Eternity III - Sklavenhändler und Drachentöter von Purple_Moon (Dieser Drache ist unverkäuflich!) ================================================================================ Kapitel 2: Rächerseelen ----------------------- Kapitel 2: Rächerseelen Valerian und Maris landeten auf Noctivagus vor dem Schloss. Kaji erwartete sie dort mit Kleidung für seinen Großonkel. Das edle Pferd des Barden stand ebenfalls bereit. Es war mit Wasser versorgt worden, aber da die Freunde nicht gewusst hatten, ob Maris noch bleiben wollte, hatten sie das Tier nicht in den Stall gebracht. "Ich werde in die Stadt reiten und meine Sachen holen," bot der Blonde an. "Wenn Ihr Euch wie versprochen um ein Zimmer für mich kümmern könntet, mein Prinz..." "Ich bin Zauberlehrling," verbesserte Valerian ihn. "Aber ich werde mich darum kümmern, Veruscha wird sich sicher freuen." Maris stieg auf sein Pferd und ritt Richtung Stadt davon. Indessen trat Noctivagus an den Prinzen heran. "Du trägst den Verband schon wieder nicht mehr," klagte er ihn an. "Der wäre mir nur hinderlich gewesen, deshalb habe ich ihn heute früh weggelassen. Tut gar nicht mehr weh," verteidigte dieser sich. "Das war eine ernste Verstauchung, du solltest es wieder verbinden," beharrte der Magier. Valerian seufzte. "Ja, ist gut. Wo ist Eikyuu?" "In eurem Zimmer vermutlich. Sieh zu, dass du wenigstens ihn richtig verarztest, wenn du dich schon um dich selbst nicht kümmerst." "Na klar," versicherte Valerian und marschierte ins Schloss. Er fand einen Diener und bat ihn, die Königin um eine Audienz für ihn zu bitten. Normalerweise hatte er das nicht nötig, aber er wusste nicht, wo sie gerade war. Inzwischen begab er sich zu seinem Drachen. Dieser befand sich in der Tat in ihrem gemeinsamen Zimmer, wo er gerade dabei war, seine Frisur neu zu richten. Sein gewohntes Magiergewand trug er bereits. "Bist du gut angekommen?" erkundigte Valerian sich. Eikyuu nickte. "Na klar, tu nicht so, als wäre ich schwer verletzt." "Deine rechte Hand ist durchbohrt!" erinnerte sein Schüler ihn. "Damit ist nicht zu spaßen! Ich sollte mal zur singenden Nixe reiten, um ein paar Zutaten zu holen..." "Mach dich nicht lächerlich, dieses Kraut reicht doch. Wechsle einfach den Verband, dann können wir die Sache bald vergessen." "Zumindest bis zum nächsten Angriff," wandte Valerian ein. "Nimm nicht immer alles so auf die leichte Schulter." "Was ist mit dem Barden?" wechselte der Seelenleser das Thema. "Maris? Er ist anscheinend an einer Aktion gegen die Zustände in Slarivestos beteiligt, allerdings kann es auch sein, dass er allein arbeitet. Ich hab ihn eingeladen, uns zu helfen," erzählte der Schwarzhaarige. "Gut, ich glaube, dass er ein ehrlicher Mensch ist. Oder was auch immer. Glaubst du, er hat eine Rächerseele?" "Es kommt mir so vor. Wir hatten ein recht aufschlussreiches Gespräch," murmelte Valerian. "Leider kam dieses Thema etwas zu kurz, das war mir aber auch ganz recht. Ich mag nicht ausgefragt werden, schon gar nicht über meine früheren Leben. Was ich war, mag uns ab und zu helfen. Aber für mich zählt nur, was ich bin. Der Kariat des schönsten Drachen weit und breit." Eikyuu lächelte und kam zu ihm. "Du neigtest auch in deinem früheren Leben schon zur Übertreibung. Aber du sollst wissen, dass ich dich für das liebe, was du bist, und nicht für das, was du warst. Obwohl beides natürlich eine perfekte Kombination ist." "Vielleicht eine schicksalhafte," überlegte Valerian. "Vielleicht haben wir beide es unbewusst gespürt..." "Ja, vielleicht." Eikyuu schmiegte sich vertrauensvoll an ihn. Ein Teil seiner Haare war noch nicht geflochten und hing lose herunter. "Darf ich dich heute Nacht bewusstlos vögeln?" Valerian lachte, er liebte diese offene Art. Witzigerweise war es Shitai, von dem der Seelenleser das ursprünglich hatte. Shitai hatte Eikyuu zu dem gemacht, was er heute war. Somit hatte er sich praktisch selbst ein Geschenk gemacht. "Ich betrachte das als Zustimmung," säuselte der Drache. Valerian hielt ihn, bis der Diener erschien und verkündete, seine Schwester erwarte ihn in ihren Gemächern. "Ich muss mit ihr was besprechen," entschuldigte der Prinz sich. "Bin aber gleich wieder da." Er trennte sich widerstrebend von seinem Geliebten und suchte Veruschas Räume auf. Kurz nachdem Valerian weg war, klopfte Noctivagus an Eikyuus Tür. "Ich wollte nur nachsehen, wie es dir geht." Der Allmagier seufzte. "Hey, ihr macht euch alle zu viele Sorgen. Ich hab einen Drachentöter besiegt und mich dabei verletzt, das ist alles. Es war ein kalkuliertes Opfer und der Schmerz ließ sich aushalten." "Bist du sicher, dass er dich nicht ernsthaft verletzt hat? Kannst du alle Finger bewegen? Tut es noch weh?" Eikyuu verdrehte genervt die Augen. "Ja, ja, und nein, Noctivagus." Er nahm wieder seinen Kamm zur Hand, flocht den ersten seitlichen Zopf und steckte einige Falkenfedern daran fest. "Wir essen heute mit dem Königspaar. Du solltest dich umziehen, mein Freund." Der Schattenmagier trug nur die leichte Robe, die er sich nach seinem Flug übergezogen hatte. Er hob die Schultern in einer Geste der Hilflosigkeit. Wenn Eikyuu nicht auf ihn hören wollte, konnte man ihn nicht dazu zwingen. Er suchte sein eigenes Zimmer auf, um sich für den Abend herzurichten. Bald darauf kam Valerian zurück. Auch er musste sich noch umziehen, aber es scherte ihn nicht besonders, dass er ohne Hemd im Schloss herumgelaufen war, immerhin waren die Bediensteten aus früheren Zeiten Schlimmeres von ihm gewohnt. "Maris wird im Palast wohnen und uns dann zur Insel begleiten, um die Organisation kennen zu lernen. Er möchte uns helfen, und zwar aktiver als bisher. Hey, Kyuu... du bist wirklich blass..." Eikyuu verschränkte die Arme. "Das bildest du dir ein, Kariat. Zieh dich um." "Erst lege ich dir einen vernünftigen Verband an, das da ist ja nur mein zerfetztes Hemd..." Davon ließ Valerian sich nicht abbringen, und so musste der Magier sich wohl oder übel gedulden. Erst viel später waren alle bereit, zum Essen zu gehen, und mussten sich bei der Königin für die Verspätung entschuldigen. Der größte Teil des Elementarkreises wartete schon, Shisei quengelte vor Hunger. Eikyuu lächelte in sich hinein. Irgendwie ließ er immer die Leute mit dem Essen warten... Er hatte allerdings keinen großen Appetit und aß daher nicht viel, eigentlich aß er überhaupt nur, weil er merkte, dass alle besorgte Blicke auf seinen Teller warfen. In der Zwischenzeit war Maris zurückgekehrt und hatte sich in ein edles Bardenkostüm in Violett und Rot geworfen. Er spielte während der Mahlzeit eine leise Melodie im Hintergrund, später unterhielt er die Anwesenden mit ein paar bekannten Volksliedern. Er war gut. Die allseits viel gesungenen Stücke klangen aus seinem Mund ganz neu, und die Saiten seiner Laute verliehen der Musik einen besonderen Charme. Eikyuu drängte seinen Kariat schon früh, sich zurückzuziehen. Gemeinsam verließen sie die Tafel, gefolgt von amüsierten Blicken. Diese Nacht wurde es allerdings nichts mit bewusstlos vögeln. Der Seelenleser fühlte sich schon nach der ersten Runde so müde, dass er eine kuschelige Nacht mit viel Schlaf vorzog. Konnte er sich am Tage so angestrengt haben? Der Kampf war doch ein Witz gewesen... Die Rückreise war für den nächsten Tag geplant. Es war besser, wenn er ausreichend schlief, sagte er sich. Zwar spürte er Valerians Sorgen, aber wenigstens belästigte dieser ihn nicht mehr mit Fragen. Dafür bestand sein Kariat aber darauf, dass er nicht selbst flog, sondern auf Noctivagus oder Kaji ritt. Da es durchaus stimmte, dass die Wunde sich durch die Verwandlung wieder öffnen konnte, stimmte Eikyuu zu. Und er bestand im Gegenzug darauf, dass Valerian seinen verstauchten Arm wieder ruhigstellte, eigentlich nur, um ihn zu ärgern. *** Am Mittag trafen sie auf ihrer angestammten Insel ein. Kaji und Noctivagus mussten noch einmal zurückfliegen, weil sie es zu zweit nicht geschafft hatten, die ganze Gruppe mitzunehmen. Maris war schon früh aufgestanden, um seine Bestellung beim Schmied abzuholen. Er war mit den ersten gereist. Valerian hatte nichts Eiligeres zu tun, als Kyuujo von dem Vorfall mit Chitatsu zu berichten. "Das musste nicht sein," kommentierte Eikyuu. Sein Vater besah sich die Verletzung. "Du bist wie immer leichtsinnig, Junge," meinte er. "Drachentöter greifen zu allen Tricks! Zwar wollen sie einen Drachen gerne im Kampf erlegen, aber manchmal benutzen sie auch Gift!" "Sie wussten, dass Eikyuu dein Sohn ist," bemerkte Valerian. Kyuujo sah überrascht auf. "Wirklich? Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben, das vor ihnen zu verheimlichen..." "Dann kann ich jetzt wohl damit rechnen, dass sie mich auch auf dem Kieker haben," meinte Eikyuu leichthin. "Naja, musste ja irgendwann so kommen. Ich hoffe nur, ich muss Chitatsu nicht irgendwann töten..." "Ich bin überrascht, dass du ihn so schnell erledigt hast," bemerkte Kyuujo. "Die meisten Drachen nehmen Menschen entweder nicht ernst und kommen dabei um, oder sie gehen der Konfrontation aus dem Weg." "Du weißt, dass ich nicht der Typ bin, der ewig einem Kampf ausweicht, Vater. Wenn du einen Rächer geliebt hast, siehst du einige Dinge etwas anders." "Ja, leider. Ich werde dir für deine Hand eine Salbe machen und eine Medizin brauen, die du zu trinken hast." "Aber wenn es ein Gift wäre..." "Keine Widerrede!" "Ja, Vater." Der ältere Drache machte sich sofort an die Arbeit und scheuchte dabei Valerian herum, der ihm bereitwillig Kräuter suchte und zerkleinerte. Eikyuu saß daneben und ließ es geschehen. Inzwischen kehrten Noctivagus und Kaji mit dem Rest ihrer Gruppe zurück. Auch Shisei war dabei. Maris ging vor ihr auf die Knie, um auf ihre Höhe zu kommen. "Hey, du bist ja eine Süße!" Sie strahlte und steckte verlegen zwei Finger in den Mund. "Bist du auch ein Zauberer?" "Nee, ich bin doch nur ein Barde. Ich mache Musik!" Valerian, der gerade Levitawurz gesammelt hatte - obwohl man auch Mondscheinsprossen benutzen konnte - sah erstaunt, wie sie den Mann ansah, gar nicht ängstlich wie sonst bei Fremden. Sie ging sogar noch vertrauensvoll auf ihn zu! Maris nahm sie auf den Arm. Das Mädchen lachte vergnügt! Valerian war nicht der Einzige, dem das auffiel. Eliza stand mit offenem Mund daneben, Cyrus und Patrizia trauten ihren Augen kaum. Und Noctivagus, der vergessen hatte, sich anzuziehen, trat völlig verwirrt neben die beiden, konnte aber nicht feststellen, was der Blonde an sich haben mochte. Abgesehen von seinem Schwert vielleicht. "Ihr werdet euch noch erkälten, Noctivagus," bemerkte Maris. Der Magier, der sich dank seines allgegenwärtigen Schattenzaubers selbst nackt keine Blöße gab, griff geistesabwesend nach einer Robe, die Undan ihm reichte. "Was seid Ihr?" entfuhr es ihm. Des Barden unergründliche Augen ruhten auf ihm. "Nur ein Freund, der seine Hilfe anbietet. Ich kann nur meine Bekanntheit in den meisten Ländern anbieten - ein Barde kommt viel herum... er wird überall gern gesehen und verdient auch ganz gut dabei." Valerian kam hinzu, da er zufällig mitgehört hatte. "Dann muss es wohl stimmen. Ihr habt eine Rächerseele. Vielleicht eine sehr alte. Und Ihr wisst es." "Das mag sein," räumte Maris ein. "Aber ich kann Euch nicht helfen außer durch mein Wissen über andere Länder. Naja... und vielleicht weiß ich etwas über die ein oder andere weitere Sache. Ich gehe ganz gut mit einem Schwert um..." Kyuujo stand an der Tür des Baumhauses und beobachtete die Konversation aus einiger Entfernung. "Wer ist dieser Maris? Ich habe nicht das Gefühl, dass er gefährlich oder unehrlich ist, aber ich kann ihn nicht wirklich lesen." "Wir glauben, dass er ein wiedergeborener Rächer ist," gab Eikyuu von drinnen Auskunft. "Er hat ein Rächerhorn, dass er nach eigenen Angaben einst getragen hat. Es ist ziemlich groß und stammt vielleicht aus einer Zeit, als Rächer noch älter wurden, weil es genug von ihnen gab." Kyuujo runzelte die Stirn. "Nun ja... dafür sollten wir wohl dem Schicksal danken. Rächer können starke Verbündete sein, wenn sie nicht gegen einen sind." Etwas lauter rief er: "Hey, Val, wo bleibt das Kraut?" Der Schwarzhaarige riss sich aus der Unterhaltung los und kehrte zum Baumhaus und seinem Kessel zurück. Als er Kyuujo den Levitawurz überreichte, konnte sich dieser ein Grinsen nicht verkneifen, während Eikyuu ergeben seufzte und sich in sein Schicksal fügte. Gegen Abend waren dann alle Zaubermittelchen fertig. Eikyuu ließ seine Hand mit Salbe einreiben und dick bandagieren, damit sein Vater zufrieden war. Dann trank er den Tee, den sie für ihn gebraut hatten, wohl wissend, dass er am nächsten Morgen ein Lustbündel sein würde. Er legte vorsorglich schon mal einen Stillezauber auf die untere Etage des Baumhauses, da er nicht sicher war, ob er später so logisch denken würde. Maris hatte sein eigenes Zelt mitgebracht und in der Nähe der anderen aufgebaut, nur dass es im Vergleich zu den permanenten Wohnzelten der Elementarkreismitglieder recht bescheiden wirkte. Er saß noch eine ganze Weile mit ihnen am Feuer und sang seine Lieder. Die Stimmung war heiter, es wurde sogar getanzt. Shisei und die anderen Kinder waren entzückt von dem Barden. Aber er musste ja auch von Berufs wegen Leute glücklich machen können, oder er bekam kein Geld. Wenn er eine Pause machte, zeigte er seine verschiedenen Münzen, was ein Großteil der Gruppe sehr interessant fand. Irgendwann am späten Abend stimmte er eine Ballade an, die man seit ewigen Zeiten nicht mehr gehört hatte - oder zumindest seit einem Vierteljahrhundert nicht. Es war ein Lied über einen grausamen König, zu dem ein Rächer kam, um ihn zu richten, da zahlreiche Seelen ihm ihr Leid geklagt hatten. Kyuujo und Eikyuu kannten das Lied von früher und sangen mit, die übrigen bemühten sich, es zu lernen. Erstaunlicherweise schien auch Shisei es zu kennen. Und Valerian. Dieser runzelte die Stirn, als der letzte Takt verklungen war. Die Erinnerung war nicht wirklich greifbar, kam aber offensichtlich bei Bedarf in ihm hoch. Dann wagte Maris sich noch weiter vor. Er spielte eine schnelle Melodie an, entlockte seinem Instrument die brutalsten Töne, zu denen es fähig war. Und dann sang er in der alten Sprache der Drachen, bediente sich dabei einer altmodische Form, wie sie normalerweise nicht einmal in den überlieferten Liedern der Rächer benutzt wurde. Aber es war ein Rächerlied, das von seiner vielseitigen Stimme in dunklen Tönen interpretiert wurde. Den Zuhörern wurde auf einmal kalt. Sie hatten das Gefühl, nicht mehr allein zu sein, als ob plötzlich die Geister der Toten unter ihnen waren. Denn Maris sang das *Klagelied der Gemeuchelten,* das die ruhelosen Seelen von Ermordeten und Umgekommenen herbeirufen sollte, wenn es einen Rächer gab, der bereit war, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. "Wer im Namen des Erlösers ist er, dass er das wagt?" murmelte Kyuujo. "Du solltest lieber fragen, wer er *war*," meinte Eikyuu. "Offenbar hat er es nicht vergessen. Der Rächer ist stark in ihm, und er macht keinen Hehl daraus. Aber ich frage mich, ob Shisei schon damit konfrontiert werden sollte." Sie blickten zu dem Mädchen hinüber, das andächtig dem Gesang lauschte. Maris wechselte die Tonlage und sang das Lied noch einmal etwas höher. Dieses Mal sang Shisei mit, und alle starrten sie an. Ein kleines Kind, dass so etwas vortrug, hatte etwas Unheimliches an sich. "Es muss von einem wahren Rächer gesungen werden, um seine volle Wirkung zu entfalten," flüsterte Eikyuu. "Hoffentlich werden wir die Geister, die sie rufen, auch wieder los." "Falls es klappt," meinte Kyuujo. "Davon bin ich überzeugt. Dieser Barde hat einen starken Willen und strotzt vor Selbstsicherheit. Sie sind hier. Ich kann sie spüren wie damals Shiseis Geist." "Ja, jetzt wo du es sagst..." Shiseis Augen hatten einen ganz abwesenden Ausdruck bekommen, während sie sang. Sie schien zu sehen, was den anderen verborgen blieb. Aber sie hatte kein bisschen Angst davor. Das war faszinierend, aber auch etwas beängstigend. Ein Kind, das so ganz selbstverständlich in einer Macht schwelgte, die es noch gar nicht kennen sollte. Aber Rächer waren eben anders. Jeder von ihnen hatte eine alte Seele, auch wenn der Körper jung war. Valerian setzte sich neben Eikyuu und legte einen Arm um ihn. "Lass uns schlafen gehen. Vielleicht hat Shisei morgen einen Auftrag für uns. Sie kann ja schlecht selber Rache für jemanden nehmen." Eikyuu sah ihn entsetzt an. "Kariat! Ich will nicht, dass du..." Doch Valerian hielt ihm einen Finger vor den Mund und brachte ihn zum Schweigen. "Mach dir keine Sorgen. Timarios ist auch ein Rächer, und ich wette, gerade jetzt sieht er uns zu. Er wird schon ein Auge auf uns haben, schließlich dürfte er daran interessiert sein, dass seine Art erhalten bleibt." Der Seelenleser erhob sich zögernd und folgte ihm zu ihrem Baumhaus. Es war ihm ganz recht, vom Lagerfeuer wegzukommen, denn seine Sinne nahmen mehrere unruhige Präsenzen wahr. Da er wusste, was sie waren, konnte er damit fertig werden, aber das hieß nicht, dass es ihm gefiel, in ihrer Nähe zu sein. Seltsamerweise schien es Kyuujo nicht so sehr zu stören. Vielleicht konnte er sich besser gegen seine Gabe sperren. Kurz vor dem Ziel blickte Valerian sich noch einmal um. Was er sah, ließ ihn fast an seinem Verstand zweifeln, aber nur fast, denn der Teil von ihm, der älter war als der Rest, wunderte sich über gar nichts. Da standen bestimmt zehn Gestalten um das Feuer herum, die eigentlich gar nicht da sein konnten. Sie waren leicht durchscheinend, und sie sangen leise mit Maris mit. Der Barde sah auf und begegnete Valerians Blick. Vielleicht war es eine Täuschung durch die Schatten der Nacht im Schein des Feuers, aber es schien, als würden in seinen Augen entfernte Sterne leuchten und als hätte er einen roten Fleck auf der Stirn, wie jeder Rächer, der vor kurzem noch in seiner Drachengestalt sein Horn getragen hatte. Kyuujo war früh am nächsten Morgen auf den Beinen, denn er wollte nicht in die Liebesakte seines Sohnes hineinplatzen, wenn er aufstand. Er ging zum Strand und traf dort Shisei, ihre Mutter Eliza und Maris. Die drei blickten auf das Meer hinaus, über dem in dieser Himmelsrichtung gerade die Sonne aufging. "Ihr Rächer habt eins gemeinsam," stellte der Seelenleser fest. "Ihr seht euch gerne Naturschauspiele an, immer so, als könnte es das letzte Mal sein. "Hat Euch Euer Sohn das gesagt?" hakte Maris lächelnd nach. Kyuujo machte eine unbestimmte Kopfbewegung, die weder ja noch nein hieß. "Ich war mal mit einem befreundet, der Shikaku hieß. Leider kam er bei einer Racheaktion um. Es war immer ein Risiko, so eine Freundschaft. Man musste damit rechnen, dass man eines Tages darum trauern würde. Am Tag vor seinem Tod hat Shikaku während eines Gewitters im Regen getanzt." "Shikaku ist wiedergeboren worden," sagte Maris einfach. "Du würdest dich wundern, du kennst ihn nämlich. Aber er erinnert sich nicht, und so sollte es bleiben." Kyuujo nickte. "Wahrscheinlich. Er muss ja wohl ein Mensch sein." Der Barde sah ihn mit blauen Augen an, in denen sich die Weite des Meeres zu spiegeln schien. "Er hat in seinem Leben nichts bereut und hatte keinen Grund, ruhelos zu sein. Seine letzte Rache hat er erfolgreich ausgeführt, wenn auch um den Preis seines eigenen Lebens. Wenn sein Leben endet, kann er wieder ein Rächer werden." Er deutete mit dem Kopf auf Shisei, die unter Elizas wachsamen Augen in den Wellen spielte. "Bis dahin dürfte sie alt genug sein, um Kinder zu haben." Kyuujo runzelte missbilligend die Stirn. Es passte ihm nicht, dass Shiseis Existenz der Vermehrung ihrer Rasse dienen sollte, aber so würde es nun einmal sein, weil es nötig war. "Und Ihr, wollt auch Ihr sie eines Tages Mutter nennen?" erkundigte er sich. "Wer weiß, aber dazu kommt es sicher nicht," meinte Maris. Der Seelenleser konnte die Eindrücke, die er empfing, nicht ganz deuten. Aber er vermutete... "Oh nein, habt Ihr es etwa darauf abgesehen, der Vater ihrer Kinder zu werden?" Der Blonde hob die Augenbrauen. "Welch interessante Idee. Aber noch längst nicht aktuell. Obwohl ich nicht zu alt wäre, wenn sie soweit ist. Dürfte ja schnell gehen. Schaut nicht so, das war nur ein Scherz." "Sie ist der letzte Rächer. In ihrem früheren Leben hat sie viel durchgemacht. Passt lieber auf, was Ihr Euch vornehmt." "Timarios hält eine schützende Hand über all seine Kinder, sorgt Euch nicht, Kyuujo." "Als Vater eines sehr leichtsinnigen Sohnes komme ich nicht umhin, mir Sorgen zu machen. Auch um Leute, die mich eigentlich nichts angehen. Aber für Shisei fühle ich mich verantwortlich, also merkt Euch meine Worte. Wenn ihr etwas geschieht, werde ich Rächertendenzen entwickeln!" "Ihr traut mir nicht." "Ich bin vorsichtig. Nach über sechstausend Jahren hat man gelernt, vorsichtig zu sein, oder man ist tot." Maris lachte. "Oh ja, das weiß ich wohl. Schließlich bin ich schon mehr als einmal gestorben!" Kyuujo verzog das Gesicht. "Ihr wisst das noch?" "Natürlich. Gut, so natürlich nun auch wieder nicht, mit diesen Erinnerungen trotz meiner Menschenhülle bin ich wohl eher ein Einzelfall..." "Ich stelle es mir schwierig vor, ein sterbliches Leben zu führen, wenn man unsterblich war," bemerkte der Seelenleser. "Ich bin auf meine Art unsterblich," entgegnete Maris. "Ich werde geboren und sterbe und werde wieder geboren. Mein Tod ist niemals umsonst und niemals ein natürlicher. Aber es gefällt mir so, denn meine Existenz hat einen Sinn. Und ich glaube, dass es auch einen Sinn hat, dass ich Eikyuu getroffen habe. Vielleicht kann mein nächster Tod ihm helfen." Kyuujo fasste sich an den Kopf. "Redet nicht so, das Leben ist doch kein Kleid, das man jemandem schenken oder für jemanden in Stücke schneiden kann!" Der Barde antwortete nicht darauf, aber der Drache hatte das unbestimmte Gefühl, dass ihm dazu eine Entgegnung auf der Zunge lag, die er zurückhielt. Ihre Unterhaltung wurde dann aber auch durch Shisei unterbrochen, die zu Kyuujo gerannt kam. "Jo, die Geister wollen, dass ihr den Sklavenhändlern das Handwerk legt!" "Ich weiß, wir wollen das auch," sagte er ruhig. "Aber man kommt nicht einfach gegen ein ganzes Land an." "Wieso nicht?" fragte sie ungläubig. Kyuujo seufzte. Kindliche Logik... Seine Gefährtin Choukyuu war sehr aktiv im Bündnis gegen Slarivestos, aber sie war ein Drache und musste sich deshalb zurückhalten. Also beschäftigte sie sich hauptsächlich damit, diejenigen zu betreuen, die sie befreit hatten. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedachte, dass viele von diesen in Sklaverei geboren worden waren und gar nicht wussten, was sie für Talente hatten. Eikyuu und Valerian hatten sich dem Bündnis angeschlossen, hatten sich aber erst einmal um Shisei gekümmert. Doch nun, nachdem Eikyuu auch noch einen Nachfolger als Hüter des Schokoladenkelches gefunden hatte und Valerian mit seiner Ausbildung zum Magier fast fertig war, konnten die beiden mehr tun... was Kyuujo nicht unbedingt gefiel, sein Sohn lebte schon gefährlich genug. "Jemand von uns könnte sich als Sklavenhändler ausgeben, zum Beispiel Valerian," schlug Maris vor. "Mit Eikyuu als seinem Drachen..." "Auf keinen Fall!" protestierte Kyuujo. "Eikyuu hat viel Energie auf das Studium der Magie verwendet und ist somit offen für alle Elemente, was dazu führt, dass er sich nicht ausreichend gegen seine Umwelt abschirmt. Für einen Allmagier wäre das nämlich, als wäre er blind und taub. Aber er ist gleichzeitig ein Seelenleser. Er geht mit offenen Sinnen durch die Welt, und in einem Land wie Slarivestos würde ihn das verrückt machen. Aus diesem Grund wollte ich nie, dass er ein Magier wird. Choukyuu beherrscht ein, zwei Elemente, und sie hat schon Probleme. Magier brauchen den Kontakt zu ihrer Umwelt zu sehr. Aber hat er jemals auf mich gehört?" "Ihr liebt ihn wirklich sehr," stellte Maris fest. "Natürlich, er ist mein Sohn!" Kyuujo wurde nicht rot bei den Worten, obwohl er nicht oft über seine Gefühle sprach. "Ich wünschte sehr, dass er auch Kinder hätte. Aber ich habe mich inzwischen mit Valerian abgefunden. Er hat den traditionellen Kampf um mein Kind gegen mich geführt, etwas mehr als ein Jahr nach dem letzten Treffen. Er war ja verletzt, deshalb gab ich ihm etwas mehr Zeit. Dann fand ich einen Vorwand, um Eikyuu eine Tracht Prügel zu verpassen. War ziemlich an den Haaren herbeigezogen, aber wir wussten ja alle drei, warum ich es tat. Ich dachte, ich könnte Valerian besiegen. Aber nur einer hat mich jemals so fertig gemacht wie er an dem Tag: Shitai." "Wisst Ihr, dass Valerian Shitais Seele besitzt?" fragte Maris. Kyuujo hob eine Augenbraue. "Mich wundert, dass Ihr es wisst! Aber das sollte es vielleicht nicht. Ja, er sagte es mir nach unserem Kampf. Ich hatte es fast schon geahnt, denn der Junge kann das Horn dieses Rächers anfassen. Sagt mir doch... wer wart Ihr, Maris?" Doch der Barde lächelte nur geheimnisvoll und schwieg. Shisei klammerte sich strahlend an ihn. "Das ist unser Geheimnis, nicht wahr, Maris?" Eliza, die sich aus allem herausgehalten hatte, stand in der Nähe und hoffte, dass ihre Tochter nicht allzu bald zu dem Rächer ihrer früheren Leben wurde. *** Fortsetzung folgt. Namensbedeutung: Shikaku: Japanisch. Heißt "toter Winkel". Etwas seltsamer Name, aber ich hab ihn eigentlich nur ausgesucht, weil man ihn mit dem Zeichen für "Tod" schreibt. Man kann es dann so interpretieren, dass Shikaku immer aus einem toten Winkel heraus angegriffen hat.^^ Maris: Ihr werdet euch vielleicht gewundert haben, weil ich diesen Namen noch nicht erklärt habe. Ich gedenke das auch jetzt nicht zu tun. Vielleicht kommt ihr drauf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)