Zerbrochener Spiegel von Technomage (für Tsche) ================================================================================ Paranoides Paradies ------------------- Seit ich vierzehn bin, mache ich Menschen so wenig wie möglich glücklich. Utilitarismus vice versa. Am Anfang war ich wohl noch ein Kind, das handelte, wie es ihm richtig erschien oder vielleicht einfach tat, was ihm Spaß machte. Doch mit der Zeit entwickeln "Abnormalitäten" bekanntermaßen eine gewisse Eigendynamik. Seit zum ersten Mal mit dem Finger auf mich gezeigt wurde, suche ich nach dem Fleck auf meiner Schale, den der Rest der Welt nicht versteht. Je älter ich werde, desto weiter wandern meine Augen von der Schale tiefer ins Fleisch meiner Seele. Ich habe auf dem Weg einige Eigenarten und viel Widerwärtiges gefunden, doch auf einen Fremdkörper bin ich nie gestoßen. Nichts, was mir nicht entspricht. Doch je mehr ich von meinem Inneren, von mir selbst sehe, desto fremder wird mir die Außenwelt. Heute fällt es mir schwer die Realität so wahrzunehmen, wie sie von der Mehrheit empfunden wird. An Anerkennung einer scheinbar vernünftigen, geschweige denn gesetzlichen Ordnung gar nicht zu denken. Wenn ich versuche zu etwas in der Welt Bezug zu nehmen oder es zu berühren, dann fühlt es sich an, als läge eine dicke Schicht geschmolzenes Glas zwischen mir und der Materie. Eine zähe Masse, durch die ich alles erkennen kann, aber empfinde, als liefen meine Nervenenden irgendwo in der Dunkelheit unter meiner Haut ins Leere. Ich weiß nicht genau, ob ich krank bin, aber die Zeit ist lange vorbei, als Mum und Dad beim Abendessen darüber gelacht haben, dass ich meine Matheaufgaben mit Fingerfarben über den ganzen Klassenraum verteilte. Ich fand meine Lösung damals ausgesprochen intelligent und das war sie auch für einen Zehnjährigen. Nur nicht jeder schmiert sie wohl deshalb an die Wände. Es war bei mir wie bei jeder Familie, wenn die Söhne sie verlassen und nie wieder zurückkehren werden. Die Mütter weinen bitterliche Tränen und die Väter schütteln in standhafter Verzweiflung die Köpfe. Gott trägt schwarz. Nur dass ich nicht in den Krieg gezogen bin, sondern immer noch im Eckzimmer unterm Dach wohne und wir gemeinsam beim Abendessen sitzen. Mein Vater war kein schlechter Mensch, aber wenn ich ihm in die Augen sah, dann ist darin etwas unendlich Trauriges und ein Mitgefühl, das ich nicht verstand. Das Schlimmste war es seinen Blick immer verletzlicher und ratloser werden zu sehen, je mehr ich ihm zeigen wollte, dass ich unabhängig war und er sich nicht darum scheren musste, wer oder was sein Sohn ist. Ich verstand nicht einmal selbst, wer ich bin. Es war einige Monate her, dass mein Vater mir mein Leichenhallenleben vermittelte. Er hoffte wohl, dass es mich "kurieren" würde. Ich hatte versucht, ihm Schemen meiner Gedanken und meiner inneren Leere zu beschreiben. Als ich ihm die Bilder zeigte, die ich nachts zeichnete, um meine Gefühle irgendwie in dieser Welt zu verankern, verriet sein Blick mir, dass er mich nicht mehr ganz ernst nahm. Er hielt es wohl für die Anwandlungen eines Siebzehnjährigen, der zu wenig unter Menschen geht, und mein Vater war schon immer ein Anhänger der "Schocktherapie" gewesen. So landete ich in meinem Pförtnerhaus der Leichenhalle, weil es angeblich Zeit für mich wäre, das Geld zu verdienen, das ich zum Fenster hinauswarf. Leider blieb die gewünschte "Reinigung durch Schrecken und Realität" aus und ich zog mich noch mehr in mich und die Dunkelheit zurück. Menschen fürchten nichts mehr als die Dunkelheit; niemand wird dagegen "resistent", auch ich nicht. Mir geht es wie fast jedem, der gegen die menschliche Natur in der Nacht lebt. Die Nacht umgibt mich wie ein Schleier, sie dämpft die Geräusche der Welt, ist weniger hektisch als der Tag und lässt den Gedanken mehr Weite, sich zu entfalten. Aber sie macht paranoid. Für jedes schimmernde Detail, um das sie unsere Sinne erleichtert, kommt eine Leerstelle in die Gedanken. Gedanken sind wie ein hyperaktives, hochbegabtes Kind, das spielen will und wenn es sich nicht wie tagsüber mit fraktaler Geometrie beschäftigen kann, dann wandert es durch die stockfinstren Flure seines Elternhauses und tritt Türen ein. Und dort wohnen mehr Ungeheuer, Dämonen, Engel und Scheusale als in den meisten klassischen Mythologien. Schließlich wurde jeder Gott und jeder Teufel einmal hier geboren. Nach jener Nacht wusste ich nicht, wie tief ich mich vergraben sollte, um mich von ihr abzulenken. Ihr Auge war überall. Irgendwann konnte ich sie neben mir atmen hören, wenn ich nachts wach lag. Ohne, dass sie jemals da gewesen ist - hoffe ich jedenfalls. Wenn ich schlief, schlich sie in meine Träume. Ich sah alles wie in einem Videospiel von Oben herab und war meine eigene Spielfigur: Ich war wieder vierzehn Jahre alt und meine Mutter hatte mich an einem verregneten Tag zum Spielen rausgeschickt. Ich hatte Angst und irrte orientierungslos umher, weil mir aus dem Nebel heraus gierig leuchtende Augen drohten. Aus dem Grau erschien ein alter Spielplatz vor mir. Ich stieß das verrostete Eisentor auf und trat auf den verwelkten Rasen. Der Trümmer-Spielplatz. Ich konnte sehen wie der Schriftzug in Videospiel-Manier auf dem Bildschirm aufleuchtete und gleichzeitig war ich mein vierzehnjähriges Selbst, für den die abgerissenen Schaukeln und der Sand voller Rostsplitter und Glasscherben Realität war. Meine "Spieler" - Hände fühlten, wie ich Controllertasten drückte, meine Statuswerte, mein Charakterlevel überprüfte und das Spiel speicherte, während mich der widernatürliche Anblick des Ortes Furcht einflößend traurig machte. Ich bewegte das Steuerkreuz und trottete vorwärts. Meine Kleidung hing durchnässt an mir und ich fror bitterlich. Ich drückte eine der Tasten, um mit der Rutsche zu interagieren. Die Rutsche war einmal ein kitschiger Plastikbau in Form eines aufgeplusterten Comic - Elefanten gewesen, auf dessen Rüssel man herunterrutschen konnte. Jetzt waren seine bunten Farben verbleicht und die wenigen übrigen Töne wirkten im Regen, als weine er seine eigene Farbe ab. Eines seiner großen, süßen Augen war herausgeplatzt und ließ eine Augenhöhle aus splittrigen Zacken zurück. Er war überall aufgerissen wie alte Haut und scharfkantig, doch sein heiles Auge strahlte immer noch verblasst fröhliche Herzlichkeit aus. Es war so abstoßend für mich, dass Mitleid und Traurigkeit kaum ausreichten, um diesen Anblick zu ertragen. Diesen Glücksfriedhof. Ich bewegte das Steuerkreuz, um auf den Elefanten zu klettern. Ein Stück rostiges Metall bohrte durch meinen Fuß und ragte zersprungen und rot aus meinem Schuh. Mein tiefrotes Blut hob sich gegen die graue Welt ab und sickerte den Rücken des Elefanten hinab, erfüllte den Sand und meinen Blick mit seiner Intensität. Ich wählte das Menü aus, um mir einen Heil - Gegenstand zu geben. Doch dann merkte ich, dass ich eins mit mir war und der Schmerz wurde realer. Das Spieler - Ich war verschwunden und ich war wieder allein ich selbst. Ich setzte mich auf den splittrigen Rücken des Monsters unter mir und weinte. Über das begrabene Glück. Über mein vergossenes Blut. Über den traurigen Elefanten. Über einfach alles, was nicht in Ordnung war. Und gar nichts war in Ordnung. Gefangen im Traumland eines traurigen Clowns. Da erschien Sie durch einen Tunnel aus weißem Nichts auf der anderen Seite des Spielplatzes, nahe der Schaukel mit den von Rost zerfressenen Ketten. Ich sah sie als kleines Mädchen im Sonntagskleid mit aufgeschürften Knien und rostigen Nägeln, die aus ihrem Armen ragten, wie sie mit einer langen, spitzen Schere in der Hand auf mich zu kam und zu mir hinauf sah. Ihre Augen waren groß und ausdruckslos, geschwollen vom Weinen und mit violetten Augenrändern. Sie passten nicht zu ihrem unwirklich breiten Lächeln. Als sie näher kam, verwandelte sie alles in eine Bleistiftskizze und ich spürte wie mein Gesicht zu rauen Linien wurde, weinte Tuschetränen. Doch sie tröstete mich und versprach mir ein Leben auf einem großen, weißen Mantarochen. Sie schwebte so nahe heran, bis ihre Augen genau in meine blickten und unsere Nasenspitzen sich fast berührten. Zwischen zwei Herzschlägen wurden ihre Augen zum Raubtierblick, der mein Blut gefrieren ließ. Ich schreckte in meinem Bett hoch und riss die Augen auf, um mich von diesem Alptraum zu befreien. Die Augen waren immer noch da. Vor mir. Es waren Raubtieraugen, das sagten jede meiner Zellen und alle Gedanken, obwohl sie groß, sanft und grau waren. Für einen Moment war Rauschen in meinem Kopf. Wie das Störbild eines Fernsehers. Dann sprang der Horror-PayTV-Sender wieder rein. Ich schrie. Niemand störte sich daran. Meine Eltern nicht. Sie waren es gewohnt, dass ich Nächte damit verbrachte immer wieder ein und dasselbe Lied laufen zu lassen und bei jeder Wiederholung den Lautstärkeregler ein kleines Bisschen höher zu drehen. Nur ein Schrei war kein Grund zur Sorge. Auch sie nicht. Sie saß auf mir und betrachtete mich weiter regungslos, als wäre nichts geschehen. Ich mich im nächsten Moment auch nicht mehr. Seltsamerweise. Es war wie Anteilnahme an der Absurdität der Situation. " Der Leichhallen-Boy und das blutige Porzellan-Girl". Ein neoklassisches Gemälde. Ich ließ mich auf die Realität ein und es fiel mir leichter als mich morgens auf die Existenz eines Klassenzimmers zu konzentrieren. Mein Geist tauchte in meinen Körper ein und vertrieb die Panik aus meiner Wahrnehmung. Ich sah sie und mich selbst. Ich stand unbeteiligt daneben und betrachtete wie ein Dritter die Szenerie. Vielleicht sollte ich besser sagen, ich stellte mir vor daneben zu stehen, aber es war wie ein natürlicher Wahrnehmungsprozess. Das Zimmer lag im Halbdunkel. Vielleicht drei oder vier Uhr morgens. Ich lag aufgerichtet, auf die Ellenbogen gestützt in meinem Bett. Die Decke war bis zu meinem Becken heruntergerutscht und ich sah meinen nackten schmalen Oberkörper. Aus dieser Perspektive kam ich mir tatsächlich etwas dürr und blass vor, wie Mum es immer behauptete. In meinem Blick las ich einen Ausdruck zwischen Wahnsinn und Unsicherheit. Mir war vorher nie bewusst gewesen, wie sehr meine Augen zuckten, wenn ich einem Blick standhalten wollte, obwohl ich Angst hatte. Sie saß mit angewinkelten Beinen auf meinen Oberschenkeln, ruhig und entspannt. Ich hatte das Gefühl, sie würde nicht einmal blinzeln. Sie trug eine viel zu saubere Schulinform mit noch viel kürzerem Minirock, wie ich sie aus schlechten japanischen Filmen kannte. Es erstaunte mich kaum, obwohl ich sicher war mitten in Amerika zu wohnen. Ihr Körper war zierlich und ihre Haare fielen wie ein Schleier um ihr ausdruckslos neugieriges Gesicht. Sie war genau so wie in meinen verschmierten Erinnerungen, nur weniger blutig und mörderisch. Der Geruch von Eisen lag in der Luft. Ich ließ die Szene eine Weile geschehen, den Film laufen. Einige Minuten, vielleicht eine Viertelstunde. Ich beobachtete mich und sie, doch keiner von uns beiden rührte sich. Nichts geschah. Sie saß dort, abwartend auf meine Reaktion. Ihr weißes Gesicht schien mir zu sagen: " Ich bin in dein Zimmer geklettert, habe mich hier hingesetzt und gewartet, dass du aus einem Alptraum aufwachst. Jetzt bist du dran. Tu etwas Unerwartetes!" Als ich darüber nachdachte, musste ich ihr zustimmen. Ich warf sie samt Decke wie in einem verzögerten Reflex vom Bett und sie fiel mit einem dumpfen Tone auf den Fußboden. Das schien mir dem Zusammenhang angemessen. Ich wartete. Das Bündel auf dem Boden räkelte sich und ihre Augen lugten mich an. " Aua." Ihre Stimme war monoton und unbeteiligt wie ein abgelesener Text. Keine Mimik, aber gerade deshalb fesselnder als jedes heulende Mädchen mit gebrochenem Herzen, denen ich schon lange nichts mehr abgewinnen konnte. Kein Gefühl, es war wie die manifestierte Intensität meiner emotionalen Leere. Ohne einen Farbkasten voller Meskalin waren mir Gefühle kalt und fern und seit sie mir begegnet war, wirkte keine Traummaschine und kein Farbenspiel mehr auf mich. Ihr Wahnsinn war stärker als jede Droge und erlaubte keine Ablenkung. In diesem Moment erschien sie mir wie ein eisiger Körper aus Stahl und ich wollte ich nichts mehr als sie an meine menschlich warme Haut zu drücken, bis Eisenkanten und Rasierklingen mich zerreißen würden und sie wie heißes Metall in mich hinein flöße, um das Nichts unter der Oberfläche zu füllen. Ich starrte sie wie gebannt an und in meinem Gehirn entbrannte eine wilde Überlagerung von Bildausschnitte, Melodiesekunden, Satzfetzen, die sich wie Farben vermischten zu Formen, Versen und grotesken Missgebilden. Während das Außen völlig ruhig und in kaltes Nachtlicht getaucht war, brachen in mir alte Krusten auf, erschütterten sich meine Nervenenden und erschütteten vergessene Gedanken und Ideen, völlig verdreht und nach nur einer Sekunde wieder sinnentleert, doch alles bebte und rotierte und erbrach sich weiter und formte einen Fluss aus oszillierenden Farbgespinsten und zerstückelter Geometrie. Design im Endstadium. Phantasie am Rande des Irrsinns, aber keine Spur Genialität am Horizont. Wie weiche Drahtbälle aus Augenblickstodgeburten schlug mein Innenleben an die Außenhülle, schabte an meiner Haut und schüttelte mich für Sekunden am ganzen Leib, als hätte ihn etwas in Schwingung versetzt. Ich stellte mir vor, von meiner Stirn herab bis zu meinem Bauchnabel bilde sich ein Riss aus Licht und das Gewirr aus Farbe, Ton und Form breche hervor. Alles würde wie eine Welle aus mir heraus in mein Zimmer schwappen und Broken würde mir gegenübersitzen, übergossen von einem Farbkasten, tropfende Strähnen und ein bunt verschmiertes Gesicht und mit Überresten meiner Gedanken im Haar und in ihrer Kleidung verfangen. Und sie würde lachen, von ganzem Herzen lachen und ich könnte nicht anders, als es ihr gleich zu tun. Doch meine Gedanken blieben in mir und ich blieb leer und mein Zimmer blieb steril und halbdunkel und ich konnte mir kein Wort abringen, mit ihr zu sprechen. Bis ich die Denkgerüste ausblendete. " Wer bist du?" Sie sah mich einige Sekunden an, als würde sie ihre Antwort wählen, öffnete dann ihren Mund einen Spalt breit, sodass ich ihre weißen, geraden Zähne sehen konnte, und verharrte so noch einen Moment, bis sie antwortete. " Ich bin zerbrochen." Ich spürte mich nicken, denn sie hatte es mit einer eigenartigen Selbstverständlichkeit gesagt. Ich war bereit den Fragebogen weiter durchzuspielen. " Warum bist du hier?" Sie legte den Kopf schief, so wie ich es selbst oft tat, wenn ich eine Frage überflüssig fand. " Weil ich dich gesucht habe." Sie lächelte schwach, nur für eine Sekunde. " Ich wollte dich wieder sehen." Es war ihr ernst, das spürte ich, aber ich war mir damals noch nicht sicher, was ich von der Sehnsucht eines solchen Wesens halten sollte. " Um mir endgültig die Haut von den Armen zu ziehen?" Meine Arme waren immer noch ordentlich verbunden, vielleicht weniger der Wunden wegen, denn sie waren besser verheilt, als es menschenmöglich war, sondern mehr, damit ich die Narben nicht ständig sehen musste. Sie entflammten nur allzu gerne meine Phantasie. " Ich weiß nicht." Sie zog sich die Decke auf die Schultern herab. Ihr Gesicht erinnerte mich an das einer nachdenklichen, altklugen Zehnjährigen. Für eine Sekunde zumindest. Es beruhigte mich zu wissen, dass ich seit Tagen mit einem Teppichmesser auf dem Nachttisch schlief, auch wenn ich nicht sicher war, ob er mir irgendetwas nützen würde. Ich beschloss, mich etwas weiter vorzuwagen. " Wie hast du es geschafft ein ganzes Pathologenteam abzuschlachten?" Sie wirkte überrascht. " Ich glaube, ich habe mich nur gewehrt." Ich musste grinsen. " Du glaubst?" Sie nickte. " Ja. Warum stellst du so viele Fragen?" Ich bewegte mich versuchsweise, um zu sehen, ob es sie dazu motivieren könnte, mich zu zerfleischen, doch sie blieb ruhig sitzen. " Wenn du bessere Fragen hast, frag' mich." Sie winkelte die Knie an und schlang ihre Arme darum. " Warum hast du mir geholfen?" Ich sah sie einige Zeit nachdenklich an, dann entschied ich mich dazu Zeit zu schinden, indem ich am Bettrand meine Hose suchte und sie anzog. Als ich beim Zuknöpfen angekommen war, fiel mir die einzig passende Antwort ein. " Es schien mir notwendig." Es war eine Antwort, mit der sich normalerweise kein Mensch zufrieden gab, aber sie nickte nur, fast als wollte sie mir zustimmen. Dann wurde ihr Blick durchdringender als zuvor. Ich wartete darauf, dass ihre Augen wieder gelb und räuberisch wurden, doch sie blieben groß und grau und sie gruben sich durch meine Augen tief in meine Nerven und Synapsen, um dort nach meinen Gedanken zu fischen. Sie sagte kein Wort, doch zwischen meinen Schläfen konnte ich Welle um Welle von Myriaden Fragen hören, die durch meine Gehirnströme spülten, um entweder etwas heraus zu waschen oder alles glatt wie Kiesel zu hinterlassen. Statt mich zu widersetzen oder dem Spuk mit meinem Verstand ein Ende zu bereiten, ließ ich mich mit der Strömung treiben und begann wahllos Fragen herauszugreifen und Rätsel entwirren. Es schien zu wirken, denn nach einiger Zeit legte sich die Flut wieder und floss wieder aus meinen Augen hinaus. Die Metapher war so real vor meinem geistigen Auge, dass mir einige Tränen übers Gesicht liefen. Langsam griffen meine Sinne wieder nach der Realität und ich merkte, dass viel Zeit vergangen sein musste, denn es war heller geworden und würde bald dämmern. Als ich zu Broken hinunter blickte, sah ich, dass ihr ebenfalls Tränen über die Wangen rannen. Doch sie schien es überhaupt nicht zu bemerken und sah mich nur ungläubig an. " Warum hast du nicht den Verstand verloren?" Ich konnte ihr ansehen, dass sie jetzt erst darüber nachdachte, was sie gerade gesagt hatte. " Neulich, meine ich, als du mich gefunden hast." " Woher willst du wissen, was ich gesehen habe?" Ich glaubte einen Anflug von Grinsen über ihr Gesicht huschen zu sehen. " Ich kann es mir vorstellen." Ich seufzte, denn mir fiel jetzt erst auf, dass es wohl tatsächlich die meisten Menschen zumindest in schwer traumatischen Schockzustand versetzt hätte, was ich in der Leichenhalle gesehen, geschweige denn getan hatte. " Wer weiß. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich nicht gern von meinem Verstand leiten lasse." Einen Augenblick konnte ich sehen, wie ihr Innenleben verarbeitete, was ich gesagt hatte, und dann lächelte sie schüchtern. Sie sah aus meinem Fenster nach Draußen und war im selben Moment auf den Beinen. Es war eine fließende Bewegung ohne Mühe. " Ich sollte jetzt gehen." Sie öffnete das Fenster und ich wollte sie nicht aufhalten, da sie es eilig zu haben schien. " Bis bald?" Mit schon einem Fuß auf dem Fenstersims, drehte sie noch einmal den Kopf zurück und lächelte. " Ja, bis bald." Seitdem bekam ich öfter nächtlichen Besuch von Broken und ich konnte mehr und mehr ein Kribbeln in meinen Armen spüren, als hätte sie sich durch die Narben in mich eingesät. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)