Rick Joe an, der im wehenden Wind auf der weiten Wiese nahe ihres Baumes stand. Das Hemd des Größeren flatterte wild und hätte damit seinen Gefühlszustand ohne weiteres repräsentieren können.
 

„Aber das warst du, erinnerst du dich nicht mehr?“
 

Seine Stimme trug mehr als nur ein wenig Niedergeschlagenheit in sich. Wie konnte sein kleiner Romantiker ihn nur mit so viel Geringschätzung ansehen? In dessen Blick war nichts weiter als Verachtung und Abscheu zu erkennen. Es war, als ob er nach ihm mit Füßen treten würde, auch wenn es nur Worte waren, die ihn schändeten.
 

„Wir haben uns geküsst, das kannst du nicht vergessen haben!“
 

„Ha, ich? Nicht mal, wenn ich dazu gezwungen werden würde, würde ich dich derart berühren.“
 

Kraftlos ging Joe auf Rick zu, der abwehrend eine Hand ausstreckte.
 

„Komme mir nicht zu nah, sonst spürst du meine Faust.“
 

Was war hier nur los? Seit wann war der Dunkelhaarige gemein und drohte ihm sogar? Schwere Wolken schoben sich vor die Sonne und legten die Welt um sie herum in tiefe Schatten. Lautes hämisches Gelächter ging von Rick aus und drang dumpf an die Ohren des Größeren.
 

„Wage noch einen Schritt und dann gnade dir Gott!“
 

Er konnte nicht anders als einen Fuß vor den anderen zu setzen und berührte den Arm des Kleineren benommen mit seiner Hand, die sogleich schmerzhaft gepackt und zu vielen Splittern zerquetscht wurde.
 


 

Schweißgebadet schlug Joe die Augen auf und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, unter denen sein Kopf höllisch weh tat. Er spürte eine Regung unter sich und sah verstört in sanfte Seelen, deren Blau der pure Reiz war.
 

„Was ist passiert?“
 

Ricks Frage lastete auch in Joes Verstand. Was war geschehen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  inulin
2007-02-08T18:42:26+00:00 08.02.2007 19:42
Hach... das hab ich gebraucht. *seufz*
Diesen Verkäufer fand ich ja klasse. XD Hat nur noch gefehlt, dass er die beiden bis in den Supermarkt verfolgt.
Aber wie sie sich gegenseitig ihre Liebe gestanden haben... Das war so schön. >///<

Wieder mal ein tolles Kapitel. Wie du diesen Fremden wieder miteingebracht hast, war wirklich gut. Ich hab zwar auf den nächsten Auftritt von ihm gewartet, aber damit gerechnet, dass er jetzt hinter Rick steht, hab ich nicht. ^^'

Joes Reaktion find ich auch super dargestellt. Er ist mit der Situation total überfordert. Kein Wunder das er zwischen Liebe und Wut schwankt.

Erinnern sich beide nicht mehr daran, was passiert ist?
Das ist bisher der angenehmste Cliffie den ich gelesen hab. XD Hoffe aber dennoch, dass es bald weiter geht. ^.~
Von:  smily
2007-02-08T13:38:50+00:00 08.02.2007 14:38
Der Typ soll die Finger von Rick lassen! *sich in eine Bestie verwandel* *den perversen Sack in Stückchen reis*
Der Traum von Joe, ich glaube irgendwie, dass er seine Ängste wiederspiegelt. Ist es so?
Das ist wieder ein tolles Kappi!
Mach weiter so1
ciao, ciao
smily


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