Little Red Riding Hood von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 3: I think I ought to walk with you for a ways ------------------------------------------------------ Beim Kautionsgericht war eine Summe in Höhe von 8000 Dollar für die vorläufige Freilassung von Isaac Lahey festgelegt worden. Der Akte zum Fall, in welche Peter Hale mittlerweile Einsicht erhalten hatte, war nicht viel zu entnehmen. Wie bereits von Stiles angekündigt, gab es nur eine sehr schwache Beweismittellage. Das Opfer Mr. Lahey war mit einer Beretta 92 erschossen worden. Der Täter hatte hier das gesamte Magazin, insgesamt 15 Kugeln, verschossen. Sechs der Schüsse waren hierbei potenziell tödlich gewesen, war dem Bericht des Gerichtsmediziners zu entnehmen. Es gab weder Zeugen für die Tat, noch weitere Verdächtige. Die Polizei war aufgrund des Übermaßes an Gewalt von einem persönlichen, rachegeleiteten Motiv ausgegangen. Da Isaac jahrelang massiv von seinem Vater misshandelt worden war, passte er hier natürlich perfekt ins Profil. Es kam erschwerend hinzu, dass man die Tatwaffe, schlecht versteckt, in einem Gebüsch, auf dem Campus des Colleges von Isaac und Stiles gefunden hatte. Es hatten sich zwar keine Fingerabdrücke auf der Waffe finden lassen, doch die Indizien hatten dennoch ausgereicht, dass man Isaac verhaftet hatte. Das mit der Tatwaffe hatte Stiles Peter zuvor noch nicht verraten, vermutlich hatte er es auch nicht gewusst, doch es machte Peter dennoch keine allzu großen Kopfschmerzen. Sollte die Staatsanwaltschaft doch erst einmal beweisen, dass es tatsächlich Isaac gewesen war, der die Tat begangen hatte! Nun war der Rechtsanwalt ein zweites Mal an diesem Tag im Untersuchungsgefängnis, um seinem Klienten die frohe Kunde zu überbringen, dass er vorerst wieder auf freiem Fuß war, doch nun saß ein Isaac vor ihm, welcher nicht nur ein Veilchen hatte und sich die Seite hielt, als habe er Schmerzen, er sah überdies auch überhaupt nicht glücklich über die Neuigkeiten aus: „Was ist dir passiert, Isaac?“ verlangte Peter zu wissen und blickte sein Gegenüber eindringlich an: „Bin gestolpert.“ behauptete der Jüngere: „Gestolpert?“ fragte der Anwalt zweifelnd: „Über was? Über einen muskelbepackten Fleischberg namens Butch, der deinen Nachtisch haben wollte, aber nicht wusste, wie man höflich danach fragt?“ „Ja, etwas in der Art. Tja, dann werde ich wohl besser lernen, netter zu meinen Mitinsassen zu sein, den Kopf einzuziehen und alles zu tun, was sie von mir wollen, denn... 8000 Dollar? Die habe ich nicht. Ich habe gerade mal 4000 auf dem Konto und das ist auch mein absoluter Notgroschen. Schade! Ich hatte mich schon gefreut rauszukommen. Ich danke ihnen... ähm... ich meine dir trotzdem für deine Bemühungen.“ erwiderte Isaac schulterzuckend. Es sah Peter überhaupt nicht ähnlich das zu machen, was er als nächstes tat: Er zückte sein Handy, tippte ein wenig darauf herum und sagte dann: „Erledigt. Wollen wir dann los, Junge?“ Isaac blickte ihn ratlos an: „W-was? Was ist erledigt?“ „Die Kaution. Is´ bezahlt. Kommst du nun?“ gab Peter zurück: „Was ist los?“ Isaac wirkte vollkommen fassungslos und versuchte immer noch zu verstehen, was gerade geschehen war: „Wer hat bezahlt? Du etwa? Das... das geht nicht! Das kann ich nicht annehmen.“ „Zu spät. Die Überweisung ist raus. Und nun komm´ endlich! Ich habe wirklich keine Lust, länger hier zu bleiben, als unbedingt nötig.“ erwiderte der Anwalt unwirsch: „Aber ich... ich zahle ihnen das zurück, Sir.“ stammelte der Gefangene, als er sich endlich erhob: „Ich habe doch gesagt, du sollst das mit dem `Sir´ sein lassen. Ich bin Peter! Und das mit dem Geld... vergiss es einfach!“ knurrte der Ältere: „Sorry!“ murmelte Isaac und folgte Peter, begleitet von dem Schließer, welcher ihn auch hereingeführt hatte: „Aber ich glaube nicht, dass ich das kann. Vielleicht eine Ratenzahlung?“ „Schauen wir mal.“ erwiderte Peter, der erreichen wollte, dass der Junge endlich aufhörte, über das dumme Geld zu quatschen. Sie erledigten den Papierkram, Isaac erhielt seine Besitztümer, die er bei der Festnahme dabei gehabt hatte, sowie seine Zivilkleidung zurück und nachdem er sich umgezogen hatte, wurden die großen Stahltore für sie beide geöffnet und der Student konnte nach tagelanger Gefangenschaft endlich wieder in die kalifornische Sonne blinzeln. Der junge Mann atmete tief durch, hob seinen Kopf, schloss die Augen und genoss einen Augenblick lang einfach nur die wärmenden Strahlen auf seinem Gesicht. Beiläufig fiel es Peter bei einem Blick auf seinen Nebenmann auf, wie unglaublich attraktiv dieser Bursche doch war. In diesem Augenblick hatte er tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Marmorabbild irgendeines antiken Gottes, wie zum Beispiel Appolo, nur eben in Jeans, Hoodie und Turnschuhen. Und mit einem üblen blauen Auge. Peter verstand selbst immer noch nicht recht, was ihn bloß geritten hatte, einfach so Isaacs Kaution zu bezahlen? Andererseits hatte er es irgendwie einfach nicht zulassen können, dass der Junge dort im Knast von irgendwelchen Brutalos vollkommen zerlegt wurde. Isaac hatte für ein Leben ja wohl bereits genügend Schläge eingesteckt, oder nicht? Vielleicht hatten die unzähligen Leute, welche Peter in seinem Leben bereits als herzlos bezeichnet hatten, am Ende ja Unrecht und er konnte sich unter gewissen Umständen gelegentlich eben doch einmal selbstlos für einen anderen Menschen einsetzen? Als sie beim Wagen des Anwalts ankamen, gingen Isaac die Augen über: „ Wow! Was für eine Schönheit?“ staunte er. Peter Hale hatte eine Schwäche für schnelle, teure Autos, und er besaß einen recht ansehnlichen Fuhrpark, doch das knallrote Jaguar F-Type-Cabrio war in der Tat sein Lieblingswagen: „Ja, das ist sie.“ bestätigte er und tätschelte liebevoll die Motorhaube: „Steig´ ein und sag´ mir einfach, wohin ich dich fahren soll. Zu deinem Wohnheim vielleicht?“ Isaac wirkte kurz wie erstarrt und schüttelte dann den Kopf: „Nein, dahin kann ich nicht zurück. Das College hat mich rausgeworfen, als ich festgenommen wurde. Ich... ich weiß nicht, wohin?“ Peter wartete einfach ein wenig ab, ob dem Jungen wohl doch noch eine Idee käme, wo er ansonsten vorerst bleiben könnte. Und in der Tat stieg Isaac schließlich ein und nannte ihm eine Adresse. Peter wollte die Straße gerade in sein Navigationsgerät eingeben, doch dann stutze er. Er kannte diese Anschrift: „Wen willst du denn da besuchen?“ erkundigte er sich, um Sicherheit zu erhalten: „Dort lebt jemand, der mich vielleicht eine Weile bei sich aufnehmen würde. Das hat er schon einmal gemacht, damals als ich bei meinem Vater raus musste.“ erwiderte Isaac, ohne Peter in die Augen zu sehen: „Ein Freund?“ forschte der Anwalt weiter: „Ein Kommilitone vielleicht?“ Isaac lachte leise, doch es klang irgendwie freudlos: „Nein, Gerard studiert nicht mehr. Er ist eigentlich schon ziemlich alt, über sechzig, oder so.“ „Gerard? Gerard Argent etwa?“ fragte Peter mit zusammengebissenen Zähnen Eine bis dahin erfolgreich verdrängte Erinnerung tauchte von ganz unten aus seinem Bewusstsein auf. Peter war damals sechzehn Jahre alt gewesen und hatte bei seinem besten Freund Chris Argent übernachtet, weil sie beide ein Schulprojekt zu Ende bringen mussten. Mitten in der Nacht, als Peter sich ein Glas Wasser aus der Küche holen wollte, war er Chris Vater Gerard begegnet. Es hatte ganz harmlos angefangen. Erst hatten sie einfach bloß geredet und Peter, ständig auf der Suche nach einer positiven Vaterfigur, hatte es sehr gefallen, dass ein erwachsener Mann sich für ihn interessierte, ihm zuhörte, seine Sorgen ernst nahm. Doch was Gerard Argent als nächstes versucht hatte, hatte ihm ganz und gar nicht gefallen! Gerard hatte Peter danach dazu bringen wollen, über diesen Vorfall zu schweigen. Er hatte Druck ausgeübt, dem Jungen, der er damals gewesen versucht einzureden, alles sei ganz harmlos gewesen, hatte ihm auch auf subtile Art und Weise gedroht, hatte behauptet niemand würde ihm glauben, hatte ihn davor gewarnt, dass es die Freundschaft zwischen ihm und Chris mit Sicherheit daran zerbrechen würde, wenn er solche unglaublichen Behauptungen aufstellen würde. Doch Peter hatte dennoch nicht geschwiegen, zumindest nicht sehr lange. Er hatte es seiner großen Schwester Talia erzählt, denn bei ihr und ihren Kindern hatte er zu dieser Zeit gelebt. Und Talia Hale, Trägerin des 8. Dans in Karate, hatte ihm zugehört, hatte ihm versichert, dass es nicht seine Schuld gewesen sei, hatte ihm versprochen, mit Gerard Argent zu sprechen. Sie hatte auch versprochen, keine Anzeige zu erstatten, weil Peter sie angefleht hatte, ihm dieser Tortur nicht auszusetzen. Doch Chris Vater hatte daraufhin mehrere Wochen im Krankenhaus zubringen müssen, mit diversen Knochenbrüchen, Hämatomen und Platzwunden. Angeblich sei er überfallen worden, hatte Chris Peter später berichtet. Eine Anzeige hatte Argent daraufhin allerdings nicht erstattet und Peter hatte das Elternhaus seines Freundes nie wieder betreten. Die Freundschaft zwischen Chris und ihm war nie wieder dieselbe gewesen, weil Peter nie ganz sicher sein konnte, ob sein Mitschüler nicht doch irgendwie gewusst hatte, was sein Vater für ein Mensch war. „Ich kenne den Mann.“ erklärte Peter, in die Gegenwart zurückkehrend, finster: „Und ich weiß, dass bei ihm keine Freundlichkeit ohne Gegenleistung ist. Du hast also damals bei ihm gewohnt? Was hat er dafür von dir verlangt?“ Isaac war mit einem Mal weiß wie eine Wand. Er schluckte schwer und beeilte sich dann zu versichern: „Ich habe ihn mich nicht von ihm ficken lassen, oder so. Es... es waren bloß ein paar Hand-Jobs. Halb so wild!“ Er verstummte darauf eine ganze Weile und murmelte schließlich: „Nun hältst du mich vermutlich für eine ziemliche Nutte, richtig?“ Peter atmete tief durch, ehe er versicherte: „Nein Isaac, das tue ich nicht. Du hast überhaupt nichts falsch gemacht. Doch Gerard könnte ich für das, was er gemacht hat umbringen.“ Er startete den Wagen: „Und wohin fahren wir jetzt?“ piepste Isaac kleinlaut: Ein zweites Mal an diesem Tag tat Peter etwas, was vollkommen uncharakteristisch für ihn war, indem er verkündete: „Wir fahren zu mir. Ich habe ein Gästezimmer.“ „Wie? Nein! Das kann ich nicht annehmen!“ erwiderte Isaac entschieden: „Doch das wirst du! Und du musst dir keine Sorgen machen, denn dafür musst du nämlich nicht bezahlen, weder mit Geld, noch in Naturalien, kapiert? Und außerdem ist das der reine Eigennutz.“ behauptete Peter: „Immerhin habe ich deine Kaution bezahlt. Ich würde doch ziemlich dumm dastehen, wenn du nun einfach über alle Berge verschwinden würdest, also behalte ich dich wohl besser im Auge.“ Der Anwalt wendete seinem Beifahrer kurz den Kopf zu und schenkte ihm ein schelmisches Zwinkern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)