Der Jadejunge von Puh-Schell (Die Erzählungen, Teil 1 - Shounen-Ai) ================================================================================ Kapitel 4: Erblindung --------------------- 4 – Erblindung Es war fast schon Abend, als Dakkas kurz davor stand, sich ernsthaft aufzuregen. Nach Daniels Frühstück hatte der Schwarzhaarige den Halb-Engel dazu bewegen wollen, einen kurzen Rundgang durch die Stadt zu unternehmen – einerseits wollte Dakkas sich einfach nur umsehen und andererseits wollte er etwas finden, an dass er sich irgendwie erinnerte oder erkannte. Doch der Heiler hatte sich vehement dagegen gewehrt und deutlich gemacht, dass es auch für den Grünäugigen besser wäre, wenn er in der Unterkunft bleiben würde. Angeblich wegen seiner Gesundheit, aber Dakkas hatte das Gefühl, dass es eher damit zu tun hatte, dass Daniel keine Zwischenfälle mit den Engeln haben wollte. Anfangs hatte er sich gefügt und sich die Zeit im Gastraum vertrieben – beim Kartenspiel, das er erstaunlich gut beherrschte, wie er feststellte, und beim Plaudern mit der Wirtin, die nun viel offener war als vorher. Daher besaß er nun nicht nur eine bescheidene Summe Gold – nicht viel, aber besser als das Nichts, das er vorher sein Eigen nennen konnte – und erheblich mehr Wissen. Die weißen Engel hatten vor längerer Zeit das letzte Bündnis der „Feuervölker“ – Drachen, Werwölfe und rote Engel – zerschlagen und somit ihre Herrschaft gefestigt. Die roten Engel waren vollständig ausgelöscht worden, zumindest nahm man das an, da keine Überlebenden gefunden wurden. Die Reiche der Drachen und Werwölfe wurden zu Provinzen des Weiß-Engelschen Reiches erklärt und hatten jährliche Abgaben zu leisten, sowie die Gesetze der Engel anzuerkennen. Natürlich nahmen die Drachen und Werwölfe dies nicht gut gelaunt auf. Engelssiedlungen, die in beiden Reichen angelegt hatten werden sollen, bestanden nicht lange. Besonders die Werwölfe schafften es innerhalb kürzester Zeit, die Engel von ihrem „Eingliederungsvorhaben“ abzubringen. Geleitet von einer königlichen Familie, die „Das Rudel“ anführte stellten sie eine geschlossene und äußerst aggressive Völkergruppe dar, von denen sich die Engel immer mehr distanzierten. Solange sie ihre Abgaben zahlten, schien es die Herren der weißen Türme nicht zu interessieren, ob die Wolfswesen freundlich zu Ihresgleichen waren oder nicht. Bei den Drachen sah es anders aus. Die Drachen bestanden nicht aus einem großen Volk, dass sich fast Bienenstock-artig hinter eine Familie stellte. Sie bestanden aus verschiedenen Klans, mit jeweils einzelnen adligen Familien, die untereinander um die Vorherrschaft über ihr Volk kämpfen – und eigene „Fürstentümer“ besaßen. Jeder Klan besaß eine eigene hoheitliche Familie und aus diesen konnte ein Drachenkaiser hervorgehen – konnte. Der jetzige Kaiser sollte, laut der Wirtin, keinerlei wahre Macht besitzen, da zu viele Streitigkeiten die Drachen zersplitterten. Der jüngste Sohn und eigentlicher Thronerbe des Kaisers galt seit Jahren als verschwunden und der zweite, ältere Sohn des Drachen als arrogant und unbegabt was Regierungsgeschäfte anging. Die Drachenlande waren immer vom Krieg beherrscht, entweder kämpften Drachen gegen Drachen oder Drachen gegen „Angreifer“. Dakkas hatte den Eindruck, dass dieses Volk dabei war, sich selbst auszubluten. Und sein Begleiter und Retter, Molokosh de’Sahr, schien daran nicht unbeteiligt zu sein. Er war ein Adliger. Sein Drachenklan war lange Zeit einer der Stärksten gewesen, hatte jedoch vor mehreren Jahrhunderten einen schweren Schlag erlitten. Nun kämpften sie mehr noch als ihre Artgenossen ums Überleben – war doch der Kaiser ein Mitglied ihres Erzfeind-Klans. Alles in allem war die ganze Angelegenheit kompliziert, verworren und, nach Dakkas Ansicht, komplett sinnlos. Es war kein Wunder, dass die weißen Engel sie besiegt hatten. Dieses System war entgegensetzt zu jeder sinnvollen Überlebenstaktik. Missmutig starrte er aus dem Fenster des kleinen geteilten Zimmers, in dem er noch mindestens eine Nacht verbringen würde. Die langsam schwindende Sonne tauchte die Häuser auf der anderen Seite des Glases in ein sanftes Licht. Er fühlte sich erdrückt und er musste jetzt raus aus dem Gebäude, Drachen und Engel hin oder her. Im Notfall war er sich sicher, dass er schneller laufen könnte als ein Wachsoldat der Engel. Allein die Menge Metall, die sie mit sich herumschleppten, musste hinderlich genug sein. Entschluss gefasst stieg Dakkas die Zimmertreppe hinab und huschte durch die engen Gänge des Hauses. Daniel saß noch immer im Schankraum des Gasthauses, aber es war ein Leichtes für ihn, sich hinter einigen größeren Männern zu verstecken und auf die Straße vor dem Haus zu gelangen. Das Sonnenlicht war angenehm, nicht zu heiß und wieder besser gelaunt blinzelte der Grünäugige, während seine Augen sich an den Lichtwechsel gewöhnten. Er lief planlos eine Straße hinunter. Da er sich hier nicht auskannte, konnte er auch gleich einfach drauf los laufen. Falls er sich den Rückweg nicht merken konnte, konnte er immer noch jemandem nach dem Gasthaus fragen. Die meisten Straßen waren ungepflastert, bloß platt getrampelte Erde und die Wände der Häuser sahen auch nicht mehr am saubersten und frischesten aus. Immer wieder waren spielende Kinder zu hören, hin und wieder schallte ein Lachen durch die Gegend und einige Frauen und Männer trugen Körbe durch die Gegend, während sie sich unterhielten. Dakkas hatte das Drachenwappen wieder abgenommen und die vorübergehenden Leute blickten nur kurzzeitig zu ihm, bevor sie sich wieder ihren Angelegenheiten widmeten. Er erkannte einige Leute, die augenscheinlich von Drachen abstammten mit ihren großen, muskulösen Körpern. Andere wiederum schienen Werwolfblut zu haben, denn beim Lächeln sah er ihre spitzen Zähne, fast schon Reißzahn-ähnlich und ihr Haar schimmerte rötlich. Der Großteil von ihnen trug verstaubte, braun- bis gelbfarbene Kleidung. Angenehme, einfache und mit der Szenerie verschmelzende Farbtöne. Langweilig. Erst als er auf eine gepflasterte, größere Straße stieß, wurde es interessanter. Auf dieser war eindeutig mehr Verkehr, von normalen Bewohnern der Stadt über Soldaten bis hin zu Händlern und Bauern mit ihrem Vieh. Es gab auch mehr Farbe in der Bevölkerung, wenn man das so sagen konnte. und einen Augenblick lang musterte Dakkas nur das Treiben vor ihm. Es musste die Hauptstraße sein, auf die er gestoßen war. Zu seiner Rechten konnte er etwas weiter die Straße herunter ein großes Gebäude mit einem Kuppeldach sehen. Vor dem Gebäude schienen bunte Tücher im Wind zu hängen und Lärm drang außer dieser Richtung zu ihm. Er tippte darauf, dass dort hinten der Markt lag und wanderte los. Die bunten Tücher entpuppten sich als bunte Bedachungen der aus Holz gezimmerten, einfachen Marktstände. Nahrung, Kleidung, Hausrat und andere Kleinigkeiten wurden von verschiedenen Händlern angepriesen. Nach einem Rundgang über den gesamten Markt machte Dakkas sich daran, sein Geld zu zählen. Sein Gold reichte aus für etwas zu essen, einige Kleinigkeiten und neue Kleidung aber ansonsten nicht sehr viel mehr. Garantiert nicht genug um irgendeine Art von Verteidigungsmöglichkeit zu kaufen, wie er es gerne getan hätte. Der Gedanke, dass er komplett ohne Waffe oder Schutz durch eine ihm wildfremde Gegen lief, gefiel ihm nicht, auch wenn er einige gut ausgerüstete Drachen an seiner Seite hatte. Hatte er vor dem Erdrutsch Waffen gehabt? Er schien keine unmittelbar dabei gehabt zu haben, aber er hatte das Gefühl, dass er normalerweise immer eine Waffe trug. Die Frage war nur, was für eine? „He, passt doch auf!“ Die ärgerliche Frauenstimme rauschte an Dakkas vorbei, dafür spürte er den Schmerz in seiner rechten Seite und brachte sich wieder in Balance. Während er gedankenverloren vor sich hin gelaufen war, war er einer Händlerin in den Weg ihres Karrens gelaufen. „Entschuldigt.“ Schnell trat er einige Schritte zurück, um die griesgrämig dreinschauende Frau an sich vorbeiziehen zu lassen. Erst als sie hinter einem Stand verschwunden war und die Umherstehenden wieder ihren Geschäften nachgingen, bemerkte er, dass er etwas in seiner Hand umklammert hielt. Es war eine Kette mit einem kleinen, runden Anhänger. Dunkel erinnerte er sich, solche Kinkerlitzchen auf dem Handkarren der Händlerin gesehen zu haben, die ihn angerempelt hatte. Er musste die Kette in die Hand genommen haben, als sie zusammen stießen. Und keiner hatte es bemerkt – nicht einmal er selbst. Kurz dachte er darüber nach, der Frau hinterher zu rennen, aber zu welchem Zweck? Es war nur eine kleine Kette, nicht besonders wertvoll und absichtlich hatte er es ja auch nicht getan. Er hatte es eher… gefunden. Und was man findet, darf man behalten, sagte ihm eine innere Stimme. Vielleicht konnte er es ja einem der anderen Händler verkaufen. ------------------------------------------- Die Sonne war bereits untergegangen, als Dakkas in den Salzkessel zurückkehrte und im Schankraum hatten sich wieder etliche Gäste eingefunden. Im Gegensatz zu seiner vorherigen Ankunft beachteten die wenigen, die ihn überhaupt bemerkten, ihn nicht sonderlich. Nach einem kurzen Blick durch den Raum erkannte er einen grimmig dreinblickenden Molokosh, auf den Daniel beruhigend einzureden schien. Am Tisch des schwarzhaarigen Drachen saßen noch zwei der braunhaarigen, die leicht nervös um sich schauten. Hatten sie etwas tatsächlich so viel Angst vor den Engeln? Dakkas erschienen sie mehr als Wichtigtuer, zumindest die Exemplare, denen er heute begegnet war. Molokosh wirbelte seinen Kopf wütend herum, als Dakkas sich durch den Raum gewunden hatte und endlich ihm gegenüber auf einen Stuhl glitt. „Wo warst du?“, zischte der Drache, noch bevor sein Hintern den Stuhl vollkommen berührte. Dakkas blinzelte. „Danke, ich habe einen sehr angenehmen Abend verbracht. Ja, das Wetter war angenehm, nein, ich habe nichts weiter aufregendes erlebt.“ Die einzige Antwort des Drachen auf seine schnippische Begrüßungsrede war ein intensives, ärgerliches Starren und ein leises, tiefes Grollen. Dakkas war nicht beeindruckt. „Es soll Kräuter geben, die gegen diese Art von Husten helfen.“ Beim Anblick der immer nervöser werdenden braunhaarigen Drachen und einem verzweifelt aussehenden Daniel seufzte der Grünäugige und rollte mit den Augen. „Molokosh. Ich wage zu behaupten, dass ich in der Lage bin einen Fuß vor den anderen zu setzen ohne, dass man mich dabei stützen müsste.“ „Nur weil du es kannst sollst du es aber noch lange nicht tun.“, war die Antwort des Drachen. „Wenn du ernsthaft erwartest, dass ich den ganzen Tag in diesem Gebäude verbringe, muss ich dich leider enttäuschen. Zumindest ohne guten Grund werde ich das nicht tun.“ Dakkas verschränkte die Arme vor seiner Brust und starrte den Drachen zurück an. Daniel murmelte etwas auf Drakonisch und wandte seinen Blick von den Beiden ab. Molokosh brach sein böses Blicken ab, als ihm klar wurde, dass es ohne Erfolg blieb. Seine Finger trommelten auf dem Holztisch während er nachzudenken schien. „Du erinnerst dich an nichts mehr von dem, was in dem Ausgrabungslager war?“ „Nein. Ich erinnere mich an gar nichts Konkretes.“ Verwirrt runzelte Dakkas seine Stirn. „Was ist los?“ Molokoshs Finger stoppten ihr Trommeln und dem Drachen entfuhr erneut ein tiefes, kehliges Grollen. Die beiden Braunhaarigen neben ihm warfen sich nervöse Blicke zu und selbst die an den Nachbartischen sitzenden Tavernengäste schauten verängstigt herüber. Ein tiefes, brummendes Grollen von einem Drachen war also ein Warnzeichen, merkte Dakkas sich geistig und wartete auf die Antwort des Schwarzhaarigen. „Die Engel im Tempel hätten uns fast in den Kerker werfen lassen. Aus irgendeinem Grund waren sie sehr… nervös, was das Ausgrabungslager anging. Irgendetwas ging da nicht mit rechten Dingen zu. Und sie waren sehr hellhörig darüber, ob es irgendwelche Überlebenden gab.“ Eis kroch in Dakkas Venen. Die Geräusche um ihn herum wirkten plötzlich so, als wenn sie von weit her kämen. Selbst Molokoshs Form verschwand aus seinem Sichtfeld, wurde schwammig und nebulös. Entfernt nahm er wahr, wie der Mund des Drachen sich bewegte, aber die Bedeutung und Klänge der Worte, die sich dabei formten, entglitten ihm. Was hatte er da gemacht? Und warum hatte es den Erdrutsch überhaupt gegeben?! Ein Hand berührte seine Schulter, aber er schüttelte sie ab. Es war fast so, als wenn eine unendlich große Menge an… Informationen direkt vor ihm lag und dennoch unerreichbar war. Die Welt war unwichtig, er musste diese Informationen haben. Dieses Wissen haben. Er musste… Doch er erreichte das Wissen nicht, als wenn ihn eine Mauer von ihm trennte. Eine unzerstörbare Mauer, die er nicht überwinden konnte. Er kam sich vor, als wenn er blind wäre. „Halmsdorf.“ Die Stimme war laut, deutlich und schnitt durch den Schleier, der sich über ihn gelegt hatte. Nach und nach kehrten die Geräusche der Taverne zurück, das Brummen, Lachen und Reden der Gäste, das Klirren der Gläser. Dann kam sein Sichtfeld wieder dazu, Farben und Formen – und zwei graue Augen, die ihn anstarrten. „Nostradamus?“ Der grauäugige Drache war anscheinend hereingekommen von… wo auch immer er gewesen war und lehnte sich an den Tisch neben Dakkas, seinen Rücken zu seinem Bruder gewandt. Er hatte sich hinab und zur Seite gebeugt, so dass er dem kleineren Grünäugigen direkt ins Gesicht blickte. „Wir gehen nach Halmsdorf.“ Die Stimme des Drachen war anders, als Dakkas sie vorher erlebt hatte. Nicht so tief und bedrohlich und sie erschien… klarer als vorher. „Nostradamus, was soll das heißen, wir gehen nach Halmsdorf?“ Der Einwand seines Bruders wurde von dem Grauhaarigen überhört. „Was gibt es in Halmsdorf, Nostradamus?“, fragte Dakkas seinerseits. „Einen Mann, dem du es erlaubt hattest, einen Teil von dir kennen zu lernen. Er wird uns weiter helfen können.“ „Warum redest du hier kontinuierlich von einem ‚wir’, Nostradamus?“ Erneut wurde Molokosh außen vor gelassen. „Woher weißt du das?“ Nostradamus lächelte leicht. „Ich kann Dinge wissen. Aber wenn ich sie weiß, erkenne ich das hier und jetzt nicht mehr. Und wenn ich das hier und jetzt erkenne, weiß ich die Dinge nicht mehr.“ Dakkas runzelte seine Stirn und nickte langsam. „Du bist ein Seher.“ Nostradamus lächelte und ließ sich im Stuhl neben ihm nieder. Dann endlich wandte er sich seinem Bruder zu. „Es ist zu spät, um uns von ihm zu trennen, Bruder. Du hast vieles ins Rollen gebracht, als du ihn gerettet hast.“ Nostradamus Stirn runzelte sich. „Ich kann noch nicht sagen, ob es besser gewesen wäre, ihn sterben zu lassen. Bequemer wäre es auf alle Fälle gewesen aber… bequem ist nicht immer das richtige.“ Nostradamus stilles Lächeln wurde von einem frustriertem und verwirrten Blick seitens Molokosh, einem nervösen seitens der drei anderen Drachen und einem etwas ängstlichen seitens Dakkas begleitet… Warum hätte es besser sein können, wenn er gestorben wäre? ------------------------------- Früh am nächsten Morgen hatte er zwar immer noch keine Antwort auf diese Frage, aber ein festes Ziel vor Augen: Halmsdorf, eine Stadt mittlerer Größe die etliche Tagesreisen von Kish-Laro entfernt war und weiter in die Herzlande des Engelreiches hinein lag, jedoch nicht so weit, dass man von absolutem Hoheitsgebiet der weißen Engel sprechen konnte. Molokosh und Nostradamus hatten sich, lange in die Nacht hinein, beraten. Dakkas war nur ein stummer Zeuge der Beratschlagungen gewesen, ebenso wie Daniel. Wie es schien machten die Brüder alle wichtigen Entscheidungen unter sich aus und Dakkas sah keinen Grund, sich einzumischen – obwohl es um ihn ging. Überhaupt war er überrascht, wie ruhig er war an diesem Morgen. Die braunhaarigen Drachen – welche Cocak’ba Söldner waren, was auch immer das bedeuten mochte – waren von Molokosh entlassen worden. Stattdessen würden sie ihre Reise zu viert fortsetzen: Die Brüder, Daniel und Dakkas. Damit waren sie eine kleinere Gruppe, die schneller reisen konnte und sich vor allem leichter versteckt halten konnte. Außerdem vertrat Nostradamus die Meinung, dass die Söldner ihnen eh keine Hilfe sein würden, würde tatsächlich etwas passieren. Nostradamus. Ein Rätsel für sich. Von Daniel hatte Dakkas erfahren, dass der Grauhaarige Drache nicht ganz… normal war. Die meiste Zeit über war er schweigsam, mies gelaunt und leicht zu irritieren. Hin und wieder wurde er ansprechbarer und half seinem Bruder dank seiner seherischen Fähigkeiten. Aber egal ob er ansprechbar oder nicht wirklich ansprechbar war, anscheinend war er immer etwas… exzentrisch. Einige seiner Sätze sollten absolut keinen Sinn ergeben und viele seiner Taten ebenfalls nicht. Molokosh schätzte ihn als seinen Bruder und jeder Drache wusste um und schätze sein Talent für Blicke in die Zukunft, aber keiner wollte lange in seiner Gegenwart sein. Dem konnte sich der Grünäugige nur anschließen. Der Drache war ihm unsympathisch, nicht zuletzt wegen seiner Kommentare darüber, dass man ihn auch gut hätte sterben lassen können. „Nur weil ich kleiner bin als ihr bin ich nicht gleich wehrlos.“, murmelte Dakkas, als die Drachen das Gepäck unter sich aufteilten und ihm nur einen kleinen Beutel mit Karten und Ähnlichem gaben. Daniel lächelte. „Das habe ich selbst gesehen, aber du solltest dich noch nicht zu stark belasten. Es ist eh schon verwunderlich, dass du den Erdrutsch überstanden hast.“ Grummelnd folgte er dem Heiler, beließ es aber dabei. Zu viert durchquerten sie die Straßen Kish-Laros, bis sie schließlich durch das Nordtor hindurch waren und über eine schlecht gepflasterte Straße weiter marschierten. Es war früher Morgen und einige wenige Bauern, die nördliche Gehöfte hatten, waren bereits auf dem Weg in die Stadt, aber größtenteils war die Straße leer. Die Landschaft war genauso eintönig wie vorher und Langeweile schien der größte Feind zu sein, den sie während der Reise haben würde. Die Reise würde diesmal länger dauern, Halmsdorf lag ein gutes Stück weiter nordwestlich, mindestens einen zwei Wochen-Marsch entfernt. Das enthielt zwei Wochen unangenehmen Schlafens auf dem Boden. Wenigstens waren die Temperaturen gut genug, dass man nicht frieren musste, obwohl Dakkas nachts eine dünne Decke bevorzugte. Er lief am Ende der kleinen Gruppe, vor seinen Augen Daniels Rücken. Er war plötzlich mies gelaunt und starrte gedankenversunken vor sich hin. Hin und wieder spürte er das kalte Metall des Dolches, den er am Markt dann doch noch erstanden hatte, an seinem Handgelenk. Er hatte ihn mit einem Stückchen Leder, dass er in Daniels Beutel gefunden hatte, an seinem Unterarm festgebunden. Das erschien ihm als bester Platz für die kleine Waffe, die er solange wie möglich versteckt halten wollte. Er wusste zwar nicht wieso, aber es war wichtig, dass niemand die Waffe sah. Sie waren bereits fünf Tage unterwegs und die Landschaft begann langsam, sich zu verändern und grüner zu werden, als Dakkas zum ersten Mal bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Er bekam leichte Kopfschmerzen und die Welt schien für einige Sekunden kurz zu schwanken, aber das war schnell vorbei und auch die Kopfschmerzen ließen nach wenigen Minuten wieder nach. Sicherlich kein Grund, um Daniel zu beunruhigen. Der Heiler war sowieso viel zu ängstlich, was den Gesundheitszustand seiner Reisebegleiter anging und Dakkas kam nicht umhin, sich zu fragen, woran das lag. Das zweite Mal passierte es einen Tag später, als die ersten Ausläufer eines Gebirges in der Ferne sichtbar wurden und sie auf einen Hügel zumarschierten, über den sich die Straße wand. Inzwischen trafen sie vereinzelt auf kleinere Gruppen von Bäumen und Büschen, gepaart mit der ein oder anderen Abzweigung der Straße. Zwei Mal war ihnen eine Gruppe Händler entgegen gekommen, beide Male schwer beladen und mit dicken Stoffplanen, welche die Karren umspannten und vor neugierigen Blicken anderer schützten. Beide Male waren die Drachen wortlos an den Händlern vorbei gelaufen, während die Händler sie argwöhnisch gemustert hatten. Beide Male hatte Dakkas, kurz nachdem die Händler aus dem näheren Umfeld weg waren, laut seufzen müssen. Wofür Nostradamus ihm beide Male einen bösen Blick geschickt hatte. Drachen waren kompliziert. Am Tag nach dem zweiten Kopfschmerzanfall wachte Dakkas abrupt auf und stürmte aus dem einfachen Zelt, das Daniel für sie beide mit trug. Kaum außerhalb des Zeltes taumelte er an einem besorgt dreinschauenden Molokosh vorbei und übergab sich am nächsten Busch. „Dakkas?!“, rief der schwarzhaarige Drache und Daniel steckte schlaftrunken seinen Kopf aus dem Zelt heraus. Der Betroffene schnappte nach Luft und würgte noch ein paar Mal, bevor die Übelkeit in seinem Magen sich wieder legte und er zitternd und fröstelnd einen Schritt von dem Busch wegtrat. Daniel reichte ihm sofort einen Wasserschlauch. „Trink ein paar Schlucke, aber langsam. War dir gestern schon übel?“ Dakkas schüttelte seinen Kopf und nahm ein paar Schlucke des Angebotenen. Fast sofort fühlte er sich besser und die letzten Reste der Übelkeit verschwanden. „Geht schon wieder.“, jappte er und schlang einen seiner Arme um sich selbst. Natürlich entging dem Heiler diese Geste nicht. „Ist dir kalt?“ Dakkas nickte. „Hast du noch irgendetwas anderes? Schwindelgefühle? Kopfschmerzen? Konzentrationsprobleme? Probleme beim Atmen?“ „Nein… ich… Schwindel und Kopfschmerzen, aber nur leicht und kurz, die letzten Tage.“ „Die letzten TAGE?“, brummte sofort Molokosh, während aus dem Zelt der Brüder ein sich beschwerender Ruf von Nostradamus kam. „Och halt doch die Klappe!“, rief Dakkas zurück und überraschte damit alle Anwesenden, sich selbst eingeschlossen. Daniel kramte einige Kräuter aus seinem kleinen Tragebeutel hervor und gab sie Dakkas. „Normalerweise sollte man sie zu einem Tee aufkochen, aber ich denke, du kannst sie auch einfach kauen und schlucken.“ Der Grünäugige nahm die dargebotenen Pflanzen und beäugte den Heiler skeptisch. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich habe oder gibst du die Kräuter einfach nur auf gut Glück?“ Daniel lächelte. „Ich bin ein HeilZAUBERER. Wenn ich mich konzentriere und meine Kräfte benutze, kann ich die Lebensenergien deines Körpers… lesen, sozusagen, und somit herauskriegen, was falsch ist.“ „Ah. Interessant. Und was ist falsch?“ Dakkas machte keine Anstalten, die Medizin zu sich zu nehmen, bevor er nicht genau wusste, was Sache war. Der Heiler seufzte. „Deine Energien sind alle durcheinander. Das waren sie schon als wir dich fanden, aber sie verschlechtern sich. Das Kraut sollte mit den Symptomen helfen. Wir können nichts machen als abwarten und hoffen, dass deine Energien sich wieder ausbalancieren.“ „Na wunderbar.“, murmelte der kleinere daraufhin und steckte sich das Kraut in den Mund. Es schmeckte bitter, sehr bitter und fast hätte er es wieder ausgespuckt. Nach einigen Bissen aber wandelte sich der Geschmack in etwas süß-säuerliches, was zwar auch nicht angenehm, aber wenigstens besser war. „Also ist es im Prinzip nur ein Schock, was er hat?“, fragte Molokosh eine halbe Stunde später, als sie wieder am marschieren waren. Daniel nickte. „Ja. Ich kann aber nicht sagen, wie lange es andauert oder wie schlimm es noch wird.“ Dakkas, der hinter ihnen lief, verzog sein Gesicht zu einer Grimasse und blieb still. Er war garantiert kein Heiler gewesen vor der Amnesie, aber sein Gehirn sagte ihm eines ganz genau: Ein Schock trat kurz nach dem Ereignis ein und verschwand dann wieder. Dieses Ding hier baute sich aber erst langsam auf. Irgendetwas war also komisch. Die nächsten zwei Tage gab Daniel ihm dreimal täglich, zu den Mahlzeiten, eine Portion des widerlichen Krauts, das anscheinend „Bitternelke“ hieß. Er beschwerte sich nicht und schluckte es, auch wenn es ihm am zweiten Tag Nachmittags trotzdem schlecht ging und eine leichte Übelkeit in ihm aufstieg. Von Daniels besorgtem Blick alle paar Minuten schloss er, dass seine ‚Energien’ sich weiterhin nicht beruhigen wollten. Als sie am Anfang eines kleinen Wäldchens ankamen, durch welches die Straße direkt auf einen Berg hinzuführte, stoppte Molokosh ihren Marsch vorzeitig und ließ sie ein Lager etwas abseits der Straße, im Schatten der Bäume, aufschlagen. Ihre Wasserschläuche waren im Prinzip leer und Molokosh machte sich auf den Weg, um sie aufzufüllen in einem nahe gelegenem Fluss. Nostradamus setzte sich unter einen Baum, lehnte sich an die runde und schloss seine Augen. Übrig blieben noch Daniel, der kritisch seinen Kräuterbeutel begutachtete und verkündete, dass er einige Dinge im Wald suchen gehen würde, und Dakkas, dem schon wieder übel war und der sich vorsichtig auf einen Stein setzte. Ein sanfter Lufthauch fuhr durch den Wald und die Blätter der Bäume raschelten in den Ästen. Daniel war hinter den Baumstämmen verschwunden, ebenso wie Molokosh. Da Nostradamus ihn nicht weiter beachten zu schien musterte Dakkas seine Umgegend. Gras, Bäume, Büsche, Straße. Es war nicht gerade ein aufregender Anblick. Überhaupt war die ganze Reise extrem langweilig. Seine Reisegefährten redeten kaum mit ihm und es gab auch keine Abwechslung währenddessen. Einzig und allein die Landschaft hatte sich in den letzten Tagen verändert und dafür war er schon dankbar. Noch mehr von dieser braunen Einöde hätte er nicht ertragen – aber deshalb nannte man die Gegend ja „Ödlande“: Weil sie ein öder Landstrich waren. Das hieß aber nicht, dass man sie mögen musste. „…Dan…“ Dakkas Körper zuckte. Was war das gewesen? Hatte da jemand etwas gesagt? Ein Blick zu Nostradamus verriet, dass der Drache immer noch mit geschlossenen Augen an den Baum gelehnt war und angenehmeres zu tun hatte als den Grünäugigen zu ärgern. Von den beiden anderen waren nirgends etwas zu sehen. Der Rest der Landschaft war ebenfalls unverändert: Gras, Bäume, Straße. Aber er hatte doch etwas gehört! „…Dan…“ Es hörte sich an, wie eine Stimme. Sie war schwach und schien aus großer Entfernung zu kommen. Vielleicht war jemand im Wald? In den anderen Richtungen konnte er nichts entdecken und das Land war zu eben, als das sich jemand verstecken konnte. Nur wenige Hügel waren in der Gegend verstreut und diese zu weit entfernt, als das eine Stimme so weit hörbar gewesen wäre. „…Dan!“ Es war eine männliche Stimme, aber… irgendwie klein, fast kindlich. Was hatte ein Kind hier zu suchen? Und woher kam diese Stimme? Egal, wie oft er sich auch umschaute, da war niemand. So langsam machte sich ein mulmiges Gefühl in ihm breit. „Dan.“ Es gab kein Rascheln, keine wegknickenden Zweige oder zur Seite gebogenen Äste. Von einem Moment auf den anderen stand plötzlich eine kleine, schwarze Gestalt zwischen zwei Bäumen neben Nostradamus und blickte Dakkas aus den Tiefen ihrer Kapuze bittend an. „Dan?“ Dakkas war wie festgefroren. In den Händen der Gestalt ruhte eine große, schwarze Sense, was an sich bedrohlich hätte wirken können. Jedoch war die Sense fast doppelt so groß wie die kleine Figur und so erschien das Ganze eher lächerlich. Dennoch überkam ihn ein böses Gefühl beim Anblick der Gestalt. Fast ohne sein zutun stand er auf und trat einen Schritt zurück. Die Gestalt schien näher an ihn heran kommen zu wollen, stoppte sich jedoch. „…beeilen… Dan,… Probleme…“ Unter der Kapuze schaute ein blasser Mund hervor, der sich angestrengt bewegte, doch war es Dakkas so, als wenn er nur Bruchstücke von dem hören konnte, was eigentlich gesagt wurde. Die Gestalt schien dies auch zu bemerken, denn ihre Bewegungen wurden energischer und die wenigen Worte, die Dakkas verstand, verzweifelter. „… beeilen… Drachen… nicht… Schutz… Dan!“ Am Ende war der Ton fast flehend und ein Zucken ging durch den Körper der Gestalt. Sie klammerte sich an die Sense und verkrampfte sich. „… Halmsdorf… Seher… nicht… vertrauenswürdig. Drachen…“ Die Angst in Dakkas legte sich wieder. Wer auch immer diese Gestalt war – oder was – sie wollte ihm auf alle Fälle nichts Böses. Und wenn er sie richtig interpretierte, warnte sie ihn vor Nostradamus. Nun, dass der Drache nichts Gutes verhieß hatte er sich schon vorher gedacht. Vorsichtig machte er einen Schritt auf den Robenträger hinzu, doch in diesem Augenblick flackerte die Erscheinung, als wenn sie ein Spiegelbild war, das kurzzeitig verschwand. „Keine Zeit… finden… Prinzen… musst… Drachenprinz… finde… hilf…“ „Wenn soll ich finden? Was?!“, fragte der Grünäugige, nun mit gewecktem Interesse, doch die Gestalt flackerte noch einige Male mehr und verschwand. In Windeseile stand Dakkas an der Stelle, an der vor wenigen Sekunden noch das Wesen war, doch es gab keine Anzeichen, dass überhaupt jemand dort gewesen wäre. Verwirrt schaute der Schwarzhaarige sich um, doch konnte er nichts merkwürdiges oder außergewöhnliches entdecken. „Was tust du?“, fragte dann plötzlich eine grollende Stimme zu seiner Seite. Aufgeregt blickte er in die grauen Augen Nostradmus, aber die Worte erstickten in seiner Kehle. Was auch immer hier gerade vor gefallen war, er war sich sicher, dass er dem Drachen nichts davon berichten wollte. Der Seher war ihm unheimlich, noch unheimlicher als die Gestalt, welche er gerade gesehen hatte. „Nichts, Nostradamus. Ich dachte… ich hätte etwas gesehen hier.“ Der Drache erschien davon überzeugt zu sein, kommentierte allerdings nicht weiter und schloss wieder seine Augen. „Dann sei bitte leise.“, war das letzte, was er sagte, bevor er sich wieder seinen Gedankengängen widmete. Dakkas kehrte zurück zu seinem Stein. Was war das für ein Wesen? Was hatte es von ihm gewollt? Was bedeutete ‚Dan’? Und wen sollte er finden und was hatte ein Drachenprinz damit zu tun?! Diese Fragen packte er zu seiner immer größer werdenden Liste an Fragen hinzu. Für ihn gab es nur fragen, wie es schien – Wo kam er her, was war er, wer war er, was wollte er in dem Ausgrabungslager, warum hatte er überlebt, hatte er eine Familie, was sollte er als nächstes tun… Die Fragen waren endlos. Und Antworten schien es nicht zu geben. Er legte seinen Kopf in seine Hände. Das war zum Haare ausreißen und schreien. Zu allem Überfluss war ihm jetzt auch wieder schlecht und er bekam erneut Kopfschmerzen. Konnte er nicht wenigstens von denen verschont bleiben? War Amnesie nicht genug? Musste er auch noch diese dummen Schmerzen kriegen? Er atmete in tiefen Zügen ein und aus. Sich selbst bemitleiden würde jetzt auch nichts bringen, sagte er sich selbst. Er musste einen klaren Kopf bewahren, wenn er überhaupt schlau aus dem werden sollte, was hier passierte. Zuerst musste er nach Halmsdorf gelangen. Auch wenn dieser Hinweis nur von einem komischen Seher kam, so war es doch der einzige, den er hatte. Was auch immer es dort in Halmsdorf gab, es musste ihm einfach helfen. Und vielleicht würde er unterwegs noch etwas mehr über seine drakonischen Begleiter herausfinden können. Und diesen komischen Drachenprinz, den dieses Wesen so wichtig fand. Vielleicht sollte er auch erst einmal etwas über das Wesen herausfinden. So viele kleine Wichte in schwarzer Kutte und mit großer Sense konnte es ja nicht geben. ------------------------- A/N: Ich möchte mich ganz herzlich für eure Kommentare bedanken! Ich hoffe, dass mein Schreibstil nicht mit der Zeit schlechter wird und ihr weiterhin interessiert bleibt. Es könnte sein, dass zwischen den Updates mal längere Zeitperioden liegen, aber momentan widme ich diesem Original meine größte Aufmerksamkeit... also kann man hoffen! Noch mal vielen vieln Dank für eure Kommis Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)