Der Jadejunge von Puh-Schell (Die Erzählungen, Teil 1 - Shounen-Ai) ================================================================================ Kapitel 9: Von Gesetzen und Gesetzlosen --------------------------------------- Von Gesetzen und Gesetzlosen Molokosh zu finden gestaltete sich einfacher, als Dakkas es angenommen hatte. Zuerst hatte er Probleme gehabt, den Spuren auf dem Boden zu folgen, doch dann hatte er einige Tropfen tiefroten Blutes gefunden. Ein so dunkles Blut, dass es fast schon ins Bräunliche hineinging. Drachenblut. Molokosh war verletzt. Diese Erkenntnis trieb Dakkas dazu an, schneller nach dem Drachen zu suchen. So weit konnten seine beiden Entführer ja auch nicht mit ihm gekommen sein. Schließlich mussten sie einen zwei Meter Schrank mit sich durch die Gegend ziehen. Kurz nach den Bluttropfen von Molokosh stieß Dakkas dann auch auf Anzeichen eines erneuten heftigen Kampfes. Das Gras und die niedrigen Büsche waren platt getrampelt, an einigen klebte Drachen- sowie helles, sanftrotes Engelblut. Molokosh wehrte sich also erfolgreich. Aufgrund des Terrains hätte Dakkas die Entführer eigentlich schon längst sehen müssen, da es in dieser Gegend größtenteils spärlich bewachsene Grünflächen gab. Jedoch war die Umgegend auch stark hügelig und so war es gut möglich, dass Molokosh und die beiden Angreifer in einer nahen Senke oder hinter dem nächsten Hügel waren. Er war vielleicht zehn Minuten durch die Landschaft geschlichen, als er es hörte. Ein tiefes, bedrohliches Grollen, wie ein aufziehender Sturm – oder ein äußerst wütender Drache. So schnell wie möglich, ohne zu laut zu sein, näherte Dakkas sich dem Grollen. Bald schon hörte er auch das Fluchen eines Mannes und ein Rascheln und Knacken, als wenn jemand in einen Busch gestoßen wurde. Dann hatte er die Spitze des kleinen Hügels erreicht und konnte von oben auf die drei Kämpfenden herab sehen. Schnell ließ Dakkas sich in die Knie hinter einen größeren Stein fallen und hoffte, dass man ihn noch nicht entdeckt hatte. Als erstes erkannte er, dass Jared tatsächlich Recht gehabt hatte. Die Frau war eine Drakharuda. Sie war größer als ein normaler Werwolf, aber kleiner als ein durchschnittlicher Drache. Ihr blondes Haar war kurz geschnitten und wirr. Als Rüstung trug sie ein leichtes, freie Bewegung erlaubendes Lederensemble. In ihrer linken Hand lag ein Kurzschwert, doch ihre rechte Hand war es, die Dakkas Sorgen bereitete. Die Hand war zu einer Klaue verformt. Jeder Werwolf besaß die Fähigkeit, sich in seine tierische Form zu verwandeln, doch nicht alle konnten ihre Verwandlung so gezielt steuern, dass sie nur einzelne Teile ihres Körpers verformten. Diese Frau hatte jedoch ihre eine Hand fast gänzlich zu ihrer Wolfsgestalt reifen lassen, um Molokosh damit attackieren zu können. Das bedeutete, dass sie wahrscheinlich auch die Werwolfs-Regeneration besaß. Molokosh war von ihr wohl gerade in einen dornigen Busch geschmissen worden. Der schwarzhaarige Drache sah arg mitgenommen aus: Er blutete von einer Wunde am Kopf und kam nur schwerlich wieder auf die Beine, auch wenn Dakkas sonst keine Verletzungen erkennen konnte. Der Engel stand etwas abseits von den beiden und hielt sich die linke Seite. Er krümmte sich sozusagen vor Schmerzen und Dakkas erkannte eine Stichwunde in seinem linken Oberarm. „Beeil dich, Lara. Wir müssen das Schwein zu Dame Windflügel bringen.“, presste der Engel zwischen seinen Lippen hervor. Lara, die Drakharuda, lächelte nur kalt. „Keine Sorge, wenn ich mit ihm fertig bin, wird er nicht einmal an Flucht denken. Jetzt sieht es nicht mehr so gut für dich aus, was, de’Sahr?“ Molokosh hatte sich inzwischen auf seine Beine gestellt und keuchte. „Meine Begleiter werden schon längst auf eurer Spur sein. Sar’Shan wird dir mit einem Hieb den Kopf von den Schultern trennen.“ Es erstaunte Dakkas, dass Molokosh dem grauhaarigen Drachen so ein Können zugestand, wo er ihn doch vorher fast schon verteufelt hatte. Lara schien jedoch nicht beeindruckt zu sein und versetzte Molokosh mit ihrer Klaue einen Hieb ins Gesicht. Der Drache schwankte und torkelte ein paar Schritte rückwärts, blieb aber auf den Beinen. „Halt die Klappe, du nutzloser Drache. Deine kleinen Freunde werden gar nichts tun – wir waren nur der erste Trupp. Inzwischen wird der zweite sich bereits um deine Begleiter gekümmert haben.“ Dakkas sog scharf Luft ein und hoffte, dass Jared und Sar’Shan den zweiten Angriff abwehren konnten. Er musste Molokosh helfen, sofort. Sie mussten schnellstmöglichst zurück zu den anderen. Molokosh selbst weitete etwas seine Augen und schüttelte nur seinen Kopf. „Mein Bruder wird sie aufhalten.“ Dakkas runzelte seine Stirn. Was sollte ein halb verrückter Seher da ausrichten können? Aber mit so etwas konnte er sich nicht aufhalten. Zuerst musste er irgendwie den bereits angeschlagenen Engel ausschalten, Molokosh und er würden dann gemeinsam mit der Drakharuda fertig werden – hoffentlich. Lara lachte. „Dein Bruder? Der wird sich auf ein weiteres Leben als persönliches Orakel des Sonnenkönigs freuen dürfen. Du solltest froh darüber sein, seine Gabe ist wohl das einzige, was ihm den Tod ersparen wird.“ Molokosh stieß einen fürchterlichen, bestialischen Schrei aus. Eine Reihe von hoch stehenden, scharfen, schwarz glänzenden Schuppen sprang aus jedem seiner Arme hervor und zerfetzte die Ärmel seines Hemdes. Mit einer Kraft, die man ihm in diesem Moment nicht zugetraut hätte, rammte er seinen rechten Arm mit der Spitze der Schuppen in Laras Oberkörper und den anderen in ihre Seite. Die Drakharuda grunzte nur und stieß den Drachen mit einem erneuten Klauenhieb von sich weg. Die nicht sehr tiefen Wunden auf ihrem Oberkörper schienen sie nicht zu stören und bestätigten Dakkas Vermutung: Sie konnte sich heilen. Der Grünäugige hatte jedoch in dem Augenblick, als Molokosh vorwärts gesprungen war, seinen kleinen Dolch gezückt und gezielt und gehofft. Als Lara Molokosh von sich stieß, warf er das kleine Stück geschärften Stahls durch die Luft und sah zufrieden zu, wie der Engel getroffen zu Boden ging. Lara und Molokosh sahen beide verdutzt zu dem braunhaarigen Mann hin, der ohne Zweifel tot sein musste – der Dolch hatte sein Auge getroffen. Darauf hatte Dakkas zwar nicht gezielt, aber er konnte nicht behaupten, dass er nicht froh darüber war, dass getroffen zu haben. Lara und Molokosh sahen beide von der Leiche des Engels in die Richtung des Wurfgeschosses und erblickten Dakkas, wie er auf dem Hügel über ihnen stand. Der Grünäugige war aufgestanden, um besser Werfen zu können und grinste jetzt etwas schelmisch. „Tut mir Leid, aber ich fürchte, Nostradamus wird die Vornehmlichkeiten des Sonnenpalastes nicht so schnell kennen lernen.“ Lara öffnete und schloss ihren Mund wieder, bevor sie schließlich eine Frage heraus brachte: „Wer bist du?!“ Dakkas seufzte. „Diese Frage höre ich in letzter Zeit viel zu oft.“ Dann hechtete er den Hügel herunter, um Molokosh zu helfen. Dieser hatte der Drakharuda seine Armschuppen in den Rücken gerannt, während diese Dakkas angestarrt hatte. Doch auch diesmal machte ihr dieser Angriff nicht fiel aus. Mit einem erbosten Schrei wirbelte sie herum und ließ ihr Kurzschwert fallen. Ihre zweite Hand verformte sich ebenfalls zu einer fast gänzlich tierischen Klaue, mit der sie erbarmungslos auf Molokosh einschlug. Dakkas kam bei den beiden Kämpfenden an und musste dann etwas ratlos stehen bleiben. Seinen Dolch würde er wohl aus der Leiche des Engels heraus ziehen können, doch was sollte er dann tun? Mit dem Ding würde er kein wichtiges Organ von Lara treffen. Und um einen Werwolf zu töten, musste man ihm äußerst schlimme Wunden zufügen oder ein wichtiges Organ erwischen. Aber es gab eine Schwachstelle, die Dakkas ausnutzen konnte. Er holte seinen Dolch, hielt ihn fest in seiner Hand und sprang von hinten auf Laras Rücken, als die Drakharuda gerade Molokosh wieder einen Hieb versetzt hatte. So gut es ging klammerte er sich mit seinen Füßen und einer Hand an der größeren Frau fest und stach mit dem Dolch in ihr Auge. Lara schrie, zuckte, schwankte und stürzte dem Boden entgegen. Geschwind ließ Dakkas von ihr ab und federte sich auf dem Boden ab. Eine Grimasse ziehend blickte er dann auf seine Hand. Laras dunkles Blut hatte nicht nur den Dolch, sondern auch seine Hand total verschmiert. „Igitt.“ Vorsichtig wischte er seine Hand an einem unbeschmutzten Stück von Laras Kleidung ab. Von Molokosh kam ein keuchendes Lachen. „Irgendwie wundert es mich nicht wirklich, dass du sie erst von hinten nieder stichst und dich dann über das Blut ekelst.“, brachte der verletzte Schwarzhaarige gepresst hervor. Die Schuppen an seinen Armen verschwanden mit einem leisen, schmatzendem Geräusch wieder in seinen Armen. Er sah mitgenommen aus. Kratzer und eine Platzwunde zierten sein Gesicht, er war in sich gekrümmt, und das Atmen schien ihm schwer zu fallen. Wie er sich überhaupt noch aufrecht hielt, war ein Rätsel für Dakkas. „Danke. Für die Hilfe.“ Dakkas lächelte. „Nichts zu danken. Schließlich hilfst du mir schon viel mehr.“ Was Dakkas nicht sagte, war, dass er Nostradamus Augen und den Ausdruck in ihnen einfach nicht aus seinem Kopf bekommen konnte. Er hatte gar keine andere Chance, als den Bruder des Sehers zu retten. „Wir müssen zurück zu den anderen.“, murmelte Molokosh und versuchte sein bestes, schnellstmöglichst vorwärts zu kommen. Dakkas eilte an seine Seite und stützte den mehrere Köpfe größeren, so gut es ging. „Keine Sorge. Sar’Shan und Jared sind noch bei ihnen und werden möglichen Angreifern schon gewachsen sein.“ Molokosh brummte etwas unverständliches und ließ sich von dem Kleineren zurück zum Lager helfen. Im Endeffekt war die Ankunft in ihrem zerstörtem Lager etwas… anti-klimatisch. Anstatt eines lebensgefährlichen Kampfes mit neuen Angreifern oder einem siegreichen Sar’Shan fanden die beiden Schwarzhaarigen eine kleine Anzahl Engel, Elfen und Zwerge vor, die von Pflanzenranken gefesselt und geknebelt wurden. Sar’Shan saß mit einem blutendem Arm und einer Beule am Kopf im Gras, der immer noch verletzte Jared an ihn gelehnt. Nostradamus, der wie immer geistesabwesend durch die Gegend starrte, schien sich an seiner Umgebung nicht im geringsten zu stören und blickte in den Himmel. In der Mitte des Lagers, vor Wut keuchend und mit sanft glühenden Händen, stand Daniel. Der Heiler war damit beschäftigt, den Angreifern eine Predigt zu halten. Oder etwas ähnliches. „Ich werde nie verstehen, wie ein Haufen erwachsener Personen, die alle sehr wahrscheinlich eine gewisse Bildung inne haben, sich zu solchen irrsinnigen Unternehmungen hingeben können. Ganz abgesehen davon, dass die Gründe für euren Angriff jedweder moralischen Legitimierung entbehren, kommt auch noch hinzu, dass ihr damit rechnen musstest, dass wir äußerst gefährlich sind. Und dann hört ihr noch nicht einmal auf euren gesunden Verstand, wenn klar ist, dass ihr besiegt seid. So ein irrationales, wiedersinniges, unlogisches, arrogantes, dummes Verhalten können nur Agenten des weißen Königs an den Tag legen. Und jetzt darf ich wieder wochenlang irgendwelche eiternden Wunden versorgen, nur weil euer König nicht ganz klar im Kopf ist! Das ist zum Schreien!“ Und genau das tat Daniel dann auch, wobei er wütend mit seinem Fuß aufstampfte und die Pflanzenranken um die Gefangenen herum noch etwas enger zusammenzog. Dakkas war vollkommen überrascht – und auch etwas verängstigt. „Erinnere mich daran, Daniel niemals ernsthaft aufzuregen.“, flüsterte er Molokosh zu. Der Drache grinste schwach. „Daniel ist nicht nur ein äußerst guter Heiler, er ist auch Absolvent einer der besten Magieschulen der Drachenlande.“, flüsterte er zurück. In diesem Moment sah Daniel den wiedergekehrten Molokosh. Seine Hände hörten auf zu glühen und die Wut wich aus seinem Gesicht, Mitgefühl und Sorge Platz machend. „Lanar!“ In windesteile war der Heiler an Molokoshs Seite und untersuchte den Schwarzhaarigen, eine Litanei von Fragen auf Drakonisch aus seinem Mund kommend. Von seinem Platz an Sar’Shans Seite aus schmollte Jared. „Warum bekomme ich nicht so eine gute Behandlung?“, murrte der Halbwolf. Sein grauhaariger Freund lächelte. „Vielleicht, weil du Daniel schon so oft genervt hast?“ Jared schnaubte nur pikiert als Antwort. „Könntet ihr euren Streit auf später verschieben?“, kommentierte der langsam ermüdende Dakkas. „Ich bin nur ein kleiner Mann und das hier ist ein großer Drache.“ Das brachte Daniel dazu, von Molokosh abzulassen, sich mehrfach zu entschuldigen und nach möglichen Wunden des Grünäugigen zu fragen. Dieser verneinte und sah zu, wie Molokosh neben Sar’Shan ins Gras gesetzt wurde. Der grauhaarige Krieger sah Dakkas mit Interesse an. „Du hast Molokosh gerettet, ohne eine einzige Schramme abzubekommen?“ Der Grünäugige blinzelte und lächelte schüchtern. „Also, der Überraschungsmoment war ein Vorteil. Und eigentlich hat Molokosh die ganze schwere Arbeit geleistet.“ Der schwarzhaarige Drache öffnete seinen Mund, schloss ihn dann jedoch wieder. Auf Sar’Shans fragenden Blick meinte er dann: „Dakkas hat einen günstigen Moment genutzt, um die Drakharuda ausschalten zu können. Es war eher gemeinsame Arbeit.“ Der Grauhaarige nickte langsam und Molokosh sandte Dakkas einen… komischen Blick. Er sollte wohl irgendetwas aussagen, aber Dakkas verstand beim besten Willen nicht was. Innerlich achselzuckend widmete der Grünäugige seine Aufmerksamkeit den gefesselten Angreifern. Es waren sieben an der Zahl. Und sie sahen nicht freundlich aus. „Wir sollten hier möglichst schnell weg, falls noch mehr von ihnen in der Nähe sind.“, kommentierte das kleinste Gruppenmitglied. Sar’Shan nickte. „Nur werden wir nicht sehr schnell voran kommen mit unseren Wunden.“ Jared ächzte und schwang sich auf die Beine. Seine Wunde hatte bereits begonnen zu heilen, da Daniel es anscheinend geschafft hatte, mit seiner Magie die größte Verletzung einzudämmen. Der Halbwolf brauchte einen Moment, um sein Gleichgewicht zu behalten und fing dann damit an, langsam ihr aller Hab und Gut aufzusammeln. „Je eher wir los gehen, desto schneller kommen wir von hier weg. Selena wird so schnell nicht noch einen Versuch unternehmen. Nicht, wenn sie so viele Leute verloren hat.“, erklärte der Halbwolf. Molokosh grunzte seine Zustimmung, während Daniel ihn so gut es ging versorgte. Jared brachte Sar’Shan einige Bandagen aus den Überresten ihres Zeltes, die der Drache benutzte, um sich selbst zu verbinden. Dakkas runzelte seine Stirn. „Warte doch, bis Daniel Zeit für dich hat.“, kommentierte er. Sar’Shan sah auf und deutete ein Lächeln an. „Ich nehme keine Hilfe von Heilern an.“, erklärte er und widmete sich dann wieder seinen Wunden. Verwirrt blickte Dakkas zu Daniel, der aber nur mit den Achseln zuckte. „Ich kann keinem helfen, der meine Hilfe nicht will.“ Da hatte der Heiler natürlich recht. „Darf man fragen, wieso du das nicht willst?“, fragte der Grünäugige den Drachen. Sar’Shan hatte die Blutung seines Armes inzwischen gestoppt und verband ihn sich. „Weil es gegen die Regeln meines Glaubens geht.“, war die Antwort des Drachen. Der Grünäugige runzelte seine Stirn. Welcher Glauben verbat es seinen Anhängern, sich heilen zu lassen? Erstaunlicherweise fiel ihm das Wort ‚Todeskult’ als erstes ein. Das machte sogar Sinn, auf eine morbide Art und Weise. Sehr wahrscheinlich war der Todeskult die Gefolgschaft des Beauron. Aber Sar’Shan sah nicht wie jemand aus, der den Tod verehrte. Natürlich konnte Dakkas das nicht mit Sicherheit sagen, aber es war eine Art… starkes Gefühl. Dem er erst mal vertraute. Ansonsten fiel ihm keine Gottheit ein, die ihren Anhängern Heilung verbieten könnte. Kopfschüttelnd ließ er diese Eigenart des grauhaarigen Drachen auf sich beruhen und half lieber mit, ihre Habe einzusammeln. Vor allem seinen eigenen Besitz wollte er keinem der anderen anvertrauen. Sobald Molokosh soweit versorgt war, dass er wieder von alleine gehen, stehen und handeln konnte, sah Daniel einmal nach den Pflanzenfesseln und half dann dabei, das Lager abzubauen. Aufgrund der Verletzungen brauchten sie jedoch weitaus länger als sonst und die Möglichkeit eines dritten Angriffs brachte Molokosh dann dazu, ihre Zelte zurück zu lassen. „Wir hätten eh nur noch zwei unbeschädigte,“ erklärte der Drache, „und wir müssten sie tragen, was momentan keiner von uns kann.“ Daniel und Dakkas beschwerten sich, doch war Molokosh nicht gewillt, den beiden ‚Schwächsten’ in der Gruppe so eine schwere Last aufzudrücken, solange sie verfolgt wurden. So kam es dann, dass sie nur ihre Decken und sonstige Ausrüstung mitnahmen, die Zelte jedoch zurück ließen. Daniel hatte ihre Angreifer fest verschnürt zurück gelassen. Dem Zauber hatte er ein Zeitlimit von fünf Stunden gesetzt – in dieser Zeit waren sie hoffentlich weit genug weg, um den Häschern vorerst entgehen zu können. Von den Verletzungen erholte Jared sich am besten. Schon nach einer halben Stunde unterwegs konnte der Halbwolf wieder fast normal laufen, auch wenn er noch deutlich blasser war als sonst. Sar’Shan und Daniel liefen langsam, der eine mitgenommen durch die Wunde, der andere müde und ausgelaugt vom Heilen und Zaubern. Molokosh schleppte sich eher durch die Landschaft, als dass er lief. Mit Erschrecken stellte Dakkas fest, dass Nostradamus und er die beiden einzigen waren, die mehr oder minder unversehrt waren. Das sah nicht gut aus. „Warum laufen wir eigentlich immer noch die Hauptsraße entlang?“, entfuhr es dem Schwarzhaarigen. „So finden sie uns doch am schnellsten.“ Der Rest der Gruppe warf ihm komische Blicke zu, bis Sar’Shan schließlich erwartungsvoll zu Molokosh schaute. Der schwarzhaarige Drache seufzte. „Du erinnerst dich wahrscheinlich nicht daran.“, erklärte er. Dakkas runzelte seine Stirn. „Woran?“ Molokosh seufzte. „Wir sind hier in der Baronie Ludgenstein. Laut Gesetzerlass des Barons Ludgenstein darf sich kein Wildblüter innerhalb der Baronie abseits der Straßen aufhalten, es sei denn, der Wildblüter wohnt in einer Stadt der Baronie.“ Das war... unerwartet und unerhört. „Was passiert, wenn ein Wildblüter abseits der Straße… erwischt wird?“ Er traute sich fast gar nicht, diese Frage zu stellen. Molokosh verzog seinen Mund. „Gefängnis, wenn man Glück hat. Kerker, wenn man weniger Glück hat. Verkauf an die Dogen, wenn einen alles Glück verlassen hat.“ Den letzten Teil sagte Molokosh mit einer kaum hörbaren, wütenden Stimme. Jared und Daniel bekamen einen hasserfüllten Blick und Sar’Shan murmelte leise etwas zu sich. Dakkas traute sich fast nicht zu fragen, tat es dann aber doch. „Verkauf an die Dogen?“ Molokosh presste seine Lippen zu einem dünnen Strich aufeinander und der Rest ihrer kleinen Gruppe spannte sich auch merklich an. Was auch immer es mit dieser Zaubereigilde auf sich hatte, war anscheinend nichts gutes. Es war Nostradamus, der Dakkas Frage in einer monotonen Stimme beantwortete. „Sie halten nicht viel von den Leben anderer. Kaufen sie wie Vieh. Untersuchen sie. Experimentieren an ihnen. Brauchen immer mehr von ihnen für ihre Versuche.“ Der Seher stoppte seinen Marsch und schien ins Leere zu starren. „Ihre Festung brennt. Die Flammen sind wunderschön.“ Jetzt lag wieder Betonung in seiner Stimme, als wenn er ein besonders kunstvolles Gemälde betrachten würde. „Welche Festung brennt?“ Der Rest der Gruppe hatte ebenfalls Halt gemacht. Die Frage kam von Sar’Shan. „Die Dogenfestung am Fuß des Geierfelsen.“, antwortete der Seher. Er drehte seinen Kopf und blickte den anderen grauhaarigen Drachen an. „Es ist die zweite Festung, die brennt. Der General ist dort.“ Das brachte Sar’Shan zum Grinsen. „Gut für ihn. Weiter so.“ Molokosh sah besorgt aus. Nostradamus beachtete die Welt um ich herum jedoch schon nicht mehr. „Unsere Verfolger formieren sich neu. Wir haben einen Tag Vorsprung, wenn wir uns jetzt beeilen.“, erklärte der Seher wieder in einer monotonen Stimme und marschierte weiter. Die anderen taten es ihm gleich. Dakkas war zu geschockt, um noch weiter nachzufragen. Diese Dogen kauften also Wildblüter wie Sklaven oder Vieh und benutzten sie für… keine Ahnung was. Experimente. Dakkas glaubte nicht, dass er Näheres darüber wissen wollte. Allein der Gedanke daran ließ ihn übel werden. Und Hass in ihm auflodern. Auf einmal war er sich schlagartig klar, dass das der Grund war, warum er die Engel so tief hasste, dass sogar eine Amnesie den Hass nicht auslöschte. „Die Grenze der Baronie liegt kurz hinter Sellentin, richtig?“, riet Dakkas. Molokosh nickte. Das erklärte, warum sie bis dahin auf der Hauptstraße bleiben mussten. Auch wenn es dadurch fast unmöglich wurde, ihren Verfolgern zu entkommen. Die Agentin und ihre Dienerschaft mussten Pferde oder ähnliches haben, wenn sie innerhalb der letzten drei Tage aufgeholt hatten. Molokosh sprach wieder. „Danach beginnt die Baronie Rauhenhoh. Die Baronin dort hält nichts von… solchen Gesetzen.“ Wenigstens das war eine Erleichterung für Dakkas. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie ihre Verfolger abschütteln mussten. „Gibt es Ausnahmen zu dem Gesetz?“ Molokosh runzelte seine Stirn. „Nur, wenn sich die Wildblüter in Begleitung eines Adligen, Sonnenpriesters oder Mitglied der königlichen Wache befinden.“, erklärte er nach einigem Nachdenken. Dakkas grinste und nickte. „In Ordnung.“ Die Drachen und der Halbwolf blickten sich zu ihm um, mit Ausnahme von Nostradamus. „Was soll das heißen, in Ordnung?“, fragte Molokosh argwöhnisch. „Dann bin ich jetzt eben ein Adliger.“ Auf die ungläubigen Blicke der anderen hin erklärte er: „Also erstens müssten wir schon viel Pech haben, um hier irgendeiner Art von Patrouille zu begegnen. So regulär lasst der Baron seine Ritter doch nicht durchs Land reiten, oder? Und zweitens werden die wohl kaum beweisen können, dass ich kein Adliger bin, oder?“ Molokosh lachte humorlos. „Wenn wir auf eine Patrouille treffen, werden sie keine Beweise brauchen.“ Doch der Grünäugige grinste nur schlitzohrig. „Die werden wir schon überzeugen können.“ Dann trat ein nachdenklicher, kalter Ausdruck in seine Augen. „Und zur Not können wir sie immer noch töten, oder? Gefährlicher als die Gehilfen der Agentin können sie nicht sein und es wäre ja auch niemand in der Nähe, der uns anklagen könnte.“ Daraufhin lachte Jared lauthals los. „Kleiner, du bist ein Unikat. Da hat Koshi einmal was richtig gemacht, als er dich aufgesammelt hat.“ Der schwarzhaarige Drache ließ den ungewollten Kosenamen einmal unbeachtet und starrte stattdessen Dakkas an. „Das,“ erklärte er, „ist eine sehr gefährliche Idee.“ „Gefährlicher als ein Haufen wildgewordener Engel, Elfen und Zwerge?“, hakte Dakkas nach. Molokosh seufzte. „Jared, die Karte.“ Der Halbwolf lachte erneut und kramte die Karte hervor. Nach einer kurzen Besprechung einigte man sich auf eine etwas direktere Route nach Sellentin, die zuerst durch die Schafsweiden der Baronie und dann durch einen Wald führen würde. Auf alle Fälle würden sie so bessere Chancen haben, was die Flucht vor Selena Windflügel anging. ~*~ Dieser Abend war anders als die Abende zuvor. Zuerst einmal konnte die kleine Gruppe diesmal nicht einigermaßen geschützt in ihren Zelten schlafen, sondern musste mit ihren Decken vorlieb nehmen. Hinzu kamen die Verletzungen. Molokosh hatte es schwer, eine einigermaßen angenehme Schlafposition zu finden. Sar’Shan bereitete dem Rest der Gruppe einfach dadurch Sorge, dass er weiterhin Daniels Hilfe ausschlug, obwohl sich sein Arm wohl langsam entzündete. Daniel befürchtete schon, dass den Drachen Wundbrand oder Schlachtfieber ereilen würde. Jared war noch der Munterste von ihnen. Der Halbwolf schien wegen der verbleibenden Wunde weder besorgt noch großartig eingeschränkt zu sein. Laut seinen eigenen Worten würde man in drei Tagen eh nur noch eine kleine rötliche Verfärbung auf seiner Haut sehen. In vier Tagen wäre die Wunde schon gar nicht mehr da. Dakkas beneidete den Halbwolf um seine regenerativen Fähigkeiten. Nostradamus hatte sich den restlichen Tag lang ausgeschwiegen, legte sich jetzt aber neben seinen Bruder. Damit schien der Streit der beiden beendet zu sein. Dakkas fiel erst jetzt ein, als er zusah, wie Jared sich an Sar’Shans gute Seite kuschelte, dass dem Schwarzhaarigen noch niemand etwas von der Vision seines Bruders erzählt hatte. Moment mal. Der Grünäugige verharrte kurzzeitig im Sitzen und breite seine Decke dann langsam weiter aus. Seine Augen betrogen ihn nicht. Der Halbwolf und der Drachen schliefen tatsächlich eng umschlungen ein. Jareds Kopf war auf Sar’Shans Brust gebettet und der gute Arm des Drachen hielt den Halbwolf in einem engen Griff fest. Das erklärte dann wohl auch Sar’Shans Wut auf die Engel, die Jared verletzt hatten. Stirnrunzelnd krabbelte Dakkas in sein Nachtlager. Er hatte vorher nie darüber nachgedacht… hatte er auch jemanden gehabt, eine Geliebte oder einen Geliebten? Wartete dort draußen irgendjemand auf ihn? Wenn ja, dann sahen die Chancen nicht gut dafür aus, dass dieser jemand ihn finden würde. He, Dakkas war sich nicht einmal im Klaren darüber, ob er Männlein oder Weiblein bevorzugte, jetzt, wo er drüber nachdachte. Abgestoßen fühlte er sich von Jared und Sar’Shan jedenfalls nicht. Daniel übernahm die erste Nachtwache. Im Nachhinein war es dumm und unverantwortlich von ihnen gewesen, schon am Abend vorher keine Nachtwache zu bestimmen. Aber die Straßen dieses Teil des Landes waren eigentlich ruhig und fast ohne Gefahren. Mit ihren Verfolgern so dicht an ihren Fersen hatten sie nicht gerechnet, nicht einmal Sar’Shan und Jared. Nostradamus war wohl der einzige, der im Endeffekt etwas gewusst haben könnte. Am nächsten Morgen verfolgte die Gruppe das ungute Gefühl, dass ihre Verfolger jederzeit wieder hinter ihnen auftauchen könnten. Molokosh wies sie an, heute besonders schnell zu sein, damit man noch bis zum Abend einen gewissen See erreichen könnte. Dort würde die Gruppe endlich in der Lage sein, sich richtig zu waschen. Dakkas begrüßte diese Anweisung. Ein echter Badezuber war natürlich goldwert, aber ein See eignete sich doch auch zum Waschen. Wie Sar’Shan und Molokosh es so halb blutverschmiert aushielten, verstand der Grünäugige sowieso nicht. Aber sie hatten ja auch kein Waschwasser oder Zuber dabei. Sie kamen den Tag über erstaunlich gut voran. Obwohl Sar’Shans Wunde beim Wechseln des Verbandes wieder aufsprang und der Drache erneut Blut verlor, was Daniel nicht im geringsten freute. Hinzu kam die stete Weigerung, Medizin oder Heilmagie zu akzeptieren, obwohl eine Entzündung bereits einsetzte. Jared war erstaunlicherweise nicht besorgt und erklärte nur, dass der Grauhaarige schon weitaus schlimmere Wunden heil überstanden habe. Ein ‚Kratzer’ am Arm würde ihn nun auch nicht tot kriegen. Es war am späten Nachmittag, als Dakkas sich den schwitzenden und etwas blass aussehenden Krieger genauer ansah und eine geheime Sorge aussprach. „Was, wenn die Klinge vergiftet war?“ Ein Ruck ging durch den kleinen Trupp – kein wirklicher, mehr ein plötzliches Aufzucken, als alle bis auf Nostradamus ihre Blicke zum Verletzten hin wandten. Sar’Shan grollte. „Nein. Ich denke nicht, dass das der Fall war.“ Doch die Bleichheit des Drachen unterstützte seine Aussage nicht. Molokosh seufzte. „Sar’Shan, wenn wir am See ankommen, wird Daniel dich untersuchen.“ Auf die Einwände des Grauhaarigen hin erwiderte er: „Nur untersuchen, nicht behandeln. Falls es doch ein Gift ist, wird Daniel bestimmen, was zu tun ist. Verstanden? Wir können es uns nicht leisten, abzuwarten, bis dein Körper das Gift besiegt.“ Molokosh ging offensichtlich davon aus, dass Sar’Shans Körper diesen Kampf, sollte er stattfinden, gewinnen würde. Dakkas fand das erstaunlich. Selbst Drachen schüttelten nicht jedes Gift einfach ab. Aber normalerweise verweigerten sie auch keine medizinische Behandlung. Irgendetwas an Sar’Shan war anders. Aber Dakkas konnte sich, was das anging, wirklich nicht beschweren. Er sah Erscheinungen des Todesgottes. Sehr viel mehr ‚anders’ konnte man nun wirklich nicht werden. Nach einem schier endlosen Marsch durch saftige, grüne Wiesen, erreichten sie endlich einen größeren Hügel, von dessen Kuppe aus sie den friedlich daliegenden, schimmernden See sehen konnten. Einige Hasen hatten es sich nahe des Sees bequem gemacht, hoppelten jedoch blitzschnell von dannen, als die schweren Schritte der Drachen nahten. Die Sonne war bereits dabei, im Westen zu verschwinden, als die kleine Gruppe endlich ihr Gepäck ablegte und sich dem See näherte. Während Molokosh und Sar’Shan sich eher vorsichtig ins Wasser wagten entledigte Jared sich kurzerhand seiner Kleidung und sprang hinein. Noch im Sprung verformte sich sein Körper langsam zu dem eines schmächtigen, grau-blonden Wolfes mit kurzem Fell. Als er ins Wasser platschte ließ der Halbwolf einen freudigen ‚Wuff’ aus und tauchte kurz darauf paddelnd wieder aus dem Wasser auf. Daniel schüttelte über die Eigenarten des Zauberers nur seinen Kopf, machte sich dann aber daran, sich ebenfalls im See zu waschen. Dakkas kramte ein Stück Seife aus seinem Gepäck, dass er extra aus Halmsdorf mitgenommen hatte und fühlte sich eine halbe Stunde später endlich wieder einigermaßen sauber. Als die Sonne bereits untergegangen war, saß Dakkas mit überkreuzten Beinen vor dem kleinen Lagerfeuer, das Jared aus Gestrüpp und Ästen von Büschen gemacht hatte. Kurz danach hatte der Halbwolf sich wieder in seine Wolfsform verwandelt und war Jagen gegangen. Es wunderte Dakkas, dass der Zauberer sich überhaupt verwandeln konnte. Bei Mischlingen mit Engeln war das nur selten der Fall. Daniel hatte sich zuerst um Molokoshs Wunden gekümmert und versuchte nun, einen widerstrebenden Sar’Shan zu versorgen. Das erwies sich als äußerst schwierig. Der Drache hatte seinen Arm neu verbunden, sobald er aus dem Wasser heraus war und weigerte sich beständig, den Heiler an die Wunde zu lassen. Molokosh war zu müde, um großartig Wiederworte oder Befehle zu geben und sah dem ganzen Spektakel nur mit einem säuerlichen Ausdruck zu. Dann schaffte es der Heiler doch noch, Sar’Shan zum Kooperieren zu überreden. Erleichtert kramte Daniel sein eigenes Verbundszeug hervor und löste die Bandagen von Sar’Shans Arm. Die Wunde war noch röter geworden. Der rote, infizierte Bereich hatte sich ein gutes Stück um die eigentliche Wunde herum ausgebreitet und es drang bereits grünlich-gelber Eiter aus ihr heraus. Daniel fluchte und ließ eine sanft glühende Hand über die Wunde hinweg gleiten, ohne den Arm tatsächlich zu berühren. „Die gute Nachricht ist, dass du nicht vergiftet bist.“ Der Grauhaarige lächelte siegessicher und wollte seinen Arm schon wieder aus der Reichweite Daniels ziehen. Doch der Heiler hielt ihn mit erstaunlicher Kraft fest. „Die schlechte ist, dass das hier eine ernsthafte Entzündung ist und wenn ich sie nicht sofort behandele, wirst du Wundbrand kriegen.“ Sar’Shan stoppte und schien nachzudenken. Daniel redete weiter auf ihn. „Ich weiß genau, dass eure komischen… Regeln es euch nicht komplett verbieten Heilung anzunehmen. Bei akuter Lebensgefahr und falls die Verletzung eine weiterführende Schlacht behindern würde, gelten zum Beispiel Ausnahmen. Wir werden immer noch verfolgt, Sar’Shan. Das hier ist ein solcher Fall.“ Der Krieger starrte in die Nacht. Daniel seufzte. „Sollen wir warten, bis ich Jared davon erzähle?“ Das stimmte den Grauhaarigen dann doch um. Grummelnd stimmte er ein und ließ den Heiler seine entzündete Wunde versorgen. Molokosh war dadurch auch beruhigter. Als Jared kurz darauf mit drei toten Hasen wiederkam, die kaum in sein wölfisches Maul zu passen schienen, jappte er zufrieden, als er den neuen Verband seines Freundes sah. Erst da lächelte Sar’Shan wieder und seufzte. „Ja, ich habe klein bei gegeben. Freu dich.“ Das tat der Wolf dann auch sichtlich, bevor er seine Schnauze im See waschen ging, sich zurückverwandelte und wieder anzog. „Abendessen Koshi. Frischer Hase.“, erklärte der Halbwolf fröhlich und überließ zwei der toten Tiere Daniel, während er eines für sich zurück behielt. Der Heiler säuberte und bereitete die beiden Tiere mit erstaunlicher Schnelligkeit vor. Bald schon brutzelten sie über dem kleinen Feuerchen. Jared hielt sich nicht mit solchen Feinheiten auf. Eine seiner Hände war zu einer Klaue verformt, mit der er dem Tier das Fell abzog, bevor er mit Reißzähnen hinein biss. Dakkas konnte seine Augen nicht von dem faszinierendem Anblick nehmen. Dann musste er schmunzelnd den Kopf schütteln. Werwölfe waren leicht zufrieden zu stellen, was ihre Mahlzeiten anging. Nur die Menge war problematisch. Wie ein Textbuch oder eine Lehrvorlesung sprudelte es aus Dakkas Erinnerung in seine Gedanken über. Ein erwachsener Werwolf konnte am Tag gut zehn Pfund Fleisch essen, locker mehr. Im Winter stieg das bis auf 13 Pfund. Natürlich aßen sie nicht nur Fleisch, aber das Fleisch war notwendig. Mit geringeren Mengen als diesen zehn bis dreizehn Pfund kamen sie zwar bis zu zwei Wochen lang aus, aber dann verloren sie langsam an Kraft und ihre Heilung wurde langsamer. Komplett ohne Fleisch hielt ein Werwolf es nur drei Tage lang aus. Plötzlich wurde Dakkas klar, dass Jared in den vergangenen Tagen zu wenig Fleisch gegessen hatte. Auch wenn er nur ein halber Werwolf war, eine gewisse Menge Fleisch war nötig. Vor allem nach seiner Verwundung am Vortag. Fragend blickte der Grünäugige Molokosh an. „Wann erreichen wir den Wald?“ Der Drache blickte zwar verwirrt ob dieser Frage, beantwortete sie jedoch. „Innerhalb der nächsten zwei, drei Tage. Wieso?“ Dakkas nickte nur und beantwortete die Frage nicht. Aber sein Blick fiel wieder auf Jared, der den Hasen in Windeseile verschlungen hatte. Sobald sie den Wald erreicht hatten, würde der Halbwolf vielleicht ein Reh oder einen Hirsch erlegen können. Das hatte er bitter nötig. Nach dem Abendmahl bestand Molokosh darauf, das Feuer schnell zu löschen. Warm genug war es auch so und dem Drachen war dieses Leuchtsignal für ihre Verfolger von Anfang an nicht recht gewesen. Der Hunger hatte jedoch gesiegt. Bei dem Kampf waren viele ihrer Rationen unbrauchbar geworden, zertrampelt im Gefecht. Von jetzt an würde die Gruppe viel auf Jareds Jagdtalent vertrauen müssen. ~*~ Ihre Verfolger zeigten sich nicht die nächsten drei Tage lang, was jeden in der Gruppe beruhigte. Außer Nostradamus vielleicht, aber der Seher war sowieso nie beunruhigt gewesen und wusste wahrscheinlich von Anfang an, dass sie im Moment sicher waren. Jareds Wunde war wie von ihm prophezeit schon fast vollkommen verschwunden. Der Halbwolf hatte es auf sich genommen, die Umgebung der Gruppe mit seinen Sinnen auszuspähen, Abends in seiner wölfischen Form zu jagen und die Landschaft noch weiter auszukundschaften. Sar’Shan hatte trotz Daniels Behandlung ein hohes Fieber bekommen, was der Heiler dem Krieger und seinem Sturkopf anlastete. Molokosh erholte sich langsam von seinen eigenen Verletzungen, würde aber noch länger nicht vollkommen in Ordnung sein. Die einzige Sorge der Gruppe war Sar’Shan, der am Nachmittag des dritten Tages, als sie endlich die Ausläufer des Waldes erreichten, gegen einen Baum sackte und eine Pause verlangte. Jared war sofort damit beschäftigt, um ihn herum zu laufen wie ein… besorgter Wolf wahrscheinlich. Daniel murmelte etwas zu sich selbst, bevor er den Kopf schüttelte. „Ich hatte dich ja gewarnt. Du hättest mich die Wunde eher behandeln lassen sollen.“ Der Drache grollte schwach und schloss seine Augen. Dakkas schüttelte nur seinen Kopf. „Wo ist der nächste Bach, See oder so etwas?“, fragte er Molokosh. Der Drache runzelte seine Stirn und schüttelte dann den Kopf. „Ich habe keine Ahnung.“ Jared hob seinen Kopf und schnüffelte. „Ich kann Wasser riechen. Östlich von hier.“ Der Grünäugige nickte. „Gut wir müssen dahin. Solange Sar’Shan in dem Zustand ist, kommen wir eh nicht wirklich voran.“ Daniels Augenmerk, ebenso wie Jareds, fiel auf Molokosh. Doch der Drache nickte nur langsam. „Dakkas hat Recht. Wir müssen abwarten, bis Sar’Shan wieder halbwegs auf den Beinen ist. Geh du voraus, Jared.“ Molokosh half dem fiebernden Sar’Shan auf die Beine und gemeinsam mit Daniel schaffte er es, den Grauhaarigen bis zu dem kleinen Bach im Wald zu tragen, zu dem Jared sie führte. Dort angekommen wurde Sar’Shan erneut an einen Baum gelehnt. Dakkas sammelte ihr Gepäck am Fuße eines anderen, nahe stehenden Baumes und wandte sich dann an den Halbwolf. „Geh jagen. Etwas großes. Keine Kaninchen. Daniel, schau nach, was du für Sar’Shan alles machen kannst. Je schneller wir weiter kommen, desto besser.“ Diese Anweisungen fanden allgemeine Zustimmung. Molokosh setzte den wie immer stummen und widerstandslosen Nostradamus ins Gras, Daniel ließ seine glühenden Hände erneut über Sar’Shans Arm wandern und Jared entledigte sich seiner Kleidung für eine neue Jagd. Dakkas setzte sich auf einen Stein neben dem Bach und streckte seine Beine aus. Es dauerte drei lange Stunden, bis Jared zurück kehrte. Daniel hatte Sar’Shans Wunde in dieser Zeit mit einem frisch gepressten Kräutersud beträufelt, neu verbunden und mit seiner Magie versorgt. Molokosh war seit einer halben Stunde damit beschäftigt, Kreise ins Gras zu laufen. Die angespannte Ruhe der Gruppe wurde durch Rascheln und Getrappel unterbrochen. Dann stürzte ein stattlicher Hirsch durchs Unterholz, gefolgt von einem grau-blonden Wolf. Bevor der Hirsch den Schock über die unerwarteten Männer überwinden konnte, hatte Jared ihn erlegt. Zufrieden setzte der Halbwerwolf sich neben seiner Beute ins Gras und zeigte stolz sein rötlich verschmiertes Maul. Von den Blutspritzern auf seinem Fell ausgehend war ziemlich klar, dass Jared selbst bereits gegessen hatte. Molokosh betrachtete zuerst den Hirsch und dann den inzwischen gähnenden Wolf. „Wunderbar. Blut direkt neben unserem Schlafplatz. Wasch dich.“ Der Wolf schnaubte und trottete zum Bach. Dakkas musste lachen. „Und du beschwerst dich, weil ich meine Waffe putze?“ Molokosh lächelte dünn. „Das war keine… Beschwerde. Eher eine Beobachtung.“ Die nächste Stunde wurde damit verbracht, den Hirsch essfertig zu kriegen und zu rösten, ohne dabei den ganzen Wald niederbrennen zu lassen. Was durch Jared äußerst schwer wurde. Der Zauberer hatte bislang immer seine Magie benutzt, um das Feuer ans Laufen zu kriegen. Diesmal entzündete sein Feuerball jedoch etwas mehr als nur das gesammelte Feuerholz. Etliche Minuten und Löschversuche später schalt Molokosh den Halbwolf für seine idiotischen Ideen und bestimmte Daniel von da an zum Feueranzünder – „Weil der wenigstens mit Zündsteinen umgehen kann!“. Irgendwann dann hatten sie es tatsächlich geschafft, ihr Hirschfleisch gebraten zu bekommen. Dakkas war fast soweit gewesen, sich an rohem Hirschfleisch zu probieren. So unterschiedlich von rohem Rappata konnte es schließlich auch nicht schmecken. Als ihre Abendmahlzeit eingenommen und das Feuer gelöscht war, übernahm Daniel wie immer die erste Nachtwache, während der Rest der Gruppe es sich so bequem wie möglich machte. Laut Aussage des Heilers würde Sar’Shan nicht sehr viel mehr als einen Tag brauchen, um wieder einigermaßen zu gesunden, jetzt, wo er endlich volle Heilmagie in Anspruch nahm. Wenigstens sein Fieber und der einsetzende Wundbrand wäre dann besiegt. Dakkas schlief innerlich grummelnd ein. Wenn es nicht für diesen dickköpfigen Drachen wäre, könnten sie schon viel schneller und weiter unterwegs sein. Er könnte schon längst in Tirin sein und Rita treffen. Dakkas war so müde, dass ihm dieser letzte Gedanke gar nicht als komisch oder besonders auffiel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)