Untermieter
3. Robin Untermieter
Wie jeden Freitag Nachmittag, wenn das Wettbüro früher seine Pforten schließt und das Wochenende ins Haus steht, gehe ich einen kleinen Umweg, um an ein paar luxuriösen Klamottengeschäften vorbeizulaufen. Natürlich weiß ich, daß ich mir dort niemals etwas kaufen kann, übersteigen die Preise doch bei weitem mein Gehalt, aber träumen ist ja wohl erlaubt.
Ich bleibe vor einem der Schaufenster stehen, komme mir direkt schäbig dabei vor, weil mein Rock und das Top schon vor Jahrhunderten nicht mehr angesagt sind, von meinem Mantel ganz zu schweigen. Dabei verkaufen die hier nur Nachthemden und Dessous. Nami hat mal ein sehr schickes Teil von einem ihrer Verehrer oder Liebhaber, keine Ahnung, geschenkt bekommen. Aber da ich weder auf Partys gehe, noch großartig Engagement beim Flirten zeige, werde ich wohl vorerst allein abends einschlafen müssen und dabei auch keines dieser Negliges tragen.
Ich wende meinen Blick wieder ab und will gerade weitergehen, als ich in das stark geschminkte Gesicht einer Frau mit Dauerwelle blicke. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn sie endlich vor meinem Laden verschwinden würden, sie vergraulen mir ja die Kundschaft!“ Irritiert laufe ich los, fällt mir doch in diesem Moment einfach nichts ein, was ich dieser unverschämten Person entgegnen könnte. Den ganzen Heimweg über ärgere ich mich über meine Blödheit, weil ich dieser Ziege nicht die Meinung gegeigt habe. Aber das passiert mir oft, daß mich die Frechheit mancher Menschen derart schockt, daß ich nichts darauf zu erwidern weiß.
Das große rote Backsteinhaus wird sichtbar, mein Zuhause, wenn man es denn so nennen mag. Die Haustür ist schon seit Jahren kaputt und selbst wenn sie der Vermieter reparieren würde, wäre sie innerhalb kürzester Zeit wieder reif für den Schrotthaufen, da die Bewohner der unteren beiden Etagen es ja vorziehen regelmäßig ihre Schlüssel zu vergessen und dann gerne den Rammbock spielen. Was interessiert es mich.
Ich betrete den schäbigen Flur, ignoriere die Müllbeutel, den Gestank und das Ungeziefer, sondern steure direkt die Briefkästen an. Nichts drin, nicht einmal Werbung. Nami ist wohl schon vom Einkaufen zurück. Ich gehe gemütlich die Treppe hoch, lasse die fünfte Stufe im dritten Stock und die zweite im vierten Stock aus, will ich mir doch nicht die Beine brechen. Endlich bin ich oben angekommen, sechster Stock, Appartement zweiundzwanzig. Vier Wohnungen pro Etage, nur hier oben sind es bloß zwei. Reicht auch, so gibt es weniger Nachbarn, mit denen man sich streiten kann.
Ich öffne die Tür, indem ich den Schlüssel im Schloß drehe und mit der Hüfte gegen das Holz drücke. Aber so ist sie wenigstens schwerer aufzubrechen. Ich ziehe meine Schuhe aus und laufe die drei Schritte zur Küchenzeile, wo Nami auf dem Boden kniet und mit einem verzückten Lächeln im Gesicht vor sich hin gluckst.
„Was treibst du denn da?“ „Oh Robin, sieh doch! Ist der nicht allerliebst?“ Mein Blick wandert über die weißen Fliesen, wo ein ebenso weißes Fellkneul sich räkelt und von meiner Freundin den Bauch kraulen läßt. „Eine Katze?“ „Ein kleiner Kater. Er hat so schöne Augen, wie Saphire!“ „Tatsächlich,“ lautet meine wenig begeisterte Antwort. Ich mag Tiere, keine Frage, aber wer soll das bitte bezahlen?
„Er ist so niedlich! Darf ich ihn behalten?“ „Nami, denk doch mal nach.“ „Bitte! Wenigstens den hier, den anderen können wir ja ins Tierheim bringen.“ „Der andere?“ Ist hier irgendwo ein Nest? „Na der da!“ Sie zeigt kurz zur Küchenanrichte, aber auf den ersten Blick starre ich nur orientierungslos über die graumelierte Arbeitsfläche, bis zwei stechend giftgrüne Augen mich fixieren. Er scheint das genaue Gegenteil des weißen Schmusetigers zu sein. Pechschwarz, zurückhaltend und mißtrauisch.
„Der ist doof, will sich partout nicht streicheln lassen.“ „Hört sich eher nach einem echten Kater an, wenn du mich fragst.“ „Schön, dann behalte du ihn.“ „Aber…!“ Sie nimmt den weißen Schmusetiger auf den Arm und marschiert in ihr Zimmer, während ich dastehe wie bestellt und nicht abgeholt.
Mein Blick wandert wieder zu dem schwarzen Kater, aber der scheint inzwischen eingeschlafen zu sein. Wenigstens kann er so nichts zerkratzen oder was weiß ich, was Katzen so treiben.
Unruhig wälze ich mich in meinem Bett hin und her, bis ich mich doch dazu durchringe die Augen zu öffnen. Ich starre direkt auf das kleine Dachfenster über mir, sehe den dunklen Himmel, die grauen Wolken, die Einsamkeit. Soll mein Leben ewig so weitergehen? Wo liegt der Sinn? Mir vom dicken Ed den Hintern tätscheln zu lassen? Abgebrannten Typen den letzten Cent aus der Tasche zu ziehen, damit der Alte noch fetter wird? Wo bleibe da ich?
Ich bin nicht wie Nami, die schon mal Trost bei Männern sucht, die wenigstens ein bißchen Geld haben. Das habe ich früher mal ab und zu getan, aber es war nie das, was ich mir davon erhofft hatte. Gibt es denn keinen Ausweg aus dieser Lage? Wird das ewig so weiter gehen? Mein Herz schlägt schwer, Tränen bahnen sich ihren Weg aus meinem Innersten nach außen, laufen über meine Wangen und versinken im Kopfkissen. Ich bin so einsam!
Ein feuchter Stupser an der Wange, gefolgt von einem leisen maunzenden Geräusch, holt mich in die Realität zurück. Ich drehe den Kopf erschrocken zur Seite, wo zwei leuchtend grüne Augen mich ansehen. „Kannst du auch nicht schlafen?“ Warum sage ich das? Bin ich bereits so verzweifelt, daß ich mit einer Katze rede? Doch als hätte mich der kleine Vierbeiner verstanden, legt er mir seine Pfote auf die Wange und sieht mich durchdringend an. Und da heißt es immer, Katzen würden sich nur unwesentlich für die Menschen in ihrer Umgebung interessieren.
Aber lange währt dieser Moment nicht und das Tierchen zieht sich wieder ein Stückchen zurück. Unweit von meinem Kopf hat er es sich auf meinem Schmusekissen gemütlich gemacht und scheint bereits eingeschlafen zu sein, denn die grünen Augen durchdringen nicht mehr die Dunkelheit. Glücklich über das Vertrauen das mir entgegengebracht wurde, lächle ich zufrieden, schließe die Augen und gleite in einen angenehmen Halbschlaf.