Four Soulmates in an Other World von _Momo-chan_ ================================================================================ Kapitel 9: Epilog: Über den Dächern von Paris --------------------------------------------- „Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude.“ Dietrich Bonhoeffer     ♥♦♣♠     Die letzten Sonnenstrahlen des Tages legten die Stadt in ein sanftes in Gold und Rosa, als Vanitas sie von oben herab betrachtete. Er hatte erst vor einigen Tagen entdeckt, dass man auch von Noés Wohnung aus das Dach betreten konnte. Der Blick war ein anderer, als damals vom Dach des Chou Chous aber er war nicht minder atemberaubend.   Ein Windzug strich Vanitas‘ Haare über seine Schulter nach vorn, kündigte die kühlen Temperaturen der Nacht an. Bald würde es Herbst werden und er nahm sich vor die Zeit zu nutzen, solange es hier oben noch bequem und einigermaßen warm war. Immerhin war das hier der beste aller Orte um nachzudenken. Und Zeit zum Nachdenken brauchte er wahrlich.   Denn er hatte versagt.     Dass er in der anderen Welt auf diese Art und Weise und zu diesem Zeitpunkt gestorben war bedeutete, dass er seine Mission nicht erfüllt hatte. Er war zu früh gegangen, hatte seine Aufgabe nicht beendet. Was mochte danach aus der anderen Welt geworden sein?   Hatte Charlatan die Macht übernommen? War ein neuer Krieg zwischen Menschen und Vampiren ausgebrochen? Gab es jemand anderen, der seinen Kampf weitergeführt hätte? Oder hatte das Buch des Vanitas die Welt, wie er sie kannte, schlussendlich vollkommen zerstört?   Um das zu erfahren hätte er wissen müssen was nach seinem Tod… Was nach ihrer aller Tod geschehen war. Der Einzige, der es eventuell wissen könnte war der Gestaltlose, der nunmehr vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben eine feste Gestalt angenommen hatte, aus der er nicht so einfach entfliehen konnte.   Aber wollte Vanitas diese Fragen tatsächlich stellen? Immerhin konnte er keinerlei Einfluss mehr darauf nehmen. Selbst das Grimoire existierte hier nicht mehr. Auch nicht die Male von Luna und Jeanne. Nur die Narben an seinem Körper erinnerten Vanitas daran, dass in dieser Welt nicht alles anders war.     Blass konnte er die Gestalt des Mondes am Horizont aufgehen sehen.   Luna…   Er hatte sie im Stich gelassen. Seine Rache… Sein Versprechen die Vampire zu retten… Das war jetzt alles Vergangenheit. Er konnte nichts mehr ausrichten.     War es wirklich in Ordnung hier ein friedliches Leben zu führen und so zu tun, als wäre das alles nicht mehr von Bedeutung? Mit einem tiefen Atemzug fasste er sich an die Brust. Da war immer noch so viel Gefühlschaos in ihm.   Wieso nur war er so verdammt... Erleichtert?   Er würde nicht sterben müssen. Er war jetzt frei und dazu ein ganz normaler Mensch, so wie er es sich in seinem vorherigen Leben immer gewünscht hatte. Seine Augen begannen zu brennen. Wieso hatte er gleichzeitig solche Schuldgefühle? Es war schließlich nicht so, als hätte er hier ein unbeschwertes Leben oder auch nur eine Kindheit gehabt. Seine Eltern waren trotzdem tot. Er hatte Luna trotzdem verloren. Moreau hatte ihn trotz allem fast zu Tode gefoltert. Er musste trotzdem jeden Tag um seinen Platz in der Welt kämpfen, auch wenn es langsam leichter wurde.   Hatte er nicht ein wenig Glück verdient? Hatte er es nicht verdient die Vampire endlich hinter sich zu lassen?   Alle, die er liebte waren immer noch da. Und auch, wenn er dafür vorerst sein Vertrauen in diesen fürchterlichen Mann setzen musste… Würde er endlich für Misha sorgen können.   Und doch… Die andere Welt würde er, jetzt wo er sich wieder erinnerte, wohl nie ganz loslassen können. Vielleicht brauchte er einfach noch etwas Zeit sich wieder an sein normales Leben hier zu gewöhnen. Misha ging es gut und Noé würde Vanitas weiterhin unterstützen, ihn bei sich wohnen lassen. Die Arbeit und das Studium würden weiterhin viel von ihm abverlangen, aber vielleicht würde alles gut werden. Vielleicht konnten sie jetzt endlich alle glücklich sein?       Als er ein leises Knarren hörte, wusste Vanitas bereits, wer gerade zu ihm auf das Dach kletterte. Noé und er trafen sich seit ein paar Tagen öfter hier oben, um gemeinsam zu essen oder nach dem Lernen einfach etwas zu entspannen.   „Du bist ja immer noch hier oben.“, erklang die ruhige Stimme des Geschichtsstudenten, als er sich neben Vanitas setzte. „Denkst du wieder nach?“   Vanitas antwortete nur mit einem Nicken.   Einen Moment lang sah Noé ihn einfach nur an, ehe sein Blick über die Dächer schweifte, während der Wind auch sein Haar sanft umspielte.   „Das war wirklich ein ganz schöner Schock…“, bestätigte Noé. „Es fällt mir schwer ihn… nun noch als Vater zu betrachten. Es fühlt sich ganz ähnlich an wie damals nach der Sache im Vergnügungspark.“     Damals…     Die beiden Lebensspannen die sie geführt hatten schienen sich zu vermischen. Teilweise war es schwer Erinnerungen auseinander zu halten. Was war in welchem der beiden Leben passiert? Konnte ein menschliches Gehirn überhaupt die Leistung erbringen sich dauerhaft an zwei Leben gleichzeitig zu erinnern?   „Es scheint dich nicht sonderlich zu stören, dass deine Vampirkräfte fort sind.“   Noé zuckte mit den Schultern.   „Ich hatte ja auch ein ganzes Leben Zeit mich an diesen Körper zu gewöhnen. Und auch wenn es vielleicht praktisch wäre, habe ich nun wirklich nicht das Bedürfnis die Wände hochzulaufen.“   Vanitas sah ihn neugierig an. Sein Wissensdurst als Arzt hatte sich nicht verändert.   „Vermisst du es Blut zu trinken?“   Der Weißhaarige legte den Kopf in den Nacken und schien eine Weile zu überlegen.   „Eigentlich nicht. In meiner Erinnerung ist es etwas sehr Angenehmes gewesen, aber irgendwie fehlt mir auch dafür jetzt das Bedürfnis.“   Es trat eine kurze Pause ein.   „Und irgendwie… bin ich auch froh… Die Erinnerungen anderer sehen zu können war immer mehr eine Last für mich, als ein Segen.“   Vanitas sah ihn nachdenklich an. In der Vergangenheit hätte Noé sicher viel darum gegeben sein Blut trinken zu können und damit seine Erinnerungen zu sehen, aber er hätte es ihm ohnehin nie gestattet. Jetzt stand dieser Fakt nicht mehr zwischen ihnen, da es schlicht und ergreifend nicht mehr möglich war. Sie waren absolut gleich. Ebenbürtig, wenn man so wollte.   Als Noé seinen Blick bemerkte, lächelte er Vanitas leicht an. „Wirst du nach der Klausurenphase mit dem Streamen weiter machen?“   Sein Gegenüber zog eine Schnute. Die Ereignisse rund um die Preisverleihung und ihre zurückgekehrten Erinnerungen hatten Vanitas komplett aus der Bahn geworfen. An Lernen war nicht mehr zu denken gewesen und auch von der Arbeit musste er sich ein paar Tage krank melden.   „Mal sehen. Wenn ich nicht so viele der Klausuren wiederholen muss, mache ich bald damit weiter. Dein ‚Lehrmeister‘ hat ja gesagt, dass er uns unterstützen will. Das sollten wir auf jeden Fall nutzen, findest du nicht? Das ist immerhin das Mindeste, was er uns nach allem schuldet.“     „Ja, vielleicht hast du recht.“   Nachdenklich sah Noé nun wieder nach vorn, auf die Dächer von Paris, der Himmel sich langsam von rosa-violett zu blau färbend. Die Lichter der Stadt begannen die Straßen zu erhellen und tauchten alles in eine magische Atmosphäre.     Für ein paar Minuten saßen beide einfach nur schweigend nebeneinander, jeder seinen Gedanken nachhängend, ehe Noé sich schließlich herzhaft streckte und Vanitas fragend ansah.   „Sag mal… Musst du nicht langsam los? Heute ist doch dein zweites Date mit Jeanne, oder?“   Noé konnte beobachten, wie Vanitas‘ Gesichtsfarbe immer dunkler wurde, bis er schließlich knallrot anlief.   „Das geht dich überhaupt nichts an!“, fauchte der Medizinstudent, wie ein Kätzchen, dem man auf den Schwanz getreten war. „Das erste Treffen war nicht mal ein richtiges Date, klar?!“   Noé konnte sich ein leises Prusten nicht verkneifen, während Vanitas aufstand und ihn sauer ansah. Obwohl sie sich an nichts erinnern hatten können, waren ihre Aufeinander treffen in dieser Welt ganz ähnlich verlaufen wie in ihrem vorherigen Leben. Der ehemalige Archiviste war sich also sicher, dass die Gefühle seines Gegenübers für Jeanne ganz ähnliche waren wie zuvor, auch wenn er hoffte, dass sein Freund diesmal glücklich werden würde.     Gemächlich stand Noé ebenfalls auf und sein überlegenes Grinsen brachte Vanitas fast zur Weißglut. Er konnte unmöglich zulassen, dass dieser großgewachsene naive Schnösel die Oberhand gewann, nur weil er wegen Jeanne gerade etwas aus dem Konzept gebracht war.   „Pass… Pass du besser auf, dass du…“, er biss die Zähne aufeinander. Nein, es war nicht fair diesem Trottel brühwarm zu erzählen, dass Dominique ganz offensichtlich in ihn verliebt war. Da musste er schon selbst drauf kommen.   Völlig perplex sah Noé ihn an. Es kam selten vor, dass der schwarzhaarige junge Mann um eine Beleidigung verlegen war.   „Pass besser auf, dass du in Dominiques Englischnachhilfe besser mitkommst, sonst lässt sie dich noch irgendwann fallen!“, schnaufte Vanitas also stattdessen genervt und trat den Weg zur Dachluke an.   Mit offenem Mund sah Noé seinem Mitbewohner hinterher. Hatte Domi sich über ihn beschwert?   „Hey, wie meinst du das denn?“, rief er Vanitas hinterher, während er sich beeilte ihm zu folgen, aber dieser kicherte nur in sich hinein.   Während Vanitas seine Schuhe anzog, um die Wohnung zu verlassen, baute Noé sich mit in die Hüfte gestemmten Armen vor ihm auf. „Domi lässt mich nicht fallen, nur weil ich schlecht in Englisch bin. Sowas würde sie niemals tun!“   „Wenn du das sagst. Ich für meinen Teil hätte es schon längst aufgegeben dich zu unterrichten. Dabei wird man ja am Ende selbst noch dümmer.“, sagte Vanitas mit dem arrogantesten Ton, den er auf Lager hatte, während er die Tür zum Hausflur öffnete.   Noé wollte gerade etwas erwidern, als beide auch schon mit tellergroßen Augen auf die Person starrten, die bereits auf die Tür zugesteuert kam.     Mit einem verlegenen Lächeln blieb Jeanne kurz vor den Beiden zum Stehen. „Eine Nachbarin hat mich unten reingelassen.“, erklärte sie ihr plötzliches Auftauchen vor der Wohnungstür.   Noé sah erstaunt zu Vanitas hinab und konnte es sich nicht verkneifen ihn mit einem freundlichen Lächeln noch weiter aufzuziehen: „Sie holt dich ab? Dann hast du also endlich deinen Prinzen gefunden!“   Im völligen Gegensatz zu Noés unschuldiger Mimik verfinsterte Vanitas‘ Blick sich nur immer mehr.   „Ich bringe dich um… Diesmal wirklich…“, zischte er leise.     Ohne sich noch länger mit dieser peinlichen Situation zu befassen schritt Vanitas schnell aus der Tür heraus, um die verwirrt dreinblickende Jeanne an der Hand zu nehmen und weiter zu laufen.   „Lass uns gehen, Jeanne.“     „Viel Spaß!“, rief Noé ihnen noch hinterher, was Vanitas nur mit irgendeinem grummelnden Laut quittierte, den Noé nicht mehr verstehen konnte. Aber er hatte nur ein Lächeln dafür übrig.     Diesmal würde alles gut werden. Ganz bestimmt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)