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Die Wächter II

Kapitel 16 – Die Wächter II
 

Eines hatten die drei Gestalten, die in den frühen Morgenstunden des klammheimlich angebrochenen, neuen Tages durch die Gewölbe des Untergrundes wanderten, gemeinsam: Sie alle zerbrachen sich den Kopf über Alicia – das Mädchen, das in aller Einsamkeit wahrscheinlich noch immer ihr trauriges Ritual in der Grotte abhielt. Herz hatte es für die beste Idee gehalten, sie dabei nicht zu stören und vollste Zustimmung erfahren. Weder der Kämpferin Viola noch dem Leid erprobten Aarve stand der Sinn danach, das junge Mädchen in ihrer Ruhe zu stören. Die Fantasie der beiden spielte hingegen regelrecht verrückt, und es geisterten ausschließlich Albtraum-Szenarien in ihren Köpfen umher. Die Elfe Herz, deren kindlich naive Vorstellungskraft nicht in jene Sphären zu reichen vermochte, in denen die Fremden sich in ihrer Gedankenverlorenheit befanden, war seit geraumer Zeit willens, dem Trauerspiel ein Ende zu bereiten, wagte jedoch nicht recht, dem Schweigen ein Ende zu setzen.

Diese Bürde sollte ihr schließlich von Viola abgenommen werden.
 

„Der Junge, dem du in der Krypta schöne Augen gemacht hast, ist übrigens auch ein Waldelf“, begann die schwarze Schönheit wie aus heiterem Himmel zu erzählen.
 

„I-ich ...“ Herz blickte peinlich berührt gen Boden. „Ich hab ihm doch keine schönen Augen gemacht“, stritt sie errötet ab.
 

„Wie du meinst.“ Es freute die gerissene Frau, dass es zur Abwechslung ihr gelungen war, die vorlaute Elfe auf dem falschen Fuß zu erwischen. „Ich dachte nur, ich sag es dir. Falls du das nicht ohnehin schon bemerkt hast.“
 

„Danke vielmals, aber das habe ich sehr wohl“, giftete Herz.
 

„Ach ja?“ Auch Aarve mischte sich nun in das Gespräch ein. „Muss dann ja wohl doch ein eindringlicher flüchtiger Blick gewesen sein.“
 

„Wie?“ Wütend rümpfte die zierliche Waldelfe die Nase und verdeckte ihr pinkes Haupthaar anschließend plakativ wieder mit ihrem pechschwarzem Barett. „Verschwört euch nur gegen mich! Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.“
 

Als hätte sie die beiden Menschen auf eine verlockende Idee gebracht, machten sie auf der Stelle Halt und wandten sich sichtbar amüsiert ihrer Fremdenführerin zu.
 

„Es tut mir furchtbar leid, sollten wir deine Gefühle verletzt haben“, versicherte Aarve der Elfe mit geradezu schmerzhaftem Sarkasmus in seinen Worten.
 

„Allerdings!“, fügte Viola hinzu. „Wir wussten ja nicht, dass du so für den kleinen Jin schwärmst. Das muss dir wirklich nicht peinlich sein!“
 

„Ich ...“
 

„Ganz genau! Verleugne niemals die Liebe, junge Dame!“, gab der blasse Mittzwanziger der Elfe großspurig mit auf den Weg.
 

„Wirklich ... ganz toll ...“ Herz wandte sich von dem Duo ab und machte an Ort und Stelle kehrt.
 

„Warte doch!“, rief Arve ihr noch hinterher.
 

„Weißt du, dass der Junge den weiten Weg aus Ballybofey nur auf sich genommen hat, um nach seiner verschollenen Freundin Ausschau zu halten?“, entfuhr es Viola, woraufhin Herz wie angegossen stehen blieb. „Ist das nicht romantisch?“
 

Das war es in der Tat, und auch wenn Herz es sich vor den beiden niemals eingestanden hätte, war ihre Neugier längst geweckt. „Ist das wirklich wahr?“, fragte sie flüsternd.
 

„Oh ja“, versicherte ihr Viola nachdrücklich. „Ich habe ihn mehr als einmal von ihr schwärmen gehört. Sie muss wirklich ein Prachtexemplar von einem Spitzohr gewesen sein. Wunderschön, zuckersüß und schlau obendrein. Schade nur, dass seine Suche so ein Desaster war ...“
 

„Du ...“ Herz wusste die Nadelstiche in ihre Richtung nur allzu gut zu deuten. Sie wusste, dass sie den beiden Menschen keine ernstgemeinten Informationen mehr entlocken konnte. Aus ihrer pechschwarzen Seidenbluse drangen alsbald ihre eleganten, hauchzarten Elfenflügel hervor. Mit dem Abschiedsgeschenk eines fantastischen Lichtspiels ließ das gekränkte Mädchen ihre neuen Bekanntschaften in imposanter Geschwindigkeit hinter sich.
 

„Das war ... nett“, zog Aarve Bilanz, der sich über die Violas spitze Zunge köstlich amüsierte.
 

„Ach ja?“ Von einer Sekunde auf die andere schien die Hochstimmung der schwarzen Frau wie weggewischt. „Ich für meinen Teil habe der frechen Göre gerade den Gefallen ihres Lebens getan!“
 

Verblüfft starrte Aarve Viola einige Sekunden hinterher, als diese sich aufmachte, noch unerforschte Teile der Korridore zu beschreiten.
 

...

... ...

... ... ...
 

San Francisco. Vier Jahre früher (Erd-Zeit)
 

Das Licht im Krankenzimmer erhellte den großen Raum nur noch schwach. Debrahs Sohn lag mittlerweile schlafend in dem Bett, in dem er mehr Nächte seines Lebens verbracht hatte, als zu Hause – zumindest kam es seiner Mutter so vor, die auf einem Stuhl neben ihm saß und grübelnd den Kopf in die Schultern gelegt hatte. Michael selbst mochte sich darüber wohl noch gar keine Gedanken gemacht haben. Er war ganz einfach froh gewesen, als seine Mutter vor einigen Stunden wie versprochen durch die Türe geschritten kam – wie immer, wenn es ihm oder seiner Zwillingsschwester schlecht ging.

Wann immer es sich einrichten ließ, wachte Debrah selbst über ihre leidenden Zöglinge. Jedes Mal stellte sie sich dabei dieselbe Frage: Wieso es ausgerechnet sie traf.

Anfangs war es einzig dieses Rätsel, das ihr Kopfzerbrechen bereitete. Mittlerweile stellte sie auch ihr eigenes Schicksal in Frage. Schließlich schien noch bis kurz nach ihrer Schwangerschaft alles geradezu perfekt zu funktionieren, bis sich ihr Prachtexemplar von einem Mann – nach einem Anfall von feige vorgeschobener Selbstreflexion – als vaterschaftsuntauglich eingestuft hatte. Ein Schlag ins Gesicht für die blutjunge, werdende Mutter. Das Schlimmste daran aber war, dass er in all den Jahren nicht einmal die Courage gefunden hatte, sich seinen Kindern vorzustellen, obwohl Debbie nach der Trennung niemals Begehrlichkeiten bekundet hatte. Einzig ihren durchaus existenten, quicklebendigen Vater kennenlernen, das sollten die zwei. Auch dazu fehlte ihm der Mut, und so würde die alleinerziehende Mutter ihre Sprösslinge eben noch einige Jahre anlügen müssen, bis diese reif genug waren, ihnen die Wahrheit anvertrauen zu können.

An diesem Abend war das jedoch Debbies geringste Sorge. Auch Geld spielte nicht wirklich eine Rolle, da sich Papi aus der Erfüllung anderer spezieller Pflichten nicht so leicht hatte herauswinden können. Michael war zudem fast schon Stammgast im Krankenhaus, sodass, ob der schieren Gewohnheit, die großen Sorgen mehr und mehr ausblieben. Mittlerweile waren diese Art Familientreffen im Hospital zur Routine geworden. Gewöhnen konnte sich Debrah trotzdem nicht daran.

Ihre Tochter lief im geräumigen Krankenzimmer, dessen Betten bis auf das von Michael verwaist waren, lächelnd auf und ab. In ihren kleinen Händen hielt sie einen himmelblauen Stoff-Elefanten. Eine Aufmerksamkeit, für die ihre Mutter auf dem Weg ins Krankenhaus gerade noch Zeit gefunden hatte.
 

„Mama, schläfst du heute hier?“, fragte das kleine Mädchen neugierig.
 

Es war offensichtlich, dass sie mitbekommen hatte, wie die Krankenschwester vor einiger Zeit ein Garnitur neuer Bettwäsche in das Zimmer gebracht hatte, wenngleich diese nicht für Debrah vorgesehen war.

Die Unbekümmertheit ihrer Tochter beunruhigte Debbie. Normalerweise hegten Kinder – insbesondere in diesem Alter – Abneigungen gegen Krankenhäuser. Scheinbar aber hatte die Macht der Gewohnheit auch auf ihre Kleinen längst Einfluss genommen.
 

„Würde dir das denn etwas ausmachen, Marie?“
 

„Mikey würde sich bestimmt darüber freuen“, erklärte sie selbstlos.
 

„Ja, das würde er.“ Debrah war stolz auf ihr Mädchen. Sie kümmerte sich aufopferungsvoll um ihren Bruder, der weit öfter unter den Folgen der Krankheit zu leiden hatte, als sie selbst. Wenn die Last für sie deswegen nicht weniger schwer wog, half sie ihrer Mutter schon durch ihre Tapferkeit sehr weiter. „Ich werde mal mit der Schwester sprechen, ob das geht, okay?“
 

„Okay“, stimmte Marie kopfnickend mit ein.
 

„Pass auf, dass du Michael nicht aufweckst“, mahnte Debrah ihre Tochter liebevoll, bevor sie das Krankenzimmer zum ersten Mal seit ihrer Ankunft verließ.
 

Die blasse, rothaarige Krankenschwester hinter dem Tresen war zu Debbies Überraschung ganz allein und schenkte ihre Aufmerksamkeit dem kaum zu entziffernden Kauderwelsch einer Krankenakte.
 

„Wie viel Zeit es wohl sparen würde, wenn Ärzte sich um Schönschrift bemühen würden?“, witzelte die junge Mutter um auf sich aufmerksam zu machen.
 

„Oh! Ich hab sie gar nicht bemerkt. Verzeihung.“
 

„Nicht der Rede wert.“ Debrah musterte das fremde Gesicht der Frau, die sie ungefähr in ihre Altersklasse schätzte, auch wenn sie, abgesehen von diesem Umstand, eher das krasse Gegenteil von ihr war. Sie vereinte all die typischen Merkmale eines Rotschopfs, inklusive Sommersprossen. „Wäre es möglich, dass ich heute bei meinem Sohn übernachte?“
 

„Entschuldigen sie, sie waren!?“
 

„Debrah Lillard, mein Sohn Michael liegt in Zimmer 815.“
 

„Ah, genau“, täuschte die Schwester nachträgliche Erleuchtung vor. „Ja, das sollte sich einrichten lassen. Übernachtung sind auf dieser Station nur in Ausnahmefällen nicht möglich.“
 

Ohne Frage wusste Debrah darüber längst bestens Bescheid, dennoch bedankte sie sich in aller Freundlichkeit, wie sie es jedes Mal tat.
 

„Ich werde gleich ein Gästebett organisieren, haben sie ansonsten alles notwendige bei sich?“
 

„Nein, aber das ist kein Problem“, erklärte Debbie. „Ich muss vorher noch meine Tochter nach Hause bringen.“
 

„Gut, dann entschuldigen sie mich für ein paar Minuten. Wir bereiten alles vor.“
 

Was Debrah wieder einmal mehr Kopfzerbrechen bereitete als die Sorge um ihre Kinder, waren diese verteufelten Gedanken an ihr eigenes Befinden. Es ging ihr doch gut – nicht sie musste schließlich Woche für Woche in dem zerbrechlichen Körper eines ihrer beiden Lieblinge stecken. Doch sie litt an ihrer eigenen Krankheit, ihrem Ego, das sie nie hatte ausblenden können.

Was war das denn noch für ein Leben für sie?

Vom frühen Morgen und den mütterlichen Pflichten über einen Job, den sie hasste, ging es am Abend entweder nach Hause – was den Idealfall darstellte – oder direkt ins Krankenhaus. Zeit für die Verwirklichung ihrer Träume, denen sie in der Vergangenheit schon so nahe gewesen war, gab es dabei nicht.

Doch wie um alles in der Welt konnte das für sie noch von Relevanz sein? Vor allem jetzt, in dieser Situation, sollte sie zuallererst Mutter sein, so glaubte sie die Doktrin der Elternschaft verinnerlicht zu haben. Wie sich jene Gedanken – ja sogar Wut – in ihrem Kopf ranken konnten, war Debrah schleierhaft. Es war weiß Gott nicht das erste Mal, dass sie ihr eigenes Wohlergehen in den Vordergrund stellte. Zumindest bildete sie sich einmal mehr ein, dies zu tun. Es war ebensowenig das erste Mal, dass sich Debbie dafür hasste, vielleicht aber das erste Mal, dass sie es auf eine solch tiefschürfende Art und Weise tat.

Sie war mittlerweile ganz allein auf dem breiten Korridor der Station. Allein mit sich, allein mit ihren Gedanken, die ihre übelsten Auswüchse stets in der Einsamkeit nahmen. Dazu war der Geist der Menschen zweifellos am vortrefflichsten in der Lage – sich selbst zu zerstören.
 

... ... ...

... ...

...
 

Peter musste sich redlich bemühen, eben Erfahrenes irgendwie verdauen zu können. Er begriff noch immer nicht, inwiefern er Teil dieser merkwürdigen Geschichte sein sollte. Momentan konnte er das wohl auch noch nicht. Ihm war nicht weniger als die Hauptrolle in der fantastischen Geschichte anvertraut worden, in der er vom ersten Tag an nur hilfloser Zuschauer hatte sein können. Vom ersten Augenblick an war ihm diese hasserfüllte, feindselige Welt über den Kopf gewachsen. Nur durch reines Glück konnte er bis hierhin überleben, und dabei waren es stets andere gewesen, die seinen Kopf aus der Schlinge zogen und auf dem beschwerlichen Weg sogar ihr Leben lassen mussten. Freilich hätten Krieger wie Elmo oder gar der aufmüpfige Rios es weit mehr verdient, an seiner Stelle zu stehen und mit den abstrusen Geschichten dieser Leute konfrontiert zu werden. Sicher würden sie oder Eva nun wissen, was es zu tun galt.

Eva ...

Der Gedanke an sie war ein zweischneidiges Schwert. Zum einen half er Peter, sich abzulenken, zum anderen grub sich das Bild der sterbenden jungen Frau wie ein Dolch immer tiefer in seine Brust.

Peter aber entschied sich dennoch, fortan seine Aufmerksamkeit dem verletzten Mädchen schenken zu wollen. Bei denen konnte er ja doch nichts mehr gewinnen. Miraaj und Neil ... Was fiel ihnen eigentlich ein? Müsste es die zwei nicht am meisten erschüttern, ihren Heilsbringer in Peter zu sehen? Stattdessen schmückten sie sich noch immer in ihrem selbstzufriedenem Mienenspiel.
 

„Was macht euch eigentlich so froh?“ In der Stimme des Jungen lag nun keinerlei Bewunderung oder Ehrfurcht. Mit ihrer bloßen Anwesenheit konnte Miraaj ihn längst nicht mehr entzücken. „So wie ich das sehe, steht euer großer Plan – wie immer der auch aussehen mag – vor dem Abgrund.“
 

„Und das siehst wirklich nur du so, Peter“, versicherte ihm Neil. Sein Blick verengte sich, als wollte er dem Jungen eine Warnung mit auf den Weg geben.
 

„Ach ja?“ Peter schenkte den Andeutungen des Zwergs keine Aufmerksamkeit. „Ihr setzt auf das falsche Pferd, wenn ihr tatsächlich glaubt, ich wäre die Lösung für die Probleme dieser verdrehten Welt. Glaub' mir, Neil, dein Instinkt hat dich diesmal an der Nase herumgeführt.“
 

„Instinkt hat damit nicht das Geringste zu tun, du ...“
 

„Du hast keine besonders hohe Meinung von dir selbst, oder Peter?“ Miraaj unterbrach den weitaus älteren Mann, der ihr kaum bis zur Hüfte reichte, unverblümt. „Zumindest lese ich das aus deinen Worten.“
 

„Und wenn schon!“, warf der Junge trotzig in dem Raum. Es fiel ihm schwer die Fassung zu bewahren, da ihn seine eigenen abschätzigen Bemerkungen über sich selbst viel härter trafen, als er es je für möglich gehalten hatte. Er hatte nie so offen und kritisch über seine eigene Person geredet oder überhaupt nachgedacht.
 

„Vielleicht hilft es dann, wenn ich dir sage, dass ich voller Zuversicht in die Zukunft blicke. jetzt wo ich dich kennengelernt habe.“
 

Peter fiel dazu nichts ein. Soweit, dass er Miraaj kleine Lügen dieser Art zutrauen würde, war er noch lange nicht. Trotzdem fiel es ihm sichtlich schwer, ihren Worten Glauben zu schenken. Mehr als je zuvor drängte sich die Frage auf, was es denn letztendlich war, das die wundersame Gestalt in ihm sah. Dann, Sekunden später, konnte er die brennenden Zweifel in seiner Brust nicht mehr länger ertragen.
 

„Warum?“ Er verachtete sich für jede ungewollte Träne, die sich heimtückisch aus seinen Augenwinkeln schlich und versuchte, ihn um die Fassung zu bringen. Der zornige Geist hasste in jenem Augenblick das schwächliche Fleisch. Die ohnehin wenig gehaltvolle Fassade des starken Mannes bröckelte „Was zum Teufel seht ihr nur in mir?“, presste er zähnefletschend heraus.
 

Sein eigens auferlegtes Martyrium nahm jedoch ein abruptes Ende, als Miraaj sich wie entfesselt auf ihn zu bewegte und den perplexen Jungen ihre linke Hand, die in einen schwarzen Handschuh gebettet war, auf die Schulter legte. So impulsiv hatte er sie bisher nicht erlebt. Ihren funkelnden, hellblauen Augen konnte er sich schließlich nicht entziehen, selbst wenn er es gewollt hätte.
 

„Ich sah einen jungen, starken Mann in diese Gewölbe eintreten, der auf Caims die Hölle gesehen und das Fegefeuer überlebt hat. Auf seinen Armen trug er eine verwundete Kameradin, deren Schicksal ihm wichtiger war, als das eigene. Dicht bei ihm trabte das erhabenste Geschöpf, das diesseits und jenseits Minewoods je existiert hat – gezähmt von eben jenem Manne, ergeben einzig der seinen Hand!“
 

„Zufälle ...“ Peter rang noch immer mit sich. So gut und ehrlich die Worte der Dunkelelfe auch gemeint waren, so wenig veränderten sie am bemitleidenswerten Zustand des Franzosen.
 

„Gab das Einhorn nicht die eigene Unsterblichkeit für dein Leben auf? War es nicht dazu bereit? Hat es das nicht getan, Peter?“, fragte Miraaj mit Nachdruck. „Weißt du denn nicht, was das bedeutet?“
 

„Ich weiß es“, gab er zu. „Lily hat mir davon erzählt, und ich kann noch immer kaum glauben, was da passiert ist ...“
 

Und darum ging es schlussendlich auch. All diese Dinge waren in der Tat geschehen. All diese Dinge hat er tatsächlich vollbracht. Wunder, die ausreichen sollten, ihm Selbstvertrauen zu verleihen, doch war all das längst nicht genug, ihn den tieferen Sinn verstehen zu lassen.

Miraaj war für kurze Zeit regelrecht sprachlos. Doch schaute sie nicht enttäuscht, nur über die Maßen verwundert in die glühenden Augen des Jungen. Es dauerte keine zehn Sekunden, die Peter jedoch wie eine Ewigkeit vorkamen, bis die Magierin wieder zu ihm sprach. Sie senkte ihren Blick ganz leicht und lächelte. Fast wirkte sie verlegen.
 

„Ich verstehe dich besser, als du denkst.“ Keine Widerworte „Du solltest zu ihr gehen. Bei ihr sein. Sie braucht dich.“ Es schien beinahe, als ließe sie von dem Jungen ab, der in diesem Moment kaum wusste, wo ihm der Kopf stand. „Versprich mir nur, dass du weiter suchst, ja? Gib niemals die Suche auf, denn allein die Hoffnung kann sehr wohl dein Pfad durchs Leben sein.“
 

Peter verstand, was Miraaj von ihm verlangte, wenn er auch Zweifel hegte, dass sie sich ihrerseits darüber im Klaren war, wie vielsagend ihre Worte waren.
 

„Hoffnung reicht mir aber nicht“, flüsterte er noch, längst ohne jeden Anflug von Trotz oder gar Wut in der Stimme, die noch bis vor kurzem sein Gemüt beherrscht hatten.
 

Miraaj ließ Peter los und holte eine Halskette hervor, die zum größten Teil unter dem Gewand der Elfe versteckt lag. Geschickt öffnete sie die Halterung und überreichte das Pendant in Form eines vierblättrigen Kleeblattes kurz darauf dem Jungen.
 

„Ich habe diese Kette einst von einem Mann geschenkt bekommen, den ich wohl nie wieder sehen werde. Ich dachte, mich damit abgefunden zu haben, doch du, Peter, hast mir die Augen geöffnet – mir gezeigt, wie naiv ich war. Zu glauben, ich hätte die Hoffnung schon aufgegeben ... So etwas verliert man nicht, verstehst du?“ Das tat er. „Hoffnung ...“ Peter nahm die Hand der Dunkelelfe, mit der sie ihm den Anhänger überreichte. Es war die rechte, nackte Hand. Berührungsängste kannte sie nicht. „Damit du dieses Gespräch niemals vergisst!“
 

„Das kann ich nicht ...“
 

„... annehmen?“ Miraaj wollte keinerlei Ausflüchte mehr hören. „Versprichst du mir nun, niemals die Suche aufzugeben?“
 

Einen Moment lang betrachtete Peter das funkelnde Geschenk in seiner Hand. Er musste an seine Erlebnisse in Minewood denken. Vor allem an jene, an die Miraaj ihn so stolz erinnert hatte. Die letzten Minuten waren ein solches Ereignis. Irgendwann würde er voller stolz von eben jenem erzählen. Seiner Großmutter, Momo, Eva ... Julie ...
 

„Ich verspreche es.“
 

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Obwohl es schmerzte, zog es Viola immer wieder in die Nähe der Waisen, die in den unwirklichen Gewölben unter der verfluchten Stadt ihre neue Heimat gefunden hatten. Was es war, dass sie zu jenem selbstverletzenden Verhalten zwang, wusste sie nicht genau zu beurteilen. Vermutlich ja das schlechte Gewissen, das selbst nach sechzehn Jahren noch immer an ihr zu nagen vermochte. Vielleicht war es gar die Sehnsucht nach der Heimat, auch wenn die Erinnerungen an ihr früheres Leben mit jedem verstreichenden Jahr immer mehr verblichen. Eine Tatsache, die Viola schwer zu schaffen machte. Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass es soweit kommen könnte – sie war schließlich kein Kind mehr, als sie nach Minewood übertrat. Ganz im Gegenteil: Sie war schon damals eine erwachsene Frau und Mutter von zwei Kindern, die von ihrem Vater im Stich gelassen worden waren. Könnte sie etwas so bedeutendes wirklich je vergessen?

Es waren andere Dinge, die ihren Erinnerungen entronnen waren – bedeutsame Kleinigkeiten. Details, die ihr einfach nicht mehr einfallen wollten. Zuviel war ihr seit ihrer Ankunft in Caims widerfahren. Damals musste viel Zeit vergehen, bis sie überhaupt wieder einen klaren Gedanken an ihr altes Leben fassen konnte. Die Dunkelelfen auf der Insel kannten keine Gnade im Umgang mit den Menschen, egal wie klug, schön oder stark sie waren.

Wie sehr sie Eva auch verachtete, ihrem Feldzug wären sie und die anderen aufmüpfigen Ritter auch gefolgt, wenn sie zuvor ihr Todesurteil mit dem eigenen Blute hätten unterzeichnen müssen.

Mittlerweile hegte Viola jedoch ernsthafte Zweifel an den eigenen Motiven. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit ließ sie längst verschollen geglaubten Gedanken wieder Zugang zu ihrem Herzen.
 

„Was machen wir hier eigentlich?“ Aarve hatte ein besonderes Talent dafür, entspannende Ruhe für betretenes Schweigen zu nehmen. „Ich will die Blagen nicht aufwecken. Kann wirklich nicht mit Kindern, wenn du verstehst.“
 

„Hmpf ...“ Der Blondschopf konnte nicht wissen, in welches Fettnäpfchen er soeben getreten war. „Bist nicht der Erste, von dem ich das höre.“
 

„Komm schon“, versuchte der Finne sich anzubandeln. „Die bringen doch nur Ärger mit sich! Stress ohne Ende. Und was bekommt man dann dafür?“
 

„Liebe“, flüsterte Viola kaum wahrnehmbar.
 

„Huh?“
 

„Was weißt du schon von Erziehung, Kleiner? Du bist doch selbst noch ein Kind.“ Zweifellos schoss sie mit dieser Äußerung um einiges am Ziel vorbei, dennoch machte sie ihren Standpunkt klar.
 

„Mach mal halblang; ich bin vierundzwanzig Jahre alt!“, setzte sich der Finne zur Wehr. „Die letzten vier durfte ich übrigens für diese gottlosen Spitzohren die Drecksarbeit erledigen. Glaub mir: erwachsener wird man nicht. Und was ist mit dir, he? Sechsundzwanzig? Achtundzwanzig?“
 

Viola ging zunächst nicht auf die Frage ihres Begleiters ein.
 

„Was glaubst du wohl, wo ich gelandet bin, als ich in Minewood ankam?“ Aarve gab keinen Laut von sich. Natürlich konnte er sich seinen Teil dazu denken. „Vier Jahre warst du also in Vyers eingesperrt? Hättest du es auch sechs ausgehalten?“ Es spielte keine Rolle, ob er es geschafft hätte, oder nicht, wenngleich Aarve gezwungenermaßen an seine Deportation nach Berra denken musste. Viola hatte alle Trümpfe in ihrer Hand. „Aber junge Frauen haben es in Gefangenschaft bei den Dunkelelfen natürlich leichter, nicht wahr? Das heißt, wenn sie nicht als zu schwach eingestuft und sofort den Wölfen zum Fraß vorgeworfen werden.“
 

„Das hab ich nicht gewusst“, versuchte der erstmals wirklich verschüchtert wirkende junge Mann, sich zu entschuldigen.
 

„Natürlich nicht“, tönte Viola zynisch. „Woher denn auch? Ich war übrigens fast so alt wie du, als das alles begann. Zweiundzwanzig, um genau zu sein. Sechzehn Jahre ist das jetzt her. Eine lange Zeit ...“
 

Aarve schwieg. Kein Wort der Rechtfertigung, noch der Entschuldigung drang mehr aus seiner Kehle. Es verblüffte ihn, wie völlig falsch er die schöne Kriegerin eingeschätzt hatte. Ihr Alter sah man ihr genauso wenig an, wie das Martyrium, dem sie in Vyers so viele Jahre zweifellos ausgesetzt gewesen war. Auch in ihrem Verhalten hätte man nicht lesen können, wie es wirklich um sie bestellt war.

So wandte Viola sich im Augenblick des tatsächlichen betretenen Schweigens wieder dem Schlafraum der Kinder zu, durch dessen Spalt weit geöffnete Türe hindurch sie einen Blick auf zwei der noch immer schlummernden, lieblichen Wesen erhaschen konnte. So fremd die beiden ihr auch waren, so vertraut schien just diese Szene. Sie genoss es, den friedlichen Schlaf des Jungen und des Mädchen zu beobachten. In Gedanken veränderten sich die schwach vom Feuer des Korridors erhellten Züge der zwei, und aus den unbekannten Gesichtern wurden nach und nach die Ebenbilder von Michael und Marie. Anschließend konnte sie nicht dagegen ankämpfen, bemerkte vielleicht auch gar nicht, wie die ersten Tränen, die sie seit Vyers vergoss, sich ihren Weg über ihr makelloses Gesicht bahnten. Alles war noch immer genauso klar wie vor sechzehn Jahren. Die Erinnerung an ihre beiden größten Schätze war noch immer so lebendig, wie in jener letzten, schicksalhaften Nacht.
 

...

... ...

... ... ...
 

San Francisco. Vier Jahre früher (Erd-Zeit)
 

Sie konnte die Augen nicht von ihm lassen. Nicht aus Sorge, wenn diese auch vorhanden war, diesmal lastete noch etwas anderes auf ihrem Herzen; eine dunkle Vorahnung, die sie selbst als solche zwar erkennen, jedoch nicht ernst nehmen konnte. Was sollte das schon bedeuten?

Michael schlief tief und fest und friedlich. Ein Anblick, der wohltuender nicht hätte sein können, wäre es nicht um das Ambiente bestellt gewesen.

So sehr wünschte sie sich in ihrem heimischen Apartment; dort hätte sie die beiden um diese Stunde in aller Liebe zu Bett gebracht und ihre Vollkommenheit noch einige Sekunden aus der Tür heraus betrachtet, die sie stets einen Spalt weit offen stehen ließ. Auch Marie drängte es nach Hause, obwohl ihr eine einsame Nacht bevorstand.
 

„Wird Mikey morgen auch noch hier schlafen?“, fragte das Mädchen ihre Mutter, die das Flüstern in ihrem nachdenklichen Zustand jedoch überhörte. „Mom?“
 

„Huh?“ Endlich bemerkte Debrah, dass die Welt um sie herum durchaus noch immer in Bewegung war. „J-ja, Schatz?“
 

„Wenn Michael morgen auch noch hier schlafen muss, bleib ich lieber hier“, erklärte Marie. Sie wusste längst über das gängige Prozedere im Krankenhaus Bescheid, dass Geschwister und entferntere Verwandte nur auf Anmeldung hin die Nacht bei den Angehörigen verbringen durften, auch wenn es in der Leidensgeschichte der Lillards durchaus schon Ausnahmen gegeben hat. „Ich mein', wenn das geht ...“
 

„Bestimmt!“, ermutigte Debbie ihre Tochter und freute sich zugleich über deren selbstlose Entscheidung.
 

Sie schenkte ihr gar ein stolzes Lächeln, und doch war Debrah noch immer nicht frei von dem Gefühl der Leere, dass sie schon den ganzen Abend über plagte. Vermutlich waren es ja bloß Gewissensbisse. Außerordentlich schwere ...

Ihr Sohn war wohlauf, ihre kleine Tochter ein schillerndes Beispiel an Selbstständigkeit. Warum nur konnte sie keine Freude mehr empfinden? War es wirklich schon so weit mir ihr gekommen?
 

„Fahren wir jetzt los, Mom?“
 

„Gleich, mein Schatz.“ Debbie war weder gewillt, noch dazu in der Lage ihre merkwürdigen Gedanken herunterzuschlucken und zu warten, bis sie eines Tages in noch größerem Ausmaß wieder zum Vorschein kämen. „Kannst du hier noch ein Minütchen warten? Ich muss nur mal schnell ins Bad, okay?“
 

„Klar!“
 

Marie machte es nichts aus. Marie machte sich auch keine Sorgen, denn dafür war sie viel zu stark.

Marie, Michael – ihre Kinder; sie waren ihre größten Schätze, ihre Heiligtümer, und doch schien ihr Verstand sie plötzlich völlig ausblenden zu wollen.

Das Badezimmer war am anderen Ende des Korridors. Debrah beeilte sich, rannte fast. Etwas geschah mit ihr, und sie konnte nicht begreifen, was es war. Nur ein einziger Gedanke schwirrte noch in ihrem Kopf herum, eine alles verzehrende Sehnsucht nach dem Alleinsein. Allein, wie damals, als sie ihre großen Pläne zu schmieden begann und all ihre Aufmerksamkeit der Verwirklichung jener widmete.

Als die weiße Tür hinter ihrer Mutter ins Schloss fiel, ahnte Marie nicht, dass aus einer Minute eine Ewigkeit werden sollte.
 

... ... ...

... ...

...
 

Ganz wie Miraaj es ihm aufgetragen hatte, und er selbst es wollte, verbrachte Peter die Nacht wachend an der Seite Evas. Nicht selten rang er mit den verführerischen Fängen des Schlafes, der sich zu so später Stunde, nach all den zurückliegenden Strapazen, mit aller List an ihn heranzuschleichen begann. Er hätte die Ruhepause gebrauchen können. Auch hätte sein Einnicken an der Situation rein gar nichts verändert. Er wollte ganz einfach dieses Geplänkel mit der eigenen Schwäche auf keinen Fall verloren geben, wo das Mädchen an seiner Seite doch mit so viel stärkeren Dämonen zu kämpfen hatte. Nein, das kam überhaupt nicht in Frage.

Nicht selten verlor sich sein Blick für ganze Minuten im kraftlosen, noch immer lieblichen Gesicht Evas. Er bestaunte in Sorge, wie sich ihre Augen hinter geschlossenen Lidern bewegten. Der Schweiß, den die Anstrengungen auf ihre Stirn getrieben hatten, glitzerte im Licht einer einzig noch verbliebenen, fast erloschenen Kerze. Ohne ihre Rüstung wirkte sie beinahe wie ein Kind – hilflos und zerbrechlich; von den meisten Spuren der Schlacht befreit, wie die schlafende Schönheit aus den vielen klassischen Märchen, von denen sie womöglich kein einziges kannte.

Peters Schuldgefühle waren auch nach der Unterredung mit Miraaj und Neil nicht abgeebbt. Er war – dank der Gabe Momos – dem sicheren Tod entkommen; hatte somit zugleich aber auch die Freikarte für die Rettung der tapferen Frau verbraucht, die, obwohl sie jünger war, schon längst zehnmal so viel erlebt hatte, wie er. Peter bewunderte ihren Großmut, ihre Tapferkeit und ihre Stärke und schwor sich, in Zukunft von ihr und ihren Freunden zu lernen. Tatsächlich war er gar dazu bereit, alles zu tun, wonach ihm je der Sinn stand, wenn sie die Nacht nur überstehen würde.

Der bullige Lester war nicht minder besorgt um die junge Frau, die er stets wie seine eigene Tochter behütet hatte. Er konnte sich dem Schlaf jedoch nicht so lange entziehen, wie Peter. Der Franzose schrieb es dem Alter und den Blessuren des stolzen Kriegers zu. Vorwürfe machte er ihm aber keine. In gewisser Weise zog er es sogar vor, als einziger Wache zu halten.
 

„Oh ...“ Herz hatte nicht damit gerechnet, noch jemanden wach in der Krypta vorzufinden. Sie bemühte sich, die Ruhe nicht zu stören. „Ich dachte, ihr schlaft mittlerweile alle“, flüsterte sie, während sie sich leichtfüßig bis auf wenige Zentimeter dem Jungen annäherte.
 

„Ich bin nicht müde“, log der Franzose. Peter störte sich nicht an der Präsenz der Elfe, die wieder zum größten Teil in pechschwarze Seide gehüllte war, und ihren auffälligen Schopf unter ihrem Barett verborgen hatte. „Und warum bist du so spät noch unterwegs?“
 

„Tja“ Herz rang nach einer passenden Antwort. „Schätze, ich schlafe generell nicht viel.“
 

Die Waldelfe ließ ihren Blick durch die Halle wandern. Das spärliche Licht erhellte nur noch den kleinen Teil rund um den Altar.
 

„Ist das so?“, fragte Peter ungläubig.
 

„Um ehrlich zu sein, hab ich ein bisschen Angst vor Albträumen.“ Unaufgefordert und doch wie auf Wunsch tauschte Herz die versterbende, weiße Kerze auf dem Gestein nahe Evas Bett aus und entzündete noch eine weitere, die sie zunächst in der Hand behielt, um sich einen Überblick über die Neuankömmlinge zu verschaffen, die in der Krypta schlummerten. Das mehr als nur Neugier sie dabei antrieb, ahnte ihre neue Bekanntschaft noch nicht. „Es ist hier unten immer besser, ein paar dabei zu haben“, flüsterte sie.
 

„Glaub ich dir aufs Wort.“
 

„Die Gewölbe sind wirklich gigantisch“, erklärte Herz noch immer leise flüsternd. „Wir leben hier nur in einem sehr kleinen Teil davon. Dem Teil, der außerhalb der nordöstlichen Stadtgrenzen liegt. Dabei haben die Erwachsenen wie Nuga, Prior oder auch Miraaj ihre Unterkünfte nahe des Walls, um uns zu beschützen, falls doch mal irgendwas passieren sollte.“
 

„Ist also noch nicht vorgekommen?“
 

„Nein. Miraaj hat den unterirdischen Zugang zur Stadt einreißen lassen und ihn obendrein noch verzaubert. Ihre Zauber scheinen stärker zu sein, als die der Hohepriesterinnen, die damals in Ballymena gelebt haben. Merkwürdig, oder?“
 

Herz verwunderte dieser Umstand weit mehr, als Peter, der sich unter Magie nach wie vor kaum etwas Fassbares vorstellen konnte. „Keine Ahnung, ist es das?“
 

„Sind das da die beiden Elfen, die mit euch hergekommen sind?“ Herz wechselte rasch das Thema, als sie entdeckte, wonach sie gesucht hatte.
 

„Lily und Jin, ja“, bestätigte Peter. „Wieso?“
 

Herz ging nicht auf die Frage des Menschen ein. „Ein süßes Pärchen“, gluckste Herz entzückt.
 

Dieser makabre Scherz vermochte sogar, Peter einen Augenblick lang von Eva loszueisen, um sich ein Bild zu machen, wovon Herz da eigentlich sprach. Dann erkannte er, wie die Elfe zu jenem gewaltigen Trugschluss hatte kommen können, wenn er den eigenen Augen zunächst auch nicht trauen wollte.

Noch immer in der hintersten Ecke der Krypta, lag Lily zusammengekauert in den Armen Jins, ihren Kopf an dessen schmale Brust gelehnt. Sie wirkten in jener Pose auf den ersten Blick wirklich wie ein Liebespaar – auf jeden Fall aber unzertrennlich. Dieser wundersame Anblick brachte Peter zum Lachen, wenn auch in gediegenem Tonfall, als er aber darüber nachzudenken begann, wieso die beiden Elfen in jener untypischen Lage vorzufinden waren, verging es ihm gleich wieder.
 

„Sie sind mehr wie Bruder und Schwester“, erklärte er Herz.
 

„Ja?“ Die Elfe wurde hellhörig.
 

„Und auch nicht gerade die Sorte, die in Harmonie alles zu teilen bereit wären, wenn du verstehst“ Eine Erklärung – so dachte Peter jedenfalls – war er ihr auch noch schuldig. „Sie waren dabei, als in der Stadt die Hölle losbrach; standen in vorderster Front ...“
 

„Verstehe ...“ Tief berührt wandte sich Herz wieder von dem Duo ab. Ihr Blick fiel auf Eva. „Und sie? Ist sie deine Freundin, oder mehr wie eine Schwester für dich?“
 

Peter stockte der Atem. So direkt damit konfrontiert, wusste er keine Antwort auf diese Frage, wenngleich es ganz sicher nur eine einzige vernünftige gab: Eva war eine Freundin. Doch als Peter diesen Satz in Gedanken zu formen begann, überfiel ihn plötzlich ein durchaus romantisches Gefühl. Allein sie als Freundin bezeichnen zu können, nach so kurzer Zeit, kam einem regelrechten Freudenfest für sein geschundenes Gemüt gleich.
 

„Eva ist ...“ Er zögerte. „Weißt du, ich kenne sie noch nicht sehr lange. Vielleicht eine Woche.“
 

„Und doch hältst du hier Wache an ihrer Seite? Dann muss sie einen guten Eindruck bei dir hinterlassen haben.“
 

Herz' offene Art, sich von der Seele zu sprechen, was immer jener auferlegt war, konnte zugleich so unangenehm wie erfrischend sein. Für Peter war es dieses Mal jedoch ausschließlich ersteres.
 

„Was?“ Der Frosch in Peters Hals war ein ausgewachsenen Monstrum. „Ich ...“
 

Die Elfe nahm dem perplexen Menschen die Mühen ab, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Ich verstehe schon. Mach dir mal keine Sorgen, sie wird schon wieder auf die Beine, mit all der Unterstützung von ihren Freunden.“
 

Mit jenen Worten verabschiedete sich Herz grinsend und verschwand vorsichtig in dieselbe Richtung, aus der sie zuvor gekommen war. Zeit sich zu rechtfertigen, fand Peter nicht. So peinlich die Situation auch gewesen sein mochte, so nachdenklich stimmten ihn die Worte der Besucherin. Wenn Liebe fassbar wäre und die Macht hätte, Evas Wunden zu heilen, wäre ihm wirklich nicht Bange um ihr Schicksal.

Liebe hatte er reichlich zu geben.
 

___________________________________________________________
 

Das ungleiche Duo befand sich noch immer auf Wanderschaft durch die verwinkelten Gewölbe des Untergrunds. Das Erreichen einer Sackgasse bewegte Viola dazu, eine Pause einzulegen. Sie ging in die Knie und lehnte sich entspannt gegen das kühle Gestein.

Etwas mysteriöses umgab diese Frau. Aarve konnte nur nicht recht ausmachen, was es war. Schön war sie zweifellos. Älter als gedacht? Definitiv. Doch sprach das nur mehr für sie. Wie erhaben sie sich verhielt – einfach faszinierend. Ihre Bewegungen von ungekannter Grazie, ganz gleich ob im Alltag oder auf dem Schlachtfeld. Wen würde Viola wohl nicht beeindrucken?

Von sich selbst hielt Aarve hingegen weit weniger. Er nahm sich für einen sehr einfach gestrickten Menschen. Seine Begeisterung für die schwarze Kämpferin sah er deshalb – ganz nüchtern – in ihrem Äußeren begründet. Es hatte ihn eben erwischt, wie früher schon. Kaum lief dem hochaufgeschossenen Blondschopf ein hübsches Gesicht über den Weg, war er auch schon auf der Pirsch. Nur hatte er sich selten, nein, niemals zuvor selbst dafür verachtet.
 

„Ist das eigentlich dein richtiger Name?“ Viola wusste die verzwickten Gedanken ihres Begleiters gekonnt gegen die Wand zu fahren. „Aarve?“
 

„Ja“, antwortete er. „Aarve Lori – das ist finnisch.“ Falls dich das interessiert, vergaß er hinzuzufügen.
 

„Finnisch? Das erklärt einiges“, scherzte Viola.
 

„Ach, tut es das?“ Aarve fühlte sich ganz offensichtlich unsanft vor den Kopf gestoßen.
 

„Komm wieder runter!“, versuchte die schwarze Frau ihren Begleiter zu beruhigen. Sag bloß, du hältst mich nicht für eine Mittelafrikanerin, ha ha.“
 

„Tja, dem Mundwerk nach zu urteilen, kannst du eigentlich nur Ami sein“, sprach er und traf den Nagel damit auf den Kopf.
 

„Na wenn das mal nicht filmreif war?!“
 

„Hab ich's doch gewusst!“, sonnte sich Aarve im strahlenden Glanz des Sieges. „Trotzdem witzig, wie sehr die fehlende Sprachbarriere alle Grenzen zu verwässern scheint“, philosophierte er noch ein wenig.
 

Egal, wie sehr er auch bei der Frau aneckte, oder sie bei ihm – er genoss das Gespräch und die Zweisamkeit zur Abwechslung. Für ihn war Viola die letzte verbliebene Artgenossin, die noch bei Verstand war. Bis auf Peter, vielleicht – nur konnte er den Franzosen ungefähr so gut riechen, wie dessen Möchtegern-Ritter-Freunde.
 

„Und wie sieht's mit dir aus? Ist Viola dein richtiger Name?“ Berechtigte Zweifel klangen in Aarves Worten mit.
 

„Es ist der Name der Frau, die du vor dir siehst“, kam die Antwort prompt.
 

„Okay“ Es war nicht die, mit der Aarve gerechnet hatte. „Versteh' schon.“
 

„Als sie mich aus Vyers befreit haben und mich zum ersten Mal nach Tapion brachten, traf ich viele Menschen, die schon sehr lange in Minewood lebten. Von den hier geborenen mal abgesehen, hatten viele von ihnen ihr Leben auf der Erde hinter sich gelassen und irgendwann einen endgültigen Schlussstrich darunter gezogen. Die meisten legten mit diesem Schritt auch ihre alte Identität ab und gaben sich symbolisch einen neuen Namen. Eine Art kleines Ritual, das symbolisch für einen Neuanfang steht“, erklärte Viola. „Ich war eine von diesen Spinnern ...“
 

„Klingt doch nur vernünftig!“
 

„Ach, tut es das?“
 

„Klar!“, begeisterte sich der Finne für die Geschichten Violas. „Mal ehrlich: Die Erde kann mich mal! In vielerlei Hinsicht bin ich auf der falschen Seite des Mondes geboren. Mich zieht jedenfalls nichts zurück in mein altes Leben. Selbst die Zeit in der Festung hat mehr Sinn gemacht, als das kümmerliche Leben dort drüben. Wahre Freiheit ist zu Hause doch nur eine Farce!“
 

Viola war überrascht, das zu hören. Bis vor kurzem hätte sie womöglich noch genauso dahergeredet, doch keimten mittlerweile immer größere Zweifel in ihr auf, ob sie sich nicht selbst belog. Sich in dem Glauben zu lassen, einem Herzenswunsch gefolgt zu sein, machte es ihr stets einfacher, mit der Situation umzugehen. Das war es immerhin, was ihr die Stimmen geraten hatten.
 

...

... ...

... ... ...
 

San Francisco. Vier Jahre früher (Erd-Zeit)
 

Debrah drehte das kalte Wasser auf und wusch zunächst ihre Hände, in der Hoffnung, die Eiseskälte würde ausreichen, ihr die schlimmen Gedanken auszutreiben. Sie tat es nicht.

Als nächstes fing sie, so gut es ging, das kühle Nass mit den Handflächen auf und rieb sich über Stirn, Wangen und Hals, doch alles wurde nur noch schlimmer. Als sich Debbie im Spiegel langsam in ihrem eigenen Blick verlor, begann die Realität um sie herum sich langsam aufzulösen.

Nach und nach fielen in dem gekachelten langen Korridor die Lichter aus, bis nur noch eine einzige funktionierende Lampe, direkt über ihrem Kopf, den Platz um sie herum erhellte. Debbie konnte kaum glauben, was sie sah. Das merkwürdige Schauspiel hatte etwas Beängstigendes an sich. Viel mehr jedoch, als die Geschehnisse um sie herum, fürchtete die junge Frau, ihren Verstand zu verlieren. Als sie ihre Hände wieder senkte, nahm die Illusion weiter ihren Lauf.

Sie blickte nun nicht mehr in das Gesicht der Frau, die vor wenigen Augenblicken das Bad betreten hatte, nein, vor ihr Stand in ganzer Pracht die Debrah Lillard, die gerade das College geschmissen hatte, um ihrem Traum nachzugehen. Voller Selbstbewusstsein in den funkelnden Augen. Makellos in jeder Hinsicht: jünger, besser und weniger ... Mutter.

Wie viel Zeit in diesem Zustand des bloßen Starrens verging, vermochte Debbie nicht zu sagen, als ihr Alter Ego schließlich zu sprechen begann.
 

„Wo schaust du hin?“ Kein Wort drang aus der Kehle der älteren Debbie. „Warum so verwundert? Du siehst nichts, was du nicht schon einmal gesehen hättest! Du blickst in deine eigenen Augen Debbie, auf den eigenen Körper, das eigene Gesicht!“
 

„Was?“, hauchte die ungläubige Frau.
 

„Oder schaust vielleicht gar nicht du in den Spiegel, sondern ich?“ Die falsche Debbie spielte unaufhaltsam weiter ihr Spiel. „Ein Mensch, der sich danach sehnte zu wissen, was die Zukunft für ihn bereit hielt. Nun sehe ich es. Klar und deutlich. Und ich schäme mich dafür ...“
 

„W-warum tust du das?“, Debrahs Stimme klang heiser.
 

„Du hattest ein Ziel, Debbie! Eine klare Vorstellung davon, wie dein Leben verlaufen sollte, doch du hast auf ganzer Linie versagt! Ich werde versagen ...“
 

„Du konntest nichts dafür!“, rechtfertigte Debbie die Handlungen einer Frau, die diese noch gar nicht getätigt hatte. „Du bist an den falschen Mann geraten. Er hat dich sitzen gelassen! Er hat deinen Traum zerstört!“
 

„Ist das so?“
 

„Ja!“ Die echte Debrah weinte bitterlich. Nicht um ihren Ex, den sie tatsächlich verachtete. Sie weinte, weil sie in Gedanken schon längst realisiert hatte, was sie als nächstes sagen würde. „Er und die Kinder haben dein Leben ruiniert. Sie haben dir alles genommen! Deine Kraft und deine Träume.“
 

„Wie schrecklich Debbie.“ Die heuchlerische Frau im Spiegel war dem Sieg nahe. „Sag: Kannst du mir helfen, meine Zukunft – deine Gegenwart – zu verändern?“
 

Debrah konnte sich vor Schmerz kaum mehr auf den Beinen halten. Sie wollte nicht glauben, was sie dem Mädchen im Spiegel gerade anvertraut hatte, und doch fühlte sie, tief in ihrem Innersten, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Dann fragte sie: „Wie?“
 

„Siehst du die Türe zu deiner Linken?“
 

Natürlich tat sie das.
 

„Ja ...“
 

„Die Tür zurück in deine Gegenwart, der einfache Weg, den du schon viel zu oft beschritten hast.“ Die falsche Debbie zeigte daraufhin mit dem Finger in die entgegengesetzte Richtung. „Siehst du auch die Tür dort drüben?“ Eines der zuvor erloschenen Lichter ganz am Ende des Bades sprang wieder an. Eine Tür war jedoch nicht zu erkennen, nur ein pechschwarzes Nichts inmitten perlweißer Fliesen. „Dieser Weg führt dich in ein neues Leben, frei von den Fesseln der Verantwortung!“
 

Debrah war längst zu sehr damit beschäftigt, sich für ihre furchtbaren Worte zu hassen, als dass sie noch die Kraft hätte aufbringen können, dem Mädchen im Spiegel zu widersprechen. Schritt für Schritt wagte sie sich in Richtung des Portals vor.
 

„Es tut mir so leid ...“
 

„Sei nicht traurig, mein Kind. Du beschreitest ein ganz neues Leben. Niemand in dieser Welt wird nach dir suchen, dich vermissen oder dir eine Träne nachweinen. So wirst du endlich wieder frei sein.“
 

Mit dem Wunsch irgendwann einmal aufrichtig an jene Worte glauben zu können, trat Debrah Lillard schließlich in das pechschwarze Portal ein. Ein letztes Mal noch wandte sie sich an ihr altes Leben, ohne zu erahnen, was sie auf der anderen Seite erwarten würde.
 

„Auf Wiedersehen Marie. Michael ...“
 

... ... ...

... ...

...
 

Viola hatte den Worten ihres trügerischen Abbildes, die sie in jener Nacht zu dem folgenschweren Schritt durch das Portal bewegten, fortan nie mehr große Bedeutung geschenkt. Nur in den ersten Nächten in der Festung sehnte sie sich nach der Heimat. Doch war es auch während der Gefangenschaft, dass sie sich eingestehen musste, tatsächlich einem Wunsch gefolgt zu sein. Dem Wunsch, ihr altes Leben hinter sich lassen zu können. Einem Leben, dem sie nie wirklich gewachsen war. Es waren die Gesichter ihrer Kinder, die sie noch lange verfolgen sollten. Ewig, wie ihr nun mehr und mehr dünkte.

Am Ende standen ihre unsäglichen Äußerungen, die sie ihr Leben lang nicht würde vergessen können. Nicht als Debrah Lillard und auch nicht als Viola. Neu war lediglich die Erkenntnis, betrogen worden zu sein. Was auch immer sie gefühlt oder gedacht hatte, so hatten die Dunkelelfen doch nicht das Recht, mit ihrer hinterhältigen Magie Ereignisse in Gang zu setzen, die die Waage ihrer Gefühle in eine bestimmte Richtung ausschlagen ließen. Es war damals nicht mehr allein ihre Entscheidung gewesen und somit auch keine wirklich ehrliche.

Ihrem Hass gegen die Dunkelelfen hatte sie in den sechzehn Jahren in Minewood bei jeder sich bietenden Gelegenheit Ausdruck verliehen. Wann immer Rettungsaktionen geplant worden waren, war sie die erste Volontärin – wie immer die Chancen auch standen. Nur alle anderen Gefühle wusste sie die meiste Zeit über zu verdrängen. Von Debrah Lillard hatte sie sich schon vor vielen Jahren ein für alle Mal verabschiedet. Die Erkenntnis, dass dies doch nur eine Trennung auf Zeit gewesen war, nahm Viola allen Mut.
 

„Weißt du eigentlich, was es mit dem Portal auf sich hat, Aarve?“, begann sie nachdenklich zu erzählen.
 

„Was genau meinst du?“, fragte der Finne.
 

„Ich meine, was tatsächlich dahinter steckt. Davon hat dir in Vyers bestimmt noch niemand erzählt, oder?“
 

„Die haben mir gar nichts erzählt.“
 

„Hätte mich auch gewundert.“ Viola sah ihrem Begleiter nicht ein einziges Mal in die Augen, während sie mit ihm sprach. Sie hatte stets ein wachsames Auge auf die Umgebung und dabei keinen Blick übrig für Aarve. „Die Geschichten der Menschen ähneln sich sehr. Die, die auf die andere Seite übergetreten sind, ereilte ihr Schicksal stets in Momenten der Verzweiflung. Viele haben sich so stark nach Veränderung gesehnt, dass das unwirkliche Portal ihnen wie das Erhören ihrer Gebete erschienen sein muss. Einige wünschten sich sogar den Tod herbei und meinten, in der unendlich scheinenden Leere dieses Etwas die Nachwelt gefunden zu haben, auf eine romantischere Art und Weise, als den Freitod; du verstehst?“
 

„Schon, nur worauf willst du hinaus?“ Aarve wirkte nach Violas Ausführungen merklich angespannt. Die Erzählungen der meisten ähnelten zweifellos seiner eigenen Vergangenheit. „Willst du meine Geschichte hören? Läuft es darauf hinaus?“
 

„Keine Sorge, ich will dir nichts entlocken“, beruhigte ihn die in braunes Leder gehüllte Assassine. „Für die meisten ist es also ganz so, wie du gesagt hast: Minewood ist immer noch besser als die Erde.“ Einen Moment lang schwieg Viola. Dann fügte sie hinzu: „Doch wie schwer wiegt unsere eigene Schuld wirklich? Wie sehr wog unser eigener Einfluss der Entscheidung wohl bei – wie sehr der fremde?“
 

„Dazu fällt mir auch nichts ein“, wich Aarve den höchst philosophischen Fragen seiner Begleiterin aus. „Ich stehe jedenfalls zu dem, was ich gesagt habe.“
 

Viola musste lachen. Vielleicht wollte Aarve sie nicht verstehen, vielleicht war er aber auch einfach noch nicht lange genug in jener Welt gefangen, sodass er immer noch glauben konnte, er wäre freiwillig hier. Sie entschloss sich letztlich, es darauf beruhen zu lassen. Für jetzt.
 

„Danke“, sagte sie, noch immer mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen.
 

„Du bedankst dich? Wofür?“
 

„Einfach dafür, dass du mir zugehört hast“, erklärte Viola dem verblüfften jungen Mann. „Das habe ich ... vermisst.“
 

Das sonst so blasse Gesicht des Finnen bekam plötzlich sichtbar Farbe, wofür sich Aarve in seiner Überraschung nicht mal schämte. Die netten Worte Violas trafen ihn so unvorbereitet, dass er zunächst keinen klaren Gedanken fassen konnte – so lange schon war es her, dass ihm Ähnliches widerfahren war. Vier Jahre in Minewood ... mehr noch auf der Erde.
 

___________________________________________________________
 

Sie alle schliefen mittlerweile. Dafür hatte Miraaj gesorgt. Auch Peter, den es tatsächlich wach gehalten hatte, schenkte sie schließlich den wohlverdienten Schlummer. Es war bewundernswert, wie sehr er sich für diese Menschen aufopferte, wo er sie doch kaum kannte.

Die Augen der Dunkelelfe waren auf Eva gerichtet. Miraaj wusste nicht viel über sie, obschon sie in wenigen Sekunden alles hätte in Erfahrung bringen können, was ihr beliebte. Die Verlockung war durchaus existent, doch entschied sich die Magierin zunächst gegen jenes Prozedere. In dem Zustand, in dem sich das Mädchen befand, wäre es sogar noch falscher gewesen, als ohnehin. Was Miraaj schon bekannt war, sollte zudem ausreichen, eine Entscheidung treffen zu können.

Eva war sein Grund, weiter zu machen. Peter begriff das selbst vielleicht noch gar nicht, doch seit seiner ersten Begegnung mit ihr, zog ihn die Faszination hin zu dem Mädchen. Ob es vielleicht Liebe war, oder nicht, spielte dabei gar keine Rolle. Sie war der rote Faden, dem er durch die Wirren jener fremden Welt willig gefolgt war, die Antwort auf seine Fragen, in gewisser Weise. Mehr sogar, als Miraaj selbst es hätte sein können.

Und so hatte sie es längst beschlossen, ganz für sich allein.

Miraaj war hier, um dem Schicksal vorzugreifen, und sie war sich durchaus darüber im Klaren, welche Konsequenzen dies nach sich ziehen würde. Welches Risiko es aber auch immer mit sich brachte, sie war nur allzu bereit, es einzugehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  blacksun2
2009-09-05T05:51:38+00:00 05.09.2009 07:51
Hi

Wow, also bei solchen Geschichten auf animexx spar ich mir echt ein Buchkauf, weil von der Qualität gibt es da keinen Unterschied
Deine Geschichte platzt ja fast über von großartigen und manchmal auch sehr bewegenden und sehr nachdenklich machenden Sätzen, die du geschickt formulierst und in den Text einbaust

Die verschiedenen Persönlichkeiten deiner Geschichte beeindrucken mich jedes Mal aufs Neue
Die Szene, wo Miraaj Peter sagt, was sie in ihm sieht, also irgendwie hab ich da fast ne Gänsehaut bekommen, die war klasse (eine von vielen wunderschönen, emotionalen Stellen in deiner Story)

Ich hoffe auf ein Happy End für jeden von ihnen, denn sie haben es alle verdient

Oh Gott die armen Kinder von Viola, das ist ja grausam, die müssen sich ja total im Stich gelassen fühlen, weil sie denken, die Mami ist abgehauen
Ob sie jemals ihre Mutter wieder sehen, oder ob sie den Kampf gegen ihre Krankheit verloren haben?
(Inzwischen dürften sie ja selbstständige, erwachsene Menschen sein, die aber ihre Mutter für etwas hassen, woran sie im Grunde gar nicht Schuld ist, oder doch?)

also ich hätt Jin am liebsten geweckt, er ist am Ende seiner Suche und kriegt es nicht mal mit

ich versteh Peter, dass er sich so gegen die Vorstellung wehrt der Auserwählte zu sein, immerhin bedeutet das eine Menge Verantwortung und auch Hoffnung, die auf seinen Schultern liegen, aber ich bin überzeugt, dass er, was auch immer seine Aufgabe ist, sie erfüllen wird

*ein wenig besorgt um Miraaj sei* so sehr ich auch für Evas Rettung bin, ich hoffe das bedeutet nicht den Tod einer anderen

glg


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