Säuselstimme, Silberblick und Liebreiz von Platan ================================================================================ Prolog: Bonjour, meine Lieben ----------------------------- „Bonjour, meine Lieben~“, begrüßte die sanfte, melodische Stimme des Radiomoderators seine Zuschauer. „Herzlich Willkommen zu einer weiteren traumhaften Märchenstunde, mit mir, eurem Erzähler aus Leidenschaft.“ Flordelis nickte wie von selbst. Es war keine Übertreibung, dieser Mann liebte es, Geschichten zu erzählen. Das spiegelte sich immer deutlich in seiner lebendigen Erzählweise wider. Deshalb war es ungemein wohltuend ihm zuzuhören. Seine Leidenschaft riss jeden für diese eine Stunde aus der Realität und das half hervorragend dabei, sich von dem stressigen Alltag zu erholen. Eine magische Reise, die Flordelis außerdem daran erinnerte, nicht zu vergessen, sich auf die schönen Seiten dieser Welt zu besinnen. Auf diese Art von Entspannung konnte und wollte er mittlerweile nicht mehr verzichten. Auch nicht an diesem Abend, mitten in der Woche, an dem er mit einem Glas Wein zu Hause im Wohnzimmer auf dem Sofa saß und über den Holo-Log seine liebste Radiosendung laufen ließ, auf die er sich nun voll und ganz konzentrierte. Dadurch nahm er alles andere um sich herum kaum noch wahr. Nur dank seinen Pokémon konnte er sich diese Nachlässigkeit überhaupt erlauben. Garados hielt sich momentan im Garten auf, zusammen mit Wie-Shu, während Pyroleo es vorzog bei Flordelis am Sofa zu liegen. Kramshef war ebenfalls drinnen und behielt wie gewohnt seine Umgebung aufmerksam im Auge, um jederzeit als Anführer ein Machtwort sprechen zu können. Und sein schillerndes Durengard, der seine selbsternannte Rolle als Beschützer äußerst ernst nahm, schwebte wachsam nahe der Eingangstür hin und her. „Mein Name ist Platan“, fuhr der Moderator beschwingt fort, „und mein Herz erblüht vor Freude darüber, dass ihr auch heute dabei seid, bei Sternschauer am Abend.“ Platan. Dieser Name besaß inzwischen eine starke Anziehungskraft auf Flordelis. Schon seit langer Zeit rettete Platan mit dieser Radiosendung regelmäßig seinen Tag. Egal, wie anstrengend die Arbeit sein mochte oder wie sehr ihn das undankbare Verhalten der gierigen Menschen frustrierte, kaum hörte er die Stimme dieses Mannes, war auf einmal einfach alles gut. Sie berührte etwas tief in ihm, das er nicht benennen konnte. Sobald er eine Märchenstunde verpasste, blieb er bis zur nächsten Sendung angespannt und sein Gesicht erschreckend finster, wodurch er sämtlichen Unlicht-Pokémon dieser Welt Konkurrenz machte. Daher achtete er nun darauf, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. An diesem Tag hatte er sogar ein Meeting vorzeitig verlassen, nur um rechtzeitig zu Hause zu sein und dieser Stimme in einer gemütlichen Atmosphäre lauschen zu können. Möglicherweise war Flordelis ein wenig zu süchtig danach, aber er störte sich nicht daran – an sich vernachlässigte er seine Aufgaben deswegen nicht wirklich, denn morgen würde er die verlorene Zeit problemlos wieder reinholen, indem er früher zur Arbeit ging. „Heute habe ich eine ganz besondere Geschichte für euch“, sagte Platan bedeutungsvoll, gefolgt von einem leisen Lachen. „So wie jeden Tag, nicht wahr? Ihr habt eben nur das Beste verdient.“ Ohne sich dessen bewusst zu sein, deuteten Flordelis' Lippen ein Lächeln an. „Der Herbst steht vor der Tür, eine meiner liebsten Jahreszeiten~“, schwärmte Platan aufrichtig. Sofort fragte Flordelis sich, ob Platan schon mal in der Palais-Allee war, wenn dort die königlichen Blätterdächer der akkurat aufgereihten Bäume in leidenschaftlichen Farben brannten. Ebenso leidenschaftlich wie dieser Mann mit seinen Geschichten. „Passend dazu möchte ich euch von einem kleinen Mädchen erzählen“, sprach Platan weiter. „Auch sie liebte den Herbst über alles. Für sie war es jedes Jahr wie Zauberei, wenn die Bäume ihre Farben änderten, als wollten sie ihre wahren Gefühle endlich nach außen tragen. Eine schöne Vorstellung. Da stimmt ihr mir doch zu, oder? Diese Geschichte, die ihr nun hören werdet, soll sich vor vielen, vielen Jahren in Kalos ereignet haben ...“ So begann Platan zu erzählen und Flordelis hörte ihm interessiert zu, während er nebenbei seinen Wein trank. Das Mädchen in der Geschichte litt an einer schweren Krankheit und durfte das Haus nicht mehr verlassen, was für sie kaum zu ertragen war, da sie sich in der Natur am wohlsten fühlte. Eines Tages schlich sie sich heimlich nach draußen und ging in den Wald, der sich neben ihrem Haus befand. Dort schloss sie Freundschaft mit einem Purmel, das sie zufällig traf und tapfer vor einem Vogel-Pokémon beschützte. Dieser Mut imponierte dem kleinen Pokémon sehr. Platan vermittelte während des Erzählens sämtliche Gefühle derart überzeugend, als würde er sie selbst durchleben und vor allem verstehen. Eine beeindruckende Fähigkeit. Auf diese Weise fühlte man sich schnell mit den Figuren aus der Geschichte verbunden und litt selbst mit ihnen mit oder freute sich in den schönen Momenten für sie. All die Details, die Platan gerne hier und da zusätzlich erwähnte, um die Erzählung noch lebendiger zu machen, nahm Flordelis dankbar in sich auf. Leider verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Mädchens drastisch und sie blieb ans Bett gebunden. So konnte sie das Purmel – sie war noch zu jung und durfte es nicht behalten – im Wald nicht mehr besuchen. Der Arzt bemühte sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln darum, sie zu retten, aber weil die Kleine mehr und mehr ihren Lebenswillen verlor, ohne die Nähe zur Natur, sah es nicht gut aus. Schließlich wurde es Winter und sie verpasste somit den Herbst. Nun waren die Bäume nur noch kahle Skelette, Schatten ihrer selbst, und jedes kleine Fleckchen Grün wurde vom Frost gandenlos erstickt. Eine bildgewaltige Szene. Alles erschien hoffnungslos. Bis das Purmel plötzlich vor ihrem Fenster auftauchte, allerdings hatte es sich in der Zwischenzeit zu einem Vivillon weiterentwickelt. Dennoch erkannte das Mädchen es wieder und zum ersten Mal seit unzähligen trostlosen Wochen kehrte das Leben in die Kleine zurück. Ihr gelang es aufzustehen und zum Fenster zu gehen, wo sie etwas sah, das ihr den Atem raubte. Trotz der kalten Jahreszeit hatten sich hunderte weitere Vivillons an einem Baum in der Nähe versammelt. Ihre Flügel besaßen allesamt unterschiedliche Muster sowie Farben und erschufen dadurch die Illusion einer prächtigen, bunten Baumkrone. Davon war das Mädchen zutiefst gerührt, es konnte nicht aufhören zu weinen. Auch weil ihr Freund ihr mutmachend zunickte und ihr somit zu verstehen gab, nicht aufzugeben, damit sie in Zukunft noch mehr wunderschöne Dinge sehen könnte. Tatsächlich half es ihr dabei, die Behandlung des Arztes mit neuer Entschlossenheit anzunehmen, denn sie wollte leben. Ihr Mut wurde belohnt. Im darauf folgenden Jahr war sie beinahe vollständig genesen und konnte im Herbst einen Spaziergang durch den Wald machen, zusammen mit dem Vivillon, das fortan nicht mehr von ihrer Seite wich. Die beiden hatten sich gegenseitig gerettet und waren nun unzertrennlich. Als Platan am Ende der Geschichte ankam, seufzte er ergriffen. „Eine wundervolle Geschichte, nicht wahr?“ „Ja“, antwortete Flordelis ruhig, mit einer unbeschreiblichen Zufriedenheit im Herzen. „Wundervoll.“ „Falls auch jemand von euch gerade eine schwere Zeit durchmacht, dann erinnere dich an das, was du liebst. Was dir Freude bereitet. Was du gerne noch sehen willst. So lässt sich der schwere Alltag leichter bewältigen.“ Platan atmete kurz durch. „Ich würde an der Stelle gerne noch etwas weiter ausschweifen, aber ich befürchte, meine Sendezeit neigt sich dem Ende zu. Tut mir den Gefallen und genießt den Herbst. Denkt an das kleine tapfere Mädchen und ihr Vivillon, wenn ihr euch die farbenfrohen Bäume anschaut und tragt sie im Herzen. Ich hoffe, ich darf euch auch morgen alle wieder hier zu unserer gemütlichen Märchenstunde begrüßen.“ Wie immer war die Zeit viel zu schnell verflogen. Nach Platans Verabschiedung wurden nur noch einige aktuell beliebte Lieder abgespielt, für die Flordelis sich jedoch nicht interessierte und die Radiofunktion des Holo-Logs deswegen ausschaltete. Nachdem er auch den letzten Schluck Wein getrunken hatte, stellte er das Glas auf dem Tisch ab und lehnte sich mit einem lautlosen Seufzen zurück. Warum fühlte er sich jedes Mal so seltsam leer, sobald Platans Märchenstunde vorbei war? Pyroleo hob den Kopf und legte ihn neben Flordelis auf dem Sofa ab, so dass dieser behutsam mit einer Hand über dessen Mähne streichen konnte. „Es ist absurd, ich kenne diesen Mann nicht ...“, meinte er nachdenklich. Darauf brummte Pyroleo leise. Außer Platans Namen wusste Flordelis nichts über ihn. Nicht mal, wie er aussah. Alleine seine Stimme hatte ihn aber so sehr in den Bann gezogen, dass er ihn gerne kennenlernen würde, um herauszufinden, wie leidenschaftlich er wirklich war. Bedauerlicherweise erfüllte sich dieser Wunsch mit Sicherheit nicht. Ihm käme es falsch vor, einfach beim Sender nachzuhaken, wie man Platan privat erreichen könne – wahrscheinlich schreckte Flordelis ihn auf diese Weise sogar nur ab. Auch wenn er in Kalos als Wissenschaftler und Wohltäter ein hohes Ansehen genoss, dürfte so ein Verhalten für einige unangenehme Gerüchte sorgen. Die Presse erschuf zu gerne schnell aus den kleinsten Auffälligkeiten die größten Skandale. Also musste er wohl oder übel darauf hoffen, Platan irgendwie zufällig zu begegnen. Genau wie er einst auch durch Zufall dessen Radiosendung entdeckt hatte und seitdem nicht mehr davon loskam. Leider war es aber etwas anderes, zur richtigen Zeit schlicht den passenden Sender einzuschalten, als in einer riesigen Region wie Kalos zwischen all den Menschen und Pokémon vielleicht einer bestimmten Person zu begegnen. Diese Chance war schwindelerregend gering. Somit blieb ihm nur, weiterhin abends dieser zauberhaften Stimme zu lauschen. Zauberhaft? Nun übertrieb er es vielleicht ein bisschen. Flordelis musste ein wenig über sich selbst schmunzeln. „Denkst du, meine Bemühungen, die Welt zu verbessern, erreichen auch Platan und haben sein Leben bereits positiv beeinflusst?“, fragte er, vielmehr sich selbst. „In dem Fall wären wir schon miteinander verbunden.“ Erneut brummte Pyroleo leise. Auf jeden Fall hatte diese Sendung ihn wieder darin bestärkt, weiterhin alles zu tun, was in seiner Macht stand, um die Welt zu einem noch besseren Ort zu machen. Die Schönheit zu bewahren. Damit Menschen wie Platan, die auf ihre individuelle Art anderen etwas gaben, ihr Leben möglichst sorgenfrei genießen könnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)