Die Sonne scheint für alle von MariLuna ================================================================================ Kapitel 26: ------------ XXVI.   Der Nachthimmel ist bedeckt, aber ab und zu lugt der Mond doch durch die Wolken. Eine schmale, silberne Sichel und ein paar vereinzelte Sterne. Es ist ungewohnt, nur einen Trabanten am Himmel zu sehen, aber gerade das macht den Reiz dieser Welt aus: sie ist neu für ihn. Und das ist aufregend, und das ist genau das, was sein Herz höher schlagen läßt. Er will es sehen. Alles. Er will es hören. Schmecken. Fühlen. Er will diese Welt aus eigener Kraft erkunden. Er will durch diesen wunderschönen Himmel fliegen. So hoch zum Mond und den Sternen wie es ihm möglich ist und dann wieder tief hinab. Er will die Wassertropfen der Wolken auf seinen Federn spüren. Und er will dicht übers Meer hinweg fliegen, so niedrig, dass er nur den Arm nach unten zu strecken braucht, bis seine Fingerspitzen durch die Wasseroberfläche pflügen und wenn er schnell genug ist, zieht er sogar eine Spur feiner, weißer Gischt hinter sich her. Er will, so kitschig das klingt, auf einer sonnendurchfluteten Waldlichtung landen und barfuß im Moos tanzen, während die Vögel über ihm in den Ästen zwitschern. Er will auf den höchsten Berg fliegen und vor dem Gipfelkreuz ein lustiges Selfie schießen. Und dann wieder schnell verschwinden, denn er ist kein Freund von Eis und Schnee. Um seine Lippen spielt ein kleines, verklärtes Lächeln. Ohne es zu bemerken, streckt er die unverletzte Hand zum Mond aus und wird dabei besorgt von den beiden anderen Dämonen im Raum beäugt. Es ist Mao, der sich als erster einen Ruck gibt – schließlich trägt er als Dämonenkönig eine gewisse Verantwortung - und vorsichtig zu ihm hinübergeht. Zuerst schien alles in Ordnung, Lucifer hatte sich wieder abgeregt, wirkte ruhig und gefasst, aber es dauerte nicht lange, dann bemerkten sie, dass er zu gefasst, zu ruhig war. Aber da war es schon zu spät. Sie konnten nicht verhindern, dass sich Lucifer immer mehr in sich selbst zurückzog, aber er will verdammt sein, wenn er sich das noch eine Minute länger tatenlos anschaut. „Lucifer...“ er rechnet nicht mit einer sofortigen Reaktion, denn der Engel hat wieder diesen leeren Ausdruck in den Augen, also setzt er sich neben ihn, lehnt sich wie er mit dem Rücken an die Wand und folgt seinem Blick nach draußen. „Der Mond ist heute besonders schön“, meint er leise, hebt ebenfalls seine Hand, verschlingt ihre Finger miteinander und zwingt Lucifers Arm dann mit sanfter Gewalt nach unten. Aber auch danach läßt er diese zierlichen Finger nicht los. Von der Aktion seines Königs ermutigt, gesellt sich nun auch Alciel zu ihnen und quetscht sich in die Ecke auf Lucifers anderer Seite. Zögernd, doch dann immer selbstsicherer, legt er ihm einen Arm um die Schultern und es dauert nicht lange, bis Lucifer instinktiv der Wärme seines Körpers folgt und sich gegen ihn lehnt. „Woran denkst du gerade, Lucifer?“ wispert Alciel. Mao auf Lucifers anderer Seite verspürt so etwas wie einen leisen Stich der Eifersucht und rückt etwas näher an den Ex-Erzengel heran. Sein Griff um Lucifers Hand wird etwas fester. Besitzergreifend. „Lucifer...“, nuschelt Mao gegen Lucifers Halsseite, was diesen sofort erschauern lässt. Mao grinst in sich hinein und leckt einmal sachte über diese offensichtlich empfindliche Stelle und wird mit einem erneuten Schaudern belohnt. „Fliegen.“ Als Lucifers leise, gebrochene Stimme erklingt, ist es, nachdem dieser fast eine ganze Stunde geschwiegen hatte, wie ein Schock. „Ich denke ans Fliegen. Ich will wieder diese Freiheit spüren. Nur ich und der Wind und diese Welt. Ich will fliegen und diese Welt sehen. Ich will all das in echt sehen, was ich nur im Internet sehen kann. Zuerst konnte ich es nicht, weil ich mit Olba erst genug Energie sammeln musste und weil es wichtiger war, euch zu finden und mich an euch zu rächen. Dann ging es nicht, weil wieder die Energie fehlte und ihr mich hier quasi angekettet habt, und jetzt kann ich es vielleicht nie.“ Die tiefe, unstillbare Sehnsucht und all der Schmerz in seinen Worten beschert Mao eine Gänsehaut. Unwillkürlich drückt er seine Hand etwas fester und rückt noch näher an ihn heran. „Ich habe dir versprochen, dass wir einen Weg finden. Vertrau mir doch.“ „Im Moment... jetzt... fällt mir das alles wirklich schwer...“ Lucifers Worte werden mit jeder Silbe schwermütiger. „Entschuldigt“, für einen kurzen Moment rafft er sich noch einmal auf und zwingt sich zu einem schiefen Lächeln. „Wenn meinem Verstand der Input von außen fehlt, stürze ich ab.“ Er versucht es wie immer mit einem Witz zu relativieren, aber diesmal fällt niemand darauf herein. Mao lehnt sich nur schweigend enger an ihn und vergräbt dann seine Nase in diesem nach Honig und Flieder duftendem Haarschopf. Er ist sich leider nur allzu sehr bewusst, dass sie Lucifer noch vor fünf Tagen in seinem stillen Schmerz links liegen gelassen hätten. Er wäre Chiho hinterhergerannt und hätte versucht, sie zu trösten, und das hätte sie natürlich nur wieder in ihrem Verliebtsein bestätigt; Alciel würde wahrscheinlich den letzten, klitzekleinen Plastiksplitter aus den Ritzen der Tatami-Matten puhlen und dabei auf Lucifer schimpfen, und dieser hätte sich garantiert in seinem dunklen Wandschrank verkrochen und würde sich mit seiner PASTA-Handkonsole trösten. Mao muss an all die Male denken, wo sie Lucifer mit Internetverbot gedroht hatten. Sie wussten, dass ihm das Internet sehr wichtig ist, aber sie ahnten nie, wieso. Weil es sie nie interessierte. Wir … ICH bin ein furchtbarer Freund. Ein furchtbarer König. Er hätte ahnen müssen, dass sich hinter Lucifers obsessiven Benehmen etwas viel Tieferliegendes als das Offensichtliche verbirgt. „Es tut mir leid, Lucifer.“ Lucifers einzige Reaktion besteht darin, dass er den Druck von Maos Hand erwidert. Sekundenlang sitzen sie alle drei einfach nur schweigend zusammen, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. „Ich war vielleicht wirklich etwas zu streng mit dir“, flüstert Alciel plötzlich, und er drückt Lucifer ein kleines bisschen fester an seine Seite. Er hat jetzt seine Antwort auf die Frage, wo Lucifer immer ist, wenn er diesen leeren Blick bekommt, und sie gefällt ihm nicht. „Es lag nie in meiner Absicht, dass du dich hier wie ein Gefangener fühlst. Ich verstehe, dass es etwas völlig anderes ist, wenn du freiwillig drinnen bleibst oder wenn ich Druck auf dich ausübe, weil ich fürchte, dass die Polizei dich erkennt. Ich weiß, dass das völlig übertrieben ist, und dass dich die Polizei höchstwahrscheinlich gar nicht sucht, und wenn, würden sie dich sowieso nicht einsperren, ich habe inzwischen genug Zeitungen gelesen, um das zu wissen, aber ich fühlte mich so einfach sicherer. Das war egoistisch von mir.“ Er hält einen Moment inne. Doch zum ersten Mal, seit sie auf der Erde sind, hat er das Gefühl, Lucifer wieder erreichen zu können, und dieses Geschenk möchte er mit etwas Gleichwertigem belohnen. Und so will auch er einmal schonungslos ehrlich sein. „Ich glaube, ich war einfach nur einsam. Wenn Mao-sama nicht hier ist, fällt mir schnell die Decke auf den Kopf, und es ist einfach schön, Gesellschaft zu haben.“ Überrascht hebt Mao den Kopf. „Ashiya, warum hast du denn nie etwas gesagt? Wenn ich das gewusst hätte...“ Er hält inne. Wenn er das gewusst hätte, was hätte er schon tun können? Er kann nicht noch weniger arbeiten, das ist nur ein Teilzeitjob, und sie brauchen jeden Yen. Alciel wirft ihm einen langen, betrübten Blick zu. „Wie könnte ich dir das sagen, Jakobu?“ Die Tatsache, dass er plötzlich nicht nur auf jede förmliche Anrede verzichtet, sondern ihn sogar mit seinem dämonischen Vornamen anspricht, beweist, wie aufgewühlt er wirklich ist. „Wie könnte ich dich zu allem Überfluss auch noch mit meinen dummen Problemen belästigen, wo du dich doch jeden Tag abrackerst, damit wir ein Dach über den Kopf und genug zu Essen haben? Nein, ich komme klar. Ich habe Lucifer, der mir Gesellschaft leistet. Auch, wenn es mich ärgert, weil er so viel Zeit mit diesem Computerkram verbringt. Aber nur, weil ich nichts davon verstehe“, fügt er leise an Lucifer gewandt hinzu, „habe ich kein Recht, es dir zu verbieten.“ „Ashiya“, stößt Mao verblüfft hervor. „Sag mal, bist du etwa eifersüchtig auf Lucifers Computer?“ Alciel gibt ihm darauf zwar keine Antwort, aber seine langsam sich Rot färbenden Wangen verraten ihn. Mao grinst plötzlich bis über beide Ohren. „Weil Lucifer ihnen mehr Aufmerksamkeit schenkt als dir?“ Alciel schnauft hörbar und sieht interessiert zum Fenster hinaus. „Ah, ich verstehe.“ In Maos Stimme schleicht sich sowohl ein neckender wie auch triumphierender Tonfall. „Und deshalb willst du so sehr, dass Lucifer dir im Haushalt hilft.“ Alciel versteift sich kurz, zieht es aber immer noch vor, zu schweigen, während Mao leise vor sich hinkichert. „Ihr seid Idioten“, erklärt Lucifer da seufzend. „Alle beide.“ Alciel schnauft nur und murmelt ein „selber“. Mao dagegen gluckst vergnügt. „Mag sein“, gibt er zu und rutscht dabei ein wenig hierhin und dorthin, bis er sich bequem in Lucifers Gesicht vorbeugen kann. Seine eine Hand hält noch immer Lucifers, während die Finger seiner anderen Hand ihn am Kinn packen. „Aber du liebst uns trotzdem, nicht wahr?“ Und bevor Lucifer auch nur überrascht blinzeln kann, hat Mao die letzten Zentimeter überbrückt und küsst ihn.     Hosted by Animexx e.V. 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