Reise ins Unbekannte von Ixana (Ein Breath of the Wild-MSP) ================================================================================ Kapitel 2: Sonderling im Stall der Sümpfe ----------------------------------------- „Pass auf deine Ausdauer auf“, kommt es knapp von hinten und ich sehe von meinem Armband auf, dann darauf zurück und drehe mich zu meinem tierischen Begleiter. All der Hektik zum Trotz, die bis eben noch geherrscht hat, bin ich wirklich erleichtert, den Fuchs zu sehen. Ausdauer? Was zum Grashalm meint er? Ich neige den Kopf in fragender Manier zur Seite. Weiß Charly etwa mehr über dieses komische Lederarmband mit Bildschirm, oder war das geraten? Ersteres wäre eigentlich keine wirkliche Kunst, wenn man wie meine Wenigkeit mit gefühlt vielleicht einer Handvoll Erinnerungsfetzen durch die Geografie läuft und noch nichtmal seinen Namen weiß. Vielleicht kann er mir ja mehr darüber erklären? Ich verstehe nämlich gerade so viel davon, dass ich eine in nicht lesbaren Zeichen beschriftete Karte aufrufen und bedienen kann. Wenn mit dieser ‚Ausdauer‘ der nun nicht mehr grüne Ring bei den vier roten Herzen gemeint ist, dann reagiert das Armband wohl darauf, wenn ich renne – oder? Sonst hätte es wohl kaum geleuchtet, als ich vorhin über die Brücke gerannt bin. Kurz sinniere ich gedanklich darüber, was es mit diesem seltsamen Gerät noch auf sich haben könnte, da erklingt schon wieder die Stimme meines Fuchs-Begleiters. „Wir sollten hier weg, bevor noch mehr davon auftauchen. Und wir brauchen ein Quartier für die Nacht“, erklärt das Tier und läuft einfach weiter den Weg entlang, um erneut die Führung zu übernehmen. Noch mehr von diesen Bokblin? Jaaa...nein, danke. Einer hat mir gereicht. Da ich ohnehin keinen Ton herausbringe, wird aus der von meiner Neugier geplanten Fragestunde bezüglich des Armbands erst einmal nichts und ich bin wieder einmal zum Mitläufertum gezwungen – wortwörtlich. Es geht einen leichten Hügel hinauf und aufgrund des Gerennes von eben muss ich ein wenig schnaufen und justiere den Rucksack auf meinem Rücken neu. Dabei fällt mein Blick kurz auf eine kleine Baumgruppe zu meiner rechten. Das Erste, was mir bei einem neuerlichen Blick voraus ins Auge fällt, ist der riesige, hölzerne Pferdekopf. Je näher ich jenem Kopf komme, desto mehr vom Rest des Gebildes kommt zum Vorschein und ich sehe so langsam, dass an dem Kopf Leinen zu hängen scheinen, an denen wiederum kleine Fähnchen in verschiedenen Farben hängen. Der hoch in den Himmel ragende Beweis hyrul’scher Handwerkskunst befindet sich auf dem Dach von etwas, das aussieht wie ein viel zu großes Zelt mit zwei Eingängen links und rechts. Für einen Moment erwische ich mich bei der Frage, wie zur Heuschrecke das dort oben überhaupt halten kann.   Was ich zunächst noch als Zelt wahrnehme und damit als Anzeichen von Zivilisation, entpuppt sich alsbald als Stall. Zumindest intensiviert sich mit jedem Schritt in dessen Richtung ein Geruch nach Heu. Wo Heu ist, sind sicher auch Tiere nicht weit. Zugegeben, das lässt mich fast ein wenig darauf hoffen, auch jemanden zu finden, dem ich ein paar Fragen stellen kann – oder die Person, die Charly kurz nach seiner Vorstellung erwähnt hatte. Zu den recht eindeutigen Gerüchen nach Heu und Tieren gesellen sich alsbald auch solche nach Essen und die Geräuschkulisse lässt auch nicht allzu lange auf sich warten. Erst leise, dann immer deutlicher höre ich Gesänge, die ich nicht zuordnen kann, sowie ein Durcheinander von Gesprächen und dem ein oder anderen Wiehern von Pferden. Dazu mischt sich das Geklapper von Pferdehufen und irgendwo hört man auch lautes Gelächter heraus. Es geht hier ziemlich lebhaft zu, wie es aussieht. Einerseits bin ich froh, hier draußen nicht nur Gras, Bäume, ein von dunklen Wolken umwabertes Schloss Hyrule oder Monster vorzufinden, andererseits auch nicht. Meine Überlegungen, mich mit Händen und Füßen zu verständigen, sind zwar weiterhin da, aber wie ich meine Situation jemandem verständlich machen soll? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Auf eine verquere Art freue ich mich, andere Leute zu sehen, doch der Gedanke daran, wie sie auf meine Stummheit reagieren können, lässt ein leicht flaues Gefühl in mir aufsteigen. Vielleicht sollte ich mich lieber fernhalten, wer weiß wie die Leute hier reagieren?   Trotzdem betrete ich das Gelände des Stalls etwas zögerlich und sofort fällt mir jemand auf. Ein Orni mit blauem Gefieder. Er singt ein Lied, das mir bekannt vorkommt – auch wenn ich nicht sagen kann woher:   „...das mächtige Hyrule konnte alles wagen, brauchte nicht einmal vor Monstern verzagen. Mit sämtlichem Wissen und sämtlicher Macht war ein neuer Plan gegen Ganon ausgedacht. ...“   Es handelt sich um Kashiwa. Ein Name ohne eine Geschichte dazu. Ich kann nicht behaupten, ihn zu kennen, aber sein Name ist mir durchaus bekannt. Vielleicht ein Zeichen, dass meine Erinnerungen zurückkehren? Gute Frage, die ich nicht bis zum Ende ausknobeln darf. Eventuell habe ich ein klein wenig zu lange hier gestanden wie ein kurzsichtiger Bokblin, denn jemand kommt auf mich zu. Dunkelblaue Weste und Stiefel, dazu ein helles, leicht dreckiges Hemd und dunkelbraune Hosen. In einer Hand hält er eine Heugabel. Was mir außerdem auffällt, ist seine seltsame, ebenso dunkelblaue Mütze auf dem Kopf. „Dieser Steppenfuchs scheint einen Narren an Euch gefressen zu haben, Reisende. Kann ich helfen, braucht Ihr einen Wegweiser oder jemanden, der das Tier verscheucht?“ Ich habe mit allem gerechnet, aber sicher nicht damit, wirklich angesprochen zu werden und starre den Stallknecht an wie ein Oktorok, wenn es blitzt. Nicht dass ich überhaupt darauf antworten könnte, aber meine Kehle fühlt sich trotzdem an wie zugeschnürt und ich blicke hinunter auf Charly. Wie ein zahmes Tier sitzt er da direkt neben mir, beinahe gleich einem Hund. Wieso ist er plötzlich so still und spricht kein Wort mehr? Ist das Reden jetzt etwa meine Aufgabe, oder wie oder was? Eigentlich habe ich fest damit gerechnet, dass er das Sprechen übernimmt, aber irgendwie sieht es gerade nicht danach aus und das bringt mich in die unangenehme Situation, mich erklären zu müssen. Der Steppenfuchs unterdessen starrt den Stallknecht an, dann dreht er den Kopf in meine Richtung und legt den Kopf schief. Das unschuldig wirkende Blinzeln gibt mir letzte Gewissheit, dass von meinem vierbeinigen Begleiter wohl keine Antwort kommen wird. Was ist denn jetzt los? Vorhin hat er doch noch gesprochen, warum erklärt er nicht einfach die Situation? Ich starre Charly dennoch weiter hilfesuchend an. Zumindest gebe ich mir alle Mühe damit, doch es ändert sich nichts. Meint er das etwa ernst? Findet der Fuchs das etwa lustig, mich hier so im sprichwörtlichen Regen stehenzulassen? Nicht dein Ernst...lässt du mich genau jetzt hängen? Na schön. Zugegeben, es enttäuscht mich irgendwo sehr, kein Wort von meinem tierischen Begleiter zu hören, und ich frage mich erneut, warum er keinen Ton sagt. Ein Räuspern indes bringt mich fast schon dazu, wieder aufzublicken – direkt in die grauen Augen meines Gegenübers. „Was ist denn nun?“ Die Stimme des Stallknechts klingt – wenn ich es nicht besser wüsste – leicht ungeduldig nach und ich starre ihn ein paar Sekunden einfach nur an. Geduld ist eine Tugend. Eigentlich würde ich ihm das gern so mitteilen, aber nunja...es bleibt bei nicht ganz so wohlwollenden Gedanken. Soll ich es wirklich riskieren, mich zum Gespött zu machen? Lieber nicht.   Ich hebe also die Schultern, schüttele den Kopf und versuche mit Hilfe von Handgesten deutlich zu machen, dass ich nicht sprechen kann. Es tritt jedoch genau das ein, was ich befürchtet habe: Man nimmt mich nicht ernst, nicht wirklich jedenfalls. „Merkwürdiges Weib...keine Ahnung, was Ihr sagen wollt, aber ich habe hier noch zu tun. Ihr wisst ja, wo ich bin.“ Mit diesen Worten und einem festeren Griff um die Heugabel zieht er von dannen und lässt mich hier stehen, während Kashiwa im Hintergrund weiter singt. Der Stallknecht unterdessen versorgt die Pferde mit frischem Heu von einem Planenwagen und ich balle meine Hände zu Fäusten. Unhöflicher Flegel! Erzählt mir was von merkwürdig und will Charly verjagen...hmpf. Ich presse die Lippen in einem Anflug von Trotz aufeinander und will dem Kerl hinterherstapfen, um...ja, was eigentlich? Ihn mit Gestikulieren in den Wahnsinn treiben? Eigentlich keine schlechte Idee, immerhin war er nicht unbedingt freundlich, doch ein Ziehen an meiner Hose hält mich davon ab. Mein Blick wandert nach unten und wie sich herausstellt, ist Charly der ‚Schuldige‘. Was ist denn nun wieder? Der Fuchs läuft zu einem Lagerfeuer auf einem großen Platz neben dem Stall. Etliche Fässer stehen dort, ebenso wie ein paar Eimer und Baumstümpfe, die rund um das lodernde Brennholz aufgestellt sind. Genau dort bleibt mein vierbeiniger Begleiter stehen und ich lege den Kopf schief. Unlängst ist der Trotz einer gewissen Verwirrung gewichen, da ich seinen Blick zunächst nicht wirklich verstehe. Beim grünen Gras der Ebene, er meinte doch vorhin, dass wir ein Quartier für die Nacht brauchen...wie kann man nur so dumm sein? Ich bin versucht, mir die Hand an die Stirn zu klatschen für diese mentale ‚Glanzleistung‘, doch ich lasse es bleiben, lege nur nachdenklich einen Finger ans Kinn. Als hätte mich der Bokstock der Erleuchtung am Kopf getroffen, überkommt mich die Erkenntnis, dass man theoretisch auch in den Ställen übernachten könnte – gegen Bezahlung natürlich.   Ich beobachte das überdimensionierte Zelt, in dem man nächtigen kann, und will am Liebsten sofort wieder losstapfen. Meine Augen haben den Stallknecht entdeckt, der sich mit jemandem zu unterhalten scheint, der wichtig aussieht. Vermutlich der Vorgesetzte oder etwas in der Art. Genau weiß ich es nicht. Worüber gesprochen wird, kann ich nicht verstehen, aber blind bin ich deswegen noch lange nicht. Sie schauen genau in meine Richtung und wenn ich es nicht besser wüsste, haben sie sicher über nichts Positives gesprochen. Demonstrativ starre ich zurück. Ich beobachte euch, Bokgesichter. Wenn ihr mir irgendwas zu sagen habt, kommt verdammt nochmal her und klärt das mit mir. Woher das auf einmal kommt, kann ich nicht sagen, aber dieses Gefühl, dass sie in meiner Anwesenheit über mich gelästert haben, lässt mich nicht los und ich drehe mich demonstrativ weg. Mein Weg führt schnurstracks zum Lagerfeuer, da geht mir wenigstens niemand auf die Nerven. Euch gebe ich keinen müden Rubin, da schlafe ich lieber hier draußen! Sicher, das war vermutlich alles andere als reif, geschweige denn besonnen. Dennoch. Solches Verhalten macht mich noch fuchsiger als die Tatsache, dass Charly mich bei der ‚Unterhaltung’ mit dem Stallknecht so hat hängen lassen. So oder so muss ich wieder runterkommen und mir das Gesicht waschen. Wirklich geholfen hat mir diese Wanderung zum Stall hier nun nicht. Die Tiere gehen ja noch in Ordnung, aber die Menschen...eher weniger. Zumindest hat der Stallknecht keinen guten ersten Eindruck hinterlassen.   In der Nähe des Lagerfeuers steht zum Glück ein Eimer auf einer kleinen Holzkiste. Vielleicht brauchen sie das ja, um das Lagerfeuer löschen zu können, wenn irgendwas schiefgeht. Ich weiß es nicht und es kümmert mich gerade auch nicht. Nicht wirklich. Bevor es jedoch weitergeht, stelle ich den Rucksack zu einem der Baumstümpfe und strecke mich einmal ausgiebig, ehe es zurück zum Wassereimer geht. Gezwungenermaßen muss ich die Brille auf dem bisschen restlicher Kistenfläche ablegen, damit ich auch nur an eine Gesichtswäsche denken kann. Doch statt genau das zu tun, starre ich wie eine hypnotisierte Heuschrecke auf das, was sich im Wasser spiegelt. Zum ersten Mal sehe ich mein leicht ovales Gesicht und die irgendwie unpassende Stupsnase dazu. Die hellen blauen Augen, die mich aus dem Wassereimer heraus anstarren, sowie die kurzen grauen Haare gefallen mir irgendwie. Es wirkt alles so vertraut, obwohl ich mir selbst wie eine Fremde im eigenen Körper vorkomme.   ***   Als ich blinzele, starre ich in das gleiche Gesicht in einem Spiegel, es wirkt nur etwas älter. „Chris, bist du fertig?“, dringt eine dumpfe Stimme an meine Ohren. Es kommt keine Antwort, stattdessen streicht sich eine Hand mit einem nicht unbekannten Ring vorsichtig über eine frische Narbe auf der linken Wange und setzt sich eine ebenso vertraut wirkende Brille auf. Ich selbst kann nichts tun, um etwas zu beeinflussen, und als hätte jemand Wasser darüber geschüttet, löst sich die Szenerie wieder auf.   ***   Verdattert starre ich mein Spiegelbild im Wasser an. Keine Narbe zu sehen, dafür habe ich aber einen Namen, endlich. Chris... Der Gedanke an diesen Namen löst ein unbeschreibliches Gefühl in mir aus, trotz der meiner Meinung nach ziemlich verrückten Umständen, unter denen ich ihn erfahren habe. Gerade so, als hätte ich einen Teil von mir selbst wiedergefunden. Obgleich wenn die sonstigen Umstände alles andere als optimal sind, freue ich mich trotzdem – auch wenn mir die Szene nicht aus dem Kopf gehen will. Wie ich zudem noch feststelle, haben meine Ohren in etwa die gleiche, leicht spitz zulaufende Form wie die des Stallknechts vorhin. Mit neu gewonnenem Elan tauche ich das Gesicht kurz ins Wasser und schüttele dieses anschließend leicht, bevor die Brille wieder aufgesetzt wird. Das muss ich Charly erzählen! Nun...weniger erzählen, eher kehre ich zu dem Fuchs zurück und gehe wieder mal auf die Knie, um ihm meine Erkenntnis in den Dreck zu kritzeln – und dabei vermutlich das dämlichste Grinsen im Gesicht habe, das man sich vorstellen kann. Doch die nicht wirklich vorhandene Reaktion auf diese gute Neuigkeit lässt zumindest das Grinsen schneller verschwinden, als mir lieb ist. Ich meine zwar, dass er sich die Nachricht ansieht, jedoch kommt danach nicht mehr wirklich etwas. Lediglich ein nicht aussagekräftiger Blick des Fuchses in meine Richtung. Gern hätte ich geseufzt, doch das bleibt mir leider nicht vergönnt. Stattdessen verwische ich die Nachricht wieder und stehe auf, um mich sauber zu klopfen. Was ist denn los mit ihm? Muss ich mir Sorgen machen? Oder... Ich denke den Gedanken erstmal nicht zu Ende, sondern schüttele nur den Kopf. Es will mir nicht einleuchten, warum Charly seit der Ankunft am Stall kein Sterbenswörtchen mehr verloren hat.   Einer der möglichen Gründe für dieses Verhalten veranlasst mich dazu, mich ein paar Schritte wegzubewegen und die Arme zu verschränken. Könnte es vielleicht sein, dass ich mir die Unterhaltungen mit dem Tier die ganze Zeit nur eingebildet habe und es einfach irgendein Steppenfuchs ist, der mich nur zufällig in diese Richtung gelotst hat? Vielleicht hat er einfach keine Scheu vor Menschen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll...entweder ist es wirklich so, oder es gibt einen anderen Grund, warum er keinen Mucks macht. Der Gedanke daran, dass ich mir das alles nur eingebildet haben könnte, wird gewaltsam weggeschoben und ich versuche, mich irgendwie mit anderen Dingen abzulenken. Vielleicht, nein, hoffentlich klärte sich das Problem mit Charly irgendwie von selbst – wenn es denn überhaupt ein Problem ist. Die eben erwähnten anderen Dinge jedoch lassen den Ärger von vorhin wieder aufkeimen, denn wieder einmal bleiben meine Augen bei dem Stallknecht und seinem Vorgesetzten hängen, die schon wieder miteinander zu reden scheinen. Worüber auch immer. Demonstrativ bewege ich mich auf die beiden zu und kann dieses Mal deutlich sehen, wie sie die Nasen rümpfen. Wie ich es hasse! Redet mit mir, oder seid ihr Heuköpfe zu heiß gebadet worden?! Ich bin nicht wütend auf die beiden, neeeein. Kein bisschen. Da ich aber ohnehin nicht viel tun kann, strecke ich ihnen in Ermangelung von Alternativen lediglich frech die Zunge entgegen und gehe demonstrativ zurück zum Lagerfeuer, um es mir dort bei Charly bequem zu machen. Lange lässt der Sonnenuntergang dann auch nicht auf sich warten. Fasziniert starre ich in den Himmel und beobachte den Übergang zwischen Abend und Nacht. Wie die untergehende Sonne den Himmel regelrecht rot einfärbt, ist schon faszinierend, doch schlafen kann ich trotzdem nicht. Hin und wieder blicke ich zu Charly, der sich in meiner Nähe zusammengerollt hat und so wie ein kleiner, rotbrauner Feuerball aussieht. Schon irgendwie niedlich. Das lässt die Sorge um seine fehlende Stimme – oder die Befürchtung, ich würde mir das nur zusammenhalluzinieren – jedoch nicht weniger werden. Dass es Nacht geworden ist, merke ich erst bei einem neuerlichen Blick in den nun schwarzen Himmel und die dort funkelnden Sterne – und daran, dass es allgemein etwas ruhiger geworden ist. Gerade will ich mich etwas anders hinsetzen, als eine Gestalt zu uns ans Feuer tritt. Ungläubig blinzelnd stelle ich fest, dass es sich um Kashiwa handelt, der vorhin noch dieses Lied gesungen hat. Sein Instrument hat er entweder nicht dabei oder ich sehe es gerade einfach nicht.   Er lässt sich auf jeden Fall bei uns nieder. „Willkommen zurück, roter Streuner. Wie ich sehe, bist du wieder hier.“ Wen er mit ‚roter Streuner‘ meint, ist relativ offensichtlich und doch brauche ich einen Moment, um das zu verarbeiten und werde dadurch aus Zeuge eines verschlafen wirkenden Charly, der lediglich den Kopf hebt, um den Orni anzusehen. Eine von dessen Flügelhänden streichelt dem Fuchs über den Kopf und selbst im Licht des Lagerfeuers kann ich erkennen, dass meinem tierischen Begleiter diese Geste nicht wirklich in den Kram passt. Er lässt es über sich ergehen, aber das war es dann auch – und nach wie vor ist nicht ein Ton zu hören. Nicht einmal ein Fiepen oder so. Langsam macht er mir irgendwie Konkurrenz, was das Schweigen angeht. So lustig der Gedanke auch gewesen sein mag, so ernst ist das Thema dahinter, doch ich komme gar nicht dazu, weiter darüber nachzudenken – hauptsächlich, weil Kashiwa weiterspricht. „Sei gegrüßt, Abenteurerin. Wohin führt dich unser schlauer Freund?“ Meine Augenbrauen heben sich, als der Barde aufhört zu sprechen, und ich starre ihn einfach nur an. Kennt er Charly etwa? Wenn ja, woher und warum? Haben sie etwa eine gemeinsame Vergangenheit? Nein, das geht mich nichts an. Ich sollte aufhören, so neugierig zu sein...eindeutig. Dann hätten alle wesentlich weniger Probleme – denke ich mir zumindest und schüttele den Kopf kurz darauf. Nicht, um auf seine Frage zu antworten, sondern eher für mich selbst. Dass man das missverstehen kann, kommt mir keine Sekunde in den Sinn. „Nirgendwo?“, fragt der Orni etwas verwundert nach – und nun patsche ich mir wirklich die Handfläche an die Stirn und will den Mund öffnen. Dummkopf, du kannst nicht sprechen.   Nach dieser gedanklichen Schelte an mich selbst hebe ich kurz beide Hände und schreibe dann Folgendes mit dem Finger in den Dreck: ‚Tut mir leid, ich kann nicht sprechen. Ich soll hier jemanden treffen und unser Freund hat mich hergeführt.‘ Ich rücke etwas zur Seite, damit er es lesen kann, und warte seine Reaktion ab – auch wenn ich mich gedanklich schon damit abfinde, dass er sich vermutlich darüber lustig machen wird. Diese negative Erwartung wird jedoch zerschlagen. „So ohne Stimme ist es ein trauriges Leben, ich wäre arbeitslos ohne die meine“, sinniert er vor sich hin. Ich habe zwar den Eindruck, dass er alles gelesen hat, aber Kashiwa geht nicht weiter auf den Rest meiner ‚Aussage‘ ein. Ich blicke in seine Richtung und nicke leicht. Als Barde wäre er ohne seinen Gesang wirklich arbeitslos und ganz ehrlich, das würde ich an seiner Stelle nicht wollen.   Meinen Text wegwischend schreibe ich ein paar neue Worte hin: ‚Stimmt wohl, ich wäre traurig darüber. Euer Gesang ist sehr berührend.‘ Erneut lasse ich dem Orni ein wenig Zeit, das zu lesen und zu verarbeiten. „Ich kann gerne noch ein Lied anstimmen, wenn Euch der Sinn danach steht“, antwortet er nach einer kleinen Weile und mustert mich mit einem seiner goldgelben Augen. Ich schüttele, ohne nachzudenken, sacht den Kopf und schreibe noch etwas darunter: ‚Ein andermal gern. Erzählt mir lieber eine Geschichte, wenn es nichts ausmacht. Bitte.‘ Kashiwa scheint zu überlegen – zumindest ist von ihm kurz kein Mucks zu hören. Ehrlicherweise will ich schon eins seiner Lieder hören, um wenigstens etwas Ablenkung von diesem gefühlt viel zu nervigen Tag zu haben – auf der anderen Seite erfüllt eine Geschichte genau den gleichen Zweck. Zumindest meiner Meinung nach.   Ohne jede Vorwarnung fängt der Barde wenig später an zu reden – aber es ist keine Geschichte, wie ich schnell feststelle. Oder doch? „Heute morgen, ganz früh, noch vor der Sonne, hörte ich eine Stimme. Eine Frauenstimme, sie war ganz allein im Wald. Sie ist wahrlich allein, kein Körper, der ihr eine Heimat bot, ward ihr zu eigen. Sie flog traurig zwischen den Bäumen umher. Vielleicht war es Eure“, erzählt er aufgeregt und ich starre ihn einfach nur an wie der letzte Trottel. Sprechen geht zwar aktuell nicht, aber das ist keine Entschuldigung fürs Anstarren – ist zumindest meine Meinung. Was er da eben von sich gegeben hat, war irgendwie eine Mischung aus Geschichte und Lied. Schon interessant, wenn ich das so für mich festhalten darf, aber irgendwo verwirrt es mich eher. Eine körperlose Frauenstimme in einem Wald, die er heute Morgen vor Sonnenaufgang gehört hat? Das klingt zum einen eher nach einem verrückten Gruselmärchen, das Kinder vom Wald fernhalten soll, zum anderen macht es mich neugierig. Ich schiebe das jedoch mit Mühe für den Moment beiseite, denn die Geschichte hat auch meinen Begleiter aufhorchen lassen und ich blinzele erstaunt.   Charly scheint aufmerksam zu lauschen und hat sich hingesetzt, seine Aufregung während der Geschichte lässt sich fast greifen und unsere Blicke treffen sich kurz, ehe er in Richtung Wald sieht. Oder dort, wo Wald sein könnte. Außerhalb des Feuerscheins ist alles gefühlt in diffuses Halbdunkel getaucht und nur der Mond beleuchtet zusammen mit den Sternen die friedliche, leicht wolkige Nacht. Einerseits will ich nicht unbedingt nachts einfach losziehen, andererseits hat mich Kashiwas kleines Geschichten-Lied – oder was immer das nun gewesen sein soll – genug angefixt, um diese Vorsicht erstmal hinten anzustellen. So haarsträubend sich das anhört, umso neugieriger macht es mich. Hastig kritzele ich ein ‚vielleicht, vielen Dank.‘ in den Dreck, bevor ich aufstehe und den Orni lachen höre. „So viel Tatendrang...ich kann es Euch nicht verdenken. Möge Euer Weg von Licht erfüllt sein.“ Mit diesen Worten zieht Kashiwa sich wieder zurück und wir stehen alleine am Lagerfeuer. Licht? Ganz ehrlich, ich habe den Sinn seines Abschiedssatzes nicht wirklich verstanden – aber Licht ist ein gutes Stichwort. Ganz ohne Licht losrennen wäre keine so kluge Idee – und das versuche ich auch meinem Begleiter gefühlt mit Händen und Füßen zu erklären. Wenigstens lacht er mich nicht für dieses Gehampel und Gefuchtel aus oder wimmelt einen ab. Ich habe den Eindruck, dass er versteht, was ich ihm mitteilen möchte. Ob das wirklich stimmt, keine Ahnung, aber ich mache mich wenig später auf die Suche nach einer potenziellen Lichtquelle – nicht ohne meinen Rucksack natürlich. Sehr zu meinem Leidwesen muss ich dafür zurück zum Stall‘gebäude‘, da ich nicht im Halbdunkel das ganze Gelände absuchen will. Die beiden Zugänge sind je zwei vorhangartigen Planen gewichen, offenbar schlafen mittlerweile die meisten. Lediglich außen brennen noch zwei einsame Laternchen vor sich hin und spenden dürftiges Licht. So dauert es gefühlt eine Ewigkeit, bis ich eine Fackel finden kann, die sich ganz dreist an einer der Gestänge versteckt hat.   „Ihr habt mit diesem Weib gesprochen, Kashiwa?“ Diese Stimme... Meine Augen verengen sich und der Griff um die arme Fackel wird fester – auch wenn sie absolut nichts dafür kann, dass die dumpfe Stimme des Stallknechts mich sauer macht. Er lästert schon wieder, scheint jedenfalls so. Bah... Mit einem Gesicht, als hätte ich in einen Oktorok-Tentakel gebissen, kehre ich zum Lagerfeuer zurück und halte das obere Ende der Fackel hinein, bis diese Feuer fängt. Mehr vorbereiten kann ich mich nun auch nicht wirklich. Wobei...nein, das Schwert in die andere Hand zu nehmen wäre keine sonderlich kluge Idee, also verwerfe ich den Gedanken rasch wieder und marschiere mit der Fackel in der Hand in Richtung Wald. Dass ich das gute Stück dabei weiter so fest halte, als würde es mir jemand klauen wollen, ist mir egal. Hauptsache, ich halte sie fest genug, richtig? Mal davon abgesehen kommen wir so weit genug von diesem verfluchten Stall weg. Wenn ich den Stallknecht noch ein einziges Mal sehe, werde ich ihm was erzählen. Wie ironisch, wenn man bedenkt, dass es gerade um die Suche nach einer verlorenen Stimme geht.   Immerhin habe ich aber schonmal meinen Namen wieder und das lasse ich mir auch nicht nehmen. Auf andere mag das vielleicht lächerlich wirken, aber für mich ist der Name einer Person auch Teil von dessen Identität. Obwohl es mich wurmt, dass ich mich nach wie vor nicht an alles erinnern kann, ist diese kleine Errungenschaft meines Erachtens schon etwas wert – obgleich ich wohl die Einzige bin, die sich wirklich darüber hat freuen können. Ich hoffe, dass das nicht nur eine Schauergeschichte ist. Eigentlich hätte ich Idiot auch nach mehr Details fragen können, aber die Neugier hat da erfolgreich dazwischen gegrätscht und jetzt müssen wir eben mit dem leben, was Kashiwa uns erzählt hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)