Erschütternde Erkenntnisse von Varlet ================================================================================ Kapitel 15: Aufgeflogen ----------------------- Vermouth beobachtete Jodie und schmunzelte. „Hab ich was im Gesicht?“, wollte die Amerikanerin wissen. Vermouth schüttelte den Kopf. „Mit deinem Gesicht ist alles in Ordnung“, begann sie. „Ich hab nur das Gefühl, dass du so verändert wirkst.“ „Mhm?“ Jodie sah sie überrascht an. „Wenn sich jemand verändert hat, dann doch wohl eher du. Bei dir kann man ja mit allem rechnen, aber dass du dir hier gleich eine Wohnung kaufst…selbst mich hat das überrascht.“ Jodie blickte durch den Raum. Die Einrichtung hatte mehr gekostet als das, was sie in sechs Monaten verdiente. „Irgendwann muss man ja sesshaft werden“, gab die Schauspielerin von sich. „Zwar hat das Leben im Hotel seine Vorteile, aber irgendwie fühlt man sich doch beobachtet, wenn man kommt und geht.“ Jodie nickte. „Das verstehe ich. Dann willst du hier jetzt länger bleiben?“ Vermouth lehnte sich nach hinten. „Ich habe lange darüber nachgedacht“, sagte sie. „Und ich glaube, ich mach es mir hier wirklich gemütlich...zumindest für eine Zeit. Und wenn ich die Wohnung nicht mehr brauche, kannst du sie haben.“ „Ich würde mich freuen, wenn du bleibst“, antwortete Jodie. „Und was hast du wegen der Schauspielerei vor?“ „Das ist kein Problem“, entgegnete Vermouth. „Ich hab genug angespart. Wenn es danach geht, müsste ich nie wieder arbeiten. Und wenn es doch Angebote gibt, leitet mein Manager die weiter. Vermutlich werde ich auch hier ein paar kleine Rollen annehmen. Also mach dir um mich mal keine Sorgen. Und jetzt…“ Sie funkelte sie an. „…genug der Ablenkung. Kommen wir wieder zu dir. Was hat sich in den letzten Wochen geändert?“ „Mhm?“ Jodie sah sie überrascht an. „Was meinst du mit geändert?“ „Du wirkst einfach so verändert. Sonst warst du immer nachdenklich und verunsichert. Heute aber bist du…fröhlicher und ausgeglichener.“ „Mhm…? Ist das so?“, murmelte Jodie fraglich. „Keine Ahnung…ist mir wohl noch gar nicht so wirklich aufgefallen.“ Chris beobachtete sie. „Eine meiner besonderen Fähigkeiten ist es genau zu wissen, wann etwas im Busch ist. Und bei dir ist definitiv etwas im Busch. Also? Erzählst du es mir freiwillig oder muss ich tiefer bohren?“ Sie dachte gespielt nach. „Fangen wir mit einer leichten Frage an. Erzähl mir doch mal von Dai. Was macht er so?“ „Dai?“ Jodie grübelte. „Er hat seine letzten Aufträge mit Bravour gemeistert. Wie ich mitbekommen habe, soll er jetzt das Scharfschützenteam verstärken.“ „Wirklich?“ Vermouth kicherte. „Dann werden sich unsere drei Freunde ja freuen.“ „Höre ich da ein wenig Spott heraus?“ „Nur ein kleines bisschen“, schmunzelte die Schauspielerin. „Aber vielleicht spornt es die Drei an.“ Jodie nickte. „Was hast du eigentlich für Probleme mit den Dreien?“ „Ich? Gar keine.“ Jodie sah sie skeptisch an. „Und das soll ich dir glauben?“ „Na gut…wenn du so fragst…Calvados mag mich und würde mir jeden Wunsch erfüllen. Das ärgert Chianti, weil sie Calvados mag. Naja und Korn…der mag Chianti und weil sie mich nicht mag, mag er mich auch nicht…purer Kindergarten, wenn du mich fragst. Aber soll mir recht sein, solange ich meine Aufträge erfüllen kann.“ „Du nimmst das ja locker“, murmelte Jodie. Vermouth zuckte mit den Schultern. „Was soll ich sonst machen? Ich muss ja auch sehen, wo ich bleibe. Hoffen wir mal, dass sich Dai ihnen nicht anpasst und nicht genau so negativ wirkt. Das wäre gar nicht gut für seinen Charakter.“ „Ach was…“, winkte Jodie ab. „Dai wird sich schon nicht verändern, nur um ihnen zu gefallen. Das ist einfach nicht seine Art.“ „Ach ja?“ Chris schmunzelte. „Du scheinst ihn ja mittlerweile recht gut zu kennen. Wo bleibt denn deine sonst passive Haltung ihm gegenüber?“ „Die hab ich abgelegt“, antwortete Jodie. „Ich glaube, du hattest recht. Ich wollte die ganze Zeit irgendeinen Fehler finden, den es gar nicht gibt. Wahrscheinlich wollte ich einfach nicht wahrhaben, dass Akemi zufällig jemanden gefunden hat, der so gut zu uns passt. Aber wie ich schon gesagt habe, er hat jeden Auftrag mit Bravour durchgeführt und sich nichts zu Schulden kommen lassen. Also habe ich entschieden, dass ich nicht weiter nachhacken werden.“ Vermouth sah sie interessiert an. „Ach wirklich?“ Sie begann zu Grinsen. „Du bist also nicht mit ihm ins Bett gestiegen?“ Jodie wurde etwas verlegen. „Wie kommst du auf diese Idee?“, wollte sie wissen. Sie redete zwar gern über ihre Aufträge, aber ihre privaten Angelegenheiten wollte sie am liebsten geheim halten. „Mhm? Ja…wie nur? Ich würde mal sagen, weil sich dein Verhalten ihm gegenüber so verändert hat. Außerdem…“ Sie schmunzelte. „…habe ich mir Sorgen um dich gemacht und ihn daher auch ein wenig beobachtet. Ich wollte sichergehen, dass du dich nicht in Gefahr gibst. Und was musste ich feststellen? In den letzten Wochen habt ihr euch recht häufig getroffen und ihr habt die Wohnung des anderen erst am nächsten Morgen wieder verlassen.“ Vermouth lächelte süffisant. „Wenn ihr nicht miteinander im Bett wart, was habt ihr dann die ganze Nacht gemacht?“ „Du…du hast uns…gesehen?“, fragte Jodie leise. Sie zögerte. „Und…weiß das auch…“ „Keine Sorge, es weiß sonst niemand. Du weißt doch, Geheimnisse sind bei mir sicher“, antwortete sie. „Dann stimmt es also? Du und Dai?“ „Ähm…naja…was soll ich dazu sagen…? Wahrscheinlich hattest du recht, als du meintest, dass ich Interesse an ihm habe.“ „Gut, hab ich es mir doch gedacht“, grinste sie. „Und? Wie ist er so?“ „Chris!“ „Was denn? Das ist eine berechtigte Frage. Ich muss doch wissen, ob du in guten Händen bist.“ Jodie überlegte gespielt. „Sagen wir es mal so…wir können seit ein paar Wochen die Finger nicht voneinander lassen.“ „So so…aber solange du dich nicht in ihn verliebst, kannst du tun und lassen was du willst.“ „Mach dir keine Sorgen. Ich weiß, dass Gefühle verboten sind. Und außerdem…habe ich nicht solch ein Interesse an ihm.“ „Gut. Dann hab weiterhin deinen Spaß mit ihm.“ Sie zwinkerte ihr zu. Jodie zog die Jacke enger an sich und lief die Straße entlang. Ihr Blick blieb bei dem etwas korpulenteren Mann haften. Den hab ich doch irgendwo schon einmal gesehen… Sie schüttelte den Kopf und betrat ein kleines Geschäft. Dort stöberte sie in der Auslage und ging mit einigen Sachen in die Umkleide. Sie zog sie nach einander an und betrachtete sich im Spiegel. „Ja, das nehm ich“, sagte die Amerikanerin zu sich selbst und trennte den Stapel in die Ablage Kaufen und Nicht Kaufen. Anschließend zog sie sich wieder um und ging zum Bezahlen an die Kasse. Draußen streckte sie sich und schlenderte den Weg weiter. Hab ich es mir doch gedacht. Der Einkauf war eine Möglichkeit um die Veränderung der Umgebung wahrzunehmen und sich auf die Situation einzustellen. Jodie bog in eine Straße und blieb stehen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete einen Moment. Sobald der korpulentere Mann ihr folgte, fixierte sie ihn mit ihrem Blick. „Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“ Jodies Stimme war tief und streng. Agent Camel erschrak. „Ich? Ich will nichts von Ihnen. Sie haben da etwas…falsch verstanden“, versuchte er die Situation mit Stammeln zu retten. „Ich wollte gerade in den Laden da hinten.“ Camel wies auf das Sportgeschäft. Jodie sah dorthin. „Aha…dann ist es nur ein Zufall, dass Sie mich die ganze Zeit über beobachtet haben? Und in den letzten Tagen habe ich Sie auch mehrfach in meiner Nähe gesehen. Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Sie sollten eine Sache wissen: Ich glaube nicht an Zufälle“, entgegnete sie und steckte die Hände in die Jackentasche. Camel schluckte. „Ich…“ Er sah resigniert nach unten. „In Ordnung, ich sage Ihnen die Wahrheit. Aber Sie dürfen mich nicht verurteilen. Ich kann da wirklich nichts dafür.“ „Dann lassen Sie mal hören“, kam es von Jodie. Camel atmete tief durch. „Sie sind mir schon vor einigen Tagen in meinem Lieblingsdiner aufgefallen. Ich habe hier noch nicht viele Ausländer gesehen und da dachte ich…naja wie soll ich sagen…“ Camel sah betroffen auf den Boden. „Ich dachte…ich könnte Sie etwas näher kennen lernen…Eigentlich…habe ich versucht den Mut aufzubringen…Sie zu fragen, ob wir einen Kaffee trinken…wollen. Ich weiß ja, ich bin kein Athlet…aber ich bin ein netter Kerl.“ Jodie sah den Agenten überrascht an. „Sie wollen mich kennen lernen?“, fragte sie ungläubig. Agent Camel nickte. „Ja…ich weiß…wahrscheinlich bin ich nicht Ihr Typ…aber ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn Sie mir eine Chance geben würden. Nur einen Kaffee...“ Die Amerikanerin blieb trotzdem skeptisch. „Mhm…“ Sie musterte ihn. Es konnte gut angehen, dass er tatsächlich Interesse an ihr hatte. Aber trotzdem konnte Jodie die Geschichte nicht gänzlich glauben. Sie hatte viele Geschäftsmänner um ihr Vermögen gebracht und besaß immer noch die pikanten Aufnahmen. Und auch wenn die Organisation jene Personen umbrachte, die damit drohten die Polizei aufzusuchen, konnte es immer noch jemanden im Geheimen geben. Vielleicht war der Mann, der ihr gegenüber stand, von einem ihrer Opfer geschickt worden und sollte nun ihre Schwachstelle herausfinden. Jodie konnte es nicht riskieren, musste aber die wahren Hintergründe in Erfahrung bringen. „Es tut mir wirklich leid“, begann Jodie ruhig. Camel seufzte. „Das muss es nicht.“ Er hob beschwichtigend die Hände nach oben. „Ich bin es gewohnt, abgewiesen zu werden…naja…wenigstens habe ich es versucht…und kann mir nichts vorwerfen. Jetzt…werde ich mich nicht immer fragen, was wäre wenn…“ „Tut mir wirklich leid“, entgegnete Jodie ruhig. „Sie werden schon jemanden finden. Aber jetzt müssen Sie mir nicht mehr nachlaufen, ja?“ Der Agent nickte sofort eifrig. „Natürlich…ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Jodie lächelte gespielt. „Danke.“ Sie ging an ihm vorbei. „Und bitte nehmen Sie mir die Abfuhr nicht übel“, fügte sie hinzu und schob eine kleine Wanze in seine Jackentaschen. Camel blickte ihr irritiert nach. „Oh man“, sagte er zu sich selbst und ließ den Kopf hängen. Er hatte es ein weiteres Mal vermasselt und wurde bei seiner Beschattung entdeckt, aber wenigstens konnte er sich herausreden. Dennoch seufzte der Agent und machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung. Hoffentlich würde sie Akai nichts davon erzählen. Jodie steckte sich derweil einen Kopfhörer ins Ohr und ging auf direktem Weg nach Hause. Der arbeitet bestimmt für eines meiner Opfer. Vielleicht ein Privatdetektiv, der sich gerade erst selbstständig gemacht hat oder ein übereifriger Polizist, sagte sie sich selbst. Ich bin mal gespannt, was ich alles mitbekomme. Sie schmunzelte und betrat ihre Wohnung. Jodie legte ihre Tasche auf den Boden im Flur und ging in ihr Wohnzimmer. Aus dem Schrank zog sie ein Weinglas sowie einen Rotwein heraus. Jodie schenkte sich großzügig ein und setzte sich auf das Sofa. Sie schloss ihre Augen und lauschte den Schritten ihrer neuen Zielperson. Eigentlich mochte die Amerikaner keine Beschattungen. Sie dauerten immer lange und man konnte nebenbei nichts anderes machen. Im Fernsehen wurden sie immer spannender dargestellt, als es die Realität hergab. Aber warum beschwerte sie sich? Sie saß zu Hause im Warmen und wenn ihr Glück sie nicht verließ, hatte sie heute noch ihre Antwort. Jodie gähnte herzhaft. Nicht einschlafen, befahl sie sich selbst. Das Klingeln eines Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Jodie öffnete sofort die Augen und realisierte, dass sie das Handy des Mannes hörte. Jetzt wird’s interessant, dachte sie. „Agent Camel, hier.“ Jodie wurde hellhörig. Agent? Ein Agent? In Japan? Sie runzelte die Stirn. Hatte er möglicherweise Urlaub oder war sein Aufenthalt aus einem bestimmten Grund gewesen? Sie verengte die Augen. Hatten andere Länder von der Organisation Wind bekommen? Oder waren sie in Wahrheit hinter Chris her? Camel seufzte. „Es tut mir leid, Sir. Sie hat meine Anwesenheit bemerkt“, begann Camel. „Aber ich konnte mich herausreden. Sie glaubt, ich hätte mich ein wenig in sie verguckt. Ich bin mir sicher, sie hat meine wahren Absichten nicht bemerkt“, erzählte er. Für einen Moment herrschte Stille. „Agent Akai wird seinen verdeckten Einsatz weiterhin ausüben können. Er hat sich seit meiner Kontaktaufnahme vor einigen Wochen nicht mehr gemeldet. Ich vermute, dass seine Tätigkeiten bei der Organisation der Grund dafür sind. Allerdings…“ Camel brach für mehrere Sekunden ab. „…ich mache mir Sorgen um ihn. Ich habe bereits in der Vergangenheit mit ehemaligen verdeckten Agenten zu tun gehabt. Einige von ihnen konnten Realität und Einsatz nicht mehr unterscheiden. Ich mache mir Sorgen, dass er zu sehr in seiner Rolle als Dai Moroboshi aufgeht.“ Ich mache mir Sorgen, dass er zu sehr in seiner Rolle als Dai Moroboshi aufgeht. Jodie hörte den Satz ein weiteres Mal in ihren Gedanken. Sie ließ ihr Glas mit dem Wein auf den Boden fallen. Agent Akai. Dai Moroboshi. „Dai…“, wisperte Jodie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)