Reise ins Unbekannte von Ixana (Ein Breath of the Wild-MSP) ================================================================================ Prolog: Offene Fragen und blanke Karten --------------------------------------- Das Erste, was ich wahrnehme, ist das ferne Gezwitscher von mir nicht bekannten Vögeln, ehe ich tatsächlich die Augen öffne – und mehrmals blinzeln muss, bevor ich den strahlend blauen Himmel über mir sehe. Doch dieser fast schon friedvolle erste Eindruck verfliegt rasch, denn in meinem Rücken drückt es unangenehm. Kein Wunder, offenbar scheine ich irgendwo zu liegen. Warum liege ich überhaupt hier, und wo ist hier überhaupt? Was ist hier los? Fast, als wollte ich mir diese Fragen selbst beantworten, setze ich mich ruckartig auf. Wie komme ich hier in die freie Natur? Und vor allen Dingen woher? Der sich mir eröffnende Anblick in einiger Entfernung lässt die Verwirrung für einen Moment stillem Erstaunen weichen. Schloss Hyrule? Woher ich weiß, dass das Schloss Hyrule ist? Eine weitere Frage, für die wohl keine einfache Antwort vorgesehen scheint, denn ich kann tatsächlich nicht sagen, woher ich dieses majestätische Gebilde kenne. Es ist von dunklen, nebligen Schwaden umgeben, die um das Schloss zu kreisen scheinen – oder ist es der Wind, der sie umherträgt? Auf diese Entfernung ist das schwer zu sagen. So faszinierend der Anblick des Schlosses auch ist, ich muss mich von dieser Pracht loseisen – auch wenn ich es vermutlich stundenlang anstarren könnte. Statt also weiter mit offenem Mund dazusitzen und das von dunkler Energie umgebene Schloss anzustarren, ist nun die unmittelbare Umgebung an der Reihe – und das irritiert mich noch mehr als vorhin. Offenbar habe ich mir einen großen Felsen für mein Nickerchen ausgesucht. Kein Wunder, dass es so unbequem war...wer schläft schon gern auf harten Steinen? Wenigstens haben die Rückenschmerzen so ein Ende, so mein weiterer Gedankengang. Das erklärt allerdings immer noch nicht, wo genau ich hier bin und warum. Auch nicht die links in einiger Entfernung sichtbaren Steinruinen, oder etwas, das wie ein sehr verfallener Unterstand und ein Durchgang aussehen in genau der anderen Richtung. Sicher, die Namen dazu fallen mir recht schnell ein...die Ruinen des Möwendorfs und einer Ranch in der Nachbarschaft dieser Ruinen – aber...warum um alles in der Welt weiß ich diese Dinge? Warum bin ich überhaupt hier und habe auf einem Felsen geschlafen? Als ich die Augen kurz gen Himmel richte, um über diese – etwas sarkastisch betrachtet – eveeentuell wichtigen Fragen und deren mögliche Antworten nachzudenken, ziehe ich am Ende nur eine blanke Karte nach der anderen. Es gibt keine Antworten. Nada. Mein Kopf scheint diesbezüglich wie leergefegt, nur die drei Anhaltspunkte zu meinem derzeitigen Aufenthaltsort zeichnen ein sehr grobes Bild meines aktuellen Aufenthaltsortes. Ich muss mich irgendwo auf der Ebene von Hyrule befinden. Saftige, unberührt wirkende Wiesen, nur unterbrochen von den mir bekannten Ruinen und...ist das da hinten ein äsendes Reh? Viel zu viele neue Eindrücke, viel zu wenige Antworten auf die Fragen, die sich mir seit dem Erwachen aufdrängen und meine Gedanken auf eine wahre Irrfahrt durch meinen großteils wissensleeren Kopf schicken. Es muss doch etwas geben, an das ich mich sonst noch erinnere, verdammt noch eins! Doch die erhofften Geistesblitze bleiben leider aus. Verdammt nochmal, streng deinen Kopf an...das gibt’s doch nicht. Das Ganze klingt in meinem Oberstübchen eher mürrisch bis schlecht gelaunt, denn es ist wirklich zum Haareraufen. Nicht zu wissen, warum ich hier bin und wie ich überhaupt hierher komme, ist ein Umstand, der mir absolut nicht in den Kram passt. Ändern kann ich daran aber erst einmal nichts. Sich selbst zu etwas zu zwingen, erscheint mir in der aktuellen Situation unangebracht und ich verschiebe die gefühlt tausend Fragen auf später. Vielleicht finde ich ja irgendwo jemanden, der mir weiterhelfen kann. Oder... Ich werfe einen Blick auf die felsige Oberfläche zu meiner Rechten und lege den Kopf noch weiter in die gleiche Richtung, verwundert über den Anblick. Huh? Das dort neben mir liegende Holzschild wirft wieder eine Frage mehr auf, ebenso wie das Schwert, das fein säuberlich aufgereiht daneben liegt. Abgerundet wird diese seltsam anmutende Auswahl an Gegenständen von einem einfachen Rucksack unterhalb des Schilds. Ist das Leder oder Stoff? Und überhaupt, wer hat das hier so platziert? War ich das? Bin ich vielleicht ein Abenteurer? Wenn ja, würde das zumindest die ganze Ausrüstung erklären – aber nicht, warum ich hier auf einem Felsen aufgewacht bin, von all den anderen offenen Fragen ganz zu schweigen. Vielleicht ist es die Neugier, die mich plötzlich packt, eventuell aber auch die Hoffnung auf Antworten, aber ich will mir den Rucksack genauer ansehen. Am Ende findet sich vielleicht wirklich noch etwas Nützliches darin – doch etwas anderes lässt mich mitten in der Greifbewegung innehalten. Was ist das denn? Schon wieder eine Frage, auf die es vermutlich keine Antwort geben würde. An meinem rechten Handgelenk befindet sich ein Band - per se erstmal kein Problem. Es scheint sich um ein Lederband zu handeln – zumindest fühlt es sich zum Teil so an, als ich mit den Fingern der anderen Hand prüfend darüber streiche. Die Oberfläche jedoch hat eine leichte Vertiefung und kurz meine ich, ein Auge mit drei stilisierten Wimpern auf der Ober- und einer Träne auf der Unterseite zu sehen. Es kommt mir auf eine Art und Weise vertraut vor, die ich nicht einordnen kann. Kenne ich es vielleicht von irgendwo? Das Auge ist allerdings so schnell verschwunden, dass ich keine Zeit habe, es genauer zu betrachten. Vielleicht war es auch nur eine Einbildung. Statt dessen werden mir neue Symbole angezeigt – vier rote Herzen und ein seltsamer, grüner Kreis sind zu sehen. Kurios...sieht aber aus als wäre es wichtig, denke ich so vor mich hin. Wozu genau diese Herzen und der Kreis gut sein sollen, weiß ich nicht – aber wie gesagt, sie sehen wichtig aus. Von Neugierde getrieben berühre ich die Vertiefung – den...Bildschirm – mit der komischen Anzeige; erneut verändert sich das Ganze und weicht einer Art Karte. Endlich etwas Nützliches! Das sollte jetzt nicht heißen, ein Schwert, Schild oder Rucksack wären nicht nützlich, aber eine Karte ist wenigstens hilfreich darin, mir den Weg zu zeigen. Es ist nämlich weit und breit keiner zu sehen...nun, außer vielleicht dem Reh von vorher. Vorsichtig, um nur ja nichts kaputtzumachen, probiere ich aus, was ich mit dieser Karte machen kann. Mit einem Finger kann ich sie in jede beliebige Richtung schieben und sie sogar vergrößern oder verkleinern, indem ich zwei Finger benutze, aber es gibt ein großes Manko: Ich kann die Schrift nicht lesen – wenn es überhaupt eine Schrift sein soll. Für mich sind das eher geometrisch angehauchte Formen mit Strichen und Punkten, die aneinandergereiht wurden. Nichts, was man wirklich lesen könnte – das macht auch die Karte nur halb so nützlich und ich beiße mir kurz frustriert auf die Unterlippe. Wie beim grünen Gras der Hyrule-Ebene soll ich denn jetzt überhaupt irgendwo hin finden?! Das ist doch... Der Rest meiner inneren Frust-Schimpftirade verflüchtigt sich in chaotischen, nicht jugendfreiem Gefluche auf alles Mögliche und ich nehme mir den Rucksack auf den Schoß, um dessen Schnallen zu öffnen. Ein paar dickere Lederschnüre baumelt daran herunter – wozu auch immer die gut sein sollen. Unwirsch wühle ich in dem Rucksack herum und ziehe zuerst ein Fläschchen mit einer dunkelgrünen Flüssigkeit darin hervor. Sie ist fest verkorkt und da ich gerade nicht erpicht darauf bin, mir noch mehr unbeantwortete Fragen aufzuladen, packe ich es wortlos wieder ein und krame weiter darin herum. Viel befindet sich scheinbar nicht in dem Rucksack, denn ich ziehe zwei in Wachspapier eingewickelte Spieße daraus hervor. Der Geruch verrät, dass es sich um irgendeine Art Fleisch handelt. Außerdem läuft mir noch ein kleines Ledersäckchen über den Weg. Wieder einmal kickt ungewollt die Neugier, und ich öffne ihn kurz. Es handelt sich um Rubine – die Währung in Hyrule. Wie viele es jedoch sind, weiß ich vom bloßen Hineinschauen nicht, und will es auch nicht wissen. Vielleicht wartet nur wieder eine neue Enttäuschung darauf, aufgedeckt zu werden. Ich wühle noch ein wenig in dem Rucksack herum und ziehe schließlich noch etwas hervor. Es scheint sich um ein steinernes Bruchstück zu handeln – wovon genau, kann ich leider nicht erkennen, nehme das Ding aber trotzdem etwas genauer unter die Lupe. Ganz schwach ist etwas auf einer Seite zu erkennen...vielleicht eine Art Gravur? Sicher bin ich mir nicht. Überhaupt gibt dieses Steinding mir noch mehr Rätsel auf. Kopfschüttelnd packe ich auch dieses Kleinod wieder in den Rucksack zurück. Wieso fallen mir manche Dinge auf Anhieb ein, während ich nichtmal die einfachsten Fragen wie die nach meiner Herkunft, dem Grund für meine Anwesenheit oder, was auch wichtig wäre, vielleicht sowas wie einem Namen beantworten kann? ...egal bringt nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, sorgt nur für mehr Frust..., murre ich gedanklich in mich hinein und bin froh, dass sonst niemand hier zu sein scheint. Nun, außer vielleicht einer kleinen Heuschrecke, die jedoch sofort wieder davonspringt. Ich stelle den Rucksack wieder beiseite und starre dabei kurz auf die Hose, der ich bis jetzt keine wirkliche Beachtung geschenkt habe. Es scheint sich um robusten, hellen Stoff zu handeln und meine Augen wandern fast wie von alleine weiter nach unten. Meine Füße stecken in einem Paar Lederstiefel, die etwas unterhalb meiner Knie enden. Meine Neugierde innerlich verfluchend mache ich mich daran, den Rest der Kleidung zumindest mit den Händen zu ertasten und zu betrachten, soweit es möglich ist. Der robuste Stoff in Rot- und Grüntönen, ergänzt von einem ledernen Brust- und einseitigen Schulterschutz lässt für mein frustgeplagtes Gehirn nur einen Schluss zu: es muss sich um in Hyrule verbreitete Rüstungsteile handeln, auch wenn mir der genaue Name des Ganzen gerade nicht einfallen will. Anders kann ich mir diesen Aufzug nicht wirklich erklären. Zumal es immer noch nicht wirklich aufklärt, was ich hier zu suchen habe.   Doch Moment...was ist das? Etwas Rundes, Silbernes fällt mir ins Auge und ich nehme es vorsichtig zwischen die Finger der rechten Hand. Ein Ring mit noch mehr nichtssagenden, schnörkeligen Zeichen an einer Kette. Ring...Ring... Fakt ist, es klingelt bei diesem Ring in meinem Hinterkopf – auch wenn ich nicht genau sagen kann, warum. Hergeben würde ich ihn vermutlich um keinen Preis der Welt. Was es wohl mit diesem...huh? Weiß die Heuschrecke warum, aber wie um alles in der Welt ich eine Brille auf meiner Nase bis jetzt übersehen habe, ist mir ein Rätsel, immerhin ist der schwarz-violette Rahmen nicht wirklich zu übersehen. Irgendein dummer Spruch mit Wald und Bäumen schießt mir kurz durch den Kopf und ich schiebe das gute Stück vorsichtig meine Nase hoch, sodass ich wenigstens das Gefühl habe, dass sie wieder richtig sitzt. Warum habe ich eine Brille? Sehe ich schlecht? Wieder ein paar Fragen mehr, auf die es erstmal keine Antworten geben wird. Irgendwoher kenne ich das Ding auf jeden Fall, doch wie schon bei dem Ring gibt es da nicht mehr als das sprichwörtliche Klingeln im Hinterkopf und den Drang, das gute Stück nicht hergeben zu wollen. Fast, als würde diesen beiden Dingen ein Schlüssel zu irgendwas innewohnen oder so. Genau sagen kann ich es nicht. Ehrlicherweise würde ich auf der anderen Seite schon gerne Antworten darauf haben, wo ich herkomme, wer ich bin und was meineeine hier in diesem Aufzug mit dieser Ausrüstung in der Nähe der Möwendorf- und Ranch-Ruinen zu suchen hat. Habe ich vielleicht eine bestimmte Aufgabe, die mich hierher geführt hat? Noch mehr Fragen, die sich mir aufdrängen wollen, doch ich kann nicht die ganze Zeit einfach nur hier herumsitzen, meine Besitztümer anstarren und hoffen, so irgendwelche Antworten zu finden. Ich...muss etwas tun. Vielleicht jemanden finden, der mir hilft – und sei es nur durch irgendeinen Hinweis auf egal was. Denn ewig werde ich diese Ungewissheit nicht aushalten – irgendwann kickt sicher wieder die verdammte Neugier, oder...nein. Angst ist nicht legitim – oder doch? Irgendwie schon, wenn ich so darüber nachdenke. Gewaltsam schiebe ich eben diese dummen Gedanken weg und mache das Schild mit den Lederschnüren am Rucksack fest, bevor dieser auf den Rücken wandert. Erst jetzt, wo ich beschließe, mich endlich mal vom Fleck zu bewegen, fällt mir auf, dass die Hose auch noch einen Gürtel mit einer Waffenhalterung besitzt. Prompt wandert das Schwert dorthin. Der runde Bronzeknauf und die gerade Klinge lassen kurz den Begriff des Reiseschwerts aufkommen – und die Frage, ob ich damit überhaupt umgehen könnte, ehe ich langsam und vorsichtig von meinem felsigen Bett 'klettere' und dann in Richtung Osten losmarschiere, erst einmal brav auf dem Weg bleibend. Stillstand bedeutet Rückschritt...und ich will hier nicht ewig festhängen... Dieser altkluge Gedanke wirkt vielleicht eher wie eine schlechte Ausrede als alles andere, aber ich will hier wirklich nicht ewig herumsitzen und meinen Gedanken nachhängen, das bringt außer Kopfschmerzen auf Dauer absolut nichts. Auch wenn ich gern noch ein wenig mehr gegrübelt hätte, aber irgendwie muss es weitergehen und vielleicht hilft Bewegung meinem extrem lückenhaften Gedächtnis eher auf die Sprünge, als sich den lieben langen Tag den Kopf zu zerdenken. Kapitel 1: Eine außergewöhnliche Begegnung ------------------------------------------ Mein Weg führt mich weiter in Richtung Osten – jedoch hüte ich mich davor, von den deutlich sichtbaren Reisepfaden abzukommen. Zumindest fürs Erste. Die Karte an – vielmehr in – meinem Lederarmband ist schließlich nicht wirklich hilfreich, dazu müsste man sie zuerst einmal lesen können. Egal, wie oft ich versuche, mir einen Reim darauf zu machen, und das Ding anstarre, die Zeichen wollen immer noch keinen wirklichen Sinn ergeben. Das einzig Nützliche ist die Tatsache, dass es mir ‚befestigte‘ Wege anzeigt, wo sich diese gabeln, und so weiter. Ich weiß zudem ehrlich gesagt noch immer nicht, was ich von dieser ganzen Situation überhaupt halten soll. Leise Zweifel kommen auf, ob ich überhaupt gut daran getan habe, einfach loszulaufen. Hätte ich vielleicht einfach genau da sitzenbleiben sollen? Wohl weniger. Statt mich wieder über mich selbst und die bisherigen Entscheidungen zu ärgern, folge ich einfach weiter dem Weg gen Osten und schaue mir die friedvoll-idyllische Landschaft an. Hier und da stehen Bäume auf den satten, grünen Wiesen, zuweilen dringt auch Vogelgezwitscher an meine Ohren.   Wäre ich nicht in dieser überaus bescheidenen Situation, hätte das eine ganz normale Wanderung an einem ganz normalen Tag sein können – aber dem ist leider nicht so. Die ganzen offenen Fragen schlagen doch ziemlich aufs Gemüt, um es freundlich auszudrücken und sehr zu meinem Leidwesen begegne ich niemandem, dem man vielleicht Fragen stellen oder um Hilfe bitten könnte. Weit und breit nur diese idyllische Kulisse; wäre Schloss Hyrule nicht von finsterem...was auch immer umwabert, würde das diese Idylle perfekt machen. So aber bleibt es einige Zeit beim status quo, und bei keiner Seele weit und breit außer ein paar Vögeln am Himmel – bis plötzlich etwas am Wegesrand meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich kann es nicht genau einschätzen, wie weit ich gelaufen bin, aber das sich bewegende Rascheln im Gras lässt mich verwundert innehalten und ich bleibe tatsächlich stehen. Wie gebannt folgen meine Augen dem sich bewegenden Gras, das sich definitiv nicht im Wind wiegt, sondern von etwas oder jemandem dazu gebracht wird. Was zur Heuschrecke ist das denn jetzt? Doch hoffentlich nicht... Ich schlucke leicht und mein Mund wird unangenehm trocken. Hier gibt es nicht nur harmlose Tiere, sondern auch nicht so harmlose Kaliber. Gefährliche Kreaturen wie Bokblin oder Oktorok kommen mir da als Erstes in den Sinn und ich schlucke erneut. Mir wird schmerzlich bewusst, dass ich potenziell einem von beiden hier jederzeit über den Weg laufen könnte. Was dann? Kämpfen? Weglaufen? Irgendwas dazwischen?   Die Gedanken finden vorerst ein jähes Ende, als sich aus dem Grad einige Meter entfernt etwas anderes herauslöst. Ein Steppenfuchs. Steppenfüchse gibt es ja auch noch...stimmt... Erleichtert atme ich aus und beobachte das Tier. Es läuft zur Mitte des Weges und so, wie es sich umschaut...sucht es vielleicht nach etwas? Ist das normal? Sicher bin ich mir nicht ganz, aber mein Bauchgefühl sagt mir dass nein. Müsste das Tier nicht eigentlich weglaufen? Eigentlich schon, oder? Sicher bin ich mir beim besten Willen nicht, aber spätestens, als der Fuchs direkt in meine Richtung sieht und die Ohren aufstellt, bin ich einen Moment versucht zu glauben, dass das Tier sicher gleich die Flucht ergreifen wird. Stattdessen passiert etwas Verwunderliches, denn es kommt direkt auf mich zugelaufen. Ich kann nicht anders, als das Ganze mit verwundert gehobenen Augenbrauen zu beobachten, und will dem Tier eigentlich eher aus dem Weg gehen. Nicht weglaufen oder so, einfach nur aus dem Weg, aber es rührt sich rein gar nichts; meine Füße gehorchen mir nicht – egal, was ich versuche. Wie angewurzelt stehe ich also gezwungenermaßen einfach nur da, als der Fuchs vielleicht maximal ein paar Schritte, schätzungsweise einen Meter von mir entfernt stehen bleibt. Was bei allen Grashalmen wird hier gespielt? Das ist doch kein normaler Fuchs...und wieso kann ich mich nicht bewegen? Hallo? Noch mehr Fragen, deren Antworten ich vermutlich erstmal hinten anstellen muss, doch was der Fuchs weiter tut, schlägt zumindest meinerseits dem sprichwörtlichen Fass den Boden aus. Er scheint mich zu betrachten, regelrecht zu mustern und ich meine, dass er seine gelblichen Augen auf eine Art zusammenkneift, die definitiv nichts mehr mit tierischem Verhalten zu tun hat. Dass er sich nun noch hinsetzt und den Kopf leicht neigt, macht das Ganze nicht besser.   „Du bist es, oder?“ Habe ich das gerade richtig gehört? Hat dieser Fuchs soeben...gesprochen? Das...das geht doch gar nicht. Füchse können nicht sprechen, definitiv nicht. Halluziniere ich gerade, habe ich mir vielleicht irgendwo den Kopf gestoßen? Ist das einfach nur ein Traum? Die Realität? Was zum Henker passiert hier gerade?   Wortlos und ungläubig starre ich das hübsche Tier einfach nur an – nicht in der Lage, das gerade irgendwie zu verarbeiten. Sprechende Tiere gibt es nicht – normalerweise. Oder ist das auch meinem lückenhaften Gedächtnis geschuldet? Unwahrscheinlich. Ich atme tief durch und versuche, wieder klar im Kopf zu werden. Nicht, dass das grundsätzlich einfach wäre, die allgemeine Situation macht zudem gefühlt fast alles irgendwie schwerer, als es sein sollte.   Etwas, das sich wie das Schnalzen einer Zunge anhört, sowie ein kurz darauf folgendes Seufzen lässt meine Aufmerksamkeit weiter auf den Fuchs vor mir gerichtet. Noch mehr Dinge, die das Tier eigentlich nicht können dürfen sollte, denn ich selbst habe definitiv nichts gesagt oder getan und hier ist sonst keine Menschenseele. Das Einzige, was hin und wieder aufkommt, ist ein laues Lüftchen, aber sonst...nicht viel. „Da scheint irgendwas schiefgelaufen zu sein“, murmelt der Fuchs und ich meine, es klingt eine Mischung aus Frust und Genervtheit durch. „Du bist nicht ganz bei dir, oder?“, fährt er fort. Nein, bin ich definitiv nicht! Ich weiß gar nichts. Weder wer ich bin, noch wie ich hierher komme oder was ich hier überhaupt soll. Ich rolle mit den Augen und versuche, die Absurdität des Ganzen für den Moment außen vor zu lassen. Mit einem Fuchs zu sprechen wie mit einem menschlichen Wesen... Mein Mund öffnet sich wenig später und eigentlich will ich ihm antworten. Ich merke, dass sich meine Lippen bewegen – oder glaube, dass sie es tun, ihm mitteilen wollen, dass ich gar nichts mehr verstehe und nichtmal mehr weiß, wer ich überhaupt sein soll, aber...es passiert nichts. „...“ Kein Laut verlässt meinen Mund. Weder Worte noch sonst etwas. Nicht einmal irgendeine Art von Geräusch kann ich erzeugen. Kein muh, kein mäh, nicht einmal ein Grunzen oder dergleichen. Was soll das denn jetzt wieder?! Das ist doch vollkommen bescheuert! Meine Hände ballen sich zu Fäusten und ich presse meine Lippen frustriert zusammen, während...ja, der Fuchs noch mehr ungewöhnliche Dinge tut, die überhaupt nicht fuchstypisch sind. Ihm steht das Maul offen und...wirken seine Augen größer? Ich kann es nicht sagen, auch weil ich gerade verdammt nochmal andere Probleme habe.   „Das darf nicht wahr sein …“, murrt er frustriert und faucht gen Himmel. Das Tier verzieht im Anschluss das Gesicht und scheint angestrengt nachzudenken, denn es wird abgesehen von eventuellen Umgebungsgeräuschen still und das gibt meinem Kopf wieder Raum, alles in Grund und Boden zu zerdenken. Will ich mir wirklich über noch mehr Dinge den Kopf zerbrechen, während wir hier herumstehen?   Nicht dass es schon kurios genug ist, einem sprechenden Fuchs zu begegnen oder so, nein...überhaupt nicht. Gaaanz alltäglich, mit Sicherheit. Mal davon abgesehen, dass ich verflucht nochmal keinen Ton rausbringe, kann ich vielleicht anders mit dem ungewöhnlichen Fuchs in Kontakt treten? Spontan fällt mir ein, dass ich ihm eine Nachricht in den Weg kritzeln könnte, und bewege mich unsicher auf ihn zu, bevor ich mich auf den Boden knie und etwas in den erdigen Untergrund schreibe...das gilt doch noch als schreiben, oder?   ‚Weißt du wie ich heiße?‘   Ich wage es nicht, das Tier anzusehen, denn es ist mir unendlich unangenehm, eine solch selten dämliche Frage zu stellen – auch wenn es mir wirklich auf der Seele brennt, zumindest mal einen Namen zu haben. Was mir der jedoch bringen soll, wenn ich noch nichtmal ein Geräusch herausbringe, ist wieder eine andere Frage, über die ich im Moment lieber nicht nachdenken will. Prioritäten funktionieren – glaube ich jedenfalls – nicht so, aber das ist mir in der aktuellen Situation herzlich egal. Meine ungewöhnliche Bekanntschaft scheint immer noch da zu sein und als ich vorsichtig in seine Richtung blicke, muss ich feststellen, dass er seine Ohren hängen lässt. Der Blick, den er mir zuwirft, kann ich nicht eindeutig einordnen, er wirkt etwas zwischen ungläubig und desillusioniert.   „Dein Ernst? Du weißt nicht wie du heißt?“ Ich nicke leicht zur Bestätigung. Selbst wenn ich versuche, mich an etwas in der Richtung zu erinnern, herrscht da einfach nur gähnende Leere, um es freundlich auszudrücken. „Tja, tut mir Leid, ich kann dir da auch nicht helfen“, gibt der Fuchs zur Antwort – und es klingt jetzt nicht so, als würde es ihn irgendwie kümmern. Hätte ja sein können...   ‚Danke trotzdem.‘, kritzele ich darunter und stehe wieder auf, klopfe mich sauber und greife kurz nach dem Ring an der Kette, als könnte der mir irgendwie weiterhelfen – was aber selbstverständlich nicht funktioniert. Aber es beruhigt mich auf eine gewisse Art und Weise, den Ring festzuhalten, wenn mir schon die Erinnerungen großteils entglitten sind wie Sand zwischen den Fingern. Der Fuchs unterdessen stellt sich wieder auf seine vier Pfoten und ich kann ihn durchschnaufen hören, bevor er erneut in meine Richtung sieht. Wie von selbst heben sich meine Augenbrauen fragend. „Ich weiß nicht, was passiert ist, aber es ändert erstmal nichts an meiner Aufgabe. Hör zu, ich bin Charly, ich wurde geschickt um dich hier abzuholen. Ich soll dich zu jemandem bringen, der dringend mit dir sprechen muss.“ Der Ton, den das Tier anschlägt, ist nun ein ganz anderer. Es klingt fast schon...ja, förmlich, wie eine Art einstudierte Rede oder so, dann wendet der Fuchs sich ab und trippelt los. Mich trifft der Blitz der Erkenntnis in dem Moment, da ich feststelle, dass Charly in die gleiche Richtung geht, die ich ohnehin schon eingeschlagen habe.   Ist das nur ein Zufall? Irgendwie will ich nicht so recht daran glauben. Soll ich wirklich weitergehen und meiner ungewöhnlichen neuen Bekanntschaft folgen? Ich bin mir ehrlicherweise nicht sicher, ob das wirklich so eine gute Idee ist, andererseits sind wir sowieso in die gleiche Richtung unterwegs. So recht traue ich dem Braten jedoch nicht – ich kann nicht einmal genau sagen, warum. Es ist mehr so ein ungutes Bauchgefühl, das mich davon abhält, zu viel Vertrauen in Charly zu setzen, als wäre ich zuvor schon einmal zu oft damit auf die Schnauze gefallen. Ob dem jedoch wirklich so ist, weiß ich natürlich nicht. Das ist in etwa so nebulös wie die dunklen Wolken um Schloss Hyrule herum – auch wenn ich insgeheim hoffe, das zeitnah ändern zu können. Und überhaupt, wer hat den Fuchs geschickt und warum? Wer könnte ausgerechnet etwas von mir wollen? Noch mehr Fragen für den Denkapparat auf meinen Schultern, die ich gern verbalisieren würde, damit die Neugierde wenigstens halbwegs befriedigt wird. Aber nunja...das mit dem Sprechen kann ich wahrscheinlich erst einmal gepflegt knicken.   Davon abgesehen werde ich dieses eigentümliche Gefühl nicht mehr los, dass ich Charly doch folgen sollte. Es ist nichts, was ich konkret greifen kann – nicht, dass das mit Gedanken oder Gefühlen in diesem Sinn überhaupt funktionieren würde. Beschreiben lässt es sich nicht, doch die sanfte Frauenstimme, deren Flüstern kurz darauf ertönt, scheint das Ganze nur noch zu bestärken. Es sei wichtig, dass ich Charly folge, lässt sie mich wissen, doch es ist sonst niemand hier, der etwas gesagt haben könnte... Davon abgesehen klingt die Stimme des Fuchses ganz anders.   Warum ist das so wichtig? Wer hat das gesagt? Halluziniere ich schon wieder? Vielleicht ist es auch...nope, meine eigene Stimme ist nach wie vor nicht vorhanden. Kein Ton zu hören, als ich etwas sagen will. Zeit, darüber nachzudenken, habe ich jedoch nicht wirklich – außer dass ich nach wie vor ein wenig damit hadere, wirklich weiterzugehen. Als würde mich eine unsichtbare Hand anschieben, setze ich mich jedoch wie auf Kommando in Bewegung – und lasse das vollkommen überrumpelt einfach geschehen. Mit den Augen rollend ziehe ich das Tempo ein wenig an und folge dem Fuchs schließlich in kurzem Abstand. Wir bleiben dabei kaum stehen, sodass mir keine wirkliche Zeit bleibt, die Landschaft in Augenschein zu nehmen. Auf der anderen Seite gibt es nicht wirklich etwas Neues zu sehen. Da Gespräche meinerseits auch nicht möglich sind, bleibt es eine sehr stille Wanderung, bei der ich einfach nur über meine Situation nachgrüble – und darüber, was Charly mit alldem zu tun haben könnte, oder die geheimnisvolle Frauenstimme von vorhin. Auf einen grünen Zweig komme ich jedoch so überhaupt gar nicht, und dann sind hier auch noch potenziell Monster unterwegs.   „Ich habe das Gefühl, dass nicht nur deine Stimme kaputt ist. Du wirkst generell irgendwie…verwirrt?“, höre ich Charly plötzlich fragen und blicke den Fuchs unschlüssig an. Er hat den Kopf leicht in meine Richtung gedreht. Hier ist mehr kaputt als nur meine Stimme, gefühlt ist gar nichts ganz...von in Ordnung ganz zu schweigen. Ich presse die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und nicke beklommen. Verwirrt trifft es eigentlich ganz gut, auch wenn das noch zu freundlich ausgedrückt ist für meinen Geschmack. Wenn denn zumindest mehr als drei Gedanken oder Erinnerungsfetzen zusammenhängen würden, wäre das wenigstens schonmal ein Anfang.   „Dachte ich mir“, spricht Charly wenig später und wieder scheint sich für einen Moment etwas im Gesicht des Tiers widerzuspiegeln, das eher an einen Menschen erinnert – ein Anflug von Anteilnahme, wenn ich es richtig deute. „Vielleicht kann die Person, zu der ich dich bringe, dir irgendwie helfen“, fügt der Fuchs an und wendet sich wieder nach vorn. Das hoffe ich auch, Charly. Ich hebe nur leicht die Schultern und folge meinem ungewöhnlichen Bekannten weiter den Weg in Richtung Osten entlang – vorbei an vereinzelten Bäumen und Wiesen, sowie hier und da zerfallenen Gebilden, die vielleicht einmal Karren waren. Selbst wenn die Person nicht helfen kann, was will ich groß daran ändern? Mich mit einer nicht vorhandenen Stimme darüber aufregen? Dann musste eben ein anderer Weg der Kommunikation her und wenn es mit Händen und Füßen sein würde. Aber gut, es bringt beim grünen Gras der Hyrule-Ebene absolut nichts, jetzt schon schwarz zu sehen. Stattdessen muss ich das Beste aus dem machen, was mir momentan möglich ist – auch wenn die Zahl besagter Möglichkeiten sehr, sehr eingeschränkt ist.   Während Charly und ich unterwegs sind, wandert die Sonne weiter über den Horizont. Hin und wieder sehe ich vereinzelte Wölkchen. Die Gedanken an potenzielle Gefahren in Form von Monstern bleibt zwar durchaus präsent, rücken aber ein wenig in den Hintergrund, da uns schlicht nichts Gefährliches begegnet. Zumindest ist das der Fall, bis wir schließlich an einer hölzernen Brücke ankommen. Ein bewaffneter roter Bokblin. Auch wenn bewaffnet eher zu viel ausgedrückt ist, den Stock in seiner Hand kann man wohl kaum als Waffe bezeichnen.   Zu unserer Linken erheben sich zudem auf einer Anhöhe die halb verfallenen Ruinen von etwas – vermutlich war es früher mal eine Hütte, in der wir erst einmal Deckung suchen. Na ganz toll...und jetzt? An dem Bokblin kommen wir nicht vorbei, sollen wir hier etwa übernachten? „Na toll“, murrt Charly, den Bokblin beobachtend. „Die nächste Brücke ist zu weit entfernt“, erklärt der Fuchs weiter mit Blick zur Sonne, die bereits sehr tief steht und lange Schatten wirft. Die gelben Augen blicken mich direkt an. „Und nun?“, fragt mein Begleiter weiter und ich blinzele erstaunt. Was fragst du ausgerechnet mich das?! Gna... Ob seine Aussage bezüglich der nächsten Brücke stimmt, kann ich gerade nicht bestätigen, da meine Augen in Richtung des Bokblin wandern, der die hölzerne Brücke auf- und abläuft. Theoretisch gibt es – meiner bescheidenen Meinung nach – zwei Möglichkeiten. Eigentlich drei, wenn man ‚die nächste Brücke finden‘ ebenfalls berücksichtigt. Kämpfen traue ich mir gerade absolut nicht zu. Ich hab keine Lust, als Prügelknabe für dieses Monster herzuhalten... Es muss doch eine Möglichkeit geben, ihn lang genug abzulenken, damit wir beide über die Brücke rennen können. Unterwegs habe ich immer wieder mal Steine aus dem Weg gekickt, vielleicht liegen unten am Wegesrand welche. Langsam und vorsichtig verlasse ich die Deckung, während mir das Herz gefühlt bis zum Hals schlägt. Für einen Moment scheint die offene Konfrontation eine willkommene Alternative zu dem Ablenkungsversuch, aber ich kann hier jetzt schlecht kneifen. Stattdessen suche ich nach einer Handvoll Steine, die groß genug sind, um sie tragen und gut werfen zu können, und kehre schließlich zu Charly zurück, um dem Fuchs die Steine zu zeigen. Mit umständlichen Handgesten versuche ich, meinem tierischen Begleiter den Plan zu ‚erklären‘ und deute dabei auch immer wieder einen Steinwurf an. Anders geht es, mangels passendem Untergrund, gerade nicht – und einfach loszulegen, ohne ihn einzuweihen, erscheint mir nicht richtig. Bleibt nur zu hoffen, dass er auch verstanden hat, was ich vorhabe.   Mit den Steinen in den Händen beobachte ich den Bokblin aus unserer Deckung heraus, um abzuschätzen, wie lange er für einen Weg über die Brücke benötigt und versuche, mir das einzuprägen. Den lästigen Gedanken nach dem Sinn dieser Bokblin-Patrouille wegschiebend, schlucke ich schwer und schleiche mit den Steinen in den Händen aus der Deckung in gebückter Haltung zu einem Baum unweit der Brücke, wo ich erst einmal warte und mich möglichst nicht bewege. Je länger das ganze Vorhaben ‚Brücke überqueren‘ dauert, desto mehr beschleicht mich das ungute Gefühl, dass das sowieso nichts werden wird und...nein, Schluss aus. Es gibt sehr wohl eine andere Möglichkeit als kämpfen, um diese Kreatur von der Brücke zu bekommen.   Vorsichtig lege ich die Steine am Baumstamm ab – bis auf einen, den ich gleich brauchen werde. Mein Wurfziel liegt bei einer Baumgruppe gegenüber der Anhöhe und ich zähle die Zeit herunter, was mit einem gehörigen Anflug von Nervenflattern in Kombination mit negativen Gedanken über mögliche Ausgänge dieses Vorhabens gar nicht so einfach ist. Der erste Stein fliegt deswegen auch etwas zu spät auf die gegenüberliegende Seite, ebenso wie der zweite. Immerhin scheint es den Bokblin aber kurz zum Innehalten gebracht zu haben. Also gut, der nächste muss sitzen, ich hab nur noch drei Versuche. Und wenn die aufgebraucht sind, so mein weiterer Gedanke, würde ich das Monster einfach versuchen von der Brücke zu schubsen – oder eben doch kämpfen. Das hängt jetzt alles davon ab, ob meine Zielsicherheit aufgrund der allgemeinen Nervosität nicht versagt. Der nächste Stein wird vorsichtig aufgehoben und ich packe ihn etwas fester, bevor ich ihn mit Schwung in Richtung der Bäume werfe. Der Bokblin hat sich gerade wieder einmal für eine neue Runde über die Brücke umgedreht, hält jedoch grunzend inne und wendet sich dem Geräusch zu. Komm schon...bitte...geh einfach hin...sei brav. Angespannt presse ich meine Lippen zusammen und beobachte die Kreatur, die langsam in Richtung der Baumgruppe watschelt, um dem Geräusch nachzugehen. Das ist die Chance! In der Hoffnung, dass Charly das Ganze mitverfolgt hat, stolpere ich hinter dem Baum hervor den kurzen Rest des Abhangs hinunter und fange an zu rennen. Dass mein rechtes Handgelenk anfängt zu leuchten, ist mir gerade egal; ich habe momentan verdammt nochmal keine Zeit dafür. Ich – wir – müssen über diese verdammte Brücke. Schnell. Sehr, sehr schnell.   Als wäre der Bokblin persönlich hinter mir her, gebe ich Fersengeld und sprinte über die Holzplanken – und sicherheitshalber noch ein ganzes Stück weiter, dem Weg rechtsherum folgend. Das Herz schlägt mir unterdessen weiter bis zum Hals – als rechnete ich jeden Moment damit, dass das Monster doch die Verfolgung aufnimmt. Jetzt habe ich nach der Rennerei auch endlich Zeit, während der Verschnaufpause mein wundersames Armband genauer anzusehen, das eben noch geleuchtet hat. Der seltsame grüne Kreis ist gar kein Kreis mehr, sondern hat abgenommen. Was hat das denn zu bedeuten? Macht es wirklich Sinn, ausgerechnet darüber nachzudenken, statt froh zu sein, die Brücke überquert zu haben? Nicht wirklich, aber im Auge behalten werde ich das Armband trotzdem. Kapitel 2: Sonderling im Stall der Sümpfe ----------------------------------------- „Pass auf deine Ausdauer auf“, kommt es knapp von hinten und ich sehe von meinem Armband auf, dann darauf zurück und drehe mich zu meinem tierischen Begleiter. All der Hektik zum Trotz, die bis eben noch geherrscht hat, bin ich wirklich erleichtert, den Fuchs zu sehen. Ausdauer? Was zum Grashalm meint er? Ich neige den Kopf in fragender Manier zur Seite. Weiß Charly etwa mehr über dieses komische Lederarmband mit Bildschirm, oder war das geraten? Ersteres wäre eigentlich keine wirkliche Kunst, wenn man wie meine Wenigkeit mit gefühlt vielleicht einer Handvoll Erinnerungsfetzen durch die Geografie läuft und noch nichtmal seinen Namen weiß. Vielleicht kann er mir ja mehr darüber erklären? Ich verstehe nämlich gerade so viel davon, dass ich eine in nicht lesbaren Zeichen beschriftete Karte aufrufen und bedienen kann. Wenn mit dieser ‚Ausdauer‘ der nun nicht mehr grüne Ring bei den vier roten Herzen gemeint ist, dann reagiert das Armband wohl darauf, wenn ich renne – oder? Sonst hätte es wohl kaum geleuchtet, als ich vorhin über die Brücke gerannt bin. Kurz sinniere ich gedanklich darüber, was es mit diesem seltsamen Gerät noch auf sich haben könnte, da erklingt schon wieder die Stimme meines Fuchs-Begleiters. „Wir sollten hier weg, bevor noch mehr davon auftauchen. Und wir brauchen ein Quartier für die Nacht“, erklärt das Tier und läuft einfach weiter den Weg entlang, um erneut die Führung zu übernehmen. Noch mehr von diesen Bokblin? Jaaa...nein, danke. Einer hat mir gereicht. Da ich ohnehin keinen Ton herausbringe, wird aus der von meiner Neugier geplanten Fragestunde bezüglich des Armbands erst einmal nichts und ich bin wieder einmal zum Mitläufertum gezwungen – wortwörtlich. Es geht einen leichten Hügel hinauf und aufgrund des Gerennes von eben muss ich ein wenig schnaufen und justiere den Rucksack auf meinem Rücken neu. Dabei fällt mein Blick kurz auf eine kleine Baumgruppe zu meiner rechten. Das Erste, was mir bei einem neuerlichen Blick voraus ins Auge fällt, ist der riesige, hölzerne Pferdekopf. Je näher ich jenem Kopf komme, desto mehr vom Rest des Gebildes kommt zum Vorschein und ich sehe so langsam, dass an dem Kopf Leinen zu hängen scheinen, an denen wiederum kleine Fähnchen in verschiedenen Farben hängen. Der hoch in den Himmel ragende Beweis hyrul’scher Handwerkskunst befindet sich auf dem Dach von etwas, das aussieht wie ein viel zu großes Zelt mit zwei Eingängen links und rechts. Für einen Moment erwische ich mich bei der Frage, wie zur Heuschrecke das dort oben überhaupt halten kann.   Was ich zunächst noch als Zelt wahrnehme und damit als Anzeichen von Zivilisation, entpuppt sich alsbald als Stall. Zumindest intensiviert sich mit jedem Schritt in dessen Richtung ein Geruch nach Heu. Wo Heu ist, sind sicher auch Tiere nicht weit. Zugegeben, das lässt mich fast ein wenig darauf hoffen, auch jemanden zu finden, dem ich ein paar Fragen stellen kann – oder die Person, die Charly kurz nach seiner Vorstellung erwähnt hatte. Zu den recht eindeutigen Gerüchen nach Heu und Tieren gesellen sich alsbald auch solche nach Essen und die Geräuschkulisse lässt auch nicht allzu lange auf sich warten. Erst leise, dann immer deutlicher höre ich Gesänge, die ich nicht zuordnen kann, sowie ein Durcheinander von Gesprächen und dem ein oder anderen Wiehern von Pferden. Dazu mischt sich das Geklapper von Pferdehufen und irgendwo hört man auch lautes Gelächter heraus. Es geht hier ziemlich lebhaft zu, wie es aussieht. Einerseits bin ich froh, hier draußen nicht nur Gras, Bäume, ein von dunklen Wolken umwabertes Schloss Hyrule oder Monster vorzufinden, andererseits auch nicht. Meine Überlegungen, mich mit Händen und Füßen zu verständigen, sind zwar weiterhin da, aber wie ich meine Situation jemandem verständlich machen soll? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Auf eine verquere Art freue ich mich, andere Leute zu sehen, doch der Gedanke daran, wie sie auf meine Stummheit reagieren können, lässt ein leicht flaues Gefühl in mir aufsteigen. Vielleicht sollte ich mich lieber fernhalten, wer weiß wie die Leute hier reagieren?   Trotzdem betrete ich das Gelände des Stalls etwas zögerlich und sofort fällt mir jemand auf. Ein Orni mit blauem Gefieder. Er singt ein Lied, das mir bekannt vorkommt – auch wenn ich nicht sagen kann woher:   „...das mächtige Hyrule konnte alles wagen, brauchte nicht einmal vor Monstern verzagen. Mit sämtlichem Wissen und sämtlicher Macht war ein neuer Plan gegen Ganon ausgedacht. ...“   Es handelt sich um Kashiwa. Ein Name ohne eine Geschichte dazu. Ich kann nicht behaupten, ihn zu kennen, aber sein Name ist mir durchaus bekannt. Vielleicht ein Zeichen, dass meine Erinnerungen zurückkehren? Gute Frage, die ich nicht bis zum Ende ausknobeln darf. Eventuell habe ich ein klein wenig zu lange hier gestanden wie ein kurzsichtiger Bokblin, denn jemand kommt auf mich zu. Dunkelblaue Weste und Stiefel, dazu ein helles, leicht dreckiges Hemd und dunkelbraune Hosen. In einer Hand hält er eine Heugabel. Was mir außerdem auffällt, ist seine seltsame, ebenso dunkelblaue Mütze auf dem Kopf. „Dieser Steppenfuchs scheint einen Narren an Euch gefressen zu haben, Reisende. Kann ich helfen, braucht Ihr einen Wegweiser oder jemanden, der das Tier verscheucht?“ Ich habe mit allem gerechnet, aber sicher nicht damit, wirklich angesprochen zu werden und starre den Stallknecht an wie ein Oktorok, wenn es blitzt. Nicht dass ich überhaupt darauf antworten könnte, aber meine Kehle fühlt sich trotzdem an wie zugeschnürt und ich blicke hinunter auf Charly. Wie ein zahmes Tier sitzt er da direkt neben mir, beinahe gleich einem Hund. Wieso ist er plötzlich so still und spricht kein Wort mehr? Ist das Reden jetzt etwa meine Aufgabe, oder wie oder was? Eigentlich habe ich fest damit gerechnet, dass er das Sprechen übernimmt, aber irgendwie sieht es gerade nicht danach aus und das bringt mich in die unangenehme Situation, mich erklären zu müssen. Der Steppenfuchs unterdessen starrt den Stallknecht an, dann dreht er den Kopf in meine Richtung und legt den Kopf schief. Das unschuldig wirkende Blinzeln gibt mir letzte Gewissheit, dass von meinem vierbeinigen Begleiter wohl keine Antwort kommen wird. Was ist denn jetzt los? Vorhin hat er doch noch gesprochen, warum erklärt er nicht einfach die Situation? Ich starre Charly dennoch weiter hilfesuchend an. Zumindest gebe ich mir alle Mühe damit, doch es ändert sich nichts. Meint er das etwa ernst? Findet der Fuchs das etwa lustig, mich hier so im sprichwörtlichen Regen stehenzulassen? Nicht dein Ernst...lässt du mich genau jetzt hängen? Na schön. Zugegeben, es enttäuscht mich irgendwo sehr, kein Wort von meinem tierischen Begleiter zu hören, und ich frage mich erneut, warum er keinen Ton sagt. Ein Räuspern indes bringt mich fast schon dazu, wieder aufzublicken – direkt in die grauen Augen meines Gegenübers. „Was ist denn nun?“ Die Stimme des Stallknechts klingt – wenn ich es nicht besser wüsste – leicht ungeduldig nach und ich starre ihn ein paar Sekunden einfach nur an. Geduld ist eine Tugend. Eigentlich würde ich ihm das gern so mitteilen, aber nunja...es bleibt bei nicht ganz so wohlwollenden Gedanken. Soll ich es wirklich riskieren, mich zum Gespött zu machen? Lieber nicht.   Ich hebe also die Schultern, schüttele den Kopf und versuche mit Hilfe von Handgesten deutlich zu machen, dass ich nicht sprechen kann. Es tritt jedoch genau das ein, was ich befürchtet habe: Man nimmt mich nicht ernst, nicht wirklich jedenfalls. „Merkwürdiges Weib...keine Ahnung, was Ihr sagen wollt, aber ich habe hier noch zu tun. Ihr wisst ja, wo ich bin.“ Mit diesen Worten und einem festeren Griff um die Heugabel zieht er von dannen und lässt mich hier stehen, während Kashiwa im Hintergrund weiter singt. Der Stallknecht unterdessen versorgt die Pferde mit frischem Heu von einem Planenwagen und ich balle meine Hände zu Fäusten. Unhöflicher Flegel! Erzählt mir was von merkwürdig und will Charly verjagen...hmpf. Ich presse die Lippen in einem Anflug von Trotz aufeinander und will dem Kerl hinterherstapfen, um...ja, was eigentlich? Ihn mit Gestikulieren in den Wahnsinn treiben? Eigentlich keine schlechte Idee, immerhin war er nicht unbedingt freundlich, doch ein Ziehen an meiner Hose hält mich davon ab. Mein Blick wandert nach unten und wie sich herausstellt, ist Charly der ‚Schuldige‘. Was ist denn nun wieder? Der Fuchs läuft zu einem Lagerfeuer auf einem großen Platz neben dem Stall. Etliche Fässer stehen dort, ebenso wie ein paar Eimer und Baumstümpfe, die rund um das lodernde Brennholz aufgestellt sind. Genau dort bleibt mein vierbeiniger Begleiter stehen und ich lege den Kopf schief. Unlängst ist der Trotz einer gewissen Verwirrung gewichen, da ich seinen Blick zunächst nicht wirklich verstehe. Beim grünen Gras der Ebene, er meinte doch vorhin, dass wir ein Quartier für die Nacht brauchen...wie kann man nur so dumm sein? Ich bin versucht, mir die Hand an die Stirn zu klatschen für diese mentale ‚Glanzleistung‘, doch ich lasse es bleiben, lege nur nachdenklich einen Finger ans Kinn. Als hätte mich der Bokstock der Erleuchtung am Kopf getroffen, überkommt mich die Erkenntnis, dass man theoretisch auch in den Ställen übernachten könnte – gegen Bezahlung natürlich.   Ich beobachte das überdimensionierte Zelt, in dem man nächtigen kann, und will am Liebsten sofort wieder losstapfen. Meine Augen haben den Stallknecht entdeckt, der sich mit jemandem zu unterhalten scheint, der wichtig aussieht. Vermutlich der Vorgesetzte oder etwas in der Art. Genau weiß ich es nicht. Worüber gesprochen wird, kann ich nicht verstehen, aber blind bin ich deswegen noch lange nicht. Sie schauen genau in meine Richtung und wenn ich es nicht besser wüsste, haben sie sicher über nichts Positives gesprochen. Demonstrativ starre ich zurück. Ich beobachte euch, Bokgesichter. Wenn ihr mir irgendwas zu sagen habt, kommt verdammt nochmal her und klärt das mit mir. Woher das auf einmal kommt, kann ich nicht sagen, aber dieses Gefühl, dass sie in meiner Anwesenheit über mich gelästert haben, lässt mich nicht los und ich drehe mich demonstrativ weg. Mein Weg führt schnurstracks zum Lagerfeuer, da geht mir wenigstens niemand auf die Nerven. Euch gebe ich keinen müden Rubin, da schlafe ich lieber hier draußen! Sicher, das war vermutlich alles andere als reif, geschweige denn besonnen. Dennoch. Solches Verhalten macht mich noch fuchsiger als die Tatsache, dass Charly mich bei der ‚Unterhaltung’ mit dem Stallknecht so hat hängen lassen. So oder so muss ich wieder runterkommen und mir das Gesicht waschen. Wirklich geholfen hat mir diese Wanderung zum Stall hier nun nicht. Die Tiere gehen ja noch in Ordnung, aber die Menschen...eher weniger. Zumindest hat der Stallknecht keinen guten ersten Eindruck hinterlassen.   In der Nähe des Lagerfeuers steht zum Glück ein Eimer auf einer kleinen Holzkiste. Vielleicht brauchen sie das ja, um das Lagerfeuer löschen zu können, wenn irgendwas schiefgeht. Ich weiß es nicht und es kümmert mich gerade auch nicht. Nicht wirklich. Bevor es jedoch weitergeht, stelle ich den Rucksack zu einem der Baumstümpfe und strecke mich einmal ausgiebig, ehe es zurück zum Wassereimer geht. Gezwungenermaßen muss ich die Brille auf dem bisschen restlicher Kistenfläche ablegen, damit ich auch nur an eine Gesichtswäsche denken kann. Doch statt genau das zu tun, starre ich wie eine hypnotisierte Heuschrecke auf das, was sich im Wasser spiegelt. Zum ersten Mal sehe ich mein leicht ovales Gesicht und die irgendwie unpassende Stupsnase dazu. Die hellen blauen Augen, die mich aus dem Wassereimer heraus anstarren, sowie die kurzen grauen Haare gefallen mir irgendwie. Es wirkt alles so vertraut, obwohl ich mir selbst wie eine Fremde im eigenen Körper vorkomme.   ***   Als ich blinzele, starre ich in das gleiche Gesicht in einem Spiegel, es wirkt nur etwas älter. „Chris, bist du fertig?“, dringt eine dumpfe Stimme an meine Ohren. Es kommt keine Antwort, stattdessen streicht sich eine Hand mit einem nicht unbekannten Ring vorsichtig über eine frische Narbe auf der linken Wange und setzt sich eine ebenso vertraut wirkende Brille auf. Ich selbst kann nichts tun, um etwas zu beeinflussen, und als hätte jemand Wasser darüber geschüttet, löst sich die Szenerie wieder auf.   ***   Verdattert starre ich mein Spiegelbild im Wasser an. Keine Narbe zu sehen, dafür habe ich aber einen Namen, endlich. Chris... Der Gedanke an diesen Namen löst ein unbeschreibliches Gefühl in mir aus, trotz der meiner Meinung nach ziemlich verrückten Umständen, unter denen ich ihn erfahren habe. Gerade so, als hätte ich einen Teil von mir selbst wiedergefunden. Obgleich wenn die sonstigen Umstände alles andere als optimal sind, freue ich mich trotzdem – auch wenn mir die Szene nicht aus dem Kopf gehen will. Wie ich zudem noch feststelle, haben meine Ohren in etwa die gleiche, leicht spitz zulaufende Form wie die des Stallknechts vorhin. Mit neu gewonnenem Elan tauche ich das Gesicht kurz ins Wasser und schüttele dieses anschließend leicht, bevor die Brille wieder aufgesetzt wird. Das muss ich Charly erzählen! Nun...weniger erzählen, eher kehre ich zu dem Fuchs zurück und gehe wieder mal auf die Knie, um ihm meine Erkenntnis in den Dreck zu kritzeln – und dabei vermutlich das dämlichste Grinsen im Gesicht habe, das man sich vorstellen kann. Doch die nicht wirklich vorhandene Reaktion auf diese gute Neuigkeit lässt zumindest das Grinsen schneller verschwinden, als mir lieb ist. Ich meine zwar, dass er sich die Nachricht ansieht, jedoch kommt danach nicht mehr wirklich etwas. Lediglich ein nicht aussagekräftiger Blick des Fuchses in meine Richtung. Gern hätte ich geseufzt, doch das bleibt mir leider nicht vergönnt. Stattdessen verwische ich die Nachricht wieder und stehe auf, um mich sauber zu klopfen. Was ist denn los mit ihm? Muss ich mir Sorgen machen? Oder... Ich denke den Gedanken erstmal nicht zu Ende, sondern schüttele nur den Kopf. Es will mir nicht einleuchten, warum Charly seit der Ankunft am Stall kein Sterbenswörtchen mehr verloren hat.   Einer der möglichen Gründe für dieses Verhalten veranlasst mich dazu, mich ein paar Schritte wegzubewegen und die Arme zu verschränken. Könnte es vielleicht sein, dass ich mir die Unterhaltungen mit dem Tier die ganze Zeit nur eingebildet habe und es einfach irgendein Steppenfuchs ist, der mich nur zufällig in diese Richtung gelotst hat? Vielleicht hat er einfach keine Scheu vor Menschen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll...entweder ist es wirklich so, oder es gibt einen anderen Grund, warum er keinen Mucks macht. Der Gedanke daran, dass ich mir das alles nur eingebildet haben könnte, wird gewaltsam weggeschoben und ich versuche, mich irgendwie mit anderen Dingen abzulenken. Vielleicht, nein, hoffentlich klärte sich das Problem mit Charly irgendwie von selbst – wenn es denn überhaupt ein Problem ist. Die eben erwähnten anderen Dinge jedoch lassen den Ärger von vorhin wieder aufkeimen, denn wieder einmal bleiben meine Augen bei dem Stallknecht und seinem Vorgesetzten hängen, die schon wieder miteinander zu reden scheinen. Worüber auch immer. Demonstrativ bewege ich mich auf die beiden zu und kann dieses Mal deutlich sehen, wie sie die Nasen rümpfen. Wie ich es hasse! Redet mit mir, oder seid ihr Heuköpfe zu heiß gebadet worden?! Ich bin nicht wütend auf die beiden, neeeein. Kein bisschen. Da ich aber ohnehin nicht viel tun kann, strecke ich ihnen in Ermangelung von Alternativen lediglich frech die Zunge entgegen und gehe demonstrativ zurück zum Lagerfeuer, um es mir dort bei Charly bequem zu machen. Lange lässt der Sonnenuntergang dann auch nicht auf sich warten. Fasziniert starre ich in den Himmel und beobachte den Übergang zwischen Abend und Nacht. Wie die untergehende Sonne den Himmel regelrecht rot einfärbt, ist schon faszinierend, doch schlafen kann ich trotzdem nicht. Hin und wieder blicke ich zu Charly, der sich in meiner Nähe zusammengerollt hat und so wie ein kleiner, rotbrauner Feuerball aussieht. Schon irgendwie niedlich. Das lässt die Sorge um seine fehlende Stimme – oder die Befürchtung, ich würde mir das nur zusammenhalluzinieren – jedoch nicht weniger werden. Dass es Nacht geworden ist, merke ich erst bei einem neuerlichen Blick in den nun schwarzen Himmel und die dort funkelnden Sterne – und daran, dass es allgemein etwas ruhiger geworden ist. Gerade will ich mich etwas anders hinsetzen, als eine Gestalt zu uns ans Feuer tritt. Ungläubig blinzelnd stelle ich fest, dass es sich um Kashiwa handelt, der vorhin noch dieses Lied gesungen hat. Sein Instrument hat er entweder nicht dabei oder ich sehe es gerade einfach nicht.   Er lässt sich auf jeden Fall bei uns nieder. „Willkommen zurück, roter Streuner. Wie ich sehe, bist du wieder hier.“ Wen er mit ‚roter Streuner‘ meint, ist relativ offensichtlich und doch brauche ich einen Moment, um das zu verarbeiten und werde dadurch aus Zeuge eines verschlafen wirkenden Charly, der lediglich den Kopf hebt, um den Orni anzusehen. Eine von dessen Flügelhänden streichelt dem Fuchs über den Kopf und selbst im Licht des Lagerfeuers kann ich erkennen, dass meinem tierischen Begleiter diese Geste nicht wirklich in den Kram passt. Er lässt es über sich ergehen, aber das war es dann auch – und nach wie vor ist nicht ein Ton zu hören. Nicht einmal ein Fiepen oder so. Langsam macht er mir irgendwie Konkurrenz, was das Schweigen angeht. So lustig der Gedanke auch gewesen sein mag, so ernst ist das Thema dahinter, doch ich komme gar nicht dazu, weiter darüber nachzudenken – hauptsächlich, weil Kashiwa weiterspricht. „Sei gegrüßt, Abenteurerin. Wohin führt dich unser schlauer Freund?“ Meine Augenbrauen heben sich, als der Barde aufhört zu sprechen, und ich starre ihn einfach nur an. Kennt er Charly etwa? Wenn ja, woher und warum? Haben sie etwa eine gemeinsame Vergangenheit? Nein, das geht mich nichts an. Ich sollte aufhören, so neugierig zu sein...eindeutig. Dann hätten alle wesentlich weniger Probleme – denke ich mir zumindest und schüttele den Kopf kurz darauf. Nicht, um auf seine Frage zu antworten, sondern eher für mich selbst. Dass man das missverstehen kann, kommt mir keine Sekunde in den Sinn. „Nirgendwo?“, fragt der Orni etwas verwundert nach – und nun patsche ich mir wirklich die Handfläche an die Stirn und will den Mund öffnen. Dummkopf, du kannst nicht sprechen.   Nach dieser gedanklichen Schelte an mich selbst hebe ich kurz beide Hände und schreibe dann Folgendes mit dem Finger in den Dreck: ‚Tut mir leid, ich kann nicht sprechen. Ich soll hier jemanden treffen und unser Freund hat mich hergeführt.‘ Ich rücke etwas zur Seite, damit er es lesen kann, und warte seine Reaktion ab – auch wenn ich mich gedanklich schon damit abfinde, dass er sich vermutlich darüber lustig machen wird. Diese negative Erwartung wird jedoch zerschlagen. „So ohne Stimme ist es ein trauriges Leben, ich wäre arbeitslos ohne die meine“, sinniert er vor sich hin. Ich habe zwar den Eindruck, dass er alles gelesen hat, aber Kashiwa geht nicht weiter auf den Rest meiner ‚Aussage‘ ein. Ich blicke in seine Richtung und nicke leicht. Als Barde wäre er ohne seinen Gesang wirklich arbeitslos und ganz ehrlich, das würde ich an seiner Stelle nicht wollen.   Meinen Text wegwischend schreibe ich ein paar neue Worte hin: ‚Stimmt wohl, ich wäre traurig darüber. Euer Gesang ist sehr berührend.‘ Erneut lasse ich dem Orni ein wenig Zeit, das zu lesen und zu verarbeiten. „Ich kann gerne noch ein Lied anstimmen, wenn Euch der Sinn danach steht“, antwortet er nach einer kleinen Weile und mustert mich mit einem seiner goldgelben Augen. Ich schüttele, ohne nachzudenken, sacht den Kopf und schreibe noch etwas darunter: ‚Ein andermal gern. Erzählt mir lieber eine Geschichte, wenn es nichts ausmacht. Bitte.‘ Kashiwa scheint zu überlegen – zumindest ist von ihm kurz kein Mucks zu hören. Ehrlicherweise will ich schon eins seiner Lieder hören, um wenigstens etwas Ablenkung von diesem gefühlt viel zu nervigen Tag zu haben – auf der anderen Seite erfüllt eine Geschichte genau den gleichen Zweck. Zumindest meiner Meinung nach.   Ohne jede Vorwarnung fängt der Barde wenig später an zu reden – aber es ist keine Geschichte, wie ich schnell feststelle. Oder doch? „Heute morgen, ganz früh, noch vor der Sonne, hörte ich eine Stimme. Eine Frauenstimme, sie war ganz allein im Wald. Sie ist wahrlich allein, kein Körper, der ihr eine Heimat bot, ward ihr zu eigen. Sie flog traurig zwischen den Bäumen umher. Vielleicht war es Eure“, erzählt er aufgeregt und ich starre ihn einfach nur an wie der letzte Trottel. Sprechen geht zwar aktuell nicht, aber das ist keine Entschuldigung fürs Anstarren – ist zumindest meine Meinung. Was er da eben von sich gegeben hat, war irgendwie eine Mischung aus Geschichte und Lied. Schon interessant, wenn ich das so für mich festhalten darf, aber irgendwo verwirrt es mich eher. Eine körperlose Frauenstimme in einem Wald, die er heute Morgen vor Sonnenaufgang gehört hat? Das klingt zum einen eher nach einem verrückten Gruselmärchen, das Kinder vom Wald fernhalten soll, zum anderen macht es mich neugierig. Ich schiebe das jedoch mit Mühe für den Moment beiseite, denn die Geschichte hat auch meinen Begleiter aufhorchen lassen und ich blinzele erstaunt.   Charly scheint aufmerksam zu lauschen und hat sich hingesetzt, seine Aufregung während der Geschichte lässt sich fast greifen und unsere Blicke treffen sich kurz, ehe er in Richtung Wald sieht. Oder dort, wo Wald sein könnte. Außerhalb des Feuerscheins ist alles gefühlt in diffuses Halbdunkel getaucht und nur der Mond beleuchtet zusammen mit den Sternen die friedliche, leicht wolkige Nacht. Einerseits will ich nicht unbedingt nachts einfach losziehen, andererseits hat mich Kashiwas kleines Geschichten-Lied – oder was immer das nun gewesen sein soll – genug angefixt, um diese Vorsicht erstmal hinten anzustellen. So haarsträubend sich das anhört, umso neugieriger macht es mich. Hastig kritzele ich ein ‚vielleicht, vielen Dank.‘ in den Dreck, bevor ich aufstehe und den Orni lachen höre. „So viel Tatendrang...ich kann es Euch nicht verdenken. Möge Euer Weg von Licht erfüllt sein.“ Mit diesen Worten zieht Kashiwa sich wieder zurück und wir stehen alleine am Lagerfeuer. Licht? Ganz ehrlich, ich habe den Sinn seines Abschiedssatzes nicht wirklich verstanden – aber Licht ist ein gutes Stichwort. Ganz ohne Licht losrennen wäre keine so kluge Idee – und das versuche ich auch meinem Begleiter gefühlt mit Händen und Füßen zu erklären. Wenigstens lacht er mich nicht für dieses Gehampel und Gefuchtel aus oder wimmelt einen ab. Ich habe den Eindruck, dass er versteht, was ich ihm mitteilen möchte. Ob das wirklich stimmt, keine Ahnung, aber ich mache mich wenig später auf die Suche nach einer potenziellen Lichtquelle – nicht ohne meinen Rucksack natürlich. Sehr zu meinem Leidwesen muss ich dafür zurück zum Stall‘gebäude‘, da ich nicht im Halbdunkel das ganze Gelände absuchen will. Die beiden Zugänge sind je zwei vorhangartigen Planen gewichen, offenbar schlafen mittlerweile die meisten. Lediglich außen brennen noch zwei einsame Laternchen vor sich hin und spenden dürftiges Licht. So dauert es gefühlt eine Ewigkeit, bis ich eine Fackel finden kann, die sich ganz dreist an einer der Gestänge versteckt hat.   „Ihr habt mit diesem Weib gesprochen, Kashiwa?“ Diese Stimme... Meine Augen verengen sich und der Griff um die arme Fackel wird fester – auch wenn sie absolut nichts dafür kann, dass die dumpfe Stimme des Stallknechts mich sauer macht. Er lästert schon wieder, scheint jedenfalls so. Bah... Mit einem Gesicht, als hätte ich in einen Oktorok-Tentakel gebissen, kehre ich zum Lagerfeuer zurück und halte das obere Ende der Fackel hinein, bis diese Feuer fängt. Mehr vorbereiten kann ich mich nun auch nicht wirklich. Wobei...nein, das Schwert in die andere Hand zu nehmen wäre keine sonderlich kluge Idee, also verwerfe ich den Gedanken rasch wieder und marschiere mit der Fackel in der Hand in Richtung Wald. Dass ich das gute Stück dabei weiter so fest halte, als würde es mir jemand klauen wollen, ist mir egal. Hauptsache, ich halte sie fest genug, richtig? Mal davon abgesehen kommen wir so weit genug von diesem verfluchten Stall weg. Wenn ich den Stallknecht noch ein einziges Mal sehe, werde ich ihm was erzählen. Wie ironisch, wenn man bedenkt, dass es gerade um die Suche nach einer verlorenen Stimme geht.   Immerhin habe ich aber schonmal meinen Namen wieder und das lasse ich mir auch nicht nehmen. Auf andere mag das vielleicht lächerlich wirken, aber für mich ist der Name einer Person auch Teil von dessen Identität. Obwohl es mich wurmt, dass ich mich nach wie vor nicht an alles erinnern kann, ist diese kleine Errungenschaft meines Erachtens schon etwas wert – obgleich ich wohl die Einzige bin, die sich wirklich darüber hat freuen können. Ich hoffe, dass das nicht nur eine Schauergeschichte ist. Eigentlich hätte ich Idiot auch nach mehr Details fragen können, aber die Neugier hat da erfolgreich dazwischen gegrätscht und jetzt müssen wir eben mit dem leben, was Kashiwa uns erzählt hat. Kapitel 3: Lass uns ein Spiel spielen ------------------------------------- Es dauert nicht lange, da ertönt eine mir nur zu bekannte Stimme und ich halte inne. „Gute Entscheidung“, lobt Charly in vollstem Ernst. „Ich hätte nicht an Licht gedacht, weil ich nicht darauf angewiesen bin.“ Hab ich mich gerade verhört? Halluziniere ich schon wieder? Während die großen, reflektierenden Augen des Fuchses mich anstarren, starre ich entgeistert zurück. Hat er gerade gesprochen, oder war das nur eine Fantasterei in meinem Kopf? Ich kneife mir mit der rechten Hand kurz in die Wange. Der daraus resultierende Schmerz lässt den Schluss zu, dass das Ganze real zu sein scheint. Einfach am Lagerfeuer eingeschlafen bin also ich schonmal nicht, dann war die ‚Unterhaltung‘ mit Kashiwa vorhin also auch echt und nicht nur ein sehr realistischer Traum. Diese Erkenntnis lässt eine gewisse Freude und Erleichterung in mir aufkeimen – und gleichzeitig kommt die Fassungslosigkeit von vorhin wieder vorbei. Nein Chris, du regst dich jetzt nicht auf und beschwerst dich bei ihm. Sei einfach froh, dass es keine Einbildung war und sich das Problem von selbst gelöst hat. Gerne hätte ich erleichtert geseufzt, aber das geht aktuell mangels dazu passender Stimme immer noch nicht. Trotzdem, oder gerade aufgrund dieser Gedanken frage ich mich ernsthaft, wieso zur Heuschrecke er vorhin nicht gesprochen und mich im Regen stehengelassen hat. Auf meine Stiefel hinunterstarrend suche ich nach einer Möglichkeit, dem Fuchs meine Verwirrung über diese verlorene Stimme mitzuteilen – doch alles was ich sehen kann, ist neben der Fußbekleidung nichts als Gras. Nicht unbedingt ideal, um etwas zu ‚schreiben‘, nein? Der Untergrund fällt also schon einmal als Kommunikationsmittel aus.   Dabei bin ich nicht einmal so richtig wütend, nur enttäuscht, zeitgleich aber erleichtert und verwirrt darüber, dass Charly seine Stimme tatsächlich wieder zurückhat. Trotzdem kann ich es nicht lassen und fange an, mit der freien Hand zu gestikulieren – was sich als wesentlich schwieriger herausstellt als mit zwei Händen. Mehrmals setze ich dazu an, zu ‚fragen‘, warum er vorhin nicht gesprochen und uns beiden die Blamage erspart hat – und scheitere grandios.   Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich nicht vernünftig mitteilen kann – oder es einfach zu viel ist, um alles auf einmal in entsprechende Gesten zu verpacken. Dazu mischt sich auch noch die Verwunderung darüber, dass der Fuchs mehr über mein ledernes Armband zu wissen scheint, das da so unschuldig um mein rechtes Handgelenk verweilt. Eigentlich will ich auch dazu noch so viel fragen – doch der Fuchs tut wieder teilweise Dinge, die nicht fuchs-typisch sind. Dass Charly ein Ohr zur Seite abknickt, interpretiere ich noch als normal, doch...hebt er da gerade eine Fuchs-Augenbraue? Gut möglich. Auf jeden Fall lässt sich die Skepsis aus diesem Blick fast mit Händen greifen und ich lasse meine Hand einfach an meine Seite fallen – hauptsächlich aus Resignation, weil ich nicht weiß wie und was ich noch versuchen soll mitzuteilen. Funktioniert zu haben scheint es nicht. Oder nicht ganz. Spielt das gerade überhaupt irgendeine Rolle? Das scheint für den Moment wieder irrelevant, denn im Fackelschein kann ich beobachten, wie sich die reflektierenden Augen weiten – als wäre ihm etwas eingefallen. Kurz darauf ist ein Seufzen zu vernehmen. Ob er jetzt auch noch anfängt, mich für eine Durchgeknallte zu halten? Wohl weniger...sonst wäre er nicht immer noch hier, oder?   „Die Magie in dieser Welt gehorcht gewissen Gesetzmäßigkeiten, die es einzuhalten gilt, Chris“, erläutert der Fuchs mit ruhiger und unaufgeregter Stimme. Man könnte meinen, sie hat auch etwas Sanftes an sich. Aber das muss ich mir sicher einbilden. „Du, ich, alles um uns herum unterliegt diesen Regeln.“ Magie in dieser Welt unterliegt Regeln und jeder ist davon betroffen? Hm... Ich neige den Kopf in nachdenklich-fragender Manier kurz leicht nach links und blicke Charly dabei – wie üblich – wortlos an. Direkten Augenkontakt vermeide ich jedoch, diese reflektierenden Augen jagen mir einen leichten Schauer über den Rücken. Stattdessen denke ich über seine Worte nach, um mich ein wenig abzulenken. Wenn es wirklich so ist, wie der Steppenfuchs sagt, dann sollte das zumindest erklären, warum er vorhin nicht die Wortführung übernommen hat – oder vielmehr nicht übernehmen konnte. Den Kopf wieder gerade richtend, nicke ich Charly zu und zeige ihm einen nach oben gereckten Daumen. Quasi eine Art ‚hab ich soweit verstanden‘ oder auch ein Dank für die Erklärung – oder beides in einem. Das kann sich der Fuchs nun aussuchen, während unser Weg uns vom Stallgelände wegführt.   Im Schein meiner Fackel kann ich dabei grob die Umrisse von Bäumen erkennen. Hier ist also tatsächlich ein Wald. Als wir vorhin am Stall ankamen, habe ich ihn nicht wirklich oder nur am Rande wahrgenommen, und die Nacht macht diesen kleinen Ausflug nun eine Spur gruselig. Was mir zudem auffällt, ist die Tatsache, dass Charly sich eher am Rand des Lichtkegels herumzutreiben scheint. Liegt es vielleicht daran, dass er nicht darauf angewiesen ist, wie er mir vorhin erklärt hat? Als könnte das Tier Gedanken lesen, kommt kurz darauf eine einleuchtende Erklärung aus dessen Richtung: „Ich bin wie schon gesagt nicht auf Licht angewiesen, Chris. Direktes Licht blendet mich bei Dunkelheit eher.“ Dachte ichs mir.   Leise bewege ich mich für meinen Teil nicht unbedingt fort, als wir die ersten Bäume passieren, das Gras raschelt an meinen Stiefeln vorbei und ich zucke zusammen, als ich versehentlich auf etwas trete. Dabei ist es nur ein heruntergefallenes Ästchen, das unter dem Stiefel nachgegeben hat. Dass sonst nicht allzu viel zu sehen ist außer Bäumen und den Schemen von noch mehr Bäumen, macht die nächtliche Wanderung nicht unbedingt einfacher – im Gegenteil. Hören kann ich nämlich auch nicht wirklich etwas, selbst als ich kurz stehenbleibe, um genauer zu lauschen, ist da nicht ein Mucks zu hören. Nicht einmal die Geräusche von Käfern oder dergleichen – als wäre das Waldstück wie ausgestorben. Hat Kashiwa etwa wirklich eine Stimme gehört, oder war das am Ende tatsächlich nur eine Gruselgeschichte, um Leute vom Wald fernzuhalten? Denn statt etwas zu finden, hat unsere Suche bisher nicht wirklich Früchte getragen. Da macht es auch keinen Unterschied, ob ich mit der Fackel nah an die Bäume hingehe oder mich bücke, um den Waldboden genauer zu untersuchen. Alles, was ich finde, ist ein etwas stabilerer Ast und ich will diesen einfach resigniert wegwerfen und wieder umdrehen. Nein, aus! Du warst diejenige, die so neugierig und motiviert war, hier sofort hinzugehen. Also zieh das jetzt durch, verdammt nochmal. Ich darf hier jetzt nicht aufhören. Wir haben immerhin quasi gerade erst angefangen, zu suchen, wenn man so will. Da kann man doch nicht einfach schon nach kurzer Zeit das Schwert ins Heu werfen und einfach aufgeben. Wir ziehen das durch, und wenn es die ganze Nacht dauert! Noble Gedanken. Ob ich sie wirklich so einhalten kann, ist wieder eine andere Frage und ich will lieber nicht wissen, was hier sonst noch alles lauert, wenn wir uns weiter umsehen. Hoffentlich kein Bokblin. Wobei...soweit ich weiß, schlafen sie nachts. Wie es bei den Oktorok aussieht, fällt mir für den Moment nicht ein. Gerade will ich mich weiter vorwagen, um in einem Abschnitt mit besonders hohem Gras zu suchen – oder zumindest den Stock dafür zu benutzen, da funkt mein tierischer Begleiter dazwischen.   „Bleib stehen!“, zischt Charly mich unvermittelt an und ehe ich mich versehe, ist er an mir vorbei geprescht und mitten in das Gras gesprungen – fast so wie ein richtiger Fuchs auf der Jagd. Mir steht erstaunt der Mund offen – und die Augen leisten ihnen nur wenig später Gesellschaft. Zwei kleine, blaue Schleimkugeln rollen sich aus dem hohen Gras direkt auf uns zu, die weit aufgerissenen, gelb-roten Glubschaugen auf Charly und mich fixiert. Ich halte den Atem an und innerhalb weniger Augenblicke wird mein Mund unangenehm trocken. Zumindest fühlt er sich so an. Dass ich schwer schlucken muss, ändert nicht wirklich etwas daran. Komm schon, tu was, beweg dich!   Stattdessen kann ich nur den Steppenfuchs beobachten, der mit seinem aufgestellten Nackenfell im Fackelschein fast noch bedrohlicher aussieht und er knurrt die beiden Monster an. Ob er sie jedoch wirklich angreifen würde, weiß ich nicht. „Verschwindet!“, faucht das Tier aggressiv und tatsächlich scheint es zu helfen. Ob die beiden Schleime Angst haben oder nicht, weiß ich nicht, aber sie kullern auf alle Fälle langsam davon in die Dunkelheit. Obwohl uns diese Monster gerade nichts getan haben und Charly sie eigentlich verjagt hat, wer weiß, ob sie noch einmal wiederkommen? Davon abgesehen muss ich früher oder später sicher kämpfen, ob ich will oder nicht. Mit zugeschnürter Kehle folge ich den Monstern und verpasse dem ersten einen Schlag mit dem Stock in der rechten Hand. Einen Wimpernschlag später zerplatzt es und hinterlässt einen kleinen blauen Schleimball. Bei seinem Monsterkollegen habe ich weniger Glück. Der kleine Schleim ist zwar vergleichsweise langsam, aber ich habe keinerlei Kampferfahrung. Nicht dass ich wüsste jedenfalls, die Ablenkung des Bokblins an der Brücke zähle ich mal nicht. Ein wenig unbeholfen tänzele ich umher und schlage mit dem Stock nach dem Schleim – mehrmals und in dem Moment, da ich den letzten Treffer lande, bricht der Ast ab und der Schleim zerplatzt ebenfalls. Allerdings hinterlässt er außer einem leicht feucht-schleimigen Untergrund nichts und ich halte nach dem kleinen blauen Schleimball Ausschau, während mir das Herz noch bis zum Hals schlägt. Hoffentlich hat sich das Ding nicht in einen weiteren Schleim verwandelt. Doch statt weiter nach dem Schleim zu suchen, muss ich mich mit der Schulter an einem nahegelegenen Baum anlehnen und Pause machen. So erschöpfend war der Kampf eigentlich gar nicht, aber trotzdem zittern meine Beine und ich traue mich nicht, weiterzugehen, atme nur ein und aus. Beruhig dich, Idiot. Du hättest das früher oder später sowieso tun müssen. Ich kneife die Augen zu und bleibe mit der Fackel in der Hand an den Baum gelehnt stehen. Einatmen, ausatmen. Vorhin bei der Brücke hatte ich keine Zeit dafür und am Stall auch nicht, weil dort andere Dinge Priorität hatten, aber die nächsten Minuten rühre ich mich nicht von der Stelle und atme nur tief durch. Ich weiß im Nachhinein nicht, ob das wirklich so eine gute Idee war, Topfschlagen mit den Schleimen zu spielen, nur um ein Gefühl für eventuelle Kämpfe zu bekommen. Die werden sich nicht vermeiden lassen. Hinauszögern vielleicht, aber ich kann nicht ewig davor wegrennen.   Vorsichtig drücke ich mich vom Baum ab und bleibe kurz einfach nur stehen, um mich umzusehen. Charly scheint noch da zu sein und stehen scheint auch zu funktionieren, auch wenn ich immer noch leichtes Herzklopfen für mich zu verbuchen habe. Reiß dich zusammen.   Meine Befürchtungen bezüglich der kleinen blauen Schleimkugel sind unbegründet, wie sich schlussendlich herausstellt, als ich mich dazu aufraffen kann, weiterzugehen. Den zerbrochenen Ast wegwerfend sammele ich das blaue Ding vom Boden auf und rieche daran. Es riecht überraschenderweise nach nichts, soweit ich es beurteilen kann, hat es eine geleeartige Konsistenz. Vielleicht kann ich damit ja noch etwas anfangen. Oder auch nicht, ich bin mir gerade absolut nicht sicher, irgendwie fühlt sich das gerade wieder so surreal an, dass ich mich am liebsten nochmal gekniffen hätte. Was Charly zu dem Ganzen zu sagen hat – wenn überhaupt, ist mir erst einmal egal. Ich musste das tun, in Ordnung? Es musste sein, besser jetzt als später – rede ich mir jedenfalls weiter ein und klemme mir die Fackel kurzerhand zwischen die Zähne, um den Schleim vorsichtig in den Rucksack packen zu können. Bäh, ekelhaft! Die Fackel schmeckt nach trockenem Holz und als ich den Rucksack wieder schultere, um die Fackel aus dem Mund in die Hand nehmen zu können, erspähe ich im Augenwinkel etwas. Zum Glück ist es kein Schleim, sondern Charly, der etwas gehört zu haben scheint. Seine Ohren bewegen sich zumindest nach links und rechts und wieder zurück. Ich nehme die Fackel wieder in die Hand und lasse kurz die Zunge heraushängen wie ein Hund. Dieser Holzgeschmack ist wirklich ekelhaft, aber etwas anderes war spontan nicht machbar. Zurück zu Charly jedoch, der mich mit seinem Verhalten erfolgreich von dem ganzen Quark des Tages ein wenig ablenkt. Auch wenn wir hier ja eigentlich etwas Wichtiges zu tun haben und ich immer noch gern meine Stimme wieder hätte, aber es sieht einfach zu niedlich aus, wie er sich verhält. Verdammt noch eins, konzentrier dich!, schimpfe ich mich gedanklich und zwinge mich, ebenfalls zu lauschen. Doch ich höre rein gar nichts, nur das Rascheln der Blätter in den Baumkronen, als kurz eine laue Brise aufkommt. Irgendwo in der Nähe schuhut noch eine Eule, sonst tut sich hier wirklich gar nichts, ich höre lediglich das leise Knistern des Fackelfeuers.   „Komm mit“, lässt Charly plötzlich verlauten und huscht in die Dunkelheit davon. Ich öffne den Mund, um ihm nachzurufen, dass er warten soll, doch...halt, keine Stimme. Immer noch nicht. Es kommt kein ton aus meinem Mund; was habe ich mir eigentlich dabei gedacht – nun, außer nichts? Statt mich zu fragen, was mein vierbeiniger Begleiter auf einmal hat, folge ich ihm hastig und halte die Fackel fester, um sie nicht zu verlieren und damit meine einzige Lichtquelle. Das Blätterdach lässt leider kaum Licht durch. Der Weg führt durch Gestrüpp und Unterholz, ich stolpere einmal sogar über eine Wurzel, versuche aber immer den buschigen Schwanz des Fuchses im Auge zu behalten, damit ich ihn nicht aus dem Blick verliere. Ihn hier in der Dunkelheit wiederzufinden, wäre...nunja, schwierig. Mich unter einem tiefhängenden Ast hinwegduckend laufe ich weiter, springe über einen kleinen Fels im Weg und bereite mich auf mehr tiefhängende Äste vor, doch wir sind auf einer Lichtung angekommen. Die etwas freiere Fläche ist zwar vom Mondlicht beleuchtet, doch trotzdem kann ich nicht alles erkennen. Ob es am Fackelschein oder etwas anderem liegt, weiß ich nicht, allerdings mir fehlt etwas entscheidendes – oder vielmehr jemand. Verdammt...   Habe ich Charly etwa doch aus den Augen verloren? Das wäre wirklich bescheiden – freundlich ausgedrückt, denn ich will nicht die ganze Nacht nach dem Tier suchen...oder weiter alleine durch den Wald stapfen. Gerade als mir einfällt, dass ich eventuell einen Blick auf meine Armband-Karte hätte werfen können, entdecke ich in ein paar Metern Entfernung etwas Rotbraunes – gerade so noch. Mir fällt gefühlt ein ganzer Iwarok vom Herzen, als ich Charly entdecke, aber...etwas scheint nicht zu stimmen. Er steht einfach nur da, leicht abgewandt und starrt in eine bestimmte Richtung. Entweder ist er genervt oder hat etwas entdeckt – oder beides. Ich weiß es nicht genau und trete ein wenig näher, um seinem Blick richtig folgen zu können. Die Fackel wechsele ich vorsorglich in die andere Hand, um den Fuchs aus dem direkten Licht zu halten.   Was genau mein tierischer Begleiter dort erspäht hat, wirkt auf mich zunächst wie eine Art kahles, kleines Bäumchen aussieht. Es hat ein längliches Blatt im Gesicht, oder halt...Moment mal...ist das vielleicht sein Gesicht? Bin ich etwa im Wald zusammengebrochen und träume das alles nur? Wieder kneife ich mich und schiebe nervös meine Brille die Nase hoch – auch wenn es absolut nicht nötig ist. Das Ding hat vielleicht ein paar Schleimspritzer abbekommen, aber...darum kümmere ich mich später.   Das Baum-Wesen hält ein Fläschchen in seinen kleinen Astärmchen und ich lege den Kopf schief. Leuchtet das etwa? Ist es vielleicht ein Schleichwürmchen oder ein normales Glühwürmchen? Was bei allen Blättern hat das zu bedeuten, was ist das für ein seltsames Wesen? Wehe, es ist gefährlich...dann bereue ich das vermutlich gleich. Mit nervös zusammengepressten Lippen und fest umklammerter Fackel trete ich noch etwas näher, um einen genaueren Blick auf alles zu haben, und jetzt erst erkenne ich mehr Details. Oder vielmehr die aufgeregte Bewegung aus dem Fläschchen. Die Stimme, die an meine Ohren dringt, kommt mir bekannt vor. „Lass mich hier raus“, hört man es dumpf meckern. Nein, das kann nicht sein.   ***   Ich kann mich wieder einmal nicht selbst bewegen. Mein Blick ist dieses Mal auf grauen, kiesigen Untergrund gerichtet und nur kurz wandern die Augen nach oben, während eine Hand mit einem vertrauten Ring daran nach einer Klinke greift. Ein schweres Eisentürchen wird geöffnet und geschlossen, wieder senken sich die Augen. „Ich komme bald wieder vorbei, ja?“, murmelt eine belegte Frauenstimme und die Szenerie verwäscht sich in Wasser.   ***   Der Wald ist wieder da, das knistern der Fackel ebenfalls. Was war das jetzt schon wieder? Die Stimme eben hat sich fast genau so angehört wie die Stimme aus dem Fläschchen. Wenn ich nicht gerade vollkommen verrückt werde, muss das also tatsächlich meine Stimme sein. Es gibt für mich wenig Raum für Zweifel. Sie klingt zwar dumpf, aber wenn das nicht meine Stimme sein sollte, esse ich den Schleimball aus meinem Rucksack. Wie hypnotisiert starre ich das leuchtende Fläschchen an. Noch ehe ich auf das Baumwesen zugehen kann, ergreift Charly wieder das Wort. „Gib sie uns zurück!“, fordert er das blattgesichtige Wesen auf, doch das wackelt nur hin und her, statt der Aufforderung nachzukommen. „Nur wenn ihr mit mir spielt~“, flötet das kleine Wesen vergnügt und trippelt freudig hin und her. Dabei ist ein klackerndes Geräusch zu hören und während ich überlege, dem Wesen einfach das Fläschchen abzunehmen, spricht der Fuchs wieder einmal – dieses Mal sind seine Worte jedoch an mich gerichtet. Oder an niemanden? „Krogs und ihre Spiele“, seufzt er genervt und seine reflektierenden Augen blicken in meine Richtung. „Sie spielen für ihr Leben gern; es scheint ihr einziger Lebensinhalt zu sein.“   Oh...er redet mit mir? Ich würde mir liebend gerne an die Stirn klatschen für eine neuerliche mentale Nicht-Glanzleistung, doch wir haben gerade wichtigere Dinge zu tun. Hat er gerade Krog gesagt? Und Spiele?   Vor meinem geistigen Auge tauchen schon wieder Dinge auf. Ein Windrädchen hier, Blumen dort - und noch viel mehr. Es ist fast so, als hätte ich das schon einmal gehört oder gesehen. Oder vielleicht beides. Folglich müssen wir wohl ein Spiel mit diesem...Krog spielen. Was genau es sein wird, weiß ich beim besten Willen nicht. Eigentlich ist mir absolut nicht nach Spielen zumute und obgleich ich irgendwo froh bin, dass Kashiwa doch die Wahrheit erzählt hat, macht das nichts besser. Dieser verdammte Krog soll das Fläschchen hergeben!   Ich nicke dem Wesen lediglich zu, mehr kann ich ohnehin nicht machen – und es sieht auch nicht so aus, als könnten wir das Fläschchen anders zurückbekommen. Die Freude, die der Krog zu versprühen scheint, ist mir gerade eher zuwider und ich bin ehrlich gesagt erst einmal erleichtert, als er sich in einer Konfettiwolke auflöst. Was zurückbleibt, ist eine gelbe Blume. Man kann mir vorwerfen, was man will, aber diese gelbe, dickstängelige Blüte passt hier nicht hin. Schon gleich gar nicht mitten in der Nacht.   Hmmm, wie war das noch? Dunkel erinnere ich mich daran, dass man diese Blüten berühren muss, und irgendwo anders dann wieder eine auftaucht, bis am Ende eine weiße Blüte übrig bleibt. Berührt man diese ebenfalls, ist das Spiel erfolgreich beendet. Begeistert bin ich nicht gerade davon, mitten in der Nacht in einem potenziell gefährlichen Waldstück gelbe Blüten zu suchen, aber verdammte Axt, ich will meine Stimme zurück! Also gehe ich zu der Blüte hin und berühre diese.   Fast sofort zerspringt sie in tausend kleine Blütenblätter und ich leuchte mit der Fackel umher, um die nächste zu finden. Quer über die freie Fläche stapfend suche ich mit den Augen nach dem nächsten Kandidaten und entdecke sie nur knapp hinter einem Baum. Ich achte zwar nicht bewusst darauf, aber aus dem Augenwinkel fällt mir auf, dass Charly an meiner Seite bleibt. Die nächste Blüte jedoch wird etwas kniffliger, ich muss mich dafür ein gutes Stück aus der Lichtung bewegen und beinahe, aber auch nur beinahe hätte ich vermutlich noch einen Baum in Brand gesetzt, weil ich einen zu tief hängenden Ast nicht rechtzeitig gesehen habe. In einem Gebüsch unweit des besagten Baumes kann ich die nächste Blüte nur knapp entdecken und bücke mich, um sie zu berühren. Moment...war es nicht auch so, dass man hören kann, wo die nächste Blüte auftaucht? Zu hundert Prozent sicher bin ich mir nicht und da gerade jetzt wieder der Wind auffrischt, der die Blätter zum Rascheln bringt, höre ich dementsprechend wenig bis gar nichts anderes. Maaaann... Frustriert trete ich auf dem Rückweg zum Startpunkt des ‚Spiels‘ gegen einen Baum – auch wenn der am wenigsten etwas dafür kann. Das Einzige, was ich damit erreiche, ist dass mich irgendwas kleines mit einem leisen Pocken am Kopf trifft. Wehgetan hat es nur ganz kurz und ich hebe die Fackel leicht. Nein, zum Glück ist die Blüte nicht irgendwo, wo ich meine einzige Lichtquelle nicht mitnehmen kann. Wobei ich diesem Krog alles zutrauen würde, wenn er wegen meiner Stimme so ein Spielchen veranstalten will. Wie auch immer, zurück auf der Lichtung gehe ich einmal quer in die andere Richtung, Charly weiter an meiner Seite. Wieder geht es in das Waldstück hinein. Ich versuche zwar, mich nicht zu weit von der mondbeschienenen Freifläche zu entfernen, aber das ist gar nicht so einfach. Zwischen zwei Büschen kann ich die nächste Blüte entdecken, berühre diese ebenfalls und will gerade nach dem möglichen Ort seines Nachfolgers lauschen, da bewegt sich etwas im Unterholz und lenkt mich ab. Was es ist, keine Ahnung, aber es hat mir erfolgreich die Konzentration verhagelt und ich kehre hörbar durch die Nase ausatmend in die mondlichtbeschienene Lichtung zurück. Die weitere Suche bleibt erst einmal erfolglos; auf dem Boden oder in der unmittelbaren Umgebung des baumfreien Bereichs findet sich nichts, das auf eine Krog-Blüte hindeutet. Das Knistern des Fackelfeuers geht mir so langsam auch ein wenig auf die Nerven, doch das Ding hier leichtfertig wegzuwerfen wäre nicht unbedingt klug. Im Gegensatz zu meinem Begleiter kann ich nämlich nicht in der Dunkelheit sehen und davon abgesehen habe ich keine Lust, am Ende noch versehentlich den Wald abzufackeln. Nach einer weiteren Runde über die Lichtung, bei der ich sogar schon anfange, unter Steinen zu gucken, bleibe ich stehen und halte inne. Wo zum Henker könnte sich eine Blüte verstecken? Viele Möglichkeiten gibt es nicht gerade – außer das kleine Baumwesen ist besonders ‚freundlich‘. Genervt rolle ich mit den Augen bei dem Gedanken, eventuell auf Bäume klettern zu müssen, und schaue mich ein weiteres Mal um. Dabei bleibt der Blick kurz auf Charly hängen.   „Chris, wir können auch zurückgehen und bei Tageslicht suchen. Der Krog wird auch morgen noch da sein“, spricht der Fuchs besonnen, doch ich schüttele nur den Kopf und versuche, ihm deutlich zu machen, dass ich hier nicht ohne meine Stimme weggehe. Wäre doch gelacht, wenn ich jetzt einfach aufhören würde. Wenn der Krog sein Spielchen spielen will, gut bitte, aber verdammt nochmal, mit Stimmen als Einsatz spielt man zum einen nicht – und zum anderen nicht mitten in der Nacht! Kapitel 4: Zusammen, was zusammen gehört ---------------------------------------- Meine freie Hand ballt sich nunmehr wütend zur Faust und als ich kurz nach oben sehe, kann ich die Blätter der nächsten Blüte erkennen. Das Ding steht waagrecht an einem Baum und gerade so hoch, dass man springen muss, um sie zu erreichen. Fassungslos klappt mir der Mund auf und gerade bin ich froh, nicht sprechen zu können. Mein Gefluche muss nun wirklich niemand hören. Was zur Hölle, ist das sein Ernst? Dieser kleine Arsch! Na warte... Meine Augen verengen sich wütend. Erst die Schleime, dann muss ich zusehen, Charly nicht zu verlieren und jetzt sowas? Das glaubt mir niemals jemand – nicht dass ich es je jemandem außer vielleicht Kashiwa erzählen würde. Aller schlechten Laune zum Trotz schweife ich kurz mit den Gedanken ab zu meiner Stimme. Wie lange sie wohl schon hier ist? Nur weil Kashiwa sie am Morgen vor Sonnenaufgang hörte, muss das ja nicht heißen, dass sie davor nicht hier war. Vielleicht weiß der Krog ja...nein, der hat, wenn ich Charlys Worte sinngemäß im Kopf habe, nur seine Spiele im Sinn. Außerdem werde ich ihn nach dieser Aktion sicher nicht fragen, ob er mehr weiß. Kopfschüttelnd verscheuche ich die Gedanken. Schluss jetzt...wie komme ich an diese Blüte? Feindselig starre ich das Ding über mir an, als könnte ich es dadurch dazu bringen, sich von selbst aufzulösen, doch das bleibt leider aus. Heißt also Anlauf nehmen und springen – was hier gar nicht so einfach ist. Aber nunja...mein Dickschädel hat sich unbedingt eingebildet, weiterzumachen, also wird auch weitergemacht. Ich gehe ein paar Schritte zurück und nehme kurz Anlauf für einen kleinen Sprung – nicht daran denkend, dass ich ja auch noch eine Fackel dabei habe. Aber ich habe den Griff meiner rechten Hand vollkommen unterschätzt. Den linken Arm im Sprung ausstreckend höre ich es kurz darauf puffen und stolpere nach der Landung fast noch. Ich drehe mich um und starre zuerst noch wie eine Besessene auf meine Fackel, dann erst blicke ich kurz zurück auf den Baum...und die nicht mehr vorhandene Blüte. Ein leicht triumphierendes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Na also!   Das hat doch wunderbar funktioniert, so mein Gedanke. Mitten auf der Lichtung ist jetzt eine weitere Blüte aufgetaucht, unweit meines aktuellen Standorts. Vielleicht ein paar Schritte trennen mich noch davon. Eigentlich nichts Besonderes, aber diese hier ist weiß. Das müsste eigentlich heißen, dass das Krog-Spiel vorbei ist, wenn ich diese auch noch berühre, oder täuscht mich meine Erinnerung nur? Genau das gilt es herauszufinden, doch bei dem kurzen Weg in Richtung der letzten Blüte vernehme ich wieder einmal Charlys Stimme.   „Nach deinem Gekasper bei dem Schleim hätte ich nicht gedacht, dass du den Mut hast, die Suche durchzuziehen.“ Ich könnte mich täuschen, aber versucht er gerade, zu sticheln? Es hört sich wirklich danach an, aber vielleicht meint er es auch nicht so. Wenn doch...nun, das war dann eben so und nicht mehr zu ändern, und davon abgesehen hat er irgendwo sogar Recht. Eigentlich bin ich ja nur aufgrund meiner Neugier in den Wald gegangen, wer hätte denn bitte ahnen können, dass das gleich so ausartet? Schmollend plustere ich die Wangen auf wie ein kleines Kind und fange an, wild mit meiner freien Hand zu gestikulieren – fast so, als wollte ich ihm sagen, dass jetzt der beste Zeitpunkt für dieses Gekasper wäre, wie er es genannt hat. Irgendwo musste ich anfangen, und es war nichtmal wirklich geplant, okay?! Besser so, als wenn ich später von einem Bokblin oder weiß der Himmel was erschlagen werde. Wäre ihm das lieber? Kopfschüttelnd lasse ich es einfach gut sein und senke die Hand, ehe ich meine Aufmerksamkeit der weißen Krog-Blüte zuwende. Wegen Sticheleien nun einen Streit vom Zaun zu brechen, bringt niemandem etwas. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mich aktuell durch mein Gebaren eher auf dem Level eines trotzigen Kleinkinds bewege, das sein Gemüse nicht essen will. Sehr reif – im ironischen Sinne. Fast ein wenig übervorsichtig und auch eine kleine Spur angespannt strecke ich meine Finger aus und lege sie auf eins der weißen Blütenblätter, das sich noch im selben Augenblick auflöst und in einer Drehbewegung erscheint der kleine Krog wieder in einer magischen Konfettiwolke. Zum Glück hält er immer noch das leuchtende Fläschchen in seinen Händen, sonst hätte ich ihm vermutlich was erzählt – auf die aktuell einzig mögliche Art und Weise, versteht sich. „Yahahaha~ Danke danke, dass du mit mir gespielt hast, das hat Spaß gemacht!“, verkündet das Wesen und wackelt dabei leicht mit seinem Baumstamm-Körper hin und her. Ich kann nicht einmal genau sagen, woran es liegt, dass ich so allergisch auf derartige ‚Spielchen‘ reagiere, wie der Krog sie gespielt hat. Könnte eine Art unterbewusste Reaktion auf irgendwas sein, aber konkret erinnern kann ich mich beim besten Willen nicht – und habe davon abgesehen gerade eh andere Prioriäten. Vorrangig auch deswegen, weil mir das Wesen wie zugesagt das Fläschchen entgegen streckt. Mit leicht zittrigen Fingern nehme ich es an mich und der Ärger über den Krog und sein Spiel scheint für den Moment wie weggeblasen. Wieder einmal erwische ich mich bei einem Grinsen. Allerdings scheint der Krog noch nicht fertig zu sein. Will er etwa noch mehr Spiele spielen? Sollte dem so sein, kann er das gepflegt vergessen. Ich habe für heute eindeutig genug von Spielen egal welcher Art. „Meine Brüder würden sich sicher freuen, wenn du mit ihnen auch so toll spielst wie mit mir. Sie geben dir auch eine Belohnung dafür. Die helfen, dass deine Taschen größer werden und du mehr tragen kannst“, sprudelt der Krog begeistert und reckt seine Astärmchen in die Höhe – vermutlich um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Mir klappt unterdessen der Mund auf. Bittewas? „Oh, nicht falsch verstehen. Du findest sie an den unterschiedlichsten Orten. Hier haben nicht alle Platz“, plappert das Wesen weiter, vermutlich angetan von der Vorstellung, dass ich auch mit seinen Brüdern spielen würde. Wenn du wüsstest, wie gerne ich diese Spielchen eben nicht wiederholen will, würdest du sowas nicht sagen, schießt es mir durch den Kopf und ich starre abwechselnd den Krog und die Flasche in meiner Hand an. „Oder du kommst mich irgendwann wieder besuchen, dann können wir nochmal spielen – einfach so zum Spaß.“ Das habe ich nun einfach mal wohlwollend überhört. Der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, das kann er sich sowas von abschminken. Mit einer weiteren Drehung und nachklingendem Gelächter trippelt das Wesen von dannen und ist bald darauf nicht mehr zu sehen. Sehr wohl hört man das klackernde Geräusch noch ein bisschen, ehe die Geräusche des Waldes auch das verschlucken und meine Aufmerksamkeit gilt wieder dem Fläschchen in meiner Hand. Der Inhalt leuchtet noch immer eigentümlich vor sich hin, das Gemecker scheint auch verstummt zu sein. Wäre ich alleine gewesen, hätte es vermutlich eine extrem emotionale Reaktion auf die Tatsache gegeben, dass ich meine Stimme damit so gut wie wieder zurückhabe. Vielleicht hätte ich auch geweint vor Freude, doch dazu kommt es nicht – denn ich blinzele wie verrückt, um genau das zu vermeiden. Andererseits überkommen mich aber auch Bedenken, ob ich das Fläschchen einfach so öffnen soll oder nicht? Will meine Stimme überhaupt zu mir zurück, oder würde sie einfach davonfliegen, sobald ich sie freilasse? Fragen über Fragen fressen sich in meinem Kopf fest und gesellen sich damit zum Rest dessen, der noch unbeantwortet dort herumgeistert – zusammen mit den Vorsätzen, Charly Löcher in den Bauch zu fragen, als auch den Stallknecht zur Rede zu stellen. Auch wenn ich eigentlich am Liebsten nie wieder einen Fuß auf das Gelände setzen möchte eben aufgrund dieses unmöglichen Verhaltens seinerseits, aber Menschen müssen irgendwann auch noch schlafen. Wie auch immer, zurück zu dem leuchtenden Fläschchen, das von mir weiter angestarrt wird und damit erneut Charly auf den Plan ruft. „Was, ist dir etwa eingefallen, dass deine Stimme schrecklich ist?“, will der Fuchs wissen – allerdings in einem Ton, der selbst einem Idioten klarmachen könnte, dass er es nicht ernst meint. Alles, was er dafür erntet, ist ein fragend zur Seite geneigter Kopf. Abgesehen davon, dass meine Stimme sicher nicht schrecklich klingt, ich habe eben einfach meine Bedenken, auch wenn die Magie in dieser Welt gewissen Regeln folgt. Das muss ja nicht zwangsläufig für restlos alles gelten, oder doch? Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, klingt es doch etwas dämlich. Vielleicht mache ich mir einfach nur zu viele negativ behaftete Gedanken – oder nicht? „Keine Sorge, sie wird schon nicht verschwinden“, spricht meine vierbeinige Begleitung in ruhigem Ton. „Wie ich vorhin schon sagte, in dieser Welt gelten gewisse Regeln und Gesetze. Wenn dieser Krog die Stimme nicht gefangen hätte, wäre sie vermutlich längst zu dir zurückgekehrt. Ihr gehört schließlich zusammen und alles was zusammen gehört, weiß das auch und findet sich früher oder später wieder.“ Ich weiß ja, aber trotzdem..., geht es mir durch den Kopf und ich starre wieder das Fläschchen an. Konnten diese Zweifel sich nicht einfach verkrümeln? Das ist gerade wirklich unnötig. Wieso sollte ich Charly nicht glauben? Bisher hat der Fuchs nicht gelogen und lässt man die Situation am Stall außen vor, war er einer der wenigen, die mich weder hängen gelassen noch groß enttäuscht haben. Auch dieses Fläschchen ist ähnlich wie das in meinem Rucksack verkorkt und da ich keine Hand frei habe, muss ich die Zähne zur Hilfe nehmen, um es zu öffnen. Kaum habe ich das getan, spucke ich den Korken in einem leichten Anflug von Ekel aus. Das leuchtende Etwas lässt sich seinen neu gewonnenen Freiraum nicht nehmen und verlässt sein Gefängnis auf der Stelle. Neugierig betrachte ich das, was da direkt vor meiner Nase schwebt, und frage mich einen Moment, wie das jetzt funktionieren soll. Soll ich es einfach mit dem Mund fangen und schlucken oder...nein, das ist nicht wirklich nötig. Es fliegt direkt auf meinen Kehlkopf zu und scheint darin zu verschwinden – genau sehen kann ich davon exakt gar nichts, außer dass das Leuchten aufgehört hat. Halt doch, da tut sich etwas, in meinem Kehlkopf breitet sich ein angenehmes Gefühl aus und das erste Geräusch, was mir eher versehentlich entwischt, ist ein kurzes Auflachen. Ein wenig erschrocken blinzele ich. „Vor meiner eigenen Stimme Angst haben...kann auch nur mir einfallen“, spreche ich meinen Gedanken laut aus und starre weiter verwundert vor mich hin, ehe die Erleichterung überhandnimmt und ich genau das tue, was ich eigentlich vermeiden wollte. Ein paar Tränen lassen sich partout nicht wegblinzeln, da kann ich machen, was ich will. Zu einem Jubelschrei kann ich mich gerade nicht durchringen, dazu fühlt sich das Ganze irgendwo noch viel zu surreal an. Und zum anderen...was soll Charly von mir denken? Ich habe mich gerade schon genug zum Idioten gemacht – und eigentlich wollte ich den Fuchs noch so einiges fragen, aber Moment mal...wo ist der Fuchs denn nun wieder hin? Mit dem Handrücken meine Wangen grob abwischend sehe ich mich um – und kann in einiger Entfernung ein Paar reflektierender Augen ausmachen. Oder ist das ein anderer Steppenfuchs? Nein, jedes vernünftige, nicht aggressive Tier würde doch sofort die Flucht ergreifen. Glück gehabt, er ist nicht einfach abgehauen. „Wir müssen unbedingt noch schlafen“, erklärt mein Weggefährte auf einmal ohne jeglichen Zusammenhang. Nun...irgendwo hat er zwar recht, aber ich kann gerade beim besten willen nicht schlafen, viel zu viele Fragen liegen mir auf der Zunge und jetzt hindert mich auch nichts mehr daran, sie wirklich zu stellen. Doch bevor ich etwas auf seine Worte erwidern kann, ist der Fuchs bereits davongehuscht. „Hey!“, rufe ich empört hinterher und setze ihm nach. „Du musst mir ein paar Fragen beantworten.“ Streng genommen muss er gar nichts, aber versuchen kann man es ja... Dass es bei einem Versuch bleiben wird, fällt mir zu diesem Zeitpunkt nichtmal im Traum ein. Doch der Fuchs geht nicht im Mindesten auf meine Worte ein, scheint sie sogar aktiv zu ignorieren. „Wir müssen uns gut ausruhen, wir haben morgen eine lange Strecke vor uns“, gibt er stattdessen von sich und stößt mich damit mehr als nur ein wenig vor den Kopf, mal von der zusätzlichen Verwirrung abgesehen. Und...bilde ich mir das nur ein, oder läuft er immer schneller? Gut möglich, dass das nur Einbildung ist, spielt es wirklich eine Rolle? Nein. Heißt eigentlich nur, dass ich keine Zeit zum Nachdenken habe und meine Beine bewegen muss, um nicht zurückzufallen. „Warte doch mal!“ Keine Reaktion, nur das Rascheln von Blättern und Knacken mehrerer Ästchen, die unterwegs dran glauben müssen. Wenn ich nicht gerade rennen müsste, könnte ich mir auch ausmalen, warum Charly regelrecht zu flüchten scheint und überhaupt, was ist mit der langen Strecke gemeint? Antworten bekomme ich keine darauf, da wir kurz darauf die Baumgrenze durchbrechen und wieder im freien Feld nahe des Stalls heraus kommen...glaube ich zumindest, denn Charly huscht einfach weiter und ich bleibe erstmal stehen, um die kalte Nachtluft einzuatmen. „Was zum Henker soll das...rennt er einfach weg“, murre ich in mich hinein und stelle dann erstaunt fest, dass ich das Fläschchen von vorhin noch in der Hand halte. Nachdenklich betrachte ich das Glas, in dem sich das Licht der Fackel leicht verzerrt spiegelt. „Ich hatte noch so viele Fragen...“ Und außerdem bin ich Kashiwa etwas für die Geschichte schuldig. Ohne ihn wären wir aufgeschmissen gewesen und hätten vermutlich nichts von der Stimme erfahren... Und Charly auch... Denn ohne den Fuchs, so meine weiteren Gedanken, wäre ich vermutlich komplett aufgeschmissen gewesen – oder hätte mich zumindest noch mehr wie ein Außenseiter und Sonderling gefühlt. Trotzdem kommt es mir seltsam vor, dass er gerade regelrecht vor mir und potenziellen Fragen geflüchtet ist...oder habe ich mir das nur eingebildet? Vielleicht...nein, hoffentlich. „Hm...“ Langsam gehe ich ebenfalls zurück zum Stall und suche nach dem Orni-Barden. Schließlich muss ich ihm nicht nur danken, sondern auch die neue alte Stimme vorführen. Neue alte Stimme...muss ich mir merken. Das darauf folgende leise Kichern erinnert mich eher an eine Hexe, aber nunja...ändern kann ich auch das nicht – nicht, dass ich das wirklich will. Sehr zu meinem Leidwesen jedoch finde ich Kashiwa nicht - zumindest nicht Draußen und Drinnen möchte ich schlicht nicht nachsehen - vorrangig, weil ich einen gewissen Lästerbruder gehört habe. Vielleicht ist der Orni für seinen Teil mittlerweile tatsächlich schlafen gegangen. Ich seufze leise und begebe mich also zurück zum Lagerfeuer, wo mein tierischer Begleiter sich bereits eingerollt hat. „Immer noch niedlich...“, murmele ich in meinen nicht vorhandenen Bart und lösche die Fackel im Wassereimer. Es zischt und fängt kurz an zu blubbern, dann raucht es aus dem Behältnis. Dafür ist es ja schließlich auch da, um Fackeln oder unkontrollierte Feuer zu löschen? Wie auch immer. Die nasse Fackel wird an der Kiste angelehnt, auf dem der Eimer steht. Mh...ich frage mich trotzdem, was es mit der weiten Strecke morgen auf sich hat. Sollten wir nicht hier im Stall jemanden treffen? Warum auf einmal doch nicht? Mit diesen Gedanken im Hinterkopf nehme ich den Rucksack vom Rücken und packe auch das korkenlose Fläschchen hinein – vielleicht ist es ja noch zu etwas zu gebrauchen. Als ich mich an einen der Baumstümpfe gelehnt hinsetze und in die Flammen starre, überrollt mich nach einer kleinen Weile eine Welle der Müdigkeit und ich gähne herzhaft. Eigentlich will ich ja noch wach bleiben und ein wenig nachgrübeln, sowie versuchen, dem Armband mehr Informationen zu entlocken, doch ein neuerliches Gähnen und juckende Augen verhindern genau das erfolgreich und ich verschränke die Arme vor der Brust, suche mir eine etwas bequemere Position – aber direkt auf dem Boden schlafen will ich nun auch nicht. War der Tag heute wirklich so anstrengend? Vielleicht ist es mir nur so vorgekommen, ich weiß es nicht. Meine Gedanken verlaufen sich in nichts, als ich die Augen schließe und mich wie von Charly geraten ausruhe. Kapitel 5: Weiterreise mit Hindernissen --------------------------------------- Es wird eine vergleichsweise kurze Nacht – zumindest kommt es mir so vor, denn etwas Warmes stupst meine Wange an und fast sofort öffne ich die Augen. Prompt bereue ich es zudem, im Sitzen geschlafen zu haben. Mein Nacken zieht unangenehm und fühlt sich leicht versteift an. „Guten Morgen, Charly“, grüße ich den Steppenfuchs und strecke mich einmal kurz, bevor ich mich langsam aufrichte und noch einmal durchstrecke. Es knackt ungefähr alles – gefühlt jedenfalls. Das Feuer indes glimmt zwar noch, aber es wird ohnehin gerade hell. Die Morgensonne verjagt gerade den letzten Rest der Nachtschwärze und ich schaue mich kurz mit leicht gesenktem Blick um. Kam irgendetwas weg, während wir geschlafen haben? Sieht nicht wirklich danach aus. Der Rucksack liegt noch da, das Schild ist nach wie vor fest daran verschnürt, und Charly hat auch niemand geklaut.   Apropos. Mein tierischer Begleiter sitzt brav vor mir und scheint auf etwas zu warten. „Keine Sorge, ich bin wach. Hellwach.“ Wie auf Kommando muss ich jedoch kurz darauf gähnen und halte die Hand vor den Mund. Jetzt aber wirklich. Im Hintergrund zwitschern etwas entfernt ein paar Vögel und ich sehe ein paar Reiher fliegen; es wirkt alles so idyllisch wie gestern, als ich zum ersten Mal hier aufgewacht bin. Dass das auch täuschen kann, muss ich wohl nicht extra erwähnen. Mein tierischer Begleiter lässt ein typisches Bellen von sich hören, das eher klingt wie ein quietschen, und läuft davon. Für einen Moment drängt sich in meinem noch leicht benebelten Kopf die Überlegung, ihm zu folgen, doch ich lasse es gut sein und strecke mich ein weiteres Mal, wobei es leicht metallisch klimpert, als ich die Arme wieder sinken lasse. Hat sich mein Körper spontan dazu entschieden, metallisch zu werden? Nein, nicht wirklich jedenfalls. Eigentlich hätte es mir gestern schon auffallen müssen, doch ich stelle fest, dass mein Oberteil auch ein Kettenhemd beinhaltet, welches knapp unter den gemusterten Ärmeln und Saum des roten Überwurfs hervorragt. Oooooh, interessant. Vielleicht sollte ich mich erst einmal frischmachen, bevor ich mich weiter über meine Kleidung wundere – und etwas zu essen wäre auch nicht verkehrt. Aber eins nach dem anderen. Ich schnappe mir sicherheitshalber meinen Rucksack und mache mich auf den Weg zum nahegelegenen Fluss. Dabei sehe ich zu meiner Linken kurz ein seltsames Gebilde, doch ich ignoriere das erstmal, setze den Rucksack nur nahe des Ufers wieder ab und blicke auf das klare Wasser. Ein halb verfallener Unterstand und ein verrottender Planenwagen grüßen mich, als ich alles fein säuberlich ablege und begutachte – und tatsächlich, eines der Teile ist ein Kettenhemd.   Ob mich gerade an diesem Morgen irgendwer beobachtet, ist mir erstmal egal, ich nehme ein kurzes Bädchen im flachen Wasser, wasche auch meine Brille grob ab – obwohl ich am liebsten reflexartig wieder aus dem Fluss gehüpft wäre, denn es ist eiskalt. Zähne zusammenbeißen und durch, du bist doch kein Weichei! Nackt wie von Hylia geschaffen stehe ich kurz darauf wieder am Ufer, nur mit der Kette um den Hals – und warte ein paar Minuten, bis ich mich wieder ankleide und meine Ausrüstung anlege. Etwas zum Abtrocknen habe ich nämlich nicht. Ich bin zudem dezent verwundert, dass bis jetzt keiner ans Ufer kam. Vielleicht ist noch niemand anderes wach. Wie früh es wohl ist? Ich schüttele den Kopf leicht und schlüpfe in die Lederstiefel, die Brille trockne ich an einem Teil des roten Überwurfs und setze sie auf die Nase. Tatsächlich hatte das Ding ein paar Schleimspritzer abbekommen, aber es hat sich glücklicherweise nichts eingebrannt gehabt. Frisch gewaschen und fertig angezogen geht es zurück zum Lagerfeuer – wo mich gleich die nächste Überraschung erwartet. Nicht nur ist der Stallknecht von gestern eifrig dabei, Feuerholz nachzulegen, nein. Er hat kurz darauf auch einen Topf über der Flamme aufgebaut und will darin wohl etwas zubereiten. Wird vermutlich das Frühstück für die Arbeiter hier. Ich sehe ihn weiter mit einer Holzschale hantieren, aus der er etwas in den Topf kippt. Tagealter Reis, wie sich herausstellt – und davon nicht wenig, außerdem schlägt er ein halbes Dutzend Eier hinein und rührt das alles mit einem Holzlöffel um. Eine weitere Mitarbeitende bringt ein paar Schüsseln und Löffel und nimmt die leeren Eierschalen wieder mit, bevor die Planen vor den Eingängen von gestern hochgerollt werden. Bei Hylia, das ist ziemlich viel.   Ich habe gestern nicht wirklich darauf geachtet, wie viele Leute hier arbeiten, aber neben meinem ‚besten Freund‘, der gerade fleißig im Topf über dem Feuer rührt, und seinem Vorgesetzten habe ich tatsächlich niemanden gesehen. Es scheint doch noch mindestens eine weitere Person hier zu geben, wenn nicht mehr. „Was gibt es da zu gucken, Weib?“, werde ich plötzlich unvermittelt...nein, nicht angesprochen, eher angemault – noch dazu von einer bekannten Stimme, die am gestrigen Abend noch meinte, Lästern wäre ziemlich knorke. „Ich stehe nur hier und-“ „Nun, Ihr steht im Weg. Wenn Ihr etwas davon abhaben wollt, wird das etwas kosten“, erwidert er in einem Ton, dass ich mich für einen Moment frage, ob er mit dem falschen Fuß aufgestanden ist oder chronisch schlechte Laune hat. Noch nichtmal ausreden lässt er einen...ungehobelter Flegel. „Bo, sei nicht so unhöflich“, lässt seine etwas kleinere Kollegin energisch verlauten und klappert mit den Schüsseln, die sie vorhin mitgebracht hat. Ihre langen braunen Haare sind zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr über die Schultern fallen, ansonsten trägt sie die gleiche Kleidung wie ihr überaus freundlicher Kollege. „Eno toleriert dein Verhalten nur, weil du gute Arbeit leistest und ihr manche Ansichten teilt, aber du musst dich trotzdem zusammenreißen.“ „Nana, misch dich nicht ein.“, grummelt der größere Mann missgelaunt und rührt weiter im Reis-Ei-Gemisch. „Du hast diese...Reisende gestern nicht erlebt.“   Meine rechte Augenbraue fängt an zu zucken, kaum hat er aufgehört zu quatschen, und ich balle eine Hand zur Faust. Achja...wobei erlebt? Dabei, dass ich versucht habe, dir Hohlbirne mitzuteilen, was mein Problem war, und du es einfach abgetan hast? Ja...das will ich unbedingt hören. Nicht. Mit den Augen rollend stelle ich meinen Rucksack ab und krame kurzerhand nach dem Rubinsäckchen. Ich halte dem unhöflichen Klotz fünf blaue Rubine hin, denn Lust auf Diskussionen habe ich gerade so überhaupt nicht. Nicht schon am Morgen. „Ich konnte mich gestern nur nicht verständlich machen...hier, reicht das?“, will ich wissen und setze ein ekelhaft freundliches Lächeln auf. Die Rubine werden mir schneller weggeschnappt, als ich gucken kann und kurze Zeit später sitze ich neben Nana mit Bo und noch zwei weiteren Personen schweigend um das Lagerfeuer. Der Eierreis, den der grummelige, ungehobelte Stallknecht gezaubert hat, schmeckt nicht schlecht – auch wenn er etwas mehr Pfeffer vertragen könnte. Aber gut, wenigstens muss ich nicht meine Fleischspieße antasten. Vielleicht sind sie ja nichtmal für mich, sondern die Person, die ich hier eigentlich treffen sollte.   Die Gespräche der Mitarbeiter verfolge ich schweigend; es geht hauptsächlich um die Einteilung der Tagesaufgaben und wann der nächste Händlerkarren vorbei kommt, damit sie ihren Vorrat an Hyrule-Reis auffüllen und neues Heu für die Pferde bestellen können. Eben ganz normale Dinge – vermute ich zumindest. Ich habe schließlich keinen blassen Dunst, wie der Alltag hier aussieht – zumindest nicht als Arbeitskraft. Mit einem kurzen „Vielen Dank für das Essen, und viel Erfolg heute“ stehe ich schließlich auf, als meine Schüssel restlos geleert ist, um das Geschirr auf den Baumstumpf zu stellen, der bis eben noch mein Sitzplatz war. Den Rucksack schulternd will ich gerade losmarschieren, um nach Charly zu suchen und die Weiterreise wohin auch immer anzutreten, doch sonderlich weit komme ich nicht. Vielleicht ein paar Meter. „Guten Morgen, Abenteurerin“, tönt es plötzlich von weiter vorne und ich blinzele erstaunt. Es sind Kashiwa und Charly. „Guten Morgen, Kashiwa“, grüße ich lächelnd zurück. So langsam bessert sich meine Laune tatsächlich. Ich freue mich, den Orni-Barden zu sehen, nachdem er gestern Abend verständlicherweise nicht mehr draußen aufzufinden war. „Ohoho, Stimme und Sänger haben wieder zueinandergefunden.“ „In der Tat – und das haben wir dir...Euch zu verdanken“, antworte ich prompt und fange an doof zu grinsen, bevor ich den Orni einfach umarme. Wie Kashiwa darauf reagiert, kann ich nicht direkt sagen, aber sofort weggeschoben werde ich schonmal nicht und lasse es davon abgesehen auch relativ bald wieder bleiben. Was mich da eben geritten hat, weiß ich nicht genau, vermutlich ist einfach die Freude mit mir durchgegangen. Man umarmt ja nicht einfach so aus dem nichts irgendwelche wildfremden Leute. „Verzeihung...ich...vielen Dank für diesen wertvollen Hinweis“, stöpsele ich zusammen. „Ich weiß nicht, wie ich Euch das zurückzahlen kann.“ Der Orni jedoch schüttelt den Kopf. „Die Freude ist mir Lohn genug, Abenteurerin. Ihr könnt jederzeit gerne hierher zurückkehren, wenn Euch der Sinn nach weiteren Liedern oder Geschichten steht. Ich bin meist hier oder an anderen Ställen anzutreffen, wenn es mich nicht gerade in die inspirierende Natur hinauszieht.“ Das ist schonmal gut zu wissen. Trotzdem ist es mir irgendwo unangenehm, Kashiwa einfach so umarmt zu haben. Zu gerne würde ich mich noch einmal entschuldigen, bringe aber keinen Pieps in dieser Richtung hinaus und habe für einen Moment wieder die Befürchtung, meine Stimme einfach verloren zu haben.   „Wenn ich das nächste Mal hierher komme, nehme ich das Angebot gern an“, sage ich stattdessen und schenke ihm ein leichtes Lächeln. Sollte ich ihn auf das ansprechen, was ich gestern Abend gehört habe? Hat Bo tatsächlich mit dem Orni gesprochen? Wenn ja, was hat er erzählt? Nein, aus. „Aber sagt mal, hat Euch gestern einer der Stallmitarbeiter angesprochen? Ich...“ Das Lächeln verfliegt binnen Sekundenbruchteilen und ich starre meine Stiefel an. Verflucht sei meine Neugier! „Es tut mir leid, ich...habe gestern Abend nach etwas gesucht und Stimmen gehört, das...ist alles. Es war keine Absicht, wirklich!“, beteuere ich mit leicht eingezogenem Kopf. Eigentlich will ich dem Barden ja von dem kleinen Abenteuer gestern Nacht berichten, aber das kann ich nun wohl vergessen, denn er verfällt in nachdenkliches Schweigen. Gefühlt ziehen sich die nächsten Minuten unendlich in die Länge und es macht mich beinahe wahnsinnig, dass ich überhaupt danach gefragt habe. „Hm. Das hat er tatsächlich. Er hat davon abgeraten, mit Euch zu interagieren“, erwidert Kashiwa nun in nachdenklichem Ton. Eine Schelte hört sich eindeutig anders an, ist er mir etwa nicht böse für meine überschwängliche Aktion oder das Lauschen? Oder bin ich einfach nur zu unbedarft, um das zu merken? Vielleicht beides. Langsam sehe ich wieder auf und lache gekünstelt, während sich meine Hände zu Fäusten ballen. Wird wirklich Zeit, hier zu verschwinden – so ungern ich das gerade tue, weil ich zu gern noch mit Kashiwa geplaudert hätte. Aber ich lasse das lieber bleiben und verabschiede mich schweren Herzens, justiere den Rucksack auf meinem Rücken neu und blicke hinunter. Charly steht neben mir und scheint bereit weiterzuziehen. Also auf auf. Die Preisfrage ist nur...wohin? Zurück in Richtung der Brücke auf keinen Fall, ich habe keine Lust auf noch mehr Bokblin. Ich werfe einen Blick auf die Karte auf meinem Armband, doch die ist auch nicht unbedingt hilfreicher als bei meinem letzten Versuch, sie zu lesen. Sie zeigt lediglich einen blinkenden Punkt an. Vermutlich mein aktueller Standort oder so, sicher bin ich mir nicht. Eine zweite, orangerote Markierung unweit von mir wird ebenfalls angezeigt, er schient fast mit dem Gelben zu verschmelzen. Ein Anzeigefehler? Kurz blicke ich auf und sehe mich um. Das Einzige, was sich in der Umgebung befindet, sind ein paar Schmetterlinge, ein Reiher am Himmel – und mein tierischer Begleiter sowie die Stallmitarbeiter und Kashiwa. Der Blick wandert zurück auf das Karten-Armband. Ich verziehe nachdenklich den Mund und schiebe die Karte ein wenig hin und her. Der Punkt bleibt konstant dicht bei dem gelben Marker und verschwindet nicht. Handelt es sich um Charly? Sicher bin ich mir nicht, aber etwas anderes kommt meines Erachtens nicht wirklich infrage. Der Steppenfuchs ist nämlich der einzige direkt neben mir. Kurz frage ich mich, ob ich den anderen Punkt antippen soll, lasse es dann aber doch bleiben. Schließlich hat Charly gestern sinngemäß gemeint, wir hätten heute einen weiten Weg vor uns und für Spielereien bleibt somit eigentlich keine Zeit. Apropos Weg, den wir einschlagen könnten. Es gibt diesbezüglich zwei Möglichkeiten, wenn mich nicht alles täuscht. Wir könnten dem Weg in südöstlicher Richtung folgen, oder aber zurück in Richtung Brücke und dann geradeaus weiter statt dem Weg zum Stall zu folgen. Seufzend schiebe ich die Karte mit dem Finger auf dem Bildschirm hin und her und schüttele schließlich den Kopf. Nein, ich will nicht riskieren, wieder dem Bokblin von gestern zu begegnen. Als ich wieder von meinem Armband aufblicke, ist der Fuchs von meiner Seite verschwunden – nach kurzem Umsehen kann ich ihn jedoch am anderen Ausgang des Stallgeländes entdecken. Also nicht zurück in Richtung Brücke? Verstehe. Ich folge dem Vierbeiner, der dort einfach nur auf mich zu warten scheint.   „Wird Zeit, dass Ihr verschwindet“, kommentiert jemand unsere ohnehin geplante Abreise in einem herablassenden Ton, dass mir gleich ganz anders wird. Diese Stimme... Ich muss mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, wer genau da gerade hinter mir steht und sich immer noch so verhält, als hätte ihn ein Esel im Galopp verloren. Eigentlich bin ich ja froh, dass ich diesen Kerl nicht mehr sehen muss, andererseits habe ich mir vorgenommen, ihm die Meinung zu sagen, und drehe mich doch betont langsam um. Tatsächlich, da steht der Stallknecht, nein...Bo. Der Blick, den er Charly und mir zuwirft, hat nichts Positives an sich. Kein Funke Freundlichkeit, Mitgefühl oder dergleichen. Jetzt reichts mir endgültig! So geht man nicht mit anderen Leuten um! „Sowas wie du sollte hier nicht arbeiten.“ Nein, ich will gerade nicht höflich zu ihm sein, es steht mir bis obenhin! Schnaubend stapfe ich in seine Richtung zurück und bleibe direkt vor ihm stehen. Dass er seine Heugabel mit beiden Händen vor sich hält, ist leider ein sehr überzeugendes Argument, was mich davon abhält, ihm einfach eine zu klatschen für sein Verhalten. Doch der Mann lacht nur laut auf meine Worte und wirft mir einen Blick zu, der von Arroganz geradezu trieft. „Und sowas wie du ist hier nicht willkommen“, kontert er arrogant. „Was ist das überhaupt für ein Aufzug? Und dieser Fuchs erst. Ihr beide wart mir von Anfang an suspekt, aber wir dürfen leider niemanden einfach so des Geländes verweisen. ‚Hier sollen sich Reisende wie zuhause fühlen‘, um die Statuten zu zitieren.“ Es gibt Statuten für den Stall? Genervt schüttele ich den Kopf, mein Hirn scheint sich an den unmöglichsten Details aufzuhängen.   „Das entschuldigt nichts von dem, was gestern war, kein stückweit!“, blaffe ich ihn ungehalten an. „Glaubst du, ich habe gar nichts mitbekommen?!“ Ich rücke ihm dicht auf die Pelle und greife ebenfalls nach dem Griff der Heugabel, um sie genau da zu halten, wo sie gerade ist. Nur falls dieser Hohlkopf doch noch auf dumme Gedanken kommen sollte. Dass es an meinem Kehlkopf leicht wird – oder es sich zumindest so anfühlt, als würde dort etwas leichter werden – fällt mir zwar durchaus auf, doch ich schenke dem erst einmal keine Beachtung. Das wird mit Sicherheit gleich wieder weggehen. „Wovon redest du, verrücktes Weib? Ich habe mich lediglich mit meinem Vorgesetzten ausgetauscht. Ist das verboten?“ Ganz egal, ob er vorhin ein halbwegs genießbares Frühstück gezaubert hat oder nicht, aber dieser Kerl und ich werden in diesem Leben eindeutig keine Freunde mehr und das liegt sicher nicht nur an seiner überaus...reizenden Art, nein.   „Nein, ist es nicht“, kommt es bemüht ruhig von mir. Hätte ich besser daran getan, sein Geplappere einfach zu ignorieren? Vielleicht. „Es hätte trotzdem verdammt nochmal nicht geschadet, wenn man Probleme mit der betreffenden Person direkt klärt, statt zu lästern! Nochmal so eine Aktion u-“ Meine Stimme...sie wird trotz aller Wut, die ich hineinlege, immer leiser und undeutlicher. Sogar so leise, dass ich nicht einmal meinen letzten Satz beenden kann und nur ein trockenes Husten herausbringe bei dem trotzig-wütenden Versuch, es trotzdem zu tun. Überrascht lasse ich die Heugabel los und greife mir mit der gleichen Hand an die Kehle. Ein weiterer Versuch, Worte zu formulieren, endet mit...gar nichts. Kein Ton kommt mir über die Lippen – schon wieder. Was beim grünen Gras der Ebene passiert hier? Das ist nicht fair! Habe ich mich gestern Nacht etwa vollkommen umsonst von einem verdammten Krog durch die Gegend scheuchen lassen, nur um am Ende dann wieder stumm dazustehen wie ein Fisch? Komm schon, tu mir das nicht an...sag was. Alles, was mir seitens des Stallknechts nunmehr entgegenschlägt, ist schallendes Gelächter. Ihn scheint es offenbar ohne Ende zu amüsieren, dass ich mich hier gerade zum Gespött des ganzen Stalls mache. Diese Blamage schmerzt gefühlt wie tausend Nadelstiche gleichzeitig – als hätte ich solche Situationen schon einmal erlebt. „Na, fehlen dir wieder die Worte? Sags nochmal, ich habe leider kein Wort verstanden“, spottet Bo sichtlich schadenfroh und lacht weiter. Unsensibler, ungehobelter Vollidiot...das ist nicht lustig. Hör auf zu lachen, sofort! Ich will gerade die Hände heben, um ihm wütend zu ‚erklären‘, dass das nicht lustig ist, doch es bleibt lediglich bei dem Vorhaben.   Ich weiß zunächst nicht, was passiert ist, aber das Gelächter geht nur wenig später in einen schmerzerfüllten Schrei über, als der Stallknecht aufspringt und die Heugabel dabei fallenlässt. Was...? Während mein ‚bester Freund‘ herumhampelt wie ein Bekloppter, und sich den Hintern hält, schaue ich ziemlich überrascht drein, als ich Charly ein kleines Stückchen hinter Bo erblicke. Er hat einen dunkelblauen Stofffetzen im Maul und irgendwie...täusche ich mich, oder tut er wieder nicht fuchstypische Dinge? Scheint irgendwie so, anders kann ich mir die fast greifbare Häme im Gesicht meines tierischen Begleiters nicht erklären. Hat er gerade allen Ernstes dem Kerl...in den Hintern gebissen? Kann man das als Karma bezeichnen?   „Du dummes Vieh!“, flucht der Knecht lautstark und will nach dem Fuchs treten, doch dieser weicht dem geschickt aus. Für einen Moment starre ich auf die Heugabel, die ja immer noch da liegt. Horrorszenarien dessen, was bei Benutzung dieses Dings hätte passieren können, kommen mir kurz in den Kopf, da huscht auch schon Charly an mir vorbei und ich mache auf dem Absatz kehrt, um ihm zu folgen. Vermutlich hat uns der halbe Stall bei diesem Spektakel zugesehen, doch das ist mir gerade erstmal egal. Hoffentlich müssen wir hier nicht so bald wieder hin...auch wenn ich Bo zu gern die Leviten zu Ende gelesen hätte. Aber das bleibt mir leider – wie eine ausführliche Unterhaltung mit einem gewissen Orni-Barden – vorerst verwehrt. Nach Lachen ist mir, trotz Charlys zugegebenermaßen sehr amüsanter Racheaktion, nicht wirklich zumute; ich bin einfach nur froh, als wir das Stallgelände hinter uns lassen und das unverletzt. Ich will nicht wirklich wissen, was sonst noch alles passiert wäre, hätten wir uns nicht im Eiltempo verkrümelt wie die Felskekse. Und vor allem hätte ich es mir nicht verziehen, wenn Charly etwas passiert wäre. Ich ziehe es zunächst auch vor, nichts zu sagen, während wir dem Weg in Richtung Südosten folgen – immerhin glaube ich nicht, dass überhaupt nochmal ein Ton aus meinem Mund kommen wird. Stattdessen starre ich auf das Lederarmband an meinem rechten Handgelenk und versuche mein Glück wieder einmal mit der...nope, keine gute Idee. Die Karte ist immer noch nicht lesbar. Ich sehe lediglich unsere beiden Punkte, die sich auf dem Weg entlang bewegen. „Hm...ich frage mich...“, plappere ich nachdenklich los und erschrecke mich wie schon gestern Nacht über meine eigene Stimme. Dieses Mal jedoch eher aus dem Grund, dass es mich sehr überrascht, sie doch wieder zu hören. Das Wort ‚seltsam‘ beschreibt nichtmal ansatzweise, wie sich das anfühlt. Was bei der Göttin war das vorhin am Stall? Jetzt, wo ich so darüber nachdenke und meinen Kehlkopf betaste, fühlt der sich wieder ganz normal an. „Äußerst kurios, sie ist doch wieder da“, stelle ich fest – auch wenn mir die Situation mit Bo nicht wirklich aus dem Kopf gehen will – und das mögliche Horrorszenario im Zusammenhang mit der Heugabel. Idiot, denk nicht weiter drüber nach! Es ist nichts passiert. Noch nicht, wie mir ergänzend dazu durch den Kopf geht – und mich wundere, warum mein tierischer Begleiter plötzlich anhält und sich leicht duckt. Seine gelben Augen suchen direkt Blickkontakt mit mir und ich halte kurz den Atem an, um zu lauschen. Ich höre etwas...das wie das Wiehern von Pferden klingt. Bilde ich mir das nur ein oder sind hier wirklich wilde Pferde in der Nähe? Wenn ja, will ich ihnen lieber nicht zu nahe kommen – hauptsächlich aus Respekt vor den Tieren an sich. Sehen kann ich jedoch nichts. „Bokblin-Reiter“, kommt es leise aus Charlys Richtung und ich blinzele überrascht, lausche dann aber noch einmal und höre neben den typischen Pferdegeräuschen relativ bald leises Grunzen.   Sofort wird mein Mund trocken. Bokblins auf Pferden können nicht gut sein und ich will lieber nicht wissen, was passiert, wenn sie uns entdecken sollten. Vermutlich trampeln uns eher die Pferde nieder, als dass die Bokblins uns gefährlich werden könnten. Trotzdem...die Vorstellung alleine reicht schon, um mich nervös zu machen – nicht auf die gute Art. Ich fühle mich beinahe wieder so, wie gestern an der hölzernen Brücke und das macht irgendwie gar nichts besser.   Trotzdem versuche ich so gut wie möglich, leise und vorsichtig weiter dem Weg zu folgen – oder vielmehr dem Fuchs. Fast bin ich versucht, auf allen vieren zu krabbeln, nur um nicht gesehen zu werden – zu groß ist die Angst, dass es tatsächlich so weit kommt. Was, wenn wir kämpfen müssen? Ich schlucke schwer und schleiche weiter, während mir das Herz bis zum Hals schlägt. Nein, ich will nicht daran denken, was dann passiert, doch ich kann es nicht verhindern. Mein Gehirn scheint diesbezüglich ein Eigenleben zu haben und ich sehe uns bereits von Bokblins auf Pferden umzingelt. Dass ich darüber glatt vergesse, mich leise fortzubewegen, war nicht geplant. Es legt mich geräuschvoll lang, als ich über meine eigenen Füße stolpere, mich sofort fluchend wieder aufrappele...und prompt hätte ohrfeigen können. Wie gelähmt stehe ich nun stattdessen da, höre nur, wie das dumpfe Geräusch von Pferdehufen auf erdigem Untergrund immer näher kommt.   Zwei. Es sind zwei von ihnen, das kann ich inzwischen nur zu deutlich sehen, doch noch immer bewege ich mich keinen Millimeter von der Stelle. Das erinnert mich an die Schleime gestern Nacht im Wald, doch da konnte ich mir wenigstens noch ein Herz fassen und sie mit einem Ast verprügeln. Jetzt stehe ich nur mitten auf einem breiten Reisepfad und kann mich nicht bewegen. „Charly...lauf! Los!“   Ein Kampf lässt sich kaum noch vermeiden, doch ich will den Fuchs nicht mit hineinziehen. Auf keinen Fall. Mich von der Stelle bewegen kann ich auch immer noch nicht. Nein, das ist nicht wie gestern bei den Schleimen im Wald. Das hier ist wesentlich schlimmer. Meine Hand zittert wie verrückt, als ich nach dem Reiseschwert greife. Kapitel 6: Konsequenzen ----------------------- Die Bokblin auf ihren Pferden kommen immer näher – es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, in der sie sich auf uns zubewegen. Während ich versuche, das Zittern unter Kontrolle zu bekommen, schaffe ich es zumindest, das Schwert zu ziehen. Selbst jetzt will es nicht aufhören und die Klinge wackelt leicht hin und her. Komm schon, hör auf zu zittern. Ich kann das gerade echt nicht brauchen. Viel zu viele Eindrücke prasseln auf mich ein und statt - wie von mir aufgefordert - wegzulaufen, ist Charly anscheinend doch hiergeblieben. Was tut er?! „Du musst die Pferde unbedingt zum Scheuen bringen, damit sie die Reiter abwerfen“, erklärt er schnell, geradezu hektisch, die Anspannung seitens meines tierischen Begleiters lässt sich fast greifen. So wie sich das anhört, steht Charly irgendwo neben mir, aber ich traue mich nicht hinzusehen. „Renn ihnen entgegen, schrei sie an, wedle mit den Armen – völlig egal. Wir müssen die Bokblin von den Pferden holen, sonst stehen unsere Chancen schlecht.“ Bist du verrückt?! Sie werden uns zertrampeln wenn wir denen entgegenrennen! Ich verbalisiere den Gedanken nicht; der Kloß, der mir fast die Kehle zuschnürt, lässt Reden gerade nicht mehr zu. Es muss trotzdem etwas unternommen werden. Schnell, denn die Zeit bleibt nicht stehen. Das Donnern der Pferdehufe ist mittlerweile deutlich zu spüren und mischt sich mit dem Kampfgeschrei der Kreaturen, die auf dem Rücken der Pferde sitzen.   Der Boden vibriert regelrecht von der Wucht und dem Tempo, mit dem die Tiere angaloppiert kommen. Sie werden uns zertrampeln! Ich öffne den Mund, doch statt Worten kommt nur ein Krächzen heraus bei dem Versuch, Charly das zu sagen. Ich will ihn außerdem anschreien, dass er weglaufen soll, ist der Fuchs denn lebensmüde einfach hierzubleiben? Ich hab diese Scheiße immerhin verbockt und nicht er – der mich sogar noch vor diesen Reitern gewarnt hatte. Einer der Bokblin-Reiter schwingt bereits seine Lanze, doch er ist noch außer Reichweite. Der andere scheint wohl eine Keule in einer Hand zu halten, während ich immer noch dastehe wie festgewachsen und schließlich einfach nach weiterem Luftholen anfange zu schreien, so laut ich gerade kann. Worte sind es nicht, eher eine Mischung aus panischem Gekreische und etwas, das ich nicht zu definieren vermag. Ich kneife die Augen zu in Erwartung, gleich von einem der Pferde zertrampelt oder über den Haufen geritten zu werden, doch es kommt anders. Eine Kollision oder etwas Vergleichbares bleibt aus. Stattdessen höre ich die Tiere erschrocken wiehern und öffne die Augen – nur um spontan das Bedürfnis zu entwickeln, mich zu kneifen, wenn die Gesamtsituation nicht gerade so verdammt beschissen wäre. Die Tiere scheinen wohl nicht begeistert von meinem spontanen Schreidrang zu sein und scheuen. Sie bäumen sich auf und steigen, wodurch die Bokblin wenig später den Halt verlieren und von ihren Reittieren fallend. Ob durch Glück oder reinen Zufall veranlasst, wir werden nicht versehentlich zertreten, als die Tiere mit den Vorderhufen wieder auf den Boden donnern. Trotzdem kreische ich schon wieder auf wie ein kleines Mädchen, das gerade vom Baum fällt. Ist vermutlich wirklich die Panik, die da gerade mit mir durchgeht. Das veranlasst die Tiere dazu, uns zumindest fernzubleiben, doch bewegen kann ich persönlich mich nach wie vor nicht. Zu tief sitzt mir der Schreck über diese Beinahe-Kollision gerade in den Knochen, als dass ich mich auch nur einen Millimeter rühren könnte. Dadurch kann ich auch nicht verhindern, dass Charly sich gewissermaßen ebenfalls ins Getümmel stürzt. Das typische Fuchsbellen – nur in einer wesentlich höheren Lautstärke als heute Morgen – ist zu hören, als er in Richtung der Pferde losrennt. Die Pferde, so Leid sie mir gerade tun, tänzeln unsicher umher und ergreifen schließlich die Flucht zurück in die Richtung, aus der sie zuvor gekommen sind. Charly verdammt, ich hab doch gesagt du sollst laufen! Was tust du denn da?! Was an meiner Aufforderung vorhin so schwer zu verstehen war, weiß ich beim besten Willen nicht. Davon abgesehen habe ich gerade wieder ganz andere Probleme, denn die Bokblin haben sich nach ihrem vermutlich nicht ganz so schmerzfreien Sturz wieder aufgerappelt und sehen sich grunzend nach ihrem Reitgetier um. Der Bokblin mit seiner hölzernen Lanze sieht den Pferden nach – und leider auch Charly – und rennt diesen kreischend und lanzenschwingend hinterher. Ich bin mir nicht sicher, begeistert wirkte der so überhaupt gar nicht – aber das wird in dem Moment unwichtig, da ich mir wieder bewusst werde, dass das nicht der Einzige war.   Die großen Augen des verbliebenen roten Bokblin nehmen mich ins Visier und er stürmt grunzend mit einer im Vergleich zu ihm riesigen, knorrigen Holzkeule auf mich zu. Beweg dich verdammt! Es rührt sich noch immer nichts und vor meinem Inneren Auge sehe ich mich schon von dem Bokblin verprügelt am Boden liegen. Hat mein Gehirn eine Vorliebe für solche Horrorszenarien? Es kristallisiert sich immer mehr ein Ja heraus. Doch statt getroffen zu werden, spüre ich lediglich einen scharfen Luftzug, als ich vollkommen verschreckt über meine eigenen Füße zur Seite stolpere und mich kurz fangen muss, um nicht umzufallen. Das war knapp. Zu knapp. Verdammt, was jetzt? Mach irgendwas, Chris. Egal was! Egal wie sehr ich mich schimpfe, es scheint nicht wirklich zu helfen, denn meine rechte Hand mit dem Reiseschwert bewegt sich nach wie vor nicht. Wie auch, wenn ich nichtmal weiß, wohin ich überhaupt zielen soll. Ich riskiere einen Blick zur Seite; der Bokblin scheint überrascht von meiner Ausweich-Aktion zu sein, denn er führt seinen Schlag nicht zu Ende. Die Keule ‚schwebt‘ gewissermaßen einfach nur da. Zuschlagen will ich jedoch immer noch nicht. Was, wenn er mich mit seiner Keule erwischt? Dann ist Feierabend, da verwette ich meinen Rucksack darauf. Was soll ich sonst machen? Ihn einfach umrennen und hoffen, dass er seine Waffe fallenlässt und so keine Gefahr mehr ist? Bin ich gerade dezent am Durchdrehen, weil mir so etwas in den Sinn kommt? Hat mein Gehirn gerade in den Panikmodus geschaltet? Kurzum: vielleicht, aber ich muss irgendwas tun, der rote Geselle wird sicher nicht ewig darauf warten, dass ich mich bequeme zu reagieren statt hier wie eine Statue herumzustehen und ihn anzustarren.   Kurzentschlossen fasse ich mir in meiner Verzweiflung – oder Wahnsinn – ein Herz und versuche spontan, den Bokblin umzutacklen. Ob und wie das funktionieren soll, weiß ich in dem Moment, wo ich mich auf die rote Schweinsnase stürze, so überhaupt garnicht. Ich habe nie gekämpft – und hatte bis dato auch keine Ambitionen das zu ändern. Denke ich jedenfalls. Dass man mich jetzt so dazu zwingt, ist etwas, das ich mir nie zu träumen gewagt hätte und daher ist es wohl kein Wunder, dass ich die Kreatur lediglich mit der Schulter erwische. Vollkommen außer Acht lassend, dass so etwas wie Schwerkraft auch noch existiert, versuche ich trotzdem, meinen Sturz zu verhindern – ohne Erfolg. Allerdings höre ich einen wütenden Schrei eines Bokblin, der am Ende doch erwischt worden zu sein scheint. Habe ich es wirklich geschafft, die Schweinsnase mit ihren übergroßen Ohren mitzureißen? Nun...ich höre es zumindest verärgert rechts neben mir grunzen und riskiere einen Blick, während ich mich mit den Armen hochdrücke. Auch wenn ich offenkundig selbst im Dreck gelandet bin, dem Bokblin geht es nicht anders als mir und er liegt augenscheinlich sehr wenig amüsiert auf dem Boden. Aber das ist mir erstmal egal, es hat funktioniert!   Es hat wirklich funktioniert! Zwar liegen der Bokblin und ich im Staub, aber das spielt keine Rolle. Seine Waffe hat sich aus seinen Händen verabschiedet und liegt in kurzer Entfernung auf dem Boden. Als hätte mich eine Skulltula gebissen, rappele ich mich hastig auf alle viere, schnappe mir instinktiv die Keule und stehe auf. Währenddessen vibriert mein Armband zweimal kurz hintereinander. Zufall? Ich glaube nicht daran. Das muss einen Grund haben, doch ich habe keine Zeit darüber nachzudenken. Wenn ich mich jetzt davon ablenken lasse, kann ich mich auch gleich einsargen lassen, also schiebe ich den lästigen Gedanken gewaltsam beiseite – aller Neugier zum Trotz.   Die hölzerne Keule ist so schwer, dass ich sie mit beiden Händen halten muss, der grob gearbeitete Griff ist lediglich mit einer primitiven Stoffbandage zum Schutz vor Holzsplittern umwickelt. Trotzdem kann ich mir ein triumphales, selten dämliches Grinsen nicht verkneifen. Ich muss wohl wirklich komplett verrückt geworden sein – und so naiv zu glauben, dass der Bokblin unbewaffnet bleiben würde. Nicht sein Ernst! „Verfluchte Schweinsnase, lass das liegen!“, schnauze ich wütend – und werde wie erwartet ignoriert. Zu spät ist es so oder so, er hat sich längst ein Schwert geschnappt und hält es in einer seiner Hände. Mein Schwert, wie mir kurz darauf dämmert. Wie kann ich nur so dämlich sein, diesem Bokblin das Schwert für seine unpraktisch schwere Holzkeule zu überlassen? Ich könnte mir in den Arsch beißen und das Grinsen auf meinem Gesicht verschwindet schlagartig. Stattdessen kriecht mir die Angst in die Knochen. Das Schwert ist leichter zu handhaben als diese klobige Keule, das sieht selbst ein Volltrottel wie ich ein – vermutlich zu spät. Das war so nicht gedacht, verdammt. Wie dumm kann man eigentlich noch werden? Ein zynischer Vergleich über die Dummheit von Menschen und die Größe des Universums schießt mir durch den Kopf, als der Bokblin grunzend mit erhobenem Schwert auf mich zustürmt und zum Schlag ausholt. Reflexartig hebe ich die Arme, um wenigstens mein Gesicht zu schützen, doch der erwartete Treffer bleibt wieder einmal aus...nunja, nicht ganz.   Das Geräusch von Metall auf Holz dringt an meine Ohren. Die Konsequenz daraus folgt wenig später, denn meine Hände und Arme vibrieren regelrecht durch die Wucht des mutmaßlichen Einschlags der Klinge auf die Holzkeule. Nicht.im.Ernst. Habe ich gerade etwa den Schwertschlag des Bokblin abgeblockt? Wie viel Glück kann man bitte an einem Tag haben? Ja. Gute Frage, keine Zeit für weitere, denn...   „Chris!“, brüllt es laut aus einiger Entfernung. Die Stimme kommt mir verdammt bekannt vor und lässt nichts Gutes erahnen. Außerdem...klingt sie etwas anders als sonst. Ist das Besorgnis? Sollte ich mir gerade in diesem Moment Gedanken darüber machen? Nein. Tue ich es trotzdem? Ja, denn der Urheber der Stimme ist mein vierbeiniger Begleiter, der gerade den Weg entlanggerannt kommt, als wäre eine Horde Bokblin hinter ihm her. Oder der Teufel. Oder ist er am Ende der Teufel, verfolgt er diesen vielleicht? Seine Augen sehen so anders aus, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterläuft. Statt dem sonst eher gelblichen Farbton sind sie nun rot wie die glühende Abendsonne. Ich will ihn am liebsten schon wieder anschreien, dass er sich aus dem Ganzen heraushalten soll, aber würde es überhaupt Sinn machen, das zu tun? Vermutlich nicht, also lasse ich es einfach dabei bewenden und schiele kurz in Richtung des roten Bokblin. Der schweinsnasige Geselle mit seinen übergroßen Ohren schaut ziemlich dumm aus seiner spärlichen Wäsche. Zwar hält er immer noch das Schwert in der Hand, aber er ist wohl zu abgelenkt – oder fasziniert? – von dem, was er da sieht, dass er nicht attackiert. Nun geht alles sehr schnell – fast zu schnell für meinen Geschmack. Wie ein rotbrauner Pfeil prescht Charly weiter voran auf den Bokblin zu und springt diesen an. Seine Zähne versenken sich zielsicher im Unterarm des Monsters, sodass dieses gezwungen wird seine Waffe – eigentlich meine Waffe sowahr Hylia mir helfe – fallenzulassen.   Das Schwert landet zu den Füßen der Kreatur im Staub des Weges, während Charly an dieser hängt und sich wortwörtlich festgebissen zu haben scheint. Warum hält er sich nicht heraus? Ich hab diesen Scheiß immerhin verbockt und es ist nicht seine Aufgabe, mir ständig aus der Patsche zu helfen. Oder? Nein, ist es verdammt nochmal nicht. Mein Begleiter bringt sich durch diese wagemutige Aktion nur selber in Lebensgefahr. Ist ja nun nicht so, dass es ungefährlich wäre, am Arm eines Bokblin abzuhängen. Im Gegenteil. Es ist saugefährlich – um es freundlich auszudrücken. Eigentlich sollte der Steppenfuchs gar nicht hier sein, sondern weg – weit weg, wo ihm nichts passieren kann und er sicher ist vor den Konsequenzen, die mein Handeln ihm gerade aufzwingen. Ich muss das wieder geradebiegen – irgendwie. Hier geht es nicht mehr nur um mich, sondern auch um so ziemlich den einzigen, der mich bislang nicht wie den größten Idioten und Sonderling unter der Sonne Hyrules behandelt hat. Wäre er nicht hier, wüsste ich vermutlich nichtmal, wo ich überhaupt hinsoll.   Getrieben von dieser neugefundenen Motivation hebe ich die schwere Keule wieder mit beiden Händen an und schwinge sie halb ächzend, halb frustriert schreiend nach dem Bokblin, um diesem einen Schlag zu versetzen, der sich gewaschen hat. Man hört und ich spüre auch, dass der Schlag gesessen hat, denn es vibriert mir durch Mark und Bein. Der Bokblin ist von diesem Umstand alles andere als begeistert, er heult schmerzerfüllt auf und will mit seiner freien Hand nach mir schlagen. Keine Ahnung, was er damit bezwecken wollte, außer mir die Waffe aus der Hand zu schlagen, aber er schafft es so oder so nicht. Etwas zieht ihn knapp außer Reichweite – oder vielmehr jemand. Charly, um es ganz genau zu nehmen. Der Steppenfuchs lässt nicht locker und scheint sich wortwörtlich im unteren Unterarm des Bokblin verbissen zu haben. Fast so, als würde er das Monster auf abstruse Art und Weise zwingen, mit seinem Maul Händchen zu halten oder so. Vielleicht will mein vierbeiniger Begleiter ihn aber auch einfach nur dort halten, wo er ist. Seine Zähne graben sich noch tiefer in das Fleisch des Bokblin und als er kurz in meine Richtung sieht, sein protestierend grunzendes Anhängsel leicht nach unten ziehend, habe ich das Gefühl, seine roten Augen würden mich gleich aufspießen.   „Flag nofmal pfu“, kommandiert er knurrend. Wie bitte? Wenn ich nicht gerade zufällig um Charlys und mein Leben fürchten müsste, wenn der Bokblin freikommt, würde ich wirklich fragen was genau er gerade gesagt...eher befohlen hat. Genau verstanden habe ich es nicht, aber mir bleibt eigentlich keine andere Möglichkeit. Außerdem, warum sind seine Augen rot und nicht mehr gelblich wie sonst? Verdammt, konzentrier dich! Mit einem undefinierbaren Schrei auf den Lippen wuchte ich die schwere Keule erneut in die Seite des Bokblin und er scheint für einen Moment fast die Balance zu verlieren, kann sich aber gerade so noch fangen und schreit kampfeslustig in meine Richtung. Dass der Steppenfuchs sich immer noch in der Nähe seines Handgelenks festgebissen hat, hat der wohl vollkommen vergessen...nein, Fehlanzeige. Hat er nicht. Offenkundig ist die Kreatur nun richtig wütend, denn die Kraft mit der er sich aus Charlys Biss-Griff befreit ist selbst für mich nur schwer greifbar. Sehr wohl begreife ich jedoch, dass er meinem Gefährten im nächsten Augenblick einen heftigen Schlag versetzt, dass er ins hohe Gras neben der Straße fliegt. „CHARLY!“, entwischt es mir Augenblicke später – in einem Ton, der durchsetzt ist von blanker Panik. Das passiert gerade nicht wirklich, das ist nicht echt. Ein Alptraum. Ganz sicher. Ich bin am Lagerfeuer eingeschlafen und träume noch.   Der Bokblin, der da gerade grunzend auf mich zu taumelt, ist nicht echt. Mein Blick scheint an der Kreatur vorbeizugehen, nur für einen Moment fokussieren sich die Augen auf das Gras. Eine vage Bewegung dort lässt mich für einen Augenblick hoffen, doch der Bokblin ist trotzdem immer noch da, ich kann seinen ekelhaft stinkenden Atem fast riechen und als hätte mich jemand geohrfeigt, wird mir bewusst, dass das hier kein Traum ist. Das ist die Realität, ich habe einen der wenigen in den sicheren Tod geschickt, die mich nicht wie eine Aussätzige behandelt haben.   In einem Akt der Wut, Panik und Verzweiflung hole ich erneut zum Schlag aus und eine weitere Vibration geht mir durch Mark und Bein – wenn auch sehr...kurz. Der Spuk scheint vorbei zu sein, denn statt mehr wütenden Bokblingeräuschen sehe ich...ja, was genau ist das eigentlich? Rauch? Ja, das ist Rauch, der rote Geselle hat sich in verdammten Rauch aufgelöst. Und was ist da auf den Boden gefallen? Zwei Zähne? Bokblinhauer... Ist das wirklich so wichtig? Wichtiger ist doch, dass der Bokblin weg zu sein scheint und mir nicht im letzten Aufgebot seiner Kräfte doch noch die Keule abgenommen und damit den Schädel eingeschlagen hat. Warum freue ich mich dann nicht? Ja...das hat einen Grund mit sechs Buchstaben, liegt im Gras und...nope, da bewegt sich nichts. „Charly?!“, rufe ich, während mir die Tränen kommen und die Keule mir einfach aus den Händen rutscht. Was habe ich getan? Verdammt nochmal. Er wird doch nicht... „Verflucht nochmal...ich hab doch gesagt lauf weg...“ Kapitel 7: Schuldgefühle ------------------------ Der Sieg über den Bokblin fühlt sich nach...gar nichts an, ich sammele wie hypnotisiert lediglich mein Schwert ein, um es wegzustecken, und starre dann einen Moment die Bokblinhauer an, während mir weiter die Tränen übers Gesicht laufen. Diese Scheißteile können warten, Charly ist wichtiger... Es fühlt sich wirklich an wie ein Alptraum, nur ist das leider sehr real – genauso wie der dumpfe Schmerz in den Knien, als ich mich am Wegesrand in der Nähe des Grases auf den Boden fallenlasse, um nach Charly zu sehen. „Es tut mir so entsetzlich leid...ich...wollte das nicht. Scheiße verdammt, hör auf zu flennen...Heulsuse. Nichtmal auf nen Freund aufpassen kannst du.“ Mich selbst niedermachen klappt ja ganz wunderbar – und ist mehr als berechtigt, schließlich habe ich hier bereitwillig jemanden in Gefahr gebracht, obwohl es nicht hätte sein müssen. Jemand hat schon wieder dazwischengrätschen und helfen müssen. Schon wieder? ...ach Scheiß drauf. Fällt mir eh nicht ein. Im hohen Gras, vor dem ich immer noch knie, rührt sich nichts, nur ein paar Halme bewegen sich in einer leichten Brise und...verdammt, wieso sehe ich das jetzt erst? Ich muss blind gewesen sein, den mitten im Gras liegenden Charly einfach übersehen zu haben. Ha...blind...würde immerhin zur Brille passen. Das Teil sitzt mir auf der Nase wie festgewachsen und ist dementsprechend ebenfalls dreckig geworden, doch das ist gerade eh alles egal. Mir wird übel, als ich das Blut im Fell des Steppenfuchses sehe. Habe ich meinen vierbeinigen Begleiter...nein, einen Freund wirklich auf dem Gewissen? Er sieht aus, als hätte man ihm verdammt übel mitgespielt und das ruft nicht unbedingt Positivität auf den Plan. Ich knie immer noch heulend und schniefend da wie ein Häufchen Elend, während ich den Fuchs anstarre. Du hast ihn umgebracht...er hilft dir aus der Klemme und so dankst du es ihm... Du bist kein Freund, sondern ein Monster... Danke für die Erinnerung liebes Gehirn; wäre mir ja glatt entfallen, dass ich potenziell Charly in den Tod geschickt habe...   Moment...habe ich was an den Augen oder hat sich da gerade etwas bewegt? Eindeutig ja, oder ich bilde mir das gerade nur ein. Mache mir Hoffnungen, wo keine sind. Ja, das muss es sein: Eine Einbildung, müssen wohl irgendwelche Zuckungen gewesen sein...oder? Mittlerweile hat die Flut der Tränendrüsen zumindest ein bisschen abgenommen, als ich mich schniefend nach vorne lehne und mehrmals blinzele. Da verschlägt es mir erstmal glatt selbst den Atem, denn Charly scheint diese Tortur doch überstanden zu haben. Noch ehe mein Gehirn diese neue Information richtig verarbeiten kann, werde ich gleich in die nächste Überraschung geschmissen. Der Fuchs öffnet tatsächlich die Augen. In meinem Kopf kommt auch diese Information zunächst nicht richtig an, als würde meine Wahrnehmung das Ganze für eine Illusion halten – etwas, das ich mir einbilde. Als sich der erste Schock gelegt und die Realisierung eingesetzt hat, dass das doch die Realität ist, ist Charly bereits dabei, sich hochzurappeln. Allein vom Zuschauen setzt bei mir ein gewisser Mitleidsschmerz ein und die Tränen fließen wieder. Ich will Charly am Liebsten um den Hals fallen oder Sonstiges – oder ihm sagen, dass er sich verdammt nochmal ausruhen soll. Oder ihn fragen, ob ich etwas tun kann, aber mein Mund ist wohl schneller als mein Gehirn. „Hylia sei Dank...du lebst...du lebst...ich...ich dachte wirklich, du wärst...“, stückele ich zusammen. „Bleib liegen, du...du hast sicher Schmerzen.“ Und das ist nicht nur so dahergesagt; man sieht, dass der Steppenfuchs mit jeder Bewegung kämpft, sein Maul ist zusammengepresst und nur ab und zu höre ich gedämpftes schmerzhaftes Stöhnen aus seiner Richtung. Herzlichen Glückwunsch zum Erkennen des Offensichtlichen, Chris. Großartiger Freund bist du... Warum hilfst du ihm nicht?   Statt den Gedanken in die Tat umzusetzen, knie ich weiterhin einfach nur da herum und lasse den Tränen freien Lauf. Einerseits bin ich unheimlich erleichtert, dass mein tierischer Begleiter doch nicht tot ist, andererseits nagen diese verdammten Schuldgefühle immer noch an mir. Hätte ich meine Nervosität besser im Griff gehabt, wäre das alles nicht passiert, und er wäre nicht wegen mir verletzt worden. Genau das ist es auch, was mich davon abhält, dem Fuchs Hilfe anzubieten – das und eine gewisse Angst, es ohnehin nur falsch zu machen, egal was ich jetzt versuche. Meine Finger zittern, während ich krampfhaft versuche, die Wangen trocken zu bekommen – erfolglos. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen? – kämpft sich Charly in eine halbwegs sitzende Position und man hört neben den Geräuschen der Natur nur seinen Atem und mein Herumschniefen, ehe er den Kopf sacht schüttelt und dann in meine Richtung sieht. Einen Augenblick mal... Die Augen sind ja gar nicht mehr rot. Oder habe ich mir diesen Farbwechsel vorhin in all dem Durcheinander nur eingebildet? Vielleicht, vielleicht nicht. Was genau das Tier gerade tut, ob er mich einfach nur mustert oder versucht, aus dem verheulten Blick irgendwas abzulesen, weiß ich nicht. Warum sich seine Mimik nur kurz darauf ändert, ist mir ebenso ein Rätsel wie die Tatsache, dass wir beide offenkundig immer noch leben. Ist es Enttäuschung? Sorge? Verwirrung? Verachtung? Hohn? Ich weiß es wirklich nicht zu deuten...es ist...kompliziert.   „Chris“, spricht Charly unvermittelt, sein Tonfall ist dabei ruhig und sachlich. Vollkommen wertungsfrei fährt er auch fort, während ich die Nase hochziehe und an meinen Augenwinkeln herum reibe, um die Tränen endlich zu stoppen. Kann doch nicht sein, dass ich mich hier so gehen lassen, das geht nicht. Heulsuse, hör endlich auf zu flennen...das gibts doch nicht... „Du musst dringend lernen, für dich selbst einzustehen – und dich mehr wertschätzen.“ Der Satz schlägt ein wie eine Donnerblume und ich starre den Fuchs an.   Aber...hab ich das nicht? Hat er das vorher etwa gehört? Weiß er Dinge, die ich nicht weiß? Gut, Letzteres wäre kein Wunder. Jeder Stein am Wegesrand wüsste im Vergleich zu meinem lückenhaften Gedächtnis höchstwahrscheinlich mehr als ich. „Aber...ach, egal...“ Nein, nicht egal. Eher...irrelevant. Interessiert ihn sicher nicht, was ein falscher Fünfer wie du zu sagen hat. Erst recht nicht nach dem, was du ihm da zugemutet hast. Der Fuchs hat sich sicher schon seine Meinung zu mir gebildet und nach dem, was er gerade vom Stapel gelassen hat, ist das Ergebnis nicht unbedingt positiv – zumindest beharrt mein dummes Gehirn stur auf diesem Standpunkt. Ich lasse es einfach so stehen, wenn man so will. Was soll ich schon groß mit mir selbst streiten? Das wäre fast so lächerlich wie...ja, was eigentlich? Sind mir allen Ernstes die Vergleiche ausgegangen? Nein, ich finde nur gerade keine Worte mehr für all das. Die Worte meines Begleiters haben mehr losgetreten, als nur mögliche Gedanken daran, dass er vielleicht alles gehört haben könnte – oder sogar meine Gedanken lesen kann. Ich weiß nur noch nicht, was genau es ist. Es ist fast so, als würden diese Worte etwas in den Untiefen meines Gedächtnisses ankratzen – aber mehr auch nicht. Ich kann es weder greifen noch sonst etwas.   Satzfetzen wie ‚wehr dich doch endlich mal‘, ‚du musst dir nicht alles von ihm gefallen lassen‘ und Vergleichbares kommen mir in den Sinn. Doch sie verflüchtigen sich so schnell wie ein Tropfen Wasser auf kochend heißem Stein, noch bevor ich überhaupt die Chance habe es konkret zu greifen und tiefer zu graben. Nicht dass ich das gerade überhaupt will – oder allgemein einen Sinn für Prioritäten habe. Dazu mischen sich auch noch die Vorwürfe, die ich mir bezüglich des Zustandes von Charly mache, dass ich für kurze Zeit wirklich dachte, er... Schluss jetzt, raff dich...verdammt nochmal. Ich patsche mir auf die noch leicht nassen Wangen – und stelle fest, dass Charly dabei ist, aufzustehen. Die Fuchsbeine zittern vor Anstrengung...und ganz ehrlich, es würde mich stark wundern, wenn die Fellnase keine Schmerzen hätte. Sofort sind die Vorwürfe wieder da – als hätten sie nur darauf gelauert, dass ich einen Moment unaufmerksam werde.   „Wir müssen weiter“, kommt es von meinem vierbeinigen Begleiter, und seine Stimme bricht mir fast das Herz. Er hat doch Schmerzen... Ob da jemand zu stolz ist, genau das zuzugeben? Dass er Hilfe brauchen könnte? Erinnert mich irgendwie an mich selbst – auch wenn ich nicht genau sagen kann, woher das rührt. Er läuft los und lässt mich einfach zurück. Rasch stehe ich auf – eine Aktion, die meine Knie mit weiteren Schmerzen bedingt durch das längere Knien quittieren. Verdient, wie mir kurz durch den Kopf geht, während mir die herumliegenden Bokblin-Hauer und die unhandliche Keule ins Auge fallen. Ob man mit den Hauern wohl irgendwas anfangen kann? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Eventuell kann ich sie auch als Wurfgeschosse gegen Bo benutzen, wenn wir je wieder zum Stall zurückgehen sollten. Die beiden Hauer wandern in meinen Rucksack...und die Keule? Die bleibt sicher nicht hier liegen. Entweder mache ich Brennholz daraus oder verkaufe sie irgendwo. Nur...wie transportiere ich dieses blöde Ding, dessen Kerbe im Holz mich kurz innehalten lässt? Gute Frage.   Nachdenklich betrachte ich den Rucksack zu meinen Füßen, und den daran festgemachten Schild, und schüttele schließlich den Kopf. Es hat keinen Mehrwert, diese dämliche Keule mitzuschleppen – auch wenn sie mir indirekt den Hintern gerettet hat. Ich packe den Rucksack wieder auf den Rücken, hebe die Keule auf und schleife sie irgendwo ins hohe Gras, bevor ich Charly hinterherlaufe. Der Fuchs scheint nämlich schon weitergegangen zu sein und folgt weiter dem Weg nach Südosten. Seine Humpelei tut mir in der Seele weh, von der federhaften Leichtigkeit seiner Schritte ist rein gar nichts mehr übrig und ich blinzele angestrengt, als sich wieder ein paar Tränen ihren Weg bahnen wollen. Keine Chance, nicht schon wieder! Genug geflennt. „Willst du dich nicht wenigstens verarzten lassen...?“, bricht es aus mir heraus, als ich zu ihm aufgeschlossen habe – und bekomme nur ein angedeutetes Kopfschütteln als Antwort. „Aber...du bist verletzt und deine Gesundheit ist wichtiger!“, fahre ich leicht erbost fort. Mir jedenfalls.   „Nein“, antwortet der Fuchs mit belegter Stimme. „Wir haben außerdem schon genug Zeit verloren. Unser Weg ist noch weit.“ Ich rolle mit den Augen. Kann er denn wirklich gar keine Zeit für eine kleine Pause entbehren? Ist die Person, zu der er mich bringen soll, etwa vom Stall aus weitergezogen und wir müssen diese jetzt einholen? Kurz versinke ich in Gedanken daran, wer es wohl sein könnte, zu dem Charly mich bringen soll – auch mit dem Risiko, dass mir der Name vermutlich rein gar nichts sagen würde, wenn ich ihn höre. „Ich könnte dich auch tragen, wenn du schon keine Pause machen willst“, überlege ich schließlich laut. „Oder wenn du auch das nicht möchtest, lass dich wenigstens verarzten, sobald wir wo auch immer angekommen sind.“ Ja...wo auch immer ist gut. Woher die Idee mit dem Tragen allerdings kommt, weiß ich gerade auch nicht so genau. Vermutlich geht da irgendein kruder Beschützerinstinkt mit mir durch. Allerdings reagiert mein Gefährte nicht allzu begeistert, seine gelblichen Augen funkeln fast schon etwas böse in meine Richtung. Trotz der Mitleid erregenden Verfassung, in der er sich befindet, ziehe ich reflexartig den Kopf ein wenig ein. „Du hast schon gemerkt, dass ich es nicht mag angefasst zu werden, oder? So gut es gemeint ist, aber...nein. Außerdem werde ich eine Versorgung an unserem Zielort vielleicht nicht einmal mehr brauchen.“   Was bei allen Bokblin-Hauern ist das denn für eine Antwort? Und überhaupt, woher soll ich wissen, dass er es nicht mag angefasst zu werde- ...oh. Mir kommt spontan eine Sache in den Sinn, bei der das irgendwie klar gewesen sein könnte – und zwar als Kashiwa ihn am Lagerfeuer gestreichelt hat. Da hat es wirklich so ausgesehen, als würde ihm das nicht in den Kram passen. Sonst hat es bisher keine Gelegenheit gegeben, zu der das in irgendeiner Form Thema gewesen wäre, daher trifft mich dieser Teil seiner Antwort ein wenig unerwartet. Was dem sprichwörtlichen Fass jedoch den Boden ausschlägt, ist die Aussage von wegen, bis zum Zielort wäre eventuell keine Versorgung mehr nötig. Weiß er überhaupt, wie er aussieht? Da kann er mir erzählen, was er will, das heilt niemals so schnell – oder... Düstere Gedanken schleichen sich schon wieder aus dem Hinterhalt an, doch ich schiebe sie mit aller Gewalt in die hinterste Ecke meines löchrigen Käse-Gehirns und plustere stattdessen kurz ein wenig schmollend die Wangen auf.   „Ich meins ja nur gut“, murre ich missgelaunt und schüttele entmutigt den Kopf. Wenn dieser Sturschädel unbedingt meint, sich quälen zu müssen, ich werde ihn nicht aufhalten. Auch wenn genau das vermutlich besser wäre. Während wir dem Weg weiter folgen, gibt es zuerst noch nicht viel Neues zu sehen - außer mehr Wiesen und vereinzelte Bäume, aber man kann etwas riechen. Etwas...leicht Fauliges, das mich irgendwie an Morast und Sumpf erinnert, an modriges, verfaulendes Holz. Ist hier ein Sumpf in der Nähe? Sehen kann ich zwar nichts, aber der Geruch ist wirklich unverkennbar...sumpfig. Wenn wir nach dem Kampf gegen diese Bokblin jetzt auch noch einen Sumpf durchqueren müssen...ich schwöre, ich gehe freiwillig zurück zum Stall, wenn das passiert.   „Wenn du dich schon nicht tragen lassen willst...kannst du mir wenigstens eine Frage beantworten...oder halt...zwei?“, frage ich meinen vierbeinigen Begleiter schließlich – auch wenn mir natürlich gefühlt tausend Fragen auf der Zunge liegen. Aber zum Einen will ich den Fuchs nicht unnötig nerven, zum anderen glaube ich kaum, dass ich überhaupt irgendwelche Antworten verdient hätte. Eigentlich will ich ja so viel wissen, aber nach diesem Zwischenfall bin ich nicht der Meinung, dass Charly groß in Stimmung ist, irgendetwas zu erklären. Geschweige denn dass er gut auf einen zu sprechen wäre oder sonst etwas. Nach vielleicht einer, maximal zwei Minuten schüttele ich dann doch den Kopf, ohne auch nur eine Frage gestellt zu haben.   „Schon gut...du hast gerade sicher andere Sorgen. Auch wenn mein Angebot immer noch steht. Das mit dem Tragen mein ich“, lasse ich stattdessen verlauten und fokussiere meinen Blick lieber auf den Weg – auch wenn ich nicht verhehlen kann, dass meine Augen immer wieder auf Charly hängenbleiben. Und damit schleichen sich auch die verdammten Vorwürfe wieder ein und öffnen den Schuldgefühlen Tür und Tor – sinnbildlich gesprochen. „Ich dachte vorhin wirklich...du wärst...Geschichte...warum bist du nicht weggelaufen?“ Dass ich diese Gedanken gerade laut – eher halblaut – ausspreche, fällt mir leider ein wenig zu spät auf und ich presse die Lippen aufeinander, den Blick auf meine Stiefel senkend. Verdammt, das sollte er doch nicht hören...Idiot! Schloss absperren und Schlüssel wegschmeißen...und hör auf mit dem Getue. Meine Hände ballen sich zu Fäusten und ich marschiere zügig weiter. „Das habe ich gestern schon erklärt“, kommt es schnaufend von meinem Begleiter und ich bleibe kurz stehen. Hat er dieses Gebrubbel etwa gehört? Nun, offenkundig hat er das, denn anders ergeben seine Worte in meinem vollen und doch so leeren Kopf keinen wirklichen Sinn. Trotzdem frage ich mich, was genau er damit meint, von wegen er hätte mir das gestern schon erklärt. Das ergibt für mich im ersten Moment ebenso wenig irgendetwas und davon ab war gestern ein für meinen Geschmack viel zu langer Tag. „Hm...“, mache ich erst einmal nur und meine Haltung entspannt sich ein wenig, während ich weiter nachdenke und einfach nur laufe. Den Blick richte ich – hauptsächlich um Charly nicht zu verlieren – wieder geradeaus und nicht auf meine Stiefel. Auch wenn die zugegebenermaßen doch interessant sind. Irgendwie zumindest. Depp...denk lieber darüber nach, was- ... ... ...Oh! Ich batsche mir mit einer Handfläche gegen die Stirn und fluche leise – und vor allem nicht jugendfrei – vor mich hin. Wie kann man nur so dämlich sein und die simpelste, wenn auch irgendwo wichtigste Äußerung vergessen? „Die Magie in dieser Welt folgt gewissen Regeln...“ So ungefähr hat Charly das gestern grob zusammengefasst erklärt. Ich neige den Kopf leicht nach links, während ich diesen Satz vor mich hinbrumme.   „Müsste das dann nicht heißen, dass du quasi...an mich gebunden bist und nicht weglaufen konntest, selbst wenn du gewollt hättest? Oder habe ich das gestern einfach nur falsch verstanden von wegen, dass die Magie in dieser Welt gewissen Regeln folgt?“ Vielleicht habe ich das einfach nur falsch verstanden. Vielleicht nicht. Ich weiß es nicht. „Du musst mir nicht darauf antworten, wenn es dir unangenehm ist...oder du vielleicht selber keine Antwort hast oder so. Wirklich.“, biete ich an, denn eigentlich will ich Charly nicht mit Fragen löchern. Nicht in diesem lädierten Zustand, da tut er mir einfach nur Leid. Diese verdammte Neugier wird mich irgendwann noch ins Grab bringen... Wobei, vorhin gegen den Bokblin hätte sie vielleicht sogar hilfreich sein können, wenn die Panik nicht die Oberhand gehabt hätte. Rasch verwerfe ich den abstrusen Gedankengang wieder und schüttele den Kopf. Charly unterdessen brummt nur zustimmend, und fast noch im gleichen Moment fällt mir noch eine weitere Sache ein. Quasi wie Zora-Schuppen von den Augen – oder so.   Als der Fuchs und ich uns begegnet sind und er anschließend Richtung Stall vorgelaufen ist, musste ich ihm gewissermaßen folgen, ich hatte keine andere Wahl gehabt. Es war da fast so, als hätten meine Beine ein Eigenleben entwickelt, als würde mich jemand anschieben. Aber ob das zusammenhängt? Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher. Bald darauf kommen wir an einer Weggabelung an, an den sumpfigen Geruch habe ich mich wohl schon gewöhnt – denn er sticht nicht mehr gar so sehr in der Nase. Irgendwie...mag ich den modrigen Holzgeruch sogar. Kapitel 8: Der Weg ist das Ziel ------------------------------- Der Hauptweg führt uns weiter eine Anhöhe hinauf – in der Theorie jedenfalls. Was da oben wohl ist? Wie selbstverständlich will ich schon weiter geradeaus marschieren, doch mein Begleiter dreht nach links ab, der entsprechenden Abzweigung weg von der Anhöhe folgend. Ich setze die Brille kurz ab, um sie an meinem roten Überwurf zumindest grob zu reinigen, denn eine leichte Staubschicht liegt darauf. Wirklich hilfreich ist das nicht, da der Rest ebenfalls staubig ist, aber wenigstens ist das Gröbste schonmal weg – bis auf eine kleine Schliere, aber das stört mich gerade weniger. Währenddessen folge ich dem Fuchs weiter und nachdem wir eine leichte Senke hinuntergegangen sind, kann ich den Sumpf nicht nurmehr riechen, sondern auch sehen. Einige wenige Bäume mit weiß-gräulicher Rinde haben sich hier heimisch gemacht, wie es aussieht. Doch was fast noch wichtiger ist, sind die halb verfallenen Ruinen von etwas, das wohl mal ein Dorf gewesen zu sein scheint. Doch noch bevor ich den Mund öffnen kann, kommt Charly mir zuvor. „Ich...brauche eine Pause“, murmelt es aus seiner Richtung und wie auf Kommando werden meine Augen ein wenig größer, bevor ich ihn ansehe und nicke. Man hat deutlich heraushören können, wie unangenehm es ihm ist, sich das einzugestehen – von der Tatsache, wie schwer ihm das gefallen sein muss, ganz zu schweigen. Ich lasse das unkommentiert und gemeinsam suchen wir uns ein halbwegs gemütliches Plätzchen im Gras – irgendwo zwischen dem sumpfigen Teil der Landschaft und der Straße.   Ich setze zuerst den Rucksack ab und hocke mich dann im Schneidersitz neben meinen vierbeinigen Begleiter. Quellwolken ziehen über den Himmel, während ich überlege, ob ich ein Gespräch beginnen soll – entscheide mich dann aber dagegen. Wenn Charly gesagt hat, er bräuchte eine Pause, dann ist es sicher nicht sonderlich klug, ihn mit Fragen zu löchern – oder? Seufzend starre ich in den Himmel und sehe ein paar Reiher vorbeifliegen. Sonderlich viel kann ich aus dieser Position heraus nicht erkennen, aber soweit das Auge reicht, gibt es nur freie Natur, Sumpf, Bäume und Berge. Vielleicht hat die Karte es sich mittlerweile anders überlegt und beschlossen, mir lesbare Buchstaben statt komischer geometrischer Formen anzuzeigen. Dann wüsste ich zumindest, wo in Hyrule wir uns ungefähr befinden. Die Ebene haben wir ja hinter uns gelassen, oder? Hm...immer noch nichts Brauchbares. So ein Mist! Statt mich weiter darüber zu ärgern, dass die Karte nach wie vor so viel Nutzen hat wie ein Stapel Moderholz, tippe ich neugierig auf den orangeroten Punkt, der schon wieder fast mit dem Gelben auf der Karte zu verschmelzen scheint. Es ist eine willkommene Ablenkung, sich mit dem Gerät an meinem rechten Handgelenk zu beschäftigen, da sich meine Gedanken sonst vermutlich die ganze Zeit im Kreis drehen würden – und das will ich gerade nicht.   Ehwas? Das Armband zeigt mir zwei Dinge an, kaum habe ich den Punkt angetippt. Zum einen mehr komische, geometrische Formen, die keinen Sinn ergeben, zum anderen...Herzen direkt darunter? Sehe ich das gerade richtig oder spielt mir meine Wahrnehmung einen Streich? Gute Frage, nächste Frage, aber die vier Herzen, von denen drei nur jeweils von einem roten Rand dargestellt werden, geben mir zu denken. Ebenso das eine, welches nur zu drei Vierteln gefüllt zu sein scheint. Was zum Geier hat das zu bedeuten? Das fällt sicher auch unter diese ominösen Regeln, oder? Hm...ich will lieber nicht herausfinden, was passiert, wenn alle Herzen leer sind. Weder bei ihm, noch mir. Vielleicht ist es aber auch ein harmloses Gimmick. Nein, das kann nicht sein, es muss eine Bedeutung haben. Ich spiele noch ein wenig auf dem Armband herum und lande dabei zufällig auf meinem eigenen Punkt auf der Karte. Zumindest glaube ich, es ist meiner. Mittlerweile sind neben den Herzen und dem grünen Ring noch mehr Dinge aufgetaucht...oder vielmehr mehr geometrische Zeichen, die keinen Sinn ergeben. Die Zeichen waren vorher noch nicht da... Doch so sehr ich auch versuche, dem Ganzen einen Sinn zu entlocken, es will mir nicht gelingen. Mein Gehirn streikt – was das angeht – rigoros. Aber gut, das ist mittlerweile leider nichts Neues mehr.   Außerdem könnte ich mir immer noch in den Arsch beißen für meine eigene Unfähigkeit, den Bokblin-Reitern aus dem Weg zu gehen und stattdessen einen Kampf zu provozieren. Einen, der meinen Gefährten beinahe flauschigen Kopf und Kragen gekostet hätte. Alleine, wenn ich darüber nachdenke, muss ich das Gesicht verziehen. Vorrangig weil sich das auch einfach hätte vermeiden lassen können. Aber jetzt sitzen beziehungsweise liegen wir hier im Gras, ein Grashüpfer hat es sich auf einem meiner Knie gemütlich gemacht und ich starre das Insekt einen Moment einfach nur an, bevor ich die Hand danach ausstrecke. Doch ich bin zu langsam – oder habe mich zu sehr bewegt, keine Ahnung. Der Hüpfer macht auf jeden Fall, dass er wegkommt und verschwindet zwischen ein paar Grashalmen.   Unverständliches grummelnd widme ich mich wieder dem Armband, tippe wieder auf Charlys Punkt auf der Karte – und kann somit etwas Erstaunliches beobachten: Das Viertel-Herz verschwindet langsam, aber sicher. Füllt es sich etwa auf? Wenn ja, wäre das wichtig im Hinterkopf zu behalten. So gaaanz eventuell. „Faszinierend...“ Ob das jetzt der Landschaft oder dem Armband gilt, oder beidem, weiß ich gerade selber nicht.   Es dauert zudem nicht lange, bis sich mein Begleiter wieder regt und tatsächlich so etwas wie gähnt, bevor er von seinem Plätzchen aufsteht. Ich tue es ihm gleich und schnappe mir meinen Rucksack. Wie viel Zeit wohl vergangen ist? Ich weiß es nicht genau, aber schätzungsweise ist es vielleicht eine halbe Stunde oder so. Genug Zeit auf jeden Fall, um zu verschnaufen. Das kleine Power-Nap scheint dem Fuchs zumindest gutgetan zu haben, denn er wirkt wesentlich frischer als vorhin und humpelt auch nicht mehr.   Erleichtert atme ich aus und folge mit ihm gemeinsam dem Weg, wir drehen dem Sumpf den Rücken zu und marschieren die leichte Senke zurück nach oben. Doch sonderlich lange bleibt uns der Weg nicht erhalten, er verliert sich ab einem bestimmten Punkt einfach im Gras. Ein wenig mulmig wird mir schon zumute, geht es jetzt etwa querfeldein weiter? Nun, es scheint zumindest so. „Du siehst besser aus als vorhin“, versuche ich es mit ein bisschen Smalltalk. Es fühlt sich irgendwie seltsam an, da einfach so aus dem Nichts damit anzufangen, aber nun ist es eh schon zu spät und ich wedele mit den Händen vor meinem Gesicht herum. „V-Vergiss es, es ist mir nur aufgefallen. Außerdem...habe ich da noch ein paar Fragen an dich.“ So funktioniert Konversation zwar nicht, aber das ist mir gerade eher egal, ich plappere einfach nervös weiter: „Bin ich aus einem bestimmten Grund hier...weißt du etwas darüber? Ich meine...du sollst mich ja zu irgendwem bringen, hat der- oder diejenige vielleicht einen Grund genannt? Ich weiß leider absolut gar nichts mehr, weder wie noch warum es mich auf die Ebene von Hyrule verschlagen hat. Oder...“ Einen Moment stoppe ich meinen nervösen Redefluss, um Luft zu holen. „Vielleicht klärt sich alles auf, wenn wir da sind... Eventuell kommt dann auch mein restliches Gedächtnis wieder.“ Wobei...will ich das überhaupt? Die beiden Szenen, die sich in meinem Gedächtnis festgebrannt haben, als ich meinen Namen erfahren habe...und später bei dem Krog im Wald, lassen mich daran zweifeln, ob ich das wirklich möchte. Seufzend schüttele ich den Kopf.   Sonderlich erpicht darauf bin ich jetzt nicht. „Ist das deine Art? Fragen zu stellen und dann keine Antworten zu erwarten?“, werde ich nur wenig später gefragt. Mein Begleiter hat den Kopf in meine Richtung gedreht und täusche ich mich, oder...nein, seine Mimik wirkt wieder einmal eher menschlich als fuchsig. Er schmunzelt und müsste ich seinen Tonfall interpretieren, wäre das gerade wohl weniger ernst gemeint. Trotzdem plustere ich kurz die Wangen auf, bevor mir ein Kichern entwischt. „Kann schon sein“, gebe ich mit einem schiefen Grinsen und vor allen Dingen wesentlich entspannter als vorhin bei meiner nervösen Fragerei zurück. Vielleicht bin ich ja wirklich so jemand, der keine Antworten auf seine Fragen erwartet. Wer weiß das schon außer meinem löchrigen Käse-Gedächtnis? „Warum genau du hier bist, kann ich dir aber leider auch nicht beantworten. Ich wurde lediglich geschickt, um dich zu holen, weil es sehr wichtig ist“, fährt Charly nach einer kurzen Pause fort – wobei ich gestehen muss, dass der letzte Teil eher nach einer Art Zitat klingt. Auswendig gelernt eben.   Unterdessen folgen wir dem grünen Pfad weiter hinauf. Wenn hier irgendwann einmal ein Weg war, gibt es ihn schon lange nicht mehr. Davon abgesehen wüsste ich nicht, was wir abseits der Wege wollen – auch wenn ich in einiger Entfernung etwas ausmachen kann, das nicht felsig, bergig oder grün ist. Was genau, weiß ich nicht, dazu ist es zu weit entfernt. Hoffentlich nicht noch mehr Bokblin-Reiter...   „Wegen deines Gedächtnisses... Ich habe keine Ahnung. Vermutlich wurde ich aber deswegen geschickt. Die Person hat wahrscheinlich gewusst, was los ist und mich aus diesem Grund losgejagt“, erklärt Charly weiter und hält kurz inne. „Zumindest würde ihr das ähnlich sehen...“, murmelt er und eine gewisse Genervtheit schwingt mit. Moment...ihr? Einen Moment kitzelt da etwas an meinem löchrigen Gedächtnis, doch ich lasse das erstmal beiseite. Links und rechts von uns befinden sich mittlerweile große Felsen und vorhin noch meine ich, dass wir einen Baum passiert haben. Genau habe ich das nicht mehr im Kopf, da ich zu beschäftigt mit anderen Dingen war. Vielleicht ist da auch kein Baum gewesen.   In der Ferne – aber dennoch näher, als ich mir vorstellen kann – höre ich das bekannte Wiehern eines Pferdes. Alarmiert zucke ich zusammen und sehe mich nach meinem Begleiter um, doch der ist immer noch da, wo er die ganze Zeit war: leicht vor mir. Ich atme fast schon erleichtert aus. Zum Glück... Ich habe keine Lust, nochmal das Gleiche durchzumachen wie vorhin. Ein weiteres Mal packe ich das einfach nicht. Nicht in so kurzer Zeit. Charly hat die Ohren aufgestellt und scheint neugierig geworden. Eigentlich will ich ihm ja eher mitteilen, dass er in meiner Nähe bleiben soll, bringe aber schon wieder keinen Ton heraus. Der Fuchs trippelt stattdessen los und hüpft auf einen der Felsen. Ich lege den Kopf schief. Hat er etwas entdeckt? Offenbar ja, sonst wäre er ja wohl kaum von unserem Weg abgekommen. Doch als er zu mir sieht und mich mit einer kurzen Kopfbewegung dazu auffordert, zu ihm zu kommen, werde auch ich wieder neugierig und folge der stillen Aufforderung ohne weitere Fragen zu stellen. Ihm auf den Felsen folgend, sehe ich wenig später den Grund für seine Abgelenktheit. Vier Wildpferde, eine kleine Herde. Zumindest sehen sie aus wie solche.   „Du solltest versuchen, eines von ihnen zu zähmen“, sinniert der Fuchs vor sich hin und sieht zu mir. „Und auch dein Trauma von eben überwinden.“ Ich stehe indes einfach nur da, starre meinen Begleiter an, dann die Pferde und wieder zurück. Meint er das gerade ernst? Nun...es sieht nicht so aus, als wäre Charly gerade nach Scherzen zumute. Mal davon abgesehen war das nicht das einzige traumatisierende Erlebnis und das möchte ich bei der Göttin nun wirklich ungern wiederholen – um es freundlich auszudrücken. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, mich diesen Tieren freiwillig zu nähern, das kann Charly nicht von mir verlangen. „Und wie genau soll ich das machen?“, frage ich und verziehe nachdenklich das Gesicht, der Blick bleibt dabei die ganze Zeit über eher an den Tieren hängen. „Wäre es nicht besser, wenn du ein gutes Wort für mich einlegst? Von Tier zu Tier und so...“, überlege ich laut und blicke zurück zu meinem Begleiter – dem die Gesichtszüge dezent entgleisen. Kurz kann ich ihn pikiert zur Seite schauen sehen. „Dein Ernst, Chris? Glaubst du, ich bin zweisprachig?“, echauffiert er sich und noch bevor mein Mund mit einer Gegenfrage antworten kann, fährt der Steppenfuchs auch schon fort: „Tut mir leid, bin ich nicht. Das musst du ganz allein hinbekommen.“ Mir bleibt der Mund offen stehen, doch ich klappe ihn bald wieder zu. „Hätte ja sein können...war nur so ein Gedanke. Tut mir leid, Charly.“ Ich versuche, nicht allzu enttäuscht zu klingen. Eigentlich sollte ich froh sein, dass der Fuchs so reagiert hat, wie er reagiert hat. Trotzdem stellt mich das vor ein Problem. Irgendwie will ich mich diesem Trauma schon stellen, andererseits aber auch nicht. Was, wenn wieder irgendetwas passiert? Kopfschüttelnd verscheuche ich die finstere Gedankenwolke, die sich gerade wieder aus dem Hinterhalt anschleicht. Ich habe jetzt keine Zeit für sowas...   Mein Blick geht zurück zu der kleinen Herde. Es sind spontan keine neuen Tiere hinzugekommen, also grasen da nach wie vor vier Pferde friedlich und ungestört vor sich hin. Sie haben die unterschiedlichsten Fellfarben, von Schwarz über Braun bis hin zu einem grünlichen Blau ist alles vertreten. Für sich eigentlich wunderschöne Tiere. „Aber ich denke, ich werde es trotzdem versuchen...“, murmele ich und klettere vorsichtig von dem Felsen herunter. Mein löchriges Gedächtnis meldet sich gerade in dem Moment, da ich darüber nachdenken will, wie ich es am Dümmsten anstellen könnte, ohne gleich niedergetrampelt zu werden. Diese einfarbigen Pferde gehören zu den schwierigsten ihrer Art; sie sind unheimlich schwer zu zähmen, für den Anfang eher keine sonderlich kluge Idee. Aber wie bereits erwähnt will ich es trotzdem versuchen. Wenn mich nicht alles täuscht und mein Gedächtnis mir gerade keine üblen Streiche spielt, sollte man zu Anfang eher versuchen, ein geschecktes Pferd zu fangen. Instinktiv ducke ich mich ins Gras, soweit es geht, und schleiche langsam voran. Das, woran ich mich erinnere, ist hier relativ eindeutig. Man muss sich zwingend an die Tiere anschleichen, da sie sonst sofort scheuen und weglaufen, sobald sie einen hören. Hat man sich dann erfolgreich angeschlichen, muss man irgendwie aufspringen und versuchen, es zuzureiten. Wie genau das jedoch in der Umsetzung funktioniert...nunja, mein liebes Gehirn ist schon wieder der Meinung, mir diese eventuell wichtige Information vorenthalten zu müssen. Schööön langsam und vorsichtig. Genau so... Eigentlich, so denke ich mir weiter, eigentlich ist es gar nicht so schlimm. Die Pferde grasen nach wie vor, eins höre ich leise wiehern. Vielleicht hätte ich mich trotzdem auf allen vieren bewegen sollen, denn kaum habe ich einen weiteren Schritt gemacht, verliere ich die Balance und falle nach vorne. Reflexartig strecke ich die Arme aus, um den Fall abzufedern. „Mist“, fluche ich leise. So wird das nichts... Wie Recht ich damit behalte, stellt sich nur wenig später heraus, da ich das donnern von Pferdehufen höre und beim vorsichtigen Aufsehen feststellen muss, dass die Herde die Flucht ergreift. Zum Glück kommen die Pferde nicht direkt auf mich zu, sondern galoppieren nach links, wenn mich nicht alles täuscht in Richtung der Dorfruine. Frustriert haue ich mit der Faust auf den Boden, stehe dann jedoch relativ bald wieder auf – nur um Charly zu erblicken, der demonstrativ den Kopf schüttelt. Wohl frei nach dem Motto: ‚Doch nicht so...‘ Ansonsten kommentiert mein Begleiter diesen eindeutigen Misserfolg nicht, aber wenigstens fühle ich mich nun ein klein wenig besser. Zumindest in Bezug darauf, mich Pferden zu nähern. Sie sind Fluchttiere...also ganz normal, dass sie wegrennen.   Mich grob sauberklopfend kehre ich zu dem Fuchs zurück, der mittlerweile von seinem Platz auf dem Felsen zurück auf den nicht vorhandenen Pfad zu unserem Ziel zurückgekehrt ist. „Wenigstens sind sie dieses Mal nicht direkt auf uns zugerannt...das verbuche ich als Erfolg“, murmele ich vor mich hin und richte meinen Blick wieder auf den Pfad, dem Charly und ich wenig später weiter folgen. Mittlerweile steht die Sonne etwas höher am Himmel, aber ich kann leider nicht genau abschätzen, wie spät es ist. Vielleicht später Vormittag, vielleicht fast schon Mittag, ich weiß es wirklich nicht. Seufzend rücke ich meinen Rucksack ein wenig zurecht und folge meinem pelzigen Begleiter den so genannten Weg hinauf. Außer einer Bergkette und noch mehr grünem Gras kann ich jedoch nicht allzu viel entdecken. Nur ein einsamer Baum steht hier noch und spendet Schatten.   Wir steigen und steigen den Pfad hinauf, doch er will einfach kein Ende nehmen. Wirklich eine Pause machen zu wollen scheint Charly aber nicht. Kurz kommt mir der Gedanke, dass ich vielleicht so etwas wie eine Flasche mit Wasser hätte mitnehmen sollen, doch ich verwerfe ihn rasch wieder. Jetzt ist es ohnehin zu spät und umkehren will ich ehrlicherweise nicht. Bei einem kurzen Blick zurück kann ich den Sumpf schon gar nicht mehr wirklich sehen, auch der modrige Geruch hat sich langsam verabschiedet und ist nun gar nicht mehr wahrzunehmen.   Einzig ein vollbepackter Esel samt menschlicher Begleitung kommt uns bei unserem Aufstieg entgegen, doch ich marschiere einfach an den beiden vorbei – auch wenn ein gewisser Karottenduft von dem vollgeladenen Tier ausgeht. Zum Glück habe ich gut gefrühstückt und genügend Energie für den kräftezehrenden Aufstieg. Ich für meinen Teil spare mir die Puste und somit das Reden einfach. Die Sonne hat ihren Zenit schon längst überschritten, als wir endlich wieder einen ausgetretenen Pfad erreichen. Ich betrachte die Felswände links und rechts und folge dem Weg gemeinsam mit Charly weiterhin. Wenigstens ist der Weg hier halbwegs eben und hat keine großen Steigungen. Vielleicht hätte ich besser daran getan, mir eins der Pferde zu fangen, das hätte einiges erleichtert. Aber gut, wie vorhin bereits erwähnt sind diese Tiere ohnehin extrem schwer zu zähmen. Also war es eine gute Erfahrung, die man mal gemacht haben sollte.   Kurze Zeit später kommt ein einfaches, altmodisch wirkendes Tor in Sicht. Blaue Fahnen schmücken dieses und als wir es fast passiert haben, bleibe ich kurz stehen. Dieses stilisierte Auge...irgendetwas kratzt da an der Hülle meines löchrigen Gedächtnisses, woher es mir bekannt vorkommen könnte. Aber eine konkrete Antwort lässt sich nicht greifen – wieder einmal. Man könnte fast sagen, ich habe mich daran gewöhnt - oder auch nicht. In mir keimt der Gedanke auf, dass wir uns wohl einer Siedlung oder allgemein einem bevölkerten Plätzchen nähern, denn nur wenig später sind leise Stimmen zu hören und wir passieren ein Tor, das dem anderen nur in seiner Form ähnelt. Es sieht jedoch ansonsten wesentlich massiver aus als sein ‚Vorgänger‘. Ohne viel nachzudenken, laufe ich mit Charly an meiner Seite hindurch und fühle fast im selben Augenblick, wie die Strapazen des Aufstiegs von meinen Schultern abzufallen scheinen. Man hört neben den Stimmen nun auch mehrere kleine Wasserfälle. Haben wir es etwa geschafft? Kapitel 9: Paya, die Fremdenführerin ------------------------------------ Kaum sind wir durch das Tor, gibt Charly ein quietschendes Geräusch von sich. Es dauert nicht lange, und er zieht sein Tempo merklich an. Dabei habe ich kaum Zeit, alles zu bestaunen. Über uns klackert es und ich blicke kurz auf. Holztäfelchen sind zwischen den Felswänden außer Greifweite aufgespannt. Was darauf steht, kann man nicht erkennen, falls dort überhaupt etwas zu lesen wäre, aber irgendwie gefällt es mir. Überhaupt scheinen sich diese Seile auch über die Straße zu spannen. Was wohl der Sinn dahinter ist? Gibt es überhaupt einen? Ich richte den Blick wieder geradeaus, um nicht vielleicht versehentlich jemanden umzurennen oder selbst zum Opfer dessen zu werden, und werde von weiteren Eindrücken begrüßt. Zu meiner rechten findet sich eine hübsche kleine Behausung...oder halt nein, es wirkt eher wie ein...ist das ein Geschäft? Der massive Krug über dem Eingangs-Vordach lässt es jedenfalls vermuten. Direkt dahinter – eher daneben – sehe ich eine Art überdimensioniert große Laterne an einer weiteren Hausfassade. Oh! Ob man hier wohl die Nacht verbringen kann? Vielleicht sind sie hier netter als unten am Stall. Wobei das nun nicht unbedingt eine Kunst ist. Abgesehen von Kashiwa und Bos netter Kollegin habe ich dort nicht wirklich freundliche Zeitgenossen vorgefunden. Als ich den Blick nach links schweifen lasse, fällt mir eine riesige Karotte auf, die an der Fassade eines weiteren Hauses thront, und will das Geschäft bereits betreten. Vielleicht bekomme ich hier ja Karotten. Allerdings habe ich die Rechnung ohne die unsichtbare Macht gemacht, die meine Schritte mit sanfter Bestimmtheit – und vor allem ohne mein Einverständnis! – in Charlys Richtung lenkt. Frech! Ich will doch nur nachschauen... Der Fuchs ist weiter vorgelaufen, vorbei an dem mutmaßlichen Krämerladen mit der Karotte an der Fassade und fünf gleichförmigen Steinstatuen, die direkt nebeneinander an einem niedrigen Holzzaun aufgestellt sind. Wohin er wohl will? Doch hoffentlich nicht zu diesem Haus, das dort inmitten von Wasser auf einem Felsen in erhöhter Position gebaut wurde? Ich kann mir nicht helfen, aber der Anblick dieses Gebäudes löst eine gewisse Ehrfurcht aus – fast als wäre das hier ein wichtiger Ort...nein, eher ein Tempel oder etwas in der Art.   Ich lasse den Blick wieder ein wenig schweifen und bleibe bei einem weißhaarigen Mädchen hängen, das gerade den einzigen Zugang in Form einer Holztreppe fegt. Mein vierbeiniger Begleiter lässt wieder einmal ein ‚Bellen‘ erklingen, was das Mädchen in seiner Arbeit innehalten lässt. Sie wendet sich in Richtung Charly und wirkt erfreut, den Fuchs zu sehen. Ich bin in zwei, vielleicht drei Metern Entfernung stehen geblieben und nicht genug damit, dass das Mädchen sich wohl freut, meinen Begleiter zu sehen und diesen sogar anlächelt, nein. Obwohl ich versuche, nicht allzu auffällig auszusehen, blickt sie in meine Richtung und das Lächeln in ihrem Gesicht wird noch ein wenig breiter. Moment mal...freut sie sich etwa, uns zu sehen? Kennen wir uns vielleicht? Jetzt, wo ich das Mädchen genauer betrachte, fällt mir etwas ins Auge – wortwörtlich. Bilde ich mir das gerade nur ein, oder hat sie ein ähnliches Symbol wie auf den Fahnen auf ihrer Stirn? Nun, vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Die helle, nur mit roten Rändern akzentierte...ich nenne es einfach mal Jacke sieht zudem nach nichts aus, was ich schonmal irgendwo gesehen hätte – oder vielleicht doch, und mir fällt gerade einfach nur nicht ein wo. Leider ist durch den Besen und ihre Arme ein Teil ihres Körpers verdeckt, die weißen Haare scheinen zudem zum Teil hochgesteckt zu sein – mit Stäbchen. Zumindest sehe ich welche seitlich aus ihrer Frisur ragen. „Da bist du ja endlich, Charly. Wir haben uns bereits große Sorgen gemacht!“, werde ich aus meinen Grübeleien gerissen und atme einmal tief durch. Mein löchriges Gedächtnis hat sich als Enttäuschung bezüglich des Mädchens herausgestellt. „Impa dachte, es ist etwas passiert“, höre ich es aufgeregt aus Richtung des Mädchens weiterplappern. Ohhh...sei froh, dass du das nicht miterlebt hast... Ich presse nur die Lippen aufeinander, während ich einfach nur da herumstehe und zuhöre. Eher zufällig trifft Charlys vorwurfsvoller Blick auf meinen, als mein Begleiter über eine seiner Schultern nach hinten sieht – und damit sofort mein schlechtes Gewissen auf den Plan ruft. Es tut mir ja leid! Mehr als entschuldigen kann ich mich auch nicht...   Mit zusammengepressten Lippen blicke ich daraufhin zur Seite, als der Fuchs gerade in Richtung der Treppe losläuft. Was genau sich da abspielt, entgeht mir zwar, aber hören kann ich trotzdem noch, was gesprochen wird. „Impa meditiert gerade, ihr könnt jetzt nicht zu ihr“, erklärt die Stimme des Mädchens und neugierig wie ich bin, schaue ich doch wieder hin und kann sehen, dass sie dem Fuchs offenbar den Weg die Treppe hinauf versperrt. Vielleicht, wenn er sich an ihr vorbeischlängelt oder auf dem Geländer balanciert...käme er trotzdem die Treppe hoch. Was sie da macht, ist nicht gerade effektiv. Aus einem gewissen Grundrespekt jedoch spreche ich das nicht laut aus, sondern behalte diese sehr absurde Idee für mich, während Charly den Kopf hängen lässt. Ich kann mir nicht helfen, aber wirkt der Steppenfuchs etwas genervt, weil man ihm den Zutritt verweigert hat? Wer weiß das schon, außer ihm selbst? Gedanken lesen gehört definitiv nicht zu meinen Fähigkeiten, ergo beobachte ich Charly nur dabei, wie er sich umsieht und zurück in die Richtung trottet, aus der wir gekommen sind. Er legt sich unter einen Baum ganz in der Nähe, aber mehr kann ich gerade nicht erkennen. Vielleicht will er sich ja auf diesen Ärger hin erstmal ausruhen. Wirklich Zeit, darüber nachzudenken, habe ich jedoch nicht, da mir jemand die Sicht versperrt. „Ihr wart noch nie hier, oder?“ Das ist wieder das mir immer noch unbekannte Mädchen. Wobei...nein, sie sieht zu jung aus für einen Erwachsenen, aber recht viel kleiner als ich ist sie nun auch nicht. Zumindest ist das so meine erste Einschätzung, als wir uns quasi gegenüberstehen. Auf ihre Frage hin nicke ich lediglich – und auch eher reflexartig. Ja, ich war hier noch nie – definitiv nicht. Und wenn doch, habe ich es höchstwahrscheinlich eh vergessen. „Dann seht Euch ruhig ein wenig im Dorf um. Es ist nicht groß, aber trotzdem voller Leben,“ plappert sie hibbelig weiter und kurz reißt sie die Augen auf, als wäre ihr etwas Wichtiges eingefallen. Der Blick kommt mir zumindest verdächtig bekannt vor. Ungefähr so habe ich nämlich geguckt, als ich mich an meinen Namen erinnert habe. Oder aber – und das kann auch sein – ich bilde mir schon wieder Dinge ein. „Ohje...ach du meine Güte... Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt!“ Oha, doch richtig geraten. „Ich heiße Paya“, erklärt das Mädchen und verbeugt sich. „Willkommen in Kakariko, Sternenfrau.“   Mal ganz davon abgesehen, dass es mir unglaublich unangenehm ist, wenn Leute sich vor mir verbeugen und ich das eigentlich verhindern will, kitzeln all diese neuen Namen etwas in meinem löchrigen Gedächtnis. Kakariko... Paya... Impa... Nur bei Sternenfrau muss ich passen, da klingelt absolut gar nichts. Nicht einmal ansatzweise – und überhaupt, so heiße ich nicht. Das klingt eher wie ein Titel mit Gewicht...und ist mir damit mindestens so unangenehm wie die Tatsache, dass wir es nur mit Verspätung hierher geschafft haben. Nach Kakariko, das mir so viel und gleichzeitig doch überhaupt nichts sagt. Ähnlich wie schon bei Kashiwa, habe ich keine Geschichte dazu parat. Weder zu Kakariko noch Impa oder Paya. „Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Paya. Aber zum Einen...brauchst du mich nicht so förmlich ansprechen, und zum anderen...heiße ich Chris. Nicht Sternenfrau.“ Zumal ich mir nichtmal sicher bin, ob das mit der Frau so stimmt. Wobei...eigentlich...nein, es bringt nichts, sich darüber weiter den Kopf zu zerbrechen. Ich werde wahrscheinlich wieder vor eine gedankliche Wand fahren und das braucht es nun wirklich nicht. Mein bestes Lächeln aufsetzend schiebe ich den Gedanken erst einmal zu dem ganzen Rest, der noch unbeantwortet darauf wartet, geklärt zu werden – oder eben nicht.   Paya hingegen sieht mich mit großen Augen an und schüttelt den Kopf. „Da-Das kann ich nicht, Chris. Nicht einmal, wenn Ihr es mir anbietet. Mir wurde es so beigebracht.“, erklärt sie hastig den Grund und ich seufze stumm, nicke nur auf ihre Erklärung hin. Wenigstens hat sie den Namen so akzeptiert, das ist besser als vollkommen ignoriert zu werden. Ergo kein Grund, sich weiter zu wundern – eigentlich. „Ich werde Euch informieren, sobald Impa ihre Meditation beendet hat“, erklärt das Mädchen weiter und begibt sich zurück in Richtung Treppenabsatz. Ich mache spontan einen Schritt in ihre Richtung. „Warte, Paya. Ich weiß leider absolut nicht, wohin ich zuerst gehen soll, oder was es hier überhaupt alles gibt.“ Das weißt ich tatsächlich nicht, der Ort alleine löst eine gewisse Vertrautheit aus, deren Grund ich mir nicht zu erklären vermag. Aber ansonsten kann ich mein Käse-Gehirn vergessen, was etwaige Details angeht. Prompt bereue ich es allerdings, überhaupt gefragt zu haben, und senke kurz den Kopf. Paya hat sicher eine Menge zu tun und ich halte sie hier sicher nur von der Arbeit ab – was immer diese beinhaltet. „T-Tut mir leid, wenn ich dich dadurch von der Arbeit abhalte.“ Paya setzt wieder ein Lächeln auf und schüttelt den Kopf. „Ihr seid zum ersten Mal hier, da ist es mir eine Freude, wenn ich Euch weiterhelfen kann.“ Daraufhin fängt das Mädchen an zu reden wie ein Wasserfall und das in einem Tempo, dass man kaum zu Wort kommt. Sie erzählt von den beiden Krämerläden, dem kleinen Friedhof, einem Gasthaus und dem Klamottenladen, der sich „Zwei Früchtchen“ nennt. Außerdem deutet sie begeistert an mir vorbei. Ich folge dem Deut in Richtung einer Steinstatue, hinter der im Halbkreis vier Fackeln in einer Art Teich aufgestellt sind.   „Das ist unsere Göttinnenstatue. Die Göttin Hylia ist überall, wisst Ihr?“ Göttinnenstatue? Hylia? Da fällt mir glatt etwas ein, ich habe schon des öfteren eine Göttin erwähnt...oder nicht? Vielleicht ist das auch nur Einbildung, aber die Statue kommt mir irgendwie vertraut vor, als hätte ich schon einmal davor gestanden. Allerdings komme ich gar nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn Paya erzählt mir noch etwas über den Künstler, der sich hier niedergelassen hat, sowie von Cado, dem ständig seine Hühner abhandenkommen, und dem armen Dorian, der hier eigentlich Wache halten sollte. Kurz kommt mir der Gedanke, dass sie das vielleicht nicht hätte ausplaudern sollen, immerhin kenne ich keinen der Leute hier wirklich – nun, außer den Namen. Trotzdem ist es verdammt gut zu wissen, wo ich mich hier überall umsehen kann. Ich drehe mich wieder zurück in Payas Richtung und lächle sie an.   „Paya...manche Dinge sind sicher nicht für meine Ohren bestimmt, meinst du nicht?“, frage ich vorsichtig nach und neige den Kopf ein wenig zur Seite, während ich im Hintergrund Kinderlachen höre.   „Vielleicht...habt Ihr Recht. Verratet es bitte nicht Großm-...ich meine Impa.“ Sie klingt ein wenig...ja, etwas zwischen nervös und peinlich berührt und ich schüttele entschieden den Kopf. Was hätte ich davon, Paya anzuschwärzen? Davon abgesehen, dass sich so etwas nicht gehört, will ich es mir auch nicht mit irgendjemandem hier verscherzen. Nicht, dass es dann wieder so endet wie mit Bo am Stall, das wäre so ziemlich das Schlimmste, was meines Erachtens passieren könnte. Nun, außer dass Charly wieder irgendeine Scheiße passiert, weil klein Chris etwas verbockt. Danke Gehirn, das brauche ich jetzt. Nicht.   „Keine Sorge, das bleibt unser Geheimnis. Und vielen Dank für die Auskunft, Paya. Das hat mir wirklich enorm weitergeholfen“, kommt es ein wenig erschlagen von mir. Sie hat, wenn man so will, wirklich nichts ausgelassen – oder vielleicht doch? Nun, das wird sich spätestens dann zeigen, wenn ich mich selbst umschaue. Ich gucke Paya hinterher, die schon wieder fleißig und voller Tatendrang ihrer Arbeit nachgeht. Genauer gesagt ist sie die Treppe nach oben gegangen. Was genau sie dort treibt...nun, da ich ihr nicht gefolgt bin, kann ich das eher nicht sehen. Die Vermutung liegt aber nahe, dass sie dieses Gebäude weiter sauber hält – und gleichzeitig dafür sorgt, dass Impa nicht gestört wird. Auch wenn ich doch neugierig bin, möchte ich nicht herausfinden, was passiert, wenn ich jetzt nach oben gehe. Stattdessen gehe ich ein wenig zügiger erst einmal zu dem Baum, unter dem Charly es sich bequem gemacht hat.   „Paya ist wirklich ein nettes, pflichtbewusstes Mädchen...aber ziemlich redselig...“, sinniere ich leise vor mich hin und stelle meinen Rucksack kurz ab, um mich zu strecken. Nicht, dass das schlecht wäre, um Himmelswillen. Aber wenn sie noch mehr geplappert hätte, weiß ich nicht ob ich alles hätte behalten können. Außerdem...sollte sie manche Informationen wirklich an jemanden wie mich herausgeben? Ich bin doch eine Fremde hier... Gut, es sind so auch schon mehr als genug Informationen und ich bin froh um jeden Fetzen, den ich behalten kann. Mein Gehirn kommt auf die nicht ganz so abwegige Idee, dass es vielleicht Zeit wäre, sich eine Art Notizbuch und Stifte anzuschaffen. Nicht, dass ich am Ende wirklich noch etwas Wichtiges vergesse. Kurz blicke ich zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin und kann tatsächlich erkennen, wie sich ein ebenso weißhaariger Mann in der Nähe des Zugangs postiert hat. Augenblicklich drehe ich den Kopf zurück zu Charly. „Ich werde mich ein bisschen in Kakariko umschauen. Paya hat gesagt sie informiert uns, sobald Impa ihre Meditation beendet hat“, teile ich meinem vierbeinigen Begleiter mit.   Informiert sie wirklich uns...oder mich? Ich bin mir für einen Moment nicht ganz sicher, schüttele dann aber den Kopf. Psh, Haarspalterei. Sie wird ja wohl kaum Charly vergessen. Der Fuchs nickt lediglich auf meine Worte hin – was soll er sonst auch groß tun? Wenn man dem folgt, was er mir bezüglich den Regeln der Magie hier erklärt hat, kann er hier nicht sprechen. Vielleicht gibt es ja einen Weg, das irgendwie zu ändern, aber darüber will ich mir aktuell lieber keine Gedanken machen – zumal es sicher seltsam käme, wenn die Leute einen Steppenfuchs sprechen hören würden. Außerdem gibt es noch genug andere Dinge, die mir auf der Seele brennen. „Es...tut mir leid, dass es wegen mir so lange gedauert hat... Also, wir sehen uns nachher!“, verabschiede ich mich von Charly und gehe direkt weiter, vorbei an einer Kochstelle und einer Art Essplatz...Veranda, direkt auf den Krämerladen mit der Karotte an der Fassade zu. Ob das Ensemble vor der Tür etwa zum Laden gehört? Nunja...eventuell kann ich das ja in Erfahrung bringen, so unbedeutend es vielleicht wirkt. Aber meine Neugier hat sich ein neues ‚Opfer‘ ausgesucht und das ist Kakariko selbst. Vorsichtig schreite ich die kurze Holztreppe hoch und bleibe vor der Tür stehen. Hmmm...schon wieder dieses Auge. Das ist jetzt schon mindestens das dritte oder vierte Mal, dass ich dieses stilisierte Ding sehe. Dieses Mal ist es auf einer Scheibe abgebildet und wie sich herausstellt, handelt es sich um eine Schiebetür, die man aufziehen muss.   Drinnen jedoch stinkt es dezent, wenn man von dem Geruch nach Holz einmal absieht. An den grob verputzten Wänden sind allerlei Rollen aufgehängt, und ein Schrank mit unbekanntem Inhalt steht zu meiner Linken, ebenso wie ein paar Auslagen in kleinen Körben direkt vor mir. Selbst die tragenden Balken haben ein Auge für sich zu verbuchen, doch lange kann ich meine Aufmerksamkeit nicht darauf richten, dazu ist der...Geruch hier drin zu prominent. Als Gestank würde ich es nicht bezeichnen wollen – noch nicht. Neben Karotten und Eiern erblicken meine Augen in den Auslagen noch eine weitere Sache, deren Anblick mich fast rückwärts wieder nach draußen treibt – neben dem davon ausgehenden Geruch. Es ist lila und pulsiert noch...lebt das etwa? Was zum Henker... „Ewww“, mache ich beim Anblick dieser Dinger nur und verziehe das Gesicht.   „Ignoriert den Geruch einfach, Reisende“, werde ich von einer älteren Frau angesprochen und kratze mich verlegen am Hinterkopf, ehe ich ihr meine Aufmerksamkeit vollends widme. Die Gute ist ähnlich gekleidet wie schon Paya, geht allerdings leicht gebeugt und hält sich mit einem Arm den Rücken. „Diese Bokblin-Herzen verkaufen sich einfach nicht so gut, dabei sind sie mit 80 Rubinen ein wahres Schnäppchen“, fährt die alte Dame begeistert fort. Entweder hat sie einfach in den Verkäufer-Modus gewechselt oder sie ist wirklich von diesem Gerede überzeugt. „Bokblin-Herzen...“, wiederhole ich leise. Nope, unter diesem Gesichtspunkt will ich das erst recht nicht haben. Das lässt nur wieder schlechte Erinnerungen hochkommen und darauf habe ich herzlich wenig Lust. „Ehhh...V-Verzeihung, ich wollte Sie oder Ihre Waren nicht beleidigen“, entschuldige ich mich hastig und trete näher an die alte Dame heran. Ihre weißen Haare hat sie zu einem Dutt gebunden, doch recht viel mehr Unterschiede zu Paya kann ich außer dem offenkundigen Altersunterschied nicht feststellen. „Nicht doch, Kindchen. Nicht jeder mag den Anblick oder Geruch von Monsterteilen. Auch wenn man sich daran gewöhnen kann. Kann ich dich vielleicht für ein paar Spurtkarotten von unseren Feldern begeistern?“ Kurz fällt mir gefühlt alles aus dem Gesicht. Kindchen?! Wie alt bin ich...drei? Aber hmmm...Karotten klingen nicht verkehrt. Also warum nicht? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)