Hand in Hand von Norrsken ================================================================================ Nahe Thanon Silom ----------------- Als Max den Abzug erneut tätigte, fiel ihm der schwindende Druck direkt auf. Das war ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er zur nächsten Wasserstation musste, um nachzuladen. Andernfalls würde er sich nicht mehr verteidigen können und für alle ein einfaches Ziel darstellen. Nicht, dass es noch etwas zu verteidigen gab. Seine Haare und Kleider klebten bereits nass an seiner Haut. Sicher gab es keine einzige trockene Stelle mehr an seinem Körper. Aber damit war er nicht der einzige. Alle Menschen um ihn herum waren mit Eimern, Wasserbomben oder ähnlichem ausgestattet und nahmen sich jedem zum Ziel, der in Reichweite kam. Max reckte den Hals, um über die Menschenmassen hinweg auszumachen, wo sich die nächste Wasserstelle befand. Da alle dicht gedrängt zueinander standen, war es schwer, einen Überblick zu bekommen und nebenher wurde er immer wieder mit Wasser beschossen. Vermutlich hätte ihn die Situation frustrieren sollen, aber er konnte nicht anders als zu lachen. Die Sonne schien, die Temperaturen waren angenehm und das Wasser herrlich erfrischend. Selbst wenn um ihn eine wilde Schlacht vonstattenging, war es zuletzt auch ein Fest. Ein Festival. Menschen von überall hatten sich in Thailand getroffen, um Songkran oder die größte Wasserschlacht der Welt zu feiern. Max liebte es. Nachdem er eingeladen wurde, hatte er versucht, sich etwas schlauzumachen. Im Internet hatte er eine Vielzahl an Fotos und Videos der letzten Jahre gefunden. Mithilfe von Wikipedia und Ming Ming hatte er sich über die Hintergründe und Traditionen des Festes informiert. Zunächst war ihm nicht klar, wie aus einem familiären Neujahr, das für Erneuerung und Reinigung stand, ein riesiges Spektakel entstanden ist, doch in Thailand angekommen, lernte er die Koexistenz der Tradition und des Festivals zu schätzen. Der nächste Schwall Wasser übergoss sich über Max und beendete seine Suche abrupt. Desorientiert versuchte er sich den nassen Pony aus den Augen zu wischen und blinzelte einige Wassertropfen aus seinen Wimpern. Um ihn herum war es unfassbar laut, doch durch den Tumult hindurch konnte er ein glockenklares Lachen heraushören und wandte sich der Quelle zu. Mariam hielt sich den Bauch und vielleicht waren das keine Tropfen, sondern Tränen, die in ihren Augenwinkeln glänzten, während sie unentwegt lachte. Sehr wahrscheinlich über ihn, der nun nicht mehr einfach nur nass war, sondern triefte und tropfte. Bis sie zurück in ihrem Airbnb waren, würde sich an diesem Zustand wohl nicht mehr viel ändern. Max grinste. Das tat er schon den lieben langen Tag, aber wie er Mariam so lachen sah, zogen seine Mundwinkel sich noch ein Stück mehr in die Breite. Die nächste Person hatte einen Eimer voll Wasser im Anschlag, doch Mariam entdeckte ihn frühzeitig und sprang aus der Schussbahn auf Max zu. Sie griff seinen Arm, riss ihn herum und zusammen quetschten sie sich durch die Menge bis zur nächsten Häuserwand durch. Er wusste nicht genau, was ihr Ziel war und reckte immer wieder mal den Hals, um irgendetwas in der Nähe zu entdecken. Als sie mit ihm durch eine schmale Gasse verschwand, konnte er ausschließen, dass sie auf den Weg zu einer Wasserstelle fürs Nachladen waren. Nach einem guten Stück wurde der Tumult von der Hauptstraße leiser und Mariams Schritte langsamer. Sie ließ seinen Arm los und griff stattdessen seine Hand, sodass sich ihre Finger verschränkten. Da die Gasse nicht allzu breit war, blieben sie dicht beieinander, während sie ihren Weg fortsetzten. »Ich brauche eine kleine Pause«, erklärte Mariam und atmete tief durch. »Hast du Seitenstiche vom Lachen?«, erkundigte sich Max mit einem leisen Glucksen. Sie schob ihm den Ellbogen in die Rippen, aber nur ganz sanft. Es tat nicht weh, aber er taumelte leicht, und da sie einander immer noch festhielten, zog er sie mit sich. Sie stolperte gegen ihn und beide lachten. »Lass uns hier einen Moment ausruhen und dann gehen wir wieder zurück«, schlug Mariam vor und zog ihn an die Seite, sodass sie sich an eine Hauswand setzten konnten. Nun, wo sie sich abseits der Menschenmenge befanden und an den Häusern vorbei nur wenig Sonnenschein einfiel, fühlte sich die nasse Kleidung an seinem Körper klamm an. Vielleicht ging es Mariam ähnlich, denn sie rückte noch ein Stück näher zu ihm heran, sodass sich ihre Knie berührten. Ihr Blick war auf ihre verschränkten Hände gesenkt. Mit dem Daumen strich sie sanft über seine Haut. »Danke, dass du mit mir hier her gekommen bist.« Max blinzelte. »Danke, dass du mich eingeladen hast«, entgegnete er ihr mit leichter Verwunderung. Er wusste, dass Mariam schon einmal zum Neujahrsfest in Thailand gewesen war. Allgemein war sie in den letzten Jahren an vielen Orten auf der Welt gewesen, hatte besondere Feste oder Freunde besucht. Gereist war sie aber immer alleine. Als sie ihn einmal vorschlug, zusammen zum Songkran Festival zu gehen, hatte er zugestimmt, aber nicht ganz daran geglaubt. Umso größer war seine Freude gewesen, als Mariam zu einem späteren Zeitpunkt mit genauen Daten zu ihm kam und sie Anreise und Unterkunft planten. Ihre Hand schloss sich fester um seine. Wahrscheinlich lag es an der guten Stimmung, die sie schon den ganzen Tag begleitete, dass Max sich ein Stück zu ihr lehnte. Er konnte ihre Reaktionen nicht sehen, als er seinen Kopf auf ihren legte, aber dass sie nicht von ihm abrückte, nahm er als gutes Zeichen. Er erwiderte den Druck ihrer Hand mit seiner eigenen. Bisher war Max gut durch den Tag gekommen und spürte nur eine leichte Erschöpfung. Nun, wo er und Mariam so nah beieinander saßen, begann sein Herzschlag sich zu überschlagen und es gab ihm das Gefühl, wieder ein dummer Schuljunge zu sein. Grund hierfür mochte es sein, dass sie sich schon seit der Schulzeit kannten und er schon damals Sympathie für sie empfunden hatte. Geändert hatte sich in den Jahren daran nichts, wie es ihm jedes Mal wieder bewusst wurde, wenn sie miteinander schrieben oder er online Fotos von ihren Reisen verfolgte. Als sie sich unter ihm regte, lösten sie sich voneinander, damit Mariam aufstehen konnte. Sie streckte ihre Glieder und reichte Max die Hand zur Unterstützung. »Lass uns noch eine Runde drehen und dann überlegen wir, was wir heute essen; was meinst du?« »Gute Idee.« Dankend nahm er ihre Hand und zog sich mit ihrer Hilfe auf die Beine. Mariam ließ ihn nicht gleich los und schaute zu ihm auf. »Und was hältst du von der Idee, nächstes Jahr wieder hierherzukommen?« Die Frage kam unerwartet. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bisher keine Gedanken darüber gemacht. Ihr gemeinsamer Trip hatte gefühlt gerade erst begonnen und er steckte noch ganz im Moment. Die Vorstellung von einer Wiederholung ließ seine Kopfhaut prickeln. »Zusammen?« Unweigerlich rollte sie mit den Augen, aber ihr Mundwinkel zuckte kurz zu einem Lächeln. »Ich frag dich doch nicht, wenn ich nicht mit dir zusammen hin will.« Leicht schüttelte sie den Kopf. Die Schläge seines Herzens pochten so kräftig, dass Max sie bis zum Hals hoch spüren konnte. Das klamme Gefühl von vorhin war verflogen und stattdessen fühlte sich seine Haut, als würde sie brennen. Vielleicht war sein Gesicht auch schon rot. »Ich bin gerne mit dir zusammen, Mariam.« Vermutlich überrumpelten sie seine Worte, sodass sie einen halben Schritt zurückwich. Ihre Hand jedoch blieb um seine geschlossen. Die hellen Augen waren groß auf ihn gerichtet, als erwarteten sie eine Fortsetzung. Aber sie blieb aus. Max ließ den Satz allein stehen. Sicher hätte er noch weiter ausführen können, wie oft er an sie dachte, während sie durch die Welt reiste, wie besonders sich diese gemeinsame Zeit für ihn anfühlte und wie gerne er mehr davon hätte, wenn sie denn ähnlich empfand. Aber er war sich sicher, dass er keine dieser Ausführungen in einem geraden Satz zusammenbringen könnte und nicht ohne zu stottern. Irgendwie machte Mariam das mit ihm. Er blieb also still, erwiderte ihren Blick nervös, aber auch hoffnungsvoll und vielleicht konnte er irgendwas von dem, was er für sie fühlte, auch ohne Worte vermitteln, denn langsam entspannten sich die Gesichtszüge von Mariam und sie ging wieder einen Schritt auf ihn zu. Sie stand dabei viel näher als zuvor, sodass ihre leicht zerzausten Haare seine Haut kitzelten. Sein Blick senkte sich, um sie wieder anschauen zu können. So ganz wurde er aus ihrem Gesicht nicht schlau, das weiter zu ihm aufschaute, aber mit so viel Ruhe, dass sie auf ihn überging. Der Herzschlag, der ihm das Atmen schwer machte, wurde langsamer und das Brennen auf seiner Haut wich einer angenehmen Wärme. »Ich bin am liebsten mit dir zusammen«, erwiderte Mariam schließlich so leise, als würde sie ihm ein Geheimnis anvertrauen. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und drückte seine Hand. Er erwiderte den Druck sanft und schmiegte das Gesicht an ihr Haar. Ihre Worte hallten tief in ihm wieder, und wenn er nicht zu benommen wäre, hätte er gejubelt. »Können wir uns dann vielleicht vor dem nächsten Neujahr noch mal wiedersehen?«, fragte er leise und etwas zaghaft. Sie nickte vorsichtig und es ließ ihn aufatmen. Mit neugewonnenen Mut strich Max ihr den Pony aus der Stirn, um sie wieder anzusehen und bildete sich ein, dass ihre Wangen vorhin nicht so fleckig rot waren. Ihre Blicke trafen sich und auf ihren Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab. Er sagte es nicht, aber Mariam war die schönste Frau, die er kannte. »Lass uns zurückgehen.« Die Worte gaben Max das Gefühl einer kalten Dusche, doch viel überraschender war die flüchtige Berührung ihrer Lippen. »Alles Weitere besprechen wir heute Abend«, fügte sie noch hinzu und löste sich schließlich von ihm. Eine Erklärung dazu, was das genau umfasste, blieb sie ihm schuldig, aber die Vorahnung schickte seine Stimmung auf Höhenflug. Sie zupften sich die leicht angetrockneten Kleider von der Haut, dazu bereit, sich der nächsten Wasserschlacht zu stellen, sobald sie ihre Wasserpistolen neu geladen hatten. Den Weg zurück durch die Gasse gingen sie, wie sie ihn gekommen waren. Hand in Hand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)