Erschütternde Erkenntnisse von Varlet ================================================================================ Kapitel 3: Ankunft in Japan --------------------------- Eine Woche war eigentlich viel zu wenig Zeit um sich für diesen Auftrag vorbereiten. Shuichi aber nahm die Herausforderung liebend gerne an. Nur so konnte man wachsen. Sein Vorgesetzter – James Black - hatte das Ziel klar und präzise definiert. Akai sollte sich – falls es sie wirklich gab - in die Organisation der Männer in Schwarz einschleusen und dort Informationen sammeln. Wenn es machbar war, sollte er an die hohen Tiere der Organisation herankommen, auch wenn er dafür gegen seine Moralvorstellungen verstoßen musste. Der Auftrag war ohne eine zeitliche Frist angesetzt gewesen. Natürlich würde der FBI Agent nicht von heute auf morgen eine Spur finden. Agierten sie zu schnell, zögen sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Es musste langsam von Statten gehen – auch wenn sich Akai für diese Zeit von allen Freunden und Bekannten verabschieden musste. Offiziell wurde der FBI Agent Shuichi Akai an einen anderen Standort versetzt, während er in Japan als Dai Moroboshi tätig war. Das FBI hatte lange an der Hintergrundgeschichte von Dai Moroboshi gesessen. Die Person, die sie kreierten, durfte nicht zu perfekt sein. Er musste Ecken und Kanten haben. Und dafür würde der Agent selbst sorgen. Die letzten Tage hatte er damit verbracht sich das Profil seiner Scheinidentität einzuprägen und dessen Handlungen nachzuvollziehen. Dai Moroboshi hatte einiges mit ihm gemeinsam, aber es gab auch sehr viele Unterschiede. Sie hatten beinahe die gleichen Vorlieben und Abneigungen. Dai war wie er 28 Jahre alt, ein guter Schütze und trank gerne Bourbon. Aber die Unterschiede waren gravierender. Dai besaß keine Geschwister und auch keine intakten Familienverhältnisse. Er war Einzelkind – soweit er wusste und im Kinderheim aufgewachsen. Über seine leiblichen Eltern war nichts bekannt. Er hatte sich aber auch nie für diese interessiert. Zudem besaß Dai nur die japanische Staatsangehörigkeit, war aber schon mehrfach im Ausland gewesen. Dai hatte nur eine normale Schulbildung genossen – kein Studium, keine Weiterbildungen. Sein weiteres Wissen hatte er sich angelesen. Zudem hatte Dai seit er 16 Jahre alt war verschiedene Nebenjobs durchgeführt - vom Tellerwäscher bis zum Maler und noch vieles mehr. An Erfahrung mangelte es ihm somit nicht. Zudem war Dai kein Kind von Traurigkeit. Dispute regelte er gern mit seinen Fäusten. Wurde jemand auf ihn aufmerksam, verschwand er oder ließ das Opfer als Sündenbock dastehen. Später wurde Dai Moroboshi von den Selbstverteidigungsstreitkräften angeworben. Diese stellten die japanischen Streitkräfte dar, die nach Ende des zweiten Weltkrieges und nach der Besatzungszeit aufgebaut wurden. Gemäß Artikel 9 des Verfassungsgesetzes war es Japan untersagt eine Armee zu unterhalten, da diese auf Krieg als ein Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten verzichten müssen. Allerdings durften die Japaner bewaffnete Streitkräfte zur Selbstverteidigung ihres Landes rekrutieren. Dai war mehrere Jahre für die Streitkräfte tätig, ehe er sich für den Ausstieg entschied. Es war seine eigene Entscheidung und offiziell war ihm die defensive Haltung der Streitkräfte ein Dorn im Auge. Seit diesem Zeitpunkt hielt sich Dai mal hier, mal da auf. Er blieb nie lange an einem Ort und wenn es ihm langweilig wurde, verschwand er. Sein Lebenslauf war löchrig und mit weiteren Nebenjobs gespickt. Vorwiegend hielt er sich auf dem Schießübungsplatz auf und arbeitete an seiner Treffsicherheit. Durch einen Bekannten von James Black - der ihm einen Gefallen schuldete - wurde Dai Moroboshi offiziell ins japanische System eingespeist. Seinen Führerschein würde er in wenigen Wochen per Post an seine neue Wohnung geschickt bekommen. Ebenso verhielt es sich mit der Krankenversicherungskarte. Während dieser Zeit musste Akai unbedingt die Füße still halten und durfte keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ein falscher Schritt und seine falsche Identität wäre aufgeflogen. Wer wusste schon, wie viel Macht die Männer in Schwarz besaßen? Wenn Sie erwischt werden, wird das FBI alles leugnen. Man wird Sie als Sündenbock benutzen. Ihre Karriere können Sie dann vergessen. Shuichi dachte an die Worte seines Vorgesetzten. Etwas anderes hatte er nicht erwartet. Aber sie waren ihm einen Schritt voraus. Unter Dais Namen hatten sie eine Wohnung gemietet und Geld auf das gefälschte Konto transferiert. Die Bankkarte würde er hoffentlich in seinem Briefkasten finden. Parallel dazu hatte er alle wichtigen Unterlagen aus den Staaten mitgenommen und würde sie an einem sicheren Ort aufbewahren. Die Miete für seine Wohnung in den Staaten trug das FBI, während sein Gehalt auch weiterhin überwiesen wurde. Nur im äußersten Notfall würde der FBI Agent mit dieser Karte Geld abheben. Vor seinem Abflug hatte James ihn erneut instruiert und gefragt, ob er wisse, worauf er sich einließe. Trotz der aufrichtigen Sorge in der Stimme seines Vorgesetzten, ahnte er, dass das FBI etwas vor ihm verbarg. Sie gingen viel zu geplant vor, besonders in Angesicht der kurzen Zeit. Es musste mit dem Fall von Agent Starling in Verbindung stehen. Shuichi hatte im Archiv des FBIs herum geforscht und die alten Akten gefunden. Sie waren alle von James erstellt worden – nur von ihm. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sein Partner Agent Starling das Attentat nicht überlebte. Aus den Berichten ging hervor, dass alle gesammelten Unterlagen bei dem Brand des Hauses vernichtet wurden. Es war nichts mehr übrig, was auf die Organisation der Männer in Schwarz hinwies. Keiner wusste, was Agent Starling noch alles herausgefunden hatte. Black hatte zwar alle Treffen sicherheitshalber dokumentiert, aber nichts Belastendes dabei festgestellt. Kein Wunder, dass das FBI wieder bei null war. Oder nicht? Nach dem Attentat wurden lediglich Mutmaßungen angestellt. Nicht einmal die Spurensicherung konnte noch feststellen, ob eingebrochen wurde oder ob die Familie den Täter ins Haus ließ. Es wurden zwei Leichen gefunden. Eine im Badezimmer – Mrs. Starling und eine im Wohnzimmer – Agent Starling. Anhand der Position des Körpers und der verbliebenden Gegenstände befand sich der Agent zum Zeitpunkt seines Todes im Arbeitszimmer. Nachdem die Böden dem Feuer nicht mehr stand halten konnte, verschob sich der Tatort nach unten. Allerdings wiesen beide Leichen Einschussstellen. Nach Aussage der Spurensicherung mussten Agent Starling und seine Frau nicht leiden. Sie waren unverzüglich tot. Aber keiner wusste, was mit der Tochter der Familie passiert war. Ihre Leiche wurde nicht gefunden. Es blieb offen, ob sie dem Feuer entkommen konnte und draußen umher irrte oder ob sie von dem Attentäter mitgenommen wurde. Mehrere Teams hatten die Gegend nach dem Mädchen durchsucht, in Krankenhäusern, bei der Polizei und sogar in Kinderheimen und beim Jugendamt nachgefragt. Alles erfolglos. James Black hatte selbst jahrelang nach dem Kind gesucht. Nach einem Jahr war die Suche auf ganz Amerika ausgeweitet worden und danach auf das nähere Ausland. Parallel hatten die Techniker Bilder von Jodie in unterschiedlichen Altersstufen angefertigt, diese aber auf Anweisung von Black und zum Schutz des Kindes wieder vernichtet. Es schien, als hätte sein Vorgesetzter die Suche noch immer nicht aufgegeben. Wer konnte es ihm verdenken? Sie war die Tochter seines Partners. Die einzige Überlebende des Massakers. Und solange keine Leiche gefunden wurde, bestand noch Hoffnung. Müsste er ihren Fall kurz und knapp beschreiben, wäre sie eine Art Schrödingers Katze. Akai kannte das Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger aus seinem Studium. In diesem Szenario befand sich in einem geschlossenen Kasten eine Katze sowie ein instabiler Atomkern in Form eines radioaktiven Präparates. Sobald eine Strahlung freigesetzt wurde, löste ein Detektor in Form eines Geigenzählers die Freisetzung von Giftgas aus. Solange man aber nicht in den Kasten hinein sah, konnte die Katze beide Zustände haben – tot oder lebendig. Damit wollte Schrödinger seinerzeit quantenmechanische Zustände beschreiben. Hätte Akai mehr Zeit gehabt, hätte er sich den Fall von damals noch genauer angesehen. Aber die Vergangenheit durfte die Zukunft nicht beeinflussen. Er musste sich auf das hier und jetzt konzentrieren. Und das hieß: Die Männer in Schwarz zu infiltrieren. Shuichi beobachtete die Menschenmenge. Vor allem die Touristen liefen wie aufgeschreckte Hühner von einer Seite auf die andere. Dass sie vorab noch durch die Zollabteilung am Flughafen mussten, schien ihnen vorher nicht bewusst gewesen zu sein. Es war Jahre her, seitdem der FBI Agent seiner Heimatstadt einen Besuch abstattete. Und dennoch beschlich ihn das Gefühl, dass sich nichts verändert hatte. Trotzdem musste er aufpassen, dass er seinem Bruder nicht zufällig in die Arme lief. Aber er hatte vorgesorgt und sich bereits online über den Stadtteil, in dem Shukichi lebte, informiert. Mit Glück würde er die Begegnung umgehen können. Ansonsten müsste er sich eine Ausrede einfallen lassen und hätte mit Pech seine Mutter und Schwester auch noch hier. Shuichi folgte der Menschenmenge nach draußen und stellte sich an die Bushaltestelle. Er beobachtete das rege Treiben und musste über das Handeln der potentiellen Touristen nur den Kopf schütteln. Während die Einheimischen erst die Insassen des Busses ausstiegen ließen, versuchten sich die Touristen sofort rein zu zwängen. Es war eine typische Handlung aus dem Westen. Angst, dass man sonst nicht mitgenommen wurde. Er zahlte sein Ticket und hievte seinen Koffer in den Bus. Viel durfte er nicht mitnehmen. Das notwendige würde er nachkaufen und je nachdem, um was es sich handelte, die Rechnung dem FBI weiter leiten. Shuichi setzte sich nach hinten und schloss die Augen. Jetlag. Er hasste es, aber er konnte im Flugzeug einfach nicht schlafen. Jetzt zeigte sich sein Fehler. Er würde entweder jetzt oder später in der Wohnung in einen komatösen Tiefschlaf fallen und mitten in der Nacht aufwachen. Beinahe hätte er seinen Ausstieg verpasst. Akai sprang hoch, schnappte sich seinen Koffer und verließ den Bus. In seiner Eile hatte er die junge Frau beinahe umgerannt – passend zu seinem Profil als Dai. „Entschuldigung“, sie verbeugte sich und stieg in den Bus. Shuichi nickte, beobachtete aber ihren Weg durch den Bus, ehe dieser abfuhr. Er verengte die Augen. Das war sie also. Seine Cousine. Akemi Miyano. Akai kannte ihr Gesicht von Bildern her. Sie aber jetzt in der Realität zu sehen, hatte schon etwas Eigenartiges an sich. Sie war Familie und doch so unbekannt. Der Zufall sprengte seinen Plan. Eigentlich wollte er sie erst in einem Monat treffen. Aber vielleicht würde sie sich auch gar nicht mehr an ihn erinnern. Shuichi schüttelte den Kopf. Er durfte sich nicht zu viel Gedanken machen. Keine Ablenkung. Es war einfach nur ein glücklicher Zufall – mehr auch nicht. Akai nahm den Koffer und zog diesen zu dem Wohnblock. Vor der Haustür blieb er stehen und studierte die Namen der anderen Mietparteien. Er betätigte die Klingel zur Wohnung des Hausmeisters. „Ja, bitte?“, ertönte es. „Moroboshi“, fing Akai an. „Kommen Sie rein.“ Shuichi hörte den Summton und drückte die Wohnungstür auf. Die Tür zur Hausmeister-Wohnung ging unverzüglich auf und ein Mittvierziger blickte ihn an. Er musterte ihn und ging Sekunden später auf den Agenten zu. „Das sind Ihre Schlüssel. Sie müssen mit dem Fahrstuhl zur vierten Etage hoch fahren. Wenn Sie mit irgendwas Probleme haben, stehe ich zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung.“ Akai nickte und steckte den Schlüsselbund ein. Er ging auf den Aufzug zu und betätigte den Knopf. Als die Aufzugstur aufging, stieg er ein und fuhr nach oben. Shuichi sah sich auf dem Flur um. In jeder Etage wohnten drei Parteien. Die Wohnungen rechts und links schienen größer zu sein – für Familie. Die mittlere Wohnung war für alleinstehende Personen gedacht. Es machte ihm nichts aus, immerhin würde er nur zum Schlafen und gelegentlich zum Schreiben der Berichte herkommen. Akai schob den Schlüssel am Bund in das Schloss und betrat seine neuen vier Wände. Das FBI hatte dafür gesorgt, dass sie bereits möbliert und auf einen Mann seines Alters zugeschnitten war. Shuichi ließ seinen Koffer im Flur und sah sich dann um. Auf der linken Seite lag das Badezimmer. Klein, aber passabel und mit Dusche. Auf der rechten Seite war ein kleiner Abstellraum mit Sicherungskasten. Langsam schlüpfte der Agent aus seinen Schuhen und betrat den großen Wohnraum. Direkt zu seiner Linken fand er die Küche vor. Shuichi öffnete die Schränke und den Kühlschrank, während er im Kopf bereits eine Einkaufsliste zusammen stellte. Der allgemeine Wohnraum war sehr groß bemessen. In der Hälfte des Raumes gab es eine Trennwand, die ihm bis zur Hüfte reichte. Die eine Seite der Wand war mit einem Schreibtisch und Stuhl ausgestattet. Auf der anderen Seite befanden sich die Wohnwand mit Fernseher sowie eine Sofaecke mit Tisch. Von dort kam man in das kleine Schlafzimmer. Bett und Schrank. Ausreichend für den FBI Agenten. Shuichi war sich sicher. Hier würde er es noch einige Zeit aushalten können. Er leckte sich über die Lippen. Der Auftrag hatte begonnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)