Erschütternde Erkenntnisse von Varlet ================================================================================ Kapitel 17: Abgehört -------------------- Alles lief wie in Zeitlupe ab: Jodie lief langsam an ihm vorbei, raus aus dem Zimmer. Er hatte versucht ihren Arm zu greifen, bekam ihn aber nicht mehr zu fassen. Im nächsten Moment hörte er das Schlagen der Haustür. Nun musste er die Trümmern beseitigen und den Tatsachen ins Gesicht sehen: Sie kannte die Wahrheit. Zuerst hoffte er, sie würde ihn nur ein weiteres Mal testen, aber sehr schnell wurde er eines besseren belehrt. Sie wusste, dass er log, dass er ein Agent und sein einziges Ziel die Zerstörung der Organisation war. Während ihres Treffens, hatte er kein einziges Mal bemerkt, dass sie die Wahrheit kannte. Sie benahm sich wie immer – bis zu dem Moment wo sie ihn von sich stieß. Mit einem Mal war alles anders. Ohne mit der Wimper zu zucken, zog sie ihre Waffe und richtete sie auf ihn. Und auch wenn er ruhig geblieben war, gingen ihm die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Er hatte sogar ein wenig Angst. Akai versucht mit ihr zu reden, ihr die Wahrheit zu sagen, aber sie wollte nicht hören. Und dann fing sie an zu weinen. Stumm und verletzt. Es brach ihm beinahe das Herz sie so zu sehen. Aber was konnte er schon tun? Er war es, der ihr das antat. Wenige Sekunden danach war alles vorbei. Noch immer hatte er die Situation nicht gänzlich realisiert und stellte sich die gleichen Fragen: Woher wusste sie, dass er ein Agent war und sich in die Organisation einschlich, um diese zu Fall zu bringen? Hatte er einen Fehler begangen und sie auf seine Spur gebracht? Hatte sie die ganze Zeit über etwas geahnt und weiterhin heimlich gegen ihn ermittelt? Oder war alles nur ein großer Zufall? Akai ballte die Faust. Sein Lebenslauf als Dai Moroboshi war von mehreren Personen beim FBI perfekt ausgeklügelt worden und beruhte auf Halbwahrheiten. Wenn es nicht anders ging, konnte er sich mit seiner falschen Identität identifizieren und die gleichen Schlussfolgerungen ziehen. Er hörte auf seinen falschen Namen und ließ seine Vergangenheit hinter sich. Nachdem die Organisation auf ihn aufmerksam wurde – Akemi sei Dank – erledigte er jeden ihrer Aufträge mit Bravour und voller Zufriedenheit. Selbstverständlich erkannte er die vielen verschiedenen Testszenarien und die Organisation wäre dumm, würden sie ihn von Anfang an wie ihres gleichen behandeln. Mit der Zeit lernte er ein Mitglied nach dem anderen kennen und bekam ihr Vertrauen geschenkt – zumindest sollte es den Anschein machen. Während ihrer Zusammenarbeit waren sie gezwungen einander zu vertrauen und auf sich aufzupassen, aber hieße es Er oder Du würde sich jeder für sich selbst entscheiden. Es war normal, dass sie einem Neuling nicht so schnell blindlings vertrauten, aber er würde sich hocharbeiten und irgendwann die Drahtzieher kennenlernen. Irgendwann. Jetzt schien alles vorbei zu sein. Seine Arbeit zerbrach zu einem Scherbenhaufen. Aber nicht nur seine Arbeit war der Gefahr ausgesetzt. Akai hatte früh gelernt, dass die Organisation keine Zeugen hinterließ. Mit seinem Leben würde es möglicherweise auch bald vorbei sein. Leider war Jodie schwer einzuschätzen. Noch wenige Minuten zuvor hätte er geschworen, dass niemand aus der Organisation die Wahrheit kannte, aber jetzt? Und wem hatte sie von ihrer Entdeckung erzählt? Eigentlich war Jodie kein Mensch, der spontan oder aus purem Affekt handelte, aber sie war voller Enttäuschung. Und eines wusste Akai ganz genau: Enttäuschung und Verrat zogen Rache mit sich. Und wollte man Rache handelte man nicht immer rational. Verletzter Stolz machte Menschen anfällig für Fehler, aber auch für erfinderische Ideen. Und er wusste nicht, zu was Jodie noch alles in der Lage war. Der FBI Agent biss sich auf die Unterlippe und begab sich in den Flur. Er schlüpfte in seine Schuhe und griff nach seiner Jacke. Er lief aus der Wohnung und sah sich auf der Straße um. Jodies Wagen war nirgends zu sehen. War sie allerdings ohne Auto unterwegs, wäre die Chance groß sie einzuholen. Wenn er nur wüsste, welchen Weg sie gegangen war. Es gab drei unterschiedliche Möglichkeiten den Wohnblock zu erreichen. Die erste führte zu einer befahrenen Straße mit Bushaltestelle. Die anderen beiden lotsten einen immer tiefer in den Wohnkomplex und nach mehreren Ecken und Gassen kam man auch dort zur Straße. Die Chance, dass sie direkt zur Bushaltestelle lief, war groß. Aber Akai kannte sie und wusste, dass sie nicht nur eine Wohnung bewohnte. Wenn sie sich zu seiner Überprüfung in der Nähe einquartiert hatte, würde er sie nicht so schnell finden. Der FBI Agent musste der Wahrheit ins Gesicht blicken: Jodie war weg und er in Gefahr. Doch er würde nicht einfach nur rumsitzen und auf sein Ende warten. Er würde handeln und sich für das Äußerste bereit machen. „Verdammt“, murmelte Akai leise. Sein Boss wäre nicht glücklich über die neusten Ereignisse. Aber wer konnte es ihm verdenken? Auch Akai ärgerte sich maßlos darüber. Aber vielleicht war es für Schadensbegrenzung nicht gänzlich zu spät. Er zog aus seiner Jackentasche ein Handy heraus. Es war ein älteres Modell und gehörte zu seinem Leben als FBI Agent, was hieß, dass es abhörsicher war. Akai wählte die Nummer seines neuen Kollegen. „Wir müssen uns treffen“, fing er an. „Bahnhof Shinjuku, in einer Stunde“, fügte er hinzu und legte auf. Mit schnellen Schritten machte sich Akai wieder auf den Weg in seine Wohnung. Im Schlafzimmer angekommen, packte er eine Tasche mit wichtigen Utensilien. Er würde vorbereitet sein, sollte es zum Äußersten kommen und auch dann, wenn er verschwinden musste. Eine Stunde später saß Shuichi auf einer Bank am Bahnsteig und beobachtete den einfahrenden Zug. Menschen stiegen aus, Menschen stiegen ein. Einige versuchten im letzten Moment ihren Anschluss zu bekommen, andere blieben enttäuscht stehen. Mit dem Fuß tippte er nervös auf dem Boden – was eigentlich nicht seine Art war. „Entschuldigen Sie die Verspätung“, murmelte Agent Camel und setzte sich neben ihn. „Mhm…“, gab Akai von sich. „Wurden Sie verfolgt?“, wollte er wissen. Auch wenn er es nicht offen sagte, hielt er Camel für einen Grünschnabel, jemanden, der noch nicht allzu viel Erfahrung mit verdeckten Einsätzen oder Operationen außerhalb der Basis hatte. „Nein“, antwortete Camel sofort. „Ich bin extra zweimal einen Umweg gefahren…nur um sicher zu gehen.“ Er lächelte. „Mir ist keiner gefolgt.“ Akai nickte. „Sie weiß Bescheid.“ Camel sah ihn irritiert an. „Was? Sie haben es ihr gesagt?“, fragte er sofort. „Wie kommen Sie nur dazu...?“ Er versuchte seine Aufregung zu unterdrücken und merkte erst spät, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren. „Ich habe es ihr nicht gesagt“, entgegnete Akai. „Sie hat es selbst herausgefunden und mich vorhin damit konfrontiert. Wie sie es herausfinden konnte, weiß ich nicht.“ Akai verschränkte die Arme. „Das Problem ist, dass ich nicht weiß, was sie jetzt machen wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie es Niemanden erzählt hat, aber…Sie sollten sich auf das Schlimmste gefasst machen und Ihre Koffer schon mal packen.“ Camel schluckte. „Ich…“, murmelte er leise. „Ich glaube…ich…es könnte…meine Schuld sein“, gestand er. Akai verengte die Augen. „Wie meinen Sie das? Was haben Sie mit Jodie zu tun?“ Agent Camel seufzte leise auf. „Ich habe nicht nur den Auftrag bekommen, Ihr Kontaktmann zu werden. Ich sollte auch…Jodie beobachten. Sie hat es allerdings bemerkt…aber ich habe mich als Verehrer ausgegeben. Es tut mir leid…ich habe wirklich gedacht, dass sie mir geglaubt hat…ansonsten hätte ich es Ihnen schon lange erzählt.“ Akai sah auf den Boden. Jetzt ergab alles einen Sinn. „Jodie wurde seit ihrer Kindheit in der Organisation darauf trainiert, dass der Feind überall lauert. Sie vermutet hinter jeder Person jemanden, der ihr etwas antun will. Von dem Moment, wo sie Sie bemerkt hat, hatten Sie keine Chance mehr.“ Camel schluckte ein weiteres Mal. „Es ist…meine Schuld“, wisperte er. „Aber ich weiß trotzdem nicht…wie sie herausfinden konnte, dass wir zusammen arbeiten. Seitdem ich sie getroffen habe, hatten wir weder persönlichen noch telefonischen Kontakt miteinander.“ Akai wurde hellhörig. „Toilette, sofort!“ Blitzartig stand Akai auf und machte sich auf den Weg zu den Kabinen. Überrascht folgte ihm Camel. „Was haben Sie vor?“, wollte er wissen. „Hatten Sie die gleichen Sachen an, als Sie Jodie trafen?“ Camel schüttelte den Kopf. „Nur die Jacke.“ „Dachte ich es mir doch“, sagte der FBI Agent und suchte die Jacke seines Kollegen ab. In der Jackentasche wurde er schließlich fündig. „Was machen Sie da?“ „Gefunden“, kam es von Akai. Er hielt seinem Kollegen die kleine Wanze hin. „Sie hat Sie abgehört.“ Shuichi warf das Abhörgerät auf den Boden und trat drauf. „Das habe ich mir bereits gedacht. Jodie hat Ihnen die Geschichte des Verehrers von Anfang an nicht geglaubt und Ihnen daher die Wanze untergejubelt. Wenn Sie danach mit Black über die Arbeit telefoniert haben und mein Name fiel, wird sie es mitbekommen haben.“ Camel machte den Mund auf. Es kam kein Wort über seine Lippen. „Bleiben Sie locker“, entgegnete Akai ruhig. „Jetzt ist es eh zu spät.“ „Ich…ich…“, stammelte Camel. „Ich weiß nicht…wann sie…ich habe auf alles geachtet…wirklich…sie hatte…“ „Lassen Sie es gut sein“, sprach Shuichi. „Wie schon gesagt, Jodie ist geübt im Umgang mit potentiellen Feinden. Sie haben Glück, dass sie Ihnen nur diese Wanze unterjubelt hat. Es hätte bei Weitem schlimmer kommen können. Zum Beispiel könnten Sie jetzt mit den Fischen schwimmen.“ „Sie nehmen das ja leicht“, gab Camel leise von sich. „Die Frau weiß…wer Sie sind.“ „Das mag sein, aber die Frage ist, ob sie es jemanden erzählt hat. Wenn nicht, würde ich mich mit spontanen Handlungen verdächtig machen. Ich kann also nicht verschwinden. Allerdings sollten Sie zurück in die USA reisen.“ „Ich…ich muss Black anrufen.“ „Wenn es das ist, was Sie wollen…“ Akai steckte die Hände in die Hosentaschen. „Sagen Sie ihm, dass ich meinen Auftrag nicht abbrechen werde. Ich kenne die Gefahr, aber ich muss trotzdem mit Jodie reden.“ Vermouth saß an ihrem Küchentisch und aß einen Keks. Sie legte ihre Kopfhörer vor sich hin und schrieb eine Notiz auf einen Zettel. Die Schauspielerin schmunzelte. „Jetzt bin ich gespannt was du als Nächstes tust, Jodie“, sagte sie ruhig und schloss die Augen. Bereits bei ihrem zweiten Treffen mit Jodie installierte sie eine besondere Software auf deren Handy. Ihr Boss machte sich Sorgen und gerade zum Jahrestag von Jodies Entführung, ließ er die Amerikanerin genauestens Überwachen. Je älter Jodie wurde, desto größer wurde die Gefahr, dass sie nicht mehr für die Organisation tätig sein wollte. Durch das aufkommende Interesse an Dai Moroboshi wurden aber auch die Sorgen von Vermouth immer größer. Männer hatten bereits in der Vergangenheit einen großen Einfluss auf eine Frau. Würde er von Jodie verlangen, zusammen die Organisation zu verlassen, würde keiner ihre Reaktion vorhersehen können. Es war zudem normal, dass jedes Mitglied bespitzelt wurde. Jeder kannte die Software auf den Telefonen, die jedes Gespräch aufzeichnete. Allerdings wussten nur die wenigen, dass die Techniker der Organisation an neuen Technologien forschten. So hatten sie erst vor Kurzem eine Software entwickelt, die das gesprochene Wort aufnahm, wenn man nicht telefonierte. Sie nahm wenig Speicherplatz ein, besaßen kein Bildschirm-Icon und die Aufnahmen wurden auf einem separaten Telefon gespeichert. Jeden Abend hörte Vermouth die Dateien ab und bereitete sich genauestens auf die Treffen mit Jodie vor. Aber nicht nur das: Sie erfuhr jede Neuigkeit und die Wahrheit über Dai Moroboshi. Vermouth leckte sich über die Lippen, als ihr Telefon klingelte. Sie nahm das Gespräch entgegen. „Chris hier“, sprach sie. „Hast du Neuigkeiten für mich?“ Anokata. Der Boss. „Alles wie immer“, entgegnete Vermouth. „Sie haben Jodie noch immer nicht gefunden“, log sie. „Sehr gut“, entgegnete der Boss ruhig. „Behalte sie trotzdem im Auge. Ich möchte kein Risiko eingehen. Mein Informant in den Staaten hat bestätigt, dass das FBI auch in diesem Jahr nach ihr gesucht hat. Dieser Black lässt einfach nicht locker.“ „Das dachte ich mir“, sagte Chris ruhig. „Durch die Pressekonferenz und meiner Ankündigung mit der Schauspielerei aufzuhören, habe ich sie überrascht. Ein paar Agenten stehen immer noch vor dem Haus, wo ich angeblich wohne“, fügte sie an. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe alles unter Kontrolle. Wenn sie Jodie hier finden, werde ich mich höchstpersönlich darum kümmern.“ „Ich möchte dieses Mal, dass du keine Fehler machst.“ Vermouth verdrehte die Augen. „Du weißt was ich meine“, gab er von sich. „Du hättest das Kind damals nicht mitnehmen dürfen. Sie ist ein Risikofaktor.“ „Und doch hat sie einige Aufträge für uns erledigt.“ „Sollte etwas schief gehen, bin ich bereit ihr Leben ohne mit der Wimper zu zucken, zu opfern.“ „Natürlich“, entgegnete Chris. „Wir sprechen uns ein anderes Mal.“ Er beendete das Gespräch. Vermouth grinste. „Sicher“, sagte sie süffisant in den Hörer. Es wird bald interessant werden, sprach sie zu sich selbst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)