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Die Zukunft gehört denen, die Neues schaffen

Frühlingswichteln 2022
von

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Ein neues Schloss

Es war ein bequemer Morgen, der nur schleichend in die Gänge kam, und man hatte wohl entschieden Adrian nach dem gestrigen Angriff der umherirrenden Nachkreaturen ausschlafen zu lassen.

Von draußen drangen Geräusche herein. Sie waren gedämpft und kamen aus weiter Ferne. Das Kinderlachen, das gefiel Adrian am meisten. Er hörte Menschen, die sich miteinander unterhielten, und all diese Alltagsszenen fanden tagtäglich vor dem Schloss seines verstorbenen Vaters, dem berüchtigten Dracula, statt.

Jeden Morgen, wenn Adrian erwachte, musste er sich ins Gedächtnis rufen, dass sein neues Schloss nun lebensfreundlicher und heller war und es keinen Ort der Einsamkeit mehr darstellte, in dem er für sich allein fischte, jagte, sammelte und mit den selbstgenähten Puppen seiner beiden Partner sprach.

Er schlüpfte aus dem Nachtgewand und wechselte in seine Tageskleidung. Heute Nachmittag sollte er Sypha und Greta bei den Vorbereitungen für den Unterricht zur Hand gehen. In den letzten Monaten hatten sie allesamt das Schloss und das Belmont Anwesen zusammen erkundet, den Großteil des unbeschädigten Materials neu archiviert, durchgelesen, erforscht, darüber nachgedacht, geredet und über alle Möglichkeiten geschwärmt, die die Zukunft für ihre Gemeinschaft, und die Menschen darüber hinaus, bereithalten könnte. Sie hatten manchmal wohl mehr Zeit in den Gängen der unterirdischen Bibliothek der Belmonts verbracht als im Sonnenlicht und unter der Gemeinschaft ihres im letzten Jahres gegründeten Dorfes.
 

Sypha klopfte und kam durch die Tür. „Wie geht es dir? Du warst gestern etwas unaufmerksam, als die Nachkreaturen angriffen.“

„Wir haben länger bereits keine mehr gesehen und ich habe nicht damit gerechnet wieder angegriffen zu werden.“

„Und etwas anderes beschäftigt dich nicht?“

„Nein.“

Syphas Augen waren stets so aufmerksam und manchmal wünschte er sich, sie wären es nicht. Diesen Blick kannte er von ihr nur zu gut. Jedes Mal, wenn sie in der Bibliothek der Belmonts ein Buch in einer Sprache fand, die sie nur zu Bruchstücken beherrschte, las sie mit demselben konzentrierten Blick darin, mit dem sie andere Personen ansah, die etwas von ihr verbargen. Und besonders häufig galt dieser Blick Adrian. Ja verdammt, sie wusste es, doch hakte glücklicherweise nicht nach. „In Ordnung, dann komm bitte nach einer kleinen Stärkung mit. Wir müssen noch den Klassenraum vorbereiten.“

„Wo sind Trevor und Simon?“ Obwohl Simon nicht sein leiblicher Sohn war, fühlte sich Adrian beinahe so, als wäre er es. Sie drei waren zu einer kleinen, in den Augen anderer wohl sehr ungewöhnlichen, Familie zusammengewachsen.

„Simon ist bei Greta und Trevor hat sich in der Früh mit einem Trupp aufgemacht, um bei Nachtanbruch an einem Hof in der Nähe Wache zu halten. Die Stoicas haben in der letzten Woche einen Sohn an die Nachtkreaturen verloren, während er das Vieh verteidigte.“

„Verstehe. Er wird in ein paar Tagen wiederkommen, denke ich?“

„Ja, natürlich. Das hoffe ich… vermisst du ihn?“, zog sie ihn auf und kicherte, als sie seinen entgeisterten Gesichtsausdruck und ein gemurmeltes „ein paar Tage ohne ihn tun auch gut“ vernahm, ehe sie sich beide in den Speisesaal begaben.

In einem Topf befand sich noch eine Eierspeise mit Gemüse und Schinken darin verquirlt, die Adrian vor der anstehenden Arbeit genoss.
 

„Wir werden mit den Leuten heute über ein Heilmittel sprechen, das Krankheiten heilen kann und den Leuten noch nicht bekannt ist. Lisa hätte das wohl gefallen“, sagte Sypha erwartungsvoll, als wartete sie auf seine Bestätigung. „Gestern Mittag haben Greta und ich in dem unendlichen Schloss einen Bankettsaal entdeckt. Er sieht so ungenutzt aus und da haben wir ihn grundgesäubert und entschlossen, dass er unser Lehrsaal werden soll.“

„Meine Mutter hätte es geliebt. Wir führen ihr Werk fort. Sie wurde damals gefangen genommen, als sie mit einer Patientin darüber gesprochen hatte und dann…“ Seine Hände hoben sich zu einer weiteren Erklärung, aber seine Lippen blieben stumm.

Sypha nickte bloß, lächelte warm und drückte seine Hand, bevor sie sich wieder an die Arbeit daran machte den Raum zu einem provisorischen Klassenzimmer umzugestalten. „Sie wäre stolz darauf, dass ihr Sohn den Sinn ihrer Arbeit verstanden hat und sie fortsetzt. Stell dir vor, zuerst unterrichten wir das Dorf. Dann bilden wir einige Kinder unseres Dorfes zu Gelehrten aus und diese tragen all das Wissen von deiner und Trevors Familie durch die Walachei. Und darüber hinaus. Die Möglichkeiten erscheinen einem endlos, bei all dem Wissen, das wir in unserem Schloss und in der Bibliothek finden. Wir müssen es bloß weise nutzen, und die Menschen davon überzeugen, dass Wissen sie voranbringt, ihnen ein besseres Leben gibt; und ein längeres Leben.“

Adrian folgte ihr durch einige Zimmer des Stockwerkes, in denen sie nicht benutzte Stühle einsammelten und in den Saal trugen. Sypha zog die schweren Vorhänge auf, damit natürliches Licht in den ehemaligen, nicht zu knapp bemessenen, Bankettsaal eintreten konnte, während sie weiter und weiter von einer Menschheit schwärmte, die sich der Wissenschaft zuwenden und lernen wollte. „Die Sprecher wären natürlich auch sehr froh und stolz auf mich“, verkündigte sie in einem selbstzufriedenen Ton. „Großvater wird an dem Werk, das wir hier schaffen, bestaunen können, was seine Enkelin erreicht hat.“

„Bestimmt, das denke ich auch. Ihr schreibt euer Wissen nicht nieder, aber vielleicht wird er daran in Zukunft Gefallen finden.“

„Ja, die Sprecher sollten endlich all ihr Wissen niederschreiben. Was für eine Schande, dass so viel wieder verloren gegangen ist, aber auf Wanderschaft ist es nicht gerade praktikabel eine Bibliothek hinter sich herzuziehen.“ Das Bild, das sich ihnen dabei bot, war etwas obskur. Eine Bibliothek im Schlepptau eines Anhängers.

„Das denke ich auch. Weißt du“, begann er vorsichtig. Es war ihm immer noch fremd seine Gedanken und Erinnerungen derart freigiebig zu teilen. „dass wir den Saal nie genutzt haben? Mir gefällt der Gedanke, dass alles im Schloss nun endlich eine Aufgabe erfüllt.“

Adrian sah sich um, während er sich selbst und seiner Partnerin dabei zusah, wie sich der Saal mit Stühlen und einigen Tischen füllte. Hier gab es keine Möbel, die man aus dem Weg räumen musste. Die Decken waren hoch und abgerundet und die Wände von hineingearbeiteten Säulen und Stuck gesäumt. Im zweiten Stockwerk gab es Logien, die nie benutzt worden waren.

Sypha stellte sich in die Mitte des Raums und wiederholte zwei, drei Male eine kleine Textstelle ihres heutigen Vortrags. „Hier hört man sehr gut. Ein schöner Klang.“ Die Stimmen von Vortragenden besaßen tatsächlich eine gute Klangfarbe in diesem Raum, doch Adrian war nicht derjenige, der das beurteilen sollte. Dafür hörte er ihre Stimme zu gerne.

Dann wandte sie sich wieder ihrem Partner zu. „Deine Eltern haben nie viele Gäste empfangen?“

„Kaum. Als er meine Mutter getroffen hat, konnte sie ihn dazu bringen sich der Welt und den Menschen gegenüber mehr aufzuschließen.“ Gretas Worte aus einem der Gespräche des letzten Sommers, hallten plötzlich in seinen Gedanken wider und setzten sich bei ihm fest. Sie hatte ähnliches zu ihm gesagt; er solle sich den Menschen öffnen. „Aber wir hatten kaum Gäste und erst recht gaben wir keine Bälle. Als ich geboren war, hielten sie mich auch bei den meisten Menschen und Vampiren geheim.“

„Du hattest keine gleichaltrigen Freunde?“, schloss Sypha. „Oh.“

„Es existieren sehr wenige Dhampire, aber ich kannte ein Mädchen in meinem Alter. Da war ich etwa acht Jahre alt, oder vielleicht auch neun oder zehn? Sie war ein Dhampir wie ich, die Tochter einer Vampirin und ihres menschlichen Mannes. Die Familie hatte weder in der Gesellschaft von Vampiren noch von Menschen ein Heim gefunden. Aber meine Eltern verstanden sich mit diesem Paar gut und ich konnte über ein Jahr hinweg beinahe jede zweite Woche mit Hatice Zeit verbringen… irgendwann verschwand die Familie.“

„Sie kam nie wieder und ihr habt nichts mehr von ihr gehört?“

„Nein.“

„Das tut mir leid. Hatice ist ein interessanter Name. Woher stammt er?“

„Das weiß ich nicht genau. Ihre Mutter hatte ein wenig dunklere Haut, und ich rede ohnehin zu viel. Wir sollten die Vorbereitungen abschließen.“

Sypha sah ihn wissend an. „Du hast vermutlich Recht. Wenn du möchtest, kannst du mir jederzeit davon erzählen. Von deiner Kindheit und deinen Eltern. Es ist immer wieder schön zu hören, dass Dracula nicht das Monster war, für das viele ihn hielten, aber ich denke, sonst wäre eine Frau wie deine Mutter ja wohl kaum bei ihm geblieben.“

„Das war er nicht“, bestätigte Adrian mit einem nostalgischen Lächeln. „Wusstest du, sein richtiger Name war Matthias Tepes.“

„Dann werde ich ihn nicht mehr Dracula nennen.“ Sie schoben einen großen Sekretär, den sie in einem der vielen Räume gefunden hatten, in die Mitte des Raumes, sodass sich auf beiden Seiten Menschen darum versammeln konnten, und Sypha kam etwas ins Schwitzen.

„Mit Magie wären wir schneller.“

„Solche Kleinigkeiten bekommen wir auch ganz ohne Magie hin. Dann kann man währenddessen noch ein wenig plaudern.“ Seine Partnerin wischte mit großer Sorgfalt den Staub vom Tisch, bis er glänzte, kommentierte, dass er nun ebenfalls Verwendung fand, und sah auf. „Wenn du das möchtest.“

„Wir sollten lieber arbeiten“, wehrte Adrian ab. Erinnerungen kehrten zurück. Adrian hielt in der Arbeit immer wieder kurz inne, da sich kleine Erinnerungsstücke vor seinem inneren Auge abspulten, die sich bereits seit dem Tod seines Vaters immer wieder wiederholten. Es war ihm seit langem so, als hätten die Geister seiner Eltern und der Erinnerungen das Schloss befallen. Im Augenwinkel begegnete er ihnen immer wieder.

Die meisten handelten von seinen Eltern, und einige wenige handelten von seiner Kindheitsfreundin. Er sah in diesen Bruchstücken wie seine Eltern ihm vorlasen, mit ihm spielten, ihn unterrichten, manchmal mit ihm schimpften, obwohl das selten von Nöten gewesen war, und wie er mit dem ein wenig dunkelhäutigen Mädchen im Garten spielte und über Bücher tratschte. Einmal drückte sie ihm zu Abschied einen Kuss auf die Wange, konnte sich aus Verlegenheit nicht mal mehr verabschieden, und verschwand schnell zum Ausgang. Bei dieser Erinnerung verkniff er sich mit großer Mühe ein Lachen.

„Erinnerst du dich an etwas?“ Sypha grinste und ihr Singsang hallte durch den Saal. „Eine Erinnerung welcher Art?“

Adrian fand nur langsam die richtigen Worte. „Nur Dummheiten, die Kinder so tun. Hatice hat mir mal einen Abschiedskuss auf die Wange gegeben und ist dann weggelaufen. Die Erinnerung ist etwas seltsam. Wir sahen schon älter aus als acht, weil Dhampire schneller heranwachsen, aber wir waren Kinder und verhielten uns so.“

„Das ist ja süß“, trällerte Sypha und sie beiden lachten kurz.

Adrian sah sich von außen zu, wie er alle Arbeiten, die Sypha ihm auftrug, verrichtete, und seiner Partnerin ab und zu antwortete, während er in Gedanken verloren war.

Nach einer Stunde hatte sich der ehemalige Bankettsaal in einen Klassenraum verwandelt. Die großen, abgerundeten Fenster des Saals ließen den Raum einladend hell wirken und luden zum Lernen ein. Sypha nickte zufrieden. „Hier kommt die Sonne herein. Komm, holen wir nun die Unterrichtsmaterialien und rufen dann die Leute zu uns.“

„Wir sollten vielleicht auch mehrmals in der Woche unterrichten“, schlug Adrian vor, während sie die Materialien holten und Sypha stieg begeistert darauf ein. „Natürlich. Das hatten wir uns vorgenommen. Wenn wir heute über das Heilmittel sprechen, könnten wir an anderen Tagen auch andere Krankheiten ansprechen. Es herrscht so viel Irrglaube da draußen und die Menschen können sich nicht immerzu nur auf Ärzte verlassen. Viele von ihnen sind ohnehin Quacksalber. Wir helfen den Menschen die Natur kennenzulernen und ihren Körper. Damit können sie nach einiger Zeit lernen sich auch selbst zu helfen.“ Ihre Augen funkelten regelrecht und er fand sowohl Greta wie auch seine Mutter in ihnen wieder, und all diese Neugierde und Freude machten Sypha noch schöner. Er beugte sich erst etwas zögerlich vor und gab ihr dann einen kurzen Kuss auf die Lippen, der mehr als bloß ein Dankeschön beinhaltete. Das erste Mal wieder in einigen Tagen. „Das werden wir.“

Verwegen lächelte sie gegen seine Lippen. „Also das verschieben wir auf später.“

„Später ‚heute‘ oder später ‚später, wenn Trevor wieder daheim ist‘?“

„Ha, du wirst gleich gierig!“

Beschämtes Schweigen.

„Jetzt bist du wahrscheinlich beinahe so blaff wie damals, als dich Hatice geküsst hat, liege ich richtig.“

„Ich werde aber nicht davonlaufen.“

„Es ist noch ungewohnt für dich?“, schloss sie verständnisvoll.

„Ja, aber das bedeutet nichts Schlechtes.“ Es hatte vor wenigen Monaten nach der Geburt von Simon begonnen. Adrian, Trevor und Sypha hatten sehr viel Zeit zusammen verbracht und Adrian fühlte sich zu beiden hingezogen; ja so würde man es vielleicht ausdrücken. Er fühlte sich in der Nähe beider wohl und spürte eine Anziehung zu den beiden. Zuerst waren da stets kleine Berührungen gewesen, und obwohl Trevor und Sypha seine beiden, engsten Vertrauten waren, war er zuerst bei manchen zusammengezuckt, denn Berührungen jeglicher Art hatten ihn zuerst an die Zwillinge erinnert, und er tat dies als lächerlichen Gedanken ab. Er war viel zu sensibel, dachte er.

„Greta und du werden viel Spaß beim Unterricht haben.“

„Das werden wir. Kümmere du dich bitte ein wenig um Simon, ja?“

„Liebend gerne.“ Um seine Aussage von vorhin zu bestätigen, küsste er dieses Mal ihre Stirn und sah noch einmal zurück, bevor er auf dem Weg zum Saal Greta abfing, die Simon im Arm hielt.
 

„Euer Sohn ist ein Sturschädel.“

„Dir auch einen wunderschönen Tag, Greta.“ Mit einem empfangenden Lächeln nahm er das Kleinkind entgegen. „Na, kommst du ganz nach deiner Mama und deinem Papa?“

Der Junge gluckste und griff mit der pummeligen, kleinen Hand nach Adrians blonden Haarsträhnen. Adrian hatte sich noch nie in seinem Leben zuvor mit Kindern beschäftigt und alles, was sie taten, war neu für ihn. Auch dass die kleinen Hände so grobmotorisch waren und erst lernen mussten Dinge richtig zu fassen, war einer dieser kleinen Dingen, über die er sich nie bei Kindern Gedanken gemacht hatte. „Nein, reiß nicht daran.“ Er versuchte sich aus der winzigen Faust zu befreien und für einen Moment sah Simon ihn aus blauen Augen an, neigte den Kopf, gluckste nochmals vergnügt und ließ sich nicht darin beirren mit den Strähnen zu spielen.

„Nein“, wiederholte er dreimal hintereinander und beim letzten Mal lachte Simon laut auf und ließ sich mit beiden Händen voran in Adrians Haare hineinfallen, um an ihnen zu ziehen.

„Ja, euch viel Spaß.“ Greta tätschelte im Vorbeigehen Simons rostbraunen Schopf und verschwand dann im Saal.

Adrian konnte noch die Stimmen der beiden Frauen ausmachen, wie sie sich angeregt unterhielten und fachsimpelten. Das machte ihn … glücklich? Auf eine seltsame Art machte es ihn glücklich, dass die beiden Frauen die jeweils andere gefunden hatte, um eine Freundin, oder auch mehr, in ihr zu wissen. Er wusste, die Gesellschaft verlangte von Paaren Eifersucht und Missgunst, doch er konnte sich bloß freuen.

„Wir beide werden den Bewohnern Bescheid sagen, dass deine Mama und Tante Greta bald soweit wären und danach die Zeit miteinander totschlagen. Au …“ Ein letztes Mal befreite er sich aus dem Griff, bevor Simon aufgab. „Du bist wirklich ein kleiner Sturschädel. Wie deine Eltern. Unglaublich.“ Das Kind kuschelte sich in seinem Arm ein und er fragte sich, was wohl wäre, ja wenn es tatsächlich so wäre, dass Trevor und Sypha ihn tatsächlich als einen ebenso wichtigen Teil ihrer eigenen, kleinen Familie ansahen. Nicht nur als den einen Freund, der außen vorstand. Sie gaben ihm nie das Gefühl, dass er nicht zu ihnen gehöre, und doch konnte er es noch nicht so recht glauben. Das Kind, das so vertraut in seinen Armen lag, als wäre Adrian ebenfalls sein Vater, zeigte ihm jedoch, dass seine Zweifel dumm waren und unfair gegenüber seinen Partnern. „Bist du müde, Kleiner?“

Er würde heute noch viele Stunden mit ihm haben und wahrscheinlich könnte sich der Junge in einigen Jahren nicht mehr an sein erstes Lebensjahr erinnern, aber er würde nie vergessen, dass Adrian auch immer für ihn dagewesen war und ihm Zuwendung gegeben hatte.

Neue Beziehungen

„Die Stoicas brauen ein Bier, das schmeckt so scheißgeil!“ Mit diesen Worten platzte Trevor in den Raum hinein.

Sypha wechselte eben in ein hellblaues Nachtkleid aus einem feinen Stoff. Es war halbtransparent, da der Sommer einkehrte und die Nächte beinahe genauso schwül waren wie die Tage, und da ihre beiden Männer den Anblick genossen. Da machte sie sich nichts vor. „Auch einen schönen Abend, der Herr. Trevor, du warst über etliche Tage weg. Was ist geschehen!?“

„Lass mich zuerst einmal daheim ankommen.“

„Natürlich.“ Bei der Erwähnung von Bier, musste Sypha manchmal eine Augenbraue hochziehen. „Bier, das besser als Sex ist?“

„Nicht besser, nur anders gut. Von diesem Standpunkt weiche ich nicht ab.“

„Er liebt allgemein die simplen Dinge“, tönte es von Adrian aus dem Bad, der sein nasses Haar mit einem Handtuch auswrang. „Und da wir mit ihm zusammen sind, haben wir sie nun ebenfalls zu schätzen gelernt.“

Sypha schnaubte. „Beschreibe unseren Sex bloß nie als „scheißgeil“ und wir sehen beide darüber hinweg.“

„Keine Sorge, ich habe gelernt. Diese traumatische Erfahrung mit dem Eisklotz aus Bier will ich nicht noch einmal machen müssen … und, habt ihr mich vermisst? Was lief in der Zwischenzeit?“ Trevor setzte sich zu ihr aufs Bett, um ihr einen Willkommenskuss zu geben. Sie beide hatten ihn, seine Art, seine Sprüche und seine rauere Stimme vermisst, die durch den Raum und die Gänge hallte, doch speziell Adrian würde so etwas sehr selten aussprechen.

„Ich würde es nicht als vermissen bezeichnen“, sagte Adrian trocken und selbst wenn Trevor ihn nicht sehen konnte, konnte er sich seine Mimik vorstellen und daraus lesen, als stünde er vor ihm. Die Badezimmertür war zur Hälfte geöffnet und Trevor war sich sicher, dass sein Partner den erhobenen Mittelfinger im Vorbeigehen erkennen konnte. Er wusste es mit Sicherheit, als ein noch trockeneres „liebenswert“ aus dem Raum ertönte.

Zwischen ihm und seinem Partner lag noch immer die stille Übereinkunft, dass man hin und wieder noch so tat, als könnte man die Anwesenheit des jeweils anderen nicht leiden. Es war ein kindisches Spiel geworden, das mittlerweile seltener stattfand, ja, aber von keinem je beendet wurde, und wer war Adrian denn, dass er derjenige wäre, der als Erstes nachgab.

„Wir haben dich vermisst, aber könntet ihr euch einmal wie Erwachsene verhalten. Ihr benehmt euch beide immer noch wie ungehobelte Jugendliche“, brach Sypha als Erstes das kindische Spiel zwischen den beiden. „Simon hat zum ersten Mal Hühnchen gegessen und er liebt es. Greta und ich haben unsere ersten Stunden abgehalten und es sind sehr viele Leute erschienen. Die Kinder waren so unglaublich begeistert und sogen jede Information in sich auf. Bloß manche der Erwachsenen waren skeptisch. Manche sprechen von Magie, obwohl wir immerzu erwähnten, dass es sich um Wissenschaft handelte.“

Trevor wurde etwas nachdenklicher, während er sich seinen Stiefeln und des schweren Umhangs entledigte. „Manche der Bücher in der Belmont-Bibliothek sprechen davon, dass Magie und Wissenschaft wie Zahnräder ineinander übergehen und auf ähnliche Wirkungsweisen aufgebaut sind.“ Er hatte nun auch Adrians Aufmerksamkeit, der sich ebenfalls ein Nachthemd und eine dünne Hose übergeworfen hatte, als er aus dem Bad kam und an der Türschwelle lehnte. „Was weiß ich. Das Denken überlasse ich euch. Ich hau drauf und dann sauf ich Bier, wie der einfache Mann und Monsterjäger, der ich bin.“

„Du hattest in frühen Jahren viel Pech und in deiner Kindheit weniger Bildung erfahren als wir, und vieles von dem, das du in frühen Jahren gelernt hast, hast du vergessen“, räumte Adrian ein und erntete Syphas Zustimmung. „Das macht dich nicht dumm.“

„Ich bin ein Monsterjäger und benutze eben Wissen, um Monster zu jagen. Was zu meinen Aufgaben gehört, das weiß ich, und viel mehr brauche ich nicht.“ Diese Diskussionen endeten immer mit selbstironischen Sprüchen wie diesen. Dennoch war er in den letzten Wochen, und speziell in den Wintermonaten, in denen es nicht viel zu tun gegeben hatte, immer öfter im Belmont-Anwesen gewesen und hatte so gelesen, bis er die Zeit vergessen hatte. „Einiges von dem Wissen, das ich vergessen habe, kehrt auch wieder zurück. Die Stoicas hatten ein böses Problem mit einigen Dämonen und einiges von dem, was ich in den Büchern unserer Bibliothek gefunden habe, hat mir tatsächlich weitergeholfen.“

„Dämonen?“, fragte Sypha überrascht. „Ich dachte, die übrig gebliebenen Nachtkreaturen treiben noch ihr Unwesen.“

„Dämonen“, bestätigte Trevor. „Lasst uns morgen darüber reden, bitte. Ich bin geschafft. Scheiß Höllenschlundviecher; haben den Nachbarn der Stoicas auch noch eine der Töchter das Leben gekostet.“

„Furchtbar.“ Seine Partnerin presste die Lippen zusammen. „Wir werden in Zukunft aufmerksamer sein und uns in den nächsten Tagen noch zu den Familien aufmachen. Vielleicht können wir noch etwas für sie tun.“

„Das sollten wir“, stimmte Adrian zu. „Das klingt nach einem größeren Problem, dem wir auf den Grund gehen sollten.“

„Ich hoffe, die Viecher sind in die tiefsten Ebenen der Hölle zurückgekrochen, wo ihnen die Dämonen aus den oberen Etagen auf den Kopf scheißen.“

„Trevor.“

„Was?“

„Ich bin froh, dass Simon heute Nacht wieder bei Greta schläft.“

„Und selbst wenn nicht. Das Kind ist ein Jahr alt.“

„Unterbewusst nehmen Kinder auch im Baby- und Kleinkindalter bereits sehr viel auf, Trevor.“ An manches gewöhnte man sich nie und selbst, wenn Sypha nun ab und an ebenfalls durch seinen schlechten Einfluss ein „scheiße!“ entglitt, für das sie sich für gewöhnlich auch dreimal entschuldigte, war ihr Trevors Ausdrucksweise meist zu krass. Er drückte sich aus wie ein … Kerl aus der Gosse und gleich, nachdem ihr der Gedanke gekommen war, schalt sie sich selbst dafür. „Reiß dich ein wenig zusammen. Wenigstens vor dem Kind.“

„Ich werde es versuchen. So, ich gehe zuerst einmal ins Bad. Ich stinke wie … ich dufte nicht nach einem Meer aus Rosen, würde eine feine Dame sagen.“

„Der Ausdruck eines Edelmannes“, kommentierte Adrian amüsiert.
 

Adrian und Trevor gaben sich beim Zimmerwechsel die Klinke in die Hand und während es sich Adrian und Sypha auf dem Bett bequem machten, hörten sie das Rinnsal des Wasserhahns. Dieser war eine moderne Erfindung, die Dracula, sie korrigierte sich: Matthias Tepes, wer-weiß-woher mitgebracht hatte.

Heute fiel kaum Mondlicht in das Zimmer ein und Sypha entzündete mit einer passierenden Handbewegung die restlichen Kerzen des Kronleuchters. Das Zimmer konnte man kaum mehr als ein solches bezeichnen. Ein riesiges Bett, dessen Rückenlehne mit satinrotem Samt überzogen war, und ein Schlafgemach, das eines Herrschenden würdig war, war ohne Frage eine Verbesserung zu den Karawanen und den, vom Ungeziefer verseuchten, Abstiegen. Alles hier war so edel, aber befremdlich und die meisten Zimmer des Schlosses sahen nicht so aus, als hätte jemand darin leben wollen. Allmählich hatten sie sich in vielen der Zimmer heimlicher eingerichtet. Als Trevor und Sypha mit ihrem Kind zu Adrian zugezogen waren, hatten sie sich anfangs nicht wohlgefühlt, nachdem sie das Leben im Leben eines Anhängers und billigen Absteigen gewöhnt gewesen waren.

Es lag an dem Schloss, in dem man sich sehr schnell einsam und verloren fühlen konnte, sowie sich Adrian gefühlt haben musste, als er von seinen Partnern nach dem Tod seines Vaters zurückgelassen worden war. Sypha wusste nicht, wie sie damals derart unsensibel hatten sein können, doch Adrian hatte es ihnen nie vorgeworfen. Natürlich nicht. Selbst wenn er deshalb einen Groll hegen sollte, würde er diesen für sich behalten.
 

Im warmen Kerzenlicht des Kronleuchters konnte sie Adrians Profil betrachten. Das Licht schmeichelte ihm und manchmal stellte sie sicher, dass er wusste, oder sich ins Gedächtnis rief, dass er ein schöner Mann war.

Sanft ließ sie eine Hand über seine Wange gleiten, dann durch sein Haar und wieder zurück zu seiner Wange. Die Berührung war leicht wie die einer Feder, und ihr Partner lehnte sich diese hinein. Der Blick in seinen Augen wurde so sanft wie er jedes Mal war, wenn sie miteinander schliefen, und er lehnte sich zu einem Kuss vor. Der Erste war nie fordernd oder lustvoll, bis Sypha ihn selbstbewusster werden ließ. „Ich bin froh, dass Simon heute Nacht wieder bei Greta schläft“, wiederholte sie mit dunklerer Stimme.

Neue Erfahrungen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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