Die Sonne scheint für alle von MariLuna ================================================================================ Kapitel 21: ------------ XXI.   „Mao-san, warte auf mich!“ Hastig stürmt Sasaki Chiho aus dem MgRonald's nach draußen, wild entschlossen, ihren Schwarm noch bis zur ersten Kreuzung zu begleiten, bevor sich ihre Wege leider trennen. Zuerst bekommt sie einen Schreck, denn der übliche Platz, wo er seinen Drahtesel parkt, ist verwaist, aber dann entdeckt sie ihn zehn Meter weiter, wo die Fußgängerzone endet und die Straße beginnt. Dort steht er mit ihrer beider Chefin Kisaki Mayumi an ihrem Auto. Sie übergibt ihm einen Gegenstand, der sich, als Chiho näher rennt, als ein in Folie verschweißter, zusammengerollter Futon entpuppt. „Mao-san“, beginnt Chiho nach Luft japsend, hält dann jedoch inne, weil sie sich an ihre Manieren erinnert. „Kaichō-san.“ Sie verbeugt sich höflich. „Oh, hallo Chi-chan.“ Mao schenkt ihr ein Lächeln, bei dem ihr Herz wahre Purzelbäume schlägt. „Entschuldige, dass ich nicht auf dich gewartet habe.“ „Sei ihm nicht böse, Chi-chan“, lacht Kisaki, während sie Mao dabei hilft, den Futon auf seinem Gepäckträger festzuzurren. „Ich hatte es etwas eilig, weil ich im Parkverbot stehe.“ Vielsagend deutet sie auf das Schild hinter ihrem Auto. „So, Marko, ich denke, das sollte jetzt halten.“ „Vielen Dank nochmal, Kaichō-san.“ Mao verbeugt sich tief. Es wurmt ihn zwar immer noch, dass seine Chefin seinen Namen derart verballhornt, aber er beschwert sich schon längst nicht mehr. (Sie erklärte ihm nämlich, dass sie ihn garantiert nicht mit dem Namen des größten Massenmörders in der Menschheitsgeschichte anreden würde, was ihn schnurstracks in die Bibliothek zu Recherchen führte und danach dachte er ernsthaft daran, seinen Namen zu ändern. Denn - heiliger Bimbam - bis zu 80 Millionen Todesopfer? Dagegen ist er ja das reinste Unschuldslamm.) „Aber nicht doch, Marko, das habe ich gern getan. Ich war doch sowieso dort einkaufen, da kann ich dir auch ruhig diesen Futon mitbringen. Und ich freue mich doch, dass du wieder gut gelaunt bist. Fröhliche Mitarbeiter bedeuten schließlich auch fröhliche Kunden. Bis morgen, ihr beiden!“ Sie winkt ihnen vergnügt zu und steigt in ihren Wagen. Chiho wartet, bis sie weggefahren ist und platzt dann heraus: „Mao-san, wenn du einen Futon brauchst, hättest du mich doch auch fragen können. Wir haben noch ganz viele, einen hätte ich dir doch schenken können." „Das ist lieb gemeint, Chi-chan.“ Langsam schiebt er sein vollgeladenes Fahrrad den Gehsteig entlang. „Aber sie haben im Bettenhaus einen Räumungsverkauf und die Futons waren um achtzig Prozent heruntergesetzt. Ashiya wird mir also nicht den Kopf abreißen, nur, weil ich mal etwas Neues gekauft habe.“ Chiho neben ihm nickt verstehend. „Das kenne ich. Immer nur Second Hand Ware muss nicht sein.“ „Allerdings. Ich will Urushihara wirklich mal etwas Neues schenken. Der Laptop plus Zubehör war schon Second Hand und seine Klamotten sind es größtenteils auch." Chiho zuckt innerlich zusammen, ringt sich aber zu einem verständnisvollem Lächeln durch. „Das verstehe ich. Und ich freue mich, dass ihr euch wieder vertragen habt.“ „Darüber bin ich auch sehr froh. Es ist mir nur unangenehm, dass sich meine schlechte Stimmung so auf meine Arbeit auswirkte, dass es sogar Misaki-san auffiel“, meint er bekümmert. „Misaki-san ist eine sehr gute Chefin. Sie ist immer sehr verständnisvoll“, versucht sie ihn aufzumuntern. „Das ist sie, in der Tat. Und zum Glück war noch ein Futon da“, zufrieden tätschelt er die Rolle auf seinem Gepäckträger. „Urushihara und Ashiya können sich ja nicht ständig einen Futon teilen." Es dauert eine Weile, bis diese Information ihr Gehirn erreicht, doch dann kiekst sie auf. „Eh? Eh?" Seit wann? Seit wann? Lebt das Kellerkind nicht im Wandschrank? Als würde er ihre Verwirrung gar nicht bemerken, lehnt er sich zu ihr hinüber und senkt verschwörerisch die Stimme: „Ich bin ein wenig eifersüchtig, weißt du? Ich will ja auch mal mit Urushihara kuscheln. Aber ich will keinen Streit, also bekommt Urushihara jetzt einfach seinen eigenen Futon." „Eh? EEEHHHH???“ Er schreckt zurück und reibt sich das schmerzende Ohr. „Was ist denn los? Warum schreist du denn so laut?“ „Ich... ich... entschuldige. A-aber … ich habe mich bestimmt verhört, aber hast du eben wirklich gesagt, du willst mit Urushihara kuscheln?“ „Ah... ja?“ Mao blinzelt sie verständnislos an. „Das ist doch nur natürlich, dass man mit seinem Ehemann kuscheln will, oder?“ „Ehhhhh? WAS?!“ Sie schreit so laut, dass sich schon die Passanten nach ihnen umblicken. „Beruhige dich Chi-chan, bitte.“ Beschwichtigend hebt er die freie Hand. „Es gibt doch gar keinen Grund dafür, sich so aufzuregen.“ Doch, den gibt es! Und wie es den gibt! Trotzdem holt sie einmal tief Luft und versucht wenigstens, nicht mehr zu schreien, denn das wird ihr selbst langsam peinlich. „Ich wußte nicht, dass du und Urushihara verheiratet seid“, erklärt sie mit erzwungener Ruhe, aber dafür auch sehr, sehr vorwurfsvoll. „Oder ist das ein Scherz? Wenn, dann ist das ein sehr, sehr schlechter. Urushihara hat versucht, dich umzubringen. Dich und Ashiya. Und mich auch, nebenbei bemerkt. Hast du das alles vergessen? Dienstag noch war Urushihara für dich nur eine Plage. Ein Nutznießer. Ein Parasit. Ist es, weil er aus dem Fenster fiel? Erpresst er dich vielleicht mit deinem schlechten Gewissen?“ Noch während sie ihn das fragt, erkennt sie, dass sie zu weit gegangen ist. Seine stets freundliche Miene wird plötzlich so kühl und seine Augen so hart wie sie es nur von seiner dämonischen Version gewohnt ist. Unwillkürlich bekommt sie eine Gänsehaut. „Rede nicht so von ihm. Dazu hast du kein Recht.“ Sie zuckt zusammen und spürt, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht weicht. Noch nie hat er so zu ihr gesprochen. „Es tut mir leid, aber ich kann das nicht glauben. Du hast nie gesagt, dass du verheiratet bist.“ In ihren Augen sammeln sich die ersten Tränen, doch noch überwiegt ihre Empörung. Sie fühlt sich so unendlich verraten! Hat er ihr die ganze Zeit nur etwas vorgespielt? „Bin ich auch nicht“, erklärt er. „Nicht nach euren Maßstäben. In eurer Sprache gibt es kein Wort dafür, aber Ehemann trifft es schon ziemlich gut. Es ist ein Blutschwur, etwas, das nicht gebrochen werden kann, es sei denn, einer von uns stirbt. Und ja, wir dachten, er sei auf dem Schlachtfeld durch Emilias Schwert gestorben, also haben Ashiya und ich nie etwas gesagt. Es war ein Schock, als er plötzlich vor uns auftauchte. Wir haben ihn im Stich gelassen und er war zurecht sauer auf uns. Er musste sich mit Olba verbünden, um zu überleben. Mit einem korrupten Priester! Und er brauchte Olbas Hilfe, um uns zu finden. Allein bei dem Gedanken daran, wie demütigend das für ihn gewesen sein muss, dreht sich mir der Magen um. Er ist nachtragend, unser Engel, aber das zurecht. Es ist eine Schande, dass erst dieses Unglück geschehen musste, damit wir uns endlich aussprechen. Er ist nicht nur mein Ehemann, ich bin auch sein König und als solcher trage ich doppelte Verantwortung. Und nicht nur ihm gegenüber. Auch Ashiya, meinen Co-Ehemann, habe ich in dieser Zeit schmählich im Stich gelassen.“ Ihr klappt vor Entsetzen die Kinnlade nach unten. „Ashiya? Ashiya ist auch dein Ehemann?“ „Nein. Aber Urushiharas.“ „W-was?“ Ihre Stimme ist nur noch ein klägliches Piepsen. Doch er schiebt nur weiterhin ungerührt sein Rad neben ihr her als würde er gar nicht bemerken, wie sehr er ihr mit jedem weiteren Wort den Boden unter den Füßen wegzieht. „Ashiya ist auch Urushiharas Ehemann, aber nicht meiner. Uraltes Dämonengesetz. Der Blutschwur darf nur ein einziges Mal geschlossen werden. Man muss also weise wählen.“ Was, bitteschön, soll an dieser Wahl weise sein? „S-seit wann bist du schwul?“ Er macht nur eine abfällige Handbewegung. „Ph. Ihr Menschen und euer Schubladendenken. Kommt wahrscheinlich von eurer geringen Lebensspanne. Bei uns gibt es so viele Clans, so viele verschiedene Körper und Merkmale zur Auswahl, da denkt man naturgemäß nicht so kleinlich. Es gibt Dämonen, die sind im wahrsten Sinne des Wortes genderfluid. Das ist echt, Chiho, nicht so eine konstruierte, soziale Massenbewegung wie bei euch. Und weil es real ist, ist es bei uns völlig normal und niemand fragt danach.“ Seine Verachtung schmerzt und verschlägt ihr für eine Sekunde glatt den Atem. „Liebst...“ presst sie mühsam an dem Kloß in ihrer Kehle hervor, „liebst du ihn?“ Diese Frage ist ihr so furchtbar peinlich, vor allem in der Öffentlichkeit, aber sie muss es wissen! Vielleicht ist ja noch etwas zu retten. Das wäre schließlich nicht die erste unglückliche Ehe. Er mustert sie einen Moment lang kühl und nickt dann einmal knapp. „Ja, das tue ich wohl, so gut, wie es eben in meiner Macht steht. Ich bin ein Dämon, Chiho. Die meisten bezweifeln, dass wir zu solchen Gefühlen überhaupt fähig sind.“ Sie kämpft um ihre Fassung und reibt sich dann über sich selbst verärgert über die nassen Augen. „Du bist zu solchen Gefühlen fähig“, erklärt sie entschieden. „Hättest du mich sonst schon zweimal gerettet? All das, was du für mich auf dich genommen hast, das macht man doch nur, wenn man für den anderen etwas empfindet.“ Sie weigert sich entschieden, zu glauben, dass sie nie eine Chance bei ihm hatte. All die Zeit, die sie zusammen waren, der Tag, wo sie sich gemeinsam das Sommerfeuerwerk ansahen, wo sie mit ihm shoppen ging, all die kleinen, ungestörten Momente, wo er ihr bei MgRonald's half, wenn sie mit einer neuen Maschine nicht zurechtkam, die Abende, wo sie zusammen in seiner Wohnung beim Abendessen saßen, lachten und scherzten und all die Momente, wo er sie in den Arm nahm, nachdem er sie aus Lebensgefahr rettete – all das und noch viel mehr sollte nichts zu bedeuten haben? Das kann sie nicht glauben. Und warum ausgerechnet Urushihara? Ashiya – das hätte sie ihm eher zugetraut, aber – Urushihara? Lucifer? Dieser kleine, hinterhältige Nerd? Dieses Kellerkind? Dieser antisoziale Psychopath? Ausgerechnet der? Was hat der, was ich nicht hab? „Chiho.“ Mao bleibt stehen und sieht sie ernst an. „Ich entschuldige mich bei dir, wenn ich in dir in irgend einer Form Hoffnungen geweckt habe. Wenn dem so ist, dann geschah es nicht aus Absicht. Ich schätze dich als Kollegin und ja, auch als Freundin, aber ich bin schon vergeben. Seit knapp zweihundert Jahren. Und ich bereue keine einzige Sekunde davon.“ Sie spürt, wie sich ihre Augen wieder mit Tränen füllen, aber diesmal wischt sie sie nicht fort. „A-auch nicht die letzten Wochen?“ bringt sie mit zitternder Stimme hervor. „Nein. Auch die nicht.“ In seine Augen kehrt der warme Glanz zurück, doch sie bezweifelt, dass sie der Grund dafür ist. „Keine einzige Sekunde“, bestätigt er mit einem entschiedenen Nicken und einem versonnenen Lächeln auf den Lippen. Sie schluckt nur einmal schwer, murmelt einen Abschiedsgruß und eilt davon. Sie bemüht sich sehr, ihr Gesicht zu wahren und nicht zu rennen, egal, wie sehr es sie danach drängt. Und sie ist wirklich, wirklich froh, dass Mao ihre Tränen nicht sehen kann, die ihr jetzt ungehemmt über die Wangen rollen. Sie kann es nicht akzeptieren. Sie weigert sich, das zu akzeptieren. Sie muss dringend mit Emi darüber reden. Die Heldin weiß ganz sicher Rat.       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)