Reise ins Unbekannte von Ixana (Ein Breath of the Wild-MSP) ================================================================================ Kapitel 3: Lass uns ein Spiel spielen ------------------------------------- Es dauert nicht lange, da ertönt eine mir nur zu bekannte Stimme und ich halte inne. „Gute Entscheidung“, lobt Charly in vollstem Ernst. „Ich hätte nicht an Licht gedacht, weil ich nicht darauf angewiesen bin.“ Hab ich mich gerade verhört? Halluziniere ich schon wieder? Während die großen, reflektierenden Augen des Fuchses mich anstarren, starre ich entgeistert zurück. Hat er gerade gesprochen, oder war das nur eine Fantasterei in meinem Kopf? Ich kneife mir mit der rechten Hand kurz in die Wange. Der daraus resultierende Schmerz lässt den Schluss zu, dass das Ganze real zu sein scheint. Einfach am Lagerfeuer eingeschlafen bin also ich schonmal nicht, dann war die ‚Unterhaltung‘ mit Kashiwa vorhin also auch echt und nicht nur ein sehr realistischer Traum. Diese Erkenntnis lässt eine gewisse Freude und Erleichterung in mir aufkeimen – und gleichzeitig kommt die Fassungslosigkeit von vorhin wieder vorbei. Nein Chris, du regst dich jetzt nicht auf und beschwerst dich bei ihm. Sei einfach froh, dass es keine Einbildung war und sich das Problem von selbst gelöst hat. Gerne hätte ich erleichtert geseufzt, aber das geht aktuell mangels dazu passender Stimme immer noch nicht. Trotzdem, oder gerade aufgrund dieser Gedanken frage ich mich ernsthaft, wieso zur Heuschrecke er vorhin nicht gesprochen und mich im Regen stehengelassen hat. Auf meine Stiefel hinunterstarrend suche ich nach einer Möglichkeit, dem Fuchs meine Verwirrung über diese verlorene Stimme mitzuteilen – doch alles was ich sehen kann, ist neben der Fußbekleidung nichts als Gras. Nicht unbedingt ideal, um etwas zu ‚schreiben‘, nein? Der Untergrund fällt also schon einmal als Kommunikationsmittel aus.   Dabei bin ich nicht einmal so richtig wütend, nur enttäuscht, zeitgleich aber erleichtert und verwirrt darüber, dass Charly seine Stimme tatsächlich wieder zurückhat. Trotzdem kann ich es nicht lassen und fange an, mit der freien Hand zu gestikulieren – was sich als wesentlich schwieriger herausstellt als mit zwei Händen. Mehrmals setze ich dazu an, zu ‚fragen‘, warum er vorhin nicht gesprochen und uns beiden die Blamage erspart hat – und scheitere grandios.   Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich nicht vernünftig mitteilen kann – oder es einfach zu viel ist, um alles auf einmal in entsprechende Gesten zu verpacken. Dazu mischt sich auch noch die Verwunderung darüber, dass der Fuchs mehr über mein ledernes Armband zu wissen scheint, das da so unschuldig um mein rechtes Handgelenk verweilt. Eigentlich will ich auch dazu noch so viel fragen – doch der Fuchs tut wieder teilweise Dinge, die nicht fuchs-typisch sind. Dass Charly ein Ohr zur Seite abknickt, interpretiere ich noch als normal, doch...hebt er da gerade eine Fuchs-Augenbraue? Gut möglich. Auf jeden Fall lässt sich die Skepsis aus diesem Blick fast mit Händen greifen und ich lasse meine Hand einfach an meine Seite fallen – hauptsächlich aus Resignation, weil ich nicht weiß wie und was ich noch versuchen soll mitzuteilen. Funktioniert zu haben scheint es nicht. Oder nicht ganz. Spielt das gerade überhaupt irgendeine Rolle? Das scheint für den Moment wieder irrelevant, denn im Fackelschein kann ich beobachten, wie sich die reflektierenden Augen weiten – als wäre ihm etwas eingefallen. Kurz darauf ist ein Seufzen zu vernehmen. Ob er jetzt auch noch anfängt, mich für eine Durchgeknallte zu halten? Wohl weniger...sonst wäre er nicht immer noch hier, oder?   „Die Magie in dieser Welt gehorcht gewissen Gesetzmäßigkeiten, die es einzuhalten gilt, Chris“, erläutert der Fuchs mit ruhiger und unaufgeregter Stimme. Man könnte meinen, sie hat auch etwas Sanftes an sich. Aber das muss ich mir sicher einbilden. „Du, ich, alles um uns herum unterliegt diesen Regeln.“ Magie in dieser Welt unterliegt Regeln und jeder ist davon betroffen? Hm... Ich neige den Kopf in nachdenklich-fragender Manier kurz leicht nach links und blicke Charly dabei – wie üblich – wortlos an. Direkten Augenkontakt vermeide ich jedoch, diese reflektierenden Augen jagen mir einen leichten Schauer über den Rücken. Stattdessen denke ich über seine Worte nach, um mich ein wenig abzulenken. Wenn es wirklich so ist, wie der Steppenfuchs sagt, dann sollte das zumindest erklären, warum er vorhin nicht die Wortführung übernommen hat – oder vielmehr nicht übernehmen konnte. Den Kopf wieder gerade richtend, nicke ich Charly zu und zeige ihm einen nach oben gereckten Daumen. Quasi eine Art ‚hab ich soweit verstanden‘ oder auch ein Dank für die Erklärung – oder beides in einem. Das kann sich der Fuchs nun aussuchen, während unser Weg uns vom Stallgelände wegführt.   Im Schein meiner Fackel kann ich dabei grob die Umrisse von Bäumen erkennen. Hier ist also tatsächlich ein Wald. Als wir vorhin am Stall ankamen, habe ich ihn nicht wirklich oder nur am Rande wahrgenommen, und die Nacht macht diesen kleinen Ausflug nun eine Spur gruselig. Was mir zudem auffällt, ist die Tatsache, dass Charly sich eher am Rand des Lichtkegels herumzutreiben scheint. Liegt es vielleicht daran, dass er nicht darauf angewiesen ist, wie er mir vorhin erklärt hat? Als könnte das Tier Gedanken lesen, kommt kurz darauf eine einleuchtende Erklärung aus dessen Richtung: „Ich bin wie schon gesagt nicht auf Licht angewiesen, Chris. Direktes Licht blendet mich bei Dunkelheit eher.“ Dachte ichs mir.   Leise bewege ich mich für meinen Teil nicht unbedingt fort, als wir die ersten Bäume passieren, das Gras raschelt an meinen Stiefeln vorbei und ich zucke zusammen, als ich versehentlich auf etwas trete. Dabei ist es nur ein heruntergefallenes Ästchen, das unter dem Stiefel nachgegeben hat. Dass sonst nicht allzu viel zu sehen ist außer Bäumen und den Schemen von noch mehr Bäumen, macht die nächtliche Wanderung nicht unbedingt einfacher – im Gegenteil. Hören kann ich nämlich auch nicht wirklich etwas, selbst als ich kurz stehenbleibe, um genauer zu lauschen, ist da nicht ein Mucks zu hören. Nicht einmal die Geräusche von Käfern oder dergleichen – als wäre das Waldstück wie ausgestorben. Hat Kashiwa etwa wirklich eine Stimme gehört, oder war das am Ende tatsächlich nur eine Gruselgeschichte, um Leute vom Wald fernzuhalten? Denn statt etwas zu finden, hat unsere Suche bisher nicht wirklich Früchte getragen. Da macht es auch keinen Unterschied, ob ich mit der Fackel nah an die Bäume hingehe oder mich bücke, um den Waldboden genauer zu untersuchen. Alles, was ich finde, ist ein etwas stabilerer Ast und ich will diesen einfach resigniert wegwerfen und wieder umdrehen. Nein, aus! Du warst diejenige, die so neugierig und motiviert war, hier sofort hinzugehen. Also zieh das jetzt durch, verdammt nochmal. Ich darf hier jetzt nicht aufhören. Wir haben immerhin quasi gerade erst angefangen, zu suchen, wenn man so will. Da kann man doch nicht einfach schon nach kurzer Zeit das Schwert ins Heu werfen und einfach aufgeben. Wir ziehen das durch, und wenn es die ganze Nacht dauert! Noble Gedanken. Ob ich sie wirklich so einhalten kann, ist wieder eine andere Frage und ich will lieber nicht wissen, was hier sonst noch alles lauert, wenn wir uns weiter umsehen. Hoffentlich kein Bokblin. Wobei...soweit ich weiß, schlafen sie nachts. Wie es bei den Oktorok aussieht, fällt mir für den Moment nicht ein. Gerade will ich mich weiter vorwagen, um in einem Abschnitt mit besonders hohem Gras zu suchen – oder zumindest den Stock dafür zu benutzen, da funkt mein tierischer Begleiter dazwischen.   „Bleib stehen!“, zischt Charly mich unvermittelt an und ehe ich mich versehe, ist er an mir vorbei geprescht und mitten in das Gras gesprungen – fast so wie ein richtiger Fuchs auf der Jagd. Mir steht erstaunt der Mund offen – und die Augen leisten ihnen nur wenig später Gesellschaft. Zwei kleine, blaue Schleimkugeln rollen sich aus dem hohen Gras direkt auf uns zu, die weit aufgerissenen, gelb-roten Glubschaugen auf Charly und mich fixiert. Ich halte den Atem an und innerhalb weniger Augenblicke wird mein Mund unangenehm trocken. Zumindest fühlt er sich so an. Dass ich schwer schlucken muss, ändert nicht wirklich etwas daran. Komm schon, tu was, beweg dich!   Stattdessen kann ich nur den Steppenfuchs beobachten, der mit seinem aufgestellten Nackenfell im Fackelschein fast noch bedrohlicher aussieht und er knurrt die beiden Monster an. Ob er sie jedoch wirklich angreifen würde, weiß ich nicht. „Verschwindet!“, faucht das Tier aggressiv und tatsächlich scheint es zu helfen. Ob die beiden Schleime Angst haben oder nicht, weiß ich nicht, aber sie kullern auf alle Fälle langsam davon in die Dunkelheit. Obwohl uns diese Monster gerade nichts getan haben und Charly sie eigentlich verjagt hat, wer weiß, ob sie noch einmal wiederkommen? Davon abgesehen muss ich früher oder später sicher kämpfen, ob ich will oder nicht. Mit zugeschnürter Kehle folge ich den Monstern und verpasse dem ersten einen Schlag mit dem Stock in der rechten Hand. Einen Wimpernschlag später zerplatzt es und hinterlässt einen kleinen blauen Schleimball. Bei seinem Monsterkollegen habe ich weniger Glück. Der kleine Schleim ist zwar vergleichsweise langsam, aber ich habe keinerlei Kampferfahrung. Nicht dass ich wüsste jedenfalls, die Ablenkung des Bokblins an der Brücke zähle ich mal nicht. Ein wenig unbeholfen tänzele ich umher und schlage mit dem Stock nach dem Schleim – mehrmals und in dem Moment, da ich den letzten Treffer lande, bricht der Ast ab und der Schleim zerplatzt ebenfalls. Allerdings hinterlässt er außer einem leicht feucht-schleimigen Untergrund nichts und ich halte nach dem kleinen blauen Schleimball Ausschau, während mir das Herz noch bis zum Hals schlägt. Hoffentlich hat sich das Ding nicht in einen weiteren Schleim verwandelt. Doch statt weiter nach dem Schleim zu suchen, muss ich mich mit der Schulter an einem nahegelegenen Baum anlehnen und Pause machen. So erschöpfend war der Kampf eigentlich gar nicht, aber trotzdem zittern meine Beine und ich traue mich nicht, weiterzugehen, atme nur ein und aus. Beruhig dich, Idiot. Du hättest das früher oder später sowieso tun müssen. Ich kneife die Augen zu und bleibe mit der Fackel in der Hand an den Baum gelehnt stehen. Einatmen, ausatmen. Vorhin bei der Brücke hatte ich keine Zeit dafür und am Stall auch nicht, weil dort andere Dinge Priorität hatten, aber die nächsten Minuten rühre ich mich nicht von der Stelle und atme nur tief durch. Ich weiß im Nachhinein nicht, ob das wirklich so eine gute Idee war, Topfschlagen mit den Schleimen zu spielen, nur um ein Gefühl für eventuelle Kämpfe zu bekommen. Die werden sich nicht vermeiden lassen. Hinauszögern vielleicht, aber ich kann nicht ewig davor wegrennen.   Vorsichtig drücke ich mich vom Baum ab und bleibe kurz einfach nur stehen, um mich umzusehen. Charly scheint noch da zu sein und stehen scheint auch zu funktionieren, auch wenn ich immer noch leichtes Herzklopfen für mich zu verbuchen habe. Reiß dich zusammen.   Meine Befürchtungen bezüglich der kleinen blauen Schleimkugel sind unbegründet, wie sich schlussendlich herausstellt, als ich mich dazu aufraffen kann, weiterzugehen. Den zerbrochenen Ast wegwerfend sammele ich das blaue Ding vom Boden auf und rieche daran. Es riecht überraschenderweise nach nichts, soweit ich es beurteilen kann, hat es eine geleeartige Konsistenz. Vielleicht kann ich damit ja noch etwas anfangen. Oder auch nicht, ich bin mir gerade absolut nicht sicher, irgendwie fühlt sich das gerade wieder so surreal an, dass ich mich am liebsten nochmal gekniffen hätte. Was Charly zu dem Ganzen zu sagen hat – wenn überhaupt, ist mir erst einmal egal. Ich musste das tun, in Ordnung? Es musste sein, besser jetzt als später – rede ich mir jedenfalls weiter ein und klemme mir die Fackel kurzerhand zwischen die Zähne, um den Schleim vorsichtig in den Rucksack packen zu können. Bäh, ekelhaft! Die Fackel schmeckt nach trockenem Holz und als ich den Rucksack wieder schultere, um die Fackel aus dem Mund in die Hand nehmen zu können, erspähe ich im Augenwinkel etwas. Zum Glück ist es kein Schleim, sondern Charly, der etwas gehört zu haben scheint. Seine Ohren bewegen sich zumindest nach links und rechts und wieder zurück. Ich nehme die Fackel wieder in die Hand und lasse kurz die Zunge heraushängen wie ein Hund. Dieser Holzgeschmack ist wirklich ekelhaft, aber etwas anderes war spontan nicht machbar. Zurück zu Charly jedoch, der mich mit seinem Verhalten erfolgreich von dem ganzen Quark des Tages ein wenig ablenkt. Auch wenn wir hier ja eigentlich etwas Wichtiges zu tun haben und ich immer noch gern meine Stimme wieder hätte, aber es sieht einfach zu niedlich aus, wie er sich verhält. Verdammt noch eins, konzentrier dich!, schimpfe ich mich gedanklich und zwinge mich, ebenfalls zu lauschen. Doch ich höre rein gar nichts, nur das Rascheln der Blätter in den Baumkronen, als kurz eine laue Brise aufkommt. Irgendwo in der Nähe schuhut noch eine Eule, sonst tut sich hier wirklich gar nichts, ich höre lediglich das leise Knistern des Fackelfeuers.   „Komm mit“, lässt Charly plötzlich verlauten und huscht in die Dunkelheit davon. Ich öffne den Mund, um ihm nachzurufen, dass er warten soll, doch...halt, keine Stimme. Immer noch nicht. Es kommt kein ton aus meinem Mund; was habe ich mir eigentlich dabei gedacht – nun, außer nichts? Statt mich zu fragen, was mein vierbeiniger Begleiter auf einmal hat, folge ich ihm hastig und halte die Fackel fester, um sie nicht zu verlieren und damit meine einzige Lichtquelle. Das Blätterdach lässt leider kaum Licht durch. Der Weg führt durch Gestrüpp und Unterholz, ich stolpere einmal sogar über eine Wurzel, versuche aber immer den buschigen Schwanz des Fuchses im Auge zu behalten, damit ich ihn nicht aus dem Blick verliere. Ihn hier in der Dunkelheit wiederzufinden, wäre...nunja, schwierig. Mich unter einem tiefhängenden Ast hinwegduckend laufe ich weiter, springe über einen kleinen Fels im Weg und bereite mich auf mehr tiefhängende Äste vor, doch wir sind auf einer Lichtung angekommen. Die etwas freiere Fläche ist zwar vom Mondlicht beleuchtet, doch trotzdem kann ich nicht alles erkennen. Ob es am Fackelschein oder etwas anderem liegt, weiß ich nicht, allerdings mir fehlt etwas entscheidendes – oder vielmehr jemand. Verdammt...   Habe ich Charly etwa doch aus den Augen verloren? Das wäre wirklich bescheiden – freundlich ausgedrückt, denn ich will nicht die ganze Nacht nach dem Tier suchen...oder weiter alleine durch den Wald stapfen. Gerade als mir einfällt, dass ich eventuell einen Blick auf meine Armband-Karte hätte werfen können, entdecke ich in ein paar Metern Entfernung etwas Rotbraunes – gerade so noch. Mir fällt gefühlt ein ganzer Iwarok vom Herzen, als ich Charly entdecke, aber...etwas scheint nicht zu stimmen. Er steht einfach nur da, leicht abgewandt und starrt in eine bestimmte Richtung. Entweder ist er genervt oder hat etwas entdeckt – oder beides. Ich weiß es nicht genau und trete ein wenig näher, um seinem Blick richtig folgen zu können. Die Fackel wechsele ich vorsorglich in die andere Hand, um den Fuchs aus dem direkten Licht zu halten.   Was genau mein tierischer Begleiter dort erspäht hat, wirkt auf mich zunächst wie eine Art kahles, kleines Bäumchen aussieht. Es hat ein längliches Blatt im Gesicht, oder halt...Moment mal...ist das vielleicht sein Gesicht? Bin ich etwa im Wald zusammengebrochen und träume das alles nur? Wieder kneife ich mich und schiebe nervös meine Brille die Nase hoch – auch wenn es absolut nicht nötig ist. Das Ding hat vielleicht ein paar Schleimspritzer abbekommen, aber...darum kümmere ich mich später.   Das Baum-Wesen hält ein Fläschchen in seinen kleinen Astärmchen und ich lege den Kopf schief. Leuchtet das etwa? Ist es vielleicht ein Schleichwürmchen oder ein normales Glühwürmchen? Was bei allen Blättern hat das zu bedeuten, was ist das für ein seltsames Wesen? Wehe, es ist gefährlich...dann bereue ich das vermutlich gleich. Mit nervös zusammengepressten Lippen und fest umklammerter Fackel trete ich noch etwas näher, um einen genaueren Blick auf alles zu haben, und jetzt erst erkenne ich mehr Details. Oder vielmehr die aufgeregte Bewegung aus dem Fläschchen. Die Stimme, die an meine Ohren dringt, kommt mir bekannt vor. „Lass mich hier raus“, hört man es dumpf meckern. Nein, das kann nicht sein.   ***   Ich kann mich wieder einmal nicht selbst bewegen. Mein Blick ist dieses Mal auf grauen, kiesigen Untergrund gerichtet und nur kurz wandern die Augen nach oben, während eine Hand mit einem vertrauten Ring daran nach einer Klinke greift. Ein schweres Eisentürchen wird geöffnet und geschlossen, wieder senken sich die Augen. „Ich komme bald wieder vorbei, ja?“, murmelt eine belegte Frauenstimme und die Szenerie verwäscht sich in Wasser.   ***   Der Wald ist wieder da, das knistern der Fackel ebenfalls. Was war das jetzt schon wieder? Die Stimme eben hat sich fast genau so angehört wie die Stimme aus dem Fläschchen. Wenn ich nicht gerade vollkommen verrückt werde, muss das also tatsächlich meine Stimme sein. Es gibt für mich wenig Raum für Zweifel. Sie klingt zwar dumpf, aber wenn das nicht meine Stimme sein sollte, esse ich den Schleimball aus meinem Rucksack. Wie hypnotisiert starre ich das leuchtende Fläschchen an. Noch ehe ich auf das Baumwesen zugehen kann, ergreift Charly wieder das Wort. „Gib sie uns zurück!“, fordert er das blattgesichtige Wesen auf, doch das wackelt nur hin und her, statt der Aufforderung nachzukommen. „Nur wenn ihr mit mir spielt~“, flötet das kleine Wesen vergnügt und trippelt freudig hin und her. Dabei ist ein klackerndes Geräusch zu hören und während ich überlege, dem Wesen einfach das Fläschchen abzunehmen, spricht der Fuchs wieder einmal – dieses Mal sind seine Worte jedoch an mich gerichtet. Oder an niemanden? „Krogs und ihre Spiele“, seufzt er genervt und seine reflektierenden Augen blicken in meine Richtung. „Sie spielen für ihr Leben gern; es scheint ihr einziger Lebensinhalt zu sein.“   Oh...er redet mit mir? Ich würde mir liebend gerne an die Stirn klatschen für eine neuerliche mentale Nicht-Glanzleistung, doch wir haben gerade wichtigere Dinge zu tun. Hat er gerade Krog gesagt? Und Spiele?   Vor meinem geistigen Auge tauchen schon wieder Dinge auf. Ein Windrädchen hier, Blumen dort - und noch viel mehr. Es ist fast so, als hätte ich das schon einmal gehört oder gesehen. Oder vielleicht beides. Folglich müssen wir wohl ein Spiel mit diesem...Krog spielen. Was genau es sein wird, weiß ich beim besten Willen nicht. Eigentlich ist mir absolut nicht nach Spielen zumute und obgleich ich irgendwo froh bin, dass Kashiwa doch die Wahrheit erzählt hat, macht das nichts besser. Dieser verdammte Krog soll das Fläschchen hergeben!   Ich nicke dem Wesen lediglich zu, mehr kann ich ohnehin nicht machen – und es sieht auch nicht so aus, als könnten wir das Fläschchen anders zurückbekommen. Die Freude, die der Krog zu versprühen scheint, ist mir gerade eher zuwider und ich bin ehrlich gesagt erst einmal erleichtert, als er sich in einer Konfettiwolke auflöst. Was zurückbleibt, ist eine gelbe Blume. Man kann mir vorwerfen, was man will, aber diese gelbe, dickstängelige Blüte passt hier nicht hin. Schon gleich gar nicht mitten in der Nacht.   Hmmm, wie war das noch? Dunkel erinnere ich mich daran, dass man diese Blüten berühren muss, und irgendwo anders dann wieder eine auftaucht, bis am Ende eine weiße Blüte übrig bleibt. Berührt man diese ebenfalls, ist das Spiel erfolgreich beendet. Begeistert bin ich nicht gerade davon, mitten in der Nacht in einem potenziell gefährlichen Waldstück gelbe Blüten zu suchen, aber verdammte Axt, ich will meine Stimme zurück! Also gehe ich zu der Blüte hin und berühre diese.   Fast sofort zerspringt sie in tausend kleine Blütenblätter und ich leuchte mit der Fackel umher, um die nächste zu finden. Quer über die freie Fläche stapfend suche ich mit den Augen nach dem nächsten Kandidaten und entdecke sie nur knapp hinter einem Baum. Ich achte zwar nicht bewusst darauf, aber aus dem Augenwinkel fällt mir auf, dass Charly an meiner Seite bleibt. Die nächste Blüte jedoch wird etwas kniffliger, ich muss mich dafür ein gutes Stück aus der Lichtung bewegen und beinahe, aber auch nur beinahe hätte ich vermutlich noch einen Baum in Brand gesetzt, weil ich einen zu tief hängenden Ast nicht rechtzeitig gesehen habe. In einem Gebüsch unweit des besagten Baumes kann ich die nächste Blüte nur knapp entdecken und bücke mich, um sie zu berühren. Moment...war es nicht auch so, dass man hören kann, wo die nächste Blüte auftaucht? Zu hundert Prozent sicher bin ich mir nicht und da gerade jetzt wieder der Wind auffrischt, der die Blätter zum Rascheln bringt, höre ich dementsprechend wenig bis gar nichts anderes. Maaaann... Frustriert trete ich auf dem Rückweg zum Startpunkt des ‚Spiels‘ gegen einen Baum – auch wenn der am wenigsten etwas dafür kann. Das Einzige, was ich damit erreiche, ist dass mich irgendwas kleines mit einem leisen Pocken am Kopf trifft. Wehgetan hat es nur ganz kurz und ich hebe die Fackel leicht. Nein, zum Glück ist die Blüte nicht irgendwo, wo ich meine einzige Lichtquelle nicht mitnehmen kann. Wobei ich diesem Krog alles zutrauen würde, wenn er wegen meiner Stimme so ein Spielchen veranstalten will. Wie auch immer, zurück auf der Lichtung gehe ich einmal quer in die andere Richtung, Charly weiter an meiner Seite. Wieder geht es in das Waldstück hinein. Ich versuche zwar, mich nicht zu weit von der mondbeschienenen Freifläche zu entfernen, aber das ist gar nicht so einfach. Zwischen zwei Büschen kann ich die nächste Blüte entdecken, berühre diese ebenfalls und will gerade nach dem möglichen Ort seines Nachfolgers lauschen, da bewegt sich etwas im Unterholz und lenkt mich ab. Was es ist, keine Ahnung, aber es hat mir erfolgreich die Konzentration verhagelt und ich kehre hörbar durch die Nase ausatmend in die mondlichtbeschienene Lichtung zurück. Die weitere Suche bleibt erst einmal erfolglos; auf dem Boden oder in der unmittelbaren Umgebung des baumfreien Bereichs findet sich nichts, das auf eine Krog-Blüte hindeutet. Das Knistern des Fackelfeuers geht mir so langsam auch ein wenig auf die Nerven, doch das Ding hier leichtfertig wegzuwerfen wäre nicht unbedingt klug. Im Gegensatz zu meinem Begleiter kann ich nämlich nicht in der Dunkelheit sehen und davon abgesehen habe ich keine Lust, am Ende noch versehentlich den Wald abzufackeln. Nach einer weiteren Runde über die Lichtung, bei der ich sogar schon anfange, unter Steinen zu gucken, bleibe ich stehen und halte inne. Wo zum Henker könnte sich eine Blüte verstecken? Viele Möglichkeiten gibt es nicht gerade – außer das kleine Baumwesen ist besonders ‚freundlich‘. Genervt rolle ich mit den Augen bei dem Gedanken, eventuell auf Bäume klettern zu müssen, und schaue mich ein weiteres Mal um. Dabei bleibt der Blick kurz auf Charly hängen.   „Chris, wir können auch zurückgehen und bei Tageslicht suchen. Der Krog wird auch morgen noch da sein“, spricht der Fuchs besonnen, doch ich schüttele nur den Kopf und versuche, ihm deutlich zu machen, dass ich hier nicht ohne meine Stimme weggehe. Wäre doch gelacht, wenn ich jetzt einfach aufhören würde. Wenn der Krog sein Spielchen spielen will, gut bitte, aber verdammt nochmal, mit Stimmen als Einsatz spielt man zum einen nicht – und zum anderen nicht mitten in der Nacht! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)