A light in the dark von -Raven- ================================================================================ Kapitel 1: ----------- 1 "SCHULDIG! Würdest du vielleicht so gnädig sein, uns mit deiner geschätzten Anwesenheit zu beehren?" Mit einem nicht besonders gut unterdrückten Fluch auf Deutsch strich sich der Telepath seine unglaubliche rote Mähne aus dem Gesicht. "Fick' dich, Crawford", murmelte er übellaunig. Er hatte eine lange Nacht hinter sich und wollte eigentlich nur noch schlafen... was, Crawfishs Tonfall nach zu urteilen, gerade in unerreichbare Ferne rückte. "Mastermind! Ich werde mich nicht wiederholen!" Was tust du, wenn ich jetzt nicht antanze? Muss ich dann ohne Abendessen ins Bett? Wütend schnippte er seine Zigarettenkippe über das Balkongeländer und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Brad schien der einzige zu sein, der wirklich Wert auf seine Anwesenheit legte; der irre Ire betrachtete fasziniert die Klinge seines neuesten Jagdmessers, und Nagi hackte auf seiner Tastatur herum. Es entging Schuldig nicht, dass die kleine Seuche sich möglichst nah bei Crawford positioniert hatte. Pestbeule. Betont gelassen ließ "Mastermind" sich auf die Couch fallen und schlug seine langen Beine übereinander. "Was ist denn so dringend, Braddy?" Augenblicklich verdüsterte sich das Gesicht des Amerikaners. Bingo. "Crawford", korrigierte der Schwarz-Leader kühl. "Du wirst heute mit Farfarello arbeiten. Mr Takatori wünscht eure Anwesenheit bei dem heutigen Empfang." Na toll. "Warum gehst du nicht hin? Ihr versteht euch doch so gut, du und Takatori." Wow. Das war doch mal ein im wahrsten Sinne des Wortes mörderischer Blick! Gerade noch rechtzeitig konnte der Rothaarige sich ein böses Kichern verbeißen. "Mr Takatori hat ausdrücklich nach dir verlangt. Außerdem haben Nagi und ich noch etwas zu erledigen." Klar. Die Pestbeule muss selbstverständlich mit. Wahrscheinlich geht der Kleine perfekt bei Fuß... Und überhaupt: Bodyguard für Takatori? Kein Mensch mit einem halbwegs gut entwickelten Geschmackssinn würde auch nur in Erwägung ziehen, dem Typen näher als zehn Meter zu kommen. Natürlich gab es Scharfschützengewehre - aber gegen die konnte ein Leibwächter auch nichts ausrichten. Es sei denn, er war Telepath und konnte den Attentäter spüren. Mist. Was den Iren anging... Farfarello war reichlich... nun ja... abseitig. Und eine solche Beurteilung ausgerechnet von Schuldig wollte schon etwas heißen. "Werde ich auch mal gefragt?" "Nein." "Aber..." "Ich werde keine Grundsatzdiskussionen mit dir führen, Schuldig. Tu, was ich dir sage." Das 'sonst' blieb unausgesprochen im Raum stehen. 'Tu, was ich dir sage, wenn du nicht wieder im Labor landen willst.' Und der Bastard meinte das durchaus ernst. Es war noch gar nicht so lange her - sechs, vielleicht sieben Jahre - da hatte er seine Drohung wahrgemacht. Und wer konnte schon wissen, ob Crawford ihn auch dieses Mal noch drei Wochen wieder 'nach Hause' holen würde? Jeder war ersetzbar, selbst ein überdurchschnittlich starker Telepath. Es war also wieder einmal an der Zeit, die Zähne zusammenzubeißen und zu schweigen... auch wenn ihm das angesichts von Nagis hämischem Grinsen ausgesprochen schwer fiel. "In Ordnung. Komm, Farfarello." "Warte. Ich möchte kurz mit dir sprechen. Unter vier Augen." Auch das noch! Jetzt kam vermutlich wieder die "Reiß dich gefälligst am Riemen, Schuldig"-Predigt. War ja nichts neues... "Von mir aus..." ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Es war also wieder einmal einer dieser Tage. Innerlich seufzend rückte Brad seine Brille zurecht und winkte Schuldig, ihm ins Büro zu folgen. Betont ruhig ließ er sich hinter seinem Schreibtisch nieder; der Telepath setzte sich demonstrativ auf die Fensterbank. Schon wieder einer dieser kleinen rebellischen Akte, die sich in letzter Zeit so häuften... "Was ist los mit dir, Schuldig?" Eine feingezeichnete rote Augenbraue wanderte in die Höhe. "Ich war in der Disco. Und jetzt bin ich müde. Ich hasse Takatori, und ich kann mir bei weitem schöneres vorstellen, als ausgerechnet mit Farfarello zusammen zu arbeiten." "Das meine ich nicht." "Sondern?" Der Amerikaner wusste nicht so recht, ob er sein Gegenüber jetzt lieber schütteln oder schlagen wollte. "Mastermind...", grollte er entnervt. Ein ernster Blick aus viel zu tiefen, viel zu blauen Augen traf ihn. "Ruf ihn nicht zu häufig - sonst kommt er wieder." Jeder hat mich gewarnt - Telepathen neigen zu Psychosen. Ich wollte davon ja nichts hören. Und jetzt habe ich den Salat. Schuldig spinnt mal wieder. Aber wenigstens hatte der Rothaarige dieses Mal noch nicht angefangen, im Plural von sich selbst zu sprechen... Wie viel von diesem Gehabe Provokation war und wie viel eine echte Persönlichkeitsstörung, war schwer zu beurteilen; immerhin fünf SZ-Psychiater hatten bereits entnervt das Handtuch geworfen. "Und wenn?" Das breite Grinsen hätte der Cheshire-Katze alle Ehre gemacht. "Denkst du, du kannst ihn kontrollieren?" "Bis jetzt gab es keine Probleme." "Nein. Weil er deine Spielchen unterhaltsam findet. Noch." "Findest du dieses Spielchen auch 'unterhaltsam'?" "Sollte ich?" Korrektur: weder schütteln noch schlagen. Baden. Paradoxerweise konnte der Deutsche ganze Stunden unter der Dusche verbringen - aber wehe, ein Vollbad drohte. Das war eine der ersten Erfahrungen gewesen, die Brad mit Schuldig gemacht hatte... ~*~*~*~*~*~*~ "Halt still." "Ich mag nicht baden." "Es tut doch nicht weh... Hey, bleib hier!" Härter als beabsichtigt umfasste er den mageren Arm; verstörte blaue Augen sahen flehend zu ihm hoch. "Ganz ruhig... Ich tue dir nichts... Vorausgesetzt, du tust, was ich dir sage." Es war ein ausgesprochen kläglicher Versuch, seine Autorität zu wahren, doch das Kind war so verschüchtert, dass die Taktik sogar anschlug. "Nicht böse sein... Bitte... Ich mache, was du willst... Aber sei bitte nicht böse auf mich..." Das ist ja nicht zum Aushalten! "Schon gut. Halt einfach still." Ohne viel Federlesens packte der Amerikaner das magere Geschöpf und beförderte es in die Wanne. Der kleine Rotschopf wimmerte leise, verbiss sich aber jeden weiteren Protest. Erst, als Brad ihn kurz mit dem Kopf unter Wasser drückte, um seine Haare zu waschen, begann der Junge, zu strampeln. Sofort ließ er los; am liebsten hätte er sich selbst für seine Dummheit getreten. So ging man nicht mit Kindern um, vor allem nicht, wenn es sich bei ihnen um unbezahlbar wertvolle, hochsensitive Telepathen handelte... ~*~*~*~*~*~*~ Selbst Wochen danach hatte Schuldig sich beharrlich geweigert, sich von Brad die Haare waschen zu lassen. Lieber hatte er es selbst versucht und dabei seine wilde rote Mähne derartig verknotet, dass sie kaum noch ohne Schere zu entwirren gewesen war... "Schön, dass wenigstens du Spaß an der ganzen Sache hast." Die gallenbittere Bemerkung riss den Schwarz-Leader aus seinen Gedanken und brachte ihn dazu, seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Kollegen zu fokussieren. "Schuldig..." "Was denn noch?" Kann es zwischen uns nicht wieder so sein wie früher? Du hast mir doch mal vertraut... Und dein Lachen fehlt mir so sehr. "Versau es nicht. Du weißt, dass wir Takatori vorerst noch brauchen." "Schon klar. Ich soll also weiterhin zulassen, dass er mich mit Blicken auszieht." "Nur noch für eine Weile." "Wenn du meinst, oh großer, allmächtiger Leader..." Gedehnt, betont gelangweilt, unterschwellig boshaft. Auftrittsapplaus für Mastermind. "Bis später." "So long, Braddy." Noch ehe Crawford gegen die respektlose Anrede protestieren konnte, wirbelte Schuldig bereits aus dem Büro, die Tür einen Tick lauter hinter sich zuschlagend, als es angemessen gewesen wäre. Kopfschüttelnd nahm der Präkognitive die Brille ab und fuhr sich mit einer erschöpften Bewegung durchs Haar. Wo sind wir falsch abgebogen, Schuldig? Warum hat sich alles zwischen uns geändert? Und seit wann bin ich eigentlich so ein sentimentaler Trottel? ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Kaum saßen sie im Auto, begann Schuldig, obszön zu fluchen. Nicht, dass es etwas an der Situation geändert hätte... aber es war ungemein befreiend. "Ich hasse diesen Kerl!" Ein heiseres Lachen vom Beifahrersitz rief ihm in Erinnerung, dass er nicht allein war. "Wen? Crawford oder Takatori?" "Beide!", schnappte der Rothaarige gereizt. Der Ire lachte. "Takatori nehme ich dir sogar ab." "Kümmere dich um deinen eigenen Kram." "Hast du Angst?" Na super. Farf hat 'ne philosophische Phase. "Nein." "Die solltest du aber haben." Der Telepath schnaubte verächtlich. "Vor dir?" Ein rätselhafter Blick aus einem einzelnen bernsteinfarbenen Auge streifte ihn, beinahe uninteressiert. "Nein. Vor dir selbst." Ich glaube, es schlägt dreizehn. "Und das von jemandem, der sich nur dann lebendig fühlt, wenn er Priester niedermetzeln kann? Das tut Gott weh." Farfarello lächelte beinahe gutmütig. "Erstens weißt du gar nichts über mich und meine Motivation... und zweitens ist dieser Spruch wirklich witzlos. Er war es schon, als Nagi ihn zum ersten Mal gebracht hat." "Hm." Übellaunig ließ der Deutsche den Wagen an und setzte schwungvoller als vernünftig zurück. "Warum hältst du nicht einfach die Klappe? Ich äußere mich nicht mehr über dich, wenn du dich aus meinen Angelegenheiten heraushältst." Wieder dieses wahnsinnsnahe Lachen. "Right. Das ist fair." ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Schuldig hatte es aufgegeben, die Zigaretten zu zählen, mit denen er im Verlauf dieses Tages seine Lunge teerte. Hauptsache, er konnte sich an irgend etwas festhalten, seine Aufmerksamkeit zumindest gelegentlich darauf richten und somit so tun, als würden ihm Takatoris Blicke nicht auffallen. "Braaaaaad..." "Nein." "Es würde niemandem auffallen. Versprochen." "Es würde SZ auffallen." Der Telepath konnte ein Seufzen nicht unterdrücken; der japanische Tycoon warf ihm einen interessierten Blick zu. "Takatori ist doch ohnehin schwer schlaganfallgefährdet... jedenfalls laut seiner medizinischen Akte." "Ich sagte ,nein'." "Vielleicht ein kleiner epileptischer Anfall?", schlug der Jüngere hoffnungsvoll vor. "Zum letzten Mal, Schuldig: NEIN. Und jetzt konzentrier dich gefälligst auf deine Aufgabe." "Aber..." "Später." Damit wurde die gedankliche Konversation abrupt beendet; alles, was Schuldig noch spüren konnte, war die eiskalte mentale Barriere seines Leaders. Wütend biss er sich auf die Unterlippe. Warum nur behandelte Crawford ihn immer noch wie ein kleines Kind? Er war immerhin ein starker, voll ausgebildeter Telepath. Er konnte mit einem einzigen Gedanken töten oder jemanden in den Wahnsinn treiben - und musste sich von dem Amerikaner allen Ernstes Vorwürfe über das Chaos in seinem Zimmer anhören! Das ist nicht fair... Gereizt schüttelte er seine Haare in den Nacken. Noch immer klebten Takatoris Blicke an ihm wie zäher Schleim... diese Gedanken waren ja schon sexuelle Belästigung! Ich habe die Schnauze so gestrichen voll... >Heul doch.< Oh ja, er kannte diese Stimme. Sie war immer da... Halt dich da raus. >Nein.< Schuldig konnte Masterminds dreckiges Grinsen nahezu vor sich sehen. Das war um so erschreckender, als dass der andere sein Gesicht hatte. Lass mich in Ruhe. >Nicht doch. Ich bin dein einziger Freund, schon vergessen?< Das ist nicht wahr. Brad... >Kümmert sich einen Dreck um dich, solange du nur funktionierst. Du bedeutest ihm nichts. Er sieht dich nur als Mittel zum Zweck.< Also hat meine Existenz immerhin eine Bedeutung für ihn. >Träum weiter. Er könnte dich jederzeit ersetzen. Vielleicht tut er es irgendwann.< Der bloße Gedanke an diese Möglichkeit schmerzte. Nein. Das wird er nicht. >Sei dir nicht zu sicher... Aber keine Angst: ich bleibe bei dir. Ich lasse dich nicht allein. Auch dann nicht, wenn er dich ins Labor zurückschickt.< Ein kalter Schauer überlief die blasse Haut des jungen Telepathen. Undeutlich bekam er mit, dass ihn jemand ansprach, doch die Worte machten keinen Sinn... >Nur du und ich. So wie früher.< Etwas warmes lief aus seiner Nase... Blut? Erstaunt betrachtete Schuldig seine feuchten, roten Fingerspitzen. Sein Kopf schmerzte, und mit einem Mal war ihm unerträglich heiß. >Lass dich einfach fallen. Hab keine Angst. Lass mich nur machen.< Wimmernd presste er die Fingerknöchel gegen seine Schläfen. Hör auf... Wenn er Mastermind jetzt die Kontrolle überließ, würde Takatori innerhalb der nächsten Minute sterben. Und dann? Würde er sich damit zufrieden geben? "...dig?" Mach, dass es aufhört. Bitte...! "Schuldig!" Ein harter Schlag traf sein Gesicht; verschwommen nahm er Farfarellos Gesicht über sich wahr. Seine Hand war angenehm kühl auf Schuldigs glühender Stirn. "Er hat Fieber. Ich rufe Crawford an." Takatori schob sich in Schuldigs Gesichtsfeld, und dann strich der Japaner in einer schlechten Imitation von Besorgnis über die Wange des Deutschen. Alles in Schuldig verkrampfte sich, schrie auf. Ich will das nicht...! "Wir sollten ihn in den Ruheraum bringen..." Von wegen! Die Absicht hinter dem fürsorglichen Vorschlag war ja wohl mehr als deutlich... "Vielen Dank, Mister Takatori, aber das ist nicht nötig. Ich werde mich um Schuldig kümmern." Brads tiefe, ruhige Stimme durchbrach das mentale Chaos und brachte für einen Moment sogar Mastermind zum Schweigen. "Crawford? Woher wussten Sie...?" "Ich hatte eine Vision." Die große Hand des Amerikaners strich vorsichtig durch Schuldigs Haar. "Wenn Sie uns entschuldigen würden, Mister Takatori?" "Natürlich, natürlich. Sehen Sie zu, dass er bald wieder... einsatzfähig ist." "Selbstverständlich." Starke Arme umfingen ihn und hoben ihn sanft hoch. Unwillkürlich schmiegte der zitternde Telepath sich an Crawford und schlang die Arme um seinen Hals. >Ist ja rührend. Und da wunderst du dich noch, dass er dich behandelt wie ein Kind? Du benimmst dich schließlich auch so!< Bitte sei doch endlich still... Ich kann meine Barrieren bald nicht mehr aufrechterhalten... Wimmernd verbarg Schuldig das Gesicht an Brads Schulter. "Ganz ruhig. Ich bringe dich nach Hause. Schlaf." Er spürte, wie der Ältere seine mentalen Schilde ausdehnte, ihn darin aufnahm. Augenblicklich verstummte das Wispern der unzähligen Gedanken, die auf normalerweise ungebremst über ihn hereingebrochen wären. Dankbar überließ er sich der Stille und glitt hinüber in die Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)