Von Herzrasen und Schmetterlingen im Bauch von SarahSunshine (Tamaki x Nejire) ================================================================================ Kapitel 1: Frühlingsgefühle --------------------------- "Tamaki, komm schon! Wir sind gleich da!"   Sichtlich unwohl, mit den Händen in den Hosentaschen vergraben schlenderte Tamaki den Gehweg entlang. Ein paar Schritte vor ihm stand Nejire, die ihm freudestrahlend zuwinkte. Sie trug ein cremefarbenes Kleid mit einem Blumenmuster und dazu braune Stiefel und eine passende braune Handtasche. Sie sah großartig aus – aber wann war das mal nicht der Fall? Seine eigenen Gedanken ließen ihn schüchtern zu Boden schauen. Im Gegensatz zu ihr trug er nur ein schlichtes dunkelblaues T-Shirt und eine schwarze Hose. Er blieb bei seinem Tempo, was Nejire zum Anlass nahm, mit ihm auf eine Höhe zu kommen und sich bei ihm unter zu haken. "Trödel nicht so, wir verpassen noch das Beste", sagte sie lächelnd – ein umwerfendes Lächeln, das würde jeder Junge an der UA bestätigen.   Tamaki und Nejire waren auf dem Weg zu einem Frühlingsfest in der Stadt. Eigentlich wollte Mirio sie begleiten, doch er verbrachte den Tag bei Eri, die sich unglücklicherweise eine Erkältung zugezogen hatte. Somit waren es nur sie beide. Nicht nur, dass Tamaki Menschenmengen ohnehin nicht ausstehen konnte, aber wenn er mit Nejire unterwegs war, waren noch mehr Blicke als sonst auf sie gerichtet. Sie war hübsch und beliebt und zog die Menschen einfach an – während er bloß ihr unbeliebter Schatten war.   Das Frühlingsfest war riesig und der Eingang durch einen großen Torbogen gekennzeichnet. Nejire summte fröhlich als sie gemeinsam das Festgelände betraten und von etlichen Essensständen, Fahrgeschäften und Kindergebrüll begrüßt wurden. "Also gut, womit fangen wir an?", fragte die Schülerin und sah ihre Begleitung von der Seite aus an. Tamaki hätte am liebsten gesagt, dass sie einfach wieder gehen und irgendwo in Ruhe etwas essen könnten. Doch das Leuchten in ihren Augen ließ diese kleine Stimme in seinem Kopf erstmal verstummen.   "Willst du was essen?", fragte Tamaki und sah sich um. Dabei bemerkte er, dass Nejire immer noch bei ihm untergehakt war, was seine Wangen glühen ließ. "Gute Idee", entgegnete sie und ging mit ihm im Schlepptau einfach in die Menschenmenge. Als erstes kamen sie an einem Crêpes-Stand vorbei, vor dem sich eine Traube an Kinder versammelt hatten, die quakten wie Enten, die gerade gefüttert werden wollten. "Hmm. Ich hätte schon Lust auf einen Crêpe", gab Nejire zu, "aber vielleicht ist später etwa weniger los. Lass uns weiter gehen." Ob wirklich weniger an einem Crêpes-Stand los sein konnte, bei so einem Fest? Tamaki bezweifelte es, aber er ließ sich einfach von seiner Begleitung weiter ziehen. Es störte ihn nicht, dass Nejire vorging und Entscheidungen traf, er tat sich damit ohnehin schwer – noch schwerer, wenn so viele Leute ihn beobachten konnten.   "Da gibt es Takoyaki, die magst du doch", trällerte sie und zeigte auf einen Stand auf der rechten Seite von ihnen. Am Dach hing eine Flagge mit einem Oktopus, der ein grinsendes Gesicht hatte und mit einem Pfannenwender in einem der Tentakel hantierte. "Klar", antwortete der Schüler und ließ sich erneut von ihr mitziehen. "Am besten suchst du einen Platz und ich hole das Essen." Bevor er irgendwas antworten konnte, hatte sie seinen Arm bereits losgelassen und war zwischen den Menschen verschwunden. Seufzend sah Tamaki sich um. In der Nähe des Standes waren Bänke mit Tischen aufgestellt. Einer davon war noch frei und genau den steuerte er an. Über den Tischen waren Sonnenschirme aufgespannt, die etwas Schatten spendeten. Die Luft um ihn herum wurde ein wenig kühler, das schaffte jedoch wenig Abhilfe bei seinem erhitzten Gesicht. Als er sich so umsah und die ganzen Menschen beim Vorbeiziehen beobachtete, fragte er sich wieder warum er hier war. Eigentlich war es Mirios Idee gewesen, das Fest zu besuchen und am liebsten hätte er Eri mitgenommen, um ihr alles zu zeigen. Nejire war von dem Plan natürlich genauso begeistert gewesen  – und Tamaki hatte eigentlich kaum eine Wahl gehabt. Er verbrachte gerne Zeit mit seinen Freunden, und wenn sie dabei waren, waren Menschenmengen manchmal nur halb so schlimm. Als die zwei der Big 3 jedoch vor dem Zimmer von Eri angekommen waren, entschuldigte ihr drittes Mitglied sich bereits, dass sie alleine gehen müssten. Tamaki stützte sein Gesicht in seiner Hand ab. Sein Blick schweifte durch die Menge, sofort erkannte er das blaue Haar seiner Freundin – er würde sie überall erkennen.   Sie stellte eine Portion Takoyaki mit zwei Piksern auf dem Tisch ab. Er sah von der Portion in ihr Gesicht und wieder auf das Essen. "Ich dachte, wir teilen. Dann können wir verschiedene Sachen ausprobieren", sagte sie lächelnd. Obwohl seine Kehle trocken war, musste der Schüler schlucken. Sein Magen zog sich zusammen. "Okay", murmelte er und überließ ihr das erste Stück, dann griff er nach dem anderen Pikser und steckte sich die Takoyaki-Kugel in den Mund. Er kaute sehr langsam.   Aus der Menschenmenge stach eine weibliche Stimme hervor, die "Hado-senpai!", rief.  Eine Gruppe bestehend aus vier Mädchen kam aus der Menge. Tamaki erkannte die Schülerinnen aus der Klasse 1-A, Mina Ashido, Tooru Hagakure, Yaoyorozu Momo und Kyoka Jiro. "Hallo", begrüßte Nejire die jüngeren Schülerinnen und lächelte. Als die Gruppe auch Tamaki entdeckte, stutzen sie kurz. Auf Ashidos pinkem Gesicht erschien ein breites Grinsen. "Ist das etwa ein Date?", fragte sie und schon wieder wurden die Wangen des Jungen warm. Er wandte seinen Blick direkt ab und steckte sich einen weiteren Takoyaki-Ball in den Mund. "Vielleicht", antwortete Nejire langgezogen und wickelte dabei eine blaue Locke um ihren Finger, woraufhin er sich an dem Essen verschluckte und anfing zu husten – das ignorierten die Mädchen allerdings. "Dann stören wir euch mal nicht weiter. Viel Spaß noch!", wirkend verschwand Ashido gefolgt von ihren Freundinnen wieder in der Menge. "Alles okay?", fragte Nejire als Tamaki sich auf die Brust klopfte. Er beruhigte sich langsam wieder. "D-date?", fragte er stotternd, "Meinst du das ernst?" Seine Begleitung aß selbst ein weiteres Takoyaki-Bällchen, um ihre Antwort hinaus zu zögern. "Wäre das schlimm für dich?", stellte sie als Gegenfrage und sah ihn an. Irgendwas an ihrem Blick war anders als sonst. Sie legte den Kopf schräg und stützte ihn auf ihrem Handballen ab. Tamaki blinzelte ein paar Mal, bekam aber keinen Ton raus.   "Wir sollten uns was zu trinken holen", warf Nejire ein und griff nach der leeren Papierschale der Takoyaki. "Ich habe in der Nähe ein paar Leute mit Slusheis gesehen. Aber es gibt bestimmt auch normale Getränke." Tamaki wusste nicht, wieso sie so urplötzlich das Thema wechselte – vielleicht weil er ihr keine Antwort gegeben hatte? "Ich glaube, ich nehme einfach ein Wasser", antwortete er und stand auf. Die Hände in den Hosentaschen vergraben folgte er seiner Begleitung, die den Weg offenbar kannte. Er behielt sie immer im Blick, damit sie zwischen den Menschen nicht getrennt wurden, denn das wäre das Schlimmste was er sich vorstellen konnte. Nejire holte sich ein großes Slusheis in tiefblauer Farbe und Tamaki holte sich wie angekündigt eine Flasche Wasser, aus der er sich direkt einen großen Schluck nahm.   So langsam näherten die beiden Schüler sich den vielen Fahrgeschäften, die auf dem Fest aufgebaut waren: ein Kettenkarussell, ein Freefall Tower, eine Achterbahn, Autoscooter, ein Riesenrad und viele kleine Schießbuden, bei denen man Spielsachen oder Plüschtiere gewinnen konnte. Innerlich fragte sich Tamaki, ob seine Freundin all diese Dinge machen wollte. Und gleichzeitig fragte er sich, bei wie vielen dieser Geschäfte ihm wohl schlecht werden würde. Nejire drehte sich strahlend zu ihm um und schon rumorte es in seinem Magen. "Womit fangen wir an?"   Sie machten alles, in genau dieser Reihenfolge. Das Kettenkarussell war am harmlosesten, beim Freefall Tower war Tamaki ein Schrei entwichen, den man in der Höhe kaum hören konnte. Dagegen war die Achterbahn in Anschluss ein Segen. Beim Autoscooter begegneten sie wieder den Mädchen aus der 1-A, die super begeistert waren, Nejire und ihn bei jeder Gelegenheit zu rammen. Danach war Tamaki überraschenderweise ziemlich schlecht.   Die beiden holten sich noch etwas zu trinken und anschließend auch noch eine zweite Portion Essen. Diesmal gab es gebratene Nudeln. Nejire schaffte es außerdem, sich den gewünschten Crêpe zu holen.   "Du bist jetzt gar nicht mehr so grün im Gesicht", stellte Nejire mit einem Lächeln auf den Lippen fest. Tamaki hob nur kurz seine Augenlider und seufzte. "Ich verstehe echt nicht, was Leute daran so toll finden." Ihm gefiel das Gefühl jedenfalls nicht, dass ihm kotzübel wurde, weil er hoch und runter oder hin und her geschleudert wurde. "Sie denken dabei nicht, dass Ihnen schlecht wird", antwortete seine Begleitung und nahm eine halbe Erdbeere von ihrer Süßspeise zwischen die Finger, um sie dann zu snacken. "Sondern?", fragte Tamaki etwas mürrisch. "Sie denken, dass es lustig ist und Spaß macht." Er konnte sie nur verständnislos anschauen.   Nejire legte zum zweiten Mal an diesem Tag ihr Gesicht in ihrer Handfläche ab. "Hättest du mehr Spaß, wenn Mirio hier wäre?", fragte sie und wirkte auf einmal betrübt. In diesem Moment verhielt sie sich wieder seltsam, genau wie vorhin. "Nein", murmelte Tamaki unsicher, "ich glaube nicht." Mirio würde ihn allerdings auch nicht so in Verlegenheit bringen und behaupten, dass das ein Date wäre. Nejire sah ihn lange an, so lange dass er ihrem Blick irgendwann nicht mehr standhalten konnte. Bei seinen Freunden passierte das normalerweise nicht so schnell. "Na gut", antwortete sie kurz angebunden und biss wieder von ihrem Crêpe ab. Tamaki nippte immer wieder an seinem Wasser, um sich einem potenziellen Gespräch zu entziehen. Seine Begleitung wirkte aber ohnehin so als wäre sie in ihren eigenen Gedanken versunken. Als sie die Verpackung ihres Essens geräuschvoll zerknüllte sah er auf. Auf ihrer Wange befand sich etwas Sahne, die sie scheinbar nicht bemerkte. Gerade als sie aufstehen wollte, hielt Tamaki seine Freundin zurück. Er griff nach der Papierserviette, die auf dem Tisch lag. Dann beugte er sich zu Nejire und wischte die Sahne sanft weg. Die Schülerin saß ganz ruhig da, ihren Blick die ganze Zeit auf ihn gerichtet. "Du hattest da etwas Sahne", sagte Tamaki nüchtern und setzte sich wieder zurück. Schweigend sah Nejire ihn weiter an. "Danke", murmelte sie leise und stand anschließend auf, um ihre Verpackung in einem Mülleimer zu entsorgen, während Tamaki langsam bewusst wurde, wie nahe er ihr gerade gekommen war. Sein Herz schlug wild in seiner Brust und er versuchte sich zu beruhigen, indem er weiter von seinem Wasser trank – auch wenn das nicht half.   "Bist du bereit?", fragte Nejire als sie an den Tisch zurück kehrte. "Wofür?", stellte der Schüler unsicher als Gegenfrage. "Für die Fahrt mit dem Riesenrad natürlich!", antwortete Nejire und griff direkt wieder nach seiner Hand, um ihn in die Richtung der Attraktion zu lotsen. "Muss das sein?", murmelte er und sah auf ihre Finger, die seine Hand umschlossen hielten. Plötzlich blieb sie stehen und sah ihn über die Schulter hinweg an. "Nur noch das, okay? Danach können wir gehen", sagte sie leise, aber so laut, dass er es hören konnte. Er nickte leicht, woraufhin sie ihren Weg fortsetzten und sich in die Schlange für das Riesenrad einreihten.   Nejire ließ seine Hand los und betrachtete die Attraktion. Mittlerweile stand die Sonne schon viel tiefer am Himmel und färbt das Fest in Rot- und Orangetöne, zusätzlich untermalt von Lampions und Lichterketten, die mittlerweile eingeschaltet worden waren. Tamaki beobachtete wie seine Freundin von einem Fuß auf den anderen wippte und dabei leise eine Melodie vor sich hin summte. Sie wirkte auf einmal wieder ganz glücklich.   Als sie vor der Gondel standen, wurde gefragt, zu wievielt sie fahren wollten und Nejire antwortete prompt: "zu zweit". Sie stieg vor ihm ein und setzte sich auf die rechte Bank, er folgte und setzte sich ihr gegenüber. Dann wurde die Tür hinter ihnen geschlossen und die Position der Gondel um eins verschoben, damit weitere Besucher einsteigen konnten. Erst als sich das Riesenrad ohne Zwischenstopps bewegte, ging die eigentliche Fahrt los. Von ganz oben konnte man die Stadt überblicken. Die Wohngebiete bestehend aus vielen Häusern und Gärten, die aneinander gereiht waren. Die Innenstand mit Hochhäusern, in denen sowohl Firmen als auch Superhelden ihren Sitz hatten. Dazwischen konnte man grüne Flecken für Parks oder Gärten erkennen und blaue Linien für die Flüsse, die sich zwischen all dem ihren Weg bahnten bis hin zur Küste. Es hatte etwas Beruhigendes von soweit oben auf die Stadt zu schauen, in der sie lebten und die sie beschützten. "Hey, du lächelst ja", hörte er Nejire sagen. Das war wohl ganz unbewusst bei dem Blick über die Umgebung geschehen. "Der Ausblick ist klasse, oder?" Der Schüler gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Mit ihrer Fähigkeit konnte Nejire durch die Luft fliegen, sie sah so etwas bestimmt nicht zum ersten Mal, aber jetzt konnten sie den Moment teilen. Es war ruhig und er hatte Zeit sich alles anzuschauen, nicht wie auf dem Freefall Tower.   Die Sonne neigte sich langsam dem Horizont zu und wurde immer roter. Obwohl sich das Riesenrad nur langsam bewegte und zwischendurch auch stoppte, war die Fahrt viel schneller vorbei als Tamaki gedacht hatte. Und schon wurden sie wieder von dem Lärm und den Menschen umgeben, die ihn nahezu erdrückten.   "Tamaki", sagte Nejire und holte ihn so aus dem Lärm heraus, zumindest ein bisschen, "hier hinten ist ein zweiter Ausgang. Lass uns gehen." Er schloss zu ihr auf und gemeinsam ließen sie das Frühlingsfest, den Kinderlärm und die etlichen Augenpaare, die sie anstarrten, hinter sich. Plötzlich konnte Tamaki wieder leichter atmen.   "Und? Wie hat es dir gefallen?', fragte Nejire auf dem Weg zur Bahnstation, woraufhin Tamaki mit den Schultern zuckte. "Es war laut und voll", murmelte er, "aber das Riesenrad hat mir gefallen." "Dann hast du zumindest an den Abschluss eine gute Erinnerung", schlussfolgerte seine Freundin.   Als sie am Bahnhof ankamen, betrat Nejire nicht das Gleis, welches in Richtung nach Hause führte. Tamaki blieb vor den Treppen stehen. "Wo willst du hin?", fragte er, den Kopf dabei schräg legend. "Oh, ich würde gerne noch an den Strand fahren. Wenn du willst, kannst du mich begleiten", erklärte sie lächelnd und verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken. Das war nicht geplant gewesen, weshalb Tamaki im ersten Augenblick zögerte. Dann wurde der Zug angesagt und Nejire sah zum Gleis hinauf. Er hatte kaum Zeit zu überlegen, er musste aus dem Bauch heraus entscheiden – wie er das hasste. Er machte den ersten Schritt die Treppe herauf und nahm direkt zwei Stufen auf einmal, um mit seiner Freundin auf eine Höhe zu kommen. "Okay, dann los." Sie strahlte ihn an, dann liefen sie gemeinsam zum Zug.     Am Strand war zu dieser Zeit erstaunlich wenig los. Nejire hatte ihre Schuhe ausgezogen, um barfuß direkt am Wasser entlang zu spazieren. Sie liefen ein ganzes Stück, weg von den üblichen Besucherplätzen. Hier wurde der Strand etwas felsiger und man hatte nur eine kleine Bucht mit Sand, was aber für zwei Personen vollkommen ausreichte. Die Laternen an der Straße spendeten ihnen an dieser kleinen Stelle ein bisschen Licht.   Bis auf das Rauschen der Wellen, den Rufen der Möwen und einem gelegentlichen Zug, der vorbei fuhr, war es an diesem Fleckchen Erde ruhig und entspannt. Tamaki setzte sich im Schneidersitz in den Sand und stütze sich nach hinten auf seinen Armen ab. Salzige Meeresluft stieg in seine Nase. Seine Freundin kam vom Wasser angelaufen – oder fast schon gehüpft – und setzte sich neben ihn. Gemeinsam ließen sie ihre Blicke über das Meer schweifen.   "Was machen wir hier jetzt eigentlich?", fragte Tamaki irgendwann und betrachtete das Profil seiner Freundin. "Warten", antwortete sie kurz angebunden. Worauf sie warteten sagte sie jedoch nicht.   Diese Frage sollte sich klären, sobald die Sonne untergegangen und der Himmel in tiefes Dunkelblau getaucht wart. "Gleich geht's los", flüsterte Nejire und sah gebannt in den Himmel. Nur wenige Minuten später wurde die Nacht von buntem Feuerwerk erleuchtet. Die Raketen und Feuerwerkskörper wurden über dem Festgelände abgeschossen und Tamaki erinnert sich, auf dem Flyer davon gelesen zu haben. Sie waren zwar nicht in unmittelbarer Nähe, konnten die Lichtshow aber aus dieser Entfernung gut beobachten.   "Tamaki? Danke, dass du den Nachmittag heute mit mir verbracht hast", sagte Nejire und drehte ihr Gesicht in seine Richtung, "Ich weiß, dass es dir nicht wirklich gefallen hat, trotzdem hast du dich durch jede Attraktion schleifen lassen." Darauf hatte er keine passende Antwort parat. "Deshalb hab' ich ein kleines Geschenk für dich." Seine Freundin zog ihre kleine Handtasche auf ihren Schoß und holte etwas heraus. "Gib mir dein Handgelenk", verlangte sie. Er hob seinen linken Arm. Mit ihren geschickten Fingern wickelte sie ein geflochtenes Armband aus rotem und orangefarbenem Stoff um sein Handgelenk und verschloss es. "Das ist selbstgemacht", erklärte sie und hielt ihren eigenen Arm neben seinen, "Ich hab' auch eins – und für Mirio und Eri habe ich auch welche gemacht. Das sollte eine Erinnerung sein." Tamaki blickte auf sein Handgelenk. "Dankeschön, Nejire." Sie grinste.   "Eigentlich habe ich noch was für dich. Dafür musst du aber deine Augen schließen." Der Schüler blinzelte ein paar Mal, war verunsichert von dieser Bitte. Sein Gegenüber wartete geduldige ab. Es war Nejire, seine Kameradin und Freundin, er vertraute ihr, also was sollte dabei schon passieren? Er seufzte leise und schloss dann wie gewünscht seine Augen. Die Armbänder an Nejires Handgelenk klapperten als sie sich bewegte.   Plötzlich spürte er ihre Lippen auf seinen, zaghaft und vorsichtig. Er riss seine Augen auf und bemerkte, dass sie ihre geschlossen hielt. In seinem Magen, seinen Fingerspitzen und seinen Lippen kribbelt es, als hätte sie ihm einen kleinen Stromstoß verpasst. Sein Herz klopfte so wild, dass er Angst hatte, gleich umzufallen. Doch nur wenige Sekunden später war der Kuss wieder vorbei und Nejire sah verlegen zur Seite. "Entschuldige", flüsterte sie. Tamaki fasste sich an die Lippen und sein Gesicht wurde ganz heiß. Er hatte noch nie jemanden geküsst geschweigenden wurde er von jemandem geküsst. Was bedeutete das? Und hing das damit zusammen, dass der Besuch auf dem Fest für sie eine Art Date gewesen war? Aber warum entschuldigte sie sich? Seine Lippen öffneten sich und schlossen sich wieder. Sie sagte aber auch nichts. Die Hitze in seinem Gesicht und das Rasen in seiner Brust wollten einfach nicht nachlassen. "W-wieso hast d-du das gemacht?", brachte er stotternd hervor.   "Weil ich dich mag, du Blödmann!", rief Nejire und vergrub dann ihr Gesicht in ihren Händen. In seinen Ohren rauschte es und er fragte sich, ob er sich gerade verhört hatte. Wie versteinert saß er dort im Sand und war komplett überfordert. "Bist du .... dir sicher?", brachte er langsam hervor, weil er es nicht glauben konnte. Nejire regte sich wieder, legte ihre Hände in den Schoß und sah ihn an. "Ja, Tamaki", sagte sie ernst, "wieso sollte ich das sonst sagen? Ich würde dich niemals anlügen." Sie machte manchmal Späße, aber nicht solche, tief in seinem Inneren wusste Tamaki das. Doch da lauerte ein Schatten, ein böser Gedanke, der ihn davon abhielt, das anzunehmen.   "Aber warum ich? Ich bin doch überhaupt nicht gut genug für dich. Du bist schön und klug und stark. Alle Mädchen bewundern dich und du könntest jeden Jungen an der Schule haben! Dagegen bin ich doch ein totaler Loser, der sofort Magenschmerzen bekommt, weil du von einem Date redest und-" "Ich will aber mit keinem anderen Jungen aus der Schule zusammen sein!", unterbrach sie den Schwall an negativen Gedanken und Worten. "Ich will mit dir zusammen sein, weil du auch schön und klug und stark bist. Weil ich gerne in deiner Nähe bin und mich bei dir wohlfühle. Weil es immer in meinem Bauch kribbelt, wenn ich an dich denke. Weil ich Herzklopfen habe, wenn wir alleine sind. Weil ich unsicher bin, wie ich auf dich wirke."   Sie und unsicher, das passte in seiner Wahrnehmung von ihr nicht zusammen. "Wenn du nicht so fühlst, ist das okay. Aber sprich mir meine Gefühle nicht ab."   "Tut mir leid", antwortete Tamaki und bereute es, seinen Ängsten in diesem Moment nachgegeben zu haben. Schweigend saßen die beiden nebeneinander im Sand, mit dem Meeresrauschen direkt vor der Nase. Nejire hatte ihr Herz auf der Zunge getragen, doch Tamaki fiel es immer noch schwer, die passenden Worte zu finden.   "Du bist wirklich mutig, Nejire. Darauf bin ich manchmal echt neidisch", murmelte der Schüler dem Meer entgegen und sah hoch in den Himmel, an dem mittlerweile viele kleine Sterne funkelten. "Du bist auch mutig", antwortete sie darauf. "Aber nicht auf diese Weise. Ich kann meine Gefühle nicht so gut ausdrücken", entgegnete er, "ich ... freue mich, dass du so über mich denkst. Es ist schön, sowas von dir zu hören." Er machte eine Pause und atmete tief ein und wieder aus. "Heute war ziemlich anstrengend", fuhr er fort, "als du angedeutet hast, dass das ein Date ist, wusste ich gar nicht mehr was ich denken oder fühlen sollte." "Es tut mir leid, ich hätte dich nicht unter Druck setzen sollen", antwortete sie und sah ihn an, das konnte er aus dem Augenwinkel erkennen. "Manchmal kann ich nicht so gut zuordnen, was meine Gefühle genau bedeuten ... aber heute hat mein Herz oft wie wild gehämmert und mein Magen verrückt gespielt. Alles hat gekribbelt als du ... Als du deine Lippen ... also ..." "Als ich dich geküsst habe", füllte Nejire die fehlenden Worte leise gesprochen auf. "Genau." Dann schwieg er wieder einen Moment. "K-können wir das ... noch mal machen?" Bei der Frage wärmten seine Wangen sich wieder auf und er bekam erneut Herzrasen. "Den Kuss?", fragte Nejire und ihre Stimme war ein bisschen höher als sonst. Tamaki presste die Lippen zusammen, antwortete dann aber mit einem "Ja". "Okay", antwortete Nejire, "aber diesmal lässt du die Augen zu."   Tamaki tat, worum sie ihn bat. Er spürte ihre Finger auf seinen Schultern und wie sich direkt vor ihn setzte. Dieses Mal konnte er ihr Parfüm riechen, das sich mit der salzigen Luft vermischte. Ihr warmer Atem streifte seine Lippen, bevor sie ihn erneut küsste. Wenn er nicht schon sitzen würde, wären seine Knie weich wie Pudding geworden. Sein ganzer Körper kribbelte, ausgehend von ihren Lippen, die nach dem blauen Slusheis schmeckten.   Als sie sich langsam wieder zurück zog, öffnete Tamaki seine Augen so halb. "Das … war schön", flüsterte Nejire. Ihre Hände rutschten von seinen Schultern zu seinen eigenen Händen, die in seinem Schoß lagen. Der Schüler ließ sich einfach nach hinten in den Sand fallen und betrachtete die Sterne. "Tamaki!", rief seine Freundin besorgt auf. "Mir geht’s gut", murmelte er, "Alles gut … ich bin nur … überwältigt." Er konnte hören, wie Nejire aufstand und dann legte sie sich neben ihn. Eine Weile sahen sie einfach nur in den Himmel, dann drehte Tamaki seinen Kopf zur Seite, und als könnte seine Freundin Gedanken lesen tat sie es ihm gleich.   "Wie machen wir jetzt weiter, Tamaki?", fragte sie, was sein Herz wieder schneller klopfen ließ, "Ich meine, wollen wir … oder du … du weißt schon. Willst du mit mir zusammen sein?" Unsicherheit kam wieder in ihm auf, bildete einen Knoten in seinem Magen. Er atmete die kalte Nachtluft ein und setzte sich auf. Sie setzte sich ebenfalls auf. "Das gerade war wirklich schön … ich habe mich noch nie so gefühlt", gab er zu, "aber ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn uns – oder mich – alle verurteilen … die werden bestimmt denken, dass ich nicht gut genug für dich bin." Nejire legte ihre Hand auf seine, schlängelte ihre Finger langsam zwischen seine. "Dann sagen wir es niemandem, bis du bereit dafür bist." Tamaki fragte sich, wie das gehen sollte. "Außerdem gibt es auch Leute, die das nicht denken. Das ist doch viel wichtiger." Er sah sie fragend an. "Glaubst du mir nicht? Denk doch mal an Mirio oder die 1-A, die denken das bestimmt nicht. Die wissen wie stark du bist und wie sehr du dich für deine Freunde einsetzt", erklärte sie lächelnd. Tamaki versank abermals in seine Gedanken und versuchte seine Zweifel auszuräumen.   "Du musst mir nicht sofort antworten, weißt du." Nejire ließ von seiner Hand ab und stand auf. Sie klopfte den Sand von ihrem Kleid. "Ich will dich nicht bedrängen. Wir leben nur einmal, ich will nichts bereuen, ich will glücklich sein – und jetzt gerade, hier mit dir bin ich glücklich." Er sah zu ihr auf und bewunderte sie wieder einmal für ihren Mut und ihre Stärke. Dann stand er selber auf. "Lass es uns versuchen", murmelte er leise, den Blick zur Seite gewandt. Er nahm ihre Hand wieder in seine, um das warme Gefühl zu spüren, das ihre Nähe in ihm auslöste. "Auch wenn ich vielleicht mal überfordert bin", fügte er hinzu, "Ich will an deiner Seite sein." Sein Gesicht wurde wieder heiß. Nejire kam einen Schritt näher. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und sein ganzer Körper kribbelte – vor Glück.   Eine Weile blieben die beiden noch am Strand und sahen sich gemeinsam den Sternenhimmel an, ehe sie Hand in Hand zum Bahnhof spazierten und den Abend mit einem weiteren Kuss abschlossen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)