Lonely Defiant Dragon von Cyrene (Des unnahbaren Einzelkämpfers größte Herausforderung) ================================================================================ Kapitel 1: Loneliness doesn't fit into the Budget ------------------------------------------------- Setos Sicht: Wie so oft in den vergangenen Jahren finde ich mich auch heute Morgen erneut an meinem Schreibtisch in meinem Büro, das sich in der obersten Etage des imposanten Kaiba Corporation-Firmengebäudes befindet, wieder. Die Gewohnheit, hier zu erwachen, hat sich im Laufe der Zeit beharrlich eingeschlichen, und so ist es auch keine wirkliche Überraschung mehr, als sich meine blauen Augen langsam öffnen. Kurzzeitig überkommt mich dennoch eine leichte Verblüffung, denn mein Gesicht ruht nicht auf den Buchstabenwürfeln meiner Computertastatur, sondern sanft auf einem weichen, bequemen Kissen. Ein leiser Seufzer entringt sich meinen Lippen, als ich mir den Schlaf aus den Augen reibe. Meine Gedanken sind noch verschwommen von der wohl unzureichenden Schlafmenge, die ich in der vergangenen Nacht abbekommen habe. Die Erkenntnis kommt erst langsam, als meine Sinne sich klären – nur Isono kann der Urheber dieser kleinen, unerwarteten Annehmlichkeit, sprich des Kissens, sein. Er ist seit Jahren wie ein beharrlicher Schatten, stets präsent und sorgt sich unermüdlich um mein Wohl. Für einen winzigen Moment kann ich nicht leugnen, dass er mit ziemlicher Sicherheit sogar der Hauptgrund dafür ist, dass ich noch nicht völlig verwahrlost bin. Doch mein stolzes Ego wischt diesen Gedanken beiseite, noch bevor er tiefer in mein Bewusstsein vordringen kann. Vollkommen allein und unbeobachtet, erlaube ich mir ein herzhaftes Gähnen, während ich mich ausgiebig strecke. Das Knacken, das mein Rücken dabei von sich gibt, hätte mich vielleicht besorgen sollen, da es nicht zu meinen jungen 25 Jahren passt. Aber solche unbedeutenden Kleinigkeiten kann ein teuer bezahlter Physiotherapeut zwischen zwei anstrengenden Vorstandsitzungen sicherlich problemlos beheben. Mein Blick schweift über die angenehm leere Oberfläche meines Schreibtisches, bis er schließlich an einem gerahmten Foto hängen bleibt. Das Foto zeigt mich, Mokuba, Shizuka und all meine ehemaligen Klassenkameraden an unserem Schulabschlusstag. Mokuba hat es mir geschenkt und ich kann nicht umhin, mich kurz ernsthaft zu fragen, warum es hier steht. Ich erinnere mich an die Szene, als wäre sie erst gestern geschehen, in der dieses Foto entstanden ist. Mokuba hat Isono eine hochmoderne Digital Kamera in die Hand gedrückt. Er war damals so aufgeregt gewesen, als er hartnäckig darauf bestanden hat, dass wir ein Erinnerungsfoto machen. Schon damals war er mit der ganzen Bande um Motou eng befreundet gewesen. Für ihn war es ein Moment der ungetrübten Freude und des herzlichen Zusammenseins, aber für mich fühlte es sich eher wie eine unbequeme Pflichtübung an, der ich dann auch nur meinem kleinen Bruder zuliebe nachkam. Mein kühler und abweisender Gesichtsausdruck auf dem alten Bild bildet dementsprechend einen deutlichen Kontrast zu den strahlenden Gesichtern meiner lebhaften Klassenkameraden. Aber ich war eh noch nie jemand gewesen, der Gefühle und Emotionen offen zeigt. Kurz denke ich tatsächlich darüber nach, was aus den anderen geworden sein mag. Mutou ist, soweit ich weiß, inzwischen mit Mazaki verlobt und scheint sein Glück gefunden zu haben. Honda arbeitet für Otogi und wir haben tatsächlich erst vor einiger Zeit geschäftlich miteinander gesprochen. Es beruhigt mich irgendwie zu wissen, dass beide offenbar ihren Weg gefunden haben. Mokuba und Shizuka studieren beide Medizin und ich kann in Gedanken kaum in Worte fassen, wie stolz ich deswegen auf meinen kleinen Bruder bin. Der Einzige, von dem ich tatsächlich keine Ahnung habe, was nach dem Abschluss aus ihm geworden ist, ist Jonouchi Katsuya. Die Erinnerung an diesen Namen lässt mich ungewollt kurz innerlich zusammenzucken und ich versuche sofort, den seltsam unangenehmen Gedanken zu verdrängen. Es ist besser, sich nicht weiter damit zu beschäftigen. Deshalb wende ich mich nun auch fast etwas zu energisch von dem Foto ab und fokussiere mich anstatt dessen lieber auf den bevorstehenden Tag. Sentimentalität in Form von Erinnerungen an die Vergangenheit ist etwas, was weder in meinen geschäftigen Zeitplan noch in mein persönliches Budget passt. Ich betätige die Sprechanlage und bestelle mir einen kräftigen, doppelten Espresso. Es ist an der Zeit, mich voll und ganz auf die bevorstehenden Herausforderungen des Tages zu konzentrieren und daran zu arbeiten, die Kaiba Corporation aus ihrer gegenwärtigen Krise zu führen. Der Kaffee kommt wenige Minuten später, begleitet von einem subtil besorgten Isono, den ich teils bewusst, teils unbewusst ignoriere. Genau wie die Reisbällchen, die er mir zusammen mit dem Kaffee serviert. Essen kann warten; mit leerem Magen kann ich ohnehin besser denken. Einige Termine später sitze ich schließlich wieder in meinem geräumigen Büro und starre auf den Bildschirm meines hochmodernen Computers. Die virtuelle Welt, ein Projekt, das mich genau so unermüdlich wie unerschöpflich Zeit, Energie und Ressourcen gekostet hat, ist nicht nur einmal, sondern bereits zweimal gescheitert. Jahre voller Anstrengung und Enttäuschung haben mich an diesen kritischen Punkt geführt. Die Ausreden, beim ersten Mal die Big Five, beim zweiten Mal mein Adoptivvater sowie mein Adoptivbruder, lasse ich für diese Rückschläge keines Falls gelten. Die Spielebranche verlangt ständige Innovation, Fortschritt und bahnbrechende Erfindungen, die, immer wieder aufs Neue, die Grenzen des Vorstellbaren sprengen. Als CEO der Kaiba Corporation liegt es allein in meiner Verantwortung, diesen hohen Anforderungen gerecht zu werden. Aber bisher habe ich, auch wenn ich dies nur ganz leise und im Stillen vor mir selbst zugebe, diese hohen Erwartungen, zumindest meines Empfindens nach, nicht erfüllen können. Mein Blick verharrt auf dem Bildschirm, auf dem einige der gescheiterten Prototypen der virtuellen Welt zu sehen sind. Fragen quälen mich ohne Erbarmen. Was habe ich übersehen? Warum will einfach mir dieses Unterfangen einfach nicht gelingen? Die Last dieser Fragen drückt unerbittlich auf meine Schultern. Während ich über die Jahre immer tiefer in die Gedankenwelt der virtuellen Realität eintauchte und verbissen nach einer Lösung suchte, versucht mein rechte Hand, Isono, immer energischer, mich zur Entspannung zu bewegen. Seine beinahe väterliche Fürsorge steht dabei in krassem Kontrast zu meiner obsessiven Hingabe zu meiner Arbeit. Ja, er sorgt für mich, achtet darauf, dass ich zumindest ab und an das Essen nicht voll und ganz vergesse und dabei wird seine stumme Bitte, dass ich doch eine Pause machen und mich erholen soll, von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat und von Tag zu Tag immer lauter und dringlicher. Er scheint sich wirklich zunehmend Sorgen um mich und meine Gesundheit zu machen. Doch er versteht mich und meine Situation scheinbar einfach nicht - wie kann ich denn bloß pausieren, an Freizeit oder gar Urlaub auch nur denken, wenn doch die Zukunft der Kaiba Corporation auf dem Spiel steht? Er muss doch auch einsehen, dass ich gefangen bin in diesem Teufelskreis aus Arbeit, Stress und Selbstzweifeln, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt. Tief in mir drin weiß ich, dass Isono Recht hat, dass ich zu erschöpft bin, um klar zu denken und dass das meine ständigen Selbstzweifel nur weiter verstärken. Aber ich kann jetzt nicht einfach aufhören. Die Kaiba Corporation und die virtuelle Welt sind nicht nur Geschäftsprojekte, sie sind Teil meines Lebenswerks, eine Obsession, die in meinem Inneren brennt. Ihre Bedeutung geht weit über den geschäftlichen Aspekt hinaus, ist ein Teil von mir, meiner Identität. Ich kann und will sie nicht aufgeben, nicht nach all den Jahren des Einsatzes und der Hingabe. Mein Blick verharrt wieder auf dem Bildschirm und ich atme gleichmäßig, während ich mich bemühe, die lähmende Dunkelheit in meinem Inneren zu vertreiben, die mich zu erdrücken droht. Wie kann ich die hohen Erwartungen erfüllen, die auf meinen Schultern lasten? Wie kann ich eine Innovation schaffen, die nicht nur die Branche, sondern die ganze Welt verändern wird? Diese Gedanken verfolgen mich, sind längst zu meinem ständigen Begleiter geworden, wie ein Schatten, den ich nicht abschütteln kann. Die Kaiba Corporation und mein persönlicher Stolz stehen auf dem Spiel, und das ist eine Tatsache, die ich nicht ignorieren kann. Nach all den Herausforderungen, mit diesem Unternehmen, dem ich bereits einen Großteil meines kurzen Lebens gewidmet habe, kann und will ich jetzt sein Scheitern nicht zulassen. Völlig in diese Gedanken vertieft, drehe ich mich zu der Fensterfront in meinem Rücken und lasse die Augen über das beeindruckende Panorama von Neu-Domino hinter meinem Schreibtisch schweifen, auf das ich von meinem Büro aus eine perfekte Aussicht habe. Der Anblick erinnert mich daran, wie sehr mein Unternehmen in den letzten Jahren gewachsen ist, wie weit ich gekommen bin. Die Kaiba Corp ist für mich nicht nur eine Firma, sie ist ein Symbol, für welches ich, Seto Kaiba, alles tun werde, um sicherzustellen, dass es seinen Platz an der Spitze behält. Plötzlich und vollkommen unerwartet durchbricht das Piepsen meiner Sprechanlage die Stille des Raums. Der unerwartete Klang reißt mich unsanft aus meinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. Den Blick hebend, die Stirn in leichte Falten gelegt frage ich mich - wer könnte das sein? Die meisten Menschen wissen, wie schwierig es ist, ohne Termin Zugang zu meinem Büro zu bekommen und das diese noch schwerer zu erhalten sind. Meine Stimme klingt kühl während ich die Sprechtaste drücke und frage, "Was ist los?" Die Antwort meiner Assistentin folgt prompt. "Kaiba-Dono, es tut mir leid, Sie stören zu müssen, aber Ihr Bruder Mokuba-Sama ist hier und möchte Sie gerne sprechen." Mokuba? Mein kleiner Bruder hat mich schon lange nicht mehr besucht! Ich kann nicht leugnen, dass seine unerwartete Anwesenheit mich überrascht. Dennoch bewahre ich äußerlich meine Fassung und antworte ruhig, "In Ordnung, lassen Sie ihn herein." Die Tür zu meinem Büro öffnet sich, und Mokuba tritt ein. Er sieht genauso aus wie auf dem Bild, das auf meinem Schreibtisch steht, nur älter und erwachsener. Sein schwarzes Haar ist nun deutlich kürzer. Ein warmes Lächeln huscht über sein Gesicht, als er mich hinter meinem Schreibtisch entdeckt, und er sagt leise, "Hallo, Oniisan, lange nicht gesehen." Mein Blick bleibt ruhig auf meinem Bruder haften, und ich erwidere nur knapp, "Mokuba." Mein Pokerface ist zwar praktisch wasserdicht, aber ich bin mir sicher, dass ihm meine Überraschung über seinen Besuch trotzdem nicht entgeht. Was mag ihn wohl hierher geführt haben? Die Frage bleibt unausgesprochen, doch dann bemerke ich, dass er nicht alleine ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)