Geheimnisse von abgemeldet
(Aramis/Athos)
================================================================================
Kapitel 1: Geheimnisse
----------------------
Ohayou!
Ich bin sozusagen ein Neuling hier auf animexx.de und das ist meine erste
Fanfiction im Bereich "D'Artagnon und die drei Musketiere". Ich hoffe, sie
gefällt euch und ihr schreibt fleißig Kommentare, OK? Kritik ist auch herzlich
willkommen. Ach so... es ist schon ziemlich lange her, seit ich die Serie zum
letzten Mal gesehen habe... ich glaube, damals war ich noch in der Grundschule
oder so (so alt bin ich noch nicht, kann also gut hinkommen). Also verzeiht mir
bitte einige Fehler und es wäre super, wenn jemand einige Fanseiten von dieser
Serie kennt und sie mir nennen würde. Bin nämlich immer auf der Suche nach
meinen Lieblingsserien.
Kapitel 1
Seufzend legte sie den Degen auf das Sofa, das den zentralen Punkt in ihrer
bescheidenen aber gemütlichen Wohnung ausmachte, bevor sie sich eine verirrte
blonde Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Schließlich kam sie vor einem
großen Wandspiegel zum Stehen, wohl einer der wenigen Gegenstände, der
Weiblichkeit ausstrahlte und den sie trotzdem in ihrer Wohnung untergebracht
hatte. Aus großen blauen Augen starrte sie ein Musketier an, dessen langes,
blondes Haar die Hüften berührte und sie fragte sich, wie sie die Maskerade so
lange hatte Aufrecht erhalten können.
Wer würde vermuten, dass sich unter der Uniform, der manchmal mürrischen Laune
und hinter diesen blauen Augen eine junge Frau verbarg. "Renée." Sie erschrak
beinahe, als sie begriff, dass sie ihren wahren Namen laut ausgesprochen hatte.
Niemand hatte sie seit langer Zeit bei diesem Namen gerufen.
... oder... doch, es gab jemanden, der ihr Geheimnis teilte. D'Artagnon. Der
junge Musketier, der sowohl Mut als auch Aufrichtigkeit besaß und doch ihrem
größten Geheimnis auf die Spur gekommen war.
Athos und Portos waren ihr nicht auf die Schliche gekommen aber dieser Jungspund
hatte es geschafft, dass sie die Karten auf den Tisch legte. Aramis lächelte.
Vielleicht war es doch nicht so schlecht, dass man sie entdeckt hatte -
D'Artagnon würde niemandem gegenüber ein Wort verlieren, nicht einmal Athos
gegenüber.
Kerzen brannten, im gesamten Raum verteilt und Aramis schritt sie alle ab, blies
die Flammen aus, bevor sie zu Bett ging.
***
"Wo ist Aramis?", fragte Portos und sah sich angestrengt in dem vollgestopften
Wirtshaus um.
D'Artagnon, der sich in dieser Umgebung ebenso unwohl fühlte wie Aramis zuvor,
wandte sich seinem Freund zu und setzte ein blasses Grinsen auf. "Er ist
gegangen."
"Wann?", blinzelte Athos und sah zum ersten Mal seit beinahe einer Stunde von
seinem Weinglas auf.
Seufzend rieb sich D'Artagnon die Schläfen und versuchte sich zu sammeln. Kein
Wunder, dass die beiden niemals hinter Aramis' Geheimnis gekommen waren. So
begabt sie als Musketiere waren, so blind waren sie für die junge Frau, die
sich hinter dem Musketier Aramis verbarg.
"Vor ungefähr einer Stunde schon.", antwortete er schließlich und machte
Anstalten sich ebenfalls zu erheben und endlich wieder frische Luft zu atmen.
Ihm gefielen solche Orte nicht.
"Ja, lasst uns gehen.", stimmte auch Athos zu und D'Artagnon atmete erleichtert
auf. Was würde das für ein Licht auf die Musketiere des Königs werfen, wenn
sich einige der angesehensten von ihnen betrunken durch die Straßen von Paris
schleppten? Ganz zu schweigen vom dem Blick, den Aramis Athos zugeworfen hatte,
bevor sie gegangen war. Eindeutige Missbilligung, obwohl auch sie den Wein nicht
abgelehnt hatte. Aber sie schien zu wissen, wie viel der dunkelroten
Flüssigkeit sie zu sich nehmen konnte, ohne zu große Einbußen ihrer
Fähigkeiten verbuchen zu müssen.
Ein leiser Nieselregen setzte ein, als sie das Wirtshaus verließen und bald
folgte Tropfen auf Tropfen bis aus dem leisen, ruhigen Nieseln ein
buchstäblicher Platzregen geworden war.
"Bis wir zu Hause sind, sind wir total durchgeweicht.", schimpfte Portos und
schüttelte den Kopf, um einige vorwitzige Tropfen aus seinem Gesicht zu
vertreiben, bevor er blinzelte und auf den Eingang eines Hauses deutete.
"Ist das nicht Aramis' Wohnung?", fragte er und D'Artagnon ahnte schon, was er
vorschlagen würde. "Wir könnten doch..."
"Nein.", sagte D'Artagnon, noch bevor er weiter darüber nachgedacht hatte. Die
Vorstellung, dass sie Aramis jetzt vollkommen unvorbereitet aus dem Bett holten,
würden vielleicht selbst Athos und Portos erkennen, dass vor ihnen kein Mann
stand.
"Warum nicht?", mischte sich auch Athos ein und D'Artagnon war nahe daran sich
die Haare zu raufen.
'Denk nach.'
"Ähm... er schläft bestimmt schon und ich möchte nicht erleben, wie wütend
er werden kann, wenn wir ihn wegen dem bisschen Regen aus dem Bett scheuchen.",
war das erste was ihm einfiel, aber es war nicht gut genug, um die anderen
beiden zu überzeugen, denn Portos schritt unbekümmert auch die Tür zu und
klopfte schon an, während D'Artagnon ihm kopfschüttelnd folgte.
***
Aramis glaubte noch immer zu träumen, als sie das heftige Klopfen an ihrer Tür
aus dem Schlaf riss. Grummelnd setzte sie sich auf, durchschritt den Raum,
bereit jedem den Kopf abzureißen, der sie zu einer so unmenschlichen Zeit aus
ihren Träumen holte.
"Wer ist da?", fragte sie, ohne die Tür zu öffnen.
"Mach schon auf, Aramis!"
,Portos!' durchzuckte es ihre Gedanken und sie wandte sich hektisch um, warf
beinahe ihren Tisch um, während sie nach etwas suchte, das sie statt des
weißen Nachthemdes, das sie gerade trug, anziehen konnte.
***
TBC
Na, wie gefällt euch dieses erste Kapitel? Es wird bestimmt nicht das letzte
sein! Ich freue mich über Kommentare!
Bis bald
Kairi_Heartilly
Kapitel 2: Beinahe ertappt...
-----------------------------
Aramis stolperte durch ihre Wohnung, ganz im Gegensatz zu ihrer gewöhnlichen
Sicherheit in, die jeder Bewegung innewohnte.
Rasch zog sie eine Hose und ein weißes Hemd aus ihrem Kleiderschrank, zog sich
in Rekordzeit um und versuchte ihre Überraschung zu überspielen, als sie die
Tür öffnete.
"Gehst du immer so schlafen?", kicherte Portos und trat ohne auf eine
Aufforderung zu warten an ihr vorbei und in den beinahe dunklen Raum hinter ihr.
"Nein, aber ich öffne für gewöhnlich nicht dir Tür und stehe dann in
Abendgarderobe vor irgendwelchen Leuten.", schnauzte sie, trat zur Seite und
ließ auch die anderen beiden eintreten.
"Tut mir leid.", murmelte D'Artagnon im Vorbeigehen und sie zuckte nur die
Achseln.
Seufzend ließ sie sich wieder auf ihrem Sofa nieder, während Portos eine Kerze
nach der anderen entzündete.
"Ziemlich romantisch, wie die Kerzen hier im Raum verteilt sind." Er grinste.
"Hattest du Damenbesuch?"
Wieder eine dieser Fragen, die sich in Bedrängnis brachten. Wieder etwas, über
das sie sich stundenlang aufregen könnte.
"Schon möglich.", antwortete sie statt dessen, um ein Unentschieden zwischen
ihnen zu erreichen. Hätte sie es abgestritten, hätte Portos nicht eher Ruhe
gegeben, bis sie es doch zugegeben hätte.
"Komm, uns kannst du es doch sagen.", witzelte er und sah sie neugierig an.
Offenbar war ihm heute nicht danach eine seiner Fragen ruhen zu lassen.
Während Aramis vollkommen damit beschäftigt war, eine Ausrede für Portos zu
erfinden, bemerkte niemand außer D'Artagnon, dass Athos sich still verhielt,
ein beinahe ärgerlicher Ausdruck sich in seine Züge geschlichen hatte.
Beinahe hätter er laut losgelacht. War sein Freund etwa eifersüchtig? Wenn dem
so war, wollte D'Artagnon lieber nicht wissen, was sein Freund genau dachte.
Oder vielleicht doch. Nur ein wenig, damit er Aramis' seinen Verdacht mitteilen
konnte, ohne sie hinterher enttäuschen zu müssen.
Erst Aramis' Antwort auf Portos nicht enden wollendes Gestichtel ließ ihn
aufmerken und ein noch breiteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen, wenn das
überhaupt möglich war.
"Weißt du, sie heißt Renée. Gibst du jetzt endlich Ruhe, Portos?", antwortete
sie und war überrascht, wie nahe sie damit an der Wahrheit lag.
"Renée?", fragte Athos und starrte sie nur an. "Du hattes WIRKLICH
Damenbesuch?"
"Können wir nicht über was anderes sprechen? Schließlich seid ihr hier quasi
eingefallen und habt mich total überrumpelt."
"Gut. Hast du was Essbares hier?", fragte Portos und wandte sich gleich seinem
zweiten Lieblingsthema zu ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, während sich
Athos' Laune zweifelsohne verschlechtert hatte.
"Kannst du auch an was anderes als Essen denken?", grummelte Aramis und zeigte
ihm die Reste des Frühstücks, das sie einfach auf dem Esstisch hatte stehen
lassen.
"Selbst schuld. Du bist doch vorhin einfach verschwunden und hast uns allein in
diesem Gasthaus gelassen."
"Du meinst wohl Spelunke.", murmelte sie und wandte sich an D'Artagnon.
"Habt ihr vor hier zu übernachten oder wollt ihr wieder gehen?"
"Hm..." Eigentlich wollte er die angespannte Situation eher dadurch entspannen,
dass sie sich wieder auf den Heimweg machten, doch diesmal war es Athos, der das
Wort ergriff.
"Wenn es dir nichts ausmacht, würden wir bleiben."
Beinahe hätte sie erneut geseufzt, hielt sich jedoch zurück und nickte nur.
"Aber damit eins klar ist: Mein Bett teile ich mit niemandem."
"Schüchtern?", witzelte Athos und ein Blitzen, das ihr vorher noch nie
aufgefallen war, lag in seinen Augen.
"Wie kommst du denn darauf? Ich habe nur keine Lust, dass ich am Ende auf dem
Boden schlafe, weil Portos sich so breit macht."
Mit sicheren Schritten, jetzt, da sie sich an die Situation gewöhnt hatte,
betrat sie ihr Schlafzimmer und kehrte mit einem Arm voller Decken zurück.
"Da hinter dem Schrank müssten auch noch zwei alte Matratzen sein.", murmelte
sie und stemmte sich gegen den schweren Schrank.
"Warum hebst du Matratzen auf? Und vor allem hinter einem Schrank?" D'Artagnon
war sichtlich darüber erstaunt, dass sie sich einen solchen Ort für etwas, das
sie nicht mehr benötigte, ausgesucht hatte.
Aramis zuckte mit den Achseln. "Man weiß nie, wann man eine braucht."
Damit gähnte sie und legte sich erneut in ihr Bett und hoffte inständig, dass
ihre Freunde nicht auf die Idee kommen würden, ihr einen kleinen Streich zu
spielen.
***
TBC
Und wie war dieses Kapitel? Ich würde mich wirklich über Kommentare freuen,
also investiert doch ein paar Minuten und schreibt welche, ja?
Kapitel 3: Wer bist du eigentlich?
----------------------------------
Hi! Ich habe bis jetzt einen supernetten Kommentar bekommen! *freu* Und ich
hoffe, es werden noch mehr. Vor allem, weil ich letztens auch noch "Der Mann in
der eisernen Maske" gesehen habe und jetzt einfach nicht umhin komme, eine
kleine Verschwörung in diese Geschichte einzubauen (keine Angst, die Romantik
wird bestimmt nicht zu kurz kommen!).
Ach so, ich hab vorher wohl vergessen zu erwähnen, dass mir weder die
Charaktere noch die Story gehören und dass ich mit dieser Geschichte kein Geld
verdiene. Ich bin einfach ein Fan und konnte nicht widerstehen auch eine
Fanfiction für sie beizusteuern.
***
Die Sonne ging gerade auf, als Aramis erwachte, sich genüsslich in ihrem Bett
ausstreckte und sich dunkel daran erinnerte, dass sie sich an etwas erinnern
sollte. Aber was auch immer es war, sie konnte sich einfach nicht daran erinnern
und so stieß sie einfach ihr Fenster auf und ließ die warmen Sonnenstrahlen
herein.
Das helle Licht fing sich in ihrem langen blonden Haar und ein wenig verwirrt
bemerkte sie, dass sie in Straßenkleidung geschlafen hatte. War sie am Vorabend
so müde gewesen, dass sie sich nicht einmal umgezogen hatte?
Kopfschüttelnd betrat sie ihr Wohnzimmer und fuhr beinahe augenblicklich auf
dem Absatz herum. Drei Musketiere auf dem Boden unter Decken, auf dem Sofa und
über Matratzen verteilt, waren einfach zu viel für sie.
"Stimmt, deshalb hab ich so geschlafen.", murmelte sie und schüttelte den Kopf.
"Am besten ich ziehe mich erstmal um, bevor ich sie aufwecke."
***
Grinsend füllte sie einen Waschkrug mit Wasser, marschierte durch den Raum, in
dem Athos, Portos und D'Artagnon noch immer schliefen und verpasste jedem einen
tüchtigen Schwall des kalten Wassers, woraufhin sie sich prustend aufsetzten.
"Was zum...?!", schnauzte Athos, bevor er blinzelnd zu Aramis aufsah, die ihn
noch immer grinsend musterte.
"Das habt ihr davon, hier den halben Tag zu verschlafen. Ich will nicht wissen,
was Treville mit uns macht, wenn wir uns endlich bei ihm blicken lassen. Der hat
es dann bestimmt für einige Zeit auf uns abgesehen."
Resigniert zuckte sie mit den Schultern und wandte sich ab.
"Wann gibt's Frühstück?", fragte Portos nur und alle vier begannen zu lachen.
Ungefähr eine Stunde später waren sie alle soweit wach, dass sie sich auf den
Weg zu ihrem Kommandanten machen konnten, auch wenn sie sich schon auf ein
riesiges Donnerwetter gefasst machten.
"Glaubst du, er hat überhaupt gemerkt, dass wir nicht da waren?", fragte
D'Artagnon hoffnungsvoll doch Athos Antwort ließ keinen Zweifel zu.
"Hat er es jemals nicht bemerkt, wenn einer seiner Männer nicht zum Dienst
erschienen ist?" Beinahe kicherte Athos, auch wenn die letzte Nacht noch immer
durch seinen Kopf geisterte. Diese Sache mit Aramis und einer gewissen Renée
ging ihm einfach nicht aus dem Sinn.
Und wirklich, kaum hatten sie das Gelände betreten, da trat auch schon ein
junger Musketier an sie heran und richtete ihnen aus, dass Treville sie
unverzüglich sprechen wollte.
"Seht ihr, er wird uns zu Nachtstreifen durch die Stadt verdonnern und nur, weil
ihr euch in dieser Spelunke habt betrinken müssen.", schimpfte Aramis und
grinste. Ein Musketier zu sein wäre doch nicht mehr dasselbe, wenn man nicht ab
und zu eine Standpauke von Treville zu hören bekam.
"Da seid ihr ja endlich!", empfing sie Treville jedoch betont herzlich und es
war nicht die Spur Zorn aus seiner Stimme heraus zu hören.
"Ich habe Nachrichten für euch, vertrauliche Nachrichten. Ihr sollt einen
Gefangenen aus einem Inselgefängnis befreien - es ist kein offizieller Auftrag
der Musketiere, ihr arbeitet im Auftrag der Königin und einer Anzahl von
Männern, die sich alles genau überlegt haben."
"Bedeutet das, dass wir den König verraten?", keuchte D'Artagnon und sein Mund
stand offen, während er Treville ungläubig musterte. Es konnte doch nicht sein
Ernst sein!
"Doch, ihr werdet einen Mann befreien, dessen Gesicht hinter einer eisernen
Maske verborgen ist und der in einer Einzelzelle gefangen gehalten wird. Es ist
von äußerster Wichtigkeit, dass ihr ihn wohlbehalten zurück nach Paris bringt
und sorgt dafür, dass ihr nicht entdeckt werdet. Ihr handelt zwar im Auftrag
der Königin, aber sie kann euch nicht vor den Häschern des Kardinals
schützen, nicht in dieser Angelegenheit.", schloss Treville und musterte seine
besten Musketiere eingehend. "Seid ihr bereit im Dienste Frankreichs diesen
Auftrag zu übernehmen?"
Erstaunt wandten sich alle Aramis zu, die ohne zu zögern nickte.
Ein entspannter Ausdruck machte sich auf Trevilles Gesicht breit, als auch die
anderen nickten und er begann ihnen den Plan zu erklären...
***
"Ich soll WAS?!", kreischte Aramis und stand so ruckartig auf, dass sie den
Stuhl, auf dem sie saß, umwarf.
"Reg dich bitte nicht so auf, Aramis. Es ist doch viel glaubwürdiger, wenn eine
junge Adelige über weite Entfernung reist und von einigen Männern begleitet
wird, die sie beschützen als vier bewaffnete Männer die einfach über Land
reisen, oder?", fragte Treville und musterte sie eingehend. Er wusste, dass es
nicht leicht für sie sein würde, sich als das "auszugeben" was sie eigentlich
war.
"Warum ausgerechnet ich?", verteidigte sie sich und wusste schon wie die Antwort
lauten würde, noch bevor Treville zu sprechen begann.
"Kannst du dir Athos, Portos oder sogar D'Artagnon in einem Kleid vorstellen?"
"Hm... D'Artagnon würde vielleicht als Frau durchgehen.", meinte sie nur
achselzuckend und starrte absichtlich in eine andere Richtung.
"Hey!", wehrte sich D'Artagnon halbherzig und lächelte.
"Für Frankreich?", fragte Treville und sie sah ihn streng an.
Seufzend nickte sie. "Für Frankreich."
***
... etwas später nach einem Besuch in einer Schneiderei bei Aramis zu Hause...
"Nein!", schrie Aramis zum wiederholten Male und war froh darüber, dass sie die
Tür ihres Schlafzimmers abschließen konnte.
"Ach komm schon raus! So schlimm kann es doch wirklich nicht aussehen.", meinte
Athos und grinste seine Freunde an.
"So komme ich bestimmt nicht raus.", kam die Antwort von der anderen Seite der
Tür und sie konnten sich das Lachen kaum noch verkneifen.
"Du wirst früher oder später herauskommen müssen.", gab Portos zu bedenken
und mit einem leisen Klicken öffnete sich die Tür und eine grummelige Aramis
streckte den Kopf durch die Tür.
"Wenn auch nur einer von euch lacht, dann...", begann sie und trat langsam in
den Raum.
Das weinrote Kleid, das D'Artagnon für sie ausgewählt hatte, weil sie ihm zu
verstehen gegeben hatte, dass sie sich nicht mit solchen Dingen beschäftigen
würde, unterstrich ihre blonden Haare und brachte ihre blauen Augen
hervorragend zur Geltung.
Sie war selbst darüber erstaunt gewesen, wie weiblich sie tatsächlich in
dieser Kleidung wirkte, dabei hatte sie in den letzten Jahren alles getan, um
sich die Verhaltensweisen eines Mannes anzueignen.
Besonders Athos starrte die junge Frau an, die statt seines guten Freundes dort
im Raum zu stehen schien.
"Aramis?", fragte D'Artagnon und grinste.
"Was ist, D'Artagnon?", fragte sie und die Nervosität war ihr deutlich
anzumerken.
"Dreh dich mal." Er grinste als Aramis grummelnd tat was er von ihr verlangt
hatte.
Der edle Stoff bauschte sich um ihre langen Beine und sie wirkte wirklich wie
eine wunderschöne junge Frau.
***
TBC
Noch ein kleines Kapitel. ABer jetzt ist's schon fast 21:00 Uhr und ich möchte
noch an dem nächsten Kapitel feilen. Schreibt bitte Kommentare!!!
Eure
Kairi_Heartilly
Kapitel 4: Und die Reise beginnt
--------------------------------
Die drei Musketiere starrten Aramis noch immer an, während sie unbehaglich von
einem Bein aufs andere trat und eine leichte Röte ihre blassen Wangen überzog.
Warum hatte D'Artagnon auch ausgerechnet ein Kleid in dieser Farbe aussuchen
müssen?, fuhr es ihr durch den Sinn und sie starrte ihn wütend an.
"Haben wir nicht etwas vergessen?", fragte D'Artagnon, der die Spitzen der
weichen, braunen Lederstiefel unter dem roten Stoff hatte hervorblitzen sehen.
"Wo hast du denn die Schuhe gelassen?", fragte er noch, bevor er ungefragt ihr
Schlafzimmer betrat und alles auf den Kopf zu stellen begann. Aber es half
nichts, er hob sogar die Matratze aus dem massiven hölzernen Bettgestell, doch
die wunderbaren Schuhe, beinahe teurer als das Kleid, blieben verschwunden.
Aramis grinste ihn an, als er ratlos zurückkehrte und sie von oben bis unten
musterte. "Die Suche hättest du dir sparen können, mein Freund. Die Schuhe
habe ich aus dem Fenster auf den Heuwagen eines vorbeifahrenden Bauern
geworfen."
"Aber...", stotterte D'Artagnon.
"Kein ,Aber.'. Ich werde nicht in diesen komischen Schuhen herumlaufen und mir
die Beine brechen, weil ich über das nächstbeste Hindernis stolpere.",
antwortete sie und schüttelte den Kopf, wobei ihre blonden Haare mitschwangen
und Athos nicht umhin konnte, zu entdecken, dass eben diese Geste seinen Freund
wie eine störrische, junge Frau wirken ließ.
Alles in allem schien ihn erst jetzt die Erkenntnis zu treffen, dass sein Freund
nicht wie ein typischer Mann aussah. Nicht ein einziges Mal hatte er auch nur
einen Bartansatz auf dem jugendlichen Gesicht gesehen und ihn in eben diesem
Kleid zu sehen ließ ihn doch sehr ins Grübeln kommen.
Das schmal geschnittene Gesicht, die hohen Wangenknochen und wunderschöne blaue
Augen...
Er schüttelte energisch den Kopf, bevor er diesen Gedanken weiter nachhängen
konnte.
"Warum habe ich noch mal zugestimmt?", seufzte Aramis.
"Für Frankreich, für das französische Volk...", begann D'Artagnon
aufzuzählen doch sie winkte ab.
"Schon gut, schon gut... Ich erinnere ich. Ich hoffe nur, dass Frankreich dieses
Opfer zu würdigen weiß."
Selbst D'Artagnon musste zugeben, dass er überrascht war von ihrem Auftreten.
Er hatte zwar gewusst, dass sich hinter der männlichen Fassade eine Frau
verbarg, aber sie in diesem Kleid zu sehen ließ die Frau unter der Tracht der
Musketiere doch viel deutlicher hervortreten.
Hatte sie früher die Frau bewusst in den Hintergrund gedrängt, soweit von sich
fort geschoben, dass niemand auch nur zu zweifeln wagte, dass Aramis ein Mann
war, so schien nun die Frau ihr Recht einzufordern.
Aramis selbst wusste, dass sie für ihren Geschmack in dieser Situation zu sehr
wie eine Frau aussah. Ihr Leben konnte kaum noch komplizierter werden. Sie war
nicht länger eine Frau, die vorgab ein Mann zu sein. Sie war eine Frau, die
vorgab ein Mann zu sein, der vorgab eine Frau zu sein. Kein Mann würde in einem
Kleid so wirken wie sie. Es würde immer eine Kleinigkeit geben, die jemanden
aufmerken lassen würde, aber Aramis konnte nicht enttarnt werden.
Wahrscheinlich war das auch einer der Gründe, warum Treville sie für diese
Aufgabe ausgewählt hatte. Ihr Alibi würde hieb- und stichfest sein.
"Dann sollten wir uns jetzt wohl auf den Weg machen, nicht wahr?", fragte Portos
und blickte seine Freunde der Reihe nach grinsend an. "Die Truhe mit den anderen
Kleidern ist schon auf der Kutsche verstaut, oder?"
"Die Truhe mit den anderen Kleidern?!", keuchte Aramis und starrte noch
finsterer drein als zuvor.
"Naja, eine Dame des gehobenen Standes sollte doch mit angemessenem Gepäck und
vor allem mit angemessener Garderobe reisen. Es wäre mehr als verdächtig wenn
du nur mit dem einen Kleid und einer Musketieruniform im Handgepäck über Land
reisen würdest.", schaltete sich jetzt Athos dazwischen und lächelte.
"Macht euch nur über mich lustig! Wenn ihr noch ein bisschen länger dieses
Grinsen auf dem Gesicht herumtragt, stecke ich euch bei der nächsten
Gelegenheit in eines dieser Kleider in der besagten Truhe und dann kommt ihr in
den Genuss eines Mieders."
"Nein, nein. Wir brechen jetzt lieber auf.", erwiderte Athos und trat durch die
Tür hinaus auf die Straße, gefolgt von Portos und D'Artagnon. Er hatte
irgendwie das dumpfe Gefühl, dass Aramis seine Drohung wahr machen würde, wenn
er nur die Gelegenheit dazu geben würde.
Vor der Wohnung des Musketiers wartete ein Zweispänner. Keine außergewöhnlich
verzierte Kutsche aber noch immer ein schönes Model in einem dunklen Blauton.
Während Athos seinen Platz auf dem Kutschbock einnahm - D'Artagnon wollte es
nicht riskieren, Aramis mit den beiden alleine im Innenraum der Kutsche alleine
zu lassen, da sie in diesem Zustand doch... sehr gereizt war - während von
Aramis nichts zu sehen war.
"Jetzt komm schon, Aramis. Bis zur Insel Sainte-Marguerite ist es ziemlich weit
und je eher wir aufbrechen, desto eher sind wir wieder zurück in Paris.",
ermutigte Portos, der doch ein wenig Mitgefühl für seinen langjährigen Freund
aufbringen konnte.
Seine Argumente schienen sogar zu wirken, denn einige Sekunden später trat
tatsächlich eine blonde Schönheit über die Pforte, zog die Tür hinter sich
zu und stieg mit einem Seufzer in die Kutsche.
"Das nächste Mal kann Treville selbst ein Kleid anziehen und auf geheime
Mission gehen.", murmelte sie durch zusammengebissene Zähne und wich den
Blicken ihrer Freunde aus. Mit einem leichten Rucken setzte sich die Kutsche in
Bewegung.
Es juckte ihr förmlich in den Fingern - sie wollte nicht in einer Kutsche
sitzen. In den letzten Jahren hatte sie alles getan, um sich ihre
Unabhängigkeit zu erkämpfen und sie wollte nichts anderes tun als ihre Uniform
wieder anzuziehen, auf ein Pferd zu steigen und dann nichts wie auf und davon.
"In zwei Tagen erreichen wir wahrscheinlich Orléans.", meinte Portos noch
beschwichtigend während vor den Fenstern der Kutsche die zuerst die Straßen
von Paris, später Landschaften, vorüberzogen.
Und tatsächlich, nach zwei Tagen erreichten sie Orléans. Aramis musste
zugeben, dass es eine sehr schöne Stadt war und dass die Anspannung mit der
Zeit von ihr abfiel. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit musste sie sich nicht
verstellen. Sicher, fast jeder Charakterzug den Aramis besaß, stammte von
Renée.
Sie war nun einmal stur, eigenwillig, waghalsig und verlangte danach ihren Kopf
durchzusetzen. Aber es schien doch noch Gelegenheiten zu geben, bei denen sie
sich wünschte, Schwäche zeigen zu dürfen.
Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, ein Teil von ihr, den sie weit, sehr weit
von sich weggeschoben hatte, drängte manchmal an die Oberfläche. Selbst die
seltsamen Blicke, die ihr Athos manchmal zuwarf, schien sie zu akzeptieren.
Mochte er auch misstrauisch sein, beweisen konnte er ihr nichts und wenn es nach
ihr ginge, würde das auch noch bis auf weiteres so bleiben.
"Jeanne?"
Noch eine der Neuerungen in ihrem Leben. Der Name, den Portos vorgeschlagen
hatte. Zuerst hatte sie nie darauf reagiert, wenn man sich mit diesem Namen
angesprochen hatte, aber inzwischen schien sie sich auch daran zu gewöhnen.
Schließlich hatte sie sich selbst vor einigen Jahren einen neuen Namen gegeben
und der Name Renée war beinahe in Vergessenheit geraten.
Sie wandte sich D'Artagnon zu, der sie angesprochen hatte.
"Ja?"
"Immer noch sauer?"
"Nein.", gab sie widerwillig zu.
"In etwa zwei Wochen werden wir unser Ziel erreichen.", gab er zu bedenken und
musterte sie.
"Ich weiß, wie wir weiter verfahren werden, D'Artagnon. In der Nähe der Küste
gibt es ein kleines Landhaus, es wird von einem guten Freund Trevilles geführt,
der sich auch unserer Mission verschworen hat.", begann sie leise den so oft
besprochenen Plan herunterzuspulen.
"Von dort aus werden wir mit einem kleinen Ruderboot auf die Insel übersetzen
und vorgeben einen Gefangenen zu überführen."
"Genau.", stimmte D'Artagnon zu und nickte, während sie durch die Straßen von
Orléans liefen. Portos und Athos hatten sich zuvor in einem Gasthaus
niedergelassen und er war mit Aramis losgezogen, um die Vorräte aufzustocken
und einige der Dinge zu besorgen, die Treville sorgfältig auf einer Liste
notiert hatte.
Aramis warf immer wieder misstrauische Blicke in einzelne Gassen an denen sie
vorüberkamen und ihre Hand zuckte verdächtig.
"Vermisst du deinen Degen?", fragte er und grinste.
"Ihr hättet mir nicht verbieten müssen, einen zu tragen.", seufzte sie und
erinnerte sich nur äußerst ungern daran, dass ihr eigener Degen unter den
ganzen Kleidern in der Truhe im Gasthaus war.
"Tu nicht so als ob du ganz wehrlos wärst. Ich weiß, dass du einen Dolch unter
dem Rock da versteckst."
Ihre Augen weiteten sich plötzlich und sie beschloss sich nicht mehr darüber
den Kopf zu zerbrechen, woher der junge Mann das alles wusste.
***
TBC
Na, ist mir dieses Kapitel gelungen? Besser als die ersten beiden? Kommentare
bitte!!!
Kapitel 5: Schein und Sein
--------------------------
Uff, ich hab's endlich geschafft ein weiteres Kapitel zu Papier (äh,
Festplatte?) zu bringen! Jetzt geht's also weiter, ich hoffe inzwischen wird's
interessant... OK, let's get this started...
Man möge mir nachsehen, dass ich die damaligen Geldwerte nicht wirklich kenne
und eventuelle Preisdifferenzen (wie hoch auch immer diese sein werden) nicht so
schwer nehmen.
Schein und Sein
Nur ein paar Straßen weiter beschloss sie, sich bitterlich an Treville zu
rächen, wenn sie erst wieder zurück in Paris war und diese Mission hinter sich
gelassen hatte. Die Blicke, die ihr einige Männer im Vorübergehen zuwarfen
waren eine ungewohnte Erfahrung und was sie in den Augen ihrer unerwünschten
Beobachter sah schwankte zwischen Bewunderung und leichtem Erstaunen eine Frau
zu sehen, die mühelos mit der Körpergröße eines Mannes mithalten konnte.
Zumindest hatte sie diese furchtbaren Schuhe, die D'Artagnon für sie ausgesucht
hatte, loswerden können bevor sie aufgebrochen waren. Ansonsten hätten sie
ihre Füße wohl in den Wahnsinn getrieben.
"Hast du dir die Liste mal angesehen, die unser lieber Treville verfasst hat?",
fragte sie, als er ihr das leicht zerknitterte Papier reichte und sie überlog
es rasch.
"Tja, es sind vor allem edle Stoffe, Seife... gerade so, als sollten wir eine
Schneiderei eröffnen."
"Vielleicht sollen wir ja gerade das tun, am anderen Ende von Frankreich,
möglichst weit weg von Paris.", witzelte D'Artagnon und erntete dafür einen
Tritt in die Hacken. "Weißt du, es ist nicht besonders damenhaft, wenn du einem
Mann auf offener Straße in die Hacken trittst und dann auch noch wie ein
Honigkuchenpferd grinst.", erklärte er ernsthaft funkelte sie an.
"Wer hat gesagt, dass ich mich damenhaft geben will?"
"Ich weiß, dass du es nicht willst, aber es ist nun mal ein Befehl von Treville
und als guter Musketier wirst du tun was er dir befohlen hat und lass deine
schlechte Lauen nicht an mir aus." Er seufzte resigniert und hätte beinahe
ihrer Erwiderung verpasst.
"Wer hat gesagt, dass ich schlechte Laune habe? Ich amüsiere mich prächtig."
***
"Haben wir auch an alles gedacht?", fragte Aramis und warf nochmals einen Blick
auf Trevilles Liste. "Und die Einkäufe werden auch wirklich noch heute Abend in
das Gasthaus geliefert?"
"Natürlich, mach dir keine Sorgen darüber. Ich mache mir im Moment eher
Gedanken darüber, in welchem Zustand wir Athos und Portos vorfinden, wenn wir
das Gasthaus betreten."
Aramis verzog unmerklich das Gesicht. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass
die beiden eine beträchtliche Menge an Alkohol für sich beansprucht hatten...
an anderes gar nicht zu denken.
Für eine Weile gestatte sie sich ihren düsteren Gedanken nachzuhängen, ein
wenig eifersüchtig auf all die Frauen zu sein, die Athos offen schöne Augen
machen durften und ärgerte sich über das Kleid, dass sie gesellschaftlich
degradiert hatte. Doch dann blieb ihr Blick an den Fensterauslagen eines kleinen
Ladens hängen und sie hielt abrupt an.
D'Artagnon wollte sie gerade fragen, ob etwas nicht in Ordnung sei, als sie
schon in dem Laden verschwand und alles was er noch von ihr sah, bevor sich die
Ladentür hinter ihr schloss, war ein Zipfel des roten Kleides und wehendes
blondes Haar.
"Was hat sie denn jetzt schon wieder vor?" Grummelnd folgte er ihr. ,Ich bin
mindestens genauso froh, wenn all das vorüber ist, wie sie.'
Und da stand sie vor einem kleinen, alten Mann, der sie verwundert anstarrte und
verhandelte über den Preis einer der Auslagen aus dem Fenster.
"Habe ich Mademoiselle richtig verstanden? Sie wollen die Armbrust aus dem
Schaufenster kaufen?", fragte der Alte ungläubig und fuhr sich mit einer Hand
durch sein schlohweißes Haar.
"Natürlich. Die Armbrust aus dem Schaufenster - über den Preis werden wir uns
schon einigen.", bestätigte Aramis und zog fragend eine Augenbraue in die
Höhe. Warum sträubte sich dieser Mann nur so dagegen, ihr seine Waren zu
verkaufen?
Ihr kam es nicht einmal in den Sinn, dass dieser Mann es in seiner langjährigen
Berufserfahrung noch nicht erlebt hatte, dass eine Frau bei ihm einzukaufen
wünschte. Die Ladentür öffnete sich erneut und ein junger Mann trat ein.
,Was macht sie denn da? Vergisst sie, dass sie für alle um sie herum nicht mehr
der Musketier Aramis ist, sondern eine Frau?' Seufzend trat er näher und
überlegte fieberhaft, wie er diese Angelegenheit ohne viel Aufsehen zu erregen,
bereinigen konnte.
"Da bist du ja, Jeanne." begann er schließlich und sah den Mann mit einem
nachsichtigen Lächeln an. "Warum hast du denn nicht gesagt, dass du hier für
unseren Onkel ein Geburtstagsgeschenk erstehen wolltest?"
"Verzeihen Sie, Monsieur.", wandte er sich an den Alten, der deutlich
erleichtert wirkte und sogar ein Lächeln für Aramis übrig hatte.
"Sie wollen die Armbrust also verschenken? Eine ausgezeichnete Wahl, fürwahr,
eine ausgezeichnete Wahl..." murmelte er und bewegte sich träge auf die
Auslagen zu.
"Aber...", wollte Aramis gerade ansetzen, doch D'Artagnons Ellbogen traf ihre
Seite und sie schnappte entrüstet nach Luft.
"Was ist denn los?", wisperte sie durch zusammengebissene Zähne und warf ihm
einen zornigen Blick von der Seite zu.
"Keine Frau würde eine Armbrust für SICH kaufen, bist du denn von allen guten
Geistern verlassen?!", kam die gereizte Antwort und er zwang sich sichtlich zu
einem freundlichen und nachsichtigen Lächeln, als der alte Mann die Armbrust
brachte.
"Sie haben sicher von dieser hier gesprochen, nicht wahr, Monsieur?", fragte der
Alte freudig und strahlte D'Artagnon mit dem Blick eines Kenners an, während
Aramis für ihn überhaupt nicht anwesend zu sein schien. Nein, mit einer Frau
brauchte er sich nicht herumzuschlagen. Waffen waren nun einmal Männersache.
Punkt.
Das faltige Gesicht verzog sich beinahe zu einem verträumten Lächeln, während
er lang und breit über die Vorzüge dieser speziellen Armbrust sprach und
D'Artagnon musste stark an sich halten, um nicht zu gähnen.
"Nun, Monsieur, wären Sie mit einem Preis von 250 Franc einverstanden?"
Er warf einen fragenden Blick auf seine Begleitung und diese nickte zögernd.
"Denkst du nicht auch, sie würde Onkel Jean gefallen?", neckte er und reichte
dem Mann den genannten Betrag.
"Ich danke Ihnen, Monsieur."
"Au revoir." Mit diesen Worten zog er Aramis aus dem Laden und war froh, dieser
Situation so glimpflich entkommen zu sein.
"Warum brauche ich einen Mann, wenn ich eine Waffe kaufen möchte?!", tobte sie
endlich, als sie auf offener Straße waren und einige Meter zwischen sich und
den Laden gebracht hatten.
"Weil", begann D'Artagnon nun nachsichtiger gestimmt, da er doch verstand, dass
es ungewohnt für sie war, in die passive Rolle einer Frau gedrängt zu werden.
"eine Frau keine Verwendung für eine solche Waffe hätte."
Sie schnaubte vernehmbar. "Ich habe schon früher Frauen gesehen, die ihre
untreuen Männer mit Mistgabeln aus dem Haus gescheucht haben und da will man
mir erzählen, Frauen wüssten nicht, wie man eine Armbrust benutzt."
"Stimmt, man würde es aber auch nicht für möglich halten, dass eine junge
Frau die gesamten Musketiere Frankreichs hinters Licht führen kann und länger
als ein halbes Jahrzehnt unentdeckt als Mann unter ihnen lebt.", kicherte er und
sah sie dann abschätzend an, während sich auch ein leises Lächeln auf ihre
Lippen stahl.
"Und wie wäre es jetzt mit einem kleinen Tauschhandel?"
Blaue Augen musterten ihn unverhohlen erstaunt und eine Augenbraue wurde
spöttisch in die Höhe gezogen.
"Mit wem soll ich den was bitte tauschen? Willst du das Kleid anziehen und ich
darf wieder in Uniform gehen?", fragte sie hoffnungsvoll, obwohl sie es besser
wusste.
"Ich würde sagen, du kannst die Armbrust haben, wenn du wenigstens versuchst
dich wie eine Frau zu geben und du endlich diese dämlichen Verbände in
Brusthöhe abnimmst. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du dich fühlen
musst. Verbände und Mieder? Wie kann man denn da noch atmen?"
"Es geht.", antwortete sie grummelnd und starrte auf die Pflastersteine zu ihren
Füßen. "Das ist ein sehr unfairer Handel, D'Artagnon."
"Ja, aber du weißt, dass Treville sagte, so glaubwürdig wie möglich? Und
gestern, während du in der Kutsche geschlafen hast, hat Portos den glorreichen
Vorschlag gemacht, dein Äußeres weibliches Erscheinungsbild durch "Ausstopfen"
zu vervollständigen."
Flammende Röte überzog ihre Wangen und sie musste an sich halten, um Portos
nicht mit sämtlichen Beschimpfungen zu bedenken, die ihr durch den Kopf gingen.
"Das wäre selbst für die beste Armbrust von ganz Frankreich ein viel zu hoher
Preis, D'Artagnon.", gab sie betont gleichgültig zu bedenken und beschleunigte
ihre Schritte.
Sollte er doch sehen wie weit ihn seine kleinen manipulierenden Spiel brachten.
Nirgendwohin.
"Du willst sie nicht mehr? Wenn das so ist, kann ich sie ja bei nächster
Gelegenheit in die Seine werfen..." Leichtfertig zuckte er mit der rechten
Schulter, ein Grinsen unterdrückend.
"Du würdest sie nie in die Seine werfen.", erwiderte Aramis und doch schwang in
ihrer Stimme der Zweifel mit.
"Ich kann damit nichts anfangen, warum soll ich sie also lange mit mir
herumtragen?"
Das konnte wirklich interessant werden; wie lange sie diesen verbalen
Schlagabtausch wohl noch fortsetzen würden bis Aramis die Geduld verlor oder
nachgab. "Du willst sie wirklich nicht?"
Er beobachtete verstohlen wie sich die junge Frau auf die Unterlippe biss,
wahrscheinlich, um einen Schwall von Beschimpfungen zu unterdrücken.
"Einverstanden." Es war kaum mehr als ein Wispern, nicht lauter als das Rascheln
eines Blattes im Wind.
"Was hast du gesagt?"
,Oh, natürlich, er muss das natürlich auskosten. Sich in seinem Triumph
suhlen.', dachte sie verbittert und wiederholte ihre Worte.
"Na bitte, geht doch.", lachte der junge Mann und war deutlich besserer Laune
als zuvor.
***
"Das ist die HÖHE, D'Artagnon!", schnauzte Aramis und schüttelte energisch den
Kopf, während sie sich in dem wandhohen Spiegel betrachtete. "Ich sehe aus wie
eine Frau!"
"Du BIST eine Frau, Jeanne." Er kicherte, obwohl er auf der anderen Seite doch
ein wenig Mitleid für sie empfand. Aber man sollte ihr schließlich die junge
Adelige abnehmen und dazu musste sie eben die Verbände, die Teil ihres Lebens
geworden waren, ablegen.
"Aber...", begann sie zögernd und trat hinter der spanischen Wand im
Anproberaum des örtlichen Schneiders hervor.
Die Lippen zu einem trotzigen Schmollmund verzogen, von Wut verursachte Röte
auf den Wangen und die geballten Fäuste... D'Artagnon konnte nicht anders als
zu lachen.
"Ich finde das überhaupt nicht witzig, D'Artagnon!" Sie starrte ihn entrüstet
an und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Es gefiel ihr ganz und gar
nicht, was sie da im Spiegel gesehen hatte. Sie hatte zuviel Zeit ihres jungen
Lebens damit verbracht, sich die Fähigkeiten und das Äußere eines Mannes
anzueignen.
Sie steckte zu tief in der Gewohnheit, als dass sie von einem Moment auf den
anderen wieder das sein konnte, was sie eigentlich war. Wenn man es genau nahm,
hatte sie selbst als Frau gegen manche ungeschriebenen Regeln für Frauen
rebelliert. Sie verabscheute den Damensitz beim Reiten, die hochhackigen Schuhe,
aufgesetzte Konversation... Sie konnte die Liste noch lange fortsetzen.
"Du siehst wunderschön aus, glaub mir.", versicherte er ihr, nachdem er sich
wieder beruhigt hatte und meinte es auch so. Nicht zum ersten Mal fragte er
sich, wie alle anderen so blind sein konnten, die junge Frau unter der Uniform,
hinter dem Degen und vor allem in diesen großen, blauen Augen zu übersehen.
"Mach dich nicht auch noch über mich lustig.", zischte sie spröde und fügte
hinzu. "Ich kann den Tag nicht abwarten, an dem wir wieder in Paris sind und ich
mich mit Richelieus Schergen herumschlagen darf."
"Ist es wirklich so furchtbar?" Mitleid schlich sich bei ihm ein, da sie sich
sichtlich unwohl fühlte.
"Es ist mehr als nur furchtbar.", begann sie und richtete sich zu ihrer vollen
Größe auf. "Aber immer noch besser, als Portos Idee mich "auszustopfen". Am
Ende will er mir noch behilflich sein und dann stecke ich aber tief im
Schlammassel."
"Darf ich bitten, Mademoiselle? Ich würde sagen, Ihre Begleiter fragen sich
langsam, wo Sie bleiben."
Seufzend folgte sie ihm, verabschiedete sich höflich von dem freundlichen
Schneider und seinem Neffen, der das Handwerk von seinem Onkel erlernte und
nannte ihm die Adresse, an die er die Stoffe liefern sollte.
Es gab wohl kaum einen Menschen, der erleichterter war die frische, kühle
Abendluft von Orléans auf den Wangen zu spüren als Aramis.
"Sobald wir in dem Gasthaus angekommen sind, gibst du mir die Armbrust,
verstanden? Nachdem mich Athos und Portos so gesehen haben, habe ich mir dieses
Prachtstück mindestens zweimal verdient."
***
"Sieh mal, Athos. Da kommen D'Artagnon und... das ist doch nicht die
Möglichkeit!" Portos hatte Schwierigkeiten sich zu fangen. Hatte dieser
Lausejunge doch tatsächlich seinen scherzhaften Vorschlag in die Tat umgesetzt.
Wie hatte er Aramis nur dazu bekommen, mitzuspielen.
Athos hatte sich ebenfalls bei den Worten seines Freundes umgewandt und starrte
Aramis an. Hätte er nicht den Mann gekannt, mit dem er Seite an Seit unzählige
Kämpfe ausgefochten hatte, mit dem er getrunken und gescherzt hatte, hätte er
jetzt nicht den geringsten Zweifel daran, dass D'Artagnons Begleitung eine Frau
war.
"Ihr seid spät.", brachte er nur hervor, während Aramis ihm gegenüber Platz
nahm und seinem Blick auswich.
D'Artagnon sah seinen Freund einen Moment lang an und versuchte ihm
klarzumachen, dass er jetzt bloß nichts Falsches sagen sollte, doch zu spät.
"Das sieht aber wirklich echt aus, D'Artagnon. Wie habt ihr das gemacht?" Portos
deutete auf Aramis und diese starrte ihn wutentbrannt an.
Als eine Bedienung an ihrem Tisch vorbei lief, hielt Aramis sie an und versuchte
stark an sich zu halten, während sie Rotwein bestellte und sich seufzend
zurücklehnte. "Halt einfach den Mund, Portos oder ich mache meine Drohung wahr
und du wachst morgen früh in einem eigens für dich gefertigten Mieder auf."
"Aber man nimmt dir die Frau wirklich ab.", gab Athos zu bedenken und wieder
einmal war er verloren im Chaos seiner Gefühle. Was sollte er nun davon halten?
"Ich hoffe nur, dass wir morgen in aller Frühe aufbrechen werden. Je eher wir
die Küste erreichen, desto eher kommen wir zurück nach Paris.", gab sie harsch
zu bedenken und warf gleich darauf der Bedienung ein höfliches Lächeln zu, als
D'Artagnons Fuß sie am Schienbein traf.
"Ich weiß.", zischte sie. Wenn das so weiter ging, würde sie gleich nach
draußen stürmen, eines der Pferde aus dem Stall entwenden und bis vor die
Stadttore reiten, wo sie niemand hören würde, wenn sie ihrem Ärger Luft
machte.
"Was weißt du?" Interessiert beugte sich Athos nach vorne, nur um von einem
abweisenden Blick aus blauen Augen auf seinen Platz verwiesen zu werden.
"Vergiss es, Athos. Er musste heute schon genug aushalten.", versuchte
D'Artagnon seine Freunde zu beschwichtigen und sah besorgt zu, wie Aramis ihr
Weinglas beinahe in einem Zug leerte. "Wir brechen morgen bei Sonnenaufgang auf.
Und ihr..." Er warf einen ebenso besorgten Blick auf Athos und Portos. "...
solltet dann ausgeruht sein, ich nehme keine Rücksicht auf euch, wenn ihr die
Nacht hier unten verbracht habt, verstanden?"
Dass Aramis sich langsam erhob, nahm er nur am Rande wahr und beobachtete wie
sie die Treppe nach oben zu den Gasträumen nahm. Alles, was sie im Moment noch
wollte, war zu schlafen. Energisch verschloss sie die Tür hinter sich, um ganz
sicher zu gehen, dass sie am Morgen nicht Athos oder Portos überraschte. Portos
hatte manchmal diese Anwandlungen, diese seltsame Art von Humor. Wahrscheinlich
würde er in ihr Zimmer schleichen, während sie noch schlief und einen Eimer
kalten Wassers über ihrem Bett ausleeren, um sie zu wecken.
Wie hatte ihr Leben nur so kompliziert werden können? Was war aus der kleinen
französischen Adeligen vom Land geworden, die sich nicht mit politischen
Machtkämpfen, Intrigen und diesem Versteckspiel hatte herumschlagen müssen?
Seufzend ging sie zu Bett, zog die Decke bis unter die Nasenspitze und schlief
ein, noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, dass es kaum noch
komplizierter werden konnte.
***
Ein neues Kapitel! Ich hoffe, dass es euch gefallen hat.
Kapitel 6: Eine Lady auf Reisen
-------------------------------
Danke für die netten Kommis! * strahl * Ich freu mich, wenn's euch gefällt.
Und deshalb geht's jetzt auch schnell weiter!
Eine Lady auf Reisen
Am nächsten Morgen verließ eine deutlich besser gelaunte Aramis den Gasthof.
Während der Kutschfahrt, die sich endlos hinzuziehen schien, betrachtete sie
verträumt die Armbrust, die sie sich redlich verdient hatte und ein
verträumter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht.
"Wie ein kleines Kind an Weihnachten.", witzelte Portos und musterte seinen
Kameraden mit einem belustigtem Gesichtsausdruck. Auch wenn sein Freund momentan
wie eine Frau aussah, diese Begeisterung für eine Waffe konnte nur ein Mann an
den Tag legen.
Im Geiste schalt er Athos einen Idioten, dafür, dass er gestern - wenn auch in
leicht angetrunkenem Zustand - darüber sinniert hatte, dass ihr Freund ein
äußerst ungewöhnlicher ,Mann' wäre. Und dass, sah man ihn in Frauenkleidern,
es durchaus wahrscheinlicher erschien, dass man eine Frau vor sich hatte.
Unwillkürlich musste er erneut über die ernsthafte Art lachen, in der Athos
diese Vermutung ausgesprochen hatte, woraufhin ihn blaue Augen mit einem
stechenden und zugleich fragenden Blick strafte.
"Was ist denn so lustig, mon ami?"
Für den Bruchteil einer Sekunde zog Portos es in Erwägung, seinem Freund von
Athos seltsamen Ideen zu berichten, aber der kühle Blick aus den Augen seines
Gegenübers ließ ihn diese Möglichkeit recht schnell vergessen. Aramis hatte
schon oft genug bewiesen, wie empfindlich er im Bezug auf dieses Thema war und
da wollte er nicht auch noch Salz in die offene Wunde streuen. Schließlich
wollte er nicht daran schuld sein, wenn Athos gleich im Straßenstaub lag und
sich in einer Prügelei mit seinem Freund wiederfand.
"Nichts, nur ein Witz, den mir eine der Bedienungen in dem Gasthaus erzählt
hat.", log er und hoffte, dass man es ihm abnehmen konnte. Er wollte gerade
ansetzen etwas passendes zu zitieren, da schnitt Aramis ihm das Wort ab.
"Ich will es gar nicht erst hören!", zischte sie gereizt und starrte aus dem
Fenster. Wirklich, manchmal verstand sie bei Weitem nicht, was die Männer in
solche Spelunken zog... selbst in all den Jahren, die sie unter ihnen gelebt
hatte, war es ihr nicht möglich gewesen das männliche Denken vollkommen zu
durchschauen.
"Ist wohl auch besser so...", murmelte sie geistesabwesend und schrak kurz
darauf heftig zusammen, als Portos sie grinsend fragte, was er da vor sich
hingebrabbelt hatte.
D'Artagnon nahm das alles ziemlich gelassen hin und hielt sich möglichst aus
dem spielerischen Gerangel heraus. Bisher hatte sich Aramis wacker geschlagen,
obwohl D'Artagnon befürchtete, dass sie insgeheim Rachepläne schmiedete und
darüber nachdachte, wie sie es Treville heimzahlen konnte...
"Ach, komm schon, Aramis. Es dauert nicht mehr lange und dann sind wir am Ziel
unserer Reise angelangt."
"Halb Frankreich liegt noch vor uns, Portos.", antwortete sie widerwillig und
ein resignierter Seufzer begleitete ihre Worte.
"Halb Frankreich mit all seinen Schönheiten.", lachte der andere.
***
,Wann sind wir denn endlich an der Küste angelangt?!' Dieser eine Gedanke
erfüllte ihr Denken, während die Kutsche über den unebenen Weg ruckelte.
Schlaf war in dieser Situation wahrscheinlich die einzige Alternative; ansonsten
wäre sie noch verrückt geworden. Und so beschloss sie, den Rest der Fahrt so
lange wie möglich zu verschlafen, auch wenn sie schon ahnte, dass ihr Rücken
schrecklich schmerzen würde, wenn sie tatsächlich im Sitzen einschlief.
"Ich beneide unseren jungen Freund.", seufzte Portos schließlich und warf dem
Schlafenden einen vermeintlich neidischen Blick zu. "Er kann anscheinend
überall und bei jeder Gelegenheit schlafen."
Auch D'Artagnon beobachtete belustigt wie die junge Frau tatsächlich unter
diesen Umständen schlafen konnte. Jede andere Frau hätte sich beschwert und
wäre unter keinen Umständen auch nur auf den Gedanken gekommen, im Sitzen zu
schlafen. Erst recht nicht, wenn sie von Adel war.
Aber wer konnte es ihr verübeln? Portos hatte sie während der letzten beiden
Stunden bis aufs Blut gereizt und er hatte damit gerechnet, dass sie ihm gleich
an die Gurgel gehen würde. Und auch er verspürte nicht die Lust, sich an
Portos Witzeleien zu beteiligen, sondern starrte aus dem Fenster, wo sich der
Herbst bemerkbar machte.
Noch lag nur ein schmaler Laubteppich auf den wenig befahrenen Straßen, aber
schon bald würden die Bäume kahl sein und der Winter würde mit langen
Schritten Einzug in Frankreich halten. Und immer öfter dachte er über den
Gefangenen nach, den sie aus dem Inselgefängnis befreien sollten. Ein Mann, der
seit Jahren in Einzelhaft dort saß... was mochte er verbrochen haben - oder was
hatte man ihm angehängt - ... Treville würde sie sicher nicht durch ganz
Frankreich reisen lassen, um einen Schwerverbrecher zu befreien.
Mochte man sagen, was man wollte. Er rechnete trotz allem mit Ärger. Bisher
hatten die Musketiere des Königs ausschließlich dem Schutz des Königshauses
gedient, Recht und Ordnung verteidigt und was man nun von ihnen verlangte...
würde einen Mann, der Treville nicht so gut kannte wie sie es taten, an der
Aufrichtigkeit der Musketiere zweifeln lassen.
***
Der Rest der Reise verlief im Großen und Ganzen recht ereignislos, wenn man von
Gelegentlichen Wutausbrüchen Aramis' und dem ständigen, freundschaftlichen
Necken Portos' absah.
Aramis schien sich an ihr Versprechen zu halten, gab sich alle Mühe sich in
Gegenwart anderer ganz wie die junge Adelige zu geben, die sie, wenn man es
genau nahm, auch war und schaffte es sogar, sich zurückzuhalten, als ein paar
freche Jungen auf der Straße hinter ihr herpfiffen. Obwohl er in ihren Augen
deutlich das bekannte Funkeln gesehen hatte, das für gewöhnlich eine saftige
Schlägerei ankündigte.
"Oh, hör endlich auf, Portos, oder ich weiß nicht was ich tun werde!"
Wenn man gerade von der friedfertigen, kooperative Aramis sprach...
"Wenn du es noch ein einziges Mal wagen solltest, mich irgendwo als deine
Verlobte vorzustellen, dann wirst du dein blaues Wunder erleben!"
Schallendes Gelächter antwortete ihr und stammte von dem Angesprochenen.
"Nimm's doch nicht so schwer, Ara... Jeanne.", korrigierte sich Athos hastig und
brachte ein schwaches Grinsen zu Stande. Seit einiger Zeit wusste er nicht mehr,
wie er mit Aramis umgehen sollte. Wann immer er mit ihm sprach... wenn diese
blauen Augen ihn ansahen, schien ihn nicht sein langjähriger Waffengefährte,
sondern wahrlich eine junge Frau anzusehen.
Eine Tatsache, die ihn verwirrte und bestürzte. Portos hatte ihn sogar
ausgelacht, als er einmal erwähnt hatte, Aramis würde tatsächlich wie eine
Frau aussehen und wirken. Damals hatte er es zum Glück auf den Alkohol schieben
können, ansonsten hätte ihn sein Freund wohl für übergeschnappt erklärt.
Auch er würde aufatmen, wenn Aramis endlich wieder seine Uniform tragen und
damit sämtliche Zweifel beseitigen würde. Aber für den Moment konnte er sich
über den kindlichen Streit zwischen Aramis und Portos amüsieren, während sie
sich kurz vor ihrem Reiseziel befanden. Nur noch eine einzige Tagesreise und sie
würden das Haus an der Küste erreichen.
"Regt euch ab, ihr beiden. Das war eben der eben der letzte Gastwirt, mit dem
wir für die Hinreise gesprochen haben.", versuchte D'Artagnon die beiden zu
beschwichtigen, doch es half nichts.
"Aber er treibt dieses kleine Spielchen schon seit der ersten Rast nach
Orléans!", verteidigte sich Aramis und funkelte die Männer um sich herum an.
"Geh einfach darüber hinweg.", schlug Athos vor und musste an sich halten, um
Aramis nicht anzustarren. Von Ärger verursachte Röte überzog die sonst so
blassen Wangen und für einen Moment glaubte er wirklich, eine beleidigte, junge
Frau vor sich zu sehen. Er schüttelte diese Gedanken schnell ab und grinste.
"Zieh du doch dieses Kleid an und lass dich von ihm als seine Verlobte
vorstellen. Dein Gesicht möchte ich sehen und vor allem das Geplärr, das du
veranstalten würdest.", murmelte sie und wünschte, sie hätte ihrem Ärger wie
ein Mann Luft machen können. Aber was würden die Leute in der gut gefüllten
Gaststube davon halten, wenn diese "zarte, junge Frau mit den schönen blauen
Augen" auf einmal ausholte und dem rüpelhaften Mann, der andauernd grinste,
einen Schlag versetzte, der einem Mann alle Ehre gemacht hätte?
Schließlich fanden sie einen der Tische in einer der hinteren Ecken des Raumes
frei vor und ließen sich nieder und kurz darauf erschien eine Bedienung. Kein
junges Ding, eine Frau in den mittleren Jahren, die sich liebenswürdig verhielt
und der blonden Frau einen mitfühlenden Blick zuwarf.
"Was darf ich bringen?", fragte sie. Sie beobachtete lächelnd, wie die Männer
Rotwein bestellten, die Frau jedoch nach Weißwein verlangte. Üblicherweise
waren es die Frauen, die nach dem milder schmeckenden roten Wein fragten,
während sie den meist säuerlichen Weißwein ablehnten.
Noch immer lächelnd wandte sie sich um und steuerte auf den Ausschank zu.
"Weißwein?", fragte Portos ungläubig und zog eine Augenbraue fragend in die
Höhe? "Welche Frau würde Weißwein bestellen?"
Schnippisch gab Aramis zurück: "Ich."
"Sind wir aber heute wieder empfindlich!", kam prompt die provozierende
Erwiderung und er betonte das letzte Wort kaum merklich.
"Nicht schon wieder. Hört auf zu streiten, beide.", warf D'Artagnon ein,
während die Frau mit dem Bestellten zurückkehrte, alles abstellte, schweigend
und leicht grinsend wieder verschwand, angesichts der Tatsache, dass sich dieses
junge Mädchen anscheinend sehr wohl durchsetzen konnte.
Schlanke Finger schlossen sich um das Glas und setzten es an die Lippen, um es
in einem Zug zu leeren. Innerlich schüttelte sie sich ein wenig... vielleicht
hätte sie doch lieber einen milden Rotwein... aber nein, jetzt würde sie sich
erst recht nicht die Blöße geben!
"Morgen brechen wir in aller Frühe auf, dann erreichen wir noch vor Mittag
unser Ziel. Sobald die Dunkelheit aufzieht, werden wir dann das Boot zu Wasser
lassen.", wisperte Athos und sah sich misstrauisch um, als fürchtete er,
belauscht zu werden.
"Und dann darf ich dieses Kleid endlich gegen die Uniform eintauschen?", fragte
Aramis hoffnungsvoll und starrte ihren Freund an. Auch wenn es ihm nicht
aufgefallen war, sie hatte ihn in den letzten Tagen gemustert, wann immer sich
die Gelegenheit dazu bot, auch wenn sie wusste, dass es eine einseitige und
geheime Liebe war, die sie für ihn empfand.
"Nicht so ganz.", antwortete Athos und machte sich schon auf einen weiteren
Wutausbruch gefasst... doch diesmal blieb Aramis ganz ruhig.
"Hätte ich mir doch denken können.", war alles, was als Erwiderung kam und
dabei blieb es auch für den Rest des Abends. Sie beschloss, das Beste aus all
dem zu machen, lehnte sich zurück, bestellte ein zweites Glas Weißwein, wobei
sie dachte ,Bloß runter mit diesem scheußlichen Fusel!' und ignorierte gekonnt
sämtliche Versuche Portos sie zu reizen.
Mochte er sich an diesem Abend anstrengen wie er wollte, sie würde nicht für
den Unterhaltungswert der Gruppe sorgen. Wir sollten besser zu Bett gehen, wir
alle. Morgen ist ein langer Tag und wir brauchen alle unseren Schlaf.", schlug
Athos nach einiger Zeit vor und alle erhoben sich gehorsam.
Mochte Portos auch sonst noch so gerne feiern, er wusste, dass sie sich am
morgigen Tag keine Fehler erlauben durften. Diesmal waren sie nicht im Befehl
des Königs unterwegs, in diesem Fall ging es einzig und allein um eine
Angelegenheit Frankreichs und sie waren aus freien Stücken hier.
Alles, was Aramis an diesem Abend noch wollte, war, sich ins Bett zu legen und
zu schlafen, wie schon bei den letzten Rasten, die sie eingelegt hatten. Sie
wäre lieber den ganzen Weg von Paris auf dem Rücken eines Pferdes in en Süden
Frankreichs galoppiert, als in dieser "Kutsche" durchs Land zu tingeln und den
ganzen Tag nur zu sitzen.
Beinahe hätte sie die Tür ihres Zimmers hinter sich zugeschlagen, aber sie
unterließ es. Nur keine unnötige Aufmerksamkeit erregen...
In der Ruhe ihres Zimmers fiel ihr etwas auf, das ihr in dem lauten
Durcheinander der Gaststube völlig entgangen war. Ein leises, stetiges Klopfen,
ein Prasseln war zu vernehmen und sie sah, wie sich viele kleine Tropfen ihren
Weg über die gläserne Fensterscheibe ihres Zimmers bahnten.
"Natürlich, genau das hat uns noch gefehlt!"
Zögernd entzündete sie eine der Kerzen, die auf dem Tisch unter dem Fenster
standen und dann eine weitere. Die Dunkelheit wich dem weichen, warmen
Kerzenlicht und vertrieb die Schatten, die sich über ihr Gemüt legen, wenn sie
alleine war.
***
Das erste fahle Licht fiel durch die Fensterscheibe, gegen die noch immer
schwere Regentropfen prasselten und weckten sie auf. Seufzend stand sie auf und
dachte, dass sie bei diesem Wetter vielleicht der Kutsche doch eine gute Seite
abgewinnen konnte. So wurde sie jedenfalls nicht nass bis auf die Knochen.
Aber angesichts des trübe Wetters und der Kälte, die sich bemerkbar machte,
bemühte sie sich zum ersten Mal ein für das Wetter passendes Kleid
auszuwählen. Und sie fand ein Kleid aus dunkelgrünem Samt, zu dem die
hellbraunen Lederstiefel hervorragend passen würden. Und der Umhang mit der
Kapuze aus dem selben Stoff wie das Kleid, waren wie für ein solches
Schmuddelwetter geeignet.
Auch wenn sie es sich nur schwer eingestehen konnte. Sie mochte dieses Kleid und
wenn das jemals jemand herausfinden sollte, würde sie es einfach leugnen.
,Was ist schon dabei? Du bist nun mal eine Frau und hast das Recht darauf ab und
an ein Kleid zu mögen.', dachte sie und musterte sich in dem kleinen,
verschrammten Spiegel, der in ihrem Zimmer an der Wand hing.
Das lange Haar zu einem Zopf geflochten, trat sie aus dem Raum und wie sie es
geahnt hatte, stand schon D'Artagnon vor ihrem Zimmer, um auf sie zu warten.
"Gut geschlafen?"
Sie nickte und fragte sich, wie er es fertig brachte schon am frühen Morgen so
gut gelaunt zu sein. Normalerweise brauchte sie eine gewisse Warmlaufzeit, bis
sie ansprechbar war.
"Die anderen sind schon unten und warten mit dem Frühstück auf uns." Er
grinste leicht.
Leichthin zuckte Aramis mit den Achseln. "Dann lassen wir sie nicht länger
warten, oder?" Sie blinzelte, als er ihr den Arm anbot.
"Mademoiselle, darf ich bitten?"
Sich kicherte und war überrascht, dass sie gewillt war bei dieser Posse
mitzumachen. Also hakte sie sich bei ihm unter und gemeinsam schritten sie in
würdevollem Tempo die Treppe in den Gastraum hinunter.
"Das Kleid steht dir." raunte er ihr zu, damit auch niemand anderes ihn hören
konnte. Er wollte nicht der Grund dafür sein, dass ihre Verkleidung aufflog.
"Ich verstehe gar nicht, wieso du unbedingt wieder in der Uniform herumlaufen
willst."
"Sehr witzig, D'Artagnon."
"Ich meine es ernst. Das Kleid steht dir wirklich.", bekräftigte er und war
keineswegs überrascht, dass einige der Männer, die sich schon zu früher
Stunde hier aufhielten, ihr Blick nachwarfen und sie anlächelte.
Und der Blick, undeutbar und doch verwundert, den ihr Athos zuwarf, als sie sich
an ihrem Tisch niederließ... und sie tat das einzige, was eine Frau in dieser
Situation vielleicht getan hätte. Sie senkte den Blick und mied es mit einem
Eifer, den sie sonst nur mit dem Degen an den Tag legte, nur keinen Augenkontakt
mit Athos herzustellen. Die Röte, die sie ihre Wangen überziehen spürte,
machte die Situation für sie noch unerträglicher und beinahe wäre sie
aufgesprungen und einfach hinaus in den Regen gerannt.
Aber zum ersten Mal seit sie Paris verlassen hatten, war sie dankbar für eine
spitze Bemerkung, die Portos machte.
"Herzensbrecher. Hast du gesehen, wie die Männer dir hinterher gesehen haben?
Kannst du dir vorstellen, was die für eine Gesicht machen würden, wenn die
wüssten, dass..."
"Halt besser den Mund, Portos.", zischte sie und gab ihm durch eine Geste zu
verstehen, nur nicht weiter zu sprechen. "Vielleicht sollten wir besser gehen."
Und damit erhob sie sich und marschierte erhobenen Hauptes auf den Ausgang zu
und wartete auf die anderen, die ihr, wenn Portos auch leicht murrte, folgten.
Ein junger Stallbursche spannte in Windeseile die Pferde an und obwohl Aramis
die dunkelgrüne Kapuze aufgezogen hatte, starrte er sie einen Moment lang an,
bevor er ihr seinen Arm beim Einsteigen anbot. Er war wohl kaum älter als 17
und seine Wangen verfärbten sich in ein tiefes Rot, als die schöne Blonde ihm
dankbar zunickte und sogar ein wenig lächelte.
"Wenn das so weiter geht, dann verdreht unser Aramis hier noch jedem Mann an der
Küste den Kopf, noch bevor wir unser Reiseziel erreicht habe.", lächelte
Portos.
"Armer Athos, da draußen im Regen auf dem Kutschbock.", wandte D'Artagnon ein
und warf einen mitleidigen Blick aus dem Fenster nach vorne.
"Ich tausche gerne meinen Platz mit ihm.", bot Aramis sofort an.
"Genau, und die junge Adelige sitz dann auf dem Kutschbock, in ihrem edlen Kleid
und die Dienerschaft fährt hinten im trockenen Wagen. Das wäre ein Spaß für
jeden Zuschauer und überhaupt nicht auffällig.", ertönte Athos Bemerkung von
vorne und sie fuhr erstaunt zusammen, als sie begriff, dass man anscheinend
jedes Wort auf dem Kutschbock verstehen konnte.
Wahrscheinlich hatte er sich dort über die endlosen Streitgespräche zwischen
ihr und Portos vor Lachen gekrümmt.
"Ist das ein schönes Wetter. Ich glaube, wir werden viel Spaß in unserem
kleinen Ruderboot haben."
"Wir?", fragte Aramis erstaunt und warf einen fragenden Blick auf den ihr
gegenüber sitzenden Portos.
"Natürlich, während wir die Wachen in Schach halten, sollst du ja den
Gefangenen befreien. Wer würde im Handgemenge schon auf eine Frau achten?"
"Und warum sollte eine Frau eine Gefangenenüberführung begleiten?"
"Wenn es ihr Bruder ist, den man in ein Gefängnis überführt, würde sich doch
die ältere Schwester, die einzige Verwandte, doch wohl kaum davon abhalten
lassen, ihn zu begleiten.", gab Portos zu bedenken. "Eine adelige Schwester, die
mit ihrem Geld auf einer so abgelegenen Insel doch die Haftumstände ihres
Bruders ein wenig mildern kann, wenn sich die Wachen bestechen lassen..."
Sie seufzte - und merkte auf. Sie musste diese lästige Angewohnheit loswerden,
ein Mann seufzte nicht ständig in Resignation. Er würde wüten, wenn ihm etwas
nicht gefiel! Aber im Moment waren ihr die Hände gebunden und sie musste sich
mit dem Los einer Frau abfinden.
Alles, um den Schein zu wahren.
Es dauerte nicht lange und in der Luft lag ein leicht salziger Geruch, der ihnen
entgegenwehte und Aramis hielt den Kopf aus dem Fenster, als sie die Wellen
gegen Klippen schlagen hörte. Durch das stürmische Wetter war die See
aufgewühlt und das Rauschen wurde noch weiter ins Landesinnere getragen als
sonst.
"Wir sind bald da.", kam ein durch den Wind gedämpfter Ruf von Athos und sie
starrte auf die vorbeiziehende Landschaft. Wie wundervoll diese Gegend bei
Sonnenschein wirken musste, aber auch der peitschende Regen hatte seine Reize.
Das stetige Prasseln der schweren Tropfen auf das Kutschendach wirkten wie ein
Singsang der Natur, der im Hintergrund erklang.
Aramis zog den schweren Mantel enger um sich. Einen derartigen Wetterumschwung
hatte man bei ihrer Abreise nicht vorhergesehen und dachte grimmig an die
Wärme, die ihre Uniform ihr bieten würde. Sie erinnerte sich langsam wieder
daran, warum sie Kleider für unpraktisch hielt und war mindestens genauso
erleichtert wie der völlig durchnässte Athos, als die Kutsche endlich anhielt
und das "kleine" Landhaus an der Küste entpuppte sich, als sie ausstieg, als
relativ groß. Es entsprach ungefähr dem Anwesen einer gut gestellten Familie
im Stand des Landadels.
"Willkommen!", rief ein rotblonder Mann, der aus dem Hauseingang auf sie zulief,
blieb zuerst vor Aramis stehen, grüßte die junge Dame und wandte sich erst
dann an die anderen. Zurück blieb bei Aramis die Frage, wie weit Treville diese
Männer in ihr persönliches Geheimnis eingeweiht hatte...
***
Geschafft! Kommis sind noch immer gern gesehen! * freu *
Kapitel 7: Geheimnisse und Antworten
------------------------------------
Aramis zog den schweren Mantel enger um sich. Einen derartigen Wetterumschwung
hatte man bei ihrer Abreise nicht vorhergesehen und dachte grimmig an die
Wärme, die ihre Uniform ihr bieten würde. Sie erinnerte sich langsam wieder
daran, warum sie Kleider für unpraktisch hielt und war mindestens genauso
erleichtert wie der völlig durchnässte Athos, als die Kutsche endlich anhielt
und das "kleine" Landhaus an der Küste entpuppte sich, als sie ausstieg, als
relativ groß. Es entsprach ungefähr dem Anwesen einer gut gestellten Familie
im Stand des Landadels.
"Willkommen!", rief ein rotblonder Mann, der aus dem Hauseingang auf sie zulief,
blieb zuerst vor Aramis stehen, grüßte die junge Dame und wandte sich erst
dann an die anderen. Zurück blieb bei Aramis die Frage, wie weit Treville diese
Männer in ihr persönliches Geheimnis eingeweiht hatte...
***
Der schwere Regen fiel noch immer vom Himmel und in welche Richtung man auch
schaute, es hatte sich eine dunkelgraue Decke über das Blau des Himmels
geschoben, die allem Anschein nach noch lange nicht zu weichen gedachte.
Der rotblonde Mann hatte sich inzwischen als Claude vorgestellt und wirkte wie
ein Schuljunge, auch wenn die Falten um Augen und Mund deutlich von seinem
wahren Alter sprachen. Ein im Herzen junggebliebener Mann, der sich einer guten
Sache verschrieben hatte. War es da verwunderlich, dass er sich an so einem Ort,
fernab von jeglicher Politik und wichtigen Entscheidungen niedergelassen hatte?
Erneut musterte Aramis das Landhaus: zwei Stockwerke, weiß verputzt und sogar
eine Veranda an der dem Wind abgewandten Seite. Auch wenn es jetzt von einer
traurigen Atmosphäre umgeben war, so glaubte sie, dass es bei klarem Himmel und
strahlendem Sonnenschein ein durchaus angenehmer Ort sein konnte. Es hatte
nichts gemein mit den zum Teil dicht aneinander gereihten Häusern in den
Straßen von Paris.
Schließlich wandte sie sich der Küste zu und sah eine kleine Insel. Sie war
durch aufsteigenden Nebel und den starken Regen zwar nur verschwommen zu
erkennen, aber dennoch wirkte sie dunkel, schwarz und wie ein Ort der
Traurigkeit. Wie kam man nur auf die Idee ein Gefängnis auf einer Insel zu
errichten? Und wieder fragte sie sich, was der Mann, den sie befreien sollten,
eigentlich verbrochen hatte...
"Aramis?"
Sie schrak beinahe zusammen als sie D'Artagnons Hand auf ihrer Schulter spürte.
"Wir sollten uns nicht zu lange hier im Regen aufhalten."
Er hatte Recht, aber dennoch konnte sie den Blick nicht von der kleinen Insel
abwenden. Vielleicht war dieser Ort ein Gefängnis für all jene, die den
zweifelhaften Zielen des Kardinals im Wege standen und man brachte sie dorthin,
damit niemand in der Nähe war, der Fragen stellen konnte.
Erst als er sie erneut ansprach, wandte sie sich ab und schritt mit schnellen
Schritten auf das Gasthaus zu. Sie mochte es nicht zugeben, aber ihr war kalt,
der Wind war durch Mantel und Kleid gedrungen und sie zitterte.
Im Inneren des Hauses sollten sie noch mehr Überraschungen vorfinden. Hatte das
Landhaus schon von Außen prächtig gewirkt, so wurde dies durch eine
wundervolle, liebevolle Inneneinrichtung übertroffen. Weiche Sessel standen in
einem Halbkreis um den offenen Kamin verteilt, mehr als ein Dutzend Kerzenhalter
tauchten den Raum in ein angenehmes, sanftes Licht und die Wärme des
prasselnden Feuers gab dem ganzen die Note eines gemütlichen Heimes.
"Nicht schlecht.", staunte sogar Portos und musterte den Raum ebenfalls
staunend.
"Kommt nur, setzt euch schon an den Kamin, Sandrine wird uns gleich etwas zu
essen und Rotwein bringen.", sagte Claude und nahm selbst schon in einem der
Sessel vor dem Feuer platz. Er wartete, bis es sich jeder bequem gemacht hatte,
bevor er zu sprechen ansetzte.
"Ihr wisst, was ihr zu tun habt?"
Als ihm Athos mit einem Nicken antwortete, fuhr er fort. "Nicht weniger habe ich
von den besten Männern unter den Musketieren erwartet. Wenn ihr den Gefangenen
befreit habt, werdet ihr ihn hierher bringen, man wird hier nicht nach ihm
suchen und wenn doch, so wird man in diesem Haus nie jemanden finden, der nicht
gefunden werden soll."
Fragende Blick wurden ihm zugeworfen, doch noch bevor er antworten konnte, war
Aramis aufgestanden und auf eine der Wände zugegangen. Mit einem sanften
Klopfen ging sie an ihr entlang, bis sie einen Punkt erreichte, an der ihr ein
hohl klingendes Geräusch antwortet. "Hohle Wände, Gänge und Kammern hinter
der Wand...", murmelte sie und lächelte unwillkürlich.
"Ganz recht.", bestätigte Claude und sah die anderen drei an. "Eure Freundin
hat ganz recht."
Schallendes Gelächter von Portos ließ ihn zusammenzucken und der Mann
prustete. "Dass sogar Ihr darauf hereingefallen seid, Claude! Unserer kleine
Freundin ist nämlich auch ein Musketier, Aramis, um genau zu sein.
D'Artagnon warf ihr einen raschen Blick zu. Ihm entging nicht die Sorgenfalte,
die sich auf ihrer Stirn gebildet hatte, noch die schmale Linie, zu der ihre
Lippen geworden waren. Auch Claude sah die junge Frau einen Moment lang an,
bevor er mit den Schultern zuckte und ein undeutliches "Wenn Ihr meint." vor
sich hinmurmelte. Sollten diese Männer noch eine Weile ihrem Irrglauben
erliegen, aber er musste mit der jungen Frau sprechen. Darum hatte ihn sein
Freund Treville gebeten.
Treville machte sich seid einiger Zeit Sorgen um einen seiner besten Musketiere.
Aramis lebte schon zu lange hinter einer Fassade, die sie aufgebaut hatte und
sie wusste, dass sie sich nicht ewig als Mann ausgeben konnte. Sie spielte mit
dem Feuer und der Blick, den sie D'Artagnon zugeworfen hatte, sprach Bände
darüber, dass sie auch dies ziemlich genau wusste.
Mit ein paar weiten Schritten kehrte sie zu ihrem Sessel zurück, ließ sich auf
das weiche Polster fallen und starrte missmutig in die knisternden Flammen,
während ihre Hand sich um ein kunstvolles Weinglas legte. Einen Augenblick lang
schwenkte sie das Glas, die rote Flüssigkeit schwappte darin herum, berührte
den oberen Rand, verließ das Gefäß jedoch nicht. Nachdem sie einen Schluck
des starken Weins getrunken hatte, sah sie Portos nachdenklich an und wandte
sich dann an Claude.
"Sagt mir, würde es jemandem auffallen, wenn ich unseren Freund heute nacht
über die höchste Klippe an dieser Küste stoße?" Ihr Gesicht blieb dabei
völlig regungslos, selbst in ihren Augen zeigte sich nicht die geringste Regung
von Gefühlen. Es war wie die bekannte Ruhe vor dem Sturm.
Die Farbe wich aus Portos Gesicht, als sie gesprochen hatte und wieder versonnen
in die Flammen starrte, gerade so, als würde sie das Geschehen um sie herum
nicht mehr berühren.
"Guter Witz...", stammelte Portos nur noch, bevor er sich beeilte sein Gesicht
hinter seinem eigenen Weinglas zu verbergen. Vielleicht hatte er seine kleinen
Neckereien in der letzten Zeit ein kleines bisschen übertrieben...
"Ihr werdet in ein paar Stunden aufbrechen müssen.", informierte sie Claude und
ein Lächeln trat auf seine Gesicht. Diese Frau war wirklich etwas besonderes,
Treville hatte nicht übertrieben. In einer Minute konnte sie so gleichmütig
wie das Meer an einem sonnigen, windstillen Tag sein und doch konnte man sich
nur Sekunden später die Finger an ihrem Temperament verbrennen.
"Wir werden bereit sein.", versicherte ihm Athos und die junge Frau erhob sich
in einer fließenden Bewegung, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. "Setzt Euch,
Renée.", sagte er und beinahe bereute er seine Worte, als er den
schmerzverzerrten Ausdruck auf ihrem Gesicht sah.
Athos und Portos starrten Claude verständnislos an D'Artagnon wandte den Blick
ab. Was hatte sich Treville nur dabei gedacht, ihr auch das noch anzutun.
"Ich kenne niemanden mit diesem Namen.", sagte sie kalt, nahm jedoch wieder
Platz.
Verständnis lag in den Augen des Mannes, der sich in eine Angelegenheit
einmischte, die ihn eigentlich nichts anging, aber es war besser, die Fronten zu
klären, während sie alle hier versammelt waren. Vielleicht würden sich bis zu
ihrer Rückreise nach Paris alle Wogen geglättet haben... und sie würde sich
entscheiden müssen - für die eine oder die andere Möglichkeit.
"Oh, Ihr kennt eine sehr lange und sehr schmerzvolle Geschichte, Renée. Wollt
Ihr sie erzählen oder soll ich das für Euch tun? Treville bat mich darum, Euch
ins Gewissen zu reden und auch Eure Freunde nicht länger im Dunkeln tappen zu
lassen."
"Was...", begann Athos, doch Claude brachte ihn mit einer ärgerlichen
Handbewegung zum Schweigen, bevor er sich wieder an Aramis wandte. "Nun?"
Gedanken schwirrten wirr und ungeordnet durch ihren Kopf, schienen sich zu jagen
und schließlich sie selbst, das kleine Mädchen vom Landadel, in die Enge zu
treiben. Was hatte sich Treville nur dabei gedacht, sie so in die Enge zu
treiben, mit dem Rücken zu Wand, ohne einen Ausweg oder eine
Fluchtmöglichkeit. Und zugleich wisperte eine Stimme, die sie schon eine halbe
Ewigkeit nicht mehr gehört hatte, in einem weit entfernten Winkel ihres
Geistes, dass sie von Anfang an gewusst hatte, dass die Maskerade eines Tages
würde enden müssen. Dass sie sich eines Tages zumindest ihren Freunden würde
anvertrauen müssen, oder ihre Geheimnisse würden sie langsam und stetig in den
Wahnsinn treiben.
Sie spürte die Blicke von Portos und Athos auf sich ruhen, brennende, fragende
Blick... die Augen ihrer Freunde, die auf eine Erwiderung warteten. Sie
verdienten die Wahrheit.
Seufzend lehnte sie sich zurück, hatte nicht mehr die Kraft, sich gegen das
Unvermeidliche aufzulehnen.
Krack!
... und die Fassade begann zu bröckeln...
"Mein Name ist Rene d'Herblay.", begann sie zögernd und ein Teil ihrer
Persönlichkeit schrie auf, als sie ihren wahren Namen aussprach. Es war, als
würde sie das jetzige Ich und alles, was sie sich hart verdient hatte, Stück
für Stück niederreißen. Als würde die Welt, die sie erobert hatte, um sie
herum zusammenfallen...
Sie blickte ihre Freunde der Reihe nach an, nahm Bestand von den ersten
Reaktionen auf. Athos Augen hatten sich in einer für sie unvorstellbaren Art
geweitet, er starrte sie an und sie konnte nur ahnen, dass der Zorn noch
unterschwellig brodelte... nur darauf wartete, an die Oberfläche zu gelangen.
Portos schien das Ganzen wohl noch immer für einen Witz oder den kläglichen
Versuch halten, ihn aus der Fassung zu bringen und D'Artagnon machte sich darauf
gefasst, eine Geschichte zu hören, die er bereits kannte. Ihr Blick blieb
wieder an den Flammen im Kamin hängen, eine Wärmequelle, die Trost zu spenden
schien.
Sie schloss die Augen, seufzte und brach schließlich etwas über die Lippen,
dass ihr einen beträchtlichen Teil ihrer Selbstsicherheit, die sie sonst
besaß, nahm. "Es steht euch zu, jederzeit zu gehen. Während ihr diese
Geschichte hört, noch bevor ihr sie hört oder nachdem ihr sie gehört habt.
Ich erwarte danach nichts von euch, keine Vergebung, kein Verständnis, keine
Freundschaft... noch nicht einmal Gleichgültigkeit." Sie stockte für wenige
Sekunden und D'Artagnon warf Claude einen wütenden Blick zu.
So weit hatte er die junge Frau schon gebracht. Er sah, dass sich die schlanken
Finger der jungen Frau verkrampft um die Armlehnen ihres Sessels gelegt hatten,
sodass die Knöchel weiß hervortraten. Er wagte nicht, Portos oder gar Athos
anzusehen und auch die Tatsache, dass Aramis die Augen geschlossen hatte,
verriet ihm, wie angespannt sie war. Sie wollte sich das Urteil der beiden erst
dann ansehen, wenn sie alles gesagt hatte, dass sie für den Moment zu sagen
hatte.
Vielleicht würden an diesem verregneten Nachmittag eine Wendung in ihrem
Schicksal stattfinden.
Krack!
... ein weiterer Stein rutschte aus der Mauer, die sie zu ihrem Schutz errichtet
hatte...
"Es gab Zeiten, da war ich ein gewöhnliches Mädchen, eine junge Frau vom
Landadel, die bei ihrem Onkel aufwuchs..."
Krack!
...Schmerz, Erinnerungen an etwas, dass sie hatte vergessen wollen und auch
jetzt war sie nicht bereit darüber zu sprechen...
Sie hörte, wie jemand scharf die Luft durch zusammengebissene Zähen einsog und
wusste, ohne die Augen öffnen zu müssen, dass es Athos war. Ein weiteres ihrer
zahlreichen Geheimnisse und eines, dass sie gewiss am heutigen Nachmittag mit
niemandem teilen würde.
Ihr war nicht bewusst gewesen, wie lange sie geschwiegen hatte, bis sie zu ihrer
Überraschung Portos sanft dazu aufforderte, fortzufahren. Ein wenig
Erleichterung machte sich in ihr breit; mochte Portos auch sonst ein wenig
überdreht sein, er hatte ein großes Herz... obwohl sie sich keine Illusionen
machen wollte. Sie hatte ihren Freunden zu lange Zeit etwas vorgespielt, um
davon ausgehen zu können, dass sie einfach darüber hinwegsehen würden...
"Was ist dann geschehen?", fragte er nochmals und sie riss sich zusammen. Sie
hatte soviel hinter sich gebracht, da konnte es ihr doch nicht so unsagbar
schwer fallen... aber es fiel ihr noch viel schwerer...
"Was geschieht mit einer jungen Frau, die langsam heranwächst? Man wird in die
Gesellschaft eingeführt, lernt Freundinnen und junge Männer kennen... und
einer dieser Männer war in der Lage, mein Herz für sich zu gewinnen."
Ein schmerzlicher Ausdruck flog über ihr Gesicht, als sie an all das dachte.
"Dabei war es beinahe schon unwirklich. Ich war gerade erst 16 und er hieß
Francois, war 32 Jahre alt... es war die berühmte Liebe auf den ersten Blick
und nicht lange nachdem wir uns kennen gelernt hatten, bat er mich, seine Frau
zu werden. Ich war so glücklich damals, aber nur ein paar Wochen später wurde
er ermordet..."
Tränen brannten hinter ihren geschlossenen Lidern, als sie sich an jene
schreckliche Nacht erinnerte, in der sie ihm gefolgt war und nur noch die
flüchtenden Männer und ihren Verlobten am Boden hatte sehen können.
"Ich schwor blutige Rache und nichts zählte für mich mehr, als Rache für das
zu üben, was sie Francois angetan hatten - was sie mir angetan hatten. Ich
wollte sie für die Lücke bezahlen lassen, die sie in meinem Leben hinterlassen
hatten. Und so entschied ich in jener Nacht, in der ich meinen Verlobten verlor,
dass es für mich nur einen einzigen Weg gab, mein Ziel zu erreichen."
Sie erinnerte sich noch an die Geräusche in der Dunkelheit, als sie neben
Francois zu Boden gesunken war und wohl für Stunden geweint hatte, bis sich ein
Teil ihres Verstandes zu Wort meldete, ein Teil den man ihr Onkel oft
Widerborstigkeit und Starrsinn nannte. Sie war nie gewillt gewesen, dass Los
einer Frau zu akzeptieren und weinen würde ihr in dieser Situation nicht
helfen.
"Ich glaubte, dass Renée zusammen mit Francois in jener Nacht gestorben war -
sie war verschwunden, versteht ihr? Man hätte mich besessen nennen können,
alles, woran ich denken konnte war der Schmerz und der brennende Wunsch nach
Rache. Und so beschloss ich, die Frau hinter mir zu lassen und aus meinem Wesen,
aus meiner Persönlichkeit das zu machen, was ich hätte sein können, wäre ich
ein Mann gewesen. Ich beschloss, nach Paris zu gehen und den Musketieren
beizutreten."
Ihre ersten Tage in Paris, Treville, der das Geheimnis des blassen "Jungen"
durchschaut und sie trotzdem aufgenommen hatte.
"Ich glaube, ihr erinnert euch noch an meine ersten Tage auf dem Übungsplatz,
an den Tag, an dem mich Treville zu dir brachte, Athos, um mich auszubilden und
ich war ein strebsamer Schüler, nicht wahr? Zuerst war es nur die Rache, die
mich antrieb, doch nach und nach begann ich auch zu begreifen, dass ich nicht
mehr so begrenzt war durch die Regeln, die die Etikette den Frauen auferlegt.
Ich wollte zu Beginn nicht mehr, als so lange bei den Musketieren zu bleiben,
bis ich den Mörder meines Verlobten gefunden und zur Strecke gebracht hatte."
Krack!
... ein von Rache beherrschtes Wesen, angetrieben von Schmerz und Trauer, dessen
Wunden langsam heilten, als sie Freundschaft mit den beiden Musketieren Athos
und Portos schloss...
"Ich hatte nie vorgehabt, Freunde zu finden." Sie lachte hohl und traurig. "Aber
ihr habt es mir einfach unmöglich gemacht, euch nicht zu mögen oder zu
vertrauen. So erschien Aramis auf der Bildfläche, der Musketier Aramis, mutig,
stolz, manchmal unnahbar, halsstarrig... ein junger Mann, der sich ständig
behaupten musste und so gar kein Interesse in den Frauen zeigte, die wir in den
Gasthäusern gesehen haben."
Wieder verfiel sie in Schweigen, verloren in Erinnerungen. Diesmal forderte sie
Claude auf, weiter zu sprechen. Athos schwieg noch immer beharrlich - kein gutes
Zeichen. Und D'Artagnon wusste es besser, als sich einzumischen. Sie würde den
Teil, in dem er herausfand, dass sie eine Frau war, großzügig umgehen, um ihn
nicht auch noch in die verzwickte Situation hineinzuziehen.
"Schließlich fand ich den Mörder und übte Rache... aber ich konnte nicht mehr
zurück. Ich konnte nicht mehr Renée sein, weil Renée in diesem Sinne nicht
mehr zu existieren schien. Und ich konnte mich auch nicht von all den Menschen
losreißen, die ich kennen und lieben gelernt hatte. Ich wollte es einfach nicht
und wie hätte ich es euch auch erklären können? Und so blieb ich und
beschloss die Lüge, die für mich zur Realität zu jedem meiner Tage zu jedem
Atemzug geworden war, aufrecht zu erhalten."
Den Rest der Geschichte kannten sie und was sie ausgelassen hatte, waren
persönliche Dinge, Gefühle, Eindrücke... ihre Gefühle für Athos... hätte
sie auch noch das ausgesprochen, wäre die angespannte Stimmung wohl
explodiert.
"Haltet mich nicht für eine Närrin... ich wusste genau, was mir bei Entdeckung
drohte. Inquisition, vielleicht sogar Hochverrat... Täuschung... es gibt so
vieles, was man mir vorwerfen könnte. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich
auch all das nicht so bald aufgegeben, aber anscheinend hatte Treville andere
Pläne..."
"Was sollen wir deiner Meinung nach jetzt tun?", fragte Athos und seine Stimme
klang wütend und gepresst.
"Warum fragst du mich danach? Ich habe euch gesagt, ich erwarte nichts von
euch." Die Tonlosigkeit ihrer Stimme ließ sogar Athos für einen Moment seinen
Zorn vergessen. Ihre geschlossenen Lider hielten die Tränen der Erinnerung noch
zurück, aber ein Zittern hatte von ihrem Körper Besitz ergriffen.
Athos biss die Zähne zusammen und erst, als sich Portos leise zu Wort meldete,
blickte er auf.
"Ich glaube, Aramis, Renée oder wie auch immer sie heißen mag, hat uns mehr
als einmal bewiesen, dass sie uns ebenwürdig ist und dass sie ebenso gut
kämpfen kann wie ein Mann. Sie hat uns zwar getäuscht, aber sie hatte keine
bösen Absichten. Ich denke," er gluckste ein wenig, "ich kann darüber
hinwegsehen, aber irgendwie... werden mir die Gelegenheiten fehlen, bei denen
ich dich mit deinem mangelnden Interesse an Frauen aufziehen kann."
"Sie hat uns die ganze Zeit belogen, Portos!", schrie Athos, obwohl er selbst
nicht genau wusste, wieso die Wut so heftig aus ihm heraus platzte. Und ohne ein
weiteres Wort stürmte er aus dem Raum.
"Das lief ja besser als ich erwartet habe.", seufzte sie und rieb sich die
Schläfen. Es pochte unter ihrer Schädeldecke und sie fühlte sich
unwahrscheinlich müde.
"Und was sagst du dazu. D'Artagnon?", fragte Portos schließlich und musterte
den jungen Mann.
"Mich stört es nicht. Es ist gleichgültig, ob Aramis ein Mann oder eine Frau
ist. Im Herzen ist sie ein Musketier."
"Du sprichst mir aus der Seele, Kleiner."
***
Aramis saß noch immer vor dem Kamin, als sie Portos und D'Artagnon zusammen mit
Claude in die Küche begeben hatten, um etwas zu essen, als Athos zurückkehrte.
Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn nie wieder zu sehen, aber innerlich glaubte
sie nicht, schon jetzt bereit für einen weiteren seiner Wutausbrüche zu sein.
"Es tut mir leid, dass ich vorhin so wütend geworden bin.", gab er zerknirscht
zu und ließ sich in dem Sessel ihr gegenüber nieder. "Ich weiß einfach nicht,
wie ich mit dieser Situation umgehen soll."
Es war die Wahrheit. Er hatte nicht schreien wollen, insgeheim hatte es ihn
beruhigt, dass er, welcher Natur diese Gefühle auch sein mochten, sie für eine
Frau entwickelt hatte. Athos schätze, dass man dies Verliebtheit nannte, hatte
sich jedoch mit jedem Gedanken dagegen gewährt, sich in einen Mann zu
verlieben. Dieses Problem gab es nun nicht mehr.
Auch wenn er noch nicht bereit war, ihr das zu gestehen. Es gab einfach zu
vieles, dass ihn aufwühlte. Sie hatten so freizügig über alles geredet und
sie hatte ihnen ihr Geheimnis nicht früher offenbart.
"Ich nehme es dir nicht übel." Sich kicherte sogar ein wenig. "Mich hätte es
nicht gewundert, wenn du die Einrichtung kurz und klein geschlagen hättest."
Einen Moment lang schwieg sie unsicher. "Einer für alle und alle für einen?",
fragte sie unsicher.
"Einer für alle und alle für einen.", gab er zurück und brachte sogar ein
schwaches Lächeln zu Stande. Es war wenigstens ein Anfang...
***
^-^ Lasst mich wissen, wie ihr es findet! *smile*
Kapitel 8: Die Gefängnisinsel Teil 1
------------------------------------
Die Gefängnisinsel Teil 1
Aramis war sich nicht sicher, ob sie sich über die stürmische See freuen oder
ärgern sollte. Im Moment hatte sie alle Hände voll damit zu tun, sich an
irgendetwas greifbarem in diesem "kleinen Schipperkahn" festzuklammern.
Wasserspritzer trafen ihr Gesicht und sie schmeckte den salzigen Geschmack auf
der Zunge.
"Worauf habe ich mich da nur eingelassen?", murmelte sie. Mochte man ihr Boot
bei diesem Wellengang und im Zwielicht der Dämmerung auch kaum von der
Gefängnisinsel aus sehen können, ihr wäre es lieber gewesen nicht halb
durchnässt und frierend auf dem unscheinbaren Eiland anzukommen.
"Siehst du schon was?", glaubte sie D'Artagnan gegen den Wind anbrüllen zu
hören und sie runzelte die Stirn. Natürlich hatte sie den Platz ganz vorne im
Boot zugewiesen bekommen - von wo aus man ganz bequem alles überblicken konnte
aber auch wirklich die kleinste Welle mitten ins Gesicht bekam.
"Ich sehe nicht mehr als du!", schrie sie zurück und klammerte sich noch fester
an dem feuchten Holz des Bootes fest, das sich unter ihren klammen Fingern
feucht anfühlte. Zumindest hatte sie ihren Dolche noch immer gut verborgen
unter den Falten ihres Kleides bei sich. Ohne eine Waffe hätte sie eine, wenn
auch kleine, Festung voller Bewaffneter Männer äußerst ungern betreten.
Nicht, dass sie nicht schon verrücktere Dinge getan hätte.
Aramis zählte sich selbst zu jenen Menschen, die wohl zu der Blütezeit des
Römischen Reiches im einer Arena mit den Löwen gekämpft hätte.
"Da vorne ist ein Licht!", rief sie plötzlich und streckte den Arm aus, um auf
das flackernde Leuchten in einiger Entfernung zu zeigen.
"Vergiss nicht, Aramis - benimm dich wie eine junge Dame!"
Sie war sich nicht sicher, wer ihrer Freunde diese Mahnung ausgestoßen hatte,
aber sie war sich sicher einen leicht spöttischen Unterton in der verzerrten
Stimme wahrgenommen zu haben. Sie hätte womöglich eine sarkastische Bemerkung
gemacht, aber eine schäumende Welle trat über den Bug des Bootes und ein
Schwall salzigen Wassers füllte ihren Mund, bevor sie die Worte hervorbringen
konnte.
***
"Erinnere mich daran, nie wieder in ein Boot zu steigen.", murmelte sie,
während sie murrend das nasse Leder ihrer Stiefel betrachtete, das sich eng um
ihren Füße schloss und sie sich eingeschränkter denn je fühlte.
"Wie willst du dann von dieser Insel zurück aufs Festland kommen?", fragte
Athos und erntete nur ein finsteres Stirnrunzeln zur Antwort.
"Das ist wohl wirklich nicht mein Tag." Seufzend versuchte sie so würdevoll wie
möglich das kurze Stück Weg von der Anlegestelle bis zum Eingang der Festung
zurückzulegen, während Athos und Portos ihr folgten, D'Artagnan zwischen ihnen
gehend und die Hände in Fesseln gelegt.
"Portos! Ich sage dir, solltest du auch nur ein einziges Mal eine...", sie
stockte, als sie sich dem Eingang soweit genähert hatten, dass sie fürchten
musste gehört zu werden.
Energischer als sie es vorgehabt hatte, klopfte sie an dem Portal der Festung.
Sekunden später starrten sie ein paar grimmige Augen durch eine kleine Klappe
in dem angerosteten Material an und eine barsche Stimme fragte: "Sie wünschen,
Madame?!"
Aramis musste sich zwingen, die Ruhe zu bewahren und bemühte sich krampfhaft um
ein erschrockenes Gesicht und einen äußerst koketten Augenaufschlag.
"Mademoiselle. Comtesse Renée d'Herbley - ich dachte, Sie hätten mein
Schreiben erhalten?"
Schon bei dem Wort "Mademoiselle" waren die Augen des Mannes ein wenig
freundlicher geworden und als sie dann auch noch "Comtesse" gesagt hatte, hatte
sie die gierigen Funken in den falschen Augen sehen können.
"Ah, Comtesse, natürlich. Wir haben schon auf sie und... ihren Bruder
gewartet.", knurrte er und starrte den vermeintlichen Bruder und zukünftigen
Gefangenen an. "Wofür ist er noch mal verurteilt worden?", fragte er, während
er die verriegelte Tür öffnete und zur Seite trat, um sie einzulassen.
"Pferdediebstahl, Monsieur.", antwortet Aramis und rümpfte die Nase. Dieses Mal
musste sie den Ekel nicht spielen. Dieser Ort roch nach Moder und Krankheit,
nach Schimmel und... weiter mochte sie gar nicht denken. Undenkbar, dass ein
Gefangener hier nahezu ein Jahrzehnt verbracht hatte und noch am Leben war.
"Und Sie wollen Ihren Bruder unbedingt begleiten?", fragte ein zweiter Wächter,
halb zahnlos und noch verwahrloster aussehend als der erste.
"Ich dachte, wir könnten vielleicht eine Vereinbarung treffen - sie und ich.
Über die Haftumstände." Dabei zog sie einen prallen Lederbeutel hervor und
lächelte.
"Mademoiselle, Ihr erschüttert mich. Wir sind nicht...", doch weiter der Mann
nicht, denn sie unterbrach ihn.
"Ich wollte euch nicht bestechen, Monsieur. Niemals würde ich so etwas von euch
denken. Ich lasse den Beutel einfach hier liegen und wenn ich zurück komme,
werde ich meinen Bruder in einer angemessenen Zelle und gut versorgt vorfinden,
derweil will ich draußen bei dem Boot warten." Sie täuschte ein Niesen vor.
"Die feuchte Luft bekommt mir nicht. Die übrigen Angelegenheiten könnt ihr mit
Pierre und Jean hier regeln."
"Aber gewiss doch, Mademoiselle.", er verneigte sie und Aramis ließ die beiden
mit Portos und Athos allein. Sie ging zurück zu der Pforte, stemmte sie auf und
ließ sie dann vernehmlich wieder zufallen, ohne die Festung verlassen zu haben.
Leise bewegte sie sich auf eine Wendeltreppe zu, die in das Kellerstockwerk der
Festung führte. So hatte man es ihr berichtet. Beinahe wäre sie auf dem
feuchten Boden ausgerutscht, griff nach einem fauligen Holzgeländer und zog
angewidert die Hand zurück. In dieser Festung schien es kaum etwas zu geben,
dass nicht kurz vor dem Verfall stand.
In weiten Abständen waren Fackeln an Halterungen in der Wand angebracht. Man
hatte billigen Brennstoff verwendet, denn sie qualmten und verbreiteten einen
üblen Geruch, der die gesamte, schreckliche Atmosphäre dieses Ortes noch
unterstrich.
Am Ende der Treppe angelangt fand sich nur eine einzige Tür. Wenn sie es jetzt
schaffte, die Tür mit einem Dietrich zu öffnen, würden sie die Wachen nicht
niederschlagen und diese Mission hoffentlich ohne große Mühe beenden können.
Ihre klammen Finger schlossen sich um das massive Schloss und sie stieß etliche
Flüche aus, während sie mit dem schlanken Metallstab in dem Schloss
umherstocherte. Was dachte sich Athos eigentlich dabei?!
Sie war schließlich weder eine Taschendiebin noch eine Einbrecherin und die
wenigen Minuten, die sie Zeit gehabt hatte den Umgang mit diesem Werkzeug zu
erlernen waren wohl eher ein Witz als denn eine Unterweisung gewesen.
"Merde!", keuchte sie und trat gegen die Metalltür. Heute war anscheinend
wirklich nicht ihr Tag. Ein letztes Mal beugte sie sich über das Schloss und
führte den Dietrich in den Schließmechanismus. Ein leises Klicken und das
Schloss ließ sich entfernen.
Sie stemmte sich gegen die Tür und das schwere Metall gab unter ihren
Anstrengungen nach, schwang leise quietschend nach innen auf und gab den Blick
auf einen schmutzigen Raum frei, dessen einziges Fenster und die einzige
Frischluftquelle ein kreisrundes, vergittertes Loch in der Wand war.
***
Kapitel 9: Die Gefängnisinsel Teil 1
------------------------------------
Die Gefängnisinsel Teil 1
Aramis war sich nicht sicher, ob sie sich über die stürmische See freuen oder
ärgern sollte. Im Moment hatte sie alle Hände voll damit zu tun, sich an
irgendetwas greifbarem in diesem "kleinen Schipperkahn" festzuklammern.
Wasserspritzer trafen ihr Gesicht und sie schmeckte den salzigen Geschmack auf
der Zunge.
"Worauf habe ich mich da nur eingelassen?", murmelte sie. Mochte man ihr Boot
bei diesem Wellengang und im Zwielicht der Dämmerung auch kaum von der
Gefängnisinsel aus sehen können, ihr wäre es lieber gewesen nicht halb
durchnässt und frierend auf dem unscheinbaren Eiland anzukommen.
"Siehst du schon was?", glaubte sie D'Artagnan gegen den Wind anbrüllen zu
hören und sie runzelte die Stirn. Natürlich hatte sie den Platz ganz vorne im
Boot zugewiesen bekommen - von wo aus man ganz bequem alles überblicken konnte
aber auch wirklich die kleinste Welle mitten ins Gesicht bekam.
"Ich sehe nicht mehr als du!", schrie sie zurück und klammerte sich noch fester
an dem feuchten Holz des Bootes fest, das sich unter ihren klammen Fingern
feucht anfühlte. Zumindest hatte sie ihren Dolche noch immer gut verborgen
unter den Falten ihres Kleides bei sich. Ohne eine Waffe hätte sie eine, wenn
auch kleine, Festung voller Bewaffneter Männer äußerst ungern betreten.
Nicht, dass sie nicht schon verrücktere Dinge getan hätte.
Aramis zählte sich selbst zu jenen Menschen, die wohl zu der Blütezeit des
Römischen Reiches im einer Arena mit den Löwen gekämpft hätte.
"Da vorne ist ein Licht!", rief sie plötzlich und streckte den Arm aus, um auf
das flackernde Leuchten in einiger Entfernung zu zeigen.
"Vergiss nicht, Aramis - benimm dich wie eine junge Dame!"
Sie war sich nicht sicher, wer ihrer Freunde diese Mahnung ausgestoßen hatte,
aber sie war sich sicher einen leicht spöttischen Unterton in der verzerrten
Stimme wahrgenommen zu haben. Sie hätte womöglich eine sarkastische Bemerkung
gemacht, aber eine schäumende Welle trat über den Bug des Bootes und ein
Schwall salzigen Wassers füllte ihren Mund, bevor sie die Worte hervorbringen
konnte.
***
"Erinnere mich daran, nie wieder in ein Boot zu steigen.", murmelte sie,
während sie murrend das nasse Leder ihrer Stiefel betrachtete, das sich eng um
ihren Füße schloss und sie sich eingeschränkter denn je fühlte.
"Wie willst du dann von dieser Insel zurück aufs Festland kommen?", fragte
Athos und erntete nur ein finsteres Stirnrunzeln zur Antwort.
"Das ist wohl wirklich nicht mein Tag." Seufzend versuchte sie so würdevoll wie
möglich das kurze Stück Weg von der Anlegestelle bis zum Eingang der Festung
zurückzulegen, während Athos und Portos ihr folgten, D'Artagnan zwischen ihnen
gehend und die Hände in Fesseln gelegt.
"Portos! Ich sage dir, solltest du auch nur ein einziges Mal eine...", sie
stockte, als sie sich dem Eingang soweit genähert hatten, dass sie fürchten
musste gehört zu werden.
Energischer als sie es vorgehabt hatte, klopfte sie an dem Portal der Festung.
Sekunden später starrten sie ein paar grimmige Augen durch eine kleine Klappe
in dem angerosteten Material an und eine barsche Stimme fragte: "Sie wünschen,
Madame?!"
Aramis musste sich zwingen, die Ruhe zu bewahren und bemühte sich krampfhaft um
ein erschrockenes Gesicht und einen äußerst koketten Augenaufschlag.
"Mademoiselle. Comtesse Renée d'Herbley - ich dachte, Sie hätten mein
Schreiben erhalten?"
Schon bei dem Wort "Mademoiselle" waren die Augen des Mannes ein wenig
freundlicher geworden und als sie dann auch noch "Comtesse" gesagt hatte, hatte
sie die gierigen Funken in den falschen Augen sehen können.
"Ah, Comtesse, natürlich. Wir haben schon auf sie und... ihren Bruder
gewartet.", knurrte er und starrte den vermeintlichen Bruder und zukünftigen
Gefangenen an. "Wofür ist er noch mal verurteilt worden?", fragte er, während
er die verriegelte Tür öffnete und zur Seite trat, um sie einzulassen.
"Pferdediebstahl, Monsieur.", antwortet Aramis und rümpfte die Nase. Dieses Mal
musste sie den Ekel nicht spielen. Dieser Ort roch nach Moder und Krankheit,
nach Schimmel und... weiter mochte sie gar nicht denken. Undenkbar, dass ein
Gefangener hier nahezu ein Jahrzehnt verbracht hatte und noch am Leben war.
"Und Sie wollen Ihren Bruder unbedingt begleiten?", fragte ein zweiter Wächter,
halb zahnlos und noch verwahrloster aussehend als der erste.
"Ich dachte, wir könnten vielleicht eine Vereinbarung treffen - sie und ich.
Über die Haftumstände." Dabei zog sie einen prallen Lederbeutel hervor und
lächelte.
"Mademoiselle, Ihr erschüttert mich. Wir sind nicht...", doch weiter der Mann
nicht, denn sie unterbrach ihn.
"Ich wollte euch nicht bestechen, Monsieur. Niemals würde ich so etwas von euch
denken. Ich lasse den Beutel einfach hier liegen und wenn ich zurück komme,
werde ich meinen Bruder in einer angemessenen Zelle und gut versorgt vorfinden,
derweil will ich draußen bei dem Boot warten." Sie täuschte ein Niesen vor.
"Die feuchte Luft bekommt mir nicht. Die übrigen Angelegenheiten könnt ihr mit
Pierre und Jean hier regeln."
"Aber gewiss doch, Mademoiselle.", er verneigte sie und Aramis ließ die beiden
mit Portos und Athos allein. Sie ging zurück zu der Pforte, stemmte sie auf und
ließ sie dann vernehmlich wieder zufallen, ohne die Festung verlassen zu haben.
Leise bewegte sie sich auf eine Wendeltreppe zu, die in das Kellerstockwerk der
Festung führte. So hatte man es ihr berichtet. Beinahe wäre sie auf dem
feuchten Boden ausgerutscht, griff nach einem fauligen Holzgeländer und zog
angewidert die Hand zurück. In dieser Festung schien es kaum etwas zu geben,
dass nicht kurz vor dem Verfall stand.
In weiten Abständen waren Fackeln an Halterungen in der Wand angebracht. Man
hatte billigen Brennstoff verwendet, denn sie qualmten und verbreiteten einen
üblen Geruch, der die gesamte, schreckliche Atmosphäre dieses Ortes noch
unterstrich.
Am Ende der Treppe angelangt fand sich nur eine einzige Tür. Wenn sie es jetzt
schaffte, die Tür mit einem Dietrich zu öffnen, würden sie die Wachen nicht
niederschlagen und diese Mission hoffentlich ohne große Mühe beenden können.
Ihre klammen Finger schlossen sich um das massive Schloss und sie stieß etliche
Flüche aus, während sie mit dem schlanken Metallstab in dem Schloss
umherstocherte. Was dachte sich Athos eigentlich dabei?!
Sie war schließlich weder eine Taschendiebin noch eine Einbrecherin und die
wenigen Minuten, die sie Zeit gehabt hatte den Umgang mit diesem Werkzeug zu
erlernen waren wohl eher ein Witz als denn eine Unterweisung gewesen.
"Merde!", keuchte sie und trat gegen die Metalltür. Heute war anscheinend
wirklich nicht ihr Tag. Ein letztes Mal beugte sie sich über das Schloss und
führte den Dietrich in den Schließmechanismus. Ein leises Klicken und das
Schloss ließ sich entfernen.
Sie stemmte sich gegen die Tür und das schwere Metall gab unter ihren
Anstrengungen nach, schwang leise quietschend nach innen auf und gab den Blick
auf einen schmutzigen Raum frei, dessen einziges Fenster und die einzige
Frischluftquelle ein kreisrundes, vergittertes Loch in der Wand war.
***
Kapitel 10: Die Gefängnisinsel Teil 2
-------------------------------------
Der Raum lag in einem schummerigen Halbdunkel und noch immer stieg Aramis der
aufdringliche Geruch von abgestandener, ungesunder Luft, gemischt mit anderen
Ausdünstungen, über die sie gar nicht erst nachdenken wollte.
,Ob der König weiß, wie man Gefangene hier behandelt?', sinnierte sie kurz und
verneinte gedanklich, beinahe bevor sie den Gedanken zu Ende führen konnte. Der
König interessierte sich nicht für Gefangene oder Verurteilte. Diese Menschen
bedeuteten ihm nichts, er war niemals mit ihnen in Berührung gekommen, fernab
von dem Leiden des Volkes...
Innerlich sträubte sie sich dagegen, diesen Raum auch nur mit der Fußspitze zu
betreten, atmete tief durch und erinnerte sich selbst daran, dass die anderen
die Wachen wohl kaum für immer aufhalten konnten und so trat sie in die
Dunkelheit hinein, nur um Sekunden später von einer fremden Stimme, die seltsam
gedämpft klang, angesprochen wurde.
"Wer seid Ihr?"
Es war für ihren Geschmack zu dunkel in diesem Raum; obwohl sie die Augen zu
schmalen Schlitzen verengt hatte, konnte sie kaum mehr als schemenhafte Umrisse
erkennen. Quer über den Boden verstreut lagen allerhand Dinge und beinahe wäre
sie über den Saum ihres Kleides gestolpert, während sich die Spitze ihres
Stiefels in einer Unebenheit des Bodens verfing.
"Wer seid Ihr?", wiederholte sich die Frage und Aramis sah sich hastig in dem
Raum um. Es gefiel ihr nicht - sie hatte diese Situation unter diesen Umständen
nicht unter Kontrolle. Sie war es nicht gewohnt, ihren Gesprächspartnern
während einer Unterhaltung nicht in die Augen sehen zu können.
"Es spielt keine Rolle, wer ich bin.", wisperte sie und lauschte angespannt auf
mögliche Geräusche außerhalb der Zelle.
"Ich glaube, es spielt sehr wohl eine Rolle. Schicken die Wachen mir jetzt eine
Frau, um mich zu quälen?", fragte die Stimme und diesmal hatte er lange genug
gesprochen, um Aramis zu verraten in welche Richtung sie sich wenden musste.
"Ich versichere Euch, es spielt keine Rolle wer ich bin.", raunte sie und
schnaubte. Dieser Mann war anscheinend schwer von Begriff oder aber er hatte
sich dieses rüde Gebaren in seiner Zeit der Gefangenschaft antrainiert.
"Seid ihr hier, um mich zu töten? Reicht es den Wachen nicht mehr, mich hier
unten einzukerkern und sie schicken eine Frau, damit sie sich nicht selbst die
Finger schmutzig machen müssen?!", stieß er hervor und Aramis zuckte unter
diesem für ihr Vorhaben zu lautem Ausruf zusammen.
"Ihr verdammter Narr! Seid leise oder wir werden beide noch am Galgen hängen
oder man wird uns hier unten verhungern lassen, wenn Sie nicht endlich ein wenig
leiser sprechen!", raunzte sie und spürte, wie ihr das Blut rasend schnell
durch die Adern pulsierte.
Sie zwang sich zu ein paar tiefen Atemzügen, bevor sie erneut zu sprechen
ansetzte. "Und da wir das nun geklärt haben, hättet Ihr wohl die
Freundlichkeit mir zu verraten in welcher Ecke dieses verdammten Dreckloches man
euch angebunden hat?"
Ein heiseres Lachen ertönte und sie zuckte zusammen, als sie begriff, dass sie
quasi direkt vor ihm stand. Der Stoff ihrer Röcke raschelte, als sie sich in
die Hocke sinke ließ, um die schweren Eisenketten an den Handgelenken des
Mannes zu inspizieren und fluchte fürchterlich. "Was denken sich diese Idioten
da oben eigentlich! Ich habe ihnen gesagt, dass ich weder zum Einbrecher noch
zum perfekten Umgang mit einem Dietrich geboren wurde!"
Der Gefangene sog hörbar die Luft ein.
"Was ist denn jetzt schon wieder?!", fauchte Aramis und starrte noch immer auf
die schweren Eisenschlösser.
"Ich habe noch nie eine Frau so fluchen hören.", antwortet er und erhielt eine
bissige Antwort.
"Ich glaube kaum, dass Sie hier überhaupt viele Frauen gehört oder gesehen
haben, Monsieur."
Ein amüsiertes Lachen erklang und Aramis runzelte die Stirn.
"Euer Vater mag Schwierigkeiten haben, Euch unter die Haube zu bringen.", meinte
er leichthin und Aramis konnte nicht anders als den Kopf zu schütteln.
"Männer...", grummelte sie und fragte sich, wieso Männer immer annahmen, dass
sie sich die Frauen aussuchten?
Ihre Hand stieß versehentlich gegen seinen Kopf und sie zuckte zurück.
"Eisen...", murmelte sie ungläubig und betastete das schwere Metall, das den
Kopf des Mannes fast vollständig umschloss.
"Geschockt?" Er klang beinahe amüsiert, so als wäre das alles nur ein Scherz
für ihn und Aramis erinnerte sich daran, dass ihr einmal jemand erzählt hatte,
die Gefangenschaft könne Menschen in den Wahnsinn treiben.
"Jetzt verstehe ich...", sagte sie, griff beherzt nach dem Schloss und stieß
einen noch schmaleren Dietrich in das Schloss. Nervös stocherte sie darin
herum, hin und wieder vor sich hin fluchend. "Ha, es ist doch ganz einfach, hat
er gesagt. Man muss nur den richtigen Winkel treffen und dann eine kleine
Bewegung aus dem Handgelenk. Ich werde ihn in seinem Zimmer einsperren und den
Dietrich unter der Tür durchschieben - mal sehen, ob er damit umgehen kann.",
schimpfte sie vor sich hin und dachte noch immer erzürnt an Athos, der sich
wohl einen üblen Scherz mit ihr erlaubt hatte.
"Ich bin ein Musketier, verdammt, und kein umher streunender Ganove!" Ein leises
Klicken ließ sie in ihrem Redeschwall innehalten und erleichtert aufatmen. "Na
bitte!"
Der Mann rieb sich schwach die Handgelenke und obwohl Aramis in der Dunkelheit
kaum etwas erkennen konnte, ahnte sie, dass die Haut dort, wo die Ketten so
lange gelegen hatten, rot, gereizt oder gar entzündet war.
"Kommt, wir müssen von hier verschwinden.", sagte sie nur und eilte schon auf
die Tür zu, bevor sie ein unterdrückter Schmerzensschrei zurückrief. "Was ist
denn?!"
Sie wandte sich um und starrte den Mann an, der auf die Knie gesunken war und
keinerlei Anstalten machte, sich wieder zu erheben. "Könnt Ihr nicht laufen?"
Zu ihrer Überraschung kam ein durch zusammengebissene Zähne hervorgepresstes
"Oui.".
Mit wenigen ausgreifenden Schritten war sie neben ihm, sank auf die Knie, legte
einen Arm um die Taille des Mannes und zog ihn auf die Beine. Er stützte sich
schwer auf sie und sie konnte nur ahnen, dass er sich wirklich kaum auf den
Beinen halten konnte. Er hatte seine Beine wohl kaum benutzt und mögliche
"Bestrafungen" der beiden zwielichtigen Typen oben im Gefängnis hatten wohl ihr
übriges getan.
Es schien ihn zu überraschen wie relativ mühelos sie ihn auf die Beine zog und
es sogar bis zum obersten Treppenabsatz schaffte, bevor sich Kampflärm und
jähes Gezeter bemerkbar machte.
"Man könnte meinen sie wären auf Ärger ausgewesen.", schimpfte sie und
starrte düster vor sich hin, bevor sie den Gefangenen gegen die Wand lehnte und
nun das Schwere Portal der Festung aufstemmte, bevor sie ihn wieder stützte und
zum Boot manövrierte.
"Sind das Eure Freunde, die da drinnen Radau schlagen?", fragte er und sie
starrte wartend auf das Portal, erleichtert, als zuerst Athos und dann die
anderen beiden herausstürmten und das Boot zurück ins Wasser schoben.
"Ah, Aramis. Wir dachten schon, du hättest es nicht geschafft.", witzelte
Porthos, der sich nun darum bemühte, so schnell wie möglich von diesem
verfluchten Inselgefängnis fort zu kommen. Aber wie immer konnte er einfach
nicht widerstehen. Aramis ließ sich zu leicht reizen.
"Sehr witzig, Porthos.", gab sie zurück, die Finger wieder um die
Innenverkleidung des Bootes gekrampft.
Erst jetzt schienen die anderen die eiserne Maske zu erblicken, die das Gesicht
des Gefangenen verbarg.
"Was zum-", begann Athos, aber Aramis schnitt ihm das Wort ab. "Wir werden einen
Schmied brauchen oder aber einen richtigen Verbrecher, der besser mit so etwas
fertig wird als ich! So schnell werdet ihr mich nicht mehr dazu bringen auch nur
irgendein Schloss zu knacken."
"Ist unser kleiner Freund jetzt beleidigt?", stichelte Porthos und erntete einen
düsteren Blick von Aramis.
"Sieh dich um, mon ami. Möchtest du gerne den Rest des Weges schwimmen?" Jede
Feindseligkeit war aus ihren Zügen gewichen und ein zuckersüßes Lächeln war
an die stelle des verkniffenen Mundes getreten. Es war beinahe schon unheimlich.
In solchen Momenten konnte sich D'Artagnan nur darüber wundern, wie spielend
leicht es der jungen Frau in gewissen Momenten gelang, ihre wahren Gefühle aus
ihrem Gesicht und ihrer Stimme, aus jeder ihrer Gesten zu verbannen. Es war, als
würden ihre Emotionen für kurze Zeit verschwinden und durch ein aufgesetztes
Lächeln oder aber eine scharfe Bemerkung ersetzt werden.
Ein gedämpftes Kichern entwich dem Mann mit der eisernen Maske. (Kurzer
Kommentar: Ich konnte net anders, als das jetzt hier einzubringen... ^-^)
"Ist Eure Freundin immer so komisch, Monsieur?"
Statt Athos zu Wort kommen zu lassen, sah D'Artagnan den Mann an und erwiderte
gefasst: "Ich würde nicht davon ausgehen, dass Aramis scherzt."
"Aramis... ein seltsamer Name für eine Frau...", sinnierte er und Aramis
kicherte.
'Nicht für einen Musketier der Krone.', fügte sie in Gedanken hinzu, konnte
sich jedoch nicht länger zu einem Lächeln bringen. Das kleine Boot schwankte
gefährlich und der Wind peitschte ihr das blonde Haar in die Augen.
Wenn es nach ihr ginge, würde sie so schnell kein Schiff mehr betreten und das
salzige Nass nur aus sicherer Entfernung betrachten.
"Das Ufer ist in Sichtweite.", stieß sie gepresst hervor. "Ich nehme an, die
Wachen werden bald wieder zu sich kommen. Bis dahin sollten wir uns etwas
überlegt haben."
"Meinst du nicht, wir wären auf dem Festland sicher?", fragte D'Artagnan und
warf einen besorgten Blick über die Schulter auf die Insel hinter ihnen.
"Ich glaube kaum, dass man nicht in Küstennähe nach uns suchen wird. Es ist
nicht so, als wäre unser Freund Porthos ein unauffälliger Zeitgenosse, oder?
Wir müssen diese scheußliche Maske loswerden und dann nichts wie weg hier."
"Und wohin sollten wir uns dann wenden?" Es war eine ruhige Frage, die Athos
stellte, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. "Marseille wäre nicht
schlecht, was sagt ihr?"
"Für diese Strecke werden wir mehrerer Tage brauchen... aber wir haben keine
andere Wahl. Wenn wir uns quer durchs Gelände bis nach Paris durchschlagen
wollen, brauchen wir Monate."
"Wer sagt, dass wir nach Paris zurückkehren sollen?", warf Athos vorsichtig ein
und erhielt prompt die Reaktion, die er erwartete hatte.
"Willst du mir damit sagen, dass man uns hierher geschickt, Kopf und Kragen
riskieren lassen und einen Gefangenen entführen lassen hat, um uns dann in
irgendeinem Loch zu verkriechen?! Und wohin sollen wir bitte gehen?!" Hätte das
kleine Boot etwas mehr Angriffsfläche geboten, hätte sie ihre Faust auf ein
Stück Holz prallen lassen.
"Wir sollen uns nach Le Mans begeben und dort weitere Vorkehrungen treffen.",
gab er gleichmütig zurück.
"Es reicht! Mir reicht es endgültig.", schimpfte sie, raffte ihre Röcke und
sprang aus dem Boot in das flache Wasser des Ufers, stapfte durch das Nass und
warf nicht einen kurzen Blick zurück.
"Aramis!"
Sie reagierte nicht auf Athos Ruf, der sie zweifelsohne zur Vernunft und Ruhe
gemahnen sollte.
"Renée!"
Diesmal wandte sie sich um, warf in einer wütenden Bewegung die Haare über die
Schultern zurück und starrte den älteren Mann an. "Nimm - diesen - Namen - nie
- wieder - in - den -Mund. Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, dass die
Renée nicht mehr existiert." Ihre Stimme war kalt wie geschliffener Stahl; sie
wählte absichtlich diesen Tonfall, sie wollte ihn verletzen.
"Was ist denn nur in dich gefahren?!", schrie Athos, der ihr jetzt folgte,
während D'Artagnan und Porthos den Gefangenen stützen und auch ihn aufs Ufer
zuführten.
"Was in mich gefahren ist?! Das alles hat sich Treville fein ausgedacht, nicht
wahr! Aber was auch immer er vorhatte, MIR hat man nicht die Wahrheit über
diese ach so geheime Mission gesagt und ich denke nicht im Traum daran, einfach
blind drauflos zu marschieren. Lieber schlage ich mich wirklich quer durchs
Gelände nach Paris durch, aber ich werde nicht einen Tag länger die junge
Adelige vom Land spielen!"
"Du sagst, du wirst diese Aufgabe nicht beenden?! Hast du vergessen, dass du ein
Musketier bist, noch immer! Wo ist dein Ehrgefühl?!"
Diese Worte trafen sie hart. Inzwischen rang sie rasselnd nach Luft, fühlte
sich wie eine Gefangene. Hatte sie nicht selbst gesagt, dass es keinen Weg
zurück gab? Aber Athos verstand nicht... er verstand sie einfach nicht.
Der innere Kampf tobte nur kurz, bevor sich die Vernunft Gehör verschaffte und
Aramis nickte. "Verzeih, ich weiß nicht, was über mich gekommen ist."
Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und marschierte auf das Landhaus zu.
"Claude! Ruft mir jemanden, der ein massives Schloss aufbrechen kann und der
keine Fragen stellen wird!", schrie sie quer über den Hof, nicht eine Sekunde
innehaltend.
Kapitel 11: Rauchender Zorn
---------------------------
Aramis Laune besserte sich auch dann nicht, als sie im Innern des Hauses vor dem
wütenden Sturm Schutz suchte und sich in einen der Sessel vor dem Kamin fallen
ließ. Sollte Athos denken, was er wollte. Sie mochte diese Situation nicht und
das er - ausgerechnet er! - an ihr Ehrgefühl appelliert hatte...
Athos wusste nur zu gut, wo ihre Schwachstellen lagen. Eher würde sie sich die
Zunge abbeißen, als etwas unehrenhaftes zu tun.
Sie sah nicht einmal auf, als Athos und D'Artagnan den Gefangenen
hereinführten. Claude folgte ihnen auf dem Fuße, wild gestikulierend und nur
Augenblicke später trat ein junger Mann ein.
"Das ist mein Sohn Pierre; er ist Schmied.", erklärte er und starrte für einen
Moment auf die eiserne Maske, die das Gesicht des Mannes verbarg. "Was für eine
fürchterliche Art einen Gefangenen zu behandeln.", keuchte er.
"Wie wahr.", seufzte Aramis und schüttelte sich und wandte sich dann Claude zu.
"Wird euer Sohn das Eisen brechen können aber den Schädel darunter in einem
Stück lassen können?" Sie klang müde und abgespannt, ganz so, als habe der
unerwartete Verlauf des Tages ihr mehr abverlangt als sie hatte geben können.
Athos hatte sie schon früher erschöpft und abgekämpft erlebt, nachdem sie
sich in den Straßen von Paris mit allerlei Ganoven und Diebespack hatten
herumschlagen müssen, aber niemals hatte die Müdigkeit und Resignation die
tiefblauen Augen erreicht, die nun nüchtern den Mann hinter der eisernen Maske
anblickten und nur einen Hauch von Mitgefühl für den bedauernswerten Mann
unter dem ganzen Eisen vermuten ließen.
"Ihr scheint mir immer die richtigen Worte zu finden, Mademoiselle, um einen
armen, müden Mann aufzumuntern.", stichelte der Gefangene nun und kicherte.
"Wenn Sie nicht aufhören sich über mich lustig zu machen, Monsieur, werde ich
mich niemandem in den Weg stellen, wenn sie das Haus durchsuchen und nach einem
Gefangenen jeden Winkel dieses Gebäudes auf der Suche nach Ihnen auf den Kopf
stellen." War sie nicht eine ausgezeichnete Zynikerin? Dieser kleine Scherz war
ihr offenbar gelungen, denn der Mann lachte und auch auf ihr müdes Gesicht
schlich sich die Spur eines Lächelns.
"Wie dem auch sei, mein Sohn kann noch heute Abend die Maske entfernen, wenn ihr
es wünscht.", fügte Claude hinzu und wartete auf Athos Antwort.
"Ja, ja, beginnt nur.", grummelte er und starrte für einige Sekunden ins Feuer.
Er fühlte sich nicht wohl, die Insel noch viel zu Nahe für seinen Geschmack
und er konnte es sich nicht leisten auch nur eine Sekunde mehr als notwendig zu
verlieren.
***
Hätte man Aramis auch nur gefragt, wie denn der Schmied die eiserne Maske
tatsächlich aufgebrochen habe, so würde sie kalkweiß den Kopf schütteln und
spüren, wie sich die feinen Härchen in ihren Nacken aufstellten.
Es war kein schöner Anblick gewesen und auch die Geräusche von Eisen, das auf
Eisen schabte und die Schmerzenslaute des Mannes, der von einer jahrelang
ertragenen Folter erlöst wurde, hatten ihr übriges dazu beigetragen, Aramis
den Blick nicht zu oft auf das Geschehen richten zu lassen.
Was sich jedoch unter der Maske verbarg...
Ein unrasierter Mann, dessen Gesicht von Schmutz verunstaltet war. Nur eines
fiel ihr auf, als sie zum ersten Mal das Gesicht des jungen Mannes - denn jung
musste er sein, da sich noch keine Falten um Augen und Mundwinkel zeigten - sah.
Ein paar graugrüne Augen sahen sie an und er fuhr sich mit einer zitternden
Hand über das Gesicht, das er, wie sie wusste, wahrscheinlich zum ersten Mal
seid Jahren berühren konnte.
Sein scharfzüngiger Humor war für einige Zeit verschwunden, nur die
Ungläubigkeit, die Unfähigkeit zu glauben, dass all dies die Wirklichkeit war
und nicht bloß einer seiner zahllosen Träume, aus denen er frierend und allein
gelassen erwachen würde.
Zugegeben, er hatte bisher noch nie geträumt von einer scharfzüngigen, absolut
nicht auf Etikette und vornehme Wortwahl bedachten jungen Frau aus diesem
rattenverseuchten Verließ befreit zu werden, aber die Realität war tausendmal
spektakulärer als seine kühnsten Träume.
"Der Mann braucht eine Rasur und ein Bad.", schimpfte Aramis und rümpfte die
Nase. "Und natürlich neue Kleidung." Kopfschüttelnd betrachtete sie den jungen
Mann. "Und ich denke, ich brauche ein Glas Rotwein." Sagte es und verließ den
Raum, leise vor sich hin schimpfend.
"Ich glaube, Eure kleine Freundin ist ziemlich aufbrausend.", bemerkte der Mann
und sah Athos erwartungsvoll an.
"Sie kann von Zeit zu Zeit ein wenig... schwierig sein, ja.", gab Athos
vorsichtig zu, da Aramis noch nicht vollständig außer Hörweite war. "Aber sie
wird sich auch wieder beruhigen."
"Vielleicht auch nicht.", fügte D'Artagnan hinzu, als er Aramis im oberen
Stockwerk herumhantieren hörte. Holz scharrte über den Boden und den
Geräuschen nach zu urteilen flogen just in diesem Augenblick etliche
Gegenstände durch den Raum.
"Diesmal ist sie wirklich außer sich.", stimmte Claude fröhlich zu und
kicherte. "Ich hatte nie eine Tochter, aber ich glaube in etwa, dass sich der
Zorn einer Frau schwerer legt als der eines Mannes. Männer streiten sich
lauthals und dann ist es gut - Frauen sind anders. Sie vergessen es nicht
einfach - es ist ein schwelender Ärger, der immer und immer wieder an die
Oberfläche dringt."
Er kicherte und die Geräusche im oberen Stockwerk verstummten.
"Meinst du... es ist alles in Ordnung da oben?", fragte D'Artagnan und sah zur
Decke auf, als könnte er durch die Holzbalken hindurch etwas erkennen.
"Das Bad ist fertig!", trillerte Claudes Frau und betrat den Raum lächelnd.
"Wer ist denn der Schmutzfink...oh!" Sie hielt erschrocken inne, als sie den
Mann sah, der in einem der weichen Sessel beinahe versank und gequält
lächelte.
"Sie Ärmster.", sagte sie und sah ihn mitleidig an. "Wie heißen Sie denn?"
"Phillippe.", kam die Antwort und D'Artagnan fragte sich, warum nicht einer von
ihnen diese Frage schon viel früher gestellt hatte. Der Mann war für sie noch
immer ein namenloser Fremder gewesen, den sie aus einem schrecklichen Gefängnis
befreit hatten.
"Dann komm mal mit, mein Junge.", verfiel sie ins viel persönlichere Du und
lächelte. "Wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht einen ansehnlichen jungen
Mann aus dir machen können."
Gerade als sie den Raum verließen kam eine Gestalt in einen dunklen Mantel
gehüllt die Treppe herunter gestürmt.
"Was zum...", begann Athos aufzubrausen, denn er ahnte, wessen Blondschopf sich
unter der Kapuze verbarg. "Wage es nicht. Denk nicht einmal daran!", schrie er
beinahe, während er Aramis mit großen Schritten folgte.
"Ich brauche ein Pferd, Claude.", sagte sie, ohne im Schritt inne zu halten oder
auf Athos mehr als nur ungehaltenen Worte zu reagieren.
"Wo willst du zu dieser Stunde hin?!"
Erst jetzt wandte sie sich um, ihre Augen im Schatten der Kapuze verborgen. "Es
ist egal, wo ich hin will. Ich werde rechtzeitig wieder zurück sein, wenn es
das ist, worum du dir Sorgen machst. Ich vergesse meine Pflichten nicht, aber
ich brauche LUFT!", stieß sie gepresst hervor.
"Wo willst du hin?", fragte er erneut und sie schüttelte den Kopf.
"Ich weiß es nicht!" Wütend wandte sie sich um, riss die Tür auf und trat in
den Regen hinaus.
"Ihr könnt den kleinen Wallach nehmen!", schrie Claude ihr noch hinterher,
bevor die schwere Tür hinter ihr zufiel.
"Wie konntest du nur übersehen, dass du eine Frau vor dir hattest?! Die ganzen
Jahre über?!", lachte Porthos so heftig, dass es ihm Tränen in die Augen
trieb.
***
Sie hielt das Gesicht stur in den Wind und starrte zornig den Regen an, als
könnte sie ihren gesamten Ärger an dem Sturm auslassen oder zumindest einen
Teil ihrer Wut abbauen, bevor sie sich wieder in ihr Schicksal fügte.
Für diese eine Nacht wollte sie wieder ein Musketier sein, jemand, der sich
einfach in eine Spelunke setzten und so lange Alkohol bestellten konnte, bis
sich die vermeintliche - und wie sie wusste ach so schädliche - Vergessenheit
über ihre Probleme und Sorgen senkte.
Kurzerhand hatte sie sich einige Kleidungsstücke von Claudes Sohn "ausgeliehen"
und war, ohne dass sie länger darüber nachgedacht hätte, aus dem Haus
gestürmt. Wann immer sie auch zurückkehren mochte - ob noch an diesem Abend
oder erst in den frühen Stunden der Morgendämmerung - Athos Zorn würde nicht
verraucht sein.
So einfach ließ sich der Zorn des anderen Musketiers nicht besänftigen; er
würde sich genügend Zeit dafür nehmen, ihr klarzumachen, worin ihr Fehler
bestand und wie sie vermeiden konnte, ihn zu wiederholen.
Aber all das interessierte sie in diesem Augenblick herzlich wenig. In wenigen
Stunden hatten sich die Menschen um sie herum erlaubt, ihr ohnehin kompliziertes
Leben, vollkommen auf den Kopf zu stellen.
Und auch wenn sie ahnte, dass sie am nächsten Morgen nicht mehr als
schreckliche, unerträgliche Kopfschmerzen haben würde, ließ sie sich nicht
von der Vernunft dazu bringen, umzudrehen und reumütig zu ihren Freunden
zurückzukehren.
Vielleicht hatten sie alles in allem gesehen wirklich Recht. Sie war eben ein
Sturkopf wie er im Buche stand und so schnell würde sich daran auch nichts
ändern, wenn sie auch nur das kleinste bisschen dazu zu sagen hatte.
Der kleine Wallach erwies sich, gegen ihre Vermutungen, zu einem zuverlässigen
Tier, das sie über die schmalen Waldwege direkt zu einer kleinen Ansiedlung mit
einem Wirtshaus trug. Es war ja nicht so, als ob sie sich in dieser Gegend von
Frankreich besonders gut auskannte.
Sie war im Norden aufgewachsen und hatte vom Rest des Landes, bis auf wenige
Aufträge in ihrer Position als Musketier, herzlich wenig gesehen.
Ihre Entschlossenheit dem gesamten Ärger des Tages in einer "Spelunke" zu
vergessen, wurde auf eine harte Probe gestellt, als sich die kleine Schenke der
Siedlung tatsächlich als schmutziges kleines Loch entpuppte, in dem sie, wenn
sie nicht aufpasste, wahrscheinlich auch noch ausgeraubt werden würde.
Aber wann war es einem Taschendieb jemals gelungen ihr ihren Geldbeutel zu
stibitzen? Nicht ein einziges mal, solange sie sich erinnern konnte. Sie war
trinkfest, hatte sich diese Eigenschaft im Laufe des Lebens "unter Männern"
wohl oder übel angeeignet.
Die niedrigen Tische, deren Platten von zahlreichen Schrammen und Flecken
verunziert wurden, waren weitgehend überfüllt, bis auf einige Ausnahmen. Sie
zog die verhältnismäßige Ruhe, die man in einem Raum voller brüllender, halb
betrunkener oder vollständig betrunkener Männer erlangen konnte, der
geselligen Runde vor und verzog sich in den hinteren Teil des Schankraumes, wo
sie sich in einer dunklen Nische auf einen ebenso wie die Tische in
Mitleidenschaft gezogenen Stuhl fallen ließ.
Bisher hatte man sie nicht besonders beachtet, was ihr nur recht war. Behutsam
streifte sie die Kapuze des Umhangs zurück und wartete geduldig darauf, dass
eine Bedienung auf sie aufmerksam wurde. Ein Gast, der nur herumsaß ohne etwas
zu bezahlen oder zu bestellen fiel dem Wirt meist recht schnell auf, da ein
Gast, der nur zum Zuhören oder zum Zusehen gekommen war, einen Platz besetzte,
den ein zahlender Kunde rasch einnehmen konnte.
Und keine zwei Minuten später stand auch schon eine breite Frau mittleren
Alters vor ihr und fragte, ob der junge Mann nicht auch etwas bestellen wollte.
Einen Wimpernschlag lang zögerte sie, bevor sie sich an diesem Abend für einen
trockenen Rotwein entschied. Die Erinnerung an den grässlichen Geschmack des
Weißweines brannte noch immer unrühmlich auf ihrer Zunge und sie gedachte
nicht, diese auch noch aufzufrischen, indem sie Salz in die Wunde streute.
Lächelnd verschwand die Frau in der Menge und kehrte rasch und geschickt um
Menschen und besetzte Tische herum manövrierend zu ihrem Tisch zurück, auf dem
sie einen Tonkrug absetzte, bevor sie wortlos wieder verschwand, um sich
zweifelsohne einem weiteren Kunden zuzuwenden.
***
OK, wieder relativ kurz, davor aber zeitiger als letztes Mal, oder? ^-^
Kommis sind noch immer willkommen!
Kapitel 12: Sturheit
--------------------
Blinzelnd schaute sie auf, nahm den Lärm und die Unterhaltungen um sich herum
nur noch verschwommen wahr, während sie erneut ein Glas Wein an die Lippen
führte. Wie viele hatte sie bisher geleert? Nur vage konnte sie sich erinnern
und selbst diese Erinnerungen hielt sie nicht für sehr vertrauenswürdig.
Eines wusste sie jedoch mit ziemlicher Gewissheit: Noch nie in ihrem Leben war
sie so betrunken gewesen. Niemals. Und in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich
selbst zu den trinkfesten Menschen zählte, musste sie mehr als nur ein einziges
Glas zuviel gehabt haben.
Milde überrascht stellte sie fest, dass ihr gegenüber ein junger Mann saß,
den Kopf auf beide Hände gestützt und mindestens ebenso betrunken wie sie
selbst. Er war recht hübsch, wenn man die Tatsache außer acht ließ, dass
seine Augen und Wangen gerötet waren und er sich mehr am Tisch abstützen
musste, als dass er gerade sitzen konnte.
Nicht, dass sie an diesem Abend in der Wahl ihrer Gesellschaft wählerisch
gewesen wäre. Es war ihr eigentlich egal, mit wem sie über was sprach, solange
sie die wirklich wichtigen Dinge für sich behielt.
"Lasch unsch anstossen, mon ami.", lallte ihr Gegenüber und sie musste kichern.
Wirklich, wenn sie selbst sich nur halb so scheußlich anhörte, musste sich
jede halbwegs nüchterne Person im Raum vor Lachen kaum auf ihrem Platz halten
können. Aber wenn sie den Gedanken in einer kurzen Sekunde sich lichtenden
Nebels näher betrachtete, so kam sie zu dem Schluss, dass sich kaum ein
nüchterner Mann unter den Gästen der Schenke befand.
"Worauf denn?", fragte sie nur und starrte vor sich hin.
"Auf den König! Auf Frankreich!", schrie ihr Gegenüber, stand wackelig auf und
hielt sein Glas in die Höhe.
"Du hascht ganz Recht, stossen wir auf den König an.", murmelte sie und stand
ebenfalls auf. Nach diesem Abend hätte sie nicht sagen können, wie sie es
geschafft hatte ihre Stimme über das allgemeine Gelächter und Getratsche zu
erheben, aber bevor sie weiter darüber nachdachte, sprach sie auch schon.
"Auf den König von Frankreich, den gierigsten, halsstarrigsten und unfähigsten
König, der je auf Frankreichs Thron saß! Stossen wir darauf an, dass er sisch
einen Dreck um dasch Volk schert!"
Sie lachte, obwohl sie nicht wusste, weshalb und ließ sich gemächlich wieder
auf ihren Stuhl sinken. Wäre sie nicht so betrunken gewesen, wäre ihr
vielleicht aufgefallen, dass das Gemurmel der Menschen um sie herum plötzlich
gedämpfter klang und einige Männer, die an umstehenden Tischen saßen, sie mit
scheelen Blicken musterten. Aber sie war nicht nüchtern und nicht halb so
aufmerksam wie sie hätte sein sollen.
"Hascht du dasch eben ernst gemeint?!", erhallte hinter ihr eine tiefe Stimme
und Aramis bemühte sich nicht einmal darum, den Kopf nach dem Sprecher zu
wenden. Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern und wandte sich erneut dem
Wein zu, der noch immer vor ihr auf dem Tisch stand.
Erst als eine geballte Faust auf die Tischplatte direkt vor ihrem Gesicht
aufschlug und ihr Glas umfiel, sich ein Rinnsal roter Flüssigkeit seinen Weg
über die Tischplatte auf den Boden bahnte, hob sie den Kopf an und starrte in
ein paar trüber Augen.
"Isch rede mit dir!", donnerte der Mann, der nach ihrer Schätzung gut zweimal
so breit war wie sie selbst.
"Und isch bin nischt taub!", gab sie aufbrausend zurück, nicht gewillt, sich
länger mit diesem betrunkenen Störenfried aufzuhalten. ,Wie ironisch.', fuhr
es ihr noch durch den Kopf, bevor etwas hartes auf ihr Kinn traf und samt ihrem
Stuhl zu Boden schleuderte.
Wie all ihre Gedanken, registrierte sie durch den dunstigen Nebel, dass ihre
linke Schulter brennende Schmerzen aussandte und sie ahnte, dass sie wohl
unglücklich gefallen war. Selbst die Tatsache, dass sie unachtsam und wegen
ihres Stolzes nun in dieser Situation war, streifte ihre Wahrnehmung, wurde aber
sofort verdrängt, als sie sich fluchend wieder auf die Beine rappelte.
"Fasch misch nischt an, Schnapsfasch!", stieß sie zwischen zusammengebissenen
Zähnen hervor. Es war doch die perfekte Gelegenheit, um ein wenig Dampf
abzulassen. Sie hatte diesen Streit nicht begonnen... oder doch? Was kümmerte
sie das in diesem Moment?
Beleidigungen flogen kurzzeitig hin und her, bevor nur noch die Fäuste
sprachen. Eine gewöhnliche Frau wäre unter den Hieben des schwereren Mannes
wahrscheinlich bewusstlos geworden, bevor sie auch nur ein Wort hätte
herausbringen können; eine Frau jedoch, die seid Jahren als Musketier unter
Männern lebte, bewahrte sich auch in der Trunkenheit einen guten Teil der
antrainierten Reflexe und Reaktionen.
Wäre weniger Alkohol durch ihre Adern geflossen, hätte sie so manchem Hieb
ausweichen und dafür mehrerer austeilen können, während sich ein Kreis von
Männern um die Kämpfenden bildete, die rücksichtslos Tisch und Stühle und
was ihnen gerade sonst noch im Wege war, zur Seite stießen oder umrannten.
Aus dem Augenwinkel heraus, glaubte Aramis wahrzunehmen, wie einer der Tische,
die sie in einem Ausweichmanöver umgeworfen hatte, zerbrach und hörte den Wirt
laut schimpfen; er mischte sich jedoch nicht ein, wusste er es doch besser.
***
Athos machte sich Sorgen. Er würde es niemals offen zugeben, aber er machte
sich Sorgen um Aramis, die im Zorn davon gerannt war, wie ein verstocktes Kind -
oder wie ein Mann, dessen Stolz man verletzt hatte, so musste er sich
eingestehen.
Und jetzt saß er am Kamin und starrte hinaus in den strömenden Regen, gegen
jede Vernunft auf Hufgetrappel wartend, dass das leise Prasseln des Regens
übertönen würde. D'Artagnan hatte ihn auf diesen Ruheplatz verbannt, nachdem
er ruhelos auf und ab gewandert war.
"Setz dich hin und mach uns nicht alle noch verrückt mit diesem ständigen
Hetzgang!", hatte der junge Mann geschimpft und seine Augen verrieten, dass er
selbst nicht sicher war, als er hinzufügte: "Ihr wird schon nichts passieren."
Claude und Porthos beugten sich über die Reste des Abendessens und schwatzten,
während D'Artagnan selbst Claudes Sohn dazu überredet hatte, eine Partie
Schach mit ihm zu spielen.
Treville hätte doch ahnen können, wie vertrackt diese Situation sein würde,
wenn er Aramis zu Entscheidungen zwang, die sie nicht zu treffen bereit gewesen
war. Dieser und ähnliche Gedanken bestimmten Athos' finsteres Grübeln,
während er den Blick vom Fenster losriss, um ins Feuer zu starren ohne den Tanz
der Flammen wirklich zu sehen.
***
Sie hatte gewonnen. Wieder und wieder wiederholte sie diese Worte in ihren
Gedanken und lächelte, obwohl ihr gesamter Kiefer dabei schmerzte. Aber was
machte das schon? Ihr ganzer Körper schmerzte? Wieso sollte sie sich dann um
den stechenden Schmerz in ihrer unteren Gesichtshälfte besonders kümmern?
Die Möglichkeit in einen Spiegel zu blicken war ihr bisher zum Glück erspart
geblieben. Dennoch hatte Aramis eine ziemlich gute Vorstellung davon wie sie
aussehen musste. Aber sie hatte gewonnen, hatte den Mann, der sie so frech
angepöbelt hatte, niedergestreckt und hoch erhobenen Hauptes, wenn auch mit
taumelndem Gang, das Wirtshaus verlassen.
Sogar auf den Wallach war sie alleine hinauf gekommen und ritt jetzt den Weg
zurück zu Claudes Anwesen, wenn sie sich auch auf das Rückkehrverhalten des
Tieres verlassen musste. Bäume und Sträucher huschten schemenhaft an ihr
vorbei und sie erkannte kein Stück des Weges wieder.
Es war ihr ein Rätsel, wie sie sich noch immer im Sattel halten konnte...
eigentlich hatte sie sich nur eisern vorgenommen, soweit von der Spelunke fort
zu kommen, um ihre Würde zu wahren und weiter hatte sie nicht gedachte. Als
Sieger war sie aus dem Kampf hervorgegangen und sie hatte sich diesen Sieg nicht
durch einen Sturz vom Pferd nehmen lassen wollen.
Graue Umrisse erschienen vor ihr und da... stand dort nicht die Kutsche, mit der
sie von Paris hierher gekommen waren? Ein Adrenalinstoss versetzte sie noch
einmal in Hochstimmung, auch wenn sie zu betrunken war, um noch einen klaren,
vernünftigen Gedanken zu fassen.
"Isch hab gewonnen!"
***
"Sie kommt!", sagte D'Artagnan, der insgeheim ebenfalls die Ohren gespitzt hatte
und nur auf das regelmäßige Getrappel der Hufe gewartet hatte.
"Soll sie nur kommen, ich hab ihr ganz schön was zu sagen!", grummelte Athos
und starrte auf die Tür, die sich doch jeden Moment öffnen musste.
Eine Minute verstrich, das Geräusch der Hufe war verstummt und nur das Prasseln
des Regens, der auf aufgeweichte Erde traf, war zu hören.
"Hmpf!" Eine weitere Minute verstrich und die Tür wurde noch immer nicht
geöffnet.
"Sollen wir nachsehen?", fragte D'Artagnan, der hinter diesem Verhalten in
diesem Moment nicht mehr als Sturheit sah. Vielleicht war Aramis noch immer
zornig und zog es vor, die Nacht im Stall bei dem Wallach zu verbringen, um der
anstehenden Auseinandersetzung mit Athos aus dem Weg zu gehen.
Es war bei ihrem temperamentvollen Wesen schließlich nicht vollkommen
auszuschließen, dass sie kurzentschlossen reagierte und handelte. Das Licht,
das durch das Fenster des Aufenthaltsraumes nach draußen drang, und sicher vom
Hof aus zu sehen war, hatte sie - so vermutete D'Artagnan - wohl dazu
veranlasst, nicht ins Haus zu kommen.
Noch bevor er seine Frage wiederholen konnte, stapfte Athos auf die Tür zu, zog
sie auf und ein Schwall kalten Regens traf ihn ins Gesicht, ließ ihn blinzelnd
und nur verschwommen sehend zurück. Aber jetzt, da die Tür die Geräusche des
Hofes nicht mehr dämpften, hörte er, vermischt mit dem Geräusch des Regens,
das helle Lachen einer Frau.
Und ein Schatten schien sich zu bewegen, in der Mitte des Hofes, mehr oder
weniger auf kleiner Fläche rotierend und erst als er genauer hinsah, erkannte
er, dass die in einen Mantel gehüllte Gestalt niemand anderes als Aramis war,
die sich mit ausgebreiteten Armen ständig im Kreis drehte und lachte.
"Ist sie übergeschnappt?", flüsterte Porthos neben ihm, ohne dass Athos ihn
neben sich treten gehört hatte.
"Aramis!", schrie er gegen den Regen an und trat ebenfalls hinaus auf den Hof,
als sie nicht reagierte. Er wiederholte ihren Namen, aber erst als er nahe genug
heran war, um den von Regen und Wind gedämpften Geruch des Alkohols
wahrzunehmen und den entrückten Blick sah, hielt sie in der schlingernden
Kreisbewegung inne, heftig schwankend und um Gleichgewicht ringend.
Ein nachdenklicher Ausdruck schlich sie auf ihr Gesicht, während sich ihre
Augen zu Schlitzen verengten, so als müsse sie angestrengt nachdenken, bevor
sich erneut ein entrücktes Lächeln ausbreitete. "Isch hab gewonnen!",
verkündete sie stolz, lallend, noch immer torkelnd.
"Was zum...", setzte er erneut an. "Du riechst ja wie ein Schnapsfass!"
Zum ersten Mal schien sie ihn wirklich wahrzunehmen, kniff die Augen zusammen
und erwiderte so ernsthaft wie möglich: "Rotwein."
"Es ist mir gleich, mit was du dich so zugerichtet hast!"
Aber sie war schon wieder der Ernsthaftigkeit entfleucht und kicherte. "Mir
eigentlisch ausch."
"Was ist nur in dich gefahren?!" Ungläubig starrte er Aramis an, die sich
inzwischen in einem nicht enden wollenden Lachkrampf schüttelte, dich Athos
wetterte ungehemmt weiter.
"Wie siehst du überhaupt aus? Hast du dich geprügelt?!"
Das Lachen erstarb und sie sah ihn mit einem sonderbaren Blick an, erhob die
Hand und führte den Zeigefinger der linken Hand nahe vor sein Gesicht. "Gansch
genau, mein Freund. Isch hab den wohl schmierigschten Menschen im Umrkeisch von
Meilen für einige Zeit insch Land der Träume geschickt."
"Sie ist einen Tag hier und prügelt sich in einer Spelunke.", lamentierte
Porthos und schüttelte amüsiert den Kopf. Aramis war doch immer wieder für
eine Überraschung gut.
"Hey, dasch war nischt meine Schuld! Isch hab nur einen Trinkspruch..."
"Und was um alles in der Welt hast du gesagt?", fragte D'Artagnan, der sich nur
darüber wundern konnte, dass die junge Frau noch nicht bewusstlos
zusammengebrochen war. Sie sah exakt so aus wie ein junger Bursche, der nach
seiner ersten Prügelei ernsthaft verletzt nach Hause gestolpert kam ohne die
Tragweite seiner Verletzungen wirklich zu begreifen.
Der Alkohol mochte die Schmerzen im Moment betäuben und ihr die Sinne
vernebeln; nichtsdestotrotz würde ihr geschundener Körper früher oder später
eine Auszeit, eine Pause verlangen.
"Isch hab geschagt: !"
Wieder begann sie zu lachen und Athos begann die gesamte Situation als eher
unheimlich anzusehen. "Es wundert mich, dass man dich nicht erschlagen hat.",
murmelte Athos und schüttelte den Kopf.
"Wer hat geschagt, dasch sie esch nischt versuscht haben?" Wieder dieses
Kichern, hoch und unnatürlich, aber das mochte vom Alkohol herrühren.
"Die bessere Frage wäre: Wie bist du in einem Stück wieder hierher zurück
gekommen?", warf Porthos ein, sich zwischen die beiden Streitenden stellend, von
denen der eine noch immer wütend und die andere vollkommen weggetreten war.
"Weisch isch ausch nischt. Frag mal den da.", mit einem leichten Nicken in
Richtung des Wallachs und einem Grinsen auf dem blassen Gesicht sprach sie noch
immer verworren.
"Ich kann es nicht glauben!", keuchte D'Artagnan, scheinbar auch langsam
belustigt. Noch nie hatte er Aramis so ausgelassen erlebt und auch wenn er die
Ursachen dieser flüchtigen und künstlichen Heiterkeit nicht guthieß. Aber wie
sie Athos auf die Palme brachte ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.
"Das ist nicht lustig!", warf Athos ein und musterte Aramis besorgt. Sie hatte
Mühe sich gerade auf den Beinen zu halten - ihr Blick suchte immer wieder einen
unsichtbaren Punkt im dichten Regen und das leise, grundlose Lächeln auf ihren
Lippen ließen die Situation noch grotesker wirken.
"Ich bring sie jetzt ins Haus und ich hoffe, dass Claudes Frau noch wach ist -
ich bring sie nämlich nicht auch noch ins Bett!", schimpfte Athos und versuchte
Aramis am Arm zu fassen, um sie ins Haus zu führen.
"Isch kann alleine gehen!", stammelte sie und wich seinem Arm aus, mit weiten,
wankenden Schritten und wäre beinahe vornüber im schlammigen Boden versunken,
hätte Athos sie nicht im letzten Moment zurück auf die Füße gezogen.
"Das sehe ich.", murmelte er, doch Aramis entging die Spitze in diesen Worten
und so nuschelte sie bloß: "Siescht du! Isch kann alleine gehen - isch lasch
mir nur helfen, weil du disch so gern alsch Held siescht."
***
Der kurze Weg zurück ins trockene Innere des Hauses erwies sich als eine
größere Herausforderung als die Musketiere angenommen hatten. Aramis war kaum
in der Lage selbstständig zu gehen, ließ sich aber auch nicht richtig stützen
und so wurde aus der gut gemeinten Hilfe ein Ziehen und Schieben, das von Aramis
mit wilden Worten quittiert wurde.
"Selbst die Straßenjungen von Paris können nicht so fluchen wie dieses Weib!",
stieß Porthos hervor und schloss die Tür hinter sich.
"Pasch auf wasch du schagscht, Porthos! Isch kann disch schehr wohl hören!"
Claudes Frau trat gerade aus dem Aufenthaltsraum und strahlte. "Da sind sie ja!
Ich habe den jungen Mann gerade herunter geführt! Er sieht aus wie ein
richtiger Edelmann! Kommen...", mitten im Satz hielt sie inne und erstarrte, als
sie Aramis erkannte.
"Oh, was hast du dir nur angetan, mein Kind?! Du riechst als hättest du in Wein
gebadet und wie du aussiehst! Fast so schlimm wie der junge Mann vorhin... wo
hast du dich nur herumgetrieben?!", ereiferte sie sich.
"Esch war nischt meine Schuld.", gab Aramis ungewöhnlich kleinlaut zurück.
Vielleicht war es der vertrauliche Ton, den die Frau gewählt hatte, vielleicht
auch nur die bloße Situation. Aber die Züge der jungen Frau wurden für einige
Sekunden weicher, während sie sich entschuldigte.
"Ist meine freundliche, liebendwürdige Heldin zurück?", erklang Phillippes
leises Gelächter, als auch er den Aufenthaltsraum verließ und sich zu der
kleinen Menschenansammlung gesellte.
Ein breites Lächeln lag auf seinem Gesicht und zuerst bemerkte niemand, dass
Aramis blass und stumm geworden war. Die arme Aramis konnte ja nicht wissen,
dass gewisse andere Musketiere mit gewissen Informationen vertraut waren. Für
sie kam diese Situation mit der Wucht eines Faustschlages auf sie zu und sie
konnte nicht ausweichen.
"Isch musch übergeschnappt schein.", murmelte sie und rieb sich ungläubig die
Augen. "Oder isch träume und wache gleisch in meinem Bett auf und allesch ischt
nischt passchiert..."
"Was hat sie denn?", fragte Phillippe und musterte die junge Frau ebenso
ungläubig wie sie ihn. "Ist sie betrunken?"
"Wenn dasch nischt König Louis ischt...", waren die einzigen Worte, die sie
noch hervorbrachte, bevor sie nach vorne und direkt in Phillippes Arme sank.
"Mademoiselle!", stieß er hervor, doch Porthos schnaubte nur und sagte: "Sie
ist nur ohnmächtig geworden - bis morgen hat sie ihren Rausch hoffentlich
ausgeschlafen, aber ich bezweifle, dass es ihr dann viel besser gehen wird..."
"Soll ich sie nach oben tragen?", fragte Phillippe und starrte auf das Gesicht
der jungen Frau, deren Züge vollkommen entspannt waren. ,Sie ist
wunderschön.', schoss es ihm durch den Kopf.
"Ja, komm, mein Junge. Bringen wir sie nach oben in ihr Bett und dann sollten
wir alle ein wenig Schlaf bekommen." Claudes Frau stieg die Stufen resolut empor
und Phillippe folgte ihr.
Den stechenden Blick, den Athos ihm dabei zuwarf, bemerkte er nicht.
***
Der Geruch von Alkohol und Rauch hing noch immer in der Luft, als Aramis am
nächsten Morgen mit pochenden Schläfen und hämmernden Kopfschmerzen erwachte.
Das leise Vergessen, flüchtig, trügerisch und schädlich, war vergangen.
Was ihr blieb waren die Auswirkungen einer durchzechten Nacht und ein ziemlicher
Filmriss. Verschwommene Erinnerungsfetzen waberten durch ihre Gedanken: eine
Frau, die im Regen tanzte, harsche Worte, Gelächter...
Mit der rechten Hand rieb sie sich das schmerzende Kinn. Zwei und zwei zusammen
zählend entschied sie, dass sie wohl oder übel in eine Prügelei
hineingeraten, wenn nicht sogar eine angezettelt hatte.
Wie sie zurück gekommen war... es war alles zu weit weg, um es jetzt noch
fassen zu können. Und vielleicht war das auch gut so.
Rücksichtslos wurde an ihre Zimmertür geklopft - wie sie vermutete mit der
geballten Faust geschlagen und sie sollte Recht behalten. Kurz darauf erklang
Athos wenig freundliche Stimme, die ihr zu verstehen gab, dass sie sich im
unteren Stockwerk einfinden sollte.
Mehr als eine einzige bissige Bemerkung lag ihr auf den Lippen. Sie wollte, dass
er sie in Frieden wieder ins Land der Träume zurückkehren ließ, bis diese
Kopfschmerzen vergangen wären, wollte, dass sie nicht ins Tageslicht blinzeln
musste, was zweifelsfrei noch mehr Kopfschmerzen verursachen würde und vor
allem war sie nicht gewillt sich jetzt einer Strafpredigt ihres alten Freundes
zu stellen.
Beinahe hätte sie sich einfach wieder hingelegt um weiter zu schlafen, doch
eine kleine Stimme, die leise im hinteren Teil ihres Kopfes an ihr nagte,
brachte sie dazu sich auf die Beine zu kämpfen und angewidert das Gesicht zu
verziehen, als sie bemerkte, dass sie tatsächlich so mitgenommen aussah wie sie
sich fühlte.
Sie hatte in den Kleidern geschlafen, die sie am Vorabend getragen hatte und wog
zwei Möglichkeiten ab. Nummer eins: Die Kleidung wechseln und mit der daraus
folgenden Verspätung noch mehr Athos Zorn anzustacheln.
Nummer zwei: Ohne die Kleidung zu wechseln nach unten zu gehen.
Tja, ein wenig Eitelkeit mochte ihr an diesem Morgen gestattet sein und so
gewann die erste Wahlmöglichkeit mit Abstand. Athos war ohnehin schon zornig -
sein Zorn konnte sich zwar noch steigern, aber was machte das schon? Ihr würde
ohnehin der Kopf platzen, wenn er zu einer langen Rede über ihr ungebührliches
Verhalten ansetzen würde.
Sie warf einen kurzen Blick in die Kleidertruhe und entschied sich für ein
Kleid in einem satten Violet.
***
Kapitel 13: Ein verrückter Morgen
---------------------------------
Beinahe hätte sie der Versuchung nachgegeben, sich am Treppengeländer
festzuhalten, während sie die Stufen hinabstieg, aber der Stolz verbot diese
einfache Geste der Schwäche. Sie war sich nicht sicher, ob dieses seltsame
Schwindelgefühl, das ihre Schritte unsicher erscheinen ließ, vom Alkohol oder
der Schlägerei, an der sie wohl teilgenommen haben musste, herrührte.
Es war ihr, wenn sie ehrlich war, auch einerlei. Wenn nur dieser hämmernde
Schmerz in Stirn und Schläfen vergehen würde! Beinahe hätte sie geflucht, als
sie eine Stufe übersah und zwei auf einmal nahm.
Unter normalen Umständen wäre dies kein Problem gewesen - sie hätte sich mit
Leichtigkeit wieder gefangen; wäre nur dieses verfluchte Kleid nicht gewesen!
Ihre Stiefelspitze verfing sich in dem üppigen Saum und nun half doch nur die
rettende Hand, die sich um das polierte Holz des Treppengeländers schloss.
Dieser Tag versprach nicht einfach zu werden und innerlich tobte die junge Frau.
Im unteren Stockwerk, in Claudes Wohnzimmer, sah sie schon Athos warten, einen
mehr oder weniger neutralen Ausdruck zur Schau stellend. Sie kannte ihn besser.
Es war ganz und gar nicht ruhig; unter der Oberfläche tobte es vermutlich seid
dem Moment, in dem sie von ihrem kleinen ""Abenteuer" zurückgekehrt war und sie
sinnierte kurz darüber, wem sie es wohl zu verdanken hatte, wenigstens während
der vergangenen Nacht von einer Strafpredigt verschont worden zu sein.
Zu ihrer Erleichterung saß Claude schon in einem Sessel vor dem Kamin; der
ältere Mann blinzelte ihr vergnügt zu und ein schelmisches Lächeln spielte um
seine Lippen, während er es sorgfältig vermied, den Blick auf Athos zu
richten.
""Auch endlich aufgewacht?", war das erste, das Athos sagte, als sie über die
Schwelle in den Raum trat und schon biss sie sich auf die Zunge. Er war es doch
gewesen, der wie eine Wilder gegen ihre Tür geschlagen und sie nach unten
beordert hatte!
Und obwohl sie sich an diesem Morgen nicht wirklich auf eine Auseinandersetzung
freute, weigerte sie sich doch, ihm die auch nur die kleinste Spur von Reue zu
zeigen und zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sollte er sich doch seinen Teil
darüber denken, warum sie ihm keine Antwort auf diese Frage gab.
"Weißt du eigentlich...", begann er und Aramis wusste, was nun kommen würde.
Eine schier endlose Schimpftirade über ihre Unvernunft, ihren Ungehorsam, ihre
Starrsinnigkeit... die Liste konnte vermutlich endlos erweitert werden, und
Athos würde nicht einmal in seinem Redeschwall innehalten, wenn er zu ersticken
drohte.
"..., dass wie du dich gestern aufgeführt hast?! Betrunken und zugerichtet wie
ein... mir fehlen die Worte! Hast du auch nur daran gedacht, was das für
unseren Auftrag hätte bedeuten können?!"
Er warf ihr einen funkelnden Blick zu und sie erstarrte in der Bewegung. So
eingenommen, wie er von seinem eigenen Redeschwall gewesen war, hatte er zuerst
nicht bemerkt, dass sie mit ihrer rechten Hand Sprechbewegungen nachgeahmt
hatte.
"Was zum...?!", brauste er auf. ""Das alles ist nur ein einziger Witz für dich,
nicht wahr?! Es schert dich keinen Deut, was du mit deinem Benehmen verursachst!
Du benimmst dich wie ein verzogenes Kind, dem man vergeblich versucht ein paar
Manieren beizubringen!"
Sie zog eine Augenbraue gespielt überrascht in die Höhe.
"Ach, hast du das erst jetzt begriffen? Ich dachte es wäre in den letzten
Jahren deutlich geworden, dass ich nur eine kleine Göre bin, die sich mit einem
Schwert in Straßenschlachten geschlagen und Seite an Seite mit dir gekämpft
hat!" Sie stieß ein raues Lachen aus. ""Und es war auch nur ""das verzogene
Kind", das sich gestern in ein Verließ geschlichen und einem verurteilten
Gefangenen zur Flucht verholfen hat!"
"
"Es fällt mir sehr schwer etwas anderes zu glauben, Aramis!", schmetterte er
zurück, nicht gewillt seinen Zorn auch nur einzudämmen.
""Sag es doch einfach! Sag doch einfach, was dich wirklich so wütend macht!",
kontere sie und starrte ihn nun aus funkelnden blauen Augen an, die Hände zu
Fäusten geballt und den Blick ungebrochen auf ihn gerichtet. ""Hat es dir jetzt
die Sprache verschlagen? Aber ich weiß es! Du siehst eine Frau, die sich, in
ihrem Stolz verletzt, zu einer Dummheit hat hinreißen lassen und wäre ich
wirklich der Musketier, der ich vorgab zu sein, dann würdest du doch nicht halb
soviel Toben!"
""Das ist nicht wahr! Ich muss mich nicht rechtfertigen! Ich bin schließlich
nicht derjenige, der sich letzte Nacht einfach aus dem Staub gemacht hat und
nach billigem Fusel stinkend und wie ein geprügelter Hund aussehend
zurückgekommen ist!"
""Ich habe diese dämliche Schlägerei gewonnen!", keuchte sie und starrte an
ihm vorbei, auf irgendeinen Punkt, nur nicht ihn ansehen, sonst würde sie sich
vergessen... Sie wusste selbst nicht, wieso die Tatsache, dass sie diese
Schlägerei gewonnen hatte, mit einem Mal so wichtig für sie war. Aber die
wenigsten Menschen verstehen ihren eigenen Stolz, auch wenn er sich ihnen noch
so oft in den Weg stellt.
"Was macht das für einen Unterschied! DU hast dich in einer Spelunken
geprügelt und hast dich wie von Sinnen aufgeführt!"
""Und wenn schon?! Hatte ich nicht das Recht dazu?! Kannst du mich ansehen und
mir ins Gesicht sagen, dass ich nicht das Recht dazu hatte, wütend zu sein?!"
Noch bevor er antworten konnte und noch bevor sie erneut auffahren konnte,
durchbrach Gelächter die angespannte Atmosphäre.
""Wirklich, ich habe noch nie eine Frau gesehen, die sich in Gegenwart eines
Mannes so aufbrausend benommen hat.", lachte Phillippe und Aramis erbleichte.
"Ich dachte, ich hätte das gestern geträumt..." murmelte sie und warf einen
fragenden Blick auf Athos. Mit einem Mal erschien ihr der vorangegangene Streit
beinahe unwichtig, aber nur beinahe, weil sie im Recht war.
"Ich muss übergeschnappt sein, genau, das ist es... ich bin einfach
verrückt.", ihre Augen wirkten seltsam groß in dem blassen Gesicht. ""Oder
aber, das hier ist der seltsamste Traum, den ich jemals hatte."
Athos hätte zu einer anderen Zeit sicher über ihr Erstaunen lachen können,
aber nicht jetzt. In seinem Zorn war ihm entgangen wie blass sie gewesen war,
als sie den Raum betreten hatte und nun... sämtliche Farbe war aus ihrem
Gesicht gewichen.
""Habt ihr ein Gespenst gesehen?", scherzte Phillippe und sah Aramis verwundert
an. Ihr Betragen musste ihm ganz und gar absonderlich vorkommen, hatte er doch
nicht die geringste Ahnung wie sehr er dem letzten Menschen ähnelte, den sie am
heutigen Tag an diesem Ort sehen wollte - für Aramis war alles plötzlich nur
noch ein grausamer Scherz, ein schlechter Traum, der einfach nicht enden
wollte...
""Ein Gespenst... in der Tat, ein Gespenst... eine weitere Erklärung, die mich
als Schwachsinnige dastehen lässt.", murmelte sie nur noch und ließ sich in
den Sessel neben Claude fallen, als wollten ihre Beine sie nicht länger tragen.
Und vielleicht war dem auch so. Auf jeden Fall weigerte sie sich, auch nur den
Blick von den tanzenden Flammen abzuheben, selbst als Claude sie freundlich von
der Seite ansprach.
"Fühlt ihr euch nicht wohl?"
Die offensichtliche Sorge berührte sie in diesem Moment kaum; zu tief saß der
Schock und zu sehr zweifelte sie an ihrem eigenen Verstand. Wenn sie nur die
Augen schloss, wenn sie sie ganz fest schloss, dann würde sie in wenigen
Sekunden in ihrem Bett aufwachen und die Ereignisse der letzten Tage würden
sich in Schall und Rauch auflösen.
***
Aber das tat es nicht; sie öffnete die Augen und sah sich um. Und noch immer
befand sie sich in Claudes Wohnzimmer, umgeben von dem Hausherrn, einem etwas
beschwichtigten Athos und einem verdutzten Abziehbild des französischen
Königs.
""Aramis?" Auch Athos trat besorgt neben sie und starrte in das lilienweiße
Gesicht.
Plötzlich begann sie zu lachen, laut, ja beinahe hysterisch. "
""Dieser Mann... dort drüben... den wir... aus dem Gefängnis... befreit
haben... sieht doch tatsächlich.... tatsächlich aus... sieht tatsächlich aus
wie der König... der König von Frankreich!" Sie schlug auf die Lehne des
weichen Sessels und lachte noch immer, nach Luft schnappend, als ihre Lungen
rasend nach Sauerstoff verlangten.
Diesmal erntete sie ein geheimnisvolles, wenn auch schwaches Lächeln von
Phillippe. "
""Man hat mir gesagt, ich sehe meinem... wie habt ihr ihn noch genannt, Athos?
Ach ja, Bruder. Man sagte mir, ich sähe meinem ""Bruder" doch ein wenig
ähnlich.", stimmte er dann zu.
""Der Bruder des Königs - guter Witz, Athos!" Sie weigerte sich einfach, ihm
diesen Unfug abzunehmen, vor allem, wenn ihr Kopf noch immer schmerzte und sie
sich am liebsten auf ihr Zimmer zurückgezogen hätte.
Dieser Tag konnte wirklich nicht mehr verrückter werden...
***
TBC
Kapitel 14: Ein Hinweis auf Eifersucht
--------------------------------------
Vorwort: Hi, hier mal wieder eine Meldung von mir, obwohl ich mir eigentlich
sicher bin, noch nie eine geschrieben zu haben... ^-^
Ich habe es endlich fertig gebracht, ein weiteres Kapitel zu tippen und hoffe,
ihr habt mich alle noch nicht ganz vergessen. Kritik und Hinweise, wie auch
Vorschläge sind herzlich willkommen! ^-^
Wenn ihr euch ein bissel für One Piece interessiert und ein Fan vom
ZorroxNami-Pairing ist, der kann ja mal meine One Piece FF lesen (im Moment sind
2 Kapitel on) - Titel: "A pirate's love".
Viel Spaß beim Lesen dieses Kapitels!
*-*-*-*-*-
Diesmal erntete sie ein geheimnisvolles, wenn auch schwaches Lächeln von
Phillippe. "
"Man hat mir gesagt, ich sehe meinem... wie habt ihr ihn noch genannt, Athos?
Ach ja, Bruder. Man sagte mir, ich sähe meinem "Bruder" doch ein wenig
ähnlich.", stimmte er dann zu.
"Der Bruder des Königs - guter Witz, Athos!" Sie weigerte sich einfach, ihm
diesen Unfug abzunehmen, vor allem, wenn ihr Kopf noch immer schmerzte und sie
sich am liebsten auf ihr Zimmer zurückgezogen hätte.
Dieser Tag konnte wirklich nicht mehr verrückter werden...
Erwartungsvoll starrte sie Athos an, doch als dieser nicht in lautes Gelächter
ausbrach und sich nicht einmal zu einem amüsierten Grinsen hinreißen lassen
wollte, stand sie so abrupt auf, dass sich der Raum für einige Sekunden um sie
herum zu drehen schien.
Alles um sie herum schien zu verschwimmen und für einige Sekunden, nur
Sekunden, konnte sie vorgeben, noch immer in der Traumwelt zu sein und sich in
genau diesem Augenblick in dem seltsamen Moment zwischen Schlaf und Wachsein zu
befinden.
Doch die Möbel und Menschen um sie herum rückten langsam wieder an ihren
Platz, die Welt drehte sich nicht mehr schneller als sonst auch und noch immer
starrte sie das Spiegelbild des französischen Königs an. Ein besorgter
Ausdruck lag auf dem recht hübschen Gesicht.
Ja, dieser Mann sah dem König zum verwechseln ähnlich, aber ihm fehlte der
hochmütige Zug um die Lippen herum, der abfällige Blick, mit dem er jene zu
mustern gedachte, die nicht von Adel waren.
"Madame?", fragte er erneut und setzte schon an, um seinen Irrtum zu verbessern,
doch sie presste schon eine Erwiderung hervor.
"Mademoiselle." Dann schüttelte sie den Kopf. "Oder... im Moment bin ich mir da
nicht so sicher... am besten ist noch immer Aramis, denke ich."
Mit einem seltsamen Ausdruck wandte sie sich an Athos. "Sag mir bitte, dass wir
diesen Mann nicht befreien sollten, um das zu tun, was mir gerade in den Sinn
gekommen ist."
"Wir sollten diesen Mann nicht befreien, um zu tun was immer dir durch den Sinn
gegangen ist.", sagte er artig und ein schelmischer Ausdruck ersetzte die
Besorgnis.
"Lügner. Du warst schon immer ein schlechter Lügner.", brachte Aramis hervor
und schlug ihm spielerisch auf den Rücken. Ein Teil ihres gewohnten Zynismus
kehrte zurück und die Kopfschmerzen schienen nachzulassen.
"Der Bruder des Königs... ein verurteilter Verbrecher?", fragte sie kritisch,
eine Augenbraue in die Höhe gezogen.
"Ich wusste nicht einmal, dass ich einen Bruder hatte, bevor er", ein Nicken in
Richtung Athos, "mir sagte, ich wäre der Zwillingsbruder des Königs. Ein Witz,
wenn ihr mich fragt. Seid meinem 12 Lebensjahr wurde ich in dieser Festung
gefangen gehalten, ohne Verhandlung, ohne Vergehen, ohne Grund." Die letzten
Worte klangen verbittert und Aramis konnte es ihm nicht verübeln.
"Aber warum?", sinnierte Aramis und schüttelte sachte den Kopf. "Ein
Zwillingsbruder könnte seinen Anspruch auf den Thron bedrohen..."
"Treville hat das alles herausgefunden. Er hat erfahren, dass es einen weiteren
legitimen Erben der Krone gibt und so wie der König sich dem Volk gegenüber
verhält... es dauert nicht mehr lange und man wird den König absetzten wollen.
Louis ist nicht zu Einsicht zu bringen und deshalb...", Athos holte langsam Luft
und sah dann abwechselnd Philipp und Aramis an, "sollen wir aus diesem
Zwillingsbruder einen geeigneten Ersatz machen."
"Nein.", sagten Aramis und Philipp gleichzeitig, woraufhin sie sich verwundert
ansahen.
"Warum nicht?" Philipp fing sich zuerst wieder und sah die blonde Frau
verwundert an. "Glaubst du, ich wäre ein schlechterer König als mein
sogenannter Bruder?"
"Ich meinte, ich werde mich nicht gegen die Krone verschwören." Sie warf Athos
einen hitzigen Blick zu. "Hast du mir nicht erst vor kurzer Zeit erzählt, dass
ich Eide geschworen und eine Verpflichtung gegenüber dem König und gegenüber
Frankreich habe?"
"Louis richtet Frankreich zu Grunde.", wandte Athos ein und sah sie
erwartungsvoll an; er wartete nur darauf, dass sie sich auf diese Sache einließ
und tatsächlich: mit einem Seufzen ließ sie die Schultern hängen und fügte
mit einem schelmischen Grinsen hinzu: "Warum nicht? Der König hat nicht viel
für die Musketiere getan, er schert sich keinen Deut um das Volk und außerdem
habe ich sowieso genügend Anklagepunkte angesammelt für die man mich des
Hochverrats anklagen könnte."
"Ach ja?" Philipp musterte sie interessiert. "Was habt ihr denn getan, dass die
Musketiere euch zu Hilfe rufen, um mich aus dieser Festung zu befreien?"
In diesem Augenblick kam sie sich in ihrem Kleid ziemlich lächerlich vor, doch
sie verbeugte sich, ganz so, wie sie es getan hätte, wäre sie heute in Uniform
unterwegs gewesen. "Darf ich mich erneut vorstellen? Ich bin Aramis, Musketier
des Königs von Frankreich."
Philipp lächelte matt und schüttelte den Kopf. "Ein guter Witz."
"Aber es stimmt!"
"Eine Frau kann kein Musketier werden.", gab Philipp zu bedenken und legt den
Kopf schräg. "Es sei denn..."
"Es sei denn, niemand wusste, dass Aramis kein Mann sondern eine Frau ist.",
vollendete sie seinen Satz mit einem kühlen Lächeln.
"Es fällt mir schwer euch das zu glauben.", murmelte er und fragte sich, wie
eine man eine Frau nicht als solche erkennen sollte. Selbst in der Uniform der
Musketiere...
"Glaubt mir, oder glaubt mir nicht. Aber im Notfall könnt ihr euch auf meinen
Degen verlassen.", sagte sie spröde und war gerade im Begriff den Raum zu
verlassen, als Athos sie zurückrief.
"Aramis?"
"Ja?"
"Unser König in spe sollte sich vielleicht... einige Fähigkeiten aneignen und
nun... ich kann ihm wohl kaum das Tanzen beibringen, oder?"
"Wie kommst du darauf, dass ich tanzen könnte? Es ist Jahre her, dass ich auch
nur daran gedacht habe zu tanzen! Und wenn ich getanzt habe, war ich diejenige,
die geführt hat! Soll ich etwa auch noch die Benimmlehrerin für ihn spielen
und ihm beibringen, wie sich der König von Frankreich gegenüber welchen
Personen zu verhalten hat?!"
Das war es also! Sie sollte die Lehrerin für Philipp spielen und ihn in der
Etikette unterweisen!
"Wenn du das schon so nett anbietest...", meinte Athos und lächelte. "...dann
nehme ich natürlich dankend an."
Aramis und Philipp starrten sich eine Weile an, ehe sie sich abwandte und leise
vor sich hin brabbelte. Soweit Philipp Wortfetzen aufschnappen konnte, bedachte
sie Athos mit allerlei Namen und nicht alle waren gerade schmeichelhaft.
"Im Fluchen könnte ich tatsächlich noch so einiges von dir lernen.", witzelte
er und erntete ein schuldbewusstes, schwaches Lächeln.
"Wenn das hier alles vorbei ist, schuldet mir jemand einen großen Gefallen!",
sagte sie laut genug, dass es Athos, der den Raum schon verlassen hatte und sich
bereits auf den Weg in die Küche machte, noch hören konnte. Eine kleine Falte
hatte sich auf ihrer Stirn gebildet, ein Zeichen dafür, dass sie angestrengt
nachdachte.
Es war tatsächlich alles schon so lange her, dass es ihr teilweise wie ein
verblassender Traum vorkam. Natürlich hatte sie gelernt zu tanzen, man hatte
sie förmlich dazu gezwungen. Ihre Tante hatte sie in die Gesellschaft
eingeführt, nachdem sie die förmlichen und trockenen Regeln der Etikette in-
und auswendig beherrscht hatte.
Wie hatte sie sich abgequält mit diesem formellen Krempel. Es gab unzählige
Möglichkeiten jemanden zu beleidigen und für eine Frau waren die Regeln der
Konversation noch um einiges strenger als für einen Mann.
Es waren immer die Männer, die eine Frau zum Tanz aufforderten und wenn sich
die junge Tochter eines Adeligen vom Lande auch nur dazu entschließen sollte,
diese Aufforderung abzulehnen, konnte dies schon als Beleidigung aufgefasst
werden und einen Streit zwischen den Familien verursachen.
"Ich sage es dir gleich: Ich halte nicht viel von dem, was ich dir beibringen
soll, aber mir bleibt wohl keine andere Wahl..." Seufzend strich sie sich eine
verirrte Haarsträhne hinter das linke Ohr und lächelte.
"Du, ein Musketier?", griff er erneut seine Frage auf, da er noch immer glaubte,
keine Antwort erhalten zu haben.
"Ja, ich, ein Musketier.", sagte sie, beinahe gelangweilt. Sie war es leid, sich
diesem Mann gegenüber beweisen oder gar rechtfertigen zu müssen und so
unterband sie jede weitere Frage indem sie ihm die Hand reichte und etwas steif
einen Knicks machte.
"Wie, wir fangen schon gleich an?", fragte er erstaunt und musterte sie,
während sie gequält das Gesicht verzog. "Es kommt mir so vor, als bräuchtest
du auch eine kleine Auffrischung in dieser Übung.", kicherte er und wartete,
bis sie sich wieder aufgerichtet hatte.
"Ich musste das letzte Mal vor Jahren knicksen und werde es hoffentlich auch
nicht so bald mehr tun müssen.", stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen
hervor und fragte sich, ob sie dieses Mal nur halb so anmutig ausgesehen hatte,
wie damals, als sie Francois kennen gelernt hatte.
Schmerzhafte Erinnerungen stiegen in ihr auf. Sie war schon damals aufbrausend
und stur gewesen, doch er hatte ihre Charaktereigenschaften mit einem Lächeln
hingenommen.
"Und was jetzt?", fragte Philipp, wobei er sie aus ihren trübsinnigen Gedanken
befreite.
"Wenn du der König von Frankreich sein willst, dann musst du tanzen können.
Der König fordert eine Dame zum Tanz, er tanzt nicht mit jeder der anwesenden
Damen, es ist ein Privileg von Louis aufgefordert zu werden.", angewidert verzog
sich ihr Gesicht, während sie von Louis sprach.
"Du magst meinen Bruder auch nicht sonderlich, was? Obwohl du ein Musketier
bist?"
"Man muss nicht mit der Einstellung von Louis übereinstimmen. Er ist
verschwenderisch, eingebildet und benimmt sich von Zeit zu Zeit wie ein
verstocktes Kind.", gab sie ernst zurück. "Ich denke, die Tatsache, dass er
seinen eigenen Bruder hat einkerkern lassen, um seine Machtposition nicht zu
gefährden, spricht für sich, oder?"
"Ich habe ihn nie kennen gelernt.", meinte Philipp verbittert und zuckte mit den
Schultern.
Wie konnte sie es ihm verübeln?
"Hast du jemals getanzt?", fragte sie, obwohl sie glaubte, die Antwort bereits
zu kennen. Und wie erwartet schüttelte Phillip den Kopf.
= = =
Eine gute Stunde später ließ sie sich in einen der Sessel fallen und seufzte.
"Es ist genauso wie damals, als mir meine Tante das Sticken beibringen wollte."
Philipp lächelte und fragte sie nach Einzelheiten dieser Geschichte.
Ein verträumtes Lächeln trat auf ihr Gesicht und für einen Augeblick schien
sie weit weg zu sein.
"Ich war damals wohl 12 Jahre alt, als meine Tante meinte, ich müsse endlich
sticken lernen. Es wäre eine Zierde für jede Frau und ich müsste es auch
erlernen... schließlich würde die Tochter einer guten Freundin aus dieser
Beschäftigung eine wahre Kunst machen.", sie unterbrach sich selbst mit einem
Kichern. "Allerdings hatte ich für diese Art von Beschäftigung in etwa soviel
Talent wie eine Ziege für's Fliegen. Irgendwann hat sie es dann aufgegeben, mir
das Sticken beibringen zu wollen."
"Und ich stelle mich also genauso ungeschickt dabei an, das Tanzen zu
erlernen?"
"Sagen wir, wenn du der Sohn eines Bauern sein wolltest, dann würde das
Unvermögen an Anmut beim Tanzen ja nicht weiter auffallen... aber du sollst den
Platz des Königs von Frankreich einnehmen..."
Aber resigniert stand sie auf und verkündete, sie würden sicherlich bald
aufbrechen müssen. Man fackelte nicht lange mit der Suche nach einem
entflohenen Gefangenen, auch wenn diese Suche sicher klein gehalten werden
würde. Die Ähnlichkeit des Gefangenen mit dem König war einfach zu groß, um
jeden x-beliebigen nach ihm suchen zu lassen.
"Aha, wir gehen also auf Reisen?"
"So könnte man es nennen.", seufzte sie und richtete sich auf.
***
Aramis murmelte ununterbrochen vor sich hin und gab sich redlich Mühe, die
meiste Zeit aus dem Fenster zu starren. Vor Stunden war sie unter Protest wieder
in die Kutsche gestiegen und hatte seitdem kein Wort mit den anderen gewechselt.
Ihr finsterer Blick sprach ohnehin Bände und Phillip schien sich über den
Gemütszustand seiner Begleitung mehr als nur zu amüsieren.
"Ach komm schon, Aramis. Zieh nicht so ein Gesicht.", sagte Porthos
schließlich, als er den finsteren Gesichtsausdruck nicht mehr ertragen konnte
und erhielt prompt eine wütende Antwort.
"Wenn ihr mich nicht gezwungen hättet, schon wieder in diesem wackelnden,
unbequemen Ding durch die Gegend zu fahren und mir wenigstens erlaubt hättet
einen Teil der Strecke auf einem Pferd zurückzulegen, wäre ich vielleicht
nicht ganz so schlecht gelaunt. Das hier ist nicht viel besser als diese kleine
Nussschale, in der wir über's Wasser gepaddelt sind."
"Du wirst mir in einer Kutsche doch nicht seekrank werden, oder?"
"Ich kann nicht mehr...", schimpfte sie und richtete den Blick wieder starr aus
dem Fenster; Porthos eifrige Versuche, die Unterhaltung fortzusetzen, ignorierte
sie geflissentlich und beobachtete stattdessen das Spiel des Lichtes, das durch
das dichte Laubdach auf den Boden außerhalb der Kutsche fiel.
Alles in allem war es ein kühler Tag gewesen und sie wusste, dass die Blätter
schon bald dem Winter würden weichen müssen. Aber das Laub, das sich langsam
bunt färbte und sich in den schönsten Farben des Herbstes zeigte, ließ die
drohende Kälte und die Aussicht auf Schnee weit entfernt erscheinen. Für den
Augenblick wenigstens...
"Wir sind hier auf einer Landstraße unterwegs?", fragte sie geistesabwesend und
blinzelte gegen das Licht an, das sie blendete.
"Ja, eine besonders abgelegene Strecke, aber gegen Abend werden wir in einer
Herberge rasten.", meinte D'Artagnan und lächelte.
Rasch warf sie Porthos einen warnenden Blick zu, der zu sagen schien: "Wage es
ja nicht, mich dort wieder als deine Verlobte vorzustellen." Noch zu gut
erinnerte sie sich an Porthos Späße und grübelte schon seit geraumer Zeit
darüber nach, wie sie es ihm wohl passend heimzahlen konnte.
"Keine Angst, Aramis. Heute hast du schon einen Verlobten, also kann ich mir
diesen Spaß wohl nicht mehr erlauben.", kicherte Porthos, während D'Artagnan
beunruhigt beobachtete, wie Aramis Gesichtsausdruck sich noch mehr verfinsterte
und sie zu einer bissigen Antwort ansetzte.
"Wenn wir erst wieder in Paris sind... wenn wir erst wieder in Paris sind...",
murmelte sie vor sich hin, sichtlich darum bemüht die Ruhe zu bewahren. Ein
paar tiefe Atemzüge und dann war sie in der Lage wieder in einem einigermaßen
ruhigen Ton zu sprechen.
"Ich muss wohl gar nicht erst lange fragen, wessen Verlobte ich darstellen soll,
oder?"
Schweigen antwortete ihr und mehr brauchte sie im Bezug auf dieses Thema gar
nicht zu wissen.
Dieser Tag konnte ja nur noch besser werden...
***
Die Herberge erwies sich als eine Art gehobenes Gasthaus mit kleinen Räumen,
die vermietet wurden. Aramis war schon froh, überhaupt aus der Kutsche heraus
zu kommen. Der zweite Grund war, dass es vor ein paar Stunden begonnen hatte zu
regnen. Aus den kleinen, unregelmäßig fallenden Tröpfchen war ein wahrer
Platzregen geworden und die Aussicht, im Freien zu Campieren, erschien wenig
verlockend.
Philipp sah sich gezwungen, sein Gesicht so gut es eben ging hinter einem
Halstuch zu verbergen; auch wenn Aramis sehr bezweifelte, dass in dieser Gegend
auch nur ein einziger Mensch den König von Frankreich je zu Gesicht bekommen
hatte.
Gerade als die Kutsche vor dem Gasthaus zum Stehen kam, fragte sich Aramis, ob
das Kleid, das ohnehin aus einem schweren Stoff bestand, wohl vom Regen
durchnässt noch schwerer werden würde.
Bevor sie jedoch einen einzigen Schritt hinaus ins Nass machen konnte, hielt
Philipp sie zurück, zog seinen eigenen Umhang aus, legte ihn ihr über Kopf und
Schultern und noch bevor sie auch nur die Gelegenheit hatte, ihn
zurechtzuweisen, war er ausgestiegen und hatte sie aus der Kutsche gehoben,
direkt über eine große Pfütze vor dem Ausstieg der Kutsche hinweg.
Sie spürte förmlich, wie die Röte ihre Wangen überzog; und sie war sich ganz
und gar nicht sicher, ob ihr das gefiel. Für den Moment zu sprachlos, ließ sie
es zu, das er ihren Arm ergriff und sie auf das Gasthaus zuführte.
Sie bemerkte nicht, dass Athos Philipp einen seltsamen Blick zuwarf, der sie,
hätte sie ihn gesehen, sie stark an Eifersucht erinnert hätte. Und sicher
wäre sie an diesem Abend nicht so ruhig geblieben, hätte sie geahnt, dass er
eifersüchtig auf Philipp war, weil sie es zugelassen hatte, dass er sie wie die
junge Frau behandelte, die sie eigentlich war.
***
Kapitel 15: Le Mans
-------------------
Vorwort: So, ich glaube, das wird jetzt zur Gewohnheit, dass ich meinen lieben
Lesern, die hoffentlich noch immer Interesse an dieser Story haben und mir
dieses auch in einem Kommi mitteilen, ein kurzes Vorwort hinterlasse. Ihr müsst
net viel schreiben, aber lasst mich wissen, was ihr denkt! Ich bin für
Vorschläge immer offen!
Den ersten Teil der Story bis zu den ersten Sternchen hab ich am 7. April in
einer günstigen Phase innerhalb einer guten Stunden zu Papier gebracht.
Manchmal fällt das Schreiben einem eben leichter. ^-^ Auch wenn ich erst um
22.00 Uhr mit dem ersten Teil fertig wurde.
Und jetzt zum eigentlichen Thema dieses Vorwortes: Ich würde in der
Chara-Beschreibung gerne ein paar Illustrationen dieser Story hochladen, hab
aber kein Zeichentalent und bin auf der Suche nach jemandem, der die Story in
ein paar Bildern wiedergeben kann. Ein Bild für jedes Kapitel würde ja schon
reichen. ^-^ Interesse? Schickt mir einfach ne ENS!
°°°°°°°°°°°°°°°°
Obwohl die Gaststube ein wenig verraucht und düster war, erschien es den
Musketieren samt Phillippe dennoch als ein annehmbarer Handel, das Regenwetter
gegen diese, wenn auch leicht heruntergekommene, Herberge einzutauschen.
Aramis Wangen glühten noch immer, fühlte sie sich doch plötzlich in eine Zeit
zurück versetzt, die sie so lange Zeit über hatte vergessen wollen.
Urplötzlich war sie wieder die junge Frau, der man Komplimente machte und den
Blick scheu senkte. Doch der Augenblick ging vorüber und als sie sich an einem
der Tische niederließen, während D'Artagnan über den Preis der Zimmer für
eine Nacht verhandelte, war sie schon wieder sie selbst.
Stirnrunzelnd musterte sie die verschrammte Tischplatte. Das Holz war alt,
fleckig von vergossenem Rotwein und wurmstichig, aber was kümmerte das die
frierenden Reisenden, die für den warmen Eintopf dankbar waren, den die
freundliche, rundliche Wirtin ihnen servierte. Mochte die Einrichtung auch nicht
sehr einladende wirken - das Essen zumindest war gut und deftig, das Brot
frisch.
An den anderen Tischen wurde laut gelacht, man spielte Karten und auch die
neuesten Gerüchte wurden verbreitet - und wie Aramis nicht zu Unrecht
vermutete, entsprangen wohl einige dieser Gerüchte nicht zuletzt den wabernden
Vorstellungen der angetrunkenen Männer. An einem Tisch in der Nähe waren
einige Männer in einen Streit über den Betrug bei ihrem Kartenspiel
ausgebrochen und Aramis spürte, wie es ihr in den Fingern juckte.
Sie hätte diese halbbetrunkenen Männer an diesem Abend allesamt ausnehmen
können; aber an diesem Abend würde ihr dieser Spaß kaum gegönnt sein. Hatte
sie doch als Frau jegliches Recht verloren, an dem ausgelassenen Kartenspiel
zwischen Männern teilzunehmen. Seufzend rollte sie die Augen und starrte ein
wenig wohlgestimmter auf das Glas, das die Wirtin jetzt vor ihr auf den Tisch
gestellt hatte.
Der Farbe nach zu urteilen, auch wenn sie in dem Dämmerlicht schlecht zu
erkennen war, handelte es sich um Rotwein. Ihr Verdacht erhärtete sich, als sie
vorsichtig an dem Getränk roch und schließlich nippte sie sogar vorsichtig
daran. Überrascht starrte sie das Glas an; zu ihrem Erstaunen war auch der Wein
mehr als genießbar, wenn auch nicht ganz so gut wie die milden Rotweine, die
man in Paris erstehen konnte. Vorausgesetzt natürlich, man besaß genügend
Geld, um diese auch zu bezahlen.
"Wer hat das eigentlich bestellt?", fragte sie plötzlich, als ihr bewusst
wurde, dass SIE nicht nach diesem Getränk verlangt hatte. Aramis warf einen
kritischen Blick in die Runde, bis schließlich Athos resignierend die Hand hob
und sich schuldig bekannte.
"Wenn es dir nicht schmeckt..." Er hatte die Hand schon halb nach dem Glas
ausgestreckt, als sie es vor ihm in Sicherheit brachte und entrüstet
schnaubte.
"Finger weg!" Misstrauisch beäugte sie ihn über die Tischplatte hinweg, als
rechnete sie damit, er würde erneut versuchen, den Alkohol an sich zu nehmen.
Er lachte herzhaft auf, als er den Schmollmund sah, den sie zog und verschluckte
sich beinahe an seinem eigenen Getränk. "Du müsstest dich genau in diesem
Augenblick sehen!"
Und wieder entstand auf ihrer Stirn eine schmale Falte, die von unterdrücktem
Zorn herrührte. "Treib es nicht auf die Spitze, Athos. Ich laufe seid heute
Morgen in diesen dämlichen Schuhen herum, von denen die Männer glauben, sie
wären ein schönes Geschenk für jede Frau und meine Füße bringen mich um!"
Sie schnaubte verärgert und sah sich missmutig in dem Raum um, sodass sie Athos
Antwort beinahe überhört hätte. Sie klang irgendwie genuschelt, leicht
gedämpft...
"Ja, schöne Schuhe."
Überrascht blickte sie auf und wunderte sich, da Athos Platz ihr gegenüber
scheinbar plötzlich vollkommen leer zu sein schien. Sie blinzelte. Einmal.
Zweimal. Sah dann auf das noch immer halbvolle Glas Wein vor sich auf dem Tisch
und fragte sich, ob sie denn vollkommen übergeschnappt sei, als ihr plötzlich
etwas klar wurde.
Aufs Geratwohl streckte sie eines ihrer Beine in einer ruckartigen Bewegung und
traf ins Schwarze. Wie ein kleines Kind hätte sie jubeln können, reduzierte
ihre Siegesbekundung allerdings auf ein unterdrücktes Kichern.
Und auf der anderen Seite des Tisches tauchte auch ein etwas mitgenommen
aussehender Athos wieder aus der Versenkung auf, eine Hand auf die blutende Nase
gepresst.
"Womit hab isch denn dasch verdient?", grummelte er. "Isch hab nur die Schuhe
mal schehen wollen, die scho schlimm schein schollen."
"Du hättest nur fragen müssen.", erwiderte Aramis gelassen, griff unter den
Tisch und zog einen der bestickten Schuhe hervor, die ihr das Leben schwer
machten. Sie musste schon ein absonderliches Bild abgeben, für jemanden, der
genauer hinsah. Unter dem ausladenden Saum ihres Kleides lugten nicht etwa die
bestickten Prachtwerke hervor, sondern ihre bloßen Füße. Selbst die feinen
Söckchen hatte sie abgestreift.
"Keine Frau von Adel würde ausch nur daran denken, in Gegenwart anderer ihrer
Schuhe auschzuziehen.", kommentierte Athos noch ein wenig gereizt, während er
nach einem Taschentuch kramte.
"Das geschieht dir ganz recht.", gab sie unbeteiligt zurück und ließ ihren
Schuh quer über den Tisch auf ihn zuschlittern.
"Bitte? Was soll ich den mit dem Schuh?"
"Da du doch so versessen darauf warst, ihn zu sehen, kannst du ihn gerne
behalten. Ich brauche ihn nicht und wenn ich morgen nicht die weichen
Lederstiefel meiner Uniform tragen darf, dann werde ich eben überhaupt keine
Schuhe tragen, bevor ich zulasse, dass diese Folterinstrumente meine Füße
vollends verstümmeln."
"So schlimm kann es doch nicht sein.", warf Athos noch ein, der nicht einmal
bemerkte, wie die anderen die Unterhaltung zwischen ihm und Aramis belustigt
beobachteten.
"Ja, so schlimm kann es doch nicht sein.", mischte sich jetzt auch Porthos ein
und grinste, was ihm jedoch einen zornigen Blick von Aramis einbrachte. Er
liebte es einfach, sie zu reizen und einen Wutausbruch zu verursachen.
"Dann probier den Schuh doch mal selbst an, Athos. Mal sehen, wie lange du auf
solchen Absätzen marschieren kannst." Sie lächelte bittersüß, wohl wissend,
dass er sich in der Gaststube voller Männer nicht die Blöße geben würde,
einen Damenschuh anzuprobieren.
"Ich geh jetzt auf mein Zimmer.", verkündigte Aramis plötzlich und erhob sich.
Hoch erhobenen Hauptes marschierte sie auf die Treppe zu. Es sah schon komisch
aus, wie sie auf bloßen Füßen durch den halben Raum marschierte, aber die
meisten der Anwesenden waren ohnehin zu betrunken, um davon etwas zu bemerken.
Einzig Athos und Porthos zuckten leicht zusammen, als sie die Treppe halb
erklommen hatte und zischend vor sich hin fluchte. Dem Wortlaut folgend hatte
sie sich einen Splitter eingefangen.
"Die Kleine kann sich wohl in fast jeder Beziehung mit einem Mann messen.",
kicherte Phillippe und warf Aramis einen bewundernden Blick nach, die ihren Weg
fortsetzte.
"Wir sollten vielleicht auch versuchen zu schlafen.", meinte D'Artagnan, der
ahnte, dass der nächste Tag wohl kaum weniger anstrengend sein würde als der
ausklingende.
***
Fluchend ließ sich Aramis auf ihr Bett fallen, wobei die durchgelegene
Matratze, die wie alle Teiler der Einrichtung schon weitaus bessere Tage gesehen
hatte, sich selbst unter ihrem verhältnismäßig geringen Gewicht bog und eine
feine Staubwolke aufstieg.
Aber sie hatte im Moment keine Zeit, sich um den Zustand ihres Quartiers für
diese eine Nacht zu sorgen, denn ihr Fuß pochte und ein stechender Schmerz fuhr
ihr durch Mark und Bein, als sie den Schaden begutachtete, den ein aus den
Brettern ragender Nagel an ihrem rechten Fuß verursacht hatte. Dem Schmerz nach
zu urteilen war es auch noch ein gut durchgerosteter, schmutziger Nagel gewesen
und seufzend humpelte sie zu ihrer Kleidertruhe hinüber, die der Wirt
überraschenderweise schon in ihrem Zimmer platziert hatte, ohne dass man ihn
dazu hatte auffordern müssen.
Angespannt wühlte sie darin herum, nachdem sie das Schloss geöffnet und den
massiven Deckel hochgestemmt hatte. Zwischen all den Kleidern, für die sie in
dieser Situation keinen Blick übrig hatte, fand sie schließlich, was ihr in
dieser Situation am nützlichsten erschien. Es war eine kleine Flasche und als
sie den Korken zog, stieg ihr schon der scharfe Geruch des hochprozentigen
Alkohols in die Nase.
Noch immer vor sich hin schimpfend machte sie sich auf den Weg zurück zu ihrem
Bett, auch wenn ihr der Weg mit der zerbrechlichen Fracht einer Hand plötzlich
doppelt so lang erschien. Mit einem unterdrückten Seufzer ließ sie sich erneut
auf dem zumindest frisch bezogenen Bett nieder und starrte die kleine Flasche
beinahe zweifelnd an.
Selbst der trinkfesteste unter den Männern dort unten in der Schankstube würde
sich an diesem Alkohol nicht versuchen. Der stechende Geruch allein genügte, um
von dem Genuss dieser Flüssigkeit abzuraten und Aramis runzelte die Stirn, als
sie die Zähne zusammenbiss und mit einer geschickten Drehung ihres Handgelenks
den gesamten Inhalt über ihren schmerzenden Fuß ausgoss.
Sie hatte erwartet, dass es brennen würde. Hatte mit dem Schmerz gerechnet.
Hatte damit gerechnet, scharf den Atem durch zusammengebissene Zähne einziehen
zu müssen. Aber sie hatte ganz bestimmt nicht mit dieser Art von Schmerz
gerechnet. Die Wunde hatte schlimm ausgesehen - und sie war sich beinahe sicher,
dass sie der Wirtin eine unwillkommene Blutspur von dem Treppenabsatz bis zu
ihrem Zimmer hinterlassen hatte.
Ihr Blick verschleierte sich für wenige Sekunden und durch den Nebel hindurch
hörte sie eine junge Frau erstickt aufschreien. Ihr selbst war nicht bewusst,
dass sie selbst es war, die den Schmerzensschrei nicht hatte unterdrücken
können, bis die Tür zu ihrem Zimmer aufgestoßen wurde und Athos in der Tür
stand. Ein alarmierter Ausdruck lag auf seinen blassen Zügen, den Degen hielt
er in der Hand.
"Was zum...", setzte er an, während Aramis in mehr als verwirrt anblinzelte.
Ihre Augen wirkten glasig und als der Schmerz nachließ, legte sich ein
abwesendes Lächeln auf ihr Gesicht, dass in dem flackernden Kerzenschein
unnatürlich blass wirkte.
"Aramis! Was ist denn los?", bestürzt ließ er den Dolch zu Boden gleiten,
schloss die Tür hinter sich und setzte sich neben sie auf das Bett, während er
eine Hand vor ihrem Gesicht hin und her wandern ließ. Erneut blinzelte sie und
dieses Mal schien sich ihr Blick zu klären, bis sie ihn verwirrt ansah.
"Was hat dich nur...", setzte er erneut an und bemerkte dann etwas, dass ihm bei
dem gehörigen Schrecken, den sie ihm eingejagt hatte, entgangen war. Der
scharfe Geruch des Alkohol hing noch immer in der Luft und er zog die Stirn
kraus. "Bist du etwa betrunken?" Sein Blick wanderte zu der kleinen Flasche, die
geleert auf dem Boden lag, nachdem sie Aramis aus der Hand geglitten war.
Sein Blick streifte ihren rechten Fuß, der von einer durchsichtigen
Flüssigkeit bedeckt wurde, die sich mit einer roten Substanz vermischte.
,Blut...', schoss es ihm durch den Kopf und Aramis' Protest geflissentlich
ignorierend, zog er ihren an sich und musterte die Wunde, aus der noch immer ein
dünner Blutstrom sickerte.
Die Wunde war frisch und ihm dämmerte, dass sie sich, als sie wütend auf ihr
Zimmer gestürmt war, wohl eine schlimmere Verletzung zugezogen hatte, als einen
bloßen Splitter. Sie hatte die Wunde mit Alkohol gereinigt, um einer
Entzündung vorzubeugen. Er schluckte. Die Wunde war zwar nicht großflächig,
aber dafür tief.
Diese sture Frau trieb ihn noch in den Wahnsinn! Sie hätte nur ein Wort sagen
müssen und er oder D'Artagnan hätten ihr bei der Versorgung der Wunde zu
helfen, aber stur und bockig wie sie war, hatte sie das natürlich auch ganz
alleine durchziehen müssen!
"Is' halb so wild.", nuschelte Aramis, noch immer benommen, nachdem der
stechende, schneidende Schmerz zu einem dumpfen Pochen und Brennen abgeflaut
war.
"Halb so wild?!", empörte sich Athos und starrte sie an, als wäre sie ein
Gespenst. "Du hast geschrieen, als würde man dir bei lebendigem Leib die Haut
abziehen und du sagst, es sei halb so wild?!"
Stirnrunzelnd betrachtet er ihren Fuß, ließ den Blick dann zu ihrem Gesicht
wandern und schließlich murmelte er vor sich hin, während er sich erhob und
ihr über die Schulter noch zurief, dass er gleich zurück wäre.
Erleichtert ließ sie sich zurücksinken und sie wäre beinahe schon tief ins
Traumland gesunken, als Athos zurückkehrte, ein Bündel Verbände über dem
Arm. "Du bist aber auch unvernünftig. Man gießt doch keine ganze Flasche
Alkohol über eine blutende Wunde... aber eine Entzündung müssen wir
wahrscheinlich nicht mehr befürchten."
"Heb dir die Standpauke für morgen auf, dann macht's noch mehr Spaß.",
murmelte sie, die Augen geschlossen.
Diese Verletzung wäre normalerweise nicht schwerwiegend, aber mit diesem Fuß
würde sie in den nächsten Tagen zurechtkommen müssen, ohne sich schonen zu
können. In Paris hätte sie Treville für einige Tage vom Dienst befreit und
sie hätte widerwillig die Zeit verstreichen lassen, bis sie wieder ohne
Schmerzen auftreten konnte. Ganz zu schweigen davon, dass sie einen richtigen
Arzt die Wunde hätte reinigen lassen - damit hätte sie sich vermutlich einiges
an Schmerz erspart, aber sie hatte eben keine andere Wahl gehabt.
Sie spürte, wie Athos erneut ihren Fuß begutachtete und dann straffe Verbände
anlegte. Zum einen würden die straffen Lagen aus reinem Leinen die Blutung
stillen, zum anderen das Auftreten am nächsten Morgen erträglicher machen.
Ihr war nicht bewusst gewesen, wie lange die Stille zwischen ihnen andauerte,
als Athos erneut das Wort an sie richtete. Entgegen ihrer Erwartungen klangen
seine Worte nicht mehr ganz so vorwurfsvoll. "Diese Reise scheint wirklich nicht
unter einen glücklichen Stern zu stehen, was?"
"Was du nicht sagst?", kicherte sie zu ihrer eigenen Überraschung. Diese Reise
hatte sie bisher von einer Misere in die nächste geführt und irgendwie gelang
es ihr trotzdem, das Ganze mit Humor zu nehmen. Wäre es anders, hätte sie
wahrscheinlich schon längst die Flinte ins Korn geworfen oder den Verstand
verloren.
Verwundert zog er die Augenbrauen in die Höhe. "Was ist denn daran so lustig?"
"Ich weiß es eigentlich auch nicht!", stieß sie noch immer kichernd hervor und
richtete sich auf, lehnte sich gegen die Wand hinter ihrem Bett und streckte die
Beine aus. Ja, seit sie diesen Auftrag angenommen hatten, schien sie wahrlich
vom Pech verfolgt zu sein. Erst zwang Treville sie, eine doppelte Maskerade zu
spielen, indem sie die Frau mimen sollte, die sie in Wahrheit ja auch war, dann
musste sie ihre Beweggründe und ihre wahre Identität auch noch vor ihren
engsten Kameraden und Freunden darlegen und schließlich hatte sie sich dazu
breitschlagen lassen, an einem Komplott gegen den französischen König
mitzuschmieden.
Sie starrte beinahe abwesend vor sich hin, als würde sie irgendetwas sehen,
dass den Augen anderer verschlossen blieb, während das Kichern erstarb und ein
undefinierbarer Ausdruck über ihre noch immer blassen Gesichtszüge huschte. Zu
lang, als dass es Athos Wahrnehmung hätte entgehen können, zu kurz, um
bestimmt zu sagen, ob es Wehmut, Kummer oder bloße Verwirrung war, die sich
für kurze Zeit so offen in den beinahe stetig verschlossenen Gesichtszügen
präsentiert hatte.
Und nie hätte der stolze Musketier, der in diesem Moment nicht neben dem
Musketier Aramis, sondern neben der jungen Frau Renée saß, auch nur im Traum
daran gedacht, dass es der Schatten des Liebeskummers war, auf den er einen
Blick hatte werfen können.
Nur für einige, wenige kostbare Sekunden erlaubte sie sich, diese Gefühle an
die Oberfläche treten zu lassen, bevor sie jegliche Erinnerung an Renée
verdrängte und wieder die Wände zu errichten begann, die sie vor Schmerz und
Zurückweisung beschützen würden. Ein Lächeln, das ihre Augen nicht ganz
erreichte, legte sich auf ihre Lippen und sie scheuchte Athos betont fröhlich
aus dem Zimmer. "Jetzt lass mich endlich schlafen!", lachte sie und schloss die
Tür hinter ihm, den verwirrten Blick, den er ihr dabei zuwarf, ignorierend.
***
Der nächste Morgen brachte eine freudigere Überraschung mit sich. Die schweren
Regenwolken des vergangenen Abends hatten sich verzogen und strahlender
Sonnenschein weckte Aramis, die ein wenig zu enthusiastisch die Beine aus dem
Bett schwang und sofort aufstand. Eine Fehler, den sie besser vermieden hätte.
Ihr Fuß machte sich erneut bemerkbar, auch wenn die straffen Verbände ihn für
den Moment noch ruhig stellten.
Seufzend begann sie die weichen Lederstiefel ihrer Uniform aus der Truhe zu
graben und streife beinahe wehmütig die Uniform, die unter den Kleidern aus den
edelsten Stoffen für sie den größten Wert hatte. Der Degen lag ganz unten und
ihre Finger berührten beinahe zärtlich das kühle Metall. Ja, sie konnte es
kaum noch erwarten, endlich wieder in Paris zu sein und dort endlich sie selbst
zu sein.
,Ich selbst?' Wer war sie eigentlich? Weder Aramis, noch Renée... Ein
verwirrender Gedanke, mit dem sie sich für den Augenblick nicht länger
beschäftigen wollte. Kopfschüttelnd stand sie auf, ein dunkelblaues Kleid
über einem Arm, die Stiefel in der anderen Hand. Sollte Athos sich doch
aufregen, wenn ihm der Sinn danach stand. Sie würde garantiert nicht versuchen,
ihren ohnehin in Mitleidenschaft gezogenen Fuß in diese Schuhe, die sie eher
als Folterinstrumente bezeichnen würde, zu zwängen.
***
Nach einem herzhaften Frühstück machten sie sich daran, die Reise möglichst
rasch fortzusetzen. Auch wenn Aramis sich inzwischen damit abgefunden hatte,
diese Reise nicht auf dem Rücken eines Pferdes fortsetzen zu können, so
bedeutete das noch lange nicht, dass sie auch nur versuchte, ihren Unmut zu
verbergen.
Mehr als einmal hatte Phillippe versucht, sie in eine Unterhaltung zu
verwickeln, aber sie hatte immer nur verneinend und bejahend geantwortet und so
hatte er seine fruchtlosen Bemühungen letztendlich eingestellt.
Dafür fiel es ihr umso schwerer, die Bemühungen von Porthos zu überhören,
der sie immer und immer wieder bis aufs Blut reizte. Mal mit einer unflätigen
Bemerkung, dann wieder mit einem Witz über das Gesicht, das "sie zog".
Nach einer Stunde gab sie es auf, sich auf seine Sticheleien einzulassen und zog
es vor, den Rest der Fahrt in einem leichten Halbschlaf zu verbringen. Und auch
wenn sie sich eher die Zunge abgebissen hätte, als es zuzugeben, sie war von
Herzen erleichtert, als sie endlich in Le Mans eintrafen. Sie warf der Kutsche
einen letzten, hasserfüllten Blick zu, bevor sie sich lächelnd in der Straße
umsah, in der sie gehalten hatten.
"Was jetzt?", fragte sie und wartete nur auf eine Antwort. "Wir sind hier - was
jetzt? Sag mir bitte, dass es von hier weiter nach Paris geht! Bitte!"
Athos warf ihr einen belustigten Blick zu. In diesem Moment sprang die Tatsache,
dass sie tatsächlich eine Frau war, ihn förmlich an.
"Wir sollen hier für einige Zeit bleiben und auf weitere Instruktionen warten.
Treville sagte, er habe hier unter deinem Namen ein kleines Haus gemietet.",
meinte er schulterzuckend und Aramis zuckte zusammen.
"Unter meinem Namen?", fragte sie misstrauisch und ihre Augen verengten sich zu
Schlitzen. "Unter welchem Namen?"
"Deinem Namen, Dummerchen.", lachte Porthos. "Eine junge Komtesse, die für
einige Zeit mit einigen Bediensteten in Le Mans verbringt. Wir werden wohl für
einige Zeit in Zivil rumlaufen müssen."
"Hah! Und das heißt wohl, ich soll schön weiter in diesem Aufzug rumlaufen?"
Noch immer misstrauisch. Athos hätte es kommen sehen müssen. Ihre Stimme klang
einfach zu teilnahmslos.
Athos nickte und sie warf einen wütenden Blick in die Runde, bevor sie den Kopf
in den Nacken legte, und dann auf das Haus zumarschierte, das man unter ihrem
Namen angemietet hatte.
Das Schlimmste befürchtend stieß sie die Tür auf und starrte in ein zu ihrer
Überraschung recht zweckmäßig eingerichtetes Zimmer. Die Möbel waren noch
nicht abgenutzt, aber von einer dicken Staubschicht bedeckt.
"Da haben wir ja einiges zu tun...", hörte sie Porthos hinter sich murmeln.
,Von wegen "wir"...', dachte sie und schüttelte den Kopf.
"Wie war das noch mal... eine junge Komtesse mit ihren Bediensteten?" Sie drehte
sich auf dem Absatz herum und verließ das Haus.
"Wo willst du denn hin?"
"Du glaubst doch nicht, dass die "Komtesse" dieses Haus in Ordnung bringen wird,
oder?" Sie lächelte und einer plötzlichen Eingebung folgend, ergriff sie
Phillippes Arm. "Wollen wir, Eure Hoheit?"
"Aramis!", rief ihr Porthos noch hinterher, doch die Tür war schon hinter ihr
und dem Zwilling des Königs ins Schloss gefallen.
"Ich glaube, ihr habt es nicht anders verdient.", meinte D'Artagnan lachend,
während er in die bedrückten Gesichter seiner Freunde sah.
***
^-^
Kapitel 16: Die Lady und ihr Ehemann
------------------------------------
Hallo!
Ja, ich bin's mal wieder... nach langer Zeit endlich wieder ein neues Kapitel
dieser FF.
^-^
Danke erst mal an alle, die so fleißig Kommis geschrieben haben! Ich freu mich
immer, wenn ich höre, die Geschichte verläuft in etwa so, dass sie euch auch
gefällt. Tja, nur mittlerweile wird mir Phillippe ein wenig zu nett... ich
glaube, er kommt zu sympathisch rüber, oder? Hm... keine Sorge, dass hier ist
immer noch eine Athos/Aramis Story... auch wenn's im Moment nicht ganz so
aussieht.
Also, ich würde mich auch weiter über Kommis freuen! Viel Spaß beim Lesen!!!
***
Schon wenige Minuten später fiel Aramis der kleine, aber doch vorhandene Haken
an ihrem Plan vor. In ihrem Bestreben, wenigstens den Aufräumarbeiten zu
entgehen und ihren Freunden die vergangenen Tage in barer Münze heimzuzahlen,
hatte sie die Tatsache, das Phillippe der Zwillingsbruder des französischen
Königs war, einfach übersehen.
Le Mans konnte man zwar nicht mit Paris vergleichen, aber es mochte sich der
eine oder andere Adelige finden, der den König schon einmal persönlich
getroffen hatte.
Und so zog sie ihren mehr oder weniger unfreiwilligen Begleiter in den
nächstbesten Hutladen.
"Was wollen wir denn hier?", fragte Phillippe interessiert und musterte die
verschiedenen Auslagen. Große, reich verzierte Hüte für die Damen und kaum
schlichtere, die wohl für das männliche Geschlecht bestimmt waren.
Ein leises Glöckchen erklang, als sie über die Türschwelle in den Laden
traten und schon kam ein älterer Mann aus dem hinteren Bereich auf sie
zugelaufen. Die Kundschaft sollte man schließlich nicht warten lassen, wenn man
wollte, dass sie wiederkam und die Kasse zum Klingen brachte.
Lächelnd musterte er die hübsche Frau, die an der Seite des leicht verlegen
wirkenden Mannes die Auslagen musterte. Sie gaben ein wirklich reizendes Paar
ab!
"Madame!", rief er überschwänglich und Aramis erinnerte sich noch zu gut
daran, wie abweisend sie der Verkäufer in dem Waffengeschäft zu Beginn ihrer
Reise behandelt hatte. Anscheinend war sie dieses Mal in einem Laden gelandet,
in dem man Frauen als potentielle Kundschaft ansah und auch dementsprechend
behandelt.
"Madame, wie kann ich Ihnen behilflich sein?" Ein breites Lächeln zeigte sich
auf dem Gesicht des Mannes, das von einigen Falten durchzogen wurde. Er war ein
sympathischer Mensch, was es Aramis umso schwerer machte, ihn zu belügen.
"Mein Mann hier sucht nach einem Hut. Er hatte eine so empfindliche Haut...",
sagte sie und trat Phillippe auf den Fuß, der ein wenig überrascht die
Augenbrauen in die Höhe gezogen hatte.
"Ah, junges Glück.", lächelte der Verkäufer. "Ich glaube, ich habe hier genau
das Richtige für Euch, Madame." Er hielt ihr einen dunkelgrünen Hut entgegen -
unverziert und oval geschnitten.
"Perfekt! Den nehmen wir!", stimmte sie zu und zahlte die verlangte Summe.
Dieses Mal versuchte sie erst gar nicht, um den Preis zu feilschen. Sie fand den
alten Mann nett und gönnte ihm den Gewinn von ganzem Herzen.
Mit einem freundlichen "Au revoir." verabschiedete er sich noch, als das Paar
den Laden wieder verließ und hinaus in die Sonne trat.
"Dein Mann?", fragte Phillippe und sah sie skeptisch an. Beinahe hätte er laut
gelacht, angesichts der Tatsache, dass sich diese junge Frau in den meisten
Situationen, in denen er sie erlebt hatte, eher widerborstig und selbstständig
aufgeführt hatte.
"Es war eine Notlüge.", verteidigte sie sich und fügte dann spitz hinzu. "Zieh
den Hut tiefer ins Gesicht."
"Wieso? Ist mein Gesicht so abstoßend, dass ich es verbergen soll?!" Er war
sichtlich empört über ihre Aufforderung und erst beschwichtigt, als sie ihm
versicherte, er habe ein sehr schönes Gesicht. Zu schön und zu bekannt, um es
in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen, wollten sie nicht die
Aufmerksamkeit des Adels oder gar seines ungeliebten Zwillingsbruders auf sich
ziehen.
"Nein, dein Gesicht ist nicht abstoßend! Ich will nur nicht, dass irgendwer
hier auf die Idee kommt, einen Knicks vor dir zu machen und uns alle in große
Schwierigkeiten zu bringen! Und wenn ich große Schwierigkeiten, dann meine ich
so etwas wie Exekution.", raunzte sie ihm zu, während ein strahlendes Lächeln
alle anderen Menschen, an denen sie vorbeiflanierten, glauben ließ, sie würden
sich über nichts ernsteres als das wundervolle Wetter an diesem Tag
unterhalten.
"Ich verstehe...", murmelte Phillippe und grinste. Für ihn war es neu, nicht
der Gefangene zu sein, der schon froh sein konnte, wenn die Gefängniswärter
nicht vergaßen frisches Wasser in seine Zelle zu bringen, um ihn nicht
verdursten zu lassen.
"Wie kommt eine Frau eigentlich dazu, ein Musketier zu werden?", fragte er
schließlich, nachdem er eine Weile schweigend neben Aramis durch die recht
schmalen Straßen gelaufen war. In Wahrheit brachte ihn seine Neugierde fast um
den Verstand, auch wenn er das der jungen Frau niemals auf die Nase binden
würde.
"Das hier ist weder der Ort noch der richtige Zeitpunkt um über dieses Thema zu
sprechen. Und eigentlich würde ich es vorziehen, wenn wir gar nicht darüber
sprechen müssen."
"Ach, es wäre doch sicherlich eine schöne Geschichte für die Abende vor dem
Kamin, die wir hier in Le Mans verbringen müssen.", sagte er und warf ihr einen
Blick zu, der einen Stein hätte erweichen können.
Seufzend gab stimmte sie zu, wusste sie doch, dass Phillippe keine Ruhe geben
würde, bis sie seinem Wunsch entsprach. Außerdem hatte sie von ihm nichts zu
befürchten. Schließlich hatte sie sich bereits gegen den französischen König
verschworen, sich als Mann ausgegeben, um den Musketieren beitreten zu können
und war sogar daran beteiligt, den Zwillingsbruder des Königs als
französischen König einzusetzen, ohne dass es jemand bemerkte.
"Deine Freund werden nicht sehr gut auf dich zu sprechen sein, wenn du sie die
ganze Arbeit allein machen lässt.", meinte Phillippe dann beiläufig, als wäre
es kein Thema, um das man sich sorgen müsste.
Aramis wusste, dass ihr hitziges Temperament ihr wieder einmal einen Haufen
Ärger eingebracht hatte... andererseits konnte sie auf diese Weise einige
Einkäufe erledigen und so ihren Teil zu den "Einzugsarbeiten" in Le Mans
beisteuern.
"Es wäre doch gelacht, wenn wir hier in Le Mans nicht einen Markt ausfindig
machen könnten!", sagte sie gutgelaunt und marschierte gerade ihrer Nase nach,
immer auf die Stadtmitte zu.
***
Allerdings hatte sich Aramis' Laune nicht merklich gebessert, nachdem sie den
Markt tatsächlich gefunden hatten. Es war dort genauso lärmend zugegangen, wie
auf dem weitläufigen Marktplatz von Paris; mochten sich dort auch andere
Händler daran bereichern, ihre Ware überteuert unter die Leute zu bringen, so
trotzig feilschte die junge Frau um den bestmöglichen Preis, bis sie
schließlich mehr als bloß ein wenig gereizt den Rückweg einschlug.
Mehr als nur einmal hätte sie Phillippe in der Menge beinahe verloren, doch
irgendwie hatten sie es heil und vor allem unberaubt aus dem Wirrwarr von
Menschen, Waren und verirrten Tieren herausgeschafft. Erleichtert atmete Aramis
tief durch, froh, endlich der Menschenmasse entkommen zu sein.
Sie konnte nur hoffen, dass ihre Freunde die Aufräumarbeiten innerhalb des
Hauses wenigstens grob erledigt hatten, denn eines stand für sie schon jetzt
fest: Sie würde an diesem Abend keinen Finger rühren, um Staub, Spinnweben
oder ähnliches, das sich über Monaten, wenn nicht sogar Jahre hinweg dort
angesammelt hatte, zu entfernen.
Ihre leicht gereizte Stimmung ließ sich aber nicht nur auf den unerfreulichen
Marktbesuch zurückführen, sondern auch auf den dumpfen Schmerz, der, nachdem
auf der schlecht gepflasterten Straße gestolpert war, eingesetzt hatte und es
nicht einmal in Erwägung zu ziehen schien, sie in Bälde wieder in Frieden zu
lassen.
Ganz gleich wie sehr sie sich auch davon zu überzeugen versuchte, der Schmerz
würde vergehen, wenn sie nur nicht ununterbrochen an den schmerzenden Fuß
dachte... es schien einfach nicht zu helfen.
Bei jeder Berührung zwischen ihrem Fuß und dem unregelmäßig gepflasterten
Trottoir spürte sie den dumpfen, wenn auch nicht zu leugnenden Schmerz und
unterdrückte nur mühsam einen wüsten Ausruf, um ihrem Ärger Luft zu machen.
"Hast du schlechte Laune?", fragte Phillippe plötzlich, nachdem er einige
Minuten neben der verbissen schweigenden Aramis hergetrottet war und deren
unbeweglichen Gesichtsausdruck beobachtet hatte.
"Wie kommst du nur darauf?", fragte sie, dieses Mal nicht in der Lage, den Hauch
von Ironie zu unterdrücken, der in ihren Worten mitschwang. Vielleicht war sie
es einfach nur leid, die guterzogene Lady aus gutem Hause zu spielen, zu der man
sie hatte erziehen wollen.
Das Leben eines Musketiers erschien ihr weitaus leichter, als das der jungen
Lady, die auf jedes einzelne Wort und jeden gelangweilten Blick achten musste.
Von einem Musketier erwartete man zwar auch ein gewisses Maß an Höflichkeit
und Gewandtheit, doch man nahm es ihm nicht übel, wenn dieser einmal nicht
gutgelaunt und mit keinem freundlichen Lächeln auf den Lippen durch die
Straßen marschierte.
Seufzend hielt sie sich vor Augen, dass diese doppelte Maskerade bald ein Ende
haben würde. Sie würde in ihr gewohntes Leben und ihre gewohnte Umgebung
zurückkehren und endlich wieder zu ihrer persönlichen Normalität
zurückkehren können. Die Aussicht darauf konnte ihre Laune wenigstens ein
wenig heben und so stahl sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen.
"Wunderschön!", rief Phillippe und lächelte ebenfalls. "Mit einem Lächeln auf
den Lippen sieht das Bild doch schon viel schöner aus!"
Sie sah ihn verständnislos an, eine Augenbraue leicht in die Höhe gezogen.
"Ach wenn ich doch nur ein wenig Talent fürs Zeichnen hätte!", seufzte er
theatralisch und schüttelte den Kopf.
"Ich wüsste nicht, warum sich jemand die Mühe machen würde, mich zu
zeichnen.", gab sie trocken und dieses Mal ohne die geringste Spur von Sarkasmus
oder Ironie zurück. Wenn sie in den Spiegel sah, dann sah sie bloß ihr
Gesicht... die Maske, die sie all die Jahre hinweg getragen und hinter der sie
sich verborgen hatte.
Die junge Frau, die von den meisten Männern als Schönheit bezeichnet werden
würde, entging ihrem musternden Blick.
"Wie kann eine so wunderschöne Frau nur so desillusioniert sein?", murmelte
Phillippe, der Aramis noch immer aus den Augenwinkeln musterte. "Habt ihr denn
keine Träume?"
Auf diese Frage konnte sie nicht sofort antworten. Tief in ihrem Innern wusste
sie, dass sie sehr wohl Träume hatte, sich jedoch in den vergangenen Jahren
verboten hatte, die verschlossene Schatulle, in der sie all die Träume
verwahrte, die sie nach Francois' Ermordung weit von sich geschoben hatte,
wieder zu öffnen.
Der nachdenkliche Ausdruck, der sich über ihr Gesicht legte, schwand erst, als
Phillippe sie erneut ansprach.
"Aramis?"
"Ich möchte ein wenig darüber nachdenken.", sagte sie plötzlich und umging
somit einer direkten Antwort auf Phillippes Frage.
Und für den Rest des Rückweges zu der vorerst angemieteten Unterkunft blieben
die Augen der jungen Frau ins Leere gerichtet, während sie sich selbst über
das klar zu werden versuchte, was Phillippe, wenn auch unbewusst, angesprochen
hatte.
***
"Wenn die beiden erst wieder hier sind, können sie was erleben!", empörte sich
Athos zum wiederholten Mal. Wenn D'Artagnan sich nicht irrte, hatte sein Freund
allein in der letzten Stunde mehr als ein Dutzend Mal ein und denselben Satz
wiederholt und somit seinem Ärger über Aramis' plötzlichen Aufbruch Luft
verschafft.
Im Stillen fragte sich D'Artagnan jedoch, ob sich Athos wirklich über Aramis'
bloße Abwesenheit bei den Aufräumarbeiten oder sich in Wahrheit über die
Tatsache, dass sie zusammen mit Phillippe verschwunden war, ärgerte.
Aber Athos danach zu fragen oder dieses Thema auch nur anzusprechen... war in
dieser Situation undenkbar. Er konnte sich schon vorstellten, wie der ältere
Musketier auf eine solche Andeutung reagieren würde. Und über eines war er
sich sicher: Er wollte in einer solchen Situation weit, weit weg sein.
In den vergangenen Stunden hatten sie aus den verstaubten Räumen doch
tatsächlich wieder ein einigermaßen gemütliches Haus gemacht. Die Einrichtung
war für ihr Alter noch recht gut erhalten und in dem kleinen Gartenstück
hinter dem Haus, wo sich auch ein kleiner Schuppen befand, hatte Porthos ein
paar Holzscheite gefunden, die der Vorbesitzer nicht aufgebraucht hatte.
Wenn man jetzt einen Blick durch die sauberen Fenster nach draußen warf, konnte
man den leicht rötlich verfärbten Himmel erkennen, der die Dämmerung
ankündigte. Der Tag war schneller vergangen, als ihm lieb war und inzwischen
machte er sich ein wenig Sorgen um Aramis, die noch immer mit Phillippe durch
die Stadt streifte.
Er wusste, dass die junge Frau sich zu wehren wusste, sollte jemand auf die
unsinnige Idee kommen, die beiden anzugreifen... aber Phillippe wäre in einer
solchen Situation sicherlich keine große Hilfe. Die letzten Tag hatten
ausgereicht, ihn ein wenig aufzupäppeln.
Denn wie man es auch drehte und wendete, der Zwillingsbruder des Königs befand
sich in keiner besonders guten körperlichen Verfassung. Unterernährt und
geschwächt durch den langen Aufenthalt in einer dunklen Gefängniszelle.
D'Artagnan hatte es schon gewundert, dass er die Anzeichen von Sinn für Humor
zeigte. Vielleicht war das seine Art gewesen, mit der Einsamkeit und der
Dunkelheit umzugehen, ohne verrückt zu werden?
Ein letzter Blick in Athos düsteres Gesicht und er ließ sich seufzend auf
einen der Stühle fallen. Ob Treville auch nur geahnt hatte, was er mit dieser
verrückten Idee von Verschwörung bewirken würde? Wahrscheinlich nicht...
vielleicht hatte er auch ein wenig Kuppler spielen wollen, indem er Aramis dazu
zwang, ihre wahre Identität preiszugeben... allerdings hatte er
unberücksichtigt gelassen, dass sich in Phillippe ein potentieller Nebenbuhler
finden würde.
Bei dem Gedanken musste er beinahe kichern. Wie sagte man doch so schön...
Konkurrenz belebt das Geschäft?
***
Die Dunkelheit senkte sich langsam über die Stadt und Aramis konnte schon das
Haus erkennen, das sie vor Stunden in so großer Eile verlassen hatte.
Inzwischen konnte sie Licht durch die Fenster nach außen dringen sehen und
schloss daraus, dass das Haus inzwischen in einem einigermaßen vorzeigbaren
Zustand sein musste.
Seltsam... sie kam nach Hause - auch wenn es nur ein vorübergehendes Zuhause
war - und dort wartete jemand auf sie. Wenn sie an all die unzähligen Abende in
Paris dachte, in denen sie in ihre Wohnung zurückgekehrt war, diese dunkel und
kalt vorgefunden hatte... manchmal hatte sie es genossen, das bunte Leben und
alle anderen Menschen ausschließen zu können... an anderen Tagen hatte sie
sich gewünscht, nicht alleine sein zu müssen.
Und es war ein absolut seltsames Gefühl, an diesem Abend nach Hause zu kommen.
Die Lichter in den Fenstern und der Rauch, der aus dem Schornstein aufstieg. Ja,
es war ein seltsames Gefühl, entschied sie, aber nicht unbedingt unangenehm.
Sie klopfte und war, wenn sie ehrlich sein sollte, ein wenig überrascht Athos
öffnen zu sehen, einen grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht. Er sagte zwar
nichts, aber seine Gedanken waren ihm doch nur allzu deutlich ins Gesicht
geschrieben.
"Dankeschön. Ich bin auch froh, dass ich wieder da bin.", murmelte sie und
Phillippe, der hinter ihr durch die Tür getreten war und ihre Worte
aufgeschnappt hatte, schmunzelte.
D'Artagnan lächelte ihr aufmunternd von seinem Sitzplatz an dem großen Tisch,
an der er sich niedergelassen hatte, zu und Porthos, wie konnte es anders sein,
kam lächelnd auf sie zu und nahm ihr den Korb mit den Einkäufen ab. Nach
eingehender Musterung der erstandenen Waren schien er zufrieden zu sein, grinste
und verlor kein Wort darüber, dass sie sich an den Aufräumarbeiten hätte
beteiligen sollen.
Die angespannte Laune besserte sich jedoch im Verlauf des Essens; trotz des
unerfreulichen Feilschens um die Ware, hatte sie hochwertige Lebensmittel
erworben und das schien sich auch in der Stimmung der Anwesenden zu zeigen.
Aramis ertappte sich selbst an diesem Abend mehrere Male dabei, als sich ein
Lächeln auf ihre Lippen schlich. Ja, sie konnte sich nur an seltene Momente
erinnern, in denen sie so hatte lächeln können. Ihr gutgehütetes Geheimnis
hatte doch immer unsichtbar zwischen ihr und ihren Freunden gestanden, auch wenn
sie versucht hatte, sich selbst davon zu überzeugen, dass es sie nicht
sonderlich störte.
Ihr Blick wanderte durch den Raum und blieb schließlich an den munter tanzenden
Flammen im Kamin hängen, die den Raum mit einer gemütlichen Wärme versorgten.
Solche Abende, dachte sie, sind dazu da, dass man Geschichten erzählt. Man
kommt vor dem Kamin zusammen und erzählt alte Geschichten...
Aber das behielt sie dann doch lieber für sich. Denn sie war gewiss keine
besonders gute Geschichtenerzählerin und hatte nicht die geringste Lust, alte
Geschichten wieder aufzuwärmen.
Sie musste ganz in Gedanken versunken gewesen sein, denn von der Unterhaltung
zwischen den anderen hatte sie herzlich wenig mitbekommen, bis Porthos fragte,
wer denn auch die glorreiche Idee gekommen wäre, ihm einen Hut zu kaufen.
"Ach, den hat mein herzallerliebste Frau für mich gekauft!", sagte Phillippe
und grinste verschmitzt.
Das nächste, was Aramis mitbekam, war, das Athos den Wein, den er eigentlich
hatte trinken wollen, quer über den Tisch spuckte und jede Bemerkung oder
Frage, die er eigentlich hatte aussprechen wollen, blieb ihm buchstäblich im
Halse stecken, während er verzweifelt versuchte, den Wein, den er verschluckt
hatte, aus der Luftröhre zu bekommen.
"Deine Frau?!", krächzte er schließlich und warf Aramis einen fragenden Blick
zu.
Sie wich seinem Blick nicht aus, spürte aber, wie sich ihre Wangen rot
verfärbten. In Gedanken schalt sie sich selbst eine Närrin, dass ihr vorhin in
dem Laden keine bessere Ausrede eingefallen war, als aus sich und Phillippe das
frisch verheiratete Ehepaar zu machen.
"Nun ja...", stammelte sie und senkte schließlich doch den Blick, nicht bereit
weiter Athos bohrendem Blick zu begegnen. Warum regte er sich überhaupt sosehr
über diese nichtige Angelegenheit auf? Es war doch nicht so, als ob der
Verkäufer aus dem Hutladen durch die Stadt ziehen und lauthals ihre Vermählung
verkünden würde!
"Ihr hättet das Gesicht des Mannes sehen können! Er war ja so begeistert von
den "beiden Turteltauben", denen er seine Ware anbot! Er hat sich beinahe
überschlagen vor Glück!", kicherte Phillippe, dem Athos wütender Blick
entweder entgangen oder aber gleichgültig war.
Aramis nahm an, das letzteres der Fall war; Phillippe gehörte wahrscheinlich
nicht zu den Menschen, die sich durch einen wütenden Blick oder entrüstetes
Schnauben zum Schweigen bringen oder ihren Spaß verderben lasse würden. Ein
solches Verhalten lag abseits seiner Natur.
Porthos warf ihr einen abschätzenden Blick zu und fiel in das Gelächter ein.
"Was ist denn eigentlich so lustig?", fragte sie schließlich. Phillippe hatte
sich wieder beruhigt und seinem Glas Wein gewidmet und einzig und allein Porthos
lachte noch immer.
"Es... es ist nur... Ich kann mir nicht vorstellen... dass dich jemand... für
die Frau... für eine Ehefrau... halten würde!", stieß der Musketier zwischen
mühsam unterdrückten Lachanfällen hervor.
Ein gespielt entrüsteter Ausdruck erschien auf Aramis' Gesicht. "Willst du
damit sagen, dass ich niemals einen Mann dazu bringen könnte, mich zu
heiraten?"
Weitere Minuten angefüllt mit Gelächter folgten; nur Athos konnte nicht so
recht an dem Spaß der anderen teilhaben. Das Stichwort Ehe war gefallen und
hinterließ bei ihm einen bitteren Nachgeschmack. Denn wenn er Aramis so an der
Seite von Phillippe sah, zeigte sich ihm ein Bild, dass ihm ganz und gar nicht
gefallen wollte.
Kapitel 17: Eine aufregende Nacht
---------------------------------
Hi an alle, die diese Geschichte lesen und mir auch fleißig so liebe Kommis
schreiben! Weiter so, bitte! Ich weiß, ich habe mir mit diesem Kapitel wirklich
Zeit gelassen, war zwischendurch verreist und musste schwer überlegen wie ich
dieses Kapitel aufbaue. Tja, aber jetzt ist das Kapitel ja fertig und ich hoffe
ihr habt alle viel Spaß beim Lesen und lasst mich dann auch wissen was ihr
darüber denkt. Für die lange Wartezeit möchte ich mich noch entschuldigen!
Vorhang auf für ein neues Kapitel dieser FF!
An diesem Abend dachte Athos über so einiges nach, nachdem er sich in sein
Zimmer zurückgezogen, seine Stiefel achtlos in eine Ecke gepfeffert und sich
auf sein Bett geworfen hatte. Die Ereignisse des Abends wollten ihm nicht aus
dem Kopf gehen und seltsamerweise waren es größtenteils seine eigenen
Gefühle, die ihn verwirrten und nachdenklich stimmten.
Unterschwellig hatte er immer schon etwas für Aramis empfunden, nur war er sich
nicht sicher gewesen, ob es bloß das Gefühl einer besonders engen Freundschaft
oder vielleicht etwas anderes war. Ob es mehr als nur Freundschaft war. Und wenn
er ehrlich war, hatte er sich selbst verboten über diese Gefühle nachzudenken.
Seufzend fuhr er sich durch das dunkle Haar und starrte die Decke an ohne sie
wirklich zu sehen. Wenn das Ganze nur nicht so kompliziert wäre! Er hatte sie
vor kurzer Zeit erst mit Phillippe scherzen, lachen und sich unterhalten sehen
und es hatte ihm nicht gefallen, dass dieser Mann einen Schimmer in ihre Augen
zauberte, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Sie war noch immer derselbe
Mensch, doch gleichzeitig schien eine schwere Last von ihr abgefallen zu sein.
Sie musste sich nicht länger hinter dem Musketier Aramis verstecken und konnte
zugeben, dass sie eine Frau war.
Er hatte sie an diesem Abend lächeln sehen und ihm war zum wiederholten Mal die
Frage in den Sinn gekommen, wie er es hatte übersehen können? Wie hatte er die
Frau mit den großen, blauen Augen nicht sehen können, mit der er über Jahre
hinweg gearbeitet hatte? Er musste blind gewesen sein.
Phillippe schien ein Auge auf sie geworfen zu haben und Athos konnte ihm dies
nicht einmal verdenken. Aramis war nicht nur mit oberflächlicher Schönheit
gesegnet sondern auch mit einer inneren Schönheit, die sich nur jenen Menschen
zeigte, die sie näher kannten. Was ihm wirklich Sorgen machte war die Tatsache,
dass Aramis nicht den geringsten Versuch unternahm die Annäherungsversuche
Phillippes abzublocken.
Es nutzte nichts über seine Beweggründe nachdenken zu wollen. Alles war bloße
Spekulation und brachte ihn kein Stück weiter. Auch wenn es ihm nicht gefiel,
er musste sich selbst eingestehen, dass ihm der Gedanken, dass er Aramis an
diesen Mann verlieren konnte, eiskalte Schauer über den Rücken jagte und ihn
wütend zugleich machte.
"Du benimmst dich ja wie ein eifersüchtiger Narr.", schalt er sich in Gedanken
und ertappte sich selbst dabei wie er unbewusst des Rätsels Lösung auf die
Spur zu kommen schien. Athos hatte noch nie zu den Männern gehört, die sich
ständig in ein hübsches Gesicht verliebten. Aber dieses Mal schien es für ihn
keine Möglichkeit zu geben zu leugnen, dass er sich in Aramis verliebt hatte.
Ihre blauen Augen konnten so unterschiedliche Ausdrücke annehmen. Manchmal lag
Kummer in ihnen, manchmal Wut. Wenn sie wütend war, blitzten ihre Augen
regelrecht und schienen Funken zu sprühen. Keine andere Frau würde sich durch
einen wütenden Gefühlsausbruch die Blöße vor anderen Menschen geben oder
würde auch nur die Hälfte der Wörter in den Mund nehmen, die Aramis während
ihrer Laufbahn als Musketier aufgeschnappt hatte.
Aramis war eine durch und durch ungewöhnliche Frau, die sich schlecht mit
anderen adeligen Frauen vergleichen ließ. Es war als wollte man Äpfel und
Birnen vergleichen - schlicht unmöglich.
Die Müdigkeit, die er versucht hatte zu unterdrücken forderte ihr Recht und
langsam fielen ihm die Augen zu. Einen Moment lang noch verfolgte er
unzusammenhängende Gedanken bis sich sein Verstand schließlich verabschiedete.
***
Während Athos in seinem Zimmer langsam in einen tiefen Schlaf glitt, saß
Aramis noch immer hellwach an dem Fenster ihres Zimmers. Die Kerze, die noch vor
wenigen Sekunden gebrannt und Licht gespendet hatte, hatte sie gelöscht und
saß nun in vollkommener Dunkelheit hinter der Glasscheibe und starrte in die
Dunkelheit hinaus. Die Straßen waren menschenleer; nur ab und an huschte eine
im Halbschatten unkenntliche Gestalt vorbei.
Ihre Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit angepasst, doch das machte
sie nicht so nachtsichtig wie eine Katze. Ab und an hörte sie aus den anderen
Zimmern des Hauses ein Geräusch. Hier wurde ein Stuhl verschoben, dort eine
Tür geschlossen. In dem Zimmer neben dem ihren wurde ein Fenster geschlossen.
Wie selbstverständlich lauschte sie auf die kleinsten Geräusche. Wie lange war
es her, seid sie sich erlaubt hatte nicht ständig auf der Hut zu sein? Sicher,
sie lauschte den Geräuschen der Nacht aber sie war nicht so angespannt wie
sonst sondern hörte einfach hin und genoss es, nicht hinter jedem Geräusch
einen kommenden Angriff vermuten zu müssen.
Soweit sie wusste, hatten nur wenige Menschen eine Ahnung von dem was sie hier
taten und solange Treville sie nicht anderweitig informierte, wollte Aramis
wenigstens diese eine Nacht genießen und Ruhe finden. Andererseits brachte die
Ruhe sie dazu über sich selbst nachzudenken. Etwas, dass sie seid Jahren mal
mehr, mal weniger erfolgreich tat. Sie wollte nicht darüber nachdenken was
morgen sein würde. Wollte nicht über eine mögliche Antwort auf Phillippes
Frage nachdenken.
Phillippe hatte sie gefragt, ob sie denn keine Träume hätte und ihr war keine
passende Antwort eingefallen. Die Wahrheit war wahrscheinlich, so entschied sie,
dass sie sehr wohl Träume besaß, diese aber niemals laut aussprach. Wie hätte
sie ihm gestehen können, dass sie ihr Herz an Athos verloren hatte, der nicht
die geringste Ahnung von ihren Gefühlen hatte und sie schlicht und einfach zu
feige war um auch nur eine einzige Andeutung in diese Richtung zu machen. Zu
riskant.
Sie wollte seine Freundschaft nicht verlieren und sie wollte nicht den
abweisenden Ausdruck in seinen Augen sehen, den sie sich so oft vorstellte, der
sie heimsuchte wann immer ihr Herz nahe daran war auch ihren Verstand dazu zu
überreden endlich zu ihren Gefühlen zu stehen.
Ein Seufzer verklang ungehört in ihrem Raum und sie starrte die Umrisse ihres
Bettes in der Dunkelheit an. Ihre Gedanken waren verworren heute Abend;
vielleicht würde der Schlaf ihr Ruhe und Erholung bringen. Das weiche Federbett
raschelte leise, als sie die Decke bis zur Nasenspitze hochzog. Sie hatte sich
doch dazu entschlossen, dass Fenster einen Spalt breit offen stehen zu lassen
und die kühle Nachtluft herein strömen zu lassen.
Das Kleid hatte sie achtlos über die Lehne eines Stuhles geworfen, die
ledernen, weichen Stiefel ihrer Uniform jedoch ordentlich nebeneinander vor dem
Bett platziert. Wieder drehten sich ihre Gedanken um dieselbe, alte Frage und
sie wunderte sich darüber, dass sie nicht einmal einen Hauch von Müdigkeit
verspürte. Mochte sie die Augen auch noch so sehr vor der Realität
verschließen, sie konnte einfach nicht einschlafen. Ihre Gedanken wanderten
unruhig umher; hier erinnerte sie sich an ein Lächeln, dort an die freundlichen
Worte eines Fremden.
Es war, als würde sie vor einem Scherbenhaufen sitzen und einzelne Fragmenten
des zerbrochenen Glases gegen das Licht halten.
Hier ein Moment, in dem sie sich auf die Zunge hatte beißen müssen, weil sie
Athos beinahe alles gestanden hätte. Dann wieder Erinnerungen an Tage, an denen
sie froh war, dass er ihre Gedanken nicht lesen konnte. Er hatte sie oft
durchdringend gemustert, als hätte er die Antwort auf eine bestimmte Frage
gesucht und gehofft sie zu finden, wenn er sie nur lange genug anstarrte.
Aber ihre Gesichtszüge waren unbewegt geblieben, sie hatte so getan als
bemerkte sie seinen forschenden Blick nicht. Wieder und wieder hatte sie
geglaubt, es müsse ihm doch endlich auffallen. Heute kam sie zu dem Schluss,
dass niemand eine Frau unter den Musketieren vermutet hatte, nicht einmal Athos.
Und er hatte die Frau hinter der Fassade Aramis nicht gesehen, weil er
wahrscheinlich nicht einmal im Traum daran gedacht hatte, dass eine Frau so gut
wie sie mit dem Degen umgehen konnte.
Sie warf einen Blick zum Fenster. Draußen war es dunkel, nicht einmal der Mond
war zu sehen; Wolken verdeckten die meisten Sterne. Die Menschen der Stadt
schienen zur Ruhe gekommen zu sein. Seid geraumer Zeit hatte sie nun keine auf
dem Kopfsteinpflaster widerhallenden Schritte mehr gehört. Aber der Schlaf
wollte sich einfach nicht einstellen.
***
Es kam ihm vor als hätte er erst wenige Minuten geschlafen. Draußen war es
noch immer dunkel, die Wolkendecke hatte sich verdichtet und nun schlugen
einzelne Regentropfen gegen das Fenster. Ein Singsang, der sonst beruhigend auf
ihn wirkte, ihn heute aber eher wachsam machte. Hatte er nicht eben noch leise
Schritte auf dem Gang gehört? Eine Tür, die geöffnet, aber nicht mehr
geschlossen worden war. Die alten Bretter des Fußbodens, die leise Geräusche
von sich gaben, wenn man über sie lief und die nur dann zu hören waren, wenn
quasi alle anderen Geräusche im Haus verstummt waren?
Vielleicht wurde er langsam paranoid? Über diese Frage nachdenkend ließ er
sich wieder zurück in die Kissen sinken.
Da waren diese Geräusche schon wieder! Ganz eindeutig Schritte auf dem Gang,
jetzt weiter entfernt. Langsam stieg er aus dem Bett und verließ sein Zimmer,
sich absichtlich langsam bewegend, um keine unnötigen Geräusche zu machen.
Langsam stieß er die Tür seines Zimmers auf und hoffte inständig, dass sie
nicht knarren würde. Alle Lichter des Hauses schienen gelöscht zu sein;
wenigstens konnte er im Korridor kein Licht sehen und auch unter den Türen sah
er kein Licht hindurchscheinen. Er warf einen raschen Blick nach rechts und
links, aber in der Dunkelheit schien sich niemand zu bewegen und es tanzten auch
keine ungewöhnlichen Schatten über Wände und Boden.
Wieder begann er an seinem Gehör zu zweifeln. Vielleicht hatte er sich im
Halbschlaf Dinge eingebildet, die gar nicht vorhanden waren. Es konnte sein,
dass die Müdigkeit ihm einen Streich gespielt hatte, obwohl er es sehr
bezweifelte.
Dann hörte er wieder Schritte, diesmal aus dem Eingangbereich; mit großen
Schritten lief er darauf zu und dort stand wirklich jemand in der Mitte des
Raumes. Eine einzige Kerze brannte und ließ eine Gestalt in bodenlangem Mantel.
"Keine Bewegung.", sagte er und wurde sich im gleichen Moment, als seine Hand
automatisch nach seinem Degen greifen wollte, bewusst, dass er die Waffe in
seinem Zimmer hatte liegen lassen. Feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner
Stirn, während sich die Gestalt langsam umwandte. Eine einzelne blonde Strähne
lugt vorwitzig unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze hervor.
"Was zum...?!", setzte er an und rang zischend nach Atem, als die Kapuze zurück
geschoben wurde und Aramis blasses Gesicht im Kerzenlicht erkennbar wurde. Ihre
Wangenknochen sah man in diesem Augenblick deutlich, da der Mund zu einer
schmalen Linie zusammengepresst war. Ein rebellisches Funkeln lag in ihren
Augen, während sie ihn anstarrte.
"Willst du dich schon wieder davonstehlen?!", fragte Athos aufgebracht und
versuchte seine Stimme nicht durch das ganze Haus hallen zu lassen. Ihm war
Aramis "kleiner Ausflug" an der Küste noch lebhaft in Erinnerung und er hatte
gehofft keine baldige Wiederholung erleben zu müssen. Aramis Blick verdüsterte
sich mit jedem Augenblick der verging; hinter ihrer Stirn arbeitete es
fieberhaft, ganz so als suchte sie nach den richtigen Worten. Als würde sie
darum ringen freundliche Worte zu finden, um ihrer Meinung Luft zu machen.
Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder und wollte sich schon wortlos
abwenden, hatte die Hand schon an der Türklinke, als Athos sie zurückrief.
"Hat es dir auf einmal die Sprache verschlagen? Oder kannst du dein Verhalten
einfach nicht rechtfertigen?"
"Rechtfertigen?", fragte sie plötzlich und ein gefährliches Feuer schien in
ihren Augen zu brennen, als sie sich zu ihm umwandte und ihm einen kühlen Blick
schenkte. "Bist du allen Ernstes der Ansicht, dass ich mich rechtfertigen
müsste, wenn ich dieses Haus für einige Stunden verlasse? Müsste sich Porthos
dafür rechtfertigen, wenn er jetzt hier an meiner Stelle stünde?" Sie
schnaubte verächtlich. "Müsste Aramis sich vor dir rechtfertigen, wenn ich
tatsächlich ein Mann gewesen wäre?", fügte sie hinzu und konnte nicht
verhindern, dass ihre Stimme ein wenig schriller als sonst klang. Am liebsten
hätte sie lauthals gelacht, nur fürchtete sie, er würde sie dann für
vollkommen übergeschnappt halten.
Mit einer fahrigen Handbewegung zog sie die Kapuze wieder tief ins Gesicht und
in dem Moment, in dem sie sich umwandte, erkannte er, dass sie tatsächlich
wieder in die Rolle des Aramis geschlüpft war. Sie trug bürgerliche Kleidung
und er hatte keine Ahnung, wo sie die herbekommen hatte. Vielleicht hatte sie
sie eingetauscht, vielleicht in der Herberge, in der sie auf dem Weg hierher
übernachtet hatten, mitgehen lassen. Es war ihm gleichgültig.
Sicher, er war aufgebracht. Über den Grund war er sich selbst nicht im Klaren.
Vielleicht, weil er seid einiger Zeit in ihrer Gegenwart ständig verwirrt war,
vielleicht aber auch, weil ihm noch nie eine Frau dermaßen die Stirn geboten
hatte. Die Haltung, die sie eingenommen hatte, als er begonnen hatte ihr
Verhalten erneut zu kritisieren hatte ihn für den Moment verstummen lassen. Sie
konnte wirklich tun und lassen, was sie wollte. In unzähligen Situationen hatte
sie bewiesen, dass sie auf sich selbst aufpassen konnte.
Ihre Hand hatte sich schon um die Klinke geschlossen und die Tür aufgerissen -
heftiger, als sie es wahrscheinlich getan hätte, wenn ihr Athos nicht über den
Weg gelaufen wäre - und sie trat hinaus in die Nacht, ohne ihn auch nur eines
weiteren Blickes zu würdigen. Bevor die Tür hinter ihr wieder krachend ins
Schloss fiel, sah er nur noch den sich bauschenden Umhang.
Wo wollte sie zu dieser späten Stunde eigentlich noch hin?, fuhr es ihm durch
den Kopf und bevor er wusste, was er tat, hatte er sich umgezogen, seinen
eigenen Mantel übergeworfen und wanderte durch die leeren Straßen. Ab und an
begegnete ihm jemand; wahrscheinlich jene Menschen, die sich jetzt auf den
Heimweg von einer Taverne machten, während andere die Nacht durchzechten.
Zuerst hatte er gehofft, Aramis noch einholen zu können, aber er hatte nicht
damit gerechnet, wie schnell sie sein konnte, wenn sie wütend war. Ihre Spur
verfolgen zu wollen war zwecklos und so marschierte er ziellos durch die
Straßen.
Er ging an einigen Tavernen vorüber, ohne auch nur einen Blick in ihr Inneres
zu werfen, aber vor einer Schankstube in einer dunklen Seitenstraße blieb er
abrupt stehen. "Les Amis" nannte sich die Spelunke und schon auf der Straße
konnte man den Geruch billigen Weines und anderer alkoholischer Getränke
wahrnehmen.
Ohne lange zu zögern betrat er die Schankstube, auch wenn er sich nicht sicher
war, ob Aramis hier war. Sie konnte praktisch überall sein, aber er konnte ja
wenigstens einen Blick riskieren. Suchend sah er sich um und seine
Aufmerksamkeit wurde sofort auf einen Tisch gelenkt, an dem einige Männer
saßen und Karten spielten. Und dort entdeckte er auch den vertrauten
Blondschopf, der allem Anschein nach gerade dabei war seine Mitspieler gehörig
auszunehmen.
Sie sah nicht einmal auf, als er sich neben den Tisch stellte und die Runde
einige Zeit lang beobachtete. Ein undeutbarer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht.
Sie zeigte mit keiner Regung, dass sie sein Auftauchen auch nur wahrgenommen
hatte.
Vielleicht ignorierte sie ihn auch absichtlich.
Soll sie doch eingeschnappt sein! Aber sie gewinnt mit Stil., dachte er und
musterte das unbewegte Gesicht, das nicht verriet, ob sie ein gutes Blatt auf
der Hand hatte oder nicht. Dunkel erinnerte ich mich an einen Abend, an dem sie
gegen Porthos gewonnen hatte. Spiel um Spiel hatte sie ihn abgezockt und damit
beinahe in den Wahnsinn getrieben.
Sie legte ihre Karten ein letztes Mal auf den Tisch, sammelte ihren Gewinn ein
und erhob sich wortlos. Athos warf sie nicht einmal einen Blick zu, als sie an
ihm vorbei zur Theke marschierte und sich dann mit einer gerade geöffneten
Flasche Wein auf den Weg zum Ausgang machte.
Wie versteinert blickte er ihr einen Moment nach, bevor er sich endlich in
Bewegung setzte, um ihr zu folgen. Draußen war es noch kälter geworden und es
nieselte. Wahrscheinlich würde es in diesem Jahr einen frühen Winter geben;
die Bäume verloren bereits die ersten Blätter und dunkle Wolken verdeckten den
Sternenhimmel.
Aramis marschierte stur knappe zehn Schritte vor ihm durch die Straßen,
scheinbar ziellos; wann immer Athos seine Schritte beschleunigte, um aufzuholen,
beschleunigte auch sie ihre Schritte und der Abstand zwischen ihnen blieb
konstant.
"Wie lange willst du mir eigentlich noch hinterher laufen?", fragte sie
unerwartet; ihre Stimme klang abweisend, um einiges kühler als Athos es gewohnt
war.
"Kommt darauf an.", gab er nichtssagend zurück und musterte ihre hochgewachsene
Gestalt. Die Kapuze des Umhangs hatte sie nicht wieder ins Gesicht gezogen und
ihr blonder Haarschopf wehte hinter ihr im Wind. Ihre Bewegungen waren
gleichmäßig, selbst während sie sprach verlangsamten sich ihre Schritte nicht
und sie behielt einen stetigen Rhythmus bei.
"Kommt worauf an?"
"Kommt darauf an, wie lange du noch so durch die Straßen hetzen willst."
Für einige Sekunden herrschte Stille, dann blieb sie so abrupt und unerwartet
stehen, dass Athos beinahe in sie hinein gerannt wäre.
Sie wandte sich zu ihm um und in dem flackernden Licht einer Straßenlaterne
konnte er den zornigen Schimmer auf ihrem Gesicht ausmachen. Sie verschränkte
die Arme vor der Brust und musterte ihn eingehend. Stur wie Athos nun einmal war
musterte er sie mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck und fragte sich, worauf
sie wartete.
"Nun?", stieß sie schließlich ungeduldig zwischen zusammengepressten Zähnen
hervor.
"Nun was?"
Sie blinzelte nicht einmal. "Du bist mir durch die halbe Stadt nachgelaufen,
also vermute ich, dass du irgendetwas von mir wolltest. Komm schon, sag, was dir
auf dem Herzen liegt." Ein herausforderndes Lächeln umspielte ihre Lippen und
in ihren Augen leuchtete wieder dieser seltsame Schimmer.
Athos überlegte angestrengt? Ja, was hatte er sich eigentlich davon
versprochen, ihr einfach zu folgen? Was hatte er tun wollen, wenn er sie in dem
Wirrwarr aus Gassen und Straßen tatsächlich fand? Beiläufig bemerkte er, wie
sie die Weinflasche an die Lippen setzte, nur um Sekunden später
zusammenzuzucken, als das Glas zu Bruch ging.
Sie hatte die Flasche einfach fallen gelassen und musterte den Scherbenhaufen
und die rote Flüssigkeit mit leichtem Ekel. "Was haben die da reingeschüttet?
Essig?", murmelte sie und schüttelte ungläubig den Kopf.
"Und?", fragte sie schließlich, ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtend. Er
zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe - hatte er etwa wirklich erwartet,
dass sie ihre Frage einfach so vergessen würde?
Ihre Körperhaltung und der gereizte Unterton ihrer Stimme ließen ihn erkennen,
dass sie auf diese Konfrontation gewartet hatte. Sie würde es heute nicht gut
sein lassen. Vielleicht hatte er das Fass einfach zum Überlaufen gebracht,
vielleicht wollte sie diese Spannungen zwischen ihnen ein für allemal klären
und zumindest klar feststellen wo sie standen.
Er schwieg. Wie hätte er das, was in ihm vorging in Worte fassen sollen? Die
richtigen Worte, um genau zu sein. Dass ihm das Herz in diesem Augenblick bis
zum Hals schlug, schien sie nicht einmal zu bemerken.
"Dass ich das noch erleben darf! Athos fehlen die Worte?! Und ich hatte
geglaubt, du hättest auf jede Frage eine Antwort parat."
"Manchmal kann ich dein Verhalten einfach nicht begreifen.", begann er, doch sie
schüttelte wild den Kopf, sodass blondes Haar hin und her flog.
"Erzähl mir etwas, das ich noch nicht weiß, Athos. Ich verstehe mich selbst
manchmal kaum. Es war alles so einfach. So viel einfacher als ich einfach nur
Aramis war und niemand sonst. Als niemand auch nur den Verdacht hegte, ich
könnte nicht der strahlende Musketier sein, den alle sahen!" Sie sprach immer
schneller und ihr kam es so vor, als würden ihre Gedanken rasen und ihre Zunge
versuchen mit ihnen mitzuhalten.
"Aramis und Renée sind so ineinander übergegangen, dass es für mich kein
Zurück mehr gibt. Aramis ist Renée und Renée ist Aramis! Es gibt nur einen
einzigen Unterschied zwischen diesen beiden Personen und das ist die Tatsache,
dass ich tatsächlich eine Frau bin!"
"Das sehe ich.", murmelte er und hätte sich im gleichen Augenblick, als sich
ihre Augen weiteten, selbst die Zunge herausreißen können.
"Du siehst das? Du siehst das?!" Wieder dieses Kopfschütteln und die
verschiedensten Gefühlsregungen zeigten sich auf ihrem Gesicht. "Nichts siehst
du und nichts hast du begriffen, Athos! Rein gar nichts!"
"Ich sehe jemanden, den ich für meinen Freund gehalten habe und der mich nach
Strich und Faden über JAHRE hinweg belogen hat!", gab er zurück; es war
ungewohnt für ihn, dass sie in einem solchen Ton mit ihm sprach und er wusste
sich nicht anders zu helfen als ebenfalls die Stimme zu heben.
"Ich habe dich belogen und alle anderen - bis auf Treville habe ich jeden
belogen. Ja, ich habe mich als Mann ausgegeben, um den Mörder meines Verlobten
zu finden, aber alles andere war nicht gelogen! Verdammt, ich hatte nie vor
Freunde in Paris zu finden! Aramis war niemand anderes als Renée!"
"Aber...", setzte er an, doch sie ließ ihn nicht ausreden.
"Hättest du mich und meine Beweggründe verstanden, wenn ich dir von Anfang an
gesagt hätte, dass ich eine Frau bin? Hättest du dich auf mich verlassen, so
wie du dich auf Aramis verlassen hast? Hättest du dicht gehalten und kein Wort
darüber verloren, dass sich eine Frau als Musketier ausgab?!", stieß sie
wütend hervor und starrte ihn kampflustig an.
Er schluckte. "Ich weiß es nicht.", gab er kleinlaut zu, auch wenn es ihm nicht
passte, von ihren Fragen so in die Enge getrieben zu werden.
"Ich kannte niemanden in Paris, Athos. Wirklich niemanden und ich war von dem
Gedanken regelrecht besessen, die Menschen, die mir alles genommen hatten, was
mir wirklich wichtig war, ausfindig zu machen. Außer Treville konnte ich
niemandem vertrauen, absolut niemandem und als ich dich und Porthos kennen
lernte... ich wollte eure Freundschaft nicht, aber ihr habt es mir so verdammt
schwer gemacht den unnahbaren Neuling zu spielen, der ich sein wollte und
dann..." Sie holte merklich Luft.
"Ich hatte Angst, eure Freundschaft zu verlieren. Die Maskerade war doch
geradezu perfekt."
Ihre Stimme verlor sich beinahe, als eine Windböe ihr langes Haar in die Luft
hob.
"Hast du geglaubt, diese Maskerade für immer aufrecht erhalten zu können?",
fragte er tonlos. Sie wich seinem Blick aus.
"Ich weiß es nicht; ich habe in all den Jahren nicht einmal darüber
nachgedacht. Renée war für mich das Ich, das ich in der Vergangenheit
zurückgelassen hatte. An dem Abend, als mein Verlobter starb, entstand Aramis
und Renée verschwand, trat einfach in den Hintergrund, setzte die Maske eines
jungen Mannes auf und erschien auf der Bildfläche. Aber irgendwann verliert man
dann doch die Kontrolle, weil hinter der Maske trotz allem noch die junge Frau
steckt!" Ihr Gesicht war aschfahl geworden, jegliche Farbe aus ihren Wangen
gewichen und sie blinzelte hastig.
"Ich hatte nicht vor, mich jemals wieder zu verlieben. Niemals. Ich dachte
sogar, ich könnte niemanden mehr so lieben, nachdem Francois..."
Auch Athos Gesicht hatte jegliche Farbe verloren und er spürte die Eifersucht
geradezu auflodern. Also doch! Hatte sie doch ihr Herz an den Zwillingsbruder
des Königs verloren! Und zum ersten Mal gestand er sich tatsächlich ein, dass
er diese Frau liebte. Die Frau, die alles aufgegeben hatte, um den Tod des
Mannes zu rächen, in den sie sich verliebt hatte. Seine Hände zitterten.
"Du weißt, wie kompliziert das die ganze Situation macht?", fragte er
schließlich und biss sich auf die Zunge, um seinem Unmut nicht auf der Stelle
Luft zu machen.
"Kompliziert? Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?" Sie lachte hohl auf,
wandte das Gesicht von ihm ab. "Mehr fällt dir dazu wirklich nicht ein?"
Hilflos zuckte er mit den Schultern. "Was soll ich denn noch dazu sagen?"
"Ich weiß nicht, was du dazu sagen sollst - aber ich warte immer noch auf eine
Reaktion.", gab sie schließlich zurück und er begriff, dass sie am ganzen
Körper zitterte.
"Na, na. So schlimm ist das nun auch wieder nicht. Wir werden schon einen Weg
finden, das alles gerade zu biegen. Auch wenn man dir wirklich zu deinem Talent
gratulieren muss." Er schnaubte und hätte am liebsten noch einen bissigen
Kommentar angehängt, wagte es jedoch in Anbetracht ihrer Verfassung nicht.
"Ausgerechnet den Zwillingsbruder des Königs..."
Ihr Blick, der dem seinen gekonnt ausgewichen war, huschte zu seinem Gesicht
zurück und ihre blauen Augen weiteten sich. "Was hat denn Phillippe mit der
ganzen Sache zu tun? Du denkst... du dachtest... ich meine..."
Sie zitterte immer noch wie Espenlaub.
"Du hast mir doch gerade zu verstehen gegeben, dass du dich in unseren jungen
Prinzen verliebt hast, oder?", fragte Athos ungeduldig und seine Stimme klang
für seinen Geschmack eine Spur zu weich, gerade so, als ob Tränen in seinen
Augen nur darauf warten würden zu fließen. Aber diese Blöße würde er sich
nicht vor ihr geben!
Ihr beinahe hysterisches Lachen riss ihn aus seinen Gedanken und ihr blasses
Gesicht ließ ihn noch besorgter werden als er es ohnehin schon war.
"Ja, ich habe wahrscheinlich wirklich ein Talent für solche Sachen.", schnaubte
sie und schüttelte zum unzähligsten Mal den Kopf. "Schau mich an Athos. Hier
stehe ich, Renée d'Herbley und schütte dir mein Herz aus und du missverstehst
alles so gründlich, dass es schon beinahe wieder komisch sein könnte, wenn ich
es nicht todernst meinen würde!"
"Was gibt es denn da miss zu verstehen?! Du bist verliebt!", blaffte er sie an
und in seinen Augen funkelte es verdächtig. Konnte sie das Thema nicht endlich
ruhen lassen, wenigstens solange bis er sich wieder gefasst hatte?!
Sie zwang sich, langsam durch die Nase einzuatmen und zählte dabei langsam bis
zehn. Langsam aber sicher kam es ihr so vor, als hätte dieser Mann nur
Sägespäne im Kopf - oder Luft.
"Ja, ich habe mich verliebt - aber garantiert nicht in Phillippe!", zischte sie.
"Ach ja?! Wer ist denn dann der Glückliche?!"
"Der grobe, schwachsinnige Holzkopf, der mir ohne ersichtlichen Grund durch die
halbe Stadt hinterher gelaufen ist!", schrie sie und wandte sich so ruckartig
ab, dass er ihre glühend roten Wangen beinahe nicht mehr registriert hätte.
Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)