Schuldgefühle
Joey Wheeler lief unruhig über den Krankenhausflur, vom Fenster zur Bank und wieder zurück.
Draußen war es längst so dunkel, dass sich sein Gesicht in der Scheibe spiegelte. Strähnen seines blonden Haares hingen im ins Gesicht, seine Auen waren vom vielen Weinen rot geworden. Joey wandte sich ab, ging zur Bank zurück. Doch es war ihm unmöglich, still sitzen zu bleiben.
Eine Tür öffnete sich, die Ambulanzschwester erschien. Joey schnellte herum. “Wird er durchkommen?”, frage er flehend.
Die Schwester betrachtete ihn voller Mitleid, zuckte jedoch mit den Achseln. “Wir wissen noch nichts, Mr. Wheeler. Sie operieren noch.”
Joeys Kinn begann zu zittern. Er verschränkte die Hände, trieb sich die Fingernägel in die Haut, ohne es zu spüren. Wenn Seto sterben würde, wäre es seine Schuld. Er würde bis an sein Lebensende daran denken müssen. Und er hätte es verdient!
“Setzen Sie sich doch”, meinte die Schwester, auf deren Brusttasche der Name Yuriko stand. Sie hätte jetzt eigentlich dienstfrei gehabt, doch dieser verzweifelte junge Mann, der wie sie selbst ungefähr 25 war, tat ihr Leid. Sie fasste sanft Joeys Ellenbogen, dirigierte ihn zur Bank. Joey ließ sich folgsam nieder, vornüber gebeugt, das Gesicht in den Händen.
“Bitte, bitte, lieber Gott”, flüsterte er inständig. “Bitte lass ihn leben. Gib mir eine Chance, damit ich alles wieder gutmachen kann.”
“Aber es war doch nicht Ihre Schuld.” Schwester Yuriko hatte sich neben Joey gesetzt. “Der andere Fahrer hat zugegeben, dass seine Ampel Rot zeigte. Er wurde bei dem Unfall nur leicht verletzt.”
Joey putzte sich die Nase, dann sah er die Schwester mit tränennassen Augen an. “Seto ist ein guter Autofahrer. Wenn wir uns nicht gestritten hätten, hätte er vielleicht noch rechtzeitig gebremst.”
Schwester Yuriko schwieg. Es war nicht ihre Art, Leute auszufragen. Die Schuldgefühle dieses Mannes hatten sicher einen triftigen Grund.
Wieder wurde Joey von Weinkrämpfen geschüttelt. “Ich hab ihm gesagt, dass ich ihn hasse”, stammelte er und fuhr sich durchs Haar. “Dass ich ihn verlassen will. Aber das stimmt doch gar nicht! Und jetzt kann ich es nicht mehr zurücknehmen.”
“Die Ärzte tun ihr Bestes”, versuchte Yuriko ihn zu trösten. “Ihr Freund hat eine Chance ….”
“Aber unsere Beziehung vielleicht nicht!”, unterbrach Joey sie trotzig.
Die Krankenschwester sah nachdenklich auf die grauen Kacheln, in denen sich das Flackern einer defekten Neonröhre spiegelte. “Ein Unfall rückt vieles in ein anderes Licht.”
Joey hob den Kopf. “Ja, das stimmt”, murmelte er. “Glauben Sie, dass Seto mir verzeihen wird?”
Seine Gesprächspartnerin hob stumm die Hände. Woher sollte sie das wissen? Doch nach ihrer Erfahrung betrachteten Menschen, deren Leben einmal ernstlichen Gefahr gewesen war, vieles mit anderen Augen.
Manche warfen Ballast über Bord und fingen von vorne an, andere wiederum lernten erst richtig zu schätzen, was ihnen zuvor viel zu selbstverständlich gewesen war.
Der Mann neben ihr schien ein wenig Hoffnung zu schöpfen. “Wissen Sie”, begann er zögernd, “ich war rasend eifersüchtig. Seto ist nämlichen sehr gut aussehender Mann und die Männer stehen auf ihn …”
Auf einer Party, so erfuhr Schwester Yuriko, hatte Joey beobachtet, wie ein attraktiver junger Mann mit Seto flirtete. “Er hieß Kenya und hat ihm sogar seine Telefonnummer auf eine Serviette geschrieben. Später rief er ein paar mal bei uns an.”
“Und Ihr Freund?”, fragte Yuriko.
“Wie hat er reagiert?”
“Er hat felsenfest behauptet, dass er nichts von ihm will.”
“Glaubten Sie ihm nicht?”
“Doch. Nein. Ach, ich weiß nicht.”
Joey seufzte. “Ich hatte irrsinnige Angst, ihn zu verlieren. Es war wie eine fixe Idee. Jedes Mal, wenn Seto länger gearbeitet hat, geriet ich in Panik.” Um sich für diese Qualen zu rächen, traf Joey sich öfter mit Kai, einem Arbeitskollegen. Das wiederum brachte seinen Freund auf die Palme. “Heute Nachmittag haben wir uns furchtbar gestritten. Seto wollte wissen, ob ich ihn mit Kai betrüge. Ausgerechnet in diesem Moment rief auch noch Kenya an und Seto säuselte regelrecht ins Telefon. Da hab ich ihn angeschrieen: Geh doch zu ihm! Ich verlasse dich sowieso!”
Nachdem Joey aus der Villa gestürmt war, hatte sich Seto ins Auto gesetzt, um ihn zu suchen. Gleich an der ersten Ampel war dann der Unfall passiert.
“Ich will nicht mehr weiterleben, wenn er stirbt”, flüsterte Joey.
Yuriko legte behutsam den Arm um ihn. Beide schauten auf, weil nun eine junge Ärztin in der Tür erschien. Ihr Gesichtsausdruck ließ Yuriko spontan aufatmen. Joey jedoch saß da wie erstarrt.
“Mr. Wheeler? Ihr Freund ist jetzt wach. Sie können kurz zu ihm”, sagte die Ärztin.
“Wie schlimm ist es?”, wollte Joey wissen, der hektisch aufgesprungen war.
“Es sah wesentlich schlimmer aus, als es dann tatsächlich war”, erwiderte die Ärztin. “Genaueres kann Ihnen der Oberarzt sagen.” Sie hielt einladend die Tür auf, durch die Joey mit einem Aufatmen verschwand.
Setos Augen unter dem Kopfverband waren geschwollen; trotzdem leuchteten sie auf, als Joey eintrat. Er wollte auf ihn zustürzen, stoppte aber erschrocken ab. Ganz vorsichtig berührte er seine linke Hand, die ebenfalls bandagiert war. “Liebster! Ich hatte solche Angst um dich!”
Seto grinste schief. “So schnell wirst du mich nicht los, mein Schatz.”
Joey lächelte vor Glück; er hatte ihm also verziehen. “Du, es war nichts mit Kai”, beteuerte er ernst.
“Und ich will immer noch nichts von Kenya.” Seto stricht mit der rechten Hand zärtlich eine Haarsträhne aus Joeys Stirn. “Wir sind einfach nur ziemlich dumm gewesen, oder?”
Joey nickte stumm, aber unendlich erleichtert. Und schon wieder flossen die Tränen …
Finito, Ende!!!!
Meine erste Fanfic, hoffe jemand liest sie *kulleraugenbekomm*