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The Tiger and the Wolf

von

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Neue und altbekannte Gesichter

Die Sommerferien waren zu Ende und damit begann der alltägliche Wahnsinn an der Beacon Hills High. Das bedeutete auch wieder täglich den Pärchen ausgesetzt zu sein, die Händchenhaltend durch die Korridore schlenderten, Zärtlichkeiten austauschten, und ihre Liebe gar nicht zu verbergen versuchten. Wer konnte es ihnen auch verdenken? Seinen Seelengefährten zu finden, das musste ein himmlisches Gefühl sein. Stiles und Derek konnten gar nicht mehr die Finger voneinander lassen und das, obwohl sie sich öfter stritten als Scott lieb war. Ihm waren diese Momente immer peinlich, zumal Stiles meist die Oberhand behielt und Derek dann ungenießbar war. So auch heute, als er gemeinsam mit den beiden im schwarzen Camaro zur Schule fuhr.
 

„Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass du gefälligst Ordnung halten sollst, Stiles. Du bist kein Kleinkind mehr“, schnaubte Derek genervt, die Finger der rechten Hand um das Lenkrad gekrallt.
 

„Ich halte Ordnung. Es ist ein geordnetes Chaos“, entgegnete Stiles und kramte in seinem Rucksack herum. „Nur weil du es nicht geistig erfassen kannst, Derek, ist es noch lange nicht mit Unordnung gleichzusetzen.“
 

„Denkst du, ich habe nichts anders zu tun als dir dauernd hinterher zu räumen? Dein Kleiderschrank gleicht einem einzigen Schlachtfeld und ich habe manchmal die Vermutung, die Pizzarkartons erwachen zum Leben.“
 

Scott seufzte innerlich und starrte gedankenverloren auf seinen Oberarm, dort wo zwei Buchstaben ihren Platz gefunden hatten: Ein L und ein A. Das waren die Initialen seines Seelengefährten. Stiles trug Dereks Initialen auf der linken Brust, Allison die von Isaac auf ihrem Handgelenk und Lydia jene von Aiden an der Hüfte. Jeder von ihnen war bereits mit seinem Seelengefährten verbunden, glücklich, sogar die zwei zeternden Kerle vor ihm. Obwohl es zwischen ihnen regelmäßig krachte, was vor allem an Stiles´ provozierendem Sarkasmus lag, liebten sie sich doch innig und auch, wenn Stiles sich die größte Mühe gab, seinen besten Freund nicht im Stich zu lassen, so wollte Scott nicht zwischen ihm und Derek stehen.
 

„Erde an Scott?“, riss ihn Stiles´ Stimme aus seinen Gedanken.
 

„Hm? Was?“, fragte Scott perplex und schüttelte den Kopf.
 

„Du starrst schon wieder auf deinen Oberarm, als wäre der Sinn des Lebens dort zu finden“, gluckste sein bester Freund. „Mach dir keinen Kopf, du findest deinen Seelengefährten bestimmt bald.“
 

„Mh, wie auch die letzten beiden Jahre zuvor, hm?“, murmelte Scott und war ehrlich gesagt froh, als sie vor der High School anhielten.
 

„Klar, du bist schließlich ein Alpha, Scott. Der Alpha der Alphas, der Spitzenpredator, erinnerst du dich noch an unser Gespräch?“
 

„Jenes Gespräch, in dem du ihn als das heiße Girl betitelt hast?“ Dereks Stimme triefte nur so vor beißendem Spott.
 

„Weißt du eigentlich, dass du ein riesiger Arsch bist?“, fuhr Stiles ihn an.
 

„Ich bin ein Realist, das ist alles.“
 

Scott schob den Ärmel seines Shirts nach unten und wartete geduldig darauf, dass Stiles und Derek ihre Diskussion beendeten, wobei er sich bemühte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr in dieses Gespräch nervte, verabschiedete sich und schulterte seinen Rucksack. Kaum zehn Sekunden später war sein bester Freund bereits neben ihm und klopfte ihm entschuldigend auf die Schulter.
 

„Tut mir leid, Bro, aber du weißt wie Derek es meint, oder? Er mag dich und will nur das Beste für dich.“
 

„Schon okay, wirklich“, log Scott. „Derek ist eben Derek.“
 

Die beiden Freunde unterhielten sich noch eine ganze Weile, auf Allison und Isaac wartend, als ihnen ein schwarzer Sportwagen ins Auge stach. Der feuchte Traum eines jeden Jugendlichen ihrem Alter: Heckspoiler, breite Reifen, Heckdiffusor, Carbon-Motorhaube, zusätzliche Luftschlitze zur Kühlung und ein bestechender Sound.
 

„Ist das Jacksons Neuer? Wenn ja, dann hat er ein Problem, denn dieser Wagen kann unmöglich eine Straßenzulassung besitzen. Alleine schon dieses Auspuffsystem…“ Stiles nickte in Richtung der zur Seite abstehenden Rohre, welche knapp hinter den Türschlitzen verbaut worden waren.
 

Scott bemühte sich durch die schwarz getönten Scheiben etwas erkennen zu können, doch selbst unter Zuhilfenahme seiner Werwolfkräfte war das nicht möglich.
 

„Und? Ist er es?“
 

„Keine Ahnung, ich kann es nicht erkennen“, gestand Scott und versuchte erneut erfolglos den Fahrer des Wagens zu identifizieren.
 

„Wie, du kannst es nicht erkennen? Nicht einmal mit deinem Super-Alpha-Blick?“
 

„Nein.“
 

Der Sportwagen, Marke Mercedes, bog tatsächlich genau auf den Parkplatz ein, der normalerweise für Jacksons Porsche reserviert war. Damit schien das Rätsel bereits gelöst, wäre nicht just in diesem Moment auch dessen silberfarbener Flitzer aufgetaucht.
 

„Wer zum Teufel ist das? Der Wagen ist nicht einmal auf einen Wohnsitz hier zugelassen, sieh nur, das ist ein britisches Kennzeichen“, fragte Stiles seinen besten Freund.
 

„Ich habe keine Ahnung, aber er spielt mit dem Feuer, wenn er sich mit Jackson anlegt“, entgegnete Scott und beobachtete, wie Jackson neben dem Unbekannten parkte und äußerst angefressen wirkend ausstieg. Mittlerweile waren sie nicht mehr alleine, denn gefühlt die halbe Schule hatte sich zu ihnen gesellt, alle das Spektakel begaffend.
 

Die Fahrertür des Mercedes schwang nach oben und ein Junge in ihrem Alter stieg aus: Dunkelblonde, fast schon braune Haare, grau-grüne Augen, die in jenem Moment zum Vorschein kamen, als er die Sonnenbrille abnahm und sie an den Kragen seiner schwarzen-gelben College-Jacke steckte, einen desinteressierten Gesichtsausdruck aufgesetzt, während Jackson ihn nach allen Regeln der Kunst anfuhr.
 

„Das ist mein Parkplatz. Verpiss dich!“, hallte es quer über den Schulhof.
 

Der Fremde ignorierte Jackson gekonnt, umrundete den Wagen und öffnete den Kofferraum, um einen zusammengeklappten Rollstuhl hervorzuziehen und damit auf die Beifahrerseite zusteuerte. Jackson indes ging zu einigen wüsten Beschimpfungen über.
 

„Hey, Arschgeige, ich rede mit dir. Nochmal, ganz langsam, damit auch du es begreifst: Das da ist mein Parkplatz.“
 

Unbeirrt begann der Neue damit, den Rollstuhl auseinanderzuklappen, die Beifahrertür zu öffnen und jemandem in den Rollstuhl zu helfen. Scott brauchte einen Moment, um zu begreifen, wer sich da gerade helfen ließ.
 

„Ist das wirklich der, von dem ich denke, dass er es ist?“, fragte Stiles ungläubig.
 

„Ja“, bestätigte Scott, wobei ihm bei diesem Anblick das Blut in den Adern gefror.
 

Auch Jackson war verstummt, sobald er erkannte, wer da im Rollstuhl saß. Seine Gesichtsfarbe wechselte von einem zornigen hellrot zu aschfahl. Zitternd machte er zwei, drei Schritte nach hinten, während der fremde Junge die Autotüren zumachte und sich dann die Griffe des Rollstuhls schnappte.
 

„Sitzt du bequem?“, wollte er wissen.
 

„Ja.“ Der alte Mann rutschte noch ein wenig im Sitz hin und her, bevor er herumgedreht wurde und sein Blick auf Jackson fiel. „Hast du etwas, mein Junge?“, fragte er mit unschuldiger Stimme. „Ich denke, du wirst einem alten Mann, der obendrein nach wie vor dein Direktor ist, verzeihen, dass er seinem Enkel nicht noch mehr Mühen bereiten möchte, als ohnehin schon. Meine Wenigkeit wird darauf verzichten, dich gleich für das restliche Jahr zum Nachsitzen zu verdonnern. Oder was meinst du, Luke?“ Gerard legte den Kopf in den Nacken und starrte zu dem Jungen nach oben.
 

„Er war ausfällig, Grandpa. Mach, was du für richtig hältst.“
 

Scott traute seinen Ohren nicht, genauso wie Stiles. Grandpa? Enkel? Das hieß, dass es sich da vorne um einen Argent handeln musste. Mehr noch: Er musste Allisons Bruder sein. Das konnte Scott kaum glauben, davon hätte sie sicherlich einmal erzählt.
 

„Belassen wir es dabei. Ich möchte in mein Büro“, wies Gerard den Jungen an, der sich sogleich mit ihm in Bewegung setzte. Als das Duo Scott und Stiles passierte, hob der alte Mann die Hand, wobei ihm die Bosheit aus den Augen blitzte.
 

„Scott, Stiles, wie schön euch zu sehen“, meinte er fröhlich und bedeutete seinem Enkel mit einer Handbewegung stehen zu bleiben. „Ihr kennt meinen Enkel noch nicht, oder?“
 

In Scott regte sich etwas. Wütend fixierte er Gerard und seine Augenbrauen wanderten dabei nach unten. Das war unmöglich. Sie hatten ihn mit Eberesche vergiftet, und die Verwandlung damit verhindert. Das letzte Mal, als er den Patriarch der Familie Argent gesehen hatte, hatte dieser schwarzes Blut gespuckt und sich kaum aufrecht halten können.
 

„Tun wir nicht, wie denn auch? Unsere bisherigen Aufeinandertreffen haben sich bisher kaum mit solchen Dingen befasst, oder? Ich meine, letztes Mal etwa, da…“ Scott rammte Stiles den Ellenbogen gegen die Brust, was diesen zu einem aufgebrachten „Au“, verleitete, aber verstummen ließ.
 

„Dann wird es aber Zeit“, meinte Gerard. „Das ist mein Enkel Luke. Luke, das sind Scott und Stiles, so etwas wie Freunde des Hauses, vor allem Scott.“ Die Betonung seines Namens gefiel dem Werwolf gar nicht.
 

„Freut mich“, war Lukes kurz angebundene Antwort. „Grandpa, ist dir auch nicht zu kalt? Soll ich dir eine Decke holen?“
 

„Mein lieber Junge, es sind fast zwanzig Grad. Ich bin vielleicht ein Krüppel, aber keinesfalls schon dem Grab so nahe, dass ich bei diesen Temperaturen frieren würde“, lachte Gerard. „Wir müssen nun aber wirklich. Man sieht sich.“
 

Scott und Stiles starrten den beiden nach.
 

„Hast du gerade gesehen, was ich gesehen habe?“
 

„Habe ich, Stiles“, bestätigte Scott ihm.
 

„Und hast du auch gesehen, wie er ihn behandelt hat?“
 

„Habe ich, Stiles.“
 

„Und was unternehmen wir dagegen?“, wollte sein bester Freund wissen. „Ich meine, das bedeutet Ärger und zwar in riesigem, gigantischem, wenn nicht sogar phänomenalem Ausmaß.“
 

„Das wissen wir doch noch gar nicht, Stiles“, entgegnete Scott, wobei die Zweifel in seiner Stimme kaum zu überhören waren.
 

„Einmal nur deine Ruhe und dein Vertrauen, Scott..."
 

„Allison hätte uns sicher vorgewarnt, wenn er Ärger bedeuten würde, oder?“
 

„Alleine schon die Tatsache, dass du deine Frage mit einem Oder beendest, zeugt davon, dass du meiner Meinung bist, Scott, aber von mir aus“, Stiles warf die Hände theatralisch in die Luft, „frag doch vorher noch Allison. Ich habe sowieso Recht, und das weißt du.“
 

„Ich hoffe nicht“, murmelte Scott und steuerte damit den Eingang der High School an. Das konnte ja heiter werden.

Passspiel

Die erste Stunde bestand aus Sport, getrennt für Jungen und Mädchen. Das verwehrte Scott und Stiles zwar die Möglichkeit, sich mit Allison über ihren vermeintlichen Bruder auszutauschen, aber sie hatten immerhin Isaac, den sie gleich über den neuesten Stand unterrichteten, während sie sich umzogen.
 

„Und ihr seid euch ganz sicher, dass er Grandpa gesagt hat?“, fragte Isaac kritisch.
 

„Ja doch!“, murrte Stiles leicht genervt. „Denkst du, wir haben Probleme mit den Ohren?“
 

„Ich kann das kaum glauben. Allison hätte von einem Bruder oder Halbbruder erzählt, wenn nicht euch, dann wenigstens mir. Ihr Vater hat auch nie etwas dergleichen fallen lassen.“
 

„Das ist nicht mal unser größtes Problem“, meinte Stiles.
 

„Das da wäre?“, fragte Scott mit hochgezogenen Augenbrauen. „Dass wir Gerard weiterhin am Hals haben?“
 

„Nein, Bro. Denk mal nach. Wie lautet Allisons Nachname?“
 

„Ähm… Argent?“, war Scotts verwirrte Antwort.
 

„Sehr richtig“, nickte Stiles und tippte dann auf Scotts rechten Oberarm, was Scott noch mehr Fragezeichen ins Gesicht zauberte. Sein bester Freund seufzte nur leise und führte seine Gedankengänge weiter aus: „Wie lauten denn die Initialen deines Seelengefährtens, Scott?“
 

„L und A? Warum fragst du? Das weißt du do…“ Genau in diesem Moment fiel der Groschen. Wenn Luke der Enkel von Gerard war, und der vermeintliche Bruder von Allison, dann war es auch naheliegend, dass er deren Nachnamen teilte: Argent. Luke Argent – L und A.
 

„Du meinst…“, begann Scott und die Aufregung in seiner Stimme war förmlich greifbar.
 

„Das meine ich“, bestätigte Stilinski Junior.

Mit einem Mal wurde Scott ganz anders. Er spürte ein Kribbeln in seinem Bauch, ihm wurde heiß und zeitgleich kalt, ein Ziehen in seiner linken Brust und seine Finger umklammerten förmlich Stiles´ Hand auf seinem Oberarm, der bereits scharf die Luft einsog und ein gequältes Gesicht machte.
 

„Alter, lass los, du tust mir weh“, zischte sein bester Freund. „Mir gefällt die Vorstellung auch nicht, dass du an so jemanden gebunden sein sollst, deswegen breche ich dir aber auch nicht die Hand.“
 

„Das ist es nicht“, meinte Scott aufgeregt und ließ Stiles los, wobei er ihm einen entschuldigenden Blick zuwarf. „Sorry, Bro, aber, weißt du, was das bedeutet?“
 

„Dass dein Seelengefährte der Enkelsohn eines psychopathischen Irren ist, der mehrfach versucht hat einen von uns zu töten, und den er obendrein auch noch sehr zu mögen, wenn nicht sogar zu lieben scheint, so wie er mit ihm umgegangen ist?“ Stiles schüttelte seine Hand aus. „Wenn du das als Zugewinn siehst, Scott, dann sollten wir uns Gedanken darüber machen, ob du nicht eventuell seit deinem Aufstieg zum Alpha irgendwelche Hirnareale verloren hast.“
 

Isaac schüttelte nur den Kopf und nickte in Richtung Luke, der im Abseits stand, die Arme vor der Brust verschränkt, an einen der Spinde gelehnt, gekleidet in ein schwarzes Sweatshirt, kurze Trainingshosen und dazu farblich abgestimmten Turnschuhen, allesamt sündhaft teure Markenklamotten.
 

„Das soll also Scotts Seelengefährte sein?“
 

„Kannst du es ausschließen?“ Stiles zuckte mit den Schultern. „Es wäre naheliegend, oder?“
 

„Dass Scott mit einem psychopathischen Spinner verbunden sein soll?“ Isaac schüttelte erneut den Kopf. „Ich glaube nicht, dass dem so ist. Es sei denn, du schätzt ihn falsch ein.“
 

„Na du musst gerade reden. Er ist am Ende so etwas wie dein Schwager und, wenn ich dich daran erinnern darf, ist Allison genauso die Enkeltochter dieses Wahnsinnigen, wie dieser Luke es zu sein scheint. Damit bist du genauso mit jemandem verbunden, der…“
 

„Leute, es reicht“, fiel Scott Stiles entschieden ins Wort und brachte das Gespräch damit zum Erliegen. „Wir wissen noch gar nicht, ob und inwieweit er Allisons Bruder, oder Halbbruder, oder was auch immer ist. Genauso wenig wie wir eine Ahnung davon haben, ob er etwas von Gerard weiß, wie er sich verhält und ob er überhaupt mein Seelengefährte ist.“ Die letzten Worte versetzten Scott einen kleinen Stich. Seine Worte straften ihn Lügen: Er hoffte inständig, dass dem doch so war, nur damit diese elendige Warterei ein Ende hatte. Stiles hatte Derek bald gefunden, genauso wie Allison zu Isaac. Er wollte nicht länger das fünfte Rad am Wagen sein, auch wenn sich jeder bemühte, ihm genau dieses Gefühl nicht zu vermitteln.
 

Stiles setzte bereits zu einer Erwiderung an, als die Diskussion durch einen auftauchenden Coach Finstock unterbrochen wurde, der, wie jedes Jahr, Schwierigkeiten hatte, die Namen den Gesichtern zuzuordnen. Deswegen folgte die allseits gefürchtete Liste, mithilfe derer er begann, die Schüler einzeln aufzurufen, und auch nur die Nachnamen.
 

„McCall, Lahey, Stilinski, Whittemore…”, ging der Coach die Namen durch, bis er zu „Taylor“ gelangte und aufsah. „Wer zum Teufel ist Taylor?“
 

„Das bin ich“, meldete sich Luke zu Wort und hob die Hand.
 

Damit brach für Scott eine kleine Welt zusammen. Er klammerte sich an Stiles, als die Welle der Enttäuschung über ihn hereinschwappte. Taylor fing mit einem T an, nicht mit A. Er war wieder zum sehnsüchtigen und schmerzhaften Warten verdammt. Stiles klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter, genauso wie Isaac.
 

„Schon gut, Bro, wir finden ihn schon noch, und bis dahin sind wir für dich da, ja?“, flüsterte ihm Stiles zu.
 

„Natürlich sind wir das. Wir sind ein Team“, pflichtete Isaac ihm bei.
 

„Danke, Jungs“, murmelte Scott und unterdrückte ein Seufzen.
 

„Bist du neu?“, wollte Finstock wissen und notierte irgendetwas auf seinem Klemmbrett.
 

„Bin ich“, bestätigte Luke und stieß sich vom Spind ab. „Luke Taylor.“
 

„Ah ja. Gut, dann sind wir durch. Wir spielen heute Fußball“, kündigte der Coach an, nachdem er mit seinen Kritzeleien fertig war, was ein lautes Stöhnen vonseiten der Klasse erreichte. „Anordnung von oben. Zwei Teams, Jackson und… McCall, ihr wählt aus. Macht euch fertig, wir treffen uns dann in der Halle.“
 

„Spielen wir nicht draußen, Coach?“, erkundigte sich Greenburg.
 

„Tun wir nicht. Was ist das überhaupt für eine dumme Frage, Greenburg?“ Damit ließ der Coach sie wieder alleine.
 

Kaum, dass sie alle die Sporthalle betreten hatten, ging das Auswählen der Mannschaft los. Jackson hatte unter anderem Boyd, Danny und Ethan im Team, während Scott sich für Stiles, Isaac und Aiden entschied.
 

„Wähl Greenburg“, riet Stiles Scott, welcher neben ihm stand.
 

„Warum sollte ich?“
 

„Weil wir Greenburg kennen. Eine bekannte Komponente ist immer besser als eine unbekannte.“
 

„McCall, wird das heute noch was?“, mischte sich Jackson ein. „Nimm doch den Loser.“ Dabei nickte er in Richtung Lukes. „Dann habt ihr wenigstens etwas gemeinsam: Ihr seid alle Nieten.“ Diese Worte bereute Jackson sogleich, als hinter ihm ein leises Knurren zu hören war.
 

Luke hatte die Hände in die Hosentasche geschoben und seine Arme nach außen gebogen. Er bedachte Jackson mit einem Stirnrunzeln, enthielt sich aber jeglichen Kommentars. Sein Blick wanderte dann abwartend zu Scott.
 

„Ich wähle Luke“, entschied dieser schlussendlich.
 

„Alter, spinnst du?“, zischte ihm sein bester Freund ins Ohr.
 

Scotts Gefühl hatte ihm gesagt, dass er Luke wählen sollte, auch wenn dieser nicht sein Seelengefährte war. Eine reine Bauchentscheidung und sein Bauchgefühl hatte ihn bisher nie im Stich gelassen.
 

„Wenn wir nicht nett zu ihm sind, hat er auch keinen Grund nett zu uns zu sein. Zumal er sich bisher uns gegenüber nicht negativ verhalten hat. Also gib dir einen Ruck, Stiles.“
 

„Wenn du meinst, ich halte das aber für einen Fehler.“
 

„Ich weiß. Vertrau mir einfach“, gab Scott zurück. „Ich weiß schon was ich tue.“
 

„Du selbst hast einmal gesagt, dass du nie genau weißt, was du tust, Scott.“ Stiles klopfte seinem besten Freund noch einmal auf die Schulter und damit kamen die Teams zusammen.
 

„Gut, dann beratet euch kurz, nehmt Aufstellung und bringen wir es hinter uns“, rief der Coach und bekundete damit auch sein Desinteresse bezüglich der heutigen Trainingseinheit.
 

Die beiden Mannschaften steckten jeweils sinnbildlich die Köpfe auf der entgegengesetzten Seite der Halle zusammen. Scott hatte ganz selten Fußball gespielt, daher überließ er Stiles die Planung. Nicht, dass dieser ein Ass gewesen wäre, aber Stiles´ Allgemeinwissen war herausragend und damit war er prädestiniert dafür, so etwas wie eine Taktik herauszuarbeiten.
 

„Ich schlage vor, Scott und Aiden gehen nach vorne, während der Rest hinten bleibt, und Isaac den Torwart mimt. Wir haben sowieso nicht ausreichend Leute, um ein echtes Spiel zu simulieren, von daher…“, begann Stiles seine Gedankengänge auszuführen. Was er da von sich gab machte durchaus Sinn und Scott nickte einfach alles ab, wie auch der Rest.
 

„Gut, noch irgendwelche Einwände?“, erkundigte sich Stilinski Junior.
 

„Ja.“
 

Alle Köpfe fuhren schlagartig herum und richteten sich auf Luke, der die Hände noch immer in den Hosentaschen hatte. Stiles´ Gesicht verfinsterte sich.
 

„Ah ja? Und welche denn?“
 

„Ich will mit Scott spielen.“ Das war weder eine Frage noch eine Bitte gewesen.
 

„Ich glaube kaum, dass du das willst. Scott wird wahrscheinlich schneller sein als du, genauso wie Aiden. Die beiden harmonieren perfekt miteinander.“
 

Eine glatte Lüge. Aiden und Scott verstanden sich zwar, vor allem wegen Lydia, es aber als harmonieren zu bezeichnen, war zu viel des Guten. Scott legte den Kopf ein wenig schief, während er seinen Freund und den Neuen dabei beobachtete, wie sie miteinander diskutierten.
 

„Mag schon sein, aber ich glaube, keiner von den beiden, oder überhaupt jemand von euch, hat sich je aktiv mit dieser Sportart auseinandergesetzt“, entgegnete Luke ruhig auf Stiles´ Einwand, dass er kaum mit Scott und Aiden mithalten konnte. „Ich bin an meiner alten Schule in Cambridge der Mannschaftskapitän gewesen, wie auch Stürmer. Vertrau mir einfach, wenn ich sage, dass es besser ist, mich in der Offensive, und nicht in der Defensive, zu verwenden.“
 

Das Gezanke ging noch ein, zwei Minuten so weiter, bis sich alle Blicke auf Scott richteten, in Erwartung der endgültigen Entscheidung.
 

„Also?“, fragten Luke und Stiles einstimmig.
 

„Ich…“ Scott schaute zwischen den beiden hin und her. Wie sollte er schlussendlich entscheiden? Stiles war sein bester Freund und er hatte eigentlich nahezu immer Recht, während Luke komplett neu war, aber anscheinend Erfahrung besaß. Normalerweise musste er Stiles beipflichten, denn rational betrachtet waren seine Worte korrekt. Sein Kopf sagte ihm etwas anderes als sein Bauch.
 

„Luke geht anstelle von Aiden nach vorne“, beschloss Scott schlussendlich.
 

„Eine weise Entscheidung, du wirst sehen“, nickte ihm Luke zu.
 

„Eine Katastrophe, du wirst sehen“, hielt Stiles dagegen.
 

„So, Aufstellung! Die Torwarte schnappen sich noch jeweils ein Paar Handschuhe!“, rief der Coach.
 

Nach den ersten paar Minuten zeigte sich, dass die Entscheidung, Luke in die Offensive zu stellen, die richtige gewesen war. Der Brite und Scott harmonierten tatsächlich perfekt zusammen, obwohl Letzterer kaum etwas mit dem Spiel anzufangen wusste. Luke behielt den Ball meist bei sich und bootete die gegnerische Mannschaft aus. Selbst die Werwölfe der Gegenseite, also Jackson, Ethan und Boyd, hatten Mühe, ihm den Ball streitig zu machen. Wenn er denn einmal in Bedrängnis kam, gab er an Scott ab, der ihn alsbald wieder zurückspielte. Es dauerte keine fünfzehn Minuten, bis sie das erste Tor erzielt hatten.
 

„Du hast ein gutes Ballgefühl“, stellte Luke fest, während er mit Scott abklatschte.
 

„Findest du?“ Scott freute sich tatsächlich über dieses Kompliment und strahlte seinem Mitspieler entgegen.
 

„Ja. Ich habe schon lange mit niemandem mehr gespielt, der so gut mit mir harmoniert hat. Wenn du mit diesem Aiden noch besser zusammenarbeiten kannst, dann…“
 

„Tue ich nicht“, unterbrach ihn Scott. „Überhaupt nicht.“ Seine Wangen glühten fast schon, als er ein verlegenes Lächeln auf Lukes Lippen erkennen konnte. Eine Zahnspange blitzte dabei hervor und verlieh ihm fast schon etwas Niedliches.
 

Sie nahmen erneut Aufstellung und als der Pfiff des Coachs ertönte, schnappte sich Luke den Ball, umging Jackson damit und passte zu Scott, bevor Ethan ihn erreichen konnte. Der Werwolf seinerseits wich Boyd aus und spielte zu Luke zurück, als Danny ihm gefährlich nahe kam. Es war als hätten sie seit Jahren nichts anderes getan, als würden sie vorausahnen, was der andere machte, bevor es überhaupt passierte.
 

„Das ist unmöglich! Der Typ muss betrügen!“, brauste Jackson auf, als Luke das zweite Tor geschossen hatte. „Die Arschgeige kann nicht schneller sein als wir.“
 

„Bin ich auch nicht“, korrigierte ihn Luke und wischte sich mit dem Shirtärmel über die Stirn, wobei er sich neben Scott stellte. „Du bist viel zu egoistisch in deiner Spielweise und dir fehlt es an der nötigen Technik.“ Der Brite nickte Scott zu. „Wir zwei hingegen spielen so, dass wir uns gegenseitig ergänzen. Du bist einfach ein lausiger Kapitän, das ist alles.“
 

Jacksons Gesichtsausdruck verhärtete sich und seine Augen glühten auf, als er die Hände zu Fäusten ballte. Ein leises Knurren entsprang seiner Kehle und er fixierte Luke, welcher nur die Augenbrauen in die Höhe zog.
 

„Jackson, nicht“, warnte ihn Scott und machte sich bereit, ihn vor einer Dummheit zu bewahren.
 

„Du machst dir gerade einen großen Feind. Irgendwann ist dein neuer Freund nicht in der Nähe, um dich zu beschützen“, drohte Jackson und straffte seine Haltung dabei wieder ein wenig.
 

„Schlechter Verlierer, was?“, spottete Luke. „Ich möchte dich auch dahingehend korrigieren, dass ich jemanden bräuchte, der auf mich aufpasst. Dem ist nicht so. Wenn du unbedingt möchtest, dass du Probleme bekommst, nur zu.“
 

„Ich…“, schnaubte Jackson und machte einen Schritt auf die beiden zu, als Danny eingriff und seinen Freund an der Schulter packte.
 

„Rivalität, sehr gut!“, meldete sich der Coach begeistert zu Wort. „Das ist genau das, was wir brauchen. Jackson, dadurch wird man zu Höchstleistungen motiviert. Taylor und McCall werden in Zukunft regelmäßig ein Paar bilden, damit du dich noch weiter steigern kannst. Lass deine Wut raus.“
 

Scott biss sich auf die Unterlippe, während er dabei zusah, wie auch Ethan sich zu Danny gesellte, um ihn zu beruhigen. Das würde in einer Katastrophe enden, ganz sicher. Zumal auffällig war, dass Luke nicht zurückgewichen war, als Jacksons Augen aufgeglüht hatten.
 

„Coach, die Stunde ist bald vorbei“, mischte sich Stiles ein und deutete auf die große Plastikuhr über dem Eingang.
 

„Stimmt auffallend, Stilinski. Nun gut, damit sind wir für heute fertig. Dieses Spiel hatte also doch einen Sinn. Sehr schön.“ Coach Finstock ging zu Jackson und klopfte ihm auf die Schulter. „Diesen Eifer will ich beim nächsten Lacrossespiel auch sehen. Damit werden wir die Meisterschaften dieses Jahr mühelos gewinnen.“
 

Wenn Blicke hätten töten können, dann wäre Luke wahrscheinlich tot umgefallen, so wie Jackson ihn ansah. Er ließ erst von seinem neuerklärten Feind ab, nachdem ihn der Coach zu sich herumgedreht hatte und darauf einschwor, sich sein Feuer zu bewahren. Motivationsreden waren noch nie Finstocks Stärke gewesen.
 

„Was ein Vollidiot“, murmelte Luke und wandte sich ab. „Ist er immer so drauf?“, wollte er von Scott wissen, der zu ihm aufschloss.
 

„Naja, Jackson ist eben… Jackson.“
 

„Ein verwöhntes Gör?“
 

„Kann man so sagen.“
 

„Ekelhafter Typ, aber egal.“ Luke hielt Scott seine Hand hin. „Ich glaube, wir haben uns noch nicht richtig vorgestellt: Ich bin Luke.“
 

„Und ich bin Scott“, lächelte der Werwolf und schlug ein.
 

„Freut mich. Wir waren ein echt gutes Team, findest du nicht?“
 

„Waren wir“, bestätigte Scott. „Freut mich auch.“
 

„Mh“, machte Luke. „Räumen wir eben noch die Tore weg und ziehen uns dann rasch um, sonst kommen wir zu spät.“ Damit deutete er auf die Uhr über dem Eingang. „Keine Ahnung wie ihr es hier haltet, aber zuhause waren die Lehrer immer fuchsteufelswild, wenn wir auch nur einmal zu spät kamen.“
 

„Das wird hier mit Nachsitzen bestraft“, bekräftigte Scott ihn.
 

„Also wie in Großbritannien“, lachte der Brite. „Komm, beeilen wir uns, ich habe keine Lust, mich gleich am ersten Tag darauf herausreden zu müssen, der Enkel vom Direktor zu sein.“
 

Nach getaner Arbeit steuerten sie beide die Umkleide an.

Hinter jeder Narbe steckt eine Geschichte

Scott und Luke waren die Letzten und hatten damit auch ihre Ruhe in der Umkleide. Dem jungen Alpha brannten dutzende Fragen unter den Nägeln, unter anderem, wer Luke nun genau war, der Grund seines Hierseins oder einfach nur, wie er sich einen so teuren Sportwagen in diesem Alter leisten konnte. Daneben wirkte sogar Jacksons Porsche wie ein kleines Matchboxauto. All diese Gedanken erübrigten sich just in dem Moment, als Luke sein Shirt nach oben zog und oberkörperfrei vor Scott stand.
 

Der junge Brite war durchtrainiert und das bis aufs Äußerste, mehr noch als Derek oder Danny. Er schien kaum ein Gramm Fett zu viel auf den Rippen zu haben. Nicht, dass Scott hätte starren wollen, aber er tat es. Er selbst konnte mit Fug und Recht behaupten keinen schlechten Körperbau zu besitzen, aber neben Luke wurde er fast ein wenig neidisch. Es war aber nicht nur diese Tatsache, warum Scott den Oberkörper seines neuen Mitschülers betrachtete, nein, er suchte nach etwas Bestimmtem.
 

„Wenn du noch mehr glotzt, fallen dir die Augen raus“, schmunzelte Luke und wischte sich mit dem durchgeschwitzten Shirt notdürftig über den Körper.
 

„Ich wollte gar nicht…“, stotterte Scott ertappt und fragte sich gerade, was mit ihm los war. Nicht, dass er keinen Sinn für Ästhetik gehabt hätte und als Teenager waren die eigenen Gedanken sowieso manchmal ein wenig überspannt, und Luke sah gut aus, zweifelsohne, aber, das war es nicht. Nein, er suchte verzweifelt nach etwas und schämte sich dafür.
 

„Was denn? Starren? Gaffen?“ Ein Grinsen stahl sich auf Lukes Lippen.
 

„Nein, das ist es nicht. Ich, ähm, ich…“ Scott fiel es schwer seine Gedanken in Worte zu verpacken. Er suchte nach dem Mal für Lukes Seelengefährten. Den Initialen. Warum wusste er selbst nicht so genau. Sie waren eindeutig nicht füreinander bestimmt, denn Lukes Nachname begann nicht mit einem A, und trotzdem keimte so etwas wie Hoffnung in Scott auf. Die Hoffnung, dass er seinen Seelengefährten vielleicht doch gefunden hatte und das Universum ihm nur einen Streich spielte.
 

„Du?“ Luke legte den Kopf ein wenig schief und kam auf Scott zu. „Was ist denn los? Ich meine, du hast doch deinen Seelengefährten sicherlich bereits gefunden, oder? Da ist ein wenig Starren durchaus erlaubt. Wie lautet diese bescheuerte Binsenweisheit? ‚Appetit auswärts, Essen aber zuhause‘ oder so irgendwie.“ Seine Worte klangen dabei fast schon ein wenig bedauernd, wie Scott auffiel.
 

„Nein, habe ich nicht“, gestand der Werwolf leise und senkte den Blick ein wenig. „Ich warte schon eine ganze Weile.“
 

„Das ist schade, aber ich bin mir sicher, Scott, du findest deinen Seelengefährten bald.“
 

Scott zögerte einen Moment, ehe er aufsah und mit einem breiten, zahnspangengespickten Lächeln konfrontiert wurde. Luke streckte seine Hand aus und klopfte Scott auf die Schulter. Dabei fiel dem Werwolf erst jetzt auf, dass der Brite eine große Narbe an der linken Seite hatte. Sie stach kaum aus dem blassen Hautbild hervor, erst wenn man genauer hinsah, konnte man sie aber erkennen. Luke schien seinen Blick zu bemerken, denn er zog seine Hand zurück und machte einige Schritte nach hinten. Das Lächeln wurde ein wenig schmäler, fast schon traurig, während er das Wundmal mit seinem Zeigefinger entlangstrich.
 

„Das Ding wird mich wohl ewig verunstalten“, seufzte Luke leise.
 

„Wo hast du sie denn her, wenn ich fragen darf?“, fragte Scott vorsichtig. Man musste kein Werwolf sein, um diese Emotionen zu fühlen. Der Geruch von Verbitterung und Trauer, aber auch Wut, lag in der Luft.
 

„Wenn ich dir jetzt etwas Heroisches erzählen würde, dass ich ein Mädchen vor einer Horde potentieller Vergewaltiger gerettet habe, und sie mir dabei ein Messer in die Seite gerammt haben, würdest du es mir wohl kaum glauben, oder?“ Luke schien einen Moment mit sich selbst zu ringen, bevor er tief Luft holte: „Nichts gegen dich Scott, ich mag dich wirklich und alles, aber das ist sehr persönlich. Reicht es dir, wenn ich dir sage, dass man mir mit dieser Narbe sehr viel genommen hat?“ Seine Stimme war bei jedem Wort leiser und bedauernder geworden.
 

„Natürlich, ich wollte nicht, dass du… also es tut mir leid“, murmelte Scott schuldbewusst.
 

„Du kannst ja nichts dafür. Du kannst deinen Seelengefährten noch finden. Freue dich darauf. Es soll ein unbeschreibliches Gefühl sein, wenn sich zwei Seelen miteinander verbinden, fast schon verschmelzen. So wie Achilles und Patroklos, Lancelot und Guinevere, Romeo und Julia…“ Luke legte seine Hand auf die Narbe und kniff die Augen zusammen. Er wirkte dabei irgendwie verletzt. Ein Schmerz, der beinahe schon greifbar war. Nicht körperlich, sondern emotional.
 

Scott brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Luke da gerade gesagt hatte. Er könne seinen Seelengefährten noch finden. Das bedeutete, dass sein Gegenüber dazu nicht mehr in der Lage war. Es dauerte einen weiteren Augenblick, dann ging ihm ein Licht auf.
 

„Du meinst…“, begann Scott behutsam und nickte in Richtung der Narbe.
 

„Richtig“, bestätigte Luke. „Dort befindet sich eigentlich mein Seelenmal, mein Gegenstück, der Teil meines Lebens, den ich zu finden hoffte.“ Der Brite pausierte einen Moment, bevor sich seine Finger um die Narbe legten, sich förmlich daran festkrallten und er bitter auflachte. „Wie kann man denn etwas vermissen, das man nie besessen hat?“
 

Scott hatte so eine Form von Schmerz selten erlebt: Einmal bei Derek, der nahezu seine gesamte Familie im Feuer verloren hat und bei Allison und Stiles, ob ihrer beiden Mütter. Jeder von ihnen war anders mit dem Schmerz umgegangen, doch am Ende hatten sie ihn nie gänzlich verbergen können. Seinem Gegenüber schien es genauso zu ergehen. Was sollte Scott sagen? Wie sollte er ihn aufmuntern? Konnte man das überhaupt?
 

„Es tut mir leid“, flüsterte der Werwolf leise.
 

„Muss es dir nicht.“ Luke straffte seine Haltung ein wenig und zwang sich zu einem Lächeln. „Du kannst ja nichts dafür, Scott.“
 

„Und es gibt keine Möglichkeit mehr für dich, deinen Seelengefährten zu finden?“
 

„Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Grandpa meinte, dass es durchaus möglich sei, dazu müsste ich aber den Richtigen finden und er sich in mich verlieben. Dann würde das Mal wohl wieder dort erscheinen.“ Scotts Gesprächspartner zuckte ein wenig mit den Schultern. „Grandpa meinte aber auch, dass ich niemanden bräuchte, denn ich sei stark genug, eine Prüfung des Schicksals oder so.“
 

Bei diesen Worten zog sich etwas in Scott zusammen. Das klang stark nach Gerard. Vor allem, wenn er jemanden für sich vereinnahmen wollte. Der alte Mann war ein Meister der Täuschung und Manipulation. Trotzdem, oder gerade deswegen, schien Luke seinen Großvater zu lieben. Hatte er ihn vielleicht gar nicht richtig kennengelernt?
 

„Du magst deinen Grandpa sehr, hm?“, tastete sich der Werwolf vorsichtig voran, während er selbst aus seinen durchgeschwitzten Sachen schlüpfte.
 

„Grandpa ist das Eheste, was ich an Familie habe“, offenbarte Luke und dabei wurden seine Züge wieder ein wenig sanfter. „Er hat sich um mich gekümmert, als ich ihn gebraucht habe und das werde ich jetzt auch bei ihm tun.“
 

Scott hatte Mühe, die Kontrolle zu behalten. Er kannte Gerards Bemühungen um andere und wusste, wie weit der alte Mann ging um seine Ziele zu erreichen. Mehrfach. Jackson konnte davon auch ein Lied singen, genauso wie Allison. Er hätte ohne zu zögern den Seelengefährten seiner Enkeltochter getötet und auch Scotts Mutter als Druckmittel missbraucht. Dass sich so jemand überhaupt um andere scherte, schien fast unmöglich zu sein.
 

„Ich glaube, wir sollten uns aber allmählich beeilen, denn sonst wird man uns wirklich Nachsitzen aufbrummen. Und auch wenn ich mich rausboxen kann, da Grandpa der Direktor ist, weiß ich nicht, ob das bei dir klappt.“ Luke schnappte sich seine Sachen zum Duschen und verschwand damit außer Scotts Sichtweite. Mal abgesehen vom beständigen Prasseln des Wassers und Lukes Atem war es ruhig.
 

Stiles hatte in einer Sache wirklich Recht gehabt: Luke liebte Gerard. Das war an seiner Stimmlage zu hören gewesen. Sein vertrauter und liebevoller Umgang mit diesem Monster war nicht gespielt und genau das bereitete Scott Sorgen. Allison hatte nur kurzzeitig, wenn überhaupt, so ein inniges Verhältnis zu ihm gehabt und war dabei komplett auf die schiefe Bahn geraten. Der Gedanke, dass jemand länger diesem schädlichen Einfluss ausgesetzt war und die daraus resultierenden Folgen, jagten einen kalten Schauer über Scotts Rücken. Vor allem, weil Luke ob Jacksons Reaktion in der Sporthalle kaum überrascht gewirkt hatte.
 

„Scott?“, riss ihn die Stimme des Briten aus seinen Gedanken. Er stand vor ihm, mit nassen Haaren und einem Handtuch um die Hüften geschlungen.
 

„Ähm, ja?“
 

„Du solltest dich wirklich beeilen. Wir haben nur noch fünf Minuten.“
 

„Oh, ja, stimmt!“ Damit schnappte sich Scott seine Sachen und verschwand ebenfalls unter der Dusche. Während das warme Nass seine brennenden Muskeln ein wenig auflockerte, ließ er die letzte Stunde Revue passieren.
 

Fakt war, dass Luke und er gut miteinander auskamen und das, obwohl sie sich erst flüchtig kannten. Bisher waren auch keine unangenehmen Situationen entstanden, mal abgesehen von Jacksons Wutausbruch, den er aber auch bei jedem anderen bekommen hätte können. Scotts Blick fiel dabei flüchtig auf seinen rechten Oberarm und er seufzte. Trotz seiner Situation hatte er es noch immer besser als Luke. Er konnte seinen Seelengefährten finden, auch wenn es wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit dauern würde. Das war schon ein deutlich besseres Los. Wobei, technisch gesehen, bestanden für Luke ja auch noch Chancen. Er musste nur den Richtigen finden. Wie er das, bei mehreren Milliarden Menschen schaffen wollte, stand zwar auf einem anderen Blatt, aber die Hoffnung war damit noch nicht gänzlich verloren.
 

„Scott, wir müssen echt los“, hörte der Werwolf aus der Umkleide.
 

„Ich beeile mich!“, rief er zurück, schnappte sich ein Handtuch und huschte dann zurück, wo Luke, fertig angezogen, bereits wartete. Für einen flüchtigen Moment war da etwas in den Zügen des Anderen zu erkennen, das Scott nicht zu deuten vermochte. Dieser Gesichtsausdruck verflog aber so schnell wieder, dass er sich kaum sicher war, ob er ihn sich nicht einfach nur eingebildet hatte. Sein Gegenüber drehte sich jedenfalls weg und Scott schlüpfte rasch in seine Kleidung, stopfte seine gebrauchten Sportsachen in seine Tasche und schloss zu Luke auf, der bereits am Gehen war.
 

„Tust du mir einen Gefallen?“
 

„Hm? Was denn?“
 

„Kannst du das, was ich dir erzählt habe, bitte für dich behalten?“, bat Luke und drückte dabei die Tür auf. „Du bist eigentlich der Erste, dem ich nicht irgendeinen Bären aufgebunden habe.“
 

„Klar.“ Scott lächelte angedeutet. „Ich verspreche es, hoch und heilig.“
 

„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich dir wirklich vertrauen kann.“ Dabei blitzte die Zahnspange wieder auf.
 

Scott wollte noch etwas erwidern, als sie sich auch schon wieder unter einer Meute gehetzter Schüler befanden, die es eilig hatten, pünktlich in den Klassenraum zu kommen. Die beiden taten es ihnen gleich. Nachsitzen war nichts, worauf man besonders erpicht war, schon gar nicht Scott, der dieses Jahr Ärger, so gut es ging, vermeiden wollte.

Der Sohn von...?

Der restliche Schultag verlief relativ unspektakulär. Allison hatte sich bei ihnen gemeldet; Lydia und sie machten einen Kurzurlaub und verlängerten um zwei Tage. Grund zur Besorgnis bestand also nicht, außer ob der Tatsache, dass sie anscheinend äußerst schlechten Empfang hatten. Isaac machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter, genauso wie Aiden – beide Werwölfe waren es mittlerweile nicht mehr gewohnt, so lange von ihren Gefährtinnen getrennt zu sein.
 

Luke indes hatte sich als guter Schüler erwiesen, der aber den Kontakt zu anderen mied. In der Mittagspause war er bisher wie vom Erdboden verschluckt und Stiles äußerte die Vermutung, er würde seinem Grandpa Bericht erstatten.
 

„Wetten, dass er seinen Erstkontakt mit dem alten Psychopathen bespricht und sie gerade darüber brüten, wie sie uns nacheinander umbringen können“, mutmaßte Stilinksi junior und knabberte an seinen Hühnerbeinen herum, die ungefähr den gleichen Geschmack hatten wie gesalzene Pappe.
 

„Ich glaube, du übertreibst. Wir haben uns nett unterhalten“, hielt Scott dagegen und verzog das Gesicht, als er seine Pommes, die ebenso herausragend schmeckten wie die Hühnerkeulen, probierte.
 

„Ja, du vielleicht. Hast du gesehen, wie er Jackson provoziert hat?“ Stiles warf dabei einen Blick in Richtung der Cafeteria-Küche: „Warum ist es eigentlich nicht möglich, anständiges Essen zuzubereiten, wenn einem die Zutaten praktisch vor die Nase gesetzt werden? Ich habe noch nie erlebt, dass Hähnchen mit Beilagen so einen Geschmack aufweisen.“
 

„Weil es sich um Cafeteria-Essen handelt“, klärte ihn Luke, der quasi aus dem Nichts aufgetaucht war, auf. „Darf ich mich zu euch setzen?“ Er hatte kein Tablett in den Händen, nur seinen Rucksack.
 

„Ähm…“ Stiles warf Scott einen fragenden Blick zu.
 

„Klar“, lächelte dieser freundlich und rückte den Stuhl neben sich ein wenig nach hinten. „Setz dich.“
 

„Danke.“ Luke ließ sich neben Scott nieder, kramte in seinem Rucksack herum und türmte dabei vor sich zwei schwarze Plastikdosen, sowie eine Thermoskanne auf. Beide Behälter waren jeweils sehr eigenwillig verziert: Auf Dose Nummer 1 prangte ein Son Goku mit weißen Haaren, Dose Nummer 2 beherbergte einen Vegeta mit blauen Haaren. Die Thermoskanne zierte einen Spiderman, der sich gerade durch die Straßen Manhattans schwang. Letzteres veranlasste vor allem Stiles dazu, die Augenbrauen überrascht in die Höhe zu ziehen.
 

„Kein Captain America?“, wollte er wissen.
 

„Nein, ich mag Captain America nicht sonderlich. Er ist kein richtiger Superheld, finde ich“, erwiderte Luke und stellte seinen Rucksack neben sich ab, wobei er noch ein kleines, längliches Kästchen hervorzog. Es war aus dunklem Holz geschnitzt und beinhaltete einen Silberlöffel.
 

„Das ist Ironman auch nicht. Kein gewöhnlicher Superheld“, gab Stiles zu bedenken und beobachtete, gemeinsam mit Scott, wie der junge Brite den Thermoskannendeckel abschraubte und sich eine dampfende, schwarz-glänzende Flüssigkeit, die Tee sein musste, einschenkte.
 

„Das stimmt, aber er ist auch kein Produkt eines Reagenzglases. Tony besticht durch seine Intelligenz und selbst ohne den Anzug hat er noch genügend Qualitäten, die ihn herausragend machen. Cap nicht so.“ Luke öffnete den Son Goku Behälter und entblößte dabei eine Glasschale, die in eine dafür vorgesehene Öffnung in der Mitte der Box gesteckt worden war und zog den Deckel davon ab. Eine rote Masse kam zum Vorschein, die er mit dem Löffel ein wenig auflockerte. „Was ist? Habt ihr noch nie jemanden essen gesehen?“ Sein Blick pendelte abwechselnd zwischen Scott und Stiles hin und her, mit einem Gesichtsausdruck, der an ihrer geistigen Intelligenz zweifeln ließ.
 

„Doch, aber was hast du da überhaupt bei dir?“ Stiles zuckte mit dem Finger in Richtung der roten Masse.
 

„Granatapfelmus“, beantwortete Luke die Frage und nippte dann an seinem Tee. „Das ist echter Earl Grey und in der zweiten Dose befinden sich ein paar To’ak-Muffins. Ich habe damit gerechnet, dass das Essen hier ungenießbar ist, und Jonathan angewiesen, mir ein Mittagessen einzupacken, zumindest bis ich wieder nach Hause komme.“
 

„Jonathan?“, fragte Scott leicht verwirrt.
 

„Mein Butler“, erklärte Luke beiläufig und machte sich über das Grantapfelmus her.
 

„Du hast einen Butler?“, fragte Stiles ungläubig. „Und das sind wirklich Muffins aus To’ak-Schokolade? Du verarschst uns nicht?“
 

„Was ist To’ak-Schokolade?“, wollte Scott wissen.
 

„To’ak-Schokolade ist die Bezeichnung für den Hersteller und Exporteur einer Schokoladensorte, bestehend aus einer uralten Kakaosorte aus Ecuador. Sie ist extrem teuer und soll einen besonderen Geschmack aufweisen, der je nach Erntezeit variiert“, erklärte Stiles und beäugte Luke mit Argusaugen als dieser nickte.
 

„Jonathan hat mir etwas Ähnliches einmal erzählt, und der Koch zu Hause in Cambridge auch. Sie zu verarbeiten soll extrem anstrengend sein und beide stöhnen regelmäßig, wenn ich ein Gericht damit möchte. Interessiert mich aber auch herzlich wenig, sie werden dafür schließlich bezahlt.“ Luke kratzte die Schüssel aus, nahm einen weiteren Schluck Tee und verschloss den Behälter dann wieder. „Euer Essen wird kalt, wenn ihr noch länger starrt“, machte er die beiden aufmerksam. „Nicht, dass das ein besonders großer Verlust wäre.“
 

„Der Koch?“ Stiles schüttelte den Kopf und wiederholte seine Frage noch einmal. „Koch? Butler? Wie kann sich Allisons Familie diesen Luxus leisten? Ich meine, sie scheinen nicht gerade am Hungertuch zu nagen, wenn ich mir mal so ihr Haus ansehe, und auch den Wagen ihres Vaters, aber so reich haben sie noch nie gewirkt.“
 

„Onkel Chris kann sich das auch nicht leisten“, stellte Luke nüchtern fest. „So viel wirft der Waffenhandel auch nicht ab, denke ich.“ Der Brite machte sich inzwischen daran, die zweite Box zu öffnen.
 

Scott starrte Stiles an und dieser zurück. Luke hatte „Onkel Chris“ gesagt. Das bedeutete, er konnte nicht Allisons Bruder sein. Eine böse Vorahnung beschlich den jungen Werwolf und seinem besten Freund schien es gleich zu ergehen.
 

„Allison ist also deine Cousine?“, tastete Stiles sich vorsichtig heran.
 

„Ja“, bestätigte er, ohne seinen Blick von den vier dunklen Muffins anzuheben, die jeweils in einer kleinen Form aufgebacken worden waren.
 

„Das bedeutet demnach…“, begann Scotts bester Freund den Satz und ließ das Ende offen.
 

„Was?“ Luke sah nun auf und kniff die Augen zusammen. „Was wird das hier überhaupt? Ein Verhör?“
 

„Der Austausch von interessanten Informationen für alle Beteiligten am Tisch?“, schlug Stiles vor. „Wir interessieren uns eben für dich.“
 

„Ah ja.“ Lukes Augenbrauen wanderten nach unten. „Mein Vater ist Daniel Taylor, der Begründer von Phoenix International.“
 

Stiles verschluckte sich an seinem Mineralwasser, was Scott wiederum nur mehrere Fragezeichen ins Gesicht zauberte. Er beugte sich nach vorne und klopfte ihm etwas umständlich auf den Rücken, bis sich der junge Stilinski von seinem Hustenanfall erholt hatte.
 

„Sprechen wir hier von dem Daniel Taylor, Erfinder des Phoenix H2?“, krächzte Stiles und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
 

„Ja, und auch des Phoenix T1", gab er gelangweilt von sich.
 

„Moment, was? Phoenix T1, Phoenix H2? Ich komme nicht mehr mit“, gestand Scott leicht frustriert und sah zwischen den beiden hin und her. Luke indes entwickelte ein außerordentliches Interesse an seinen Muffins, die er nachdenklich begutachtete.
 

„Das sind Bezeichnungen für Kampfhubschrauber und Panzer. Daniel Taylor ist quasi eine der Koryphäen auf dem Gebiet der Kriegswaffenentwicklung und auch Fertigung. Er beliefert unter anderem das britische und amerikanische Militär. Ist doch richtig so, oder?“ Stiles sah dabei fragend zu Luke.
 

„Ja, ich denke schon? Keine Ahnung. Dads Geschäfte interessieren mich kaum.“
 

„Kaum?“ Stiles blies leicht beleidigt wirkend die Backen auf. „Dein Vater hat eine bahnbrechende Erfindung gemacht, indem er einen Kampfhubschrauber entwickelte, der unempfindlich gegenüber elektromagnetischer Strahlung ist.“
 

„Und?“ Luke zuckte desinteressiert mit den Schultern.
 

„Jetzt verstehe ich auch, warum du dir den Wagen leisten kannst: Du bist steinreich.“
 

„Mh, wahrscheinlich besser situiert als ihr.“ Luke sah sich dabei zweifelnd in der Cafeteria um. „Eindeutig.“
 

„Kann man bei deinem Vater eine Führung ergattern?“ Stiles´ Augen leuchteten dabei wie die eines kleinen Kindes, das auf die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum wartete.
 

„Du bist der erste Mensch, der mich danach fragt, mit meinem Vater etwas unternehmen zu wollen.“ Luke schüttelte amüsiert den Kopf. „Keine Ahnung ob Dad das zulässt. Ich kann ihn bei Gelegenheit einmal fragen. Hat er nicht hier irgendwo in Kalifornien eine Zweigstelle?“
 

Scott blendete das Gespräch der Beiden aus und dachte nach. Lukes Äußeres entsprach jemand ganz anderem. Der Werwolf überlegte und beobachtete den Neuzugang, wie er gestikulierte, einen gelangweilten Gesichtsausdruck aufsetzte, mit der rechten Hand eine abwägende Geste machte und sich mit Stiles unterhielt; er erinnerte ihn dabei an jemanden. Die Ähnlichkeiten wurden immer deutlicher.
 

„Und was macht der Sohn von Daniel Taylor hier?“ Stiles machte eine ausschweifende Handbewegung. „Im eher überschaubaren Beacon Hills?“
 

„Wie dir vielleicht aufgefallen sein dürfte, ist mein Großvater unheilbar krank", merkte Luke sarkastisch an. „Selbst die besten Ärzte, die ich für Geld auftreiben habe können, finden den Grund für sein Leiden nicht. Wir stehen vor einem Rätsel. Grandpa benötigt adäquate Pflege.“ Der Brite wandte seinen Blick wieder von Stiles ab und begutachtete sein Essen erneut nachdenklich.
 

„Und du gibst ihm diese Pflege?“
 

„Nein, wohin denkst du? Sehe ich aus wie jemand, der sich um solche Dinge kümmern kann? Grandpa wird professionell betreut und wohnt bei mir. Er fährt mit mir gemeinsam zu seinem Arbeitsplatz und wieder zurück. Die Wohnung ist barrierefrei und die untere Etage steht ganz ihm und dem Pflegepersonal zur Verfügung. Der obere Bereich gehört mir.“ Luke kniff die Augen zusammen und musterte Stiles, als dieser Scott einen besorgten Blick zuwarf. „Warum interessiert dich das überhaupt?“
 

„Nur so“, zuckte Stiles ertappt mit den Schultern und fügte hastig an: „Und dafür wirfst du deine ganzen Möglichkeiten weg? Ich meine, zuhause könntest du doch sicherlich eine renommierte Privatschule besuchen?“
 

„Könnte ich, habe ich auch. Grandpa ist aber das einzige Stück Familie, das ich noch besitze. Dad ist viel unterwegs und hat kaum Zeit für mich, hatte er noch nie. Daher schulde ich es ihm ein wenig, dass ich mich um ihn kümmere. Nachdem Onkel Chris und Allison das nicht übernehmen wollen.“ Luke verzog ein wenig das Gesicht, ehe er damit begann, seine Sachen wegzuräumen, wobei er einen kurzen Blick auf die Muffins warf. Zwei davon wurden Scott vor die Nase gestellt. „Hier, wenn du möchtest, kannst du mit Stiles ja teilen. Ich muss los, Grandpa wartet auf mich. Bis später!“ Damit schulterte er seinen Rucksack, hob die Hand und war auf und davon, ehe Scott oder Stiles etwas erwidern konnten.
 

Scott kratzte sich am Hinterkopf und schenkte Stiles einen fragenden Blick. „Er hat Onkel Chris gesagt, oder?“ Sein bester Freund antwortete nur mit meinem Nicken, wobei er nach einem der Muffins griff. „Das bedeutet dann, dass er der Cousin von Allison ist und nicht ihr Bruder“, versicherte sich Scott noch einmal, dass er alles richtig mitgehört hatte.
 

„Exakt“, bestätigte Stiles und biss in das Backwerk. „So viele andere Kinder hat Gerard nicht. Es bleibt also nur eine einzige Person übrig.“
 

„Kate“, murmelte Scott besorgt.
 

„Korrekt“, nickte Stiles und schnitt eine Grimasse. „Wenn du jetzt noch eins und eins zusammenzählst, Scott, gelangen wir an einen Punkt, an dem auch dir klar werden dürfte, dass dein neuer Freund kaum so harmlos sein kann, wie er sich gibt.“
 

„Ich hoffe nicht. Ich verstehe das aber nicht: Warum taucht er gerade jetzt auf?“ Scott straffte seine Schultern ein wenig und drehte den Muffin ein wenig mit den Fingern herum. Der Geruch war, zugegebenermaßen, köstlich und so wie Stiles sich benahm, musste er auch so schmecken. Was wussten sie denn nun schlussendlich über Luke?
 

„Ich glaube nicht, dass er so ist wie Kate und Gerard“, schlussfolgerte Scott nach einer Weile des Überlegens. In der Umkleide hatte er bisher sehr nett gewirkt und sie hatten sehr gut im Sportunterricht miteinander harmoniert. Natürlich waren die Verwandtschaftsverhältnisse nicht zu bestreiten, aber Allison war auch eine Argent und eine ihrer engsten Freundinnen. Sein Bauchgefühl trog ihn selten und er hatte bei Luke kein schlechtes Gefühl.
 

„Ich denke schon. Er hat quasi Zugang zu einem Repertoire an Tötungsgeräten, das jeden Waffennarren vor Neid erblassen lassen würde. Dad hat einmal überlegt, die Dienstwaffen auf dem Revier gegen jene der Marke Phoenix austauschen zu lassen. Ich habe die Broschüren gesehen und auch die angepriesene Effizienzsteigerung, wie auch das verbesserte Zielvolumen. Das ist aber nur die Standartware. Ich möchte nicht wissen, was dieser Taylor an Prototypen in seinem stillen Kämmerchen herumliegen hat. Dazu noch die Tatsache, dass es Dereks Onkel gewesen ist, der seine Mutter getötet hat, ein Werwolf so wie du, nur nebenbei erwähnt, und das Faktum, dass sein Großvater wegen uns im Rollstuhl sitzt und schon hast du deinen Grund, um sämtliche Werwölfe in Beacon Hills umlegen zu wollen.“ Stiles wischte sich die Finger an seiner Serviette ab und schob das Tablett beiseite. „Scott, wir haben ein riesiges Problem und ich fürchte, Derek wird das auch so sehen.“
 

Beim letzten Satz drehte sich Scott der Magen um. Derek war schon immer ein Freund von radikalen Lösungen gewesen und er neigte zu Überreaktionen, sobald er sich in die Ecke gedrängt oder bedroht fühlte. Stiles´ Einfluss hatte zwar ein wenig mäßigend auf ihn eingewirkt, aber im Endeffekt war Derek Hale noch immer Derek Hale.
 

„Ich wage außerdem zu behaupten, dass Großväterchen Argent nicht sonderlich begeistert davon sein wird, dass auch sein zweites Enkelkind offenkundiges Interesse an einem Werwolf hat“, stellte Stiles trocken fest und grapschte nach dem zweiten Törtchen.
 

„Was? Wie meinst du das?“ Scott schenkte seinem besten Freund einen dezent verwirrten Blick.
 

„Dir könnte jemand wahrscheinlich sogar in den Ausschnitt starren und du würdest es nicht bemerken, hm? Er hat dich die ganzen vorherigen Stunden nicht aus den Augen gelassen. Warum denkst du, ist er so nett zu dir? Entweder es handelt sich um einen perfiden Plan oder du gefällst ihm.“ Stiles hielt zur Untermalung seiner Worte den Muffin in die Höhe und wippte ihn hin und her. „Er hat dir beide geschenkt und mir gar keinen.“
 

„Du siehst Gespenster, Stiles“, winkte Scott ab, wobei sein Herzschlag sich ein wenig beschleunigt hatte. Was wenn Stiles doch Recht hatte? Vielleicht mochte ihn Luke ja wirklich? Wobei das nach einem halben Tag des Kennens kaum möglich war. Andererseits hatte er Allison auch vom ersten Moment an gemocht, zumindest bis sich ihr Mal gezeigt hatte. Dann waren sie und Isaac ein Paar geworden und er wieder alleine geblieben. Oder war alles nur ein ausgeklügelter Plan seitens Gerard, um sich an ihnen zu rächen?
 

„Glaubs mir oder nicht. Derek wird jedenfalls toben und ich bin ehrlich gesagt auch seiner Meinung, dass er eine Gefahr darstellt. Genauso wie alles und jeder, der länger als notwendig mit Gerard zu tun hat.“
 

Stiles warf Scott den Muffin zu, der ihn reflexartig auffing und die Brauen zusammenzog.
 

„Er hatte übrigens Recht: Es schmeckt himmlisch. Komm, wir haben noch zwei Stunden, bis dahin können wir uns ja überlegen, was wir machen wollen.“
 

Scott seufzte und nickte seinem besten Freund zu, ehe er in den Muffin biss und ihm Recht gab: Er schmeckte wirklich köstlich. Die nötige Prise Bitterkeit und dabei doch so süß, dass sich nicht alles in einem sträubte, wenn man davon probierte. Der erste Tag des neuen Schuljahres war schon mehr als problematisch und Scott beschlich der Gedanke, dass er seine Vorsätze für dieses Jahr rasch aufgeben würde müssen.

Surreal nach Hause

Der ausgearbeitete Schlachtplan, dem die letzte Doppelstunde Geschichte zum Opfer gefallen war, war gar keiner. Scott und Stiles hatten diskutiert, abgewogen, Möglichkeiten in Erwägung gezogen und waren zu dem Ergebnis gekommen, dass sie zu keinem Ergebnis gekommen waren. Weder Stiles noch er konnten sich zu einer Entscheidung durchringen und Scotts bester Freund vertrat sowieso die Meinung, sich zuerst mit Derek kurzzuschließen. Sie waren sich aber beide einig, alsbald Informationen über Luke einholen zu wollen. Stiles auf seine eigene Art und Scott über Allison beziehungsweise Chris.
 

„Ich befürchte, dieses Problem wird sich sowieso spätestens dann auflösen, wenn Jackson komplett die Beherrschung verliert und irgendetwas Unüberlegtes anstellt“, mutmaßte Stiles. „Dann haben wir alle Hände voll zu tun, auf ihn aufzupassen.“
 

„Ich hoffe, dass es nicht so weit kommt. Das gilt auch für Derek.“ Scott schenkte seinem besten Freund einen Blick, der unmissverständlich ihm die Verantwortung in dieser Angelegenheit zuschob.
 

„Ah ja, das ist natürlich wieder mein Part, den großen, bösen Werwolf auf Kurs zu halten. Warum machst du das eigentlich nie? Ich meine, du bist doch der Super-Alpha? Ich nur ein ganz normaler Teenager mit eigenen Problemen, die die Pubertät so mit sich bringt.“ Stiles konnte während seines gespielten Jammerns ein Grinsen nicht gänzlich unterdrücken.
 

„Weil du sein Seelengefährte bist und du so etwas wie die zweite Stimme der Vernunft“, antwortete Scott und stimmte in das Grinsen mit ein.
 

„Ich frage mich, ob Werwolfbändiger irgendwann ein anerkannter Beruf wird und ob man damit reich werden kann.“ Stiles grinste noch ein wenig breiter. „So als zweites Standbein, wenn wir einmal studieren?“
 

Scott stöhnte leise bei der Erwähnung ihrer Zeit nach der High School. „Erinnere mich bloß nicht daran. Meine Noten sind sowieso im Keller.“
 

„Das biegen wir schon wieder hin, Scott. Wofür hast du denn mich?“ Stiles legte seinem besten Freund den Arm um die Schulter. „Wir haben noch genügend Zeit und vielleicht lösen sich die übernatürlichen Phänomene einfach in Luft auf? Träumen ist schließlich erlaubt.“
 

Scott und Stiles blödelten noch herum, bis sie zum Ausgang der High School gelangten. Derek wartete schon im Camaro auf Stiles, in Lederjacke und mit schwarzer Sonnenbrille. Trotz der grimmigen Miene, die er aufgesetzt hatte, dem Stück Ungeduld, weil Stiles und Scott trödelten, konnte er ein Zucken der Mundwinkel nicht unterdrücken. Obgleich der Zankereien, die sich regelmäßig lieferten, passten sie perfekt zueinander. Ein Team, ein Duo, unschlagbar. Scott gingen diese kleinen Auseinandersetzungen zwar öfter auf die Nerven, doch am Ende des Tages gingen Derek und Stiles nie böse aufeinander ins Bett.
 

„Wenn man vom Teufel spricht“, gluckste Stiles und löste sich von Scott. „Sollen wir dich mitnehmen?“
 

„Nein, nicht nötig“, schüttelte Scott den Kopf. „Ich muss sowieso ein wenig den Kopf frei bekommen und nachdenken.“
 

„Sicher?“, fragte Stiles zweifelnd.
 

„Ganz sicher“, bestätigte Scott ihm.
 

„Okay, dann…“ Stiles umarmte seinen besten Freund zum Abschied. „Pass auf dich auf, ja?“
 

„Mache ich.“ Scott erwiderte die Umarmung und beobachtete Stiles, wie er sich umdrehte, ihm zum Abschied noch einmal fröhlich zuwinkte, dabei fast stolperte und dann in den Camaro zu Derek stieg. Einen liebevollen Begrüßungskuss später waren sie auch schon verschwunden. Scott unterdrückte ein leises Seufzen. Er beneidete Stiles um sein Glück, in positiver Hinsicht natürlich.
 

„Netter Wagen“, stellte Luke fest, der neben Scott aufgetaucht war. Er hatte seinen Rucksack mit nur einem Riemen geschultert und die Hand halb daruntergeschoben. „Ist das sein Freund gewesen?“
 

„Ja, das ist Stiles´ Seelengefährte“, bestätigte Scott ihm.
 

„Hübscher Kerl“, meinte der Brite und zuckte anerkennend mit den Lippen. „Da hat das Universum es wohl gut mit Stiles gemeint, hm?“
 

„Kann man so sagen.“ Scott musterte ihn einen Moment, bevor er sich verstohlen umsah. Von seinem Großvater fehlte jede Spur. Einige Schüler strömten an ihnen vorbei, doch Gerard war nirgends zu sehen. Ein Hauch von Misstrauen machte sich in dem jungen Alpha breit.
 

„Bist du nicht mit ihnen heute Morgen zur High School gekommen?“, wollte Luke wissen.
 

„Bin ich.“ Scott sah zu Luke hinüber, der die Augen erstaunt zusammenkniff.
 

„Holt dich jemand anderer ab?“, erkundigte er sich und nestelte dabei ein wenig an seinem Rucksackriemen herum.
 

„Nein. Meine Mutter muss arbeiten und mein Bike ist in der Reparatur.“
 

„Soll ich dich mitnehmen?“ Luke zupfte ein wenig am Kragen seiner College-Jacke herum und zog die Ärmel nach unten, bis sie seine Handrücken bedeckten. Er schob den Riemen seines Rucksacks ein wenig weiter über seine Schulter und bog die Finger nach innen, sodass sie auf dem Ärmelsaum seiner Jacke lagen.
 

Scott konnte hören, wie sich sein Herzschlag ein wenig beschleunigte. Sein Gesprächspartner wurde nervös. Das konnte mehrere Gründe haben, wobei die Möglichkeit, dass es etwas mit Gerard zu tun haben könnte, die am wenigsten behagliche war. „Ich dachte, dein Grandpa würde mit dir nach Hause fahren?“
 

„Der hat noch irgendeine Konferenz. Ich hole ihn am Abend dann ab. Also willst du?“ Luke griff dabei in die linke Hosentasche seiner schwarzen Jeans und zog den Autoschlüssel hervor, welcher mit mehreren Anhängern, unter anderem einer Miniatur-Plastikausgabe von Ironman und Spiderman, munter vor sich hin klimperte.
 

„Wenn es dir keine Umstände macht?“
 

„Tut es nicht.“ Dabei stahl sich ein schwaches Lächeln auf Lukes Lippen, ehe er sich in Bewegung setzte. „Du musst mir nur den Weg beschreiben oder zumindest dem Navi deine Adresse füttern, es sei denn, du willst heute sehr spät nach Hause kommen.“ Das verlegene Lachen im Anschluss zeigte Scott weitere Rätsel auf. Irgendetwas war hier im Gange. Wenn das wirklich eine Falle war, wie Stiles heute bereits mehrfach vermutet hatte, lief er gerade sehenden Auges hinein. Das hier bedeutete aber eine Möglichkeit, um ein wenig über Luke herauszufinden. Nach kurzem Zögern beschloss Scott, die Chance zu nutzen:
 

„Es ist nicht weit. Für Derek und Stiles bedeutet es nur immer einen kleinen Umweg und ich will sie nicht länger als nötig aufhalten. Beide haben genug zu tun und ein wenig Laufen ist ein gutes Training.“
 

„Wer hat das gesagt? Der Sportlehrer?“ Luke kniff zweifelnd die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, bevor sie vor seinem Auto stehenblieben. Scott hatte jetzt das erste Mal die Möglichkeit, sich den Wagen aus der Nähe zu betrachten.
 

Der schwarze Lack glänzte förmlich im Licht der Sonne. Man konnte sein eigenes Spiegelbild problemlos darin erkennen. Gleiches galt für die aufpolierten Felgen und die getönten Scheiben, die auch jetzt jeglichen Einblick in den Innenbereich verwehrten. Über die langgezogene Schnauze spannte sich eine Motorhaube aus Carbon, in die mehrere Lüftungsschlitze eingelassen worden waren. Gleiches galt für die Seitenleisten des Mercedes. Der Heckspoiler schien aus dem gleichen Material wie die Motorhaube zu bestehen. Die Seitenspiegel waren eingeklappt und die verchromten Auspuffrohre starrten Scott gelassen entgegen. Insgesamt wirkte der Wagen wie aus einem Renn-Videospiel. Auch wenn Scott nicht so viel von Autos verstand, so war ihm bewusst, dass dieses Exemplar eindeutig in einer eigenen Liga spielte. Dieser Eindruck bestätigte sich, sobald Luke ihn mittels Knopfdruck entsperrt und ihm die Beifahrertür öffnete. Lautlos schwang die Tür nach oben und ging nicht, wie gewohnt, zur Seite auf.
 

„Am Anfang ist das ein wenig verwirrend“, räumte Luke amüsiert ob Scotts staunendem Gesichtsausdruck ein. „Ich habe mich zu Beginn auch erst daran gewöhnen müssen.“
 

„Wow“, machte Scott nur, kaum dass er eingestiegen war. Die Innenausstattung war mit nichts zu vergleichen, was er bisher gesehen hatte. Ein weißes Lederinterieur fügte sich farblich perfekt passend zur schwarzen Mittelkonsole und den Armaturen ein. Knapp unter dem Bereich für die Temperaturregulierung prangte ein silbernes „SLR“. Anstelle der normalen Sitze hatte man Rennsitze eingebaut. Auf dem Lenkrad thronte groß der Mercedesstern und ein Blick auf die angegebene Höchstgeschwindigkeit im Tachobereich ließ Scott schwindlig werden. Sogar der Ganghebel und die Lüftungsschlitze waren hochwertig verarbeitet worden.
 

„Beeindruckt?“, erkundigte sich Luke, als er einstieg, den Schlüssel einsteckte und einmal herumdrehte. Sämtliche Knöpfe und Schalter leuchteten auf.
 

„Ein wenig“, gab Scott leise zu und sah sich noch immer staunend um. Er betastete vorsichtig das Leder, fuhr über die Knöpfe zur Temperaturregulierung und machte große Augen, als die Türen sich, wie von Geisterhand, von selbst schlossen.
 

„Ist auch eine Sonderanfertigung.“ Luke legte seinen Rucksack auf die schmale Ablage, die vor dem Rückfenster montiert worden war. „Quasi ein Unikat. Du wirst keinen zweiten Wagen diesseits und jenseits des Äquators finden.“
 

„Du hast nur zwei Sitze“, stellte Scott fest und entschied sich, seinen Rucksack bei sich, zwischen seinen Beinen, zu behalten. Er war noch immer ganz fasziniert von allem, was sich im Innenraum abspielte. Alles wirkte so surreal, wie aus den Rennspielen, in denen Stiles und er sich oft über Stunden hinweg verloren hatten.
 

„Ja, das ist normal bei Sportwagen, ist ja schließlich kein Kombi.“ Luke drückte auf einen kleinen Knopf am oberen Ende der Mittelkonsole und die Abdeckung fuhr automatisch nach hinten, um das Navigationsgerät preiszugeben.
 

„Und was machst du, wenn du einmal mehrere Leute transportieren musst?“, lautete Scotts neugierige Frage.
 

„Muss ich nie“, entgegnete der Brite. „Also, wo müssen wir hin?“
 

Scott zögerte einen Moment. Er wollte nichts kaputt machen, was eigentlich ein alberner Gedanke war. Was konnte schon bei einem simplen Navigationssystem schiefgehen? Er besann sich auf die Aufforderung Lukes und gab seine Adresse ein, bevor er sich ebenfalls anschnallte. Luke drehte den Schlüssel ein zweites Mal herum und das Auto erwachte zum Leben. Entgegen Scotts Vermutung war der Motor im Innenbereich kaum zu hören. Er konnte auch, trotz der dunklen Scheiben, alles außerhalb erkennen. Sein Fahrer legte den Gang ein, parkte rückwärts aus und fuhr dann los, wobei ihm eine weibliche Stimme die Richtung vorgab.
 

„Und das ist dein erster Wagen?“, versuchte sich Scott ein wenig an Smalltalk, noch immer beeindruckt vom Innenleben des Autos.
 

„Nein“, meinte Luke, ohne dabei den Blick von der Straße zu nehmen. „Dad hat ihn mir erst geschenkt, als ich eine lange Reihe von intensiven Fahrkursen, Trainings und dergleichen absolviert habe. Wirklich benutzen darf ich ihn erst seit einem halben Jahr.“
 

„Einem halben Jahr“ echote es in Scotts Kopf und er unterdrückte ein Seufzen. Wahrscheinlich lag der Preis dieses Geschosses höher als das Jahresgehalt seiner Mutter, samt Haus und Grundstück. Vermutlich war Lukes erstes Auto ähnlich luxuriös gewesen und er selbst sparte sich die Raten für sein Bike vom Mund ab, unter Zuhilfenahme seines Jobs in der Tierklinik.
 

„Das mit der Höchstgeschwindigkeit ist doch ein Scherz, oder?“, wollte Scott wissen und deutete auf die rote Tachonadel, welche sich brav im vorgegeben Bereich der Geschwindigkeit bewegte, die auf der Straße erlaubt war.
 

„Mh, ich weiß. Irgendwann musste der Wagen abgeriegelt werden, weil ich sonst keine Zulassung bekommen hätte. Außerdem wird der Luftwiderstand ab einem gewissen Tempo einfach zu stark. Es wäre theoretisch auch möglich, die Drosselung aufzuheben, aber dafür ist mir der Aufwand zu groß“, erklärte der Brite mit einer Spur von Bedauern in der Stimme.
 

„So, war das eigentlich nicht gemeint“, murmelte Scott und beobachtete seinen Sitznachbarn aus den Augenwinkeln dabei, wie dieser nervös am Lenkrad herumtrippelte. Er wirkte angespannt. Kurz konzentrierte sich der Werwolf, warf einen Blick aus dem Fenster und in die Seitenspiegel, die von selbst an ihre Position gefahren waren, doch er konnte nichts Auffälliges erkennen. Keine Gefahr, nichts. Alles wirkte normal. Ein paar Leute benutzten den Bürgersteig, vor und hinter ihnen herrschte ganz gewöhnlicher Verkehr.
 

„Darf ich dich etwas fragen?“, fragte Luke plötzlich.
 

„Klar.“
 

„Stört es dich eigentlich, dass Stiles mit einem Mann verbunden ist?“ Dabei beschleunigte sich Lukes Herzschlag noch ein wenig mehr. Er hatte die Lippen aufeinandergepresst und schaute starr geradeaus.
 

Scotts Augenbrauen wanderten überrascht nach oben. „Wie kommst du denn darauf? Nein, natürlich nicht!“, wies er diese Vermutung entrüstet von sich. Niemals hatte er etwas gegen Stiles´ und Dereks Beziehung gehabt. Er freute sich für die beiden!
 

„Weil da draußen genügend kranke Gestalten herumlaufen, die so etwas als widernatürlich empfinden und das obwohl man kaum etwas dafürkann. Zumal es falsch ist, jemanden auf sein Geschlecht zu reduzieren. Man liebt seinen Seelengefährten, wie auch andere Personen, nicht ob ihres Geschlechts, sondern ob ihres Charakters, ihres Daseins.“ Luke zuckte bewusst gleichgültig wirkend mit den Schultern. „An meiner alten Schule hatten wir genügend solcher Individuen, die jemanden in der Klasse gemobbt haben, weil sich sein Seelengefährte als ein Junge herausgestellt hat.“
 

Scott schüttelte nur angewidert den Kopf. Das widersprach seiner kompletten Erziehung. Seine Mutter war weltoffen und diskriminierte niemanden. So war auch er aufgewachsen. Für Melissa wäre es kein Problem, wenn Scott einen Jungen und kein Mädchen zuhause vorstellen würde. Sie hatte sich auch nie über Stiles und Derek ausgelassen, im Gegenteil: Sich ebenso für die beiden gefreut wie Scott. Wie man so denken konnte war ihm ein Rätsel.
 

„Stört es dich denn?“, wollte Scott wissen, während sie die Straße entlangfuhren. Ein weiterer prüfender Blick aus dem Fenster ließ auch keine verdächtigen Aktivitäten in ihrer näheren Umgebung aufkommen. Sogar der Verkehr wirkte normal. Warum also war sein Sitznachbar so angespannt? Scott konnte sich darauf keinen Reim machen.
 

„Nein, warum sollte es?“ Luke rollte ein wenig mit den Schultern. „Mir wäre es egal, wenn mein Seelengefährte ein Junge gewesen wäre. Egal ob Mann oder Frau, er wäre kompatibel zu mir, mein Gegenstück. Wir wären verbunden gewesen. Wieso sollte das falsch sein?“ Er lachte bitter auf. „Wie kann Liebe denn überhaupt falsch sein?“
 

Scott musterte Luke erneut und konnte dabei Resignation und Trauer erkennen. Nun war er ein wenig in sich zusammengesunken und so etwas wie Enttäuschung machte sich in seinem Gesicht breit. Es hatte mit der Narbe zu tun, die er ihm heute Morgen gezeigt hatte, dessen war sich Scott sicher. Seine Formulierung war außerdem in der Vergangenheit gestellt gewesen. „Du hast gesagt wäre – ich dachte, du könntest deinen Seelengefährten noch finden?“
 

„Könnte ich auch, wenn Grandpa Recht hat. Nur, wie hoch sind die Chancen, dass ich bei ungefähr acht Milliarden genau den oder die Richtige finde und sie sich auch noch in mich verlieben? Versteh mich nicht falsch, es gibt genügend Menschen da draußen, die auch ohne ihren Seelengefährten glücklich sind. Nur denke ich, dass sie nie so viel Liebe empfinden können, wie jemand, der sein Spiegelbild gefunden hat.“ Luke stieß leise die Luft aus und umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
 

„Würdest du es nicht einmal in Erwägung ziehen?“ Scott konnte beobachten, wie ein Schatten über Lukes Züge huschte. Er biss sich auf die Unterlippe und rieb sich mehrfach über die Nasenwurzel.
 

„Ich weiß es nicht“, gestand der junge Brite leise. „Ich weiß nur, dass ich alles geben würde, um meinen Seelengefährten zu finden.“
 

In diesen Worten schwangen so viel Sehnsucht und unerfüllte Hoffnung mit sich, dass sie selbst ihm, als Außenstehenden, weh taten. Scott konnte diese Sehnsucht nachvollziehen. Nachdem das mit Allison und ihm vorbei gewesen war, war er am Boden zerstört gewesen, hatte es sich aber nicht anmerken lassen. Er wollte ihr kein schlechtes Gewissen machen und sie konnte ja nichts dafür. Ihr Mal hatte sich gegen Ende letzten Jahres gezeigt, genauso wie das von Isaac. Seines war bereits mit Fünfzehn auf seinem Oberarm erschienen, aber nachdem er ein Jahr gewartet hatte, und Allison dann zu ihnen in die Klasse gekommen war, da hatte er ihnen Chance gegeben. Allison und er hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Sie waren auch glücklich gewesen, nur nicht füreinander bestimmt. Schon lange fragte sich der Werwolf, ob sein Seelengefährte männlich oder weiblich war. Für ihn machte das keinen Unterschied. Er würde ihn lieben, genauso wie er Allison geliebt hatte.
 

„Freust du dich dann eigentlich für Allison?“, erkundigte sich Scott, einerseits um Luke ein wenig abzulenken und andererseits auch, um seinen eigentlichen Plan, ein paar Informationen zu ergattern, weiterzuverfolgen.
 

„Ich weiß es nicht. Alli und ich haben kaum Kontakt, sind uns eigentlich fremd. Da war zum einen die Distanz und zum anderen, dass Dad mich sehr abgeschirmt hat. Meine einzige wirkliche Bezugsperson ist Grandpa. Er hat es irgendwie durchgesetzt, mich regelmäßig sehen zu dürfen, war an den Geburtstagen der letzten Jahre bei mir in Cambridge und auch bei einigen meiner Spielen und Wettkämpfen.“ Nach dieser kleinen Erklärung hellte sich Lukes Stimmung ein wenig auf und auch sein Herzschlag normalisierte sich. Er wirkte wieder ruhiger und gelassener.
 

In Scott machte sich Bedauern breit. Er kannte Gerard und teilte Stiles´ Ansicht, dass er für niemanden auch nur ansatzweise so etwas wie Zuneigung empfinden konnte. Damals als Allison und er ein Paar gewesen waren, hatte der alte Mann diese Verbindung schamlos ausgenutzt und auch nicht davor zurückgeschreckt, Scott damit zu erpressen. Dementsprechend unwahrscheinlich war es, dass er seinem zweiten Enkelkind gegenüber so etwas wie Nähe und Interesse aus uneigennützigen Gründen entgegenbrachte. Der Alpha fühlte so etwas wie Mitleid für Luke. Vorsichtig und bemüht einfühlsam fragte er:
 

„Und deine Eltern? Hatten die nie Zeit dich zu begleiten?“
 

„Dad ist zu beschäftigt mit dem Unternehmen. Er arbeitet quasi rund um die Uhr und die wenigen gemeinsamen Stunden, die wir miteinander verbringen, sind von anderen Dingen geprägt, als ernstgemeinte Gespräche über meine Probleme. Vorwiegend darüber, ob ich gute Noten habe und wie ich mir meine Zukunft vorstelle.“ Die zaghaft gute Laune, die gerade eben noch am Aufkeimen gewesen war, hatte einem Ausdruck der Resignation Platz gemacht. „Meist war es Jonathan, der mich begleitet hat.“ Luke wagte nun einen zaghaften Blick zu Scott hinüber und fügte an: „Professionell natürlich. Er würde mich nie kritisieren oder ungefragt seine Meinung äußern. Das fällt nicht in seinen Aufgabenbereich, aber er kennt mich gut. Jonathan weiß, welche Sachen er mir für den nächsten Tag rauslegen soll, was ich zum Frühstück möchte und welches Waschmittel meinen Lieblingsgeruch hat.“
 

Scott blinzelte mehrmals, bevor er, unbewusst, den Geruch rund um Luke wahrnahm. Da war Deodorant, etwas Schweiß, sein eigener Körpergeruch und…
 

„Zitrone“, stellte Scott unbeabsichtigt laut fest und musste dem Drang widerstehen, sich auf den Mund zu schlagen. Er schalt sich selbst einen Dummkopf. So intensiv war der Geruch nun auch nicht gewesen, dass er ihn auf diese Entfernung hin hätte riechen können. Wahrscheinlich hatte er sich jetzt als Werwolf verraten, doch in Anbetracht dessen, dass Gerard von seiner Existenz wusste, dürfte das weitgehend egal sein.
 

„Ja, Zitrone. Du hast aber eine gute Nase“, stellte Luke fest und roch am Kragen seiner College-Jacke. „Oder Jonathan benutzt zu viel Waschmittel. Eines von beidem.“ Glucksend richtete er den Blick wieder auf die Straße, nicht ohne vorher Scott ein ehrlich wirkendes Lächeln zu schenken.

Dieser atmete erleichtert aus. Luke hatte keinerlei Misstrauen gezeigt. Entweder war er ein verdammt guter Schauspieler, was der Werwolf aber anhand seines teilweise unregelmäßigen Herzschlages ausschloss, oder er wusste nichts von Scotts übernatürlichem Dasein. Letzteres war auch schwer zu glauben. Er hatte aber bei der Frage nach seinen Eltern scheinbar bewusst seine Mutter ausgeklammert. Sollte er nachhaken? Würde er ihn damit verärgern? Gerade als Scott sich dazu entschlossen hatte, ein wenig nachzubohren, hielten sie vor seinem Haus, welches mit einem kritischen Blick seitens Luke beäugt wurde.
 

„Ist etwas?“, erkundigte sich Scott ob der zugegebenermaßen seltsamen Reaktion.
 

„Hier wohnst du?“ Luke lehnte sich nach vorne und legte den Kopf ein wenig schief. „In diesem Haus?“
 

Ein langgezogenes, leicht fragendes Ja war die Antwort des Werwolfs auf die Frage. Scott fand, dass mit ihrem Haus eigentlich alles in Ordnung war. Kein Prunkpalast, aber ein Heim, in dem er sich, gemeinsam mit seiner Mutter, sehr wohlfühlte. Ein einfacher Holzbau mit einer kleinen Veranda und einem regelmäßig getrimmten Rasen. Außerdem war das Sicherheitssystem gegen übernatürliche Wesen unübertroffen.
 

„Wirkt kleinbürgerlich, schlicht, typisch amerikanisch“, konstatierte Luke und fügte hastig an, als er Scotts leicht verstimmten Blick bemerkte „nicht, dass das jetzt schlecht wäre. Es hat seinen ganz eigenen Charme. Rustikal oder so.“ Der Rettungsversuch glückte nur halb, denn Scott machte ein leicht verärgertes Gesicht. Sein Haus war absolut in Ordnung. „Tut mir leid, war nicht so gemeint. Ich…“ Luke kratzte sich verlegen im Nacken. „Ich kann es nicht besser machen, oder, egal was ich sage?“
 

„Nicht wirklich“, brummte Scott noch immer verstimmt. „Unser Haus ist in Ordnung und ich bin damit völlig zufrieden. Für eine Luxusvilla reicht unser Einkommen eben nicht.“ Den Nachsatz, es könne eben nicht jeder mit einem goldenen Löffel im Mund geboren werden, verkniff er sich.
 

„Zurechtweisung angekommen“, meinte der Brite schuldbewusst.
 

„Schon okay“, meinte der Werwolf halbherzig und machte sich daran auszusteigen.
 

„Es tut mir wirklich leid, Scott. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich…“ Luke fuhr sich durch die Haare und gab einen genervten Laut von sich. „Ich habe echt ein Händchen für neue Bekanntschaften. Kann ich es wiedergutmachen?“, erkundigte er sich zerknirscht.
 

„Musst du nicht“, meinte Scott und bemühte sich um eine neutrale Haltung. Er war normalerweise nicht so, aber irgendwie hatte ihn das ein wenig verletzt. Lukes Verhalten wirkte versnobt und herablassend und das hatte er noch nie so ganz vertragen. Es nervte ihn auch bei Jackson.
 

„Ich könnte dich zum Essen einlade oder in den nächsten Tagen Taxi für dich spielen? Zumindest so lange, bis dein Bike repariert wurde?“, bot Luke zerknirscht an.
 

Scott überlegte kurz. Sein Ärger war bereits wieder am Verfliegen. Er konnte eigentlich nie jemandem wirklich lange böse sein und Luke schien sich tatsächlich ernsthaft entschuldigen zu wollen. Außerdem würde es bedeuten, ein Auge auf ihn haben zu können. Vielleicht erfuhr er ja dadurch sogar was Gerard plante? „Okay“, nickte er schlussendlich.
 

„Gut, dann…“ Luke beugte sich nach hinten zu seinem Rucksack, kramte in diesem nach einem Stift und einem College-Block, kritzelte etwas das verdächtig nach seiner Telefonnummer aussah in eine Ecke und riss sie ab „Dein persönliches Taxi und ein Gutschein für einmal Essen.“ Damit streckte er ihm die Hand mit dem Zettelchen entgegen.
 

Scott griff danach und zuckte zusammen, sobald sich ihrer beider Finger berührten. Eine prickelnde Wärme kroch seine Fingerspitzen entlang, über den Arm bis hin zu seinem Herzen, das plötzlich schneller schlug. Das angenehme Gefühl breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Luke schien es ähnlich zu ergehen, denn auch er zeigte genau die gleiche Reaktion. Schlussendlich war es aber der Brite, der seine Hand zurückzog und die Empfindung verschwand so schnell wieder, wie sie gekommen war.
 

„Man sieht sich“, räuspert sich Luke leicht verlegen, die Autotür schwang nach unten, wobei Scott den Kopf einzog und einen Schritt nach hinten machte. Der Mercedes setzte sich mit einem erstaunlich ruhigen Summen in Bewegung und war binnen weniger Sekunden außer Sichtweite. Scott stand alleine in der Auffahrt zu seinem Haus und begutachtete seine Hand, betastete vorsichtig die Fingerspitzen, eine nach der anderen. Was war das eben gewesen? Zumal er nicht alleine so empfunden hatte. Sich keinen Reim darauf machen könnend, setzte er sich in Bewegung und steuerte die Eingangstür an.

Eine Prise Geborgenheit

Ein Kapitel aus der Sicht von Stiles, der sich ungefähr zur gleichen Zeit auf dem Nachhauseweg befindet.

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Stiles hatte sich mittlerweile an den Camaro gewöhnt. Ihm war zwar sein alter Jeep noch immer deutlich lieber, doch auch er musste zugeben, dass Dereks Wagen seine Vorzüge hatte. Er war schnell, schnittig und zog die Blicke der Leute auf sich. Als er das erste Mal aus dem schwarzen Sportwagen ausgestiegen war, hatte man ihm noch Beachtung geschenkt, ihn mit hochgezogenen Augenbrauen angestarrt, heute war es etwas Alltägliches. Ja, der mürrische und ernste Derek Hale hatte seinen Seelengefährten im aufgedrehten, sarkastischen und hochintelligenten Stiles Stilinski gefunden. Für seinen Vater war es ein kleiner Schock gewesen, doch mittlerweile gehörte Derek fest zur stilinski´schen Familie. Noah und er konnten sich über Sport unterhalten, während Stiles in der Küche stand und ein Mahl für sie zauberte. Irgendwie waren sie eine kleine und glückliche Familie. Außerdem liebte Stiles Derek und das galt auch umgekehrt. Trotz ihres Gezänks, das sie teilweise sogar brauchten, verging kein Tag, an dem sie lange aufeinander böse hätten sein können. Das aufziehende Gewitter seitens seines Gefährten war für Stiles nichts Neues als er ihm vom Neuzugang an der Beacon Hills High berichtete.
 

„Was?“, platzte es aus Derek heraus, der das Lenkrad verriss und sie, unter lautem Hupen ihres Hintermannes, an den Straßenrand bugsierte.
 

„Woah, Derek, reg dich ab, meine Knochen heilen nicht so schnell wie deine“, fauchte Stiles aufgebracht, als er bei dem Manöver, trotz angelegten Sicherheitsgurtes, ordentlich durchgeschüttelt wurde.
 

„Sag mir bitte, dass das einer deiner Scherze ist, über den ich nie lachen kann“, zischte der Werwolf ungehalten und sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. Für einen kleinen Moment wanderten seine Brauen so weit nach unten, dass sie Bekanntschaft mit den Augen zu machen drohten, bevor sich Besorgnis in seinen Zügen widerspiegelte. Fast schon behutsam ergriff er Stiles am Arm und half ihm dabei, sich wieder gerade hinzusetzen.
 

„Nein, es ist kein Scherz, Derek.“ Stiles rieb sich über den Oberarm, der bei dem Manöver unfreiwillig die Beifahrertür kennengelernt hatte, bevor er den Kopf auf Dereks fragenden Blick hin schüttelte. „Nichts passiert.“ Trotz seiner Unbeherrschtheit, die sich mit seinem Dasein an Stiles´ Seite deutlich gebessert hatte, und auch entgegen seines Auftretens als rauer Zeitgenosse, war Derek ein liebevoller und fürsorglicher Partner. Er maulte und meckerte zwar, doch war er der Erste, der Stiles vom Training abholte, wenn es wie aus Eimern schüttete, oder laut protestierend in den Wagen stieg, um den nächsten Supermarkt unsicher zu machen, damit Stiles frisch kochen konnte. Derek war der perfekte Seelengefährte und Stiles konnte sich keine Sekunde mehr ohne seinen Liebsten vorstellen. Das lag nicht an seinem, zugegebenermaßen ansehnlichen Äußeren; Derek sah schließlich aus wie ein Unterwäschemodel. Nein, das war es nicht, oder nicht nur, was Stiles an ihm liebte: Es war dieses kleine Aufblitzen von Liebe und Fürsorge, welches sich in den grünen Augen zeigte, sobald es um seinen Gefährten ging. Die Momente, in denen er sich unbeobachtet fühlte, und er still in sich hineinlächelte.
 

„Tut mir leid“, murmelte Derek und drückte Stiles einen flüchtigen Kuss auf die Wange, was dem Jüngeren ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Der weiche Ausdruck in Dereks Zügen verschwand aber augenblicklich und machte strengem Ernst Platz. „Du bist dir ganz sicher, dass dieser Junge, dieser… wie hieß er noch gleich?“
 

„Luke“, beantwortete Stiles´ den Satz und unterdrückte ein leises Seufzen, als er sah, wie sein Freund wieder auf den verantwortungsbewussten Alpha-Modus umschaltete. „Luke Taylor, Sohn von Daniel Taylor, DER Koryphäe auf dem Gebiet der Waffentechnikentwicklung.“
 

Derek brummte leise etwas Unverständliches und lenkte den Wagen dann wieder vom Straßenrand weg. Sein Blick war geradeausgerichtet. Er dachte nach. Dazu hätte es keiner tieferen Verbindung oder einer länger andauernden Beziehung bedurft, um diese Zeichen zu deuten. Er runzelte immer ein wenig die Stirn, wenn er nachdachte.
 

„Du machst dir Sorgen, oder?“, wollte Stiles wissen.
 

„Natürlich mache ich mir Sorgen. Vor allem, wenn du sagst, er könnte gefährlich sein.“ Derek strich sich über seinen perfekten Dreitagesbart und kratzte sich dann an der Wange. „Wie hat er sich gegenüber den anderen verhalten?“
 

„Er hat sich mit Jackson angelegt. Isaac war in unserem Team und ist Allisons Seelengefährte. Ich glaube nicht, dass er ihm etwas tun würde“, spekulierte der junge Stilinski. „Boyd und den Zwillingen gegenüber hat er sich ganz normal verhalten und Erica war nicht in unserer Sportstunde dabei.“
 

„Und du sagst, er hat eine enge Bindung zu Gerard?“ Derek sah dabei kurz von der Straße zu Stiles, der ihn mit einem Nicken wortlos bestätigte. „Gut, ich halte den Jungen damit zwar auch für eine Bedrohung, aber was soll ein Teenager schon anrichten? Ich meine, wir sind zu sechst, mit Scott sieben und er alleine. Allison steht zu Isaac, dann wären da noch Chris und du.“
 

„Gerard hat ihn sicher nicht ohne Grund aus der Versenkung geholt.“ Stiles lehnte sich ein wenig zurück und betrachtete sein Antlitz im Spiegelbild. Ihm standen das Misstrauen und die Beunruhigung quasi ins Gesicht geschrieben. „Der alte Psychopath macht nie etwas ohne Grund und du hättest die beiden sehen sollen, Derek – Luke war genauso drauf wie Allison damals, wenn nicht sogar noch schlimmer. Er ist ihm quasi verfallen, hörig, wenn ich die Zeichen richtig gedeutet habe.“ Sein Blick wanderte zu Derek hinüber, dessen Stirn noch mehr in Falten lag als vorhin. Ihm etwas vorzulügen oder die Situation herunterzuspielen wäre kontraproduktiv gewesen, zumal er Stiles gut genug kannte, um eine Lüge zu durchschauen. Er zögerte dennoch einen Moment, bevor er den Mund öffnete, um seine zweite Befürchtung zu äußern: „Ich glaube außerdem, dass er Scotts Seelengefährte ist.“ Stiles´ Worte waren nicht mehr als ein Flüstern und doch wusste er, dass sein Gefährte ihn verstand. Innerlich machte sich der Jüngere schon bereit, erneut unfreiwillig Bekanntschaft mit der Beifahrertür zu machen, doch Derek blieb erstaunlich gelassen. Er heftete erneut seinen Blick auf Stiles, dieses Mal mit etwas Zweiflerischem darin.
 

„Das kann nicht sein. Scott trägt ein L und ein A auf dem Arm und du hast gesagt, dieser Luke würde Taylor heißen.“
 

„Ich weiß, aber ich glaube, dass sie beide lügen, Gerard und er“, spekulierte Stiles.
 

„Wie meinst du das?“ Derek zog verwundert die Augenbrauen zusammen.
 

„Wahrscheinlich lautete sein ursprünglicher Nachname Argent oder tut es immer noch. Personaldaten kann man fälschen oder ändern. Das ist es aber nicht, was mich stutzig gemacht hat.“ Stiles trippelte ungeduldig auf seinem Knie und dem Griff der Beifahrertür herum.
 

„Sondern?“ Derek klang beunruhigt, aber auch interessiert, den Blick wieder auf die Straße gerichtet.
 

„Der Coach meinte, die Anweisung zum Fußballspielen käme von oben. Scott hat sich auf sein Bauchgefühl verlassen, das weiß ich. Er hat Luke und nicht Greenburg ins Team gewählt. Beide haben perfekt miteinander gespielt. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass Luke tatsächlich Stürmer in der Fußballmannschaft seiner Schule gewesen ist, und auch Mannschaftskapitän, dann besitzt er Erfahrung und wahrscheinlich auch Können. Scott aber nicht“, führte Stiles seine Gedanken aus.
 

„Scott ist immerhin ein Werwolf, Stiles. Er besitzt bessere Reflexe als ein Mensch, ist stärker, schneller…“, gab Derek zu bedenken.
 

„Natürlich, und auch wenn man Scott mittlerweile als Sportskanone einordnen kann, so fehlt es ihm dennoch an Ballgefühl, an der Routine. Sie haben trotzdem miteinander gespielt als hätten sie seit Jahren nichts anderes getan. Trotz der Tatsache, dass Luke ein bloßer Mensch ist, waren selbst Boyd, Jackson und die Zwillinge nicht in der Lage, ihm den Ball abzunehmen. Scott stand immer genau an der richtigen Stelle, nahm den Pass an, spielte zurück…“ Stiles hielt einen Moment inne und ließ die gesprochenen Worte Revue passieren. Das waren einfach zu viele Zufälle. „Dann hat er ihm die Schokoladenmuffins geschenkt, nicht mir.“
 

„Vielleicht ist Scott auch einfach netter zu ihm als du?“ Derek zuckte leicht ratlos mit den Schultern.
 

„Das sicher, Derek, aber mir gefällt das Warum einfach nicht. Ein zweites Enkelkind von Gerard taucht aus dem Nichts auf, noch dazu mit eventuellem Zugang zu einem Arsenal an Waffen, welches das gesamte Pentagon sabbern lassen würde, und scheint dabei noch Interesse an Scott zu haben?“ Stiles rieb sich über sein Kinn und zuckte unruhig mit den Beinen.
 

„Was meinst du mit Interesse?“
 

„Ich weiß nicht, ob es gespielt ist Derek, oder nicht, aber er hat diesen gleichen sehnsüchtigen Blick wie Scott, wenn er auf das Mal auf seinem Oberarm starrt. Scott ist es nicht aufgefallen, aber mir; Luke hat ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Immer wieder war da dieser kaum zu deutende Gesichtsausdruck gewesen.“ Stiles schloss die Augen und rief sich das Bild noch einmal in Erinnerung.
 

Luke hatte an seinem Shirt gezupft und sich dann an die Seite gefasst. Sein Blick war dabei ständig auf Scott gelegen, der über dem Lückentext in der Englischstunde gebrütet hatte. Dabei hatte er ihn auf erschreckende Weise an seinen besten Freund erinnert. Wie die Lippen ein wenig zitterten, dazu der Anflug von Schmerz und Bedauern. Ein unerfüllter Wunsch, so etwas wie unausgesprochenes Verlangen. Wahrscheinlich war Scott hübsch, Stiles vermochte das bei seinem besten Freund nicht wirklich zu beurteilen, doch dieses Verhalten war ungewöhnlich.
 

„Bist du dir ganz sicher?“, fragte Derek völlig wertungsfrei.
 

„Ja, ich bin mir ganz sicher“, bestätigte Stiles mit einem Kopfnicken. „Selbst, wenn es nur gespielt sein sollte, so ist zumindest Luke an Scott interessiert.“
 

„Und hast du auch eine Vermutung warum?“ Derek konzentrierte sich nun wieder vermehrt auf die Straße.
 

„Wenn ich ehrlich sein soll: Nein. Nachdem das mit dem Biss schiefgegangen ist, dachte ich eigentlich, der alte Mistkerl würde von der Bildfläche verschwinden, aber anscheinend habe ich mich geirrt. Vielleicht erhofft er sich, dass Scott ihm die Schmerzen gelegentlich nimmt oder Heilung durch einen zweiten Biss?“ Stiles legte seinen Blick auf die Decke des Camaros. „Oder sie wollen Scott von uns isolieren.“
 

„Das wird kaum möglich sein. Scott gehört zu uns, auch wenn er nicht Teil meines Rudels ist. Du bist sein bester Freund und ihr seid unzertrennlich. Nichts kann einen Keil zwischen euch treiben.“ Eine Spur Eifersucht schwang in Dereks Stimme mit, als er Stiles zu beruhigen versuchte.
 

„Das wissen wir nicht. Wenn Scott und Luke zusammengehören sollten, wären sie verbunden, wie wir beide. Du würdest alles für mich tun, genauso wie ich für dich.“ Stiles schaute zu seinem Gefährten hinüber, dessen Körperhaltung sich schlagartig versteifte.
 

„Ich würde aber nie von dir verlangen, dass du dich gegen Scott entscheidest.“
 

Stiles legte seine Hand auf Dereks Arm und strich mit den Fingerspitzen daran entlang, was den Werwolf kurz zusammenzucken ließ, ehe er ihm den Arm entgegenstreckte. Ein leises und wohliges Seufzen entsprang seiner Kehle, während Stiles fortfuhr.
 

„Weil du ein guter Mensch bist, Derek. Du bist keine Marionette, nennst ein wundervolles Herz dein Eigen und bist der beste Gefährte, den man sich wünschen kann.“ Stiles´ Lippen umspielte ein Lächeln, während er seinen Freund liebevoll streichelte.
 

Da war er wieder, dieser sanfte und zärtliche Ausdruck in Dereks Gesicht. Die harte Schale, welche schlussendlich einen weichen Kern beherbergte. Ihn an die Oberfläche zu locken gelang Stiles mittlerweile mühelos. Sie gehörten zusammen, hatten es eigentlich schon immer getan. Als das Mal auf Stiles´ linker Brust erschienen war und es ein D und ein H beherbergte, war ihm sofort klar gewesen, um wen es sich handeln musste. Gleiches galt für Derek, der sich zu Beginn zwar ein wenig dagegen wehren wollte, doch am Ende hatte die Liebe gesiegt, wenn man es denn romantisch ausdrücken mochte. Mittlerweile konnten sich beide ein Leben ohne den jeweils anderen nicht mehr vorstellen. Es war genau dieser Gedanke, der Stiles einen Stich versetzte und die geborgene Atmosphäre, in der sie sich beide gerade befanden, trübte.
 

„Was hast du?“, wollte Derek wissen und hielt dabei direkt vor der Casa Stilinski.
 

„Hm?“, machte Stiles und tat so, als würde er nicht wissen, wovon Derek sprach.
 

„Du wirkst irgendwie traurig. Was ist los, Stiles?“ Der Werwolf stellte den Motor ab und nahm Stiles´ Hände in seine, um sie sanft zu drücken und mit den Daumen über die Handrücken zu streichen.
 

„Ich habe einfach Angst dich zu verlieren“, gestand Stiles leise. Seinen Seelengefährten zu verlieren war mitunter das Schlimmste, was einem passieren konnte. Er hatte es bei seinem Vater erlebt, als seine Mutter von der Krankheit dahingerafft worden war. Mit Claudia war auch ein Teil von Noah gestorben. Er hatte sich zusammengerissen, für Stiles, das wusste sein Sohn auch, doch ihren Verlust hatte er nie gänzlich verwinden können.
 

„Das wirst du nicht, Stiles.“ Derek nahm seine rechte Hand und legte sie an Stiles Wange, um sanft darüberzustreichen. „Wir werden immer zusammenbleiben, egal was passiert.“ Keine Spur von Zweifel lag dabei in seiner Stimme. Er war sich dessen absolut sicher. Eine Eigenschaft, die Stiles so sehr an seinem Gefährten bewunderte: Egal was Derek machte, er hielt es für richtig, schritt mutig voran, selbst gegen übermächtige Gegner und in die tiefste Dunkelheit hinein. Für sein Rudel, seine neue Familie, für ihn.
 

„Was hältst du davon, wenn wir erstmal nach drinnen gehen, uns um deine Hausaufgaben kümmern und dann etwas essen? Ich lasse mir etwas einfallen, versprochen.“ Derek beugte sich nach vorne, um Stiles zu ganz behutsam zu küssen. Augenmerklich beruhigte sich der Jüngere und sackte in seinem Sitz ein wenig zusammen, die Arme um Dereks Nacken legend. Für einen kurzen Moment gelang es Stiles sämtliche Sorgen zu vergessen. Es gab nur seinen Gefährten und ihn. Stiles atmete den Geruch von Derek ein, schmiegte sich an ihn und genoss die traute Zweisamkeit. Er räumte seine Zweifel und auch den Plan, über Luke Erkundigungen einzuziehen, ganz weit nach hinten, in die hinterste Ecke seines Kopfes. Sie hatten noch Zeit. Einen Nachmittag eventuell zu vergeuden dürfte keinen Unterschied ausmachen, oder?

Besuch am frühen Morgen

Es war früher Morgen und Scott stand vor dem Badezimmerspiegel, in schwarzem Tanktop und Jogginghose, seine Zahnbürste im Mund. Er hatte die ganze Nacht kaum geschlafen. Der Werwolf sah ziemlich fertig aus. Leichte Augenringe zierten sein Gesicht und er wirkte abgeschlagen. Zu sehr war die Erinnerung an das prickelnde und angenehme Gefühl in seinem Körper präsent gewesen. Der junge Alpha hatte sich im Bett herumgewälzt, nachgedacht, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen. War das alles ein Zufall gewesen? Eine simple Gegenreaktion auf einen anderen menschlichen Körper? Nein, denn wenn er Stiles anfasste, war das nicht so. Gleiches galt für Isaac oder Derek. Es war am Ehesten zu vergleichen mit… Allison. Scott hatte für einen Augenblick lang geglaubt, dass er sich in Luke verliebt haben könnte, doch das war sehr weit hergeholt, fast schon töricht. Sie kannten sich kaum, nicht mal wirklich volle 24 Stunden.
 

Von unten herauf duftete es nach Pancakes. Scott hatte seine Mutter vom Schichtdienst heimkommen gehört. Obwohl Melissa wahrscheinlich hundemüde war, bereitete sie ihrem Sohn noch ein Frühstück zu und würde mit dem Schlafen warten, bis er außer Haus war. Das hatte sich irgendwie so eingespielt. Sie waren ein Team und hatten nur sich als direkte Familie. Melissa war nämlich ein Beispiel dafür, dass man zwar ohne Seelengefährten glücklich sein konnte, aber dieses Glück nicht von Dauer sein musste. Sie und sein Vater hatten sich bereits vor Jahren getrennt. Scott pflegte den Gedanken daran einfach zu verdrängen. Er und Rafael hatten seitdem keinen Kontakt miteinander gehabt und Scott vermisste ihn auch nicht. Seine Mutter gab ihm die elterliche Liebe, die er brauchte.
 

„Scott?“, hörte er sie von unten rufen. „Liebling?“ Sie klang ein wenig alarmiert.
 

„Mom?“, rief er zurück.
 

„Vor unserem Haus parkt ein sündhaft teuer wirkender Sportwagen. Hat das einen bestimmten Grund?“
 

Scott eilte, mit der Zahnbürste im Mund, nach unten. Keinen Augenblick zu früh, denn es klingelte bereits an der Haustür. Seine Mutter warf ihm einen besorgten Blick zu. Der Werwolf lauschte einen Moment angestrengt. Ein ungleichmäßiger, schneller Herzschlag, flacher Atem, der Geruch von Haarwachs und… Zitronen? Scott zog die Augenbrauen zusammen. Er bedeutete seiner Mutter mit einer Handgeste, dass sie sich nicht weiter Sorgen zu machen brauchte und öffnete die Tür.
 

Ihm gegenüber stand Luke, gekleidet in einen zimtfarbenen Wollcardigan, unter dem ein schwarzes T-Shirt hervorlugte, eine dazu farblich passende Hose mit grau-schwarzen, halbhohen Sneakers kombiniert. Der Brite blinzelte einen Moment lang perplex, bevor er den Kopf schief legte und fragte: „Ist das ein neuer Trend, mit der Zahnbürste im Mund aufzumachen?“
 

Scott verdrehte die Augen, nur um sich dann zu beeilen, die Zahnbürste loszuwerden und sich den Mund abzuwischen. Er verschwand dazu kurz nach drinnen, bevor er sich wieder unter die Eingangstür stellte. „Was machst du denn hier?“ Dabei musterte er sein Gegenüber, der gerade den Autoschlüssel in die rechte Tasche seines Cardigans steckte.
 

„Dein Taxi steht bereit. Zu früh, wie ich gerade bemerke“, kommentierte Luke trocken Scotts Aufzug. „Aber wenigstens scheinst du eine gute Mundhygiene zu pflegen.“ Dabei blitzte, passenderweise, die Zahnspange auf.
 

„Ich habe dich doch gar nicht angerufen? Mal abgesehen davon, ich dachte, dein Grandpa fährt mit dir zur Schule?“ Scott runzelte die Stirn und beobachtete Lukes Mimik, wie auch Gestik und vor allem seinen Herzschlag genau, als dieser antwortete:
 

„Grandpa kann auch von Jonathan in die Schule gefahren werden. Außerdem kommt er heute erst zur zweiten Stunde. Er hätte sowieso jemanden gebraucht.“ Luke rückte den Kopf wieder gerade. „Darf ich reinkommen?“ Dabei streckte er sich ein wenig und schnupperte. „Hier riecht es nach… Pancakes?“
 

Scott zögerte kurz. Luke hatte weder gelogen noch war er nervös, zumindest nicht nervöser als vor dem Öffnen der Tür. Der Werwolf konnte keine bösen Absichten aus seiner Körperhaltung entnehmen. Sein Kopf riet ihm vorsichtig zu sein, sein Bauch seltsamerweise, ihn hereinzubitten. Was also sollte er machen? Die Entscheidung wurde ihm von Melissa abgenommen, die hinter ihm erschien und Luke kurz neugierig musterte, ehe sie sich zu einem einladenden Lächeln hinreißen ließ.
 

„Guten Tag, junger Mann“, begrüßte sie ihn freundlich und streckte ihm die Hand hin, die auch sogleich ergriffen wurde. Ein kurzes Schütteln folgte, ehe man sich wieder löste und seitens Luke das Lächeln erwidert wurde.
 

„Guten Tag. Ich nehme einmal an, dass Sie Scotts Mutter sind?“, fragte er höflich, putzte sich die Schuhe auf der „Welcome“-Matte ab und trat ein.
 

„Korrekt erkannt“, bestätigte sie ihm. „Hast du Hunger?“
 

Scott konnte ein Hauch des Zögerns in Lukes Zügen erkennen, bevor er sich ihm zuwandte und mit einem fragenden Gesichtsausdruck bedachte. Der junge Alpha überlegte. Seine Mutter war einfach ein zu lieber Mensch, wenn es um solche Dinge ging. Sie war für Stiles quasi so etwas wie eine Ersatzmutter geworden und auch für Isaac, bevor dieser zu Allison gezogen war. Das aufkeimende Misstrauen in Scott verursachte seltsamerweise ein schlechtes Gewissen. Lukes Lächeln hatte ehrlich gewirkt und ein Teil von ihm, den er nicht genau beschreiben konnte, wollte irgendwie, dass er ihnen Gesellschaft leistete, also bekräftigte er den Gast mit einem Nicken.
 

„Ich will Ihnen aber keine Umstände bereiten, Miss McCall“, meinte Luke und sah sich neugierig im Haus um. Sein Blick blieb dabei an Scott hängen, wieder einen schuldbewussten Eindruck machend. Mit einem Mal verstand der Werwolf auch, warum er heute so früh Besuch bekommen hatte: Der Fauxpas von gestern nagte an seinem Gegenüber. Ihn plagten wahrscheinlich Schuldgefühle. Seltsam – so hatte sich Luke bisher nicht präsentiert, mal abgesehen von der Verabschiedung gestern, mitsamt beigeschlossener Entschuldigung.
 

„Tust du nicht, setz dich doch einfach.“ Melissa warf Scott dann einen strengen Blick zu. „Und du solltest dich beeilen, sonst kommst du zu spät.“
 

„Ja, Mom“, seufzte er und machte sich daran, wieder nach oben zu gehen und sich fertig für die Schule zu machen. Dabei hörte er aufmerksam dem Gespräch von oben zu, welches sich zwischen seiner Mutter und Luke entwickelte.
 

„Und woher kennst du Scott?“, hakte Melissa interessiert nach. „Normalerweise holen Stiles und Derek ihn ab, oder Allison und Isaac.“
 

„Ich bin neu an der Schule“, erwiderte Luke und es war das Geklirre von Tellern zu hören. „Ich hatte das Glück von ihm in die Mannschaft im Sportunterricht gewählt worden zu sein.“ Kurze Stille, die Scott schon fast nach unten stürzen hätte lassen, ehe Luke fortfuhr. „Aber wo bleibt meine Erziehung? Bitte entschuldigen Sie, Miss McCall, ich habe mich noch gar nicht wirklich vorgestellt. Mein Name ist Luke Taylor.“
 

„Da hat aber jemand Manieren“, konnte Scott seine Mom lachen hören, was ihn erleichtert aufatmen ließ. Inzwischen war er dazu übergangen sich umzuziehen. „Du musst mich aber nicht so förmlich ansprechen, das ist dir klar oder? Ich bin Melissa und das reicht völlig.“
 

„Die Höflichkeit und der Anstand gebieten es aber, zumindest so lange, bis Sie mir eine persönlichere Anrede anbieten, Miss McCall.“ Wieder ein kurzer Moment der Stille. „Ich werde mich aber natürlich nach Ihren Wünschen richten.“
 

Scott ertappte sich dabei, wie er gerade abgelenkt seinen Kleiderschrank durchwühlt hatte. Er war die ganze Zeit dem Gespräch gefolgt und über frische Boxershorts und eine Jeans nicht hinausgekommen. Wenn er an den gestrigen Tag dachte, so wie Luke sich Jackson gegenüber verhalten hatte, wollte dieses höfliche Auftreten so gar nicht in das Verhaltensmuster passen, welches Stiles nach der Mittagspause hobbypsychologisch erstellt hatte. Im Gegenteil: Luke wirkte höflich, wenn auch ein wenig reserviert, vielleicht etwas steif, aber kaum versnobt oder gar aggressiv. Mit einem Kopfschütteln vertrieb er diese Gedanken und kümmerte sich nun wirklich um sein Outfit.
 

„Kann es sein, dass du aus Großbritannien stammst?“, hörte er seine Mutter fragen und dabei den Deckel der Kaffeekanne aufschnappen.
 

„Was hat mich verraten? Der Akzent?“ Scott konnte auch das schüchterne Lächeln heraushören, hatte es bei Lukes Frage quasi bildlich vor Augen.
 

„Dezent.“
 

„Ich hatte gehofft, es seien meine Manieren.“ Dabei zitterte Lukes Stimme ein wenig, so als müsse er ein Kichern unterdrücken.
 

Scott schlüpfte rasch in ein T-Shirt und einen Hoodie, bevor er nach unten ging. Das restliche Gespräch war relativ belanglos verlaufen. Luke hatte ein wenig über sich erzählt, und vor allem von seiner Heimatstadt, Cambridge, geschwärmt.
 

Seine Mutter und der Brite saßen bereits am Tisch, sie mit einer Tasse Kaffee, er mit einem Glas Orangensaft. Es war für drei Leute aufgedeckt worden. In der Mitte befand sich ein vierter Teller, auf dem sich eine riesige Ladung Pancakes auftürmte. Scott warf einen Blick auf die Uhr im Wohnzimmer, die ihm zeigte, dass sie noch etwas Zeit hatten, ehe er sich einen Stuhl schnappte und sich hinsetzte.
 

„Greift zu“, meinte Melissa und zumindest Scott ließ sich das nicht zweimal sagen. Er beobachtete aus den Augenwinkeln heraus, wie Luke ihn dabei beobachte, wie er sich eine große Portion Pancakes aufschichtete, etwas Kaffee in seine rote Tasse mit der Nummer 11 und zwei gekreuzten Lacrosse-Schlägern darauf eingoss und sich dann über sein Frühstück hermachte.
 

„Scott“, schimpfte seine Mutter halbernst und schüttelte den Kopf. „Als hättest du tagelang nichts zu Essen bekommen“, kommentierte sie seine Tischmanieren.
 

„Isch habe eben Hunger“, meinte er mit vollem Mund und spülte sich mehrere Bissen Pancakes mit einem Schluck Kaffee hinunter.
 

„Ach, lassen Sie ihn doch, Mi… Melissa. Ich denke, jeder Junge in unserem Alter ist so. Zuhause werde ich auch des Öfteren gemaßregelt, dass ich mich beim Essen etwas zurückhalten sollte.“ Luke begann nun selbst, sich einen Pancake aufzuladen, diesen in mundgerechte Stückchen zu zerteilen, bevor er vorsichtig einen Bissen probierte. Er kaute nachdenklich wirkend und dann hellte sich sein Gesicht auf. „Blaubeeren?“, fragte er, was Melissa bejahte. „Köstlich“, meinte er nur und spießte das nächste Stück auf der Gabel auf. „Ich habe schon lange nicht mehr so gute Pancakes gegessen.“
 

„Das ist schon fast ein wenig zu schmeichelhaft“, erwiderte Scotts Mutter, die sich aber tatsächlich zu freuen schien, während sie ihre Finger um die Tasse legten.
 

„Doch. Der Teig ist fluffig, die Blaubeeren noch saftig und schmecke ich da eine Prise Zimt heraus?“ Luke warf ihr einen prüfenden Blick zu.
 

„Du hast aber einen feinen Geschmack. Zimtzucker, und davon nur eine kleine Prise“, gab sie überrascht wirkend zu. „Er verleiht dem Ganzen einen etwas anderen Geschmack als mit normalem Zucker.“
 

Scott blinzelte perplex und sah zwischen seiner Mutter und Luke hin und her, die förmlich um die Wette strahlten. Von dem versnobten Verhalten von gestern war gar nichts mehr zu spüren. Luke wirkte wie ein ganz normaler Teenager, der sich tatsächlich über so etwas Einfaches wie Pancakes freute. Eigentlich hatte Scott damit gerechnet, dass er den probierten Bissen angewidert ausspucken würde, doch das war nicht der Fall. Er log auch nicht, denn seltsamerweise hatte sich sein Herzschlag beruhigt und pochte schön gleichmäßig vor sich hin.
 

„Und du bist neu in der Stadt? Was führt denn jemanden von Cambridge nach Beacon Hills? Das muss ein ganz schöner Kulturschock sein, oder?“ Melissa nippte an ihrer Tasse, während Luke sich einen weiteren Pancake nahm. Scott hielt sich aus dem Gespräch heraus, erstens, weil er morgens immer einen Bärenhunger verspürte und zweitens, weil er die gute Stimmung nicht zerstören wollte. Etwas an der Situation ließ ihn selbst ein wenig entspannen. Außerdem hegte er den Verdacht, dass Luke vielleicht etwas von sich aus erzählen würde, dass er Scott eventuell nicht preisgeben wollte. Er schien aus irgendeinem Grund seine Mutter zu mögen. Kurz war in Scott der Gedanke aufgekeimt, dass Luke sie genauso als Druckmittel benutzen wollte wie Gerard damals, doch das hatte er gleich wieder verworfen. Er fühlte sich fast schon schlecht bei diesem Gedanken und wusste auch hier nicht warum. Seine Sinne spielten entweder verrückt, oder er litt gerade an einer äußerst seltsamen Kombination an Gefühlsempfindungen.
 

„Das ist eine lange Geschichte, die den Rahmen sprengen würde. Benennen wir es einfach mit familiären Verpflichtungen...“ Luke nippte an seinem Glas Orangensaft. „Und ja, kann man so sagen. Cambridge ist deutlich anders. Mir fehlt alleine schon der Regen. Fußball auf einem aufgeweichten Rasen bedeutet noch einmal eine zusätzliche Herausforderung.“
 

„Du spielst Fußball?“ Melissa nippte wieder an ihrer Tasse.
 

„Ja, und ich bin auch begeisterter Langläufer, wie auch Parkoursport betreibe. Gerade natürlich weniger, zumindest was den Langlauf angeht, aber ich habe mir bereits einmal den Wald angesehen, um eine optimale Route für mein Lauftraining zu finden.“ Luke kümmerte sich wieder um seinen Pancake.
 

„Du solltest dich vielleicht vom Wald fernhalten. Wir haben eine relativ hohe Wildtierpopulation, vor allem an Wölfen“, meinte Melissa und konnte dabei einen kurzen Seitenblick zu ihrem Sohn nicht gänzlich unterdrücken.
 

„Oh, ich kann sehr gut auf mich aufpassen. Wölfe haben so etwas wie eine natürliche Abneigung gegen mich“, erwiderte Luke leichthin.
 

Scott verschluckte sich bei diesen Worten an seinem Stück Pancake . Er klopfte sich auf die Brust und sowohl seine Mutter, als auch Luke, sahen ihn besorgt an. Das war eindeutig eine Anspielung gewesen. Er war ein Jäger, genauso wie Gerard und seine Mutter, wie Allison und Chris. Es dauerte einen Moment, bis Scott aufhörte zu husten und er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
 

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Luke, was der Werwolf nur mit einem hastigen Nicken abtat. Einen skeptischen Blick später wandte sich der Brite wieder Melissa zu. „Ich weiß, das mag albern klingen, aber in unserer Schulmannschaft hatte ich den Spitznamen „Tiger“, weil ich anscheinend wie diese Raubkatze um meinen Ballbesitz kämpfe. Der Stürmer unserer Rivalenmannschaft trägt den Spitznamen „Wolf“. Die Kommentatoren machten sich einen Spaß daraus, diese Namen zu verwenden, wenn wir auf dem Spielfeld aufeinandertrafen. Ich empfinde das ja als Verschandelung meines Namens, aber…“ Er zuckte mit den Schultern. „Es gibt sicher schlimmere Spitznamen als ‚Tiger von Cambridge‘.“
 

Scott versuchte sich wieder zu beruhigen. Entweder er sah Gespenster oder er war extrem überspannt und vorsichtig. Luke unterhielt sich ganz normal mit seiner Mutter, wobei sein Blick immer wieder, fast schon entschuldigend, zu dem Werwolf huschte. Irgendwie wurde der junge Alpha nicht ganz schlau aus dem Briten. Ihm gegenüber wirkte er verletzlich, geradezu verschüchtert, während er sich bei ihrer ersten Begegnung ganz anders präsentiert hatte. Auch im Sportunterricht und nach ihrem Gespräch war er selbstbewusst aufgetreten. Konnte das tatsächlich nur das bloße schlechte Gewissen sein?
 

„Ihr solltet euch aber allmählich fertig machen, sonst kommt ihr zu spät“, meinte seine Mutter und zog Scott den leeren Teller weg. „Die restlichen Pancakes…“ Ihr Blick fiel auf die vier Stück, die noch übrig waren.
 

„Die würde ich nehmen, wenn ich darf.“ Sowohl Scott, als auch Melissa, sahen überrascht zu Luke. „Ich weiß, das ist ein wenig unverschämt, aber ich würde mein Mittagessen dann mit Scott tauschen.“
 

„Ihr bekommt doch in der Schulkantine Essen?“, fragte Scotts Mutter leicht verwirrt.
 

„Ja, aber das hat gestern bereits ungenießbar gewirkt. Ich kann im Gegenzug selbstgemachte Müsliriegel mit Brom-, Him- und Blaubeeren anbieten, sowie gedämpftes Chashao bao.“ Luke kratzte sich verlegen im Nacken, als er angestarrt wurde. „Ist das nicht adäquat für Pancakes als Gegenleistung?“
 

„Ich weiß nicht mal, was das ist“, gestand Scott ein.
 

„Gedämpfte Hefebrötchen mit gegrilltem Schweinefleisch gefüllt.“ Luke fügte noch rasch hinzu: „Frisch zubereitet natürlich.“
 

Scott kratzte sich am Hinterkopf. Was zum Geier war eigentlich in diesen Jungen gefahren? Er tauschte Pancakes, gute Pancakes natürlich, Melissa kochte nämlich nicht schlecht, gegen etwas, das äußerst aufwändig klang. Wenn dieses fremdartig klingende Essen ähnlich teuer war und auch schmeckte wie die Muffins von gestern, dann würde der Brite einen schlechten Tausch machen. Scott wollte ihn nicht übervorteilen und außerdem legte er sowieso nicht so großen Wert auf Materielles.
 

„Tauschst du?“, fragte Luke mit einem hoffnungsvollen Gesichtsausdruck.
 

„Ich… ähm?“ Der Werwolf schaute hilfesuchend zu seiner Mutter. Sollte er annehmen?
 

„Ist deine Mutter da nicht enttäuscht, wenn du ihr aufwändig zubereitetes Essen gegen so etwas Simples wie Pancakes eintauschst?“, wollte Melissa wissen.
 

Da war er wieder, dieser kurze Moment, in dem Luke die Gesichtszüge entglitten. Er fing sich auch sogleich wieder und dem Gesichtsausdruck von Scotts Mutter nach zu urteilen hatte sie seine Reaktion nicht bemerkt, aber der Werwolf. Dieser beobachtete den Briten genau, wie er eilig den Kopf schüttelte: „Nein. Meine Mutter bereitet mir außerdem nie mein Mittagessen zu.“ Er warf dann hastig einen Blick auf die Uhr ihm gegenüber. „Wir sollten aber wirklich, Scott, sonst kommen wir zu spät.“
 

Dieser nickte nur langsam und vermerkte in seinem Kopf, dass Luke äußerst allergisch auf seine Vergangenheit, vor allem auf seine Mutter, zu reagieren schien. Gestern war er diesem augenscheinlichen wunden Punkt ausgewichen und heute hatte er die gleiche Taktik verfolgt.
 

„Na dann, Moment, ich packe sie dir ein.“ Melissa schnappte sich den Teller und verschwand wieder in der Küche, womit die beiden Jungs alleine waren.
 

„Ihr habt es tatsächlich nett hier. Heimelig eingerichtet.“ Luke sah sich ein wenig um, wobei sein Blick auf das Foto auf dem kleinen Beistelltischchen aus Holz neben dem Treppenaufgang fiel. Es zeigte Scott und Melissa, wie sie sich eng umarmten und dabei um die Wette in die Kamera strahlten. Kurz streckte er die Finger aus, schien danach greifen zu wollen, zog sie dann aber zurück. „Du verstehst dich gut mit deiner Mutter, hm?“
 

„Kann man so sagen“, nickte Scott und verschmälerte die Augen ein wenig, als er erneut Lukes unregelmäßigen Herzschlag wahrnehmen konnte. Warum wurde er immer wieder so nervös? Das konnte kein Zufall sein. Bevor Scott etwas sagen konnte, erschien auch schon seine Mutter wieder, die die Pancakes fein säuberlich in Alufolie eingepackt Luke in die Hände drückte. Dieser freute sich augenscheinlich wie ein Honigkuchenpferd. Konnte in so jemandem ein Monster schlummern? Jemand, der zu Gerard Argent passte?
 

„Vielen lieben Dank, Melissa. Ich werde mich beizeiten revanchieren. Wirklich.“ Luke trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Dürfte ich sie vielleicht um das Rezept bitten? Bei Gelegenheit natürlich?“
 

„Jetzt übertreibst du aber. Es sind ganz normale Pancakes?“, lachte Melissa, nickte dann aber. „Ich schreibe es nachher auf, aber ich fürchte dich enttäuschen zu müssen, das Rezept gibt es auf nahezu jeder Internetseite, die sich mit Kochen beschäftigt.“
 

„Das ist mir egal. Bitte, wenn Sie so nett wären.“ Luke hob lächelnd die Hand zum Abschied. „Das war ein sehr nettes Gespräch. Es war mir eine Freude Sie kennenlernen zu dürfen, Melissa. Vielleicht sieht man sich beizeiten einmal wieder?“
 

„Ich hoffe doch“, lächelte sie ihm entgegen. Damit ging sie zu Scott, umarmte ihn fest und ließ ihn dann los. „Viel Spaß in der Schule, Jungs! Passt auf euch auf.“
 

„Werden wir, Mom“, lächelte Scott, schnappte sich seinen Rucksack und folgte Luke nach draußen, der die Pancakes vor sich hertrug, als hätte er einen Goldschatz in den Händen. Umständlich fummelte er den Schlüssel aus seiner Tasche, entsperrte seinen Wagen, stieg ein und platzierte die Pancakes vorsichtig auf der Rückablage. Scott stieg ebenfalls ein und zückte sein Handy, um Stiles zu schreiben, dass er heute keine Mitfahrgelegenheit brauchte. Kaum, dass das erledigt war, befanden sie sich auch schon auf dem Weg zur High School.
 

„Du hast eine äußerst nette Mutter, Scott“, stellte Luke sogleich fest. „Liebenswert, freundlich, aufgeschlossen.“ Er klang dabei fast ein wenig neidisch.
 

„Findest du?“ Scott war natürlich sehr stolz auf seine Mutter, Melissa hatte ihn auch ohne Vater aufgezogen und er war ein guter Teenager geworden, wie er fand. Stiles und Isaac vertraten auch diese Ansicht, genauso wie Allison, aber dennoch – es von einem Fremden zu hören bekräftigte ihn in seiner Ansicht, dass er die beste Mutter der Welt hatte.
 

„Ja“, bestätigte ihm Luke und hatte den Blick dabei starr auf die Straße gerichtet. „Außerdem waren das die besten Pancakes, die ich jemals gegessen habe. Weder der Koch, noch Jonathan, haben den Teig so hinbekommen. So etwas bekommst du regelmäßig zum Frühstück?“
 

„Ähm, ja? Ich meine, wenn Mom da ist und kocht oder backt?“ Scott hob ein wenig überrumpelt die Schultern an. Was war denn so besonders an Pancakes? Im Vergleich zu Lukes vermeintlichem Frühstück vor allem? Scott sah den jungen Briten alleine vor einem riesigen Tisch sitzen, der unter dem Gewicht von allerlei kostbaren Speisen und Getränken einzubrechen drohte. Dabei kam ihm ein Gedanke. Das war genau der richtige Zeitpunkt, um Luke vorsichtig auf den Zahn zu fühlen.
 

„Du hast vorhin ein wenig seltsam reagiert, als Mom nach deiner Mutter gefragt hat“, setzte Scott bemüht ruhig an, den Fahrer dabei aus den Augenwinkeln beobachtend.
 

„Meine Mutter waren zwei Kindermädchen“, erklärte Luke kurz angebunden und kratzte sich mit dem Daumenrücken an seiner linken Nasenseite. Wieder beschleunigte sich sein Herzschlag ein wenig.
 

„Und deine richtige Mutter?“
 

„Hat sich nie für mich interessiert. Dieses Thema wird bei uns zuhause kaum angeschnitten. Ich bin aufgezogen worden von Bediensteten, die regelmäßig wechselten. Dazu mehrere Hauslehrer, bis ich alt genug für eine Privatschule war. Einzig Jonathan ist mir über all die Jahre erhalten geblieben.“ Der Tonfall in Lukes Stimme ließ keine Zweifel offen, dass er sich nicht weiter darüber unterhalten wollte. Rasch schlug er eine andere Richtung ein, die sich um die High School drehte, vor allem um den Coach, und wie sich dieser als Sportlehrer so etabliert hatte. Scott vermied es weiter auf das unangenehme Thema einzugehen und beantwortete dem Briten seine Fragen, so lange, bis sie auf den Parkplatz vor der Schule einbogen.
 

„Wir sind da“, meinte er und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich freue mich heute auf die Mittagspause.“ Damit stieg er aus, schnappte sich die Pancakes, wartete auf Scott, sperrte den Wagen mit einem Knopfdruck ab und stellte sich dann neben ihn. „Worauf wartest du?“
 

„Auf Stiles“, erklärte ihm Scott.
 

„Ah ja, stimmt. Da will ich nicht weiter stören. Bis später dann.“ Luke hob zum Abschied die Hand, ehe er verschwand und Scott alleine ließ. Dieser sah ihm noch einen Moment lang nach, ehe er die Hände in die Taschen seines Hoodies vergrub und die Wartezeit auf seinen besten Freund nutzte, um die Situation von eben noch einmal gedanklich durchzuspielen. Irgendetwas war da, nur konnte der Werwolf es beim besten Willen nicht benennen. Er würde Luke heute genau beobachten, gemeinsam mit Stiles. Ihm fiel nach kurzer Zeit auf, dass ihm ein wenig seltsam war, so als würde etwas fehlen. Mit jeder Sekunde, die verging, intensivierte sich diese Empfindung. Erst als Stiles endlich aus Dereks Auto stieg, ließ diese Empfindung wieder nach. Scott begrüßte seinen besten Freund mit einer freundschaftlichen Umarmung, ehe er ihn beim Hineingehen auf den neuesten Stand brachte, genauso wie Stiles es auch mit ihm tat.

Ein Versprechen

„Du siehst übrigens noch beschissener aus als Jackson damals nach der Sache mit Derek“, kommentierte Stiles trocken Scotts Augenringe. „Schlecht geschlafen?“
 

„Gar nicht“, beantwortete er die Frage und rieb sich dabei mit den Handballen über die Augen. „Eine lange Geschichte. Erzähl mir lieber zuerst einmal, was deine Recherchen ergeben haben.“ Beim Wort „Recherchen“ wurde Stiles ein wenig kleiner und seine blassen Wangen zierte eine dezente Röte. „Du hast doch recherchiert, oder?“, erkundigte sich Scott.
 

„Ja, habe ich. Auch. Unter anderem“, antwortete Stiles und räusperte sich dezent.
 

„Ich will es gar nicht wissen, oder?“, interpretierte Scott das Verhalten seines besten Freundes mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen. „Oder darf es nicht wissen?“
 

„Ich kann dir eine Zeichnung machen, wenn du willst, oder eine audiovisuelle Beschreibung liefern, mit allen Einzelheiten?“, trat Stiles die Flucht nach vorne an, was bei Scott nur dazu führte, dass er energisch den Kopf schüttelte. „Sicher?“
 

„Ganz sicher“, bestätigte ihm Scott. „So sehr ich dich auch liebe, Bro, so wenig will ich mir irgendwelche Bettgeschichten von dir anhören. Konzentrieren wir uns lieber auf das Wesentliche: Was hast du herausgefunden?“
 

Beide waren inzwischen an ihren Spinden angekommen. Jeder verschwand hinter seiner Tür und kramte die Sachen für die nächste Stunde hervor, während sie sich miteinander unterhielten. Mimik und Gestik des jeweiligen Anderen blieben verborgen, doch das war auch nicht nötig, um den Gesichtsausdruck des jeweils Sprechenden zu erraten. Sie kannten sich bereits seit Kindesbeinen an und waren so eng zusammengerückt, dass sie sich blind vertrauten.
 

„Deprimierend wenig. Über Luke scheint es keine Aufzeichnungen zu geben. Er existiert quasi gar nicht, wie ein Geist. Keine Einträge in sozialen Netzwerken, keine Berichte, keine Anmeldedaten für die renommiertesten Privatschulen in Cambridge, nichts. Nicht, dass man leicht an solche Daten käme, aber es gibt überhaupt keinen Anhaltspunkt. Daddy scheint seinen Sohn sehr gut vor der Öffentlichkeit abzuschirmen.“ Stiles klang dabei ein wenig frustriert.
 

„Denkst du dann, dass er gelogen hat?“ Irgendetwas sträubte sich in Scott, wenn er Luke der Lüge bezichtigte. Er wollte und konnte nicht schlecht über ihn denken, zumindest in diesem Moment nicht. Das war bei einem eigentlich Fremden ungewöhnlich. Für einen kurzen Augenblick tauchte wieder dieses warme Gefühl in seinem Körper auf, das Prickeln, welches seine Fingerspitzen zucken ließ, während er sein Buch für Geschichte einräumte.
 

„Nein. Das ist nicht ungewöhnlich. Personen des öffentlichen Interesses sind äußerst darauf bedacht ihr Privatleben geheim zu halten. Dafür werden teilweise eigene Unternehmen angeheuert, die sich darum kümmern, dass nichts von ihren Klienten nach außen dringt. In Daniel Taylor scheinen sie wohl einen solchen Klienten gefunden zu haben.“
 

„Ist das jetzt beunruhigend oder nicht?“, fragte Scott nach einer kurzen Zeit des Schweigens. Die angenehme Empfindung war wieder verschwunden. Er sehnte sich bereits wieder danach und konnte sich nicht erklären warum. Es hatte ihn glücklich gemacht, Sorgen und Probleme vergessen lassen und ihm so etwas wie Herzklopfen beschert. Positives Herzklopfen.
 

„Nicht wirklich. Zumal auch sein Vater mit großer Anonymität bezüglich seines Privatlebens glänzt. Der offizielle Lebenslauf ist äußerst langweilig und spiegelt quasi den mustergültigen Erfolgstraum eines jeden Unternehmers wider: Bahnbrechende Erfindung, Patentierung, verdient damit ein Vermögen, spendet einen Teil für wohltätige Zwecke, behält einen Teil und investiert den Rest in hochriskante Aktiengeschäfte, die sich als gewinnbringend herausgestellt haben. Keine Skandale, kaum negative Presse, mal abgesehen von der Tatsache, dass sein Unternehmen hochmoderne Waffen entwickelt, die nicht nur zur bloßen Abschreckung dienen, nichts. Er ist offiziell alleinstehend und Vater eines Sohnes. Name und Alter des Kindes sind aber nicht zu ermitteln gewesen.“
 

„Das bedeutet, dass du nichts herausgefunden hast“, schlussfolgerte Scott und drückte seine Spindtür zu.
 

„Exakt“, bestätigte ihm Stiles und tat es ihm gleich. „Über die offiziellen Kanäle ist nichts über Luke herauszufinden.“
 

„Und inoffiziell?“ Scott gefiel der Ausdruck in Stiles Gesicht nicht.
 

„Das ist die Frage. Ich würde aber bevorzugen, auf die Lösung nicht zurückgreifen zu müssen. Das Beste wird sein, sich mit Chris und Allison zu unterhalten. Derek meinte, du solltest das machen, oder Isaac.“
 

„Dazu müsste sie erst einmal aus ihrem Kurzurlaub zurück sein. Ich kann mich aber heute bei Chris erkundigen.“
 

„Es reicht, wenn du das morgen oder so erledigst. Da kommen sie doch zurück? Lydia und Allison?“
 

„Ja, soweit ich informiert bin schon.“
 

„Sehr gut, Isaacs Laune ist nämlich unerträglich ohne Allison. Er war gestern noch kurz bei Derek und mir und puh…“ Stiles wiegte seine Hand hin und her und schüttelte dabei den Kopf. „Das wars jedenfalls von meiner Seite.“
 

„Gut, dann bin wohl ich dran“, meinte Scott, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit der Schulter gegen seinen Spind. „Neben Fußball scheint er äußerst interessiert an Langlauf und Parkoursport zu sein. Was ist das überhaupt?“
 

„Parkour ist eigentlich eine Fortbewegungsart, bei der man möglichst effektiv versucht Hindernisse zu überwinden. Dabei steht die Effizienz im Vordergrund“, erklärte ihm Stiles, was bei Scott nur Unverständnis auslöste. Sein bester Freund seufzte leise. „Eine Mauer wird so überwunden, dass man so wenig Geschwindigkeit wie möglich verliert. Kreativität steht dabei im Vordergrund, wie auch Einfallsreichtum und dementsprechende körperliche Fitness.“
 

„Das klingt irgendwie anstrengend“, meinte Scott nachdenklich. „Und erinnert mich an das erste Training nach meinem Biss, als ich über den Verteidiger einfach hinweggesprungen bin.“
 

„Jein, lassen wir es einfach so stehen, okay?“ Stiles verschmälerte seine Augen ein wenig. „Woher weißt du das eigentlich?“
 

„Weil er es heute meiner Mum erzählt hat.“
 

„Wie, er hat es deiner Mutter erzählt?“
 

Scott druckste ein wenig herum, ehe er damit begann, Stiles über seine Mitfahrgelegenheit gestern und heute aufzuklären. Genauso über ihr Gespräch und auch ein wenig zähneknirschend über Lukes Narbe. Letzteres kam ihm wie ein Verrat vor. Luke hatte sie ihm im Vertrauen gezeigt. Er wollte ihn nicht hintergehen. Stiles war aber auch sein bester Freund und sie hatten keine Geheimnisse voreinander. Gerade die Geschichte um die Narbe schien sein Gegenüber zu interessieren, wie auch Scotts Gefühlskarussell, denn er lupfte verwundert die Augenbrauen.
 

„Er hat gesagt, an der Stelle habe sich sein Seelenmal befunden?“ Stiles deutete dabei auf den Bereich, den Scott ihm an seinem eigenen Körper gezeigt hatte.
 

„Hat er und auch nicht gelogen dabei, das hätte ich bemerkt“, fügte der Werwolf nickend an.
 

Stiles starrte auf Scotts rechten Oberarm und hatte die Stirn dabei gerunzelt. Nachdenklich tippte er sich mit dem Zeigefinger ans Kinn, was ihm einen fragenden Blick seitens des Alphas einbrachte. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, schüttelte den Kopf, legte ihn schief und schien mit sich selbst zu ringen.
 

„Was hast du?“ Scott war besorgt ob dieses ungewöhnlichen Verhaltens.
 

„Scott, ich… ich bin mir einfach noch nicht sicher, darum will ich die Pferde nicht scheu machen. Ich habe eine Vermutung, die sehr gut in das Muster passen würde. Nur, wenn ich damit falsch liege, wecke ich ganz falsche Erwartungen und auch Hoffnungen und ich würde dich auch damit belasten.“
 

Scott runzelte die Stirn und drückte sich von seinem Spind ab, um auf Stiles zuzugehen. Er blieb vor ihm stehen und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Stiles, du kannst mir alles erzählen und jegliche Vermutung unterbreiten, ja? Ich verspreche dir, nichts Unüberlegtes zu machen und auch nicht enttäuscht zu sein.“
 

Stiles wandte sich unter Scotts Blick, wich ihm aus, starrte auf seine Sneaker, zupfte am Ärmel seines karierten Flanellhemdes, bis er sich endlich dazu hinreißen ließ, dass er endlich etwas sagte: „Ich habe einfach Angst, Scott.“
 

„Angst wovor?“, fragte er ruhig.
 

„Angst um dich.“ Sein bester Freund sah auf und machte einen betretenen Eindruck. In den karamellfarbenen Augen schimmerte tatsächlich so etwas wie Furcht. „Scott, du bist mein bester Freund, wir sind sowas wie Brüder. Wenn ich mit meiner Vermutung Recht habe…“
 

„Welche denn? Komm schon Stiles, spuck es aus. Nichts wird uns jemals trennen, das weißt du“, versicherte ihm Scott und drückte fest seine Schultern. „Versprochen.“
 

„Ich glaube, dass Luke dein Seelengefährte ist“, flüsterte er leise und Scotts Griff lockerte sich dabei ein wenig. Wieder ein lebhaftes Interesse an seinen Schuhen entwickelnd, starrte er zu Boden, während er bedrückt weitersprach: „Ich weiß, es passt nicht, von den Initialen her, aber was, wenn er nicht als Luke Taylor, sondern als Luke Argent geboren wurde? Oder tatsächlich noch immer so heißt, nur gelogen hat?“
 

„Und was würde das zwischen uns ändern?“, erkundigte sich der Werwolf sanft und verdrängte den Gedanken daran, dass Stiles tatsächlich Recht haben könnte. Gerade ging es um seinen besten Freund und das war wichtiger.
 

„Es könnte alles verändern, beeinflussen. Luke scheint unter Gerards Einfluss zu stehen und wenn er dein Seelengefährte ist, dann musst du dich am Ende vielleicht entscheiden, zwischen uns und ihm.“ Stiles sah nun nach oben und seine Augen waren leicht glasig.
 

„Ich werde mich nie zwischen dir und jemandem entscheiden“, versuchte Scott ihn zu beruhigen. „Niemand ist mir so wichtig wie du, das weißt du, Stiles. Selbst, als ich mit Allison zusammen war, hat sich daran nichts geändert.“
 

„Das ist aber etwas anderes, Scott. Allison hast du geliebt, aber mit Luke wärst du verbunden. Ihr wärt ein Duo, füreinander geschaffen, wie es Derek und ich sind. Viel intensiver. Du könntest nicht anders, als zu ihm zu stehen. Gerard könnte dich benutzen, erpressen, an der kurzen Leine halten, such dir einen Begriff aus. Ich will dich einfach nicht verlieren, Bro.“ Stiles zögerte einen Moment, bevor er Scott in eine feste Umarmung zog und sich sogleich wieder von ihm löste. „Wenn ich nicht Recht habe, dann wirst du wieder enttäuscht werden. Ich… ich hätte gar nicht davon anfangen sollen.“ Er wandte seinen Blick ab und wischte sich hastig über die Augen.
 

„Stiles, ich…“ Scott wusste nicht was er sagen sollte. In all der Zeit, in der er auf seinen Seelengefährten gewartet hatte, und auch noch immer wartete, war ihm nie der Gedanke gekommen, dass er etwas an seiner Beziehung zu Stiles ändern könnte. Dass sie sich verändern könnte. Ohne Stiles war sein Leben nicht vollständig, es fehlte ein Stück. Er rang um die richtigen Worte, setzte an, hielt inne, überlegte erneut und wog ab und wartete darauf, dass seine Stimme zurückkehrte, die ihm plötzlich ihren Dienst versagte. Ein Leben ohne Stiles, ein Leben gegen Stiles, das würde er nicht zulassen, niemals. Seine Freundschaft zu ihm und auch zu den anderen, zu Derek, Isaac und Co, war ihm wichtiger als ein eventueller Seelengefährte.
 

„Stiles, schau mich einmal an“, forderte ihn Scott nach einem kurzen Zeitraum des unbehaglichen Schweigens auf. Sein bester Freund kam der Aufforderung nur zögernd nach, tat es dann aber doch. Der Werwolf schaute ihm dabei fest in die Augen. „Niemand wird uns beide jemals auseinanderreißen, nicht einmal mein Seelengefährte. Das werde ich verhindern, okay? Und wenn ich dafür auf meinen Gefährten verzichten muss.“
 

Stiles wischte sich erneut über die Augen: „Du weißt, dass das nicht geht. Wenn ihr euch einmal gefunden habt, dann ist das so. Ich gönne es dir natürlich, Bro, aber… Gott, ich klinge egoistisch, oder?“
 

Der Alpha schüttelte beschwichtigend den Kopf: „Tust du nicht. Wenn du Recht haben solltest, dann habe ich die Wahl, denn er meinte, es würde nur funktionieren, wenn sich sein Seelengefährte in ihn verliebt. Ich würde mich nie in jemanden verlieben, der uns auseinandertreiben könnte, jemanden, der dir schaden will. Also, Kopf hoch, wir sind ein Team, Bros.“ Dabei lächelte Scott ihm entgegen, was Stiles tatsächlich zu beruhigen schien.
 

„Und wenn es doch anders kommt? Ich meine, wenn du dich doch verliebst? Stehst du überhaupt auf Kerle?“
 

„Mir wäre es egal, wenn mein Seelengefährte männlich ist, aber mir wäre es nicht egal, wenn er etwas an unserer Freundschaft auszusetzen hätte. Vorher schicke ich ihn in die Wüste, okay? Niemand ist es wert, dass ich dich für ihn aufgebe.“
 

„Scott, du weißt ja gar nicht was du da sagst“, nuschelte sein bester Freund.
 

„Doch, sehr gut sogar.“ Scott nahm Stiles noch einmal fest in die Arme. „Wir bleiben zusammen, für immer. Bros before hoes und so.“
 

„Wir sollten jetzt aber aufhören, Scott, die Leute starren schon“, kam es gedämpft von Stiles, der sich trotz gegenteiliger Aussage an seinen besten Freund geklammert hatte. Sie lösten sich und grinsten einander zu. „Auf in den aussichtslosen Kampf namens High School“, meinte er noch, bevor sie sich, erleichtert auflachend, auf den Weg ins Klassenzimmer machten.

Ein Tisch für vier

Scott wusste ehrlich gesagt nicht, wie er die Zeit bis zur Mittagspause überstanden hatte. Er war kaum in der Lage gewesen sich zu konzentrieren. Trotz seines Versprechen an Stiles, das er zweifelsohne halten wollte und auch würde, geisterten ihm dessen Worte im Kopf herum. Selbst sein bester Freund war der Meinung, dass es sich bei ihrem Neuzugang um seinen Seelengefährten handeln könnte. Es bestand die Möglichkeit, dass Luke also der Mensch war, auf den er so sehnsüchtig gewartet hatte. Doch konnte das stimmen?
 

Immer wieder war sein Blick in der Stunde zu dem Briten geglitten, der links hinter ihm saß und entweder dem Unterricht folgte, oder ein reges Interesse daran hatte, seinen Stift zwischen den Fingern hin und herwandern zu lassen, und das zu beobachten. Wenn er Scotts Blick bemerkte, lächelte er zwar, doch irgendwie wirkte er abwesend. Dachte er auch über das Gleiche nach wie der Werwolf? Dass sie vielleicht zusammengehörten? Dass das Mal doch noch auf seinem Körper auftauchen würde? Ein S und ein M? Unbewusst hatte Scott immer wieder auf seinen rechten Oberarm gegriffen, dort wo die Initialen seines Gefährten ruhten. Dabei auch auf die Stelle gestarrt, an der sich Lukes Narbe befand. Er würde ihn heute fragen, woher er sie hatte. Das beschäftigte ihn nämlich.
 

Stiles und Scott erhielten auch gleich Gesellschaft in der Kantine. Luke fragte vorher höflich und auch wenn Stiles einen missmutigen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, war er damit einverstanden gewesen, dass sie ihr Mittagessen gemeinsam einnehmen würden. Die Augenbrauen des Briten wanderten in die Höhe, als er Scotts und Stiles´ Tablett mit dem heutigen Mittagsmenü, verkocht wirkende Spaghetti mit einer undefinierbaren Soße und einem kleinen Tetrapack-Orangensaft, begutachtete.
 

„Willst du nicht mehr tauschen, Scott?“, fragte er ihn und griff in seinen Rucksack, um die gut verstauten Pancakes hervorzuziehen.
 

„Ich, ähm, das hatte ich total vergessen“, gab der Werwolf zu. Stimmt, da war ja etwas gewesen. Luke hatte mit ihm tauschen wollen.
 

„Tauschen?“ Stiles warf den beiden jeweils einen misstrauischen Blick zu. „Was wollt ihr tauschen?“
 

„Scotts Mutter hat mir ihre restlichen Pancakes überlassen, dafür habe ich angeboten, Scott mein Mittagessen zu geben“, erklärte Luke leichthin und zögerte kurz. „Darf ich mir dein Besteck ausleihen?“ Dabei deutete er auf Scotts Gabel und Messer, die noch unbenutzt neben dem Spaghettiteller ruhten.
 

„Klar“, meinte der Werwolf und reichte seinem Gegenüber das Gewünschte.
 

„Danke.“ Kaum, dass er das Besteck in Händen hatte, griff er wieder in seinen Rucksack und zog eine schwarze Lunchbox hervor, auf der ein Ironman thronte, die Hand nach vorne ausgestreckt. Ein weiterer Griff förderte noch die Thermoskanne von gestern zutage, eine kleinere, braune Box mit einem Venom als Motiv, der gerade seine Zunge frech herausstreckte und wieder ein längliches Kästchen, das wohl Lukes eigenes Besteck beherbergte. Warum er dann das von Scott benötigte, war diesem ein Rätsel.
 

Luke drückte die Lunchbox vorsichtig auf, ließ den Deckel nach oben schnappen und entblößte sechs kleine kreisrunde Teigtaschen, die jeweils mit mehreren Schlitzen versehen worden waren. Die zweite Box beinhaltete mehrere Müsliriegel, in die verschiedene Beerensorten, Scott konnte Him- Brom- und Blaubeeren auf den ersten Blick erkennen, welche eingearbeitet worden waren. Beides schob er Scott entgegen, unter Stiles immer größer werdenden Augen, und schraubte seine Thermoskanne auf.
 

„Was sind das für Dinger?“, fragte Scott und begutachtete die Teigtaschen eingehend.
 

„Chashao bao. Das habe ich dir heute Morgen bereits erklärt: Gedämpfte Hefebrötchen, die man mit gegrilltem Schweinefleisch füllt. Ein beliebtes Gericht in ganz China, in der Variation vor allem in Huanan zubereitet. Ich hoffe, sie sind inzwischen nicht zäh geworden oder zu kalt. Wenn doch, dann verklage ich den Hersteller der Thermobox.“ Luke begann inzwischen seine Pancakes in mundgerechte Happen zu zerschneiden.
 

„Hast du einen Chinesen überfallen, oder wie kommst du an solches Essen?“, wollte Stiles wissen und starrte dabei, ein wenig sehnsüchtig wirkend, zu Scott hinüber, der sein Tablett mit dem Kantinenessen auf einem der freien Stühle drapierte.
 

„Nein, Jonathan bereitet meine Mahlzeiten täglich frisch zu. Das ist schließlich auch seine Aufgabe.“ Luke nippte an seinem Thermoskannendeckel und seufzte wohlig. Scott konnte den gleichen Teegeruch wie gestern vernehmen.
 

„Hat dein Butler auch die Müsliriegel selbst gemacht?“, erkundigte sich Stiles und ihm stand das Verlangen nach einem davon quasi ins Gesicht geschrieben.
 

„Natürlich, genauso wie er auch sämtliche andere Dinge im Haushalt erledigt. Ich hatte mir schon überlegt, Personal einzustellen oder von zuhause mitzunehmen, aber dafür ist in der Wohnung nicht genügend Platz. Außerdem bin ich mit Jonathans Kochkünsten zufrieden.“ Luke beobachtete Scott, bis er sich räusperte und ihm noch das Kästchen reichte. „Hier, habe ich ganz vergessen.“ Als er es öffnete, wusste Scott auch, warum Luke Besteck brauchte: Er hatte nur ein Paar Essstäbchen dabei. Der Alpha hatte aber solche Stäbchen noch nie gesehen. Jene in den asiatischen Restaurants waren in der Regel zum Auseinanderbrechen gedacht und man warf sie nachher weg, diese hier wirkten dafür viel zu kostbar.
 

Um das helle Holz, dessen Griffenden blau angemalt worden waren, schlängelten sich zwei fernöstliche Drachen. Beiden wuchsen geweihartige Hörner aus dem Schädel. Sie hatten Klauen, Schuppen, so etwas wie einen Rückenkamm, eine Nackenmähne, die sich vom Rest des Körpers abhob und einen Bart, der an die Schnurrhaare einer Katze erinnerte. Der auf dem rechten Stäbchen war gelb, mit einem braunen Rückenkamm, braunen Hörnern, roten Augen, einer schwarzen Nase und beiger Mähne beziehungsweise Schnurrhaaren. Sein Gegenpart war in rot gehalten, mit gelber Mähne, gelben Schnurrhaaren, gelbem Rückenkamm, schwarzen Augen und grauen Hörnern.
 

„Nimm schon“, forderte Luke ihn auf, als Scott einfach nur auf die Essutensilien starrte. Es lag nicht nur an der Tatsache, dass er sich kaum vorstellen konnte, dass so etwas kostbar Wirkendes dazu da war, um damit zu essen, sondern auch, weil er noch nie wirklich mit Stäbchen gegessen hatte. Beim Chinesen in Beacon Hills bekam man handelsübliches Besteck gereicht und der Werwolf hatte dieses Angebot immer dankend angenommen. Er wollte Luke aber auch nicht beleidigen und nahm, nach kurzem Zögern, beide Stäbchen aus ihrem samtgefütterten Behälter. Kaum, dass er in sie in der Hand hatte, rückte auch schon Stiles heran, der sie eindringlich musterte.
 

„Hast du eigentlich normale Sachen auch?“, erkundigte er sich sarkastisch.
 

„Meine Sachen sind normal“, konterte Luke trocken.
 

„Ich habe noch nie jemanden gesehen, der solche Essstäbchen mit sich spazieren trägt. Sind die überhaupt spülmaschinenfest?“ Stiles sah von den Stäbchen zu Luke, dessen Mundwinkel amüsiert zuckten.
 

„Es gibt für alles ein erstes Mal, hm?“, meinte er mitleidig. „Keine Ahnung, ob sie es sind. Jonathan kümmert sich um den Abwasch, das schließt die Stäbchen mit ein.“
 

„Ja, und auch für einen Anflug von Größenwahn und Dekadenz gibt es ein erstes Mal“, entgegnete Stiles leicht säuerlich. „Wo bekommt man so etwas überhaupt her?“
 

„Mein Vater hat sie mir einmal von einer Geschäftsreise mitgebracht. Ich wünsche jedenfalls guten Appetit.“ Damit machte sich Luke über seine Pancakes her, genauso wie Stiles über seine Spaghetti. Einzig Scott blieb auf der Strecke und schaute unschlüssig zwischen den Stäbchen und den Hefeteigtaschen hin und her. Wie sollte er denn damit essen? Er klemmte beide zwischen die Finger, verhakte sie und versuchte erfolglos so eines der Hefebrötchen aufzuladen. In den Filmen und Dokumentationen sah das immer so einfach aus. Auch beim zweiten und dritten Mal klappte es nicht und der junge Alpha spielte schon mit dem Gedanken, sich nun doch nach herkömmlichem Besteck umzusehen, als er einen sanften Druck an seiner Hand verspürte.
 

„Du hältst sie falsch“, erklärte ihm Luke sanft. „Das kann ich mir nicht länger mitansehen, sonst verhungerst du noch.“
 

Bevor Scott protestieren konnte, fiel ihm auf, dass sich ihrer beiden Finger wieder berührten, so wie gestern. Der Brite hatte sich ein wenig über den Tisch gebeugt und hantierte an ihm herum. Dieses warme Prickeln tauchte sofort wieder auf und hielt auch an, während Luke die Stäbchen in die richtige Position brachte. Das gelegentliche Zucken seines Gegenübers verriet ihm, dass er wohl ebenso empfand wie Scott.
 

„So schwer ist es wirklich nicht, es erfordert nur ein wenig Übung.“
 

„Zeig mir doch du einmal, wie du es machst“, seufzte Scott, als sich die Stäbchen wieder verhakten.
 

„Okay, es ist ganz einfach.“ Luke nahm ihm die Esshilfen aus der Hand, und das angenehme Gefühl verschwand sogleich wieder. Der Alpha war fast schon ein wenig traurig, ob dieser Tatsache. Verdammt, was war nur mit ihm los? Er verhielt sich wie ein… ein Teenager, der mit seinem Schwarm zu tun hatte. Der Brite legte das Stäbchen mit dem gelben Drachen in die Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger. Sein Mittelfinger ruhte auf dem Mittelteil des Stäbchens und hielt es fest. Das zweite Stäbchen hielt er, wie einen Stift, mit den Spitzen des Daumens und des Zeigefingers. Luke klopfte mit den Spitzen einmal auf seinen Teller, sodass sie ungefähr gleich lang waren und bewegte dann das zweite Stäbchen so, dass sich damit eine Zange formen ließ. „Siehst du? Ganz einfach.“ Mühelos schnappte er sich eines der Hefebrötchen und hielt es Scott vor die Nase.
 

Dieser brauchte einen Moment, um zu realisieren, was er wollte. Um seine Worte zu unterstreichen, forderte Luke ihn auf, den Mund aufzumachen. Obwohl es eigentlich peinlich war, sich als 17-Jähriger füttern zu lassen, kam er der Aufforderung nach. Das Gesicht seines Gegenüber hellte sich auf und bekam einen ganz weichen Zug, als er Scott die Hefetasche in den Mund schob. Vorsichtig zog er die Stäbchen wieder zurück und ließ dem Werwolf Zeit zu kauen.
 

„Und?“, fragte Luke hoffnungsvoll. „Schmeckt es?“
 

Scott nickte bestätigend und schluckte hinunter. Tatsächlich schmeckte es köstlich. Der Hefeteig war fluffig und das Schweinefleisch gut gewürzt. Entgegen Scotts Vermutung handelte es sich nicht um irgendeine zähe Pampe. Was ihn aber weitaus glücklicher stimmte als der durchaus gute Happen war, dass Luke nun tatsächlich lächelte. Wie in der Umkleide gestern. Ein wenig verschüchtert, fast schon niedlich, wie die Zahnspange dabei aufblitzte und er bemerkte auch, dass die Stäbchen in seiner Hand zitterten.
 

„Das Nächste musst du aber selbst schaffen.“ Damit stand Luke auf und bewegte sich hinter Scott, wo er ihm, protestlos, wieder die Stäbchen zwischen die Finger klemmte und seine eigene Hand um seine legte. Er konnte die warme, helle Haut auf seiner eigenen fühlen, seinen warmen Atem auf dem linken Ohr spüren. Der Herzschlag des Alphas beschleunigte sich, während Luke ihn führte und dabei das nächste Hefebrötchen griff.
 

„Siehst du, ganz einfach.“ Scott musste sich nicht umdrehen, um Lukes Gesichtsausdruck zu sehen. Er lächelte noch größer, noch breiter, noch glücklicher. Die Wangen des Werwolfs glühten förmlich, während er, unter Hilfe, den nächsten Bissen zu sich nahm. Er wollte gerade im Moment gar nicht anders, als sich beim Essen helfen zu lassen. Ein kleiner Seitenblick zu Stiles ließ ihn sich dann schlussendlich aber doch räuspern. Dessen vorwurfsvoller, aber auch ungläubiger Gesichtsausdruck sprach Bände.
 

„Ich glaube, ich versuche das Nächste alleine“, meinte Scott hastig.
 

„Klar“, antwortete Luke und setzte sich wieder hin. Er schenkte Scott noch einen letzten behutsamen Blick, bevor er sich über sein eigenes Essen hermachte.
 

„Bekomme ich auch etwas ab?“, grummelte Stiles und ließ nach dem dritten Bissen Spaghetti die Gabel sinken.
 

„Es ist für Scott“, warf Luke ein, was Scotts bestem Freund einen irritierten Gesichtsausdruck verpasste.
 

„Ich habe auch Scott gefragt.“
 

„Ich ähm, ich…“ Der Werwolf schaute zwischen Luke und Stiles hin und her. „Darf… darf ich denn?“ Warum fragte er das überhaupt?
 

„Natürlich darfst du, es ist dein Essen. Wenn du teilen möchtest, nur zu.“
 

Stiles wartete nicht einmal mehr auf die Antwort, sondern schnappte sich zwei der Hefebrötchen und auch zwei der Müsliriegel. Mit sich selbst beschäftigt, begann Stiles, sein neues Mittagessen zu vertilgen und sah dabei mehr als zufrieden aus. Luke tat das Gleiche und so war Scott dem Kampf mit der fremden Essenskultur alleine überlassen. Tatsächlich schaffte er es, beim dritten Anlauf, das Hefebrötchen zu greifen und zu verspeisen. Er hätte sich glatt an diese Kost gewöhnen können. Ein wenig fremd, abwechslungsreich und auch die Müsliriegel, die er noch probierte (sein letztes Hefebrötchen hatte er Stiles hinübergeschoben) schmeckten köstlich.
 

„Du magst das Marvel Universum ziemlich gerne, hm?“, fragte Stiles zwischen zwei Bissen Müsliriegel und deutete auf Lukes Lunchboxen.
 

„Marvel, DC, beides gleich gerne. Ob Ironman und Green Lantern, oder Venom und Gorilla Grodd.“ Luke zuckte mit den Schultern und schob sich ein Stück Pancake in den Mund. „Beides hat sein Für und Wider.“
 

„Und Animes auch? Gestern hattest du ja andere Boxen bei dir?“ Stiles warf Scott einen flüchtigen Blick im Sinne von „mach schon“ zu. Der Werwolf verstand, was sein bester Freund vorhatte.
 

„Ja. Dragonball ist mein Lieblingsanime“, beantwortete der Angesprochene Stiles´ Frage knapp.
 

Scott wollte nun ebenfalls einhaken und das Gespräch auf ein anderes Thema lenken, da gesellte sich noch jemand, ungefragt zu ihnen. Der alte Mann lächelte freundlich und räusperte sich, sodass sie alle drei zu ihm blickten. „Ob wohl jemand die Güte hätte, mir ein wenig Platz zu verschaffen?“ Sowohl Scott, als auch Stiles, machten keine Anstalten, der Aufforderung nachzukommen. Dafür hatte Luke den störenden Stuhl schneller beiseitegeschoben, als sie reagieren konnten. Gerard rollte an den Tisch heran und nahm eine schlicht aussehende, graue Plastikbox von seinem Schoß.
 

„Grandpa!“, freute sich Luke und machte sich sogleich daran, ihm sein Mittagessen, in Form zweier Sandwiches, aus der Papierummantelung auszupacken. „Schön dich zu sehen. Ich wollte gerade in dein Büro“, strahlte ihm sein Enkel entgegen.
 

„Nicht doch, nicht doch“, lachte Gerard und hob abwehrend die Hände. „Du sollst nicht dein ganzes Leben nur nach mir ausrichten, mein Junge.“ Dabei wanderte sein Blick zu Scott und Stiles hinüber. Dem Werwolf wurde bei dem Anblick dieser harmonisch wirkenden Großvater-Enkel-Beziehung fast schon schlecht und seinem besten Freund schien es genauso zu ergehen. Für Scott stand fest, dass es sich dabei nur um ein gekünsteltes Schauspiel handelte, zumindest vom Standpunkt des Älteren aus gesehen.
 

„Wie ich sehe, hast du bereits Freunde gefunden?“ Dabei verzogen sich seine Lippen zu einem süffisant-schmalen Lächeln, als er Scott und Stiles zunickte.
 

„Eventuell? In so kurzer Zeit Freundschaft zu schließen, ob das möglich ist?“ Luke schenkte Scott dafür ein aufrichtiges Lächeln. Stiles wurde dabei völlig übergangen. „Ich bin jedenfalls gut angekommen, falls du dir Sorgen machst.“
 

„Das weiß ich doch.“ Gerard ließ den Werwolf nicht aus den Augen, während er sprach. „Warum lädst du sie nicht einmal nach Hause ein, hm? Macht ihr jungen Leute das heute nicht mehr?“
 

„Die Ärzte meinten doch, du würdest Ruhe brauchen, Grandpa, damit du dich bald erholst.“ Luke klang dabei vorwurfsvoll, wie auch besorgt.
 

„Ach, was wissen diese Quacksalber schon? Mir geht es mittlerweile deutlich besser. Ich fühle mich wieder wie ein vollständiger Mensch, seitdem ich nicht mehr in diesem Pflegeheim mein Dasein fristen muss. Ich würde mich über ein wenig Leben in der Wohnung durchaus freuen. Du doch auch, oder, Scott?“ Dabei verschmälerten sich die Augen des ehemaligen Oberhaupts der Argentfamilie ein wenig.
 

Scott wollte schon erwidern, dass er sich diese Freude sonst wohin stecken konnte, als ihm Stiles, unauffällig, gegen das Schienbein trat. Sein bester Freund kam ihm zuvor, indem er für ihn antwortete: „Natürlich würde Scott sich freuen.“ Der junge Alpha warf ihm einen Blick zu, als wäre er vollkommen verrückt geworden.
 

„Sehr schön. Dann ist Luke auch nicht mehr so alleine.“ Dabei wanderten Gerards Augen zu seinem Enkel. „Ich werde heute wieder länger arbeiten müssen. Warte also nicht auf mich, mein Junge.“ Dann biss er von einem seiner Sandwiches ab.
 

„Ich hole dich dann aber ab, ja?“ Lukes Aufmerksamkeit richtete sich sogleich auf Scott. „Wenn du willst, könnten wir heute ja gemeinsam die Hausaufgaben erledigen und dann irgendetwas machen? Zuhause bei mir einen Film ansehen? Oder die Spielkonsole missbrauchen?“ Er klang dabei so euphorisch, dass es Scott schwerfiel, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. Mit einem Mal wurde dem Werwolf auch bewusst, dass Luke wahrscheinlich vorher keine Freunde gehabt hatte. Darum war es neu und aufregend für ihn und außerdem war ein Teil von Scott dieser Idee nicht abgeneigt, wobei er Stiles trotzdem am liebsten den Hals umgedreht hätte.
 

„Klar, ich muss nur meiner Mom Bescheid sagen“, meinte er und bemühte sich, das Zögern in seiner Stimme zu verbergen.
 

„Gut, dann wäre das ja geklärt“, mischte sich Gerard wieder ein, der Stiles´ giftigen Blick nur mit einem amüsierten Schmunzeln abtat. Er blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk und seufzte leise. „Ich muss schon wieder ins Büro. Irgendeine überbesorgte Mutter meint, meine Mittagspause verkürzen zu müssen.“
 

„Warte Grandpa, ich bringe dich eben ins Büro.“ Damit packte Luke seine Sachen zusammen, wobei er sich auch seine Essstäbchen schnappte, verstaute alles im Rucksack, den er sich eilig mit einem Riemen über die Schulter klemmte, wie auch Gerards restliches Mittagessen, bevor er zum Abschied die Hand hob und seinen Großvater aus der Cafeteria schob. Sobald sich Scott sicher war, dass beide außer Hörweite waren, drehte er sich zu Stiles um und fuhr ihn an:
 

„Hast du völlig den Verstand verloren?“
 

„Warum?“, fragte Stiles unschuldig und biss von seinem Müsliriegel ab.
 

„Warum? Ich bin heute wahrscheinlich alleine mit ihnen?“
 

„Du bist alleine mit Luke“, korrigierte er Scott. „Das ist die ideale Möglichkeit, etwas über Gerards Pläne herauszufinden.“
 

„Und was, wenn er damit gerechnet hat? Ich meine, er hat nur mich eingeladen, nicht auch dich.“
 

„Das war abzusehen. Außerdem werden Derek und ich in der Nähe sein. Wir beschatten dich. Wenn etwas schiefgeht, dann schreibst du mir kurz und wir sind schon da, um dir zu helfen, okay?“ Stiles legte Scott, der ihn nur finster anblickte, einen Arm um die Schultern. „Ach komm schon, mach nicht so ein Gesicht. Wenn sich der extravagante Lebensstil von Luke auch in seiner Wohnung fortsetzt, dann wirst du heute wahrscheinlich Day One Editions, auf der neuesten Playstation, auf einem 90 Zoll Fernseher spielen, während ich mich mit Derek langweile.“
 

„Kannst du das überhaupt? Dich mit Derek langweilen?“, brummte Scott und musste dabei aufpassen, nicht loszulachen. Sein Ärger war schon fast wieder verflogen.
 

„Wir wissen uns zu beschäftigen“, entgegnete Stiles trocken. „Die Müsliriegel sind übrigens wirklich erste Sahne. Sieh zu, dass du dem Butler das Rezept dafür entlocken kannst.“
 

„Hast du sonst noch irgendwelche Wünsche?“
 

„Nun ja, so einige, aber keine, die du mir erfüllen könntest.“
 

Damit lachten sie schlussendlich wieder beide und auch, wenn Scott ein wenig mulmig zumute war, so hatte Stiles doch Recht: Das war die ideale Gelegenheit um etwas über Gerard und auch Luke herauszufinden. Zur Not konnte er einfach abhauen und wenn Derek und Stiles in der Nähe waren, konnte er auf Verstärkung zählen. Außerdem klopfte sein Herz wieder ein wenig, bei dem Gedanken an ein bisschen gemeinsame Zeit mit Luke. Vielleicht wurde es ja doch ein netter Nachmittag?

Ein gemeinsamer Nachmittag

Der restliche Schultag verlief relativ ruhig. Sie hatten nur mehr Kunst und Biologie und Scott blendete alles um sich herum, so gut es eben ging, einfach aus. Seine Gedanken kreisten um den anstehenden Nachmittag. Er würde sich quasi in die Höhle des Löwen begeben und das war, gelinde gesagt, nichts, worüber man sich eigentlich freuen sollte. Seltsamerweise tat er es, nach reiflicher Überlegung, doch. Er hatte seiner Mutter kurz geschrieben, dass er später nach Hause kommen würde, sich von Stiles verabschiedet und saß schon neben Luke in dessen Wagen, bevor er überhaupt wusste, wie ihm geschah.
 

Die Fahrt führte sie in den inneren Kern von Beacon Hills. Trotz der teilweisen Neubauten, einigen Bürokomplexen, die wie ein verzweifeltes Aufbäumen nach Geschäftigkeit aussahen, war der eher rurale Stil der Stadt nicht zu verleugnen. Sie hielten direkt auf ein mehrstöckiges Gebäude zu, welches kaum zehn Jahre alt sein konnte. Ein brauner Anstrich verlieh dem Ganzen einen rustikalen Eindruck, wie auch die dunkel gehaltenen Balkone. Insgesamt wirkte der Komplex von außen entsetzlich kahl. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als Luke den Häuserblock umrundete und in die Einfahrt einer Tiefgarage einbog. Ihre Gespräche waren belangloser Natur gewesen, über Scotts Karriere als aufstrebendes Lacrossesternchen, eine gemeinsame Abneigung gegen den neuen Chemielehrer (der genauso schlimm war wie Mister Harris), Lukes fehlendes Talent in Bezug auf Kunst und Mathe und dergleichen. Dem Werwolf brannte zwar die Frage nach dem Ursprung der Narbe nach wie vor auf den Lippen, doch er wollte sie zu einem richtigen Zeitpunkt anbringen und der war bisher noch nicht gekommen.
 

Ein Aufzug brachte sie nach oben, wo Luke gleich zielstrebig auf eine weiße Tür mit der Aufschrift Taylor/Argent zuhielt. Einen Schlüsseldreh später betraten sie beide auch schon das Reich des Briten und Stiles schien erneut Recht behalten zu haben: Lukes Wohnung setzte den Trend des teuren Sportwagens perfekt fort. Auf den geräumigen Eingangsbereich folgte ein großes und zusammenhängendes Wohn/Esszimmer. Die Küche war dunkel gehalten und schien förmlich zu glänzen. Hochpreisig wirkende Möbel, vom großen Glastisch über die Esszimmerstühle, bis hin zum Ledersofa, fügten sich perfekt in die Wohnung ein. Der große Fernseher tat sein Übriges, um Scott die Kinnlade herunterklappen zu lassen.
 

„Komm, gehen wir nach oben in mein Zimmer“, meinte Luke leichthin und bedeutete Scott ihm mit einem Handwink zu folgen. Eine gusseiserne Wendeltreppe führte sie in den oberen Stock, der ähnlich ausgestattet war, wie der Wohnzimmerbereich unten. Erneut hielt der Brite auf eine dunkel gehaltene Tür zu und erlaubte Scott damit einen Einblick in sein persönliches Reich; ein Reich, das gefühlt dreimal so groß wie das des Werwolfs war.
 

Das große Doppelbett zierte eine Bettwäsche, die einen Son Goku mit weißen Haaren beherbergte, wie er in seinen aneinandergelegten Händen einen blauen Energiestrahl aufbaute. An der Decke hing ein großes Poster von einem blondhaarigen Jungen mit blauen Augen in einem lila Shirt, das einen goldenen Lorbeerkranz mit den Buchstaben „SPQR“ zeigte. Das Schwert in seinen Händen wurde von Blitzen umspielt. Eine Englandfahne, mit dem Logo von einem Manchester United, oder was auch immer das sein sollte, in der Mitte des Kreuzes, war über einem weiteren Poster befestigt worden, das einen Mann Ende seiner 20er zeigte. Scott konnte darunter eine Unterschrift erkennen, die wohl einem „Harry Kane“ gehörte. An der Fahne hingen noch ein Paar orange-weißer Fußballschuhe.
 

Auch im Zimmer befand sich ein monströser Fernseher, vor dem eine Playstation, auf einem passenden Tisch, Posten bezogen hatte. Das anschließende Wandregal enthielt wohl die größte Ansammlung an Videospielen, die Scott jemals in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte. Alle wirkten fein säuberlich nach dem Alphabet sortiert. Zwei schwarze Controller lagen bereit und warteten nur darauf, dass man sich mit ihnen ins Getümmel stürzte, vorzugsweise von dem äußerst bequem wirkenden, dunklen Sofa aus.
 

Dann gab es noch einen großen Schreibtisch, samt Laptop, ein prall befülltes Bücherregal und mehrere Urkunden, wie auch Auszeichnungen, die allesamt Lukes Namen zierten. Die große Glasvitrine in der hinteren Ecke des Raumes gab den Blick auf eine Vielzahl an Medaillen und Pokalen preis und Scott konnte sogar Zeitungsartikel ausmachen, von denen der Brite förmlich strahlte, seine Auszeichnungen dabei in die Höhe reckend. Einige davon zeigten mehrere Jungen in seinem Alter, allesamt in einem roten Fußballtrikot. Luke führte wohl die Nummer 9 ins Feld.
 

Scott fühlte sich fast ein wenig erschlagen von den ganzen Sachen. Es war nicht so, dass das Zimmer ungemütlich wirkte, viel mehr, dass es, wie auch die restliche Wohnung bisher, einen reservierten Eindruck machte. Alles wirkte blitzeblank geputzt und war so angeordnet, dass es einem Nutzen diente, die Dekoration im Zimmer einmal ausgenommen. Außerdem zeigten sämtliche Bilder nur Luke, weder seinen Vater noch sonst irgendjemanden, zumindest auf den ersten Blick.
 

„Such dir inzwischen ein Game aus, ich werde uns eben etwas zum Knabbern besorgen, ja?“
 

Damit war Luke auch schon wieder verschwunden und Scott alleine. Mit jeder Sekunde, die er in diesem Zimmer verbrachte, empfand er es mehr wie aus einem aus einem Designerkatalog entnommen und in den Raum geworfen. Die Einrichtung hier drinnen verschlang wahrscheinlich mehr, als seine Mutter in fünf Jahren verdiente und doch, trotz der persönlichen Note, die Lukes Reich anhing, fehlte ihm etwas, wie auch der restlichen Wohnung bisher: Wärme. Sie wirkte kalt und lieblos. Das lag nicht an fehlenden Zimmerpflanzen oder dem eher dunkel gehaltenen Stil – sie schien geradezu steril zu sein. Gerade als Scott sich an das Videospieleregal heranwagen wollte, fiel sein Blick auf das schwarze Nachtkästchen. Ein Bilderrahmen aus hellem Holz stand darauf, stach wie ein Leuchtfeuer, förmlich aus dem dunklen Raum heraus.
 

Scott zögerte einen Moment, bevor er das Bild in die Hand nahm und es betrachtete. Es zeigte einen jungen Mann, Mitte bis Ende seiner 20er, auf einem hellen Mehrsitzer. Mürrisch wirkend starrte er ihm entgegen, die dunklen Brauen dabei so weit nach unten geschoben, dass sie beinahe mit den Augen Bekanntschaft schlossen. Sein schwarzes Haar war zerzaust und er trug einen Dreitagesbart. Scott hätte seine Statur am Besten mit schrankartig beschrieben. Die hellbraunen Augen hatten etwas Genervtes an sich. Die Szenerie wurde einzig dadurch ein wenig aufgewertet, dass er einem Schäferhund mit schneeweißem Fell, der seine Schnauze in seinem Schoß abgelegt hatte, den Kopf kraulte. Scott begriff nicht ganz, warum genau dieses Motiv einen einzigartigen Stellenwert einzunehmen schien, denn es zeigte überhaupt nichts von Luke. Kurz kam ihm der Gedanke, dass es sich bei dem jungen Mann um dessen großen Bruder handeln könnte, doch diese Idee verwarf er gleich wieder. Es bestand weder eine wirkliche Ähnlichkeit zwischen ihnen, noch war Kate alt genug, dass sie auch seine Mutter hätte sein können. Das Bild musste für seinen Besitzer aber von großem Wert sein, denn es war genau so platziert worden, dass er es beim Wachwerden im Blick hatte. Scott drehte es herum und konnte einen Namen in die Rückseite eingeritzt sehen: Adriel. Das Bild wieder herumdrehend, begutachtete der Werwolf die Szenerie noch einen Moment, ehe er es so auf dem Nachttisch abstellte, dass die Position der von eben glich. Dieser Adriel, Scott nahm an, dass der Hund nicht so hieß, musste extrem wichtig für Luke sein. Vielleicht konnte er ihn bei Gelegenheit darauf ansprechen? Er machte sich jedenfalls über das Videospielregal her und staunte nicht schlecht, als er von RPGs, über Shootern und Rennspielen bis hin zu Sportsimulationen alles finden konnte.
 

Scott hatte gerade einen besonders blutrünstig wirkenden Shooter in der Hand, als die Tür aufschwang und Luke mit einem Tablett in den Händen auftauchte. Eine Schüssel mit Kartoffelchips, wie auch eine Schüssel mit Popcorn, wurde gemeinsam mit zwei Gläsern und einer Glaskaraffe Orangensaft balanciert.
 

„Eine gute Wahl. Den kann man sogar online miteinander spielen. Können wir gleich versuchen“, meinte Luke begeistert und nickte in Richtung der Spielhülle. „Ich hoffe, Chips und Popcorn gehen für dich in Ordnung? Jonathan hat gestern welche gemacht. Der Orangensaft ist auch frisch gepresst.“ Damit stellte er das Tablett auf dem Glastisch vor dem Sofa ab und schnappte sich einen Controller, wie auch die Spielhülle, schob die CD in die Spielkonsole und bugsierte Scott auf den Mehrsitzer, wobei er ihm den zweiten Controller in die Hand drückte.
 

Nach gut zwei Stunden, in denen Scott die Vorzüge selbstgemachter Kartoffelchips kennenlernte, feststellen durfte, dass Luke und er auch in diesem Videospiel ein gutes Team abgaben (Luke deckte ihn hervorragend ab und teilte dabei gut aus, während Scott ihm den Rücken freihielt), und sie sich über eher Belangloses unterhalten hatten, wagte er nun den Vorstoß, sich ein wenig mehr über seinen Gastgeber zu informieren. Die Stimmung war ausgelassen und der Werwolf konnte es dem Briten förmlich anmerken, wie sehr er sich über seine Gesellschaft freute. Er hatte in einer Tour gelächelt, mal abgesehen von den Fluchtiraden, wenn jemand ihn oder Scott doch über den Haufen geschossen hatte. Dementsprechend behutsam ging der Alpha vor, um den durchaus angenehmen Nachmittag nicht zu zerstören.
 

„Sag mal, Luke, darf ich dich etwas fragen?“, begann er vorsichtig und warf sich etwas Popcorn in den Mund.
 

„Klar. Also Shooter sind meine große Stärke, wie auch Fifa, falls du das meinst“, grinste er ihm entgegen.
 

„Wäre mir nicht aufgefallen“, grinste Scott zurück und straffte seine Haltung ein wenig, bevor er etwas ernster wurde. „Mir geht deine Narbe nicht aus dem Kopf.“ Er beobachtete genau, wie sich Lukes fröhliche und gelassene Miene bei jedem einzelnen Wort mehr und mehr verzerrte, förmlich verfinsterte.
 

„Ah ja, die Narbe, neben der Zahnspange mein größter Makel“, seufzte er und nippte an seinem Glas, welches er nun mit beiden Händen umklammerte. „Ich nehme einmal an, dass du gerne wissen würdest, woher ich sie habe?“
 

Scott bestätigte die Frage mit einem stummen Nicken und konnte beobachten, wie Luke mit sich rang. Irgendwie schien er zu zögern. Das war nur natürlich, aber er schien dem Alpha auch irgendwie zu vertrauen. Wahrscheinlich war Scott der erste Mensch in Lukes Leben, der sich tatsächlich für ihn und nicht nur für sein Geld oder seine Erfolge interessierte. Mal abgesehen von diesem ominösen Unbekannten vielleicht. Es versetzte ihm einen Stich, dass auch er nicht gänzlich nur an seiner Person interessiert war, doch diesen Gedanken schob er erst einmal beiseite.
 

„Das ist eine lange Geschichte“, begann er und nahm eine Hand vom Glas, um sich damit durch die Haare zu fahren. „Bist du mir böse, wenn ich dir sage, dass ich gerade jetzt nicht darüber reden möchte?“ Luke atmete tief durch und sah Scott ernst an: „Ich verspreche dir aber, wenn einmal der richtige Moment da sein sollte, dann unterhalten wir uns darüber. Reicht dir das?“
 

Scott wollte schon etwas erwidern, da sah er den niedergeschlagenen und schmerzvollen Ausdruck in Lukes Gesicht und für einen kurzen Augenblick war ihm, als könne er genau diesen Schmerz und dieses Leid ebenfalls fühlen. Dann ebbten die Emotionen wieder ab und er nickte nur knapp. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen.“
 

„Das hast du nicht, Scott. Es ist nur schwer über etwas zu reden, das quasi mein ganzes Leben ins Wanken gebracht hat. Ich rede mir oft ein, sie würde nichts verändern, doch sie hat praktisch alles verändert. Schaltet man den Fernseher ein, sieht man Berichte und Geschichten über Seelengefährten, die zueinander gefunden haben und glücklich sind, die wahre Liebe erfahren durften.“ Der Brite hielt inne und biss sich auf die Unterlippe, bevor er innehielt. „Ich beneide diese Menschen irgendwie. Trotz meiner Fähigkeiten, trotz meiner ganzen Anstrengungen und auch des Geldes meines Vaters, bleibt es mir verwehrt, diese eine Emotion erfahren zu dürfen.“ Luke hielt erneut inne und nippte an seinem Glas Orangensaft, den direkten Augenkontakt mit Scott vermeidend, bevor er sich zu sammeln schien und fortfuhr: „Mein persönliches Märchen wird niemals wahr werden, egal wie sehr ich mich anstrenge.“
 

„Aber das ist doch gar nicht gesagt“, warf Scott ein. „Du hast doch selbst gestern noch behauptet, die Möglichkeit bestünde, sofern sich dein Gefährte in dich verlieben würde.“
 

„Natürlich, wenn ich Grandpas Worten Glauben schenken darf. Doch selbst wenn er Recht haben sollte, wie soll ich denn, bei acht Milliarden Menschen, genau den Richtigen finden? Die Chancen sind utopisch gering. Das kann selbst ich mir ausrechnen.“ Lukes Finger krallten sich förmlich um das Glas und die orangene Flüssigkeit schwappte ob des Zitterns hin und her, welches seine Hand begleitete. „Für mich gibt es eben keinen Gegenpart. Ich könnte es versuchen, würde aber nie ganz glücklich sein, denn ein kleiner Teil von mir würde sich immer fragen, ob es mit meinem Seelengefährten nicht noch schöner sein würde.“
 

Der Werwolf fühlte sich nun endgültig schlecht. Nicht nur, dass er die gute Laune gekippt hatte, nein, er hatte Luke auch offenkundig verletzt, wenn auch unbeabsichtigt. Wahrscheinlich verdrängte er diese Gedanken so gut es eben ging und er hatte ihn gezwungen, aus seinem eigenen Misstrauen gegenüber Gerard heraus, sich damit zu befassen. Was sollte er sagen oder tun? Da fiel sein Blick auf die Englandfahne und ihm kam eine Idee.

„Was ist das für ein Zeichen auf der Flagge? Das gehört da nicht hin, oder?“ Scott deutete in Richtung der Fahne, was Luke aufsehen ließ.
 

„Du meinst das Logo von Manchester United?“
 

„Ja, ich denke schon?“
 

„Manchester United ist mein absoluter Lieblingsverein. Wir haben im Old Trafford, dem Heimstadion von Manchester United, einen Dauerlogenplatz gebucht. Mein großer Traum wäre es, als Stürmer im Verein aufgenommen zu werden.“ Die Augen des Briten begannen dabei zu leuchten und die Traurigkeit von eben noch verschwand langsam.
 

„Und wer ist das drunter? Spielt er bei Manchester United?“, versuchte Scott, mit großem Erfolg, Luke abzulenken, denn dieser schüttelte lachend den Kopf.
 

„Nein, das ist Harry Kane, Spitzname ‚the hurricane‘. Harry Kane spielt für Tottenham Hotspur und ist einer der besten Stürmer überhaupt. Er läuft außerdem für die englische Nationalmannschaft auf, ist Träger des Goldenen Schuhs bei der Weltmeisterschaft 2018 mit sechs Treffern und noch besser als Raheem Sterling.“
 

Scott atmete erleichtert aus und ihm fiel eine große Last von den Schultern, als Luke damit begann, ihm die Auszeichnungen seines großen Idols aufzuzählen, wie er bereits als kleiner Junge im Stadion seinen Verein bejubelt hatte und auch, dass er mit eben jenen Fußballschuhen seine erste Schulmeisterschaft gewonnen habe. Der Werwolf erfuhr sogar, warum Luke genau dieses Modell ausgewählt hatte, denn sie würden den Namen eines römischen Gottes mit geflügelten Schuhen in sich tragen.
 

„Fußball ist nicht nur ein Sport, es ist eine Lebenseinstellung“, schloss Luke seinen Vortrag ab und schnappte sich wieder sein Glas Orangensaft. „Wobei das wahrscheinlich generell auf Sport zutrifft. Ich meine, ich liebe es im Winter Langlaufen zu gehen, das schon, aber nichts kommt an Fußball heran. Das Gefühl, wenn die Kugel deinen Bewegungen folgt, du sie beeinflussen kannst, ihr deinen Willen aufzwingen, die Verteidigung ausdribbelst, und den Keeper alt aussehen lässt, Tor um Tor schießt und das gesamte Stadion jubelt, das ist… einzigartig.“
 

„Das klingt ein wenig beliebter als Lacrosse“, nuschelte Scott.
 

„Ist es auch. Fußball ist Englands Nationalsport Nummer 1.“ Ein Kichern entsprang Lukes Kehle, als er Scotts leicht deprimierten Gesichtsausdruck bemerkte, der sich nun nicht mehr wie ein Sportass fühlte, sondern vielmehr wie jemand, der drittklassigen Sport betrieb und dafür aus Mitleid gefeiert wurde. „Lacrosse ist, den Erzählungen nach, ein harter Sport und ich glaube, es ist mindestens so anstrengend wie Fußball. Wenn es dir aber zu langweilig wird, und ich Grandpa dazu bekomme, dass ich eine Mannschaft für die Schule aufstellen darf, dann würde ich mich freuen, wenn du dabei wärst.“
 

„Aber ich habe doch gar keine Erfahrung“, protestierte Scott, was aber von seinem Gesprächspartner mit einer Handbewegung abgetan wurde.
 

„Du spielst perfekt mit mir zusammen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Selbst in meiner alten Mannschaft gab es niemanden, der so gut zu mir gepasst hat. Du bist gelaufen, als du laufen musstest, stehen geblieben, als du stehen bleiben solltest, hast den Ball abgegeben, meine Pässe angenommen – wir wären ein unschlagbares Team.“
 

Luke wirkte so euphorisch, dass es Scott schwerfiel, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. Innerlich seufzend stimmte er zu, dass er, sollte es jemals eine Fußballmannschaft an der Beacon Hills High geben, der Mannschaft beitreten würde. Das freute seinen Gesprächspartner umso mehr. Die gute Stimmung schwappte nun auch auf den jungen Alpha über und im Nu war der restliche Nachmittag vorbei gewesen. Die Hausaufgaben hatte man gänzlich vernachlässigt und auch den Plan, sich weiter über Luke und dessen Vergangenheit zu erkundigen. Stattdessen waren noch mehrere Online-Sessions im Ego-Shooter gefolgt, wie auch das Knabberzeugs aufgegessen worden. Erst als Lukes Handy läutete, war der Zauber und die Unbeschwertheit vorbei. Der Brite hatte ihn, sichtlich zerknirscht darüber, dass ihre gemeinsame Zeit bereits zu Ende war, zumindest für heute, nach Hause gebracht, mit der Begründung, er müsse seinen Großvater abholen.
 

Auch die Heimfahrt gestaltete sich als nicht furchtbar, was nützliche Informationen über Luke anging. Scott hatte es auch nicht mehr wirklich darauf angelegt. Es tat ihm selbst irgendwie auch leid, dass der gemeinsame Nachmittag so schnell vergangen war. Er fühlte sich in Lukes Nähe wohl und das beunruhigte ihn ein wenig. Nicht, dass er besonders misstrauisch gewesen wäre, und auch, wenn er Stiles´ Bedenken nicht vollständig teilte, so war es dennoch seltsam, sich auf Anhieb so gut mit jemandem zu verstehen.
 

„Soll ich dich morgen wieder abholen?“, wollte Luke wissen, als Scott ausgestiegen war.
 

„Morgen holen mich Stiles und Derek ab, aber wie wäre es mit Mittwoch?“, schlug der Alpha vor, was die anfängliche Enttäuschung des Briten in ein breites Lächeln verwandelte.
 

„Klar. Ich bin pünktlich wieder da. Bis morgen, Scott!“
 

„Bis morgen.“
 

Damit schloss sich die Tür und der Werwolf und machte sich auf den Weg in sein Haus, in dem in der Küche bereits Licht brannte, denn es dämmerte schon. Morgen würde er sich mit Stiles austauschen und vor allem Allison befragen. Irgendwie war es schwer vorstellbar, dass dieser Junge etwas Böses im Schilde führen konnte. Vielleicht hatte Stiles ja doch Unrecht mit seiner Vermutung und er war zu übervorsichtig? Scott vertraute seinem besten Freund und zweifelte nicht an dessen Menschenkenntnis, aber es fiel ihm mit jeder Sekunde schwerer, hinter Luke etwas Böses zu vermuten. Wenn, dann war er nur ein Opfer der Umstände, die in diesem Fall Gerard Argent hießen. Was dem jungen Alpha aber bereits jetzt bewusst wurde, war die Tatsache, dass ihm diese ganze Situation über den Kopf zu wachsen drohte. Hoffentlich konnte Allison morgen Stiles´ Vermutungen entkräften, denn sonst würde er sich eventuell bald in einer ziemlichen Zwickmühle befinden.

Etwas Licht im Dunkeln

Es hatte eine kleine Planänderung gegeben: Nicht Stiles und Derek holten Scott am nächstem Morgen ab, sondern Isaac und Allison. Dem jungen Alpha war dieser Umstand ganz recht, denn er erhoffte sich von Allison Informationen bezüglich ihres Cousins, außerdem freute er sich, sie wiederzusehen. Der Umstand, dass sie nun mit Isaac zusammen war, versetzte Scott zwar immer wieder kleine Nadelstiche, doch er hatte gelernt es zu akzeptieren, auch wenn es ihm furchtbar schwergefallen war. Allison war seine erste Freundin gewesen und auch seine erste große Liebe.
 

Kaum, dass er bei den beiden im Wagen saß, und er Allison herzlich begrüßt hatte, war das Gespräch auch schon auf Luke gelenkt worden. Isaac hatte seine Gefährtin bereits über die neuesten Umstände informiert, dementsprechend kurz fielen auch Scotts Ausführungen aus.
 

„Das ist es, was Stiles und ich herausbekommen konnten“, schloss er seinen Vortrag ab. Allison hatte ihm schweigend zugehört, wobei sich aber immer wieder Falten auf ihrer Stirn gebildet hatten. „Stiles meinte, er sei quasi wie ein Geist, aber das wäre auch normal. Jetzt hatten wir die Hoffnung, dass du, als seine Cousine und dein Dad, als sein Onkel, etwas Licht ins Dunkel bringen könntet.“
 

„Ich denke, ich werde euch enttäuschen müssen“, fing Allison an und zerstörte damit Scotts Hoffnungen auf eine Zerstreuung ihrer aller Befürchtungen. „Über Luke wurde kaum gesprochen. Ich weiß, dass es ihn gibt und ich kenne Kates Standpunkt zu ihm.“ Letzteres ließ Scott hellhörig werden.
 

„Das wäre ja schon einmal ein Anfang“, warf Isaac ein, der die Rolle des Fahrers übernommen hatte.
 

„Sie war noch recht jung, als sie mit ihm schwanger wurde. Es gab dann noch einen Sorgerechtsstreit und das auch nur auf Drängen Gerards hin“, erklärte sie ihnen.
 

„Wie meinst du das?“, fragte Scott leicht verwirrt.
 

„Kate wollte ihn eigentlich nie. Sie hat ihn als den größten Fehler ihres Lebens bezeichnet. Gerard hat sie dann aber dazu gedrängt, ihn doch zu bekommen.“
 

„Du meinst, sie wollte ihn abtreiben?“ Scott war entsetzt. Das klang so kalt und hartherzig, dass es schon wieder zu Kate passen konnte. Sie war ihm gegenüber nie als jemand aufgetreten, den man hätte besonders mögen können, zumindest nicht, nachdem sie ihm auf die Schliche gekommen war. Sich Kate als Mutter vorzustellen war sowieso schwer gewesen.
 

„Ja“, bestätigte ihm Allison und lenkte dabei ihren Blick aus dem Fenster. „Das habe ich damals mitbekommen, als Dad und sie sich einmal über ihn unterhalten haben und er versucht hat, mit ihr Kontakt aufzunehmen.“
 

„Kontakt?“
 

„Er hat ihr Briefe geschrieben, mit aktuellen Fotos von ihm, Kopien seiner Zeugnisse und seiner sportlichen Erfolge.“ Allison öffnete den Mund, um ihn dann gleich wieder zu schließen.
 

„Und? Was ist in den Briefen gestanden?“ Isaac warf seiner Gefährtin einen auffordernden, wie auch leicht besorgten Seitenblick zu.
 

„Ich weiß es nicht. Dad hat nie mit mir darüber gesprochen, genauso wenig wie meine Mutter. Es stand einmal im Raum, dass sie Luke zu uns holen wollten, aber Gerard war wohl dagegen. Dad hat einmal mit Kate gestritten deswegen. Sie hat ihm vorgeworfen, er wolle seine finanzielle Situation durch die Alimente aufbessern. Sein Vater war damals wohl schon gut betucht. Ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal, wie sich die beiden kennengelernt haben.“
 

„Hast du eine Vermutung, warum dein Großvater dagegen war, dass ihr ihn zu euch holt?“, hakte Scott nach einer Weile des betretenen Schweigens nach.
 

„Ich weiß es nicht“, gab Allison zu und zuckte mit den Schultern.
 

„Laut Luke war er der Einzige aus eurer Familie, der ihn besucht und sich um ihn gekümmert hätte.“ Scott zögerte einen Moment und atmete tief durch. Aus irgendeinem Grund fiel es ihm schwer, die nächste Frage zu stellen und er betete inständig, dass Allison sie zufriedenstellend beantworten konnte. „Denkst du, dass er ihn so benutzen könnte wie dich damals?“
 

„Ich weiß es nicht“, wiederholte sie erneut. „Mein Großvater macht nichts ohne Grund. Es wäre naheliegend.“ Dabei biss sie sich auf die Unterlippe und wandte sich dabei noch ein wenig mehr von ihnen ab. Erst als Isaac eine Hand vom Lenkrad nahm und sie auf ihre legte, schaute sie wieder zurück.
 

„Du musst dich für nichts schämen, Allison. Was passiert ist, ist passiert“, versuchte der blonde Werwolf sie aufzumuntern und erntete dafür ein zaghaftes Lächeln.
 

Scott lehnte sich auf der Rückbank zurück und schloss die Augen. Er war noch immer nicht viel schlauer geworden. Gerard hatte dafür gesorgt, dass Chris und Victoria Luke nicht bekommen hatten. Luke liebte seinen Großvater abgöttisch, das hatte man ihm angemerkt. Er war ihm absolut hörig. Dann war da noch die Frage, ob der Brite sein Seelengefährte war oder nicht und was das für ihn bedeutete. Bei diesem Gedanken tauchte eine weitere Frage auf.
 

„Allison? Weißt du, wie Lukes Nachname lautet?“, fragte er und erntete einen verwirrten Blick.
 

„Warum ist das wichtig?“, erkundigte sie sich und sah leicht misstrauisch zwischen Scott und Isaac hin und her. Der blonde Werwolf schien seine Gefährtin noch nicht über Stiles´ und seinen Verdacht aufgeklärt zu haben. Da fiel ihr Blick auf Scotts Oberarm und sie schien plötzlich zu begreifen.
 

„Ihr denkt…?“, fing sie an und fixierte die Stelle, an der sich die Initialen von Scotts Seelengefährten befanden, welche aber gerade von einem Jeansjackenärmel bedeckt wurden. „Das müsste sich doch leicht herausfinden lassen?“
 

„Das ist das Problem. Sein Mal wurde entfernt oder so etwas. Eine große Narbe überdeckt sie.“ Scott hätte sich selbst ohrfeigen können, dass er schon wieder Lukes Geheimnis preisgegeben hatte. Das war natürlich notwendig und auch wichtig, doch er hatte sein Versprechen dem Briten gegenüber erneut gebrochen. Vor seinem geistigen Auge tauchte das Bild des verschüchterten Jungen auf, der ihm so viel Vertrauen entgegengebracht hatte und er trat es mit Füßen. Schuld regte sich im jungen Alpha, genauso wie auch ein Anflug von Scham.
 

„Keine Ahnung. Hältst du es denn für möglich, Scott?“, fragte Allison bemüht sanft und drehte sich vollends zu ihm um.
 

„Ich weiß es nicht. Stiles denkt, dass dem so sein könnte.“ Scott rückte unruhig auf seinem Sitz hin und her. „Laut deinem Großvater funktioniert es aber nur, wenn sich sein wahrer Seelengefährte in Luke verlieben würde. Ob das ein Trick ist oder nicht, kann ich auch nicht sagen. Dein Cousin und ich scheinen uns jedenfalls gut zu verstehen.“
 

„Sie haben vorgestern im Sportunterricht Jackson, Boyd und Ethan alt aussehen lassen, und das obwohl dein Cousin nur ein gewöhnlicher Mensch ist. Stiles könnte durchaus Recht haben“, warf Isaac ein, den Blick nicht von der Straße nehmend. „Die Frage ist eher, was sich dein Großvater davon erhofft, ihn jetzt auf der Bildfläche erscheinen zu lassen.“
 

„Hältst du ihn für gefährlich?“, fragte Scott leise.
 

„Scott, das weiß ich nicht.“ Allison streckte ihre Hände aus und legte sie umständlich auf die des Werwolfes, da es mit angelegtem Gurt äußerst schwierig war, sich auf die Rückbank hin zu strecken. „Wenn er aber dein Seelengefährte ist, dann muss er ein guter Mensch sein oder einen guten Kern besitzen. Seelengefährten passen normalerweise perfekt zueinander. Sollte dem wirklich so sein und er unter Gerards Einfluss stehen, dann befreien wir ihn davon.“
 

Der junge Alpha schenkte ihr ein dankbares Lächeln und drückte ihre Hände fest. Diese vertraute Geste hatten sie als Paar so oft miteinander ausgetauscht, dass es ihm fast schon surreal vorkam, als sie sich wieder von ihm löste und Isaac das Gleiche mit ihr tat.
 

„Ich denke, ihr macht euch zu viele Sorgen. Selbst wenn ihn der Alte unter Kontrolle haben sollte, was will er schon groß ausrichten? Wir sind ein Rudel Werwölfe, haben zwei Jäger und ein Genie auf unserer Seite und sie sind bloß zu zweit, ein Teenager und ein Krüppel.“ Isaac lenkte den Wagen auf den Parkplatz vor der Schule, direkt neben den Porsche von Jackson, der seinen gewohnten Parkplatz an den, mittlerweile vertrauten schwarzen Mercedes hatte abtreten müssen. Die Frage nach diesem Adriel hob sich Scott für später auf. Er war gerade selbst zu sehr mit seinen Gedanken und seinem Gefühlschaos beschäftigt. Diese Empfindungen verstärkten sich noch, als er Luke dabei beobachten konnte, wie dieser seinem Großvater aus dem Wagen in den Rollstuhl half. Ein Blick zu Allison genügte, um dem Werwolf zu signalisieren, dass es für sie genauso schwer sein musste, dieses Bild mitanzusehen, wenn auch aus einem anderen Grund.
 

Kaum ausgestiegen, hatte Luke auch schon Gerard mit dem Rollstuhl zu ihnen geschoben, wobei er Scott ein breites Lächeln schenkte, sich aber ein Wort des Grußes ersparte. Das übernahm der alte Mann, der seiner Enkelin ein ebenso breites Lächeln vermachte, welches jedoch äußerst aufgesetzt wirkte.
 

„Allison, mein Mädchen, gut siehst du aus“, meinte ihr Großvater. „Ich habe dich schon eine geraume Weile nicht mehr gesehen. Bezaubernd wie eh und je.“
 

Scott wollte schon etwas sagen, als er Allisons Unsicherheit bemerkte, da war bereits Isaac zur Stelle und hatte die Hände beschützend um seine Gefährtin gelegt. Deren Blick verwandelte sich nun in eine Mischung aus Kälte und Gleichgültigkeit. „Das hat auch seinen Grund“, antwortete sie ihm kühl.
 

„Ich weiß, ihr jungen Leute habt einfach andere Dinge im Kopf, als sich um eure Großeltern zu kümmern, nicht wahr?“ Gerard legte den Kopf in den Nacken und griff dabei nach der Hand Lukes, die den Rollstuhlgriff umfasst hielt. „Aber dafür habe ich ja jetzt jemand anderen, nicht wahr, mein Junge?“
 

„Natürlich, Grandpa“, strahlte er ihm entgegen, bevor er seinen Blick auf Allison legte und auch dieser einen ähnlich warmen Blick schenkte. „Du bist also meine Cousine? Freut mich dich kennenzulernen – Grandpa hat schon von dir geschwärmt.“ Damit streckte er auch schon seine andere Hand aus und hielt sie ihr hin. Ihr feindseliges Verhalten schien er einfach zu übergehen oder nicht wahrnehmen zu wollen.
 

Allison zögerte einen Moment, bevor sie sich aus Isaacs Umarmung löste und die dargebotene Hand ergriff. Sie musterte Luke und er tat das Gleiche mit ihr. Es war ein wenig befremdlich den beiden dabei zuzusehen und sowohl Scott, als auch Isaac, empfanden dabei ein gewisses Maß an Unwohlsein, welches ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Einzig Gerard schien diesen Anblick zu genießen, denn in sein Lächeln mischte sich etwas Verschlagenes.
 

„So? Was hat er denn erzählt?“ Allison lenkte ihre Aufmerksamkeit kurz auf den alten Mann im Rollstuhl, bevor sie sich wieder Luke zuwandte, der die Hand zurückgezogen und auf die Schulter Gerards gelegt hatte.
 

„Dass du ein äußerst hübsches und intelligentes Mädchen seist und du wahrscheinlich die halbe Schule wahnsinnig machen würdest, hättest du nicht bereits deinen Seelengefährten gefunden.“
 

Dieser Seelengefährte hob die Augenbrauen ein wenig an, bevor sie nach unten wanderten und er sich anspannte. Scott schüttelte angedeutet den Kopf und musste sich selbst beherrschen, sich nicht einzumischen. Aus irgendeinem Grund tat es ihm furchtbar weh, Luke dabei zu beobachten, wie dieser so liebevoll mit seinem Großvater umging. Es war nicht zu glauben, dass dieser Mann sich geändert hatte, geschweige denn, dass er so etwas wie Zuneigung für seinen Enkel empfinden konnte. Das hatte er bei Allison bereits nicht getan und sie hatte es auf die harte Tour lernen müssen.
 

„Du bist demnach Isaac? Auch von dir hat Grandpa bereits gesprochen und ich habe dich sogar einmal in Aktion gesehen.“ Der blonde Werwolf schaute erschrocken auf Luke hinab, was Gerard ein zusätzliches süffisantes Grinsen ins Gesicht zauberte. „Ich meine, du bist als Torwart zwar nie in Erscheinung getreten, aber ich glaube, du wärst ideal dafür gewesen.“
 

Scott atmete erleichtert aus. Auch das war wieder eine bloße Missinterpretation gewesen. Wobei der junge Alpha sich dabei nicht gänzlich sicher war. Der alte Argent spielte dieses Spiel zu lange und sein offensichtliche Genuss ob ihrer Besorgnis war keinem von ihnen entgangen.
 

„Wir würden uns freuen, wenn ihr uns einmal besuchen kämt“, riss Gerard das Wort wieder an sich. „Ich habe dich schon so lange nicht mehr gesehen und Luke würde euch sicherlich auch gerne kennenlernen. Außerhalb der Schule. Warum bringst du nicht deinen Vater mit und wir genießen ein gemeinsames Abendessen? Der Butler ist ein ausgezeichneter Koch.“ Seine Augen richteten sich auf Scott. „Du bist natürlich auch herzlich eingeladen, Scott. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass wir gemeinsam an einem Tisch sitzen, oder?“
 

Gerade als Scott etwas erwidern wollte, gesellte sich noch jemand zu ihnen: Bleich, teils wild abstehendes Haar, karamellfarbene Augen und eine eher dürre Statur, gepaart mit einigen Schönheitsflecken im Gesicht.
 

„Na? Was ist denn hier los? Die große Familienwiedervereinigung, oder was?“, mischte sich Stiles ein und Scott war ehrlich gesagt froh über dessen plötzlichen Erscheinens, denn dieser Umstand schien Gerard zu missfallen. Er warf einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr.
 

„Ich denke, es ist Zeit, dass ich ins Büro komme. Bis später.“
 

Luke hob zum Abschied die Hand in Richtung Allison/Isaac und Scott, ehe er Gerard umdrehte und diesen in Richtung des High School Eingangs schob. Vier Augenpaare folgten ihnen und es herrschte eine Zeit lang Schweigen, welches Stiles durchbrach.
 

„Wow, für die bin ich ja Luft.“ Er wandte sich damit zu seinen Freunden um. „Ganz ehrlich, Allison, dein Cousin ist ein Arschloch, mir gegenüber zumindest.“
 

„Scheint so“, meinte sie abwesend und legte ihre Hände wieder auf die von Isaac, sich gegen ihn lehnend.
 

„Was ist denn? Habe ich etwas falsch gemacht?“, wollte Stiles wissen und schaute fragend in die Runde. „Ihr habt ausgesehen, als hättet ihr Hilfe gebraucht.“
 

„Haben wir auch“, bestätigte Scott ihn.
 

„Ich habe übrigens eine Idee, wie wir wegen dieser Seelensache vorgehen könnten“, fing Stiles an, hielt dann aber inne, um Allison erst einmal kurz zu begrüßen. „Scott und Isaac haben dich über die aktuelle Situation aufgeklärt?“ Seine Frage wurde mit einem Nicken bestätigt. „Gut. Mir ist nämlich eingefallen, wie wir herausfinden können, ob Luke und Gerard gelogen haben oder nicht.“
 

Sowohl Scott, als auch Allison und Isaac, schauten Stiles abwartend an, der eine Kunstpause einlegte und dabei breit grinste. Er schob die Hände in die Taschen seines Hoodies und setzte einen triumphierenden Blick auf.
 

„Ich brauche ein paar Daten von Luke, seinen Geburtstag, ob er in England oder Amerika geboren wurde, in welchem Verwaltungsbezirk beziehungsweise Bundesstaat und ob er einen Zweitnamen trägt, wie auch das eventuelle Geburtsjahr, aber das kann ich dann eingrenzen.“
 

Er erntete erneut fragende Blicke, die er mit einem Schulterzucken abtat.
 

„Einer von euch wird wohl in der Lage sein, ihm diese Informationen abzuluchsen, oder? Den Rest lasst mal meine Sorge sein.“ Er legte dabei einen Arm um Scott. „Ich denke, dass er es am Ehesten dir verraten würde.“
 

„Und dann?“, erkundigte sich der Alpha ratlos.
 

„Das seht ihr dann schon. Je genauer ich über seine Geburt Bescheid weiß, desto erfolgreicher bin ich.“ Er wanderte mit Scott in Richtung der High School, Isaac und Allison im Schlepptau. „Dann haben wir Gewissheit.“
 

So überzeugt wie Stiles klang, glaubte sein bester Freund ihm fast, dass er zumindest dieses Rätsel lösen konnte. Wie er es anstellen wollte, war Scott ein Rätsel, doch sein Herz schlug merklich schneller, bei dem Gedanken daran, dass er zumindest wissen würde, ob es sich bei Luke um den Menschen handelte, auf den er wartete und ob es noch wichtiger war, ihn von Gerards Einfluss zu befreien, als ohnehin schon. Niemand hatte es verdient, sich von diesem manipulativen Monster benutzen zu lassen. Schon gar nicht sein eventueller Seelengefährte.

Von Hallenhockey, roten Augen und Kontrollverlust

Die ersten beiden Stunden waren wieder mit einer Sporteinheit seitens Coach Finstock gefüllt, der sich auch genötigt fühlte, einen Orientierungslauf anzukündigen, der am Freitag stattfinden würde. Für alle aus dem Lacrosseteam war er Pflicht, der Rest durfte sich frei entscheiden. Die Aussicht auf einen schulfreien Tag, kombiniert mit einem etwaigen Preis für den Sieger, ließen den Andrang dementsprechend groß werden.
 

„Ich warne euch aber vor: Dieser Orientierungslauf hat es in sich, er wird euch körperlich, wie auch geistig, auf die Probe stellen und euch alles abverlangen“, verkündete der Coach stolz, was ihm eine Reihe verwirrter Gesichter bescherte.
 

„Geistig?“, fragte Stiles ungläubig. „Geistig im Sinne von nervenaufreibend geistig oder intellektuell geistig?“
 

„Ja, ich habe mich mit dem Geschichts- und auch dem Geografielehrer zusammengeschlossen und es wird auch notwendig sein, sich in diesen Bereichen behaupten zu können, um als Gewinner hervorzugehen. Das Anmeldeformular hängt am Schwarzen Brett am Eingang. Weitere Fragen sind nicht erlaubt. Ihr solltet aber schon einmal einen Partner ins Auge fassen, denn es wird sich um einen Paarwettbewerb handeln. So und jetzt zieht euch um, wir werden uns heute im Hallenhockey versuchen; ein gut-ergänzendes Training zum Lacrosse.“ Damit reckte der Coach stolz sein Kinn in die Höhe und verließ die Umkleide der Jungs.
 

„Klingt in meinen Ohren wieder einmal undurchdacht und schwachsinnig“, kommentierte Stilinski junior den Abgang ihres Lehrers, während er sich umzog.
 

„Hm? Klar“, murmelte Scott abwesend.
 

„Erde an Scott – wir müssen am Freitag einen Orientierungslauf bestreiten. Was hast du denn? Das letzte Mal hattest du so einen Blick aufgesetzt, als Allison sich vor dich gesetzt hat.“ Stiles wedelte mit der flachen Hand vor dem Gesicht seines besten Freundes herum.
 

„Nichts“, meinte dieser nur und blinzelte mehrmals. Das war nur die halbe Wahrheit. Die Situation von gerade eben, mit der Familie Argent, beschäftigte ihn. Da war etwas in Gerards Gesichtsausdruck gewesen, das ihn beunruhigt hatte. Dieser kalte und berechnende Schimmer in seinen Augen, während er Luke und Allison dabei beobachtete, wie sie sich die Hände schüttelten; das beunruhigte ihn.
 

„Du bist ein mieser Lügner, das weißt du, oder?“ Stiles warf ihm einen strafenden Blick zu. „Was hast du denn? Wegen dieser Seelengefährtennummer bin ich dran, sobald du mir die nötigen Infos lieferst.“
 

„Ich werde es versuchen“, antwortete Scott knapp und lenkte dabei seinen Blick auf Luke, der sich bereits umgezogen hatte. Der Werwolf wurde einfach nicht schlau aus der Situation. Irgendetwas war heute anders, doch er wusste nicht was. Mit einem Kopfschütteln versuchte er den Gedanken daran zu vertreiben und sich auf die Sportstunden zu konzentrieren.
 

Die beiden Mannschaften wurden wieder gewählt, wobei sich erneut, auf Wunsch des Coachs, Scott und Jackson um die jeweiligen Teammitglieder bemühen durften und obendrein, aus taktisch-rivalischen Gründen, Luke automatisch dem Team des jungen Alphas zugeteilt wurde. Damit standen wieder, unter anderem, Isaac, Aiden, Stiles und Luke auf der einen Seite, während sie auf Jackson, Danny und Ethan trafen. Boyd fehlte heute, was zwar nicht ungewöhnlich bei ihm war, denn er hatte bereits öfter die Schule geschwänzt, genauso wie Erica, um gemeinsame Zeit verbringen zu können, doch laut Stiles hatte er auch Derek nicht Bescheid gegeben. Wahrscheinlich hockt er gerade irgendwo mit seiner Seelengefährtin und sie mussten sich hier abmühen.
 

„Okay, da das beim letzten Mal so gut funktioniert hat, würde ich vorschlagen, dass Scott und Luke wieder nach vorne gehen, Aiden und Isaac verteidigen und ich dieses Mal im Tor bin“, stellte Stiles ihnen ihre Aufstellung vor, die einstimmig abgenickt wurde. „Sogar unser Richboy ist damit einverstanden?“, fragte der Sohn des Sheriffs erstaunt. „Wow.“
 

„Ich werde an der richtigen Position eingesetzt, warum sollte ich also Kritik üben?“, beantwortete Luke die Frage mit einer Gegenfrage und einer hochgezogenen Braue.
 

Die aufkeimende Diskussion wurde durch den Coach beendet, der sie anbrüllte, endlich mit ihrem Gewäsch aufzuhören und Aufstellung einzunehmen. Stiles warf Scott noch einen Blick im Sinne von „Was ein Arsch“ zu, der nur mit einem entschuldigenden Schulterzucken erwidert wurde, bevor sie loslegten.
 

Nach kurzer Zeit sollte sich erneut bestätigen, dass Stiles mit seiner Einschätzung Recht hatte: Scott und Luke agierten als perfektes Duo, wobei sich dieses Mal die Ballbesitzquote zum Werwolf hin verlagerte. Jackson kochte bereits nach dem ersten Tor, sehr zur Freude des Coachs, der sich darin bestätigt sah, dass diese aufkeimende Rivalität Nährboden für Höchstleistungen war. Auf das Tor folgte ein zweites, bis die Werwölfe der Gegenseite ernst machten und den Ausgleich schafften. Obwohl Luke schnell war, konnte er mit den Reflexen und der Agilität von Jackson und Ethan nicht mithalten.
 

„Warum funktioniert es dieses Mal nicht so wie vorgestern?“, wollte Scott wissen, der sich mit dem Handrücken über die Stirn wischte.
 

„Weil das hier etwas anderes ist. Ich spiele Hallenhockey nicht professionell“, schnaubte Luke und tat es ihm gleich. „Hier kann ich nicht mit Erfahrung ausgleichen. Wir schlagen uns aber gut, bis auf deinen Freund, der ein miserabler Torwart ist.“ Stiles meckerte von hinten bereits, was aber seitens des Briten ignoriert wurde.
 

„Denkst du, das macht wirklich so einen Unterschied aus? Oder liegt es daran, dass Isaac nicht im Tor steht?“
 

„Das würde die Situation wahrscheinlich noch verschlimmern. Unser schwächstes Glied in der Kette steht ganz hinten und bietet dementsprechend wenig Angriffsfläche.“ Luke atmete tief durch. „Ich sehe zu, dass ich noch einmal alles raushole, okay? Die beiden haben sich eingespielt, aber das können wir auch.“ Er klopfte Scott auf die Schulter: „Wir sind schließlich ein Team, oder?“
 

„Sind wir“, bekräftigte ihn der Werwolf mit einem Lächeln und sie gingen damit in die zweite Halbzeit, die eine ähnlich knappe Kiste wurde wie die die erste. Es blieb bei einem Unentschieden, was der Coach begeistert als Steigerung der Leistungsfähigkeit anpries. Jackson kochte jedoch und Scott entschloss sich gedankenschnell dazu, dem Coach vorzuschlagen, dass Luke und er die Tore und Schläger wegräumen könnten. Stiles nickte ihm zu und bedeutete ihm mit einem Daumenzeig, dass das eine gute Idee war. Es dauerte ein wenig, doch dann waren sie alleine in der Halle.
 

„Was ein dämlicher Sport“, fluchte Luke leise, während er die Schläger zusammenband und in eine Ecke lehnte.
 

„Du hast dich doch gut geschlagen?“, meinte Scott sanft. „Das war eine gute Leistung.“ War es tatsächlich, sich gegen zwei Werwölfe eine Zeit lang behaupten zu können, glich schon einem kleinen Wunder.
 

„Habe ich nicht, denn sonst hätten wir gewonnen. Ein Unentschieden gleicht einer Niederlage“, schnaubte der Brite und trug die beiden Tore zu den Schlägern. „Aber was kann man auch erwarten, von einem Idioten, der an einer staatlichen Schule kaufmännische Fächer und Sport unterrichtet und wahrscheinlich die billigste Universität besucht hat, weil sein jämmerliches Einkommen für mehr nicht ausreichte? Da muss man sich natürlich drittklassigen Sportarten zuwenden.“
 

Scott wollte gerade etwas darauf erwidern, da fühlte er, wie sich sein Puls beschleunigte. Er raste förmlich. Mit jeder Sekunde die verging, fiel es ihm schwerer, sich zu konzentrieren. Das letzte Mal hatte er so gefühlt, als er kurz davorgestanden war, sich das erste Mal zu verwandeln. Plötzlich wurde ihm auch klar, dass das tatsächlich zu passieren drohte. Sein Blick fiel auf seine Fingerspitzen, die bereits leichte Ansätze von Krallen zeigten, welche über den Rand lugten. Panik ergriff ihn. Die Tür war zu weit entfernt und Luke kam gerade auf ihn zu. Er konnte nicht hören, was dieser zu ihm sagte, nur das Rauschen seines Blutes in den Ohren war zu vernehmen. Wenn er sich mit den Krallen selbst verletzte, würde ihn das verraten, genauso wie die roten Augen und die Reißzähne. Rasch schlug er die Augen nieder und versuchte sich zu beruhigen, was ihm aber einfach nicht gelingen wollte. Was war nur los mit ihm? Er atmete gepresst ein und aus. In seinem jetzigen Zustand drohte er die Kontrolle zu verlieren. Scott stellte eine Gefahr für sein Gegenüber dar. Am Fliehen wurde er gehindert, als er einen sanften Druck auf den Schultern spürte. Wahrscheinlich hatte Luke die Hände darauf gelegt. Gleich würde er ihn enttarnen oder der Werwolf ihn anspringen. Die Kontrolle über seinen Körper entglitt ihm fast vollständig. Als er auch noch Finger an seinem Kinn spürte, die es nach oben zu bewegen versuchten, war es zu spät.
 

Mit einem Ruck schnellte sein Kopf nach oben. In einer letzten Verzweiflungstat schloss er noch die Augen und rechnete damit, dass er Luke gleich zerfleischen würde. Er würde genau zu dem Monster werden, das er so sehr verabscheute, zu etwas wie Peter werden. Der Brite würde aufschreien, die Leute draußen aufmerksam machen und ihn als Mörder entlarven, Gerard Recht geben, einen weiteren Grund, ihn zu jagen. Seiner Kehle entsprang ein Knurren, welches aber kaum eine Millisekunden zu hören war. Anstelle der vermeintlichen Schmerzensschreie, dem Gefühl von Blut an Händen und im Mund, konnte er etwas anderes wahrnehmen: Eine wohlige Wärme, die sich auf seine Lippen legte. Der Geruch von Schweiß und Lukes eigenem Körpergeruch stieg ihm in die Nase, während sich seine Arme, wie von selbst, bewegten. Er konnte fühlen, wie Lukes Körper sich dabei anspannte.
 

Erst als er spürte, wie etwas durch seine Haare strich, wagte er es, wieder hinzusehen und ihm wurde mit einem Mal bewusst, was er da tat. Sobald er begriff, riss er die Augen auf: Er hielt Luke in einer Umarmung fest und küsste ihn. Nicht nur das; sein Gegenüber erwiderte den Kuss, die Anspannung schien dabei völlig von ihm abgefallen zu sein. Mit der linken Hand krallte er sich in Scotts T-Shirt fest, während die Finger der rechten an seinem Hinterkopf ruhten. Entgegen aller Erwartungen, der Verwunderung und der Verwirrtheit, die den jungen Alpha gerade heimsuchten, beendete er den Kuss nicht. Sein Körper hinderte ihn daran, wie auch sein Geist, denn der Anblick Lukes, seiner flatternden Augen, dessen wilder Herzschlag, das Gefühl seiner Finger in Scotts Haaren, sein Geruch und der Geschmack seiner Lippen, ließen ihn alles um sich herum vergessen. Eine gefühlte Ewigkeit später löste sich der Brite von ihm und warf ihm einen fragenden Blick zu.
 

„Wofür war das denn?“ Seine Stimme war dabei unfreiwillig höher geworden, was mit einem Räuspern korrigiert wurde.
 

„Ich… keine Ahnung“, gestand der Werwolf.
 

„Ich mag in diesem Fall keine Ahnung“, lächelte Luke und seine bleichen Wangen brannten vor Röte. „Sehr sogar.“
 

Scott wollte sich von Luke lösen, sich entschuldigen, irgendeine Ausrede finden, doch er konnte nicht; es war, als wäre in seinem Kopf ein Schalter umgelegt worden, als hätte sein rationales Denken aufgehört und seinen Gefühlen Platz gemacht. Dieser Kuss war schöner gewesen als alle, die er mit Allison durchlebt hatte. Er hatte die Arme sogar noch ein wenig fester um sein Gegenüber gelegt. Luke wirkte in diesem Moment erstaunlich verletzlich und schüchtern. Es war fast so, als würde er sich an Scott schmiegen wollen.
 

„Ich… tut mir leid“, stammelte Scott verlegen.
 

„Was tut dir leid?“, wollte Luke wissen.
 

„Dass ich dich geküsst habe.“
 

Ein Kichern entsprang Lukes Kehle, der amüsiert den Kopf schüttelte: „Hattest du denn das Gefühl, dass es mir nicht gefallen hätte?“
 

Der Werwolf blinzelte und wirkte überrascht ob der Erkenntnis, dass dem tatsächlich nicht so gewesen war, im Gegenteil: Luke hatte den Kuss erwidert. Seine beiden Hände waren inzwischen auf Scotts Brust gewandert und ruhten dort. Sie schienen perfekt auf die Brustmuskeln des Alphas zu passen.
 

„Nein?“, erkundigte sich Scott vorsichtig.
 

„Richtig erkannt. Es war zwar unerwartet und ich hatte zwischendrin Angst, dass die Zahnspange im Weg sein würde, aber…“ Luke rückte noch ein wenig mehr an Scott heran. „Du küsst erstaunlich gut.“ Er näherte sich mit den Lippen bereits wieder den Seinen, als ein Poltern an der Tür zu hören war und sie beide auseinanderstoben.
 

„Was macht ihr denn da?“ Stiles warf ihnen beiden einen misstrauischen Blick zu.
 

Scott wollte schon etwas erwidern, da zeigte sich bereits eine Zornesfalte auf Lukes Stirn. Seine Miene verfinsterte sich und er stapfte wütend auf Stiles zu.
 

„Hast du Schwachkopf schon einmal etwas von Privatsphäre gehört?“, fuhr er ihn wütend an, wobei seine Wangen noch immer rot gefärbt waren.
 

„Das ist eine Sporthalle in der High School, sonderlich viel Privatsphäre wirst du hier kaum genießen können“, konterte der Sohn des Sheriffs.
 

„Hast du uns beobachtet?“ Luke blieb knapp vor Stiles stehen, die Hände zu Fäusten geballt. „Hat es dir einen Kick gegeben? Ist das irgendeine kranke Perversion von dir? So etwas wie Voyeurismus? Eine Neigung? Spähst du in andere Zimmer mit einem Fernglas, weil es dich anmacht, andere zu beobachten?“
 

„Nein, vor allem nicht, wenn es sich um meinen besten Freund handelt“, entgegnete Stiles ruhig. „Das war reiner Zufall und meine Frage scheint damit beantwortet zu sein.“ Das Grinsen seines besten Freundes war förmlich herauszuhören. „Du bist aber leicht auf die Palme zu bringen. Nervös? Das Rot auf deinen Wangen steht dir, verleiht dir etwas Normalsterbliches, Richboy.“
 

Luke presste die Lippen zu einem blutleeren Strich zusammen und es wirkte für einen Augenblick so, als würde er Stiles mit der Faust ins Gesicht schlagen wollen, da zuckte er ein wenig mit dem Kopf und atmete tief durch. Die grau-grünen Augen wanderten zu Scott, bevor er sich einfach abwandte und die beiden alleine ließ.
 

„Wow, was war das denn?“, meinte Scotts bester Freund und gesellte sich zu ihm. „Dein neuer Liebhaber scheint ein massives Aggressionsproblem zu haben. Ich wette, wenn du nicht zugesehen hättest, würde ich jetzt einen Freifahrtsschein ins Krankenhaus einlösen dürfen.“
 

„Ich… ich keine Ahnung, Stiles. Gerade eben drohte ich die Kontrolle zu verlieren und mich zu verwandeln“, nuschelte Scott und fuhr sich durch die Haare, auf die Stelle starrend, an der Luke eben noch gestanden hatte.
 

„Ah ja und dann kam dir in den Sinn, ihm die Zunge in den Hals zu stecken?“ Stiles klang skeptisch, wie auch besorgt. „Das ist aber nicht normal. Wobei doch, wenn wir mit unserer Vermutung Recht haben sollten. Derek hat sich mir gegenüber zu Beginn auch so verhalten.“ Ein Grinsen erschien auf den Zügen von Stilinski Junior. „Das erklärt auch, warum er dir gegenüber nett ist, und alle anderen wie Luft behandelt.“
 

„Das ist nicht witzig“, fauchte Scott und massierte sich die Schläfen.
 

„Ein wenig schon, Scott.“ Er klopfte ihm dabei auf den Rücken. „Hey, siehs mal so: In deinem Zimmer werden bald wahrscheinlich ein nigelnagelneuer Laptop, ein riesiger Fernseher und eine dazu passende Spielkonsole stehen. Vielleicht kannst du dich sogar vom Auto deiner Mom verabschieden oder du bekommst einen Fahrer zur Seite gestellt, hm?“
 

„Ach lass mich doch“, seufzte der Werwolf und brauchte einen Moment, um zu verarbeiten, was sein bester Freund ihm da gerade gesagt hatte. „Mal abgesehen davon, dass ich sein Geld nicht will. Außerdem solltest du besorgt sein. Das warst du gestern doch noch?“
 

„Hast du gesehen, wie schüchtern er war? Und wie sehr er sich geschämt hat, dass ich euch erwischt habe?“
 

„Das tue ich auch“, schnaubte der Alpha leicht entrüstet.
 

„Ja, aber das bedeutet, dass er dir ähnlich ist und du wahrscheinlich großen Einfluss auf ihn ausüben kannst. Das beruhigt mich jetzt ein wenig. Der Richboy mit dem psychopathischen Großvater ist also doch nur ein gewöhnlicher Sterblicher.“ Das Grinsen in Stiles´ Gesicht wurde breiter. „Darf ich dein Trauzeuge sein?“
 

„Halt die Klappe“, brummte Scott und grinste dabei ein wenig.
 

„Was erkennen meine menschlichen Augen da? Ist das ein Anflug von Selbstzufriedenheit? So schnell geht es also. Das erinnert mich an Derek und mich, wobei wir uns ja zu Beginn nicht ausstehen konnten.“
 

„Vielleicht hast du ja doch Unrecht?“
 

„Sah nicht danach aus.“ Stiles legte wieder seinen Arm um Scotts Schultern. „War er gut?“
 

„Was?“
 

„Ob er gut beim Küssen war?“
 

„Küss ihn doch selbst, wenn du es herausfinden willst.“
 

„Mh, eher nicht.“ Stiles fasste sich an die Nase und lachte dann aus voller Kehle. „Meine Stupsnase ist zu hübsch, als dass ich sie kostenlos verändern wollen lassen würde. Komm, geh dich umziehen, du riechst wie das halbe Jungsteam nach dem Lacrossetraining. Dann fühlen wir deinem neuen Liebhaber auf den Zahn.“
 

„Er ist nicht mein Liebhaber!“, wies Scott diese Unterstellung entschieden zurück.
 

„Wetten, er wäre es gerne?“
 

„Sei einfach still.“
 

Stiles versperrte in einer imaginären Geste seinen Mund und warf den Schlüssel demonstrativ weg, nur um fünf Sekunden später wieder eine freundschaftliche Stichelei zu wagen, die Scott halbherzig erwiderte. Konnte es wirklich sein? Warum hatte Luke dann gelogen? Wusste er ob des Mals an Scotts Arm? Natürlich hatte er es gesehen. Trotzdem hatte er ihm nicht die Wahrheit gesagt? Stand das überhaupt fest? Der junge Alpha wusste nicht, wo ihm der Kopf stand. An was er sich erinnern konnte, war das verschüchterte, zahnspangengespickte Grinsen und das Gefühl von Lukes Händen auf seiner Haut, wie sie knapp über seinem Herzen ruhten und sich dabei mit jedem Schlag ein wenig zusammenzogen. Entweder er drohte verrückt zu werden oder Stiles hatte Recht. Trotzdem brachte das eine Reihe weiterer Probleme mit sich und wie er diese lösen wollte, stand noch in den Sternen.

Im Büro des Rektors, oder warum es gut ist, ein Werwolf zu sein

Das Klassenzimmer hatte sich bereits zur nächsten Stunde gefüllt, bis auf zwei Plätze: Luke und Boyd. Ersteres war verwunderlich und ein frischgeduschter Scott machte sich ehrlich gesagt ein wenig Sorgen. Diese Sorgen wichen Nervosität, als der junge Alpha über Lautsprecher ins Büro des Rektors gerufen wurde. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Unter den teilweise verwirrten, teilweise besorgten Blicken (letztere gehörten vor allem Allison, Isaac und Stiles), machte sich Scott auf den Weg.
 

Die Flure waren menschenleer. Der Werwolf konnte zwar, bedingt durch seine übernatürlichen Sinne, genügend hören, das Geräusch von Kreide auf Tafeln, Hefte, welche aufgeschlagen wurden, genauso wie Stimmen, Geflüster, Gemurmel und auch Stiles´ Worte, er solle auf sich aufpassen, und sich bemerkbar machen, wenn etwas schiefginge, doch das alles beruhigte ihn nicht sonderlich. Er fühlte sich alleine, hatte keine Ahnung was Gerard mit ihm vorhatte und wo Luke steckte. Was, wenn ihm etwas passiert war? Warum machte er sich überhaupt darum Gedanken? Wieso hatte er ihn geküsst? Warum hatte Luke gelogen? Diese Fragen wichen jenem Moment der Anspannung, als er vor Gerards Bürotür angelangt war und seine Finger den Türgriff umschlossen. Er klopfte und hörte dann ein vertrautes „Komm rein.“ Scott zog die Augenbrauen zusammen und trat dann ein.
 

Luke lehnt am Pult des Rektors, die Arme vor der Brust in einem schwarzen Hoodie verschränkt, seine Beine in den dunklen Jeans überneinandergelegt, die sich an die grau-schwarzen Sneaker mit der weißen Sohle schmiegten. Von seinem Großvater fehlte jedwede Spur. Seine grau-grünen Augen ruhten auf Scott, einen schwer zu deutenden Gesichtsausdruck aufgesetzt.
 

„Mach die Tür zu“, forderte er ihn auf.
 

War das eine Falle? Lauerten hier irgendwo Jäger auf Scott? Würde Luke so weit gehen? Konnte er das überhaupt? War er in Gerards Machenschaften eingeweiht? Der junge Alpha lauschte einen Moment, konnte aber keine ungewöhnlichen Laute vernehmen, daher entschloss er sich, der Aufforderung nachzukommen. Kaum, dass das passiert war, nickte Luke in Richtung eines der Stühle, in dem Scott schon viel zu oft Platz hatte nehmen müssen.
 

„Was ist hier los?“, fragte der Werwolf, als er sich hinsetzte.
 

„Du hast eine Freistunde“, erklärte ihm der Brite. „Grandpa kommt erst gegen 10:30, das heißt, wir sind alleine.“ Luke wippte mit den Fußspitzen unruhig vor und zurück, den Blick nach wie vor auf Scott geheftet. In seinen Augen spiegelte sich eine Mischung aus Neugierde, Wärme, aber auch Besorgnis wider. Für einen kurzen Moment blitzte der verletzliche Junge von vorhin durch, der sich förmlich in die Arme des Werwolfs gekuschelt hatte, bevor er wieder hinter einer Maske aus Ernst und Zurückhaltung verschwand.
 

„Wenn es um den Kuss von eben geht…“, fing Scott an, wurde aber sogleich unterbrochen.
 

„Tut es, ja“, bestätigte ihm Luke nickend. „Bevor du etwas sagst, Scott, möchte ich etwas wissen, okay?“ Luke schob die Unterlippe nach vorne und kaute einen Moment darauf herum, bevor er tief durchatmete und seine Haltung ein wenig straffte, noch immer am Schreibtisch des Rektors lehnend. „War das eine einmalige Sache?“
 

Der junge Alpha blinzelte perplex. Er hatte mit vielem gerechnet, dass ihn sein Gegenüber nun anschreien würde, ähnlich wie Stiles, oder verlangen, dass er sich entschuldigte, ihm seine Grenzen aufzeigte, wahrscheinlich sogar einen Anwalt wegen sexueller Belästigung an den Hals hetzen würde, doch nicht damit.
 

„Ich… was?“, fragte Scott völlig überrumpelt.
 

Luke verdrehte die Augen und sein Herzschlag beschleunigte sich. Sein Gesichtsausdruck glich erschreckend dem von Kate, als sie ihn damals fast mit der Eisenhutpatrone erwischt hatte. An dieses Verhör konnte sich der Werwolf noch gut erinnern.
 

„Ich will wissen, ob das eine einmalige Sache war, Scott.“ Der Stimme des Briten schwang dabei ein Hauch von Unsicherheit mit, die er jedoch gut zu verbergen wusste.
 

Das war eine Frage, die er ihm beim besten Willen nicht beantworten konnte. War es das gewesen? Wollte er ihn noch einmal küssen? Beim Gedanken daran durchströmte Scott ein angenehmes Kribbeln. Die Vorstellung, Luke in seinen Armen zu halten, ihre Lippen erneut aufeinanderzulegen, wie er ihm durch die Haare strich und sich sein Klassenkollege an ihn schmiegte, ließen ihn zusammenzucken. Er starrte auf seine Knie und dachte angestrengt nach. Sein Herz, seine Gefühle und auch der Wunsch, dass Stiles´ Vermutung wahr sein könnte, sprachen sich für ein Nein aus, dass es eben keine einmalige Sache war, doch sein Verstand riet ihm davon ab. Der Werwolf wusste nicht, inwieweit Luke im Bilde war und ob nicht auch das zu einem von Gerards durchtriebenen Plänen gehörte.
 

„Ich hoffe nämlich nicht“, durchbrach Luke die unangenehme Stille und ließ Scott dabei überrascht aufsehen. Die Züge des Briten wurden weicher, sanfter und ihnen hing ein Schimmer von Verliebtheit oder Verknalltheit an, je nachdem, wie man sie auslegen mochte. Alles, was vorhin noch an Kate erinnerte, war in jenem Augenblick ausgelöscht. „Wenn ich ehrlich sein soll…“, fing er an und seine Stimme wurde dabei immer leiser, während er an seinen Fingerspitzen herumzunesteln begann und sein Herzschlag sich dabei noch mehr beschleunigte, „hoffe ich, dass du mich genau jetzt noch einmal küssen möchtest.“
 

In Scott zog sich alles zusammen, sobald er realisiert hatte, was Luke da gerade gesagt hatte. Sein Gehirn schrie danach, diesem Wunsch nicht nachkommen zu wollen, dass es eine Falle sein konnte, eines von Gerards kranken Spielen, doch dann erinnerte er sich an Stiles´ Worte, dass Luke verletzlich gewirkt hatte. Das tat er in diesem Moment auch. Entgegen aller Regeln der Vernunft, stand der Werwolf auf und machte einen Schritt auf den Briten zu, der nun aufsah. Bevor er auch nur reagieren konnte, wurde dieser erneut geküsst, ganz sanft und behutsam. Es fühlte sich gut an und Scott wusste, dass es Luke genauso ging, auch ohne das erleichterte Seufzen, welches seiner Kehle dabei entsprang. Ja, Scott wollte ihn küssen! Er wollte noch einmal diese langen, schlanken Finger auf seiner Brust spüren, wie sie sich in seinem Shirt festkrallten, den schneller werdenden Herzschlag hören, diese weichen Lippen schmecken – sein ganzer Körper verzehrte sich danach. Und seinem Wunsch wurde auch Folge geleistet.
 

Luke beugte sich im Kuss nach vorne, legte seine Finger an Scotts Wangen und strich daran entlang, hielt sie behutsam fest, während er ihn näher an sich heranzog. Dabei verlagerte er seinen Position ein wenig, sodass er auf der Tischplatte saß, ohne dabei den Lippenkontakt zu unterbrechen.
 

Die Hände des Alphas glitten, wie von selbst, am Rücken des Briten entlang und ruhten dort im unteren Drittel, diesen noch ein wenig mehr zu sich ziehend. Mit jeder Sekunde, die dieser innige Moment andauerte, brannten Lukes Wangen ein wenig mehr, glühten förmlich. Sogar die Zahnspange war nicht im Weg, wie er vorhin noch befürchtet hatte. Für Scott schien es gerade nichts zu geben, außer den Jungen in seinen Armen, der sich an ihn drückte, als würde er sich fürchten, ihn sonst zu verlieren.
 

Luke löste seine Lippen, widerwillig wirkend, von Scott und lächelte dabei. Sein warmer Atem war auf der Haut des Werwolfs spürbar und ließ einen Schauer über dessen Rücken jagen. „Ich glaube, ich weiß, wie mein Nektar und mein Ambrosia schmecken würden, wäre ich auch in Camp Half Blood“, hauchte ihm der Brite zu.
 

„Was?“, gluckste Scott leise. „Wovon sprichst du?“
 

„Dass ich noch nie so etwas Wunderbares probiert habe wie deine Lippen“, gab sein Gegenüber leicht verlegen zu. „Ambrosia und Nektar heilen die Wunden der Halbgötter und haben dabei den Geschmack der Lieblingsspeise und des Lieblingsgetränks des jeweiligen Anwenders. Vorher dachte ich, dass es Jonathans Kakao wäre, den er mir jeden Morgen zubereitet, und dazu Grantapfelmus.“ Lukes Lächeln wurde ein wenig breiter. „Stimmt gar nicht – es würde den Geschmack deiner Lippen haben.“
 

Bevor Scott etwas erwidern konnte, wurde er wieder geküsst. Er überließ seinem Körper das Handeln und blendete seine Gedanken komplett aus. Gerade in diesem einen Moment gab es nur Luke und ihn. Keine Fragen ob dessen Geburtstags, der Geburtsurkunde, ob er etwas von Gerard wusste, nichts; der Werwolf konzentrierte sich auf seine Sinneseindrücke, die ihn zu überwältigen drohten.
 

Lukes rechte Hand ruhte inzwischen auf seinem Hinterkopf, während er die Beine soweit auseinanderbewegt hatte, dass der Alpha näher zu ihm heranrücken konnte. Aus dem unschuldigen Kuss wurde ein zweiter, dann ein dritter. Jede einzelne Berührung glich einem kleinen Stromstoß, der ihn durchzuckte.
 

Sie kosteten jeden Kuss voll aus und lösten sich nur, um ein wenig Luft zu holen. Das Spiel begann von Neuem. Luke strich mit seinen Lippen an Scotts rechter Wange entlang, über das Muttermal an seinem Kinn und an seinen Hals, der nun liebkost wurde. Jeder einzelne Kuss brannte auf seiner Haut. Er konnte einen leisen Laut nicht unterdrücken, vor allem, als sich Lukes freie Hand unter sein Shirt schob.
 

„Besser als der Kakao mit Ziegenmilch, Sahnehäubchen und einem Schuss Karamell“, drang es an sein Ohr. „Besser als das erste Mal mit dem Mercedes auf dreihundert zu beschleunigen“, kam es, nach einem längeren Lippenkontakt mit Scotts Hals. „Besser als mein erster Pokalsieg.“ Damit zog Luke den Kopf ein wenig nach hinten und starrte ihm verträumt entgegen.
 

„Das waren Komplimente, oder?“, fragte Scott leise glucksend.
 

„Natürlich“, bestätigte ihm Luke hastig. „Jedes einzelne.“ Dabei löste er sich von ihm, nur um dann nach einer seiner Hände zu greifen und ihre Finger miteinander zu verweben. Entgegen der Erwartung des Werwolfs, blieb der Reflex, die Hand zurückzuziehen, aus. Stattdessen strich er automatisch mit dem Daumen über den Handrücken seines Gegenübers.
 

„Scott, ich… also ich bin nicht sonderlich gut in den Dingen und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie man das anstellt, aber… würdest du vielleicht mit mir Essen gehen? Ich meine, nicht mittels des Gutscheins, also weil ich dir etwas schulde, sondern, weil…“ Der Brite stammelte verlegen herum und schlug dabei die Augen beschämt nieder und das ließ ihn furchtbar süß wirken.
 

„Ja, würde ich gerne“, nahm Scott sanft die Antwort vorweg. „Sehr sogar.“
 

„Sicher? Ich meine, du musst nicht, aus Mitleid heraus oder so.“ Luke sah vorsichtig auf und räusperte sich betreten.
 

„Nicht aus Mitleid heraus“, korrigierte ihn der Werwolf und strich ihm dabei durchs Haar. „Irgendwie mag ich dich und du mich wohl auch, oder?“
 

„Scheint so, hm?“, grinste sein Gegenüber mit einem Mal und fuhr dabei an Scotts Hals entlang. „Das wird ein ziemlicher Knutschfleck werden.“
 

„Ah verdammt“, schnaubte Scott und rubbelte mit dem Handrücken darüber. „Ich komme von einem Gespräch mit dem Direktor so zurück, toll.“ Er wollte sich gerade ärgern, da wurde ihm bewusst, dass der Knutschfleck wahrscheinlich in wenigen Augenblicken verschwunden sein würde. Sich das Tattoo stechen und es sichtbar auf seiner Haut bleiben zu lassen, war mit höllischen Schmerzen verbunden gewesen. Wahrscheinlich funktionierte das bei einem Knutschfleck ähnlich. Zumindest darum musste er sich keine Sorgen machen, auch wenn er damit Luke gegenüber verdächtig wirken würde.
 

„Mh, vielleicht hast du es ja für eine Freistunde getan?“, meinte der Brite frech und erntete dafür von Scott einen dezent genervten Blick. „Lust auf Chinesisch? Morgen? Nach dem Orientierungslauf?“
 

Der Alpha überlegte kurz. Was war schon dabei, wenn er mit dem Jungen, der offensichtlich auf ihn stand, ausging? Es war ja nicht so, dass es ihm nicht ähnlich erging. Das wäre zwar das erste Date mit einem Jungen, doch was sprach dagegen? In Lukes Nähe fühlte er sich leichter, unbeschwerter und auch lockerer. Er hatte sich auch gerade nicht verwandelt und so konnte er ein Auge auf ihn haben.
 

„Einverstanden, aber nur, wenn wir beim örtlichen Chinesen essen und ich anständiges Besteck bekomme.“
 

Luke stimmte lachend zu und stahl sich noch einmal einen flüchtigen Kuss, ehe er vom Tisch rutschte und sich räusperte. „Du hast noch ungefähr zehn Minuten Unterricht. Ich tauche nach der Pause wieder auf, mit der Begründung, Grandpa hätte uns beide wegen einer etwaigen Fußballmannschaft so lange benötigt.“
 

Bei der Erwähnung Gerards kippte die gute Stimmung für Scott ein wenig. „Fällt das nicht auf? Ich meine, wenn er doch noch nicht da ist? Woher hast du überhaupt die Schlüssel?“
 

„Ich habe einen Zweitschlüssel anfertigen lassen, falls etwas bei Grandpa sein sollte. Ihn zu missbrauchen ist zwar nicht ganz legitim, aber wo kein Kläger, da kein Richter. Außerdem kann er ja noch etwas zu erledigen gehabt haben. Lass das meine Sorge sein.“ Luke ging damit zur Tür, öffnete sie einen Spalt breit und lugte nach draußen. „Tu mir nur einen Gefallen und erzähle Grandpa nichts davon, ja? Ich habe sowieso ein schlechtes Gewissen.“
 

„Klar“, versicherte ihm Scott und legte den Kopf ein wenig schief.
 

„Ich glaube, die Luft ist rein. Bis später!“ Damit bugsierte Luke Scott vor die Tür, nicht ohne ihm noch einmal flüchtig über die Finger seiner rechten Hand zu streichen. Der Werwolf machte sich auf den Weg in seine Klasse zurück, nicht ohne einen kleinen Abstecher in die Jungentoilette, um sich zu vergewissern, dass der Knutschfleck tatsächlich verschwunden war.
 

Ein äußerst seltsamer Tag, wenn er ehrlich sein sollte. Er mochte Luke, das war ihm nun bewusst und dem Briten schien es ebenfalls so zu gehen. Sie hatten morgen so etwas wie ein Date und gerade eben im Büro des Rektors geknutscht. Das glaubte ihm niemand. Der verliebte Ausdruck in Lukes Gesicht hatte sich in seine Gedanken gebrannt und ließ ihn lächeln, als er in die Klasse zurückkehrte, wo man ihn anstarrte, als hätte ihn ein Bus gestreift. Stiles, Isaac und Allison warfen ihm einen fragenden Blick zu, den er nur mit einer flüchtigen Geste seiner Hand abtat. Die restlichen Minuten starrte der junge Werwolf auf den leeren Platz, an dem Luke normalerweise saß. Ja, er war verknallt, eindeutig und das in den Enkel des Mannes, der ihn wahrscheinlich töten wollte. Stiles würde darin ein Muster erkennen, ganz sicher. Innerlich seufzend machte der Alpha sich bereit, mit Fragen gelöchert zu werden. Eine nette Mittagspause stand ihm bevor.

Die Vorzüge des Heizungskellers in einer High School

Wieder ein Kapitel aus der Sicht von Stiles, der sich gerade auf den Weg durch die High School macht.

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Stiles hatte sich in der Mittagspause davongestohlen. Die Stunde Geschichte hatte ihm gereicht, um zu erfahren, was er wissen musste. Mittlerweile war sich der Sohn des Sheriffs ziemlich sicher, dass es sich bei Luke wohl tatsächlich umScotts Seelengefährten handelte. Er gönnte es seinem besten Freund auch; dessen trauriger Welpenblick war nämlich in der Lage, selbst Steine zum Weinen zu bringen. Melissa und er hatten sich oft darüber unterhalten, nachdem Scott und Allison sich getrennt hatten, wie man ihn wieder positiv in die Zukunft blicken lassen könnte. Sie hatten sich beide den Kopf darüber zerbrochen, ihm immer wieder gut zugeredet, ihn abgelenkt, aber es ist einfach schwer möglich, jemandem den Liebeskummer zu nehmen, wenn er gezwungen ist, Tag für Tag von funktionierenden Beziehungen umgeben zu sein.
 

Es war etwas in Lukes Blick gewesen, das ihn zweifeln hatte lassen. Stiles hielt den Richboy noch immer für potentiell gefährlich und er war Gerards Einflusssphäre täglich ausgesetzt, doch dieser kurze Moment, in denen er sie beobachten hatte können, war ausreichend gewesen, um ihn Hoffnung schöpfen zu lassen. Der Brite war förmlich Wachs in den Händen des Alphas. Das konnte er nicht spielen. Er liebte Scott auch, davon war der junge Stilinski überzeugt. Nicht einmal Gerard konnte so etwas vorausplanen. Dass er irgendwie einen Vorteil aus dieser Verbindung ziehen wollte, war ihm natürlich auch gleich bewusst gewesen. Dafür wollte Stiles vorsorgen, wenn er auch noch nicht wusste wie.
 

Seinen Gedanken nachhängend, wäre er fast an der Treppe zum Heizungskeller vorbeigelaufen. Verstohlen sah er sich noch einmal nach allen Seiten um, auf dass ihn niemand gesehen hatte, ehe er nach unten stieg und den Griff betätigte, um einzutreten. Niemand kam auf die Idee, sich in der Mittagspause hierher zu begeben; der ideale Ort, wenn man sich ungestört mit jemandem treffen wollte. Dieser jemand wartete bereits auf ihn und wurde auch sogleich stürmisch umarmt, ihm förmlich in die Arme gesprungen.
 

„Da hat mich wer aber vermisst“, lachte Derek und fing Stiles auf.
 

„Ich vermisse dich immer, Babe, das weißt du“, grinste Stilinski junior.
 

Es folgte ein langer und inniger Kuss zwischen den beiden, bevor sie sich voneinander lösten und sich auf eine der unzähligen Kisten setzten, die der Hausmeister aus reiner Faulheit wohl nicht wegräumen wollte. Stiles platzierte sich dabei frech auf Dereks Schoß und legte dessen Hände in seinen eigenen zusammen, sich gegen den Werwolf lehnend. Es war nicht der romantischste Ort und auch nicht der heimeligste, aber hier waren sie ungestört und das war die Hauptsache.
 

„Hast du etwas über diesen Luke herausfinden können?“, erkundigte sich Derek, während er seinem Gefährten sanft über die Oberschenkel strich.
 

„Noch nicht. Ich bin mir aber mittlerweile ziemlich sicher, dass er Scotts Seelengefährte ist“, stellte Stiles in den Raum und drapierte seine Hände auf denen des Alphas. Es war in diesen Momenten so schwer vorstellbar, dass sie sich in Mordwerkzeuge verwandeln konnten. So sanft und zärtlich wie sie ihn berührten, ein Kribbeln durch die Jeans hindurch erzeugten, war es nahezu grotesk, sich auszumalen, wie sie ein Genick mühelos durchbrachen.
 

„Warum? Ist noch etwas passiert?“ Dereks Stimme war eine Spur Besorgnis beigemengt, die wahrscheinlich niemandem aufgefallen wäre, der ihn nicht so gut kannte wie Stiles.
 

„Sie haben wohl in Gerards Büro geknutscht“, meinte sein Gefährte daraufhin.
 

„Während der Alte im Büro war?“ Der Werwolf klang leicht schockiert.
 

„Nein, er hat wohl einen Zweitschlüssel und den für ein kleines Stelldichein genutzt.“ Stiles seufzte leise und lehnte sich an Derek, sodass er sein Gesicht in dessen Halsbeuge vergraben konnte. „Weißt du, ich gönne es Scott, wirklich. Dieser Luke scheint, rein objektiv gesehen, keine schlechte Partie zu sein: Gutaussehend, eine Sportskanone, intelligent und er hat Geld wie Heu.“
 

„Muss ich mir Sorgen machen?“, schmunzelte Derek und ging nun dazu über, Stiles sanft auf die Wange zu küssen, bevor er sich ebenfalls an ihn schmiegte und ihn schlussendlich einfach festhielt.
 

„Ich stehe nicht auf Jungs, die wie Kate aussehen, wenn sie wütend sind“, konterte der Sohn des Sheriffs trocken und schloss dann die Augen, die Nähe zu seinem Freund sichtlich genießend. „Das ist es nicht, Derek. Ich bin mir sogar sicher, dass Luke Scott tatsächlich liebt. Da ist etwas in seinem Blick, ich kann es nicht benennen, aber es lässt mich hoffen, dass er sich vielleicht weit weniger als Gerards Werkzeug benutzen lässt, als wir annehmen.“
 

„Das klingt doch schon einmal positiv? Warum bist du dann so besorgt? Versuche gar nicht erst zu lügen, Stiles, ich kenne dich teilweise besser als du selbst“, war die leise Antwort, verbunden mit einer Gegenfrage.
 

„Du kannst auch das Gras wachsen hören, Babe.“ Stiles rutschte ein wenig auf dem bequemen und warmen Schoß hin und her, der wie für ihn gemacht schien, bevor er fortfuhr: „Er hat gelogen, da bin ich mir sicher.“
 

„Bei dieser Nachnamenssache?“
 

„Ja“, war die knappe Bestätigung. „Weißt du, ich will einfach nicht, dass Scott noch eine Enttäuschung erlebt. Auch wenn er es noch nicht ganz realisiert hat, so gehört er wohl zu Luke und umgekehrt. Ich habe einfach Angst, dass Gerard diese Verbindung ausnutzen könnte. Was, wenn Scott sich verrennt? Er sich am Ende entscheiden muss? Was dann?“
 

„Das ist nicht deine Entscheidung, Stiles“, hauchte ihm Derek ins Ohr. „Scott wird das Richtige tun, das macht er immer.“
 

„Fällst du mir jetzt also auch in den Rücken?“, jammerte Stiles.
 

„Nein, aber ich denke, dass Scott sich nicht für ihn entscheiden wird. Ihr beide seid wie Brüder und ihr kennt euch länger als die beiden. Ihr wart ein Team, als wir noch gar nichts von Luke wussten und werdet es auch sein, wenn er einmal nicht mehr da ist, egal was kommt.“
 

Stiles konnte Dereks warmen Atem in seinem Nacken spüren, der ihm eine Gänsehaut verschaffte. Keine zwei Sekunden später waren es weiche Lippen, die ihn behutsam dort küssten, was ihn leise aufseufzen ließ.
 

„Auf der Hochzeit bist du dann aber Scotts Blumenmädchen, ja?“, brummte er frech und genoss diesen Moment der Zweisamkeit.
 

Derek hatte Unrecht, das wusste er selbst: Nichts war so stark wie das Band zwischen zwei Seelengefährten und auch, wenn Scott ein außergewöhnlicher Werwolf war, ein wahrer Alpha, damit quasi eine Sonderstellung einnahm, so konnte nicht einmal er sich gegen diese Verbindung auflehnen. Sollte es wirklich darauf ankommen, würde Stiles seinen besten Freund verlieren und das zerriss ihn innerlich. Er konnte aber auch nichts dagegen machen. Die Beziehung, sofern man davon in diesem Stadium bereits sprechen konnte, zu sabotieren, würde nichts verändern. Es würde nur noch schneller einen Keil zwischen Scott und sich treiben. Er bemühte sich zwar, es sich nicht anmerken zu lassen, aber Stiles war noch immer besorgt. Ihm fiel einfach keine Möglichkeit ein, wie er das ganze positiv beeinflussen konnte.
 

Luke mochte ihn nicht, das war ihm bewusst. Er würde auch nicht auf ihn hören. Wahrscheinlich hatten nur Gerard und Scott Zugang zu ihm. Ersterer war ein manipulatives Schwein und letzterer zu verschossen, um rational denken zu können. Er hatte ja bereits die Informationsbeschaffung schleifen lassen. Das war kein gutes Zeichen. Ihm drückte sich dieses klischeehafte Bild auf, wo ein Engelchen und ein Teufelchen auf der Schulter des Protagonisten saßen und ihm sagten, was er tun sollte, nur waren beide Miniaturausgaben von ihm stumm, denn sie wussten selbst nicht, welches Handeln richtig war.
 

„Stiles“, riss ihn Derek aus seinen Gedanken. „Du musst diese Last nicht alleine tragen, du hast mich und die anderen. Wir werden Scott nicht gehen lassen, das verspreche ich dir. Wenn es sein muss, dann lösen wir seinen Gefährten aus diesem destruktiven Umfeld heraus.“
 

„Und du denkst, dass das so einfach ist?“ Stiles lachte freudlos auf, die Augen noch immer geschlossen. „Niemand kann mehrjährige Manipulation einfach so ausknipsen. Er ist keine Maschine, bei der man einen Schalter umlegt und ich bin auch kein Psychiater, der diesen Schalter am Ende doch finden könnte.“
 

„Du kannst es nicht, ich kann es nicht, wir gemeinsam vielleicht, aber Scott kann es sicher.“ Derek bettete sein Kinn auf Stiles´ Hinterkopf und zog ihn fester an sich. „Du selbst hast gesagt, dass nur jemand, der ein ähnlich gutes Herz wie Scott besitzt, sein Gefährte sein könne. Denkst du nicht, dass dieser Luke dann einen weichen Kern besitzt?“
 

„Ich denke, dass er zu sehr auf seinen Großvater fixiert ist.“ Stiles schmiegte sich noch ein wenig mehr an seinen Gefährten, dessen körpereigenen Geruch, der kaum vom schwachen Aftershave überdeckt wurde, genüsslich einatmend. „Und vielleicht fallen die beiden unter das Motto ‚Gegensätze ziehen sich an‘?“
 

„Dann kannst du es aber auch nicht verändern.“ Derek löste sich von seinem Gefährten, um ihn auf seinem Schoß herumzudrehen. „Schau mich an.“
 

Stiles folgte dieser Aufforderung und konnte in grüne Augen blicken, die ihn fest ansahen. Der Alpha wirkte entschlossen und auch überzeugt. Seine Stimme und seine Mimik beherbergten nicht den geringsten Anflug von Zweifel.
 

„Ich verspreche dir, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um dieses Szenario zu verhindern. Koste es, was es wolle.“
 

„Und wie soll das gehen? Willst du ihn umlegen oder was?“
 

„Wenn es sein muss.“ Derek legte Stiles seinen Zeigefinger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. „Niemand wird dich so verletzen. Ich bin dein Gefährte und ich passe auf dich auf, so wie du auf mich aufpasst. Wir sind genauso ein Team und ich bin bereit, jegliches Mittel zu ergreifen, um dich zu beschützen.“
 

Stiles seufzte leise und rang sich ein Lächeln ab. Der Alpha konnte so süß sein, wenn er wollte. Sie zankten sich zwar oft, aber genau in diesen Momenten wusste er, dass er den besten Gefährten der Welt hatte. Die Tatsache, dass Derek gerade in Erwägung gezogen hatte, Luke etwas anzutun, blendete er einmal geflissentlich aus. So weit würde es sowieso nicht kommen.
 

„Ich komme schon klar“, meinte Stilinski junior, nachdem er den störenden Zeigefinger behutsam zur Seite geschoben hatte. „Gibt es schon Nachrichten von Boyd und Erica? Allison meinte, sie sei auch nicht im Sportunterricht aufgetaucht.“
 

„Nein“, antwortete Derek und Besorgnis machte der Entschlossenheit Platz. „Ich habe bereits die üblichen Plätze abgesucht, etwa die Eislaufhalle und das alte Anwesen, aber sie sind nicht dort. Es deutet auch nichts darauf hin, dass sie dort gewesen wären.“
 

„Soll ich die anderen zusammentrommeln und wir…“, fing Stiles an, wurde aber sogleich unterbrochen.
 

„Nein, das ist meine Sache. Ich bin ihr Alpha und ich habe es bereits einmal fast verbockt.“ Derek klang dabei ziemlich streng und hart. Er duldete keine Widerworte, nur war er bei seinem Gefährten damit an der falschen Adresse.
 

„Auch ein Alpha kann es sich erlauben, Hilfe anzunehmen“, tadelte ihn Stiles und hielt nun dem Werwolf den Mund zu. „Wenn du sie bis heute Abend nicht aufgespürt hast, sage ich den anderen Bescheid. Es geht hier nicht nur um dein Rudel, sondern auch um unsere Freunde.“
 

Entgegen von Stiles Vermutung, folgte kein dummer Kommentar, sondern er wurde einfach erneut geküsst. Dereks linke Hand stützte ihn am Rücken, während die rechte an seinen Hinterkopf wanderte und die Finger sich dort vergruben. Der Kuss wurde rasch erwidert und wurde alsbald in etwas weitaus weniger Unschuldiges verwandelt, als er in seinem Ursprungszustand angedacht gewesen war. Zu den Lippen gesellte sich die Zunge und Stiles hielt sich an Dereks Schultern fest, seinen Gefährten fordernd.
 

Auf den ersten Kuss folgte der zweite und ein dritter. Wahrscheinlich wäre sogar noch mehr passiert, denn Dereks körperliche Reaktion auf ihrer beider Handeln war unverkennbar, wäre da nicht der Alarm von Stiles´ Smartphone losgegangen. Das Zeichen dafür, dass die Mittagspause bald vorbei war. Seufzend lösten sie sich voneinander und Stiles richtete sich die Haare ein wenig, sodass sie nicht komplett zerzaust wirkten.
 

„Ich hole dich nach der Schule ab, ja? Dann können wir ja gemeinsam suchen. Was soll ich dir mitbringen?“, wollte der Werwolf wissen und hob seinen Gefährten von seinem Schoß.
 

„Kommst du vielleicht beim Italiener vorbei?“ Stiles kombinierte seine Frage mit einem klassischen Hundeblick, den nicht nur Scott meisterlich beherrschte.
 

„Natürlich.“ Derek stahl sich noch einen Kuss zum Abschied und drückte seine Hand fest, bevor er ihn in Richtung der Tür schob. „Wenn du zu spät kommst, fällt es auf und ich will nicht, dass unser Versteck auffliegt, genauso wie ich nicht will, dass Scotts neuer Freund zu viel über uns weiß.“
 

„Ich passe schon auf“, versicherte ihm der Sohn des Sheriffs und löste den Körperkontakt von seinem Gefährten, schweren Herzens, vollständig. „Bis später, Babe. Ich liebe dich.“
 

„Ich liebe dich auch, Stiles“, lächelte Derek.
 

Stiles trat nach draußen und damit war er wieder alleine. Eine unangenehme Leere breitete sich in ihm aus und er sehnte sich bereits jetzt wieder nach Dereks Nähe. Bis dahin würde es aber noch zwei Stunden dauern. Zwei endlos lange Stunden. Auf Zehenspitzen schlich er die Treppe nach oben, lugte um die Ecke, auf dass ihn ja keiner zu sehen vermochte, und machte sich dann auf den Weg, in Richtung Klassenzimmer. Sein grummelnder Magen meldete sich, doch das blendete er einfach aus: Diese kurze Zeit der Zweisamkeit war jegliches Hungern wert.

Alles was man für eine gründliche Nachforschung braucht

Scott saß gemeinsam mit Luke an einem Tisch in der Cafeteria, Allison und Isaac ihnen gegenüber. Wie bereits gestern, war es dem Werwolf vergönnt, sich am Mittagessen seines Sitznachbarn zu bedienen, der heute mehrere Behältnisse mit den gewohnten Motiven, Vegeta, Iron Man und Co mit sich führte. Es gab Frühlingsrollen, dazu Wan Tan Suppe und als Nachtisch zwei Stück kalte Pfannkuchen mit Dattelfüllung. Dabei wurde kurz ein Lob auf die Thermobox für die Suppe ausgestoßen, ehe Luke Scott jeweils die Hälfte seiner Ration überließ, unter dem skeptisch-sehnsüchtigen Blick Isaacs, während Allison leicht irritiert in ihrem zerkochten Kartoffelstampf herumstocherte.
 

Luke schnappte sich seine Essstäbchen und machte sich bereits über seine Mahlzeit her, als Scott zumindest seine Frühlingsrollen an seine Freunde abtrat, deren Gesicht sich förmlich aufhellte. Unter dem Tisch konnte der Alpha bemerken, wie sich seine und Lukes Fußspitzen flüchtig berührten, was ihm ein schwaches Lächeln auf die Lippen zauberte. Es war zwar äußerst seltsam, aber diese natürliche Anziehung, die zwischen ihnen bestand, konnte er nicht mehr bestreiten.
 

„Wie kommt es eigentlich, dass wir uns mit diesem Fraß begnügen müssen und du quasi dein eigenes Mittagsmenü mitbringst?“, murrte Isaac und verschlang die Frühlingsrolle in drei Bissen.
 

„Jonathan hat mich vorgewarnt, dass in öffentlichen Schulen der Mittagstisch ungenießbar sein könnte und daher bereits vorgesorgt.“ Luke spülte einen Happen Wan mit einem Schluck Tee aus seiner Spiderman-Thermoskanne hinunter.
 

„Jonathan ist wer?“ Der blonde Werwolf bedachte ihn mit einem dezent verwirrten Blick.
 

„Mein Butler.“ Der Brite sah dabei zu Scott hinüber, der sein Essen bisher noch nicht angerührt hat. „Was ist denn? Schmeckt es nicht? Soll ich Jonathan für morgen etwas anderes vorbereiten lassen? Ich wollte eigentlich Kung Pao bestellen, das ist Hähnchenfleisch mit Paprika und Gemüse und als Dessert gebackene Bananen im Honigteigmantel.“
 

„Nein, ich…“ Der Alpha seufzte leise und starrte in seine Suppenschale. Er fühlte sich nur Allison und Isaac gegenüber schuldig. Stiles´ Worte geisterten ihm immer noch durch den Kopf. Wenn Luke tatsächlich auch in ihn verliebt war, wovon er stark ausging, dann konnte es passieren, dass ihn der Brite mit Geschenken überhäufen würde. Das wollte er aber nicht. Sein grummelnder Magen sagte da aber etwas Gegenteiliges.
 

„Iss ruhig“, riss ihn Allisons Stimme aus seinen Gedanken. Sie schenkte ihm ein sanftes Lächeln, wobei sie ihrem Gefährten die zweite Frühlingsrolle hinschob, der einen Moment lang zögerte, ehe er auch diese verschlang.
 

„Sicher? Ich meine, du hast doch auch nur dieses…“ Scott nickte in Richtung der undefinierbaren Masse, die sich ihrem Teller befand.
 

„Ganz sicher“, bestätigte sie ihm.
 

Das neuerliche Knurren seines Magens bewegte den Werwolf nun schlussendlich doch dazu, sich ebenfalls an seinem Mittagsmenü zu bedienen, welches wieder hervorragend schmeckte. Kein Vergleich zu dem Essen der Schulküche. Dieses Wan Tan, oder wie auch immer Luke es genannt hatte, war köstlich. Die Suppe fügte sich perfekt in das Geschmacksbild ein. Eine wahre Freude für den Gaumen, wie Stiles das Gericht beschreiben würde. Dieser hatte sich entschuldigt. Wahrscheinlich traf er sich mit Derek.
 

„Wie kommt es eigentlich, dass du dir das alles leisten kannst?“, erkundigte sich Isaac und ging nun dazu über, sein eigentliches Mittagessen zu vertilgen, wobei er bereits beim ersten Bissen leicht verstimmt wirkte.
 

„Mein Vater hat ein Vermögen mit der Entwicklung von Waffen verdient. Scotts Freund kann dir das genauer erklären, ich bin darin nicht so bewandert. Wo steckt er überhaupt?“ Luke sah von seiner Suppe auf in Richtung Scott.
 

„Er hat noch etwas zu erledigen“, antwortete der Werwolf bewusst vage, wobei sich bereits wieder sein schlechtes Gewissen meldete, weil er Luke die Wahrheit bewusst vorenthielt.
 

Isaac und der Brite unterhielten sich eingehend über den Mercedes, wie auch die Vorzüge eines persönlichen Butlers, während Allison und Scott beiläufige Blicke austauschten. Die ganze Situation war einfach zu grotesk. Quasi aus dem Nichts tauchte der Sohn von Kate auf, verdrehte ihm den Kopf, wie auch umgekehrt, verhielt sich handzahm gegenüber dem Alpha, ebenso Allison und Isaac, mit denen er ganz locker und normal umging, der aber nahezu jeder anderen Person die kalte Schulter zeigte.
 

„Bist du eigentlich genauso alt wie Allison oder jünger?“, fragte Isaac und erntete dabei einen strengen Blick von Allison. Sie schüttelte angedeutet den Kopf.
 

Scott hielt ein wenig die Luft an, weil er damit rechnete, dass Luke nun abblocken würde, schließlich handelte es sich hierbei wieder um ein Detail seines Privatlebens, welches er bisher kaum mit jemandem, außer ihm, geteilt hatte. Wahrscheinlich würde die leicht angespannte Stimmung nun vollends kippen.
 

Lukes Finger an den Essstäbchen zuckten tatsächlich ein wenig, wobei sein Blick auf Allison fiel. Er zog die Lippen kraus, ehe er den Mund öffnete und antwortete: „Nein, Allison ist ein Jahr älter als ich, meinte Grandpa.“
 

Der Werwolf konnte sich einen verdutzen Blick nicht ganz verkneifen. Das schien der Brite auch zu bemerken, der ihn mit einem „Was ist?“ konfrontierte. Scott kaschierte diesen Umstand mit einem hastigen Räuspern und der Lüge, er hätte in seinem Wan Tan so etwas wie Knoblauch geschmeckt.
 

„Das kann gar nicht sein“, schüttelte Luke den Kopf. „Jonathan bereitet mein Wan Tan bereits seit Jahren so zu.“ Seine Aufmerksamkeit wanderte wieder zu Allison und Isaac. „Wenn du es genau wissen willst, ich wurde am 1ten Juli geboren, dem heiligen Tag der Juno, genauso wie Jason Grace.“ Eine Spur von Stolz schwang in seiner Stimme mit.
 

„Ähm, okay“, fiel Isaacs dürftige Antwort aus. „In Großbritannien?“
 

„Natürlich. Ich wurde im Queen Charlotte´s & Chelsea Hospital in London geboren. Das ist eine der renommiertesten Privatkliniken für Geburten. Mom wurde exzellent betreut, dafür hat Dad gesorgt. Mit der nötigen Ruhe und Privatsphäre.“ Luke nippte an seinem Thermoskannendeckel, den Blick zwischen Isaac und Allison hin- und herpendeln lassend.
 

Scott fühlte seltsamerweise so etwas wie Sehnsucht. Die gleiche Sehnsucht, die er auch in der Nähe von Luke verspürte und doch war sie gänzlich anders. Dessen grau-grünen Augen ruhten schlussendlich auf Allison.
 

„Und das bedeutet?“, hakte Isaac nach, wobei er seinen Teller zur Seite schob.
 

„Dass ich per Kaiserschnitt zur Welt gekommen bin.“, erklärte Luke und sah auf die letzten Reste Wan Tans, die sich noch in der Son Goku-Box befanden, ehe er sie Isaac und Allison zuschob. „Hier, nehmt. Dieser Fraß scheint wirklich ungenießbar zu sein.“
 

Nun griff auch Allison zu und schenkte ihrem Cousin ein dankbares Lächeln, der es leicht schüchtern erwiderte. Warum erzählte er, in Gegenwart eigentlich Fremder, etwas über seine Vergangenheit? Sein Vater hatte schließlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit nichts über Luke nach außen drang. Der Brite war nur Scott gegenüber bisher bereit gewesen, etwas durchblicken zu lassen und das war wohl auch nur dem Umstand geschuldet, dass er in ihn verknallt war.
 

„Demnach hattest du eine gute Kindheit?“ Isaac setzte nach und dieses Mal blieb die erwartete Reaktion nicht aus, denn Lukes rechtes Augenlid zuckte verräterisch. Er presste die Lippen aufeinander und schwieg für kurze Zeit, bevor er mit den Schultern zuckte.
 

„Ja. Ich hatte eine gute Kindheit. Mein Vater hat mir alles gekauft, was ich wollte und das Personal war um mich bemüht. Ich wuchs in einem großen Anwesen auf, mit allen Vorzügen, die man sich mit Geld leisten konnte. Bis zu meinem Eintritt in die nahegelegene Privatschule wurde ich von den besten Lehrern Cambridges unterrichtet.“ Luke vermied es dabei, den blonden Werwolf direkt anzusehen. Das war ein Zeichen, dass er log. Scott hätte es auch so erkannt, denn der Herzschlag seines Sitznachbarn beschleunigte sich unweigerlich.
 

„Klingt ja zauberhaft“, meinte Isaac trocken und schlang sein Wan Tan hinunter, als wäre er am Verhungern.
 

„War es auch“, erwiderte Luke bemüht euphorisch klingend. „Mein Vater gehört zu den oberen Zehntausend und ich damit auch. Wäre Grandpa nicht gewesen, hätte meine Hilfe nicht gebraucht, würde ich wahrscheinlich heute im Nachwuchskader von Manchester United spielen, mit dem Ziel, eines Tages den Torrekord der Premier League zu brechen, damit er stolz auf mich ist.“
 

Scott spannte sich unweigerlich bei der Erwähnung von Gerard an. Der Löffelstiel in seinen Fingern drohte verbogen zu werden. Auch, wenn er nicht einmal die Hälfte von dem verstanden hatte, was Luke da von sich gab, war ihm doch bewusst, dass er einen weiteren Erfolg nur für seinen Großvater erringen wollte.
 

„Ist das nicht ein wenig sehr ambitioniert?“, mischte sich nun Allison ein, die wohl bemerkt hatte, dass mit dem Alpha etwas nicht stimmte. Scott war nämlich eigentlich eher ruhig, beherrscht und zurückhaltend.
 

„Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der es keinen Preis für den zweiten Platz gibt. Zumal Fußball kein bloßer Sport ist, sondern eine Lebenseinstellung. Es ist die höchste Ehre, für einen der besten Vereine Englands zu spielen und vielleicht sogar bei der Europameisterschaft und der Weltmeisterschaft sein Land vertreten zu dürfen. Zwischen von der Loge aus zusehen oder selbst auf dem Feld zu stehen, liegen noch einmal Welten.“ Lukes Stimme beherbergte nun eine ehrliche Euphorie.
 

„Das bedeutet, du magst Fußball?“ Allison stellte sich wohl bewusst unwissend.
 

„Ich lebe Fußball. Es vergeht kaum ein Tag, wo ich nicht trainiere. Ich versuche meinen schwachen Fuß genauso stark werden zu lassen wie den starken, mein Dribbling zu verbessern, ebenso wie meine Technik zu perfektionieren. Wenn ich einmal 19 oder 20 bin, hoffe ich, so weit zu sein, dass man im Old Trafford meinen Namen ruft und kein Spiel von Manchester United ohne Luke Taylor ablaufen kann. Der Stürmer zu sein, vor dem die Torhüter zittern, weil er in jedem Spiel mindestens einen Hattrick erzielt.“ Luke zögerte, bevor er auch noch seinen Pfannkuchen in Richtung Allison und Isaac schob.
 

„Danke“, meinten beide einstimmig, wobei der Blondschopf sich mehr für das Essen interessierte, und Allison für ihren Cousin. Luke schien es gleich zu gehen und Scott fiel es wie Schuppen von den Augen: Sein Sitznachbar war zu ihnen so nett, weil sie quasi zu seiner Familie gehörten. Wenn er mit Chris ähnlich umging, würde das zu Stiles´ Analyse passen. Er wollte ihnen vertrauen.
 

„Was ist ein Hattrick?“, wollte Scott wissen.
 

„Ein Hattrick sind drei aufeinanderfolgende Tore in einem Spiel. Das, was mich damals im entscheidenden Spiel gegen unsere Rivalen von Oxford quasi zum Helden der Kabine gemacht hat. Ich war es, der in der zweiten Halbzeit den Rückstand aufgeholt und beim Elfmeterschießen das entscheidende Tor für unsere Mannschaft erzielt hat. Der Tiger von Cambridge.“ Lukes Lippen zierte ein schwaches Lächeln. „Vielleich hätte ich noch eins mehr geschafft, wenn du dabei gewesen wärst“, flüsterte er leise in Richtung des Alphas.
 

Scott lächelte nicht. Ihm tat dieser Leistungsdruck, dem Luke augenscheinlich zu unterliegen schien, genauso wie das Geltungsbedürfnis gegenüber den Menschen, die er augenscheinlich mochte, in der Seele weh. Der Werwolf definierte seine Freunde nicht über deren Leistungen, sondern über ihren Charakter und das tat er bei jemandem wie Luke ganz besonders.
 

„Das bedeutet, du schiebst also noch mehr Kohle ein?“, riss Isaac ihn aus seinen Gedanken.
 

„Ich spiele nicht um des Geldes wegen, sondern weil es Spaß macht und ich darin gut bin.“
 

Damit lenkte sich ihr Gespräch auf andere Themen, die sie alle betrafen: Die Schule, den nächste Chemietest und den morgigen Orientierungslauf. So verging die Mittagspause und sie machten sich bereit zur nächsten Stunde. Luke verabschiedete sich höflich, denn er hätte noch etwas zu erledigen, räumte seine Sachen ein und verschwand dann.
 

„Damit dürften wir alles haben, was Stiles für seine Nachforschungen benötigt, oder?“, fragte Isaac in die Runde.
 

„Wir wissen sogar, in welchem Krankenhaus er zur Welt gekommen ist“, bestätigte ihm Allison.
 

„Dann hoffen wir mal, dass wir nicht enttäuscht werden“, brachte sich Scott ein und nickte in Richtung seines besten Freundes, der gerade um die Ecke gebogen kam. Er hoffte es wirklich, denn wenn der junge Alpha erst einmal die Gewissheit hatte, dass Allisons Cousin sein Seelengefährte war, dann würde er alles daran setzen, ihn von Gerard zu lösen und ihm die Freiheit zu schenken, die er verdient hatte. Mehr noch, als jetzt schon.

Gibt es Dämonen überhaupt?

Scott stand vor der Tierarztpraxis von Dr. Deaton. Stiles hatte ihn angerufen, er solle sofort kommen. Derek und er hatten wohl Erica und Boyd gefunden. Die Tatsache, dass sie sich bei dem Druiden befanden, war ein schlechtes Zeichen. Der junge Alpha malte sich bereits die schlimmsten Szenarien aus. Erica und Boyd waren so etwas wie Freunde geworden. Natürlich nicht so wie Stiles, Lydia, Isaac oder Allison, aber doch irgendwo zu ihnen zugehörig. Seitdem Derek sich in seiner Alpharolle wirklich einfand, hatten auch die beiden sich ein wenig verändert.
 

Drinnen erwartete ihn ein kochender Derek, bei dem Stiles alle Hände voll zu tun hatte, um ihn zu beruhigen. Seine Augen glühten förmlich, während er, wie ein getretener Hund, wütend umherstapfte. Bevor Scott auf sich aufmerksam machen konnte, ging die Tür zum Behandlungszimmer auf und Deaton kam heraus, der ein Paar fleckiger Einweghandschuhe abstreifte. Er wirkte sichtlich erschöpft.
 

„Erica wird es schaffen und Boyd habe ich ein Mittel zur Beruhigung gegeben. Die Heilung setzt bereits ein. Es wird aber ein paar Tage dauern, bis sie sich wieder erholt haben.“ Dabei wanderte sein Blick in Richtung Scott, den er begrüßte.
 

„Kann mich wer aufklären, was überhaupt los ist?“, verlangte der Dunkelhaarige.
 

„Gleich“, meinte Stiles und wandte sich seinem Gefährten zu. „Du gehst jetzt nach drinnen und bleibst in der Nähe der beiden. Das ist wichtig.“ Damit schob er Derek ins Behandlungszimmer und zog die Tür hinter ihm zu. Leise seufzend fuhr er sich durch die Haare.
 

„Ich denke, ich kann Scott auch über die neusten Geschehnisse aufklären, Stiles. Du könntest mal einen Moment frische Luft vertragen, hm?“, schlug Deaton sanft vor. „Und auch etwas Flüssigkeit. Hol dir doch einen Schluck vom Wasserspender. Ich schicke Scott gleich nach, ja?“
 

Der Sohn des Sheriffs nickte kurz angebunden, warf seinem besten Freund einen schwer zu deutenden Blick zu und verschwand dann nach draußen. Sein Gang war gebeugt, er ließ die Schultern hängen und zitterte am ganzen Körper. Scott wollte ihm schon nachlaufen, da wurde er mit sanfter Gewalt, in Form einer Hand auf seiner Schulter, zurückgehalten.
 

„Lass ihn. Er hatte alle Hände voll zu tun, Derek von einer Dummheit abzuhalten“, erklärte ihm der Druide ruhig.
 

„Was ist denn überhaupt los?“ Scott warf seinem Chef einen fragenden Blick zu.
 

„Sie haben Erica und Boyd vor gut einer Stunde in meine Praxis gebracht. Beide waren dem Tod näher als dem Leben, vor allem Erica.“ Deaton machte ein ernstes Gesicht.
 

„Was?“, platzte es aus dem Werwolf heraus. „Sie meinen, die beiden…“ Er schaute am Druiden vorbei, in Richtung des Behandlungszimmers.
 

„Ich habe bereits vorhin gesagt, dass sie über den Berg sind, aber es war knapp.“ Er straffte seine Haltung und zwang sich zu einem schiefen Lächeln. „Glück im Unglück, würde ich sagen. Sie haben sie zufällig in der Lagerhalle gefunden, in der ihr euch mit dem Darach gemessen habt.“
 

„Sie meinen…“ Scotts Augen wurden größer.
 

„Nein, ich denke nicht, obwohl das Muster, zumindest bei Erica passen würde.“
 

„Das Muster?“
 

„Erica war ähnlich gefesselt wie ich damals, nur mit dem Unterschied, dass man sie mit einer Stahlkette knapp über dem Boden aufgehangen und in regelmäßigen Intervallen Strom hindurchgeleitet hat. Sie konnte sich nicht verwandeln, um sich zu befreien, war aber stark genug, sich regelmäßig hochzuziehen, damit sie sich nicht selbst stranguliert.“
 

Dem Werwolf wurde der Mund trocken, während er den Ausführungen des Veterinärs lauschte. Das klang eindeutig nach ihrer verrückten Lehrerin. Sie hatte das gleiche Spiel bei Deaton abgezogen und auch bei ihm war sein Leben auf Messers Schneide gestanden. Das würde bedeuten, dass Miss Blake noch irgendwo da draußen herumgeisterte und auf Rache sann.
 

„Nein, so wie du denkst, ist es nicht“, riss ihn Deaton aus seinen Gedanken. „Boyd hat man mit Nägeln, die vorher in eine Mischung aus Eisenhut und Eberesche getaucht worden sind, an die Tür des Lagerhauses geschlagen. Auch er war nicht in der Lage sich zu befreien.“ Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille im Raum und Scott brauchte erneut, bis er begriff, was sein Gegenüber ihm da gerade gesagt hatte. „Ich denke aber nicht, dass beide als Opfer dienen hätten sollen.“
 

„Aber…“, begann der junge Alpha, wurde jedoch sogleich unterbrochen.
 

„Es geht nicht um die körperlichen Wunden, die man ihnen zugefügt hat. Diese werden bald verheilt sein. Das was mit Erica und Boyd passiert ist, hat eine geistige Narbe hinterlassen. Beide waren gezwungen zuzusehen, wie der andere langsam stirbt, ohne helfen zu können.“ Der Druide war bei jedem Wort leiser geworden, bis seine Stimme nur mehr einem Flüstern glich.
 

„Dann war es Gerard“, schlussfolgerte Scott.
 

„Ich weiß es nicht.“ Deaton zuckte ratlos mit den Schultern.
 

„Wer denn sonst?“
 

„Boyd und Erica sind von einer einzelnen Person angegriffen worden.“
 

Scott schüttelte ungläubig den Kopf. „Das kann nicht sein. Beide sind mittlerweile ausgebildete Werwölfe. Selbst ein Profijäger bräuchte Hilfe.“
 

Das konnte tatsächlich nicht sein, denn Erica und Boyd waren durchaus in der Lage, sich ihrer Haut zu erwehren, nicht so wie zu Beginn. Derek hatte sich große Mühe gegeben, seine Schützlinge vorzubereiten und ihnen zu ermöglichen, auch gegen größere Gefahren alleine zu bestehen, oder zumindest so lange ausharren zu können, bis er und das restliche Rudel auftauchten.
 

„Ich weiß nicht einmal, ob es ein Jäger war.“ Die Augenbrauen des Druiden wanderten dabei nach unten und er schien angestrengt über etwas nachzudenken.
 

„Wie meinen Sie das?“
 

Deaton ließ Scott los und setzte sich in den Drehstuhl hinter dem Empfangstresen. Er wischte sich mit seinem Hemdärmel über die Stirn und legte dann die Hände im Schoß zusammen. „Boyd hat von einem Dämon oder einem dämonenähnlichen Wesen berichtet, das sie beide überfallen hat. Es habe gelb glühende Augen besessen und eine Maske getragen, die das Gesicht verdeckt, sofern es überhaupt ein Gesicht besitzt. Dazu sei es pechschwarz angezogen gewesen.“
 

„Ein Dämon? Gibt es so etwas überhaupt?“ Dem Alpha standen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Er hatte schon viel gesehen bisher, Werwölfe, einen Kanima, eine Banshee, gefallene Druiden und dergleichen. Natürlich war es naheliegend, dass auch Dämonen existieren konnten, doch warum sollte einer von ihnen es genau auf Erica und Boyd abgesehen haben?
 

„Nun, es ist nicht gänzlich auszuschließen. Die Frage ist aber eher, ob es wirklich ein Dämon war oder nicht. Trotz allem waren Boyd und Erica in der Lage, es für eine kurze Zeit in Schach zu halten. Die Lagerhalle ist jedoch präpariert worden. Laut Derek war die Luft erfüllt von Eisenhut. Das hat sie zusätzlich geschwächt. Boyd meinte, sie hätten es noch kurz auf die Brüstung hinauf verfolgen können, doch hatten sie dabei bereits große Mühe. Das Wesen sei förmlich geflogen“, klärte ihn Deaton in seiner gewohnt ruhig-analytischen Art auf.
 

„Sie denken also nicht, dass es Gerard war?“, schlussfolgerte Scott.
 

„Ich denke, dass es sich hierbei um eine äußerst gefährliche Person oder Wesenheit handelt“, wurde der Werwolf korrigiert. „Dass die ganze Angelegenheit etwas mit Gerard zu tun hat, steht außer Frage.“
 

„Sie glauben, es sei ein normaler Mensch gewesen?“ Erneut folgte ein Kopfschütteln seitens Scott. „Kein Mensch ist in der Lage, es mit zwei Werwölfen zeitgleich aufzunehmen, zumal Erica und Boyd keine Omegas sind. Auch mit guter Vorbereitung nicht.“
 

„Du selbst hast am eigenen Leib erfahren, was gute Vorbereitung ausmacht. Denk an Allisons Mutter oder an den Angriff auf das Police Departement. Wir haben es hier mit einem äußerst klugen Gegner zu tun.“ Deaton rückte nach seinen Ausführungen näher an den Empfangstresen heran, wo eine Flasche Mineralwasser stand, von der er einen Schluck nahm.
 

Tatsächlich erinnerte sich Scott noch äußerst schmerzhaft daran, was Victoria Argent mit ihm angestellt hatte. Sie war dabei eiskalt vorgegangen und hatte sich nahezu perfekt vorbereitet. Fast wäre er gestorben, hätte ihn Derek nicht gerettet.
 

„Wie hat man sie denn in die Lagerhalle gelockt?“, wollte er wissen.
 

„Beide haben eine Nachricht erhalten, der jeweils andere würde sich im Lagerhaus treffen wollen.“ Deaton richtete sich wieder ein wenig auf und drehte die Mineralwasserflasche in den Händen.
 

„Ich denke, dass Gerard das alles eingefädelt hat, denn das wäre genau sein Stil, nur halte ich Ihre Theorie, dass es sich um einen simplen Menschen handelt, für…“ Der Werwolf suchte nach den richtigen Worten. „Warum sollten denn die Augen leuchten? Eine Maske schränkt zusätzlich ein. Niemand ist außerdem so beweglich, dass er vor einem Werwolf fliehen kann.“
 

„Vor zwei geschwächten Werwölfen durchaus. Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege, aber es könnte auch sein, dass man uns glauben machen will, wir hätten es mit einem übernatürlichen Wesen zu tun, obwohl dem nicht so ist. Egal wer oder was es ist, eine gute Vorbereitung scheint notwendig gewesen zu sein, zumal ich auch nicht glaube, dass man Erica und Boyd töten wollte.“
 

„Aber gerade haben Sie doch gesagt, dass beide knapp dem Tod entronnen sind?“ Scott war nun zugegebenermaßen verwirrt.
 

„Ja, aber wenn man sie hätte töten wollen, wäre das auch deutlich schneller und unkomplizierter möglich gewesen. Vielleicht soll auch das nur eine falsche Fährte sein? Das sind alles nur Mutmaßungen natürlich.“ Der Veterinär stand auf und rollte mit den Schultern. „Ich werde mir die ganze Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Inzwischen wäre es vielleicht ganz gut, wenn du dich um Stiles kümmerst.“
 

„Und Derek?“ Die Augen des Werwolfs wanderten in Richtung des Behandlungszimmers.
 

„Braucht Stiles, um seine Mitte wiederzufinden. Die Situation hat ihn schwer getroffen. Es ist wahrscheinlich das Beste, wenn du deinen besten Freund wieder soweit aufbaust, dass er seinem Gefährten eine Stütze sein kann.“
 

„Ist gut“, nickte Scott und verschwand nach draußen. Er hörte auf Deatons Rat, war er ihm doch längst so etwas wie ein väterlicher Mentor geworden, zumal er selbst nicht wusste, wie er mit Derek umgehen sollte. Was sagte man überhaupt in einer solchen Situation?
 

Ihm schlug kühle Abendluft entgegen, als er nach draußen trat und Stiles beobachtete, wie dieser, die Arme eng um den Körper geschlungen, von einem Bein aufs andere trat. Er wirkte noch immer völlig fertig und fröstelte. Im fahlen Schein des Freilichts wirkte er noch blasser als sonst.
 

„Hey, Bro“, begann Scott sanft und umarmte seinen besten Freund von hinten. „So schlimm?“
 

„Derek ist völlig ausgezuckt. Er ist der Meinung, dass es Gerard gewesen ist“, berichtete Stiles leise, ohne sich zu seinem Freund umzudrehen, aber er wehrte sich auch gegen die Umarmung nicht.
 

„Und was ist daran so schlimm?“ Zu diesem Schluss war Scott schließlich auch bereits gelangt.
 

„Weil er etwas unternehmen will und Derek nicht gerade für seine ruhige Art bekannt ist.“ Etwas an Stiles´ Tonfall war alarmierend.
 

„Das soll heißen?“
 

Scott konnte von der Seite aus beobachten, wie Stiles sich auf die Unterlippe biss und dabei noch ein wenig mehr zitterte. Er lehnte sich gegen seinen besten Freund und schloss die Augen. Seine Finger wanderten automatisch auf die warmen Werwolfsäquivalente.
 

„Dass er total kopflos agieren will. Ich hatte alle Hände voll zu tun, es ihm auszureden.“
 

„Was auszureden?“
 

„Nichts. Er wird es nicht machen.“
 

„Stiles…“ Scott schlang seine Arme noch ein wenig fester um seinen besten Freund. „Was ist denn los? Du hast Derek doch sonst auch immer beruhigt bekommen?“
 

„Das hier ist etwas anderes. Er hat Angst erneut zu versagen, so wie damals, als Erica und Boyd fast wegen Deucalion gestorben wären. Derek gibt sich die Schuld an der ganzen Situation, weil er nicht gut genug auf sie aufgepasst hat.“ Stiles drehte sich nun doch zu Scott herum und in den karamellbraunen Augen spiegelte sich Unsicherheit, wie auch ein Anflug von Schuld, wider.
 

„Niemand hat das kommen sehen. Zumal, wenn Boyd tatsächlich Recht hat, und es sich um eine Art Dämon handelt…“ Scott ließ das Ende bewusst offen und starrte seinem Freund fest entgegen. Er wollte Stiles nicht noch mehr verunsichern als ohnehin schon.
 

„Tu mir einfach einen Gefallen, ja?“
 

„Hm?“
 

„Pass auf dich auf, Bro, okay?“
 

„Werde ich“, versicherte ihm Scott.
 

„Wenn sie wieder auf den Beinen sind, befrage ich sie. Bis dahin sollten wir Erica und Boyd die nötige Ruhe gönnen. Deaton meinte, sie können über Nacht hierbleiben. Den Rest übernehmen wir. Du konzentrierst dich morgen auf dein Date, okay?“
 

„Stiles, es ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt um…“, begann Scott, wurde aber sogleich abgewürgt.
 

„Tus für mich. Wenn jemand etwas davon wissen könnte, dann Luke. Versuche etwas aus ihm herauszubekommen, unauffällig natürlich. Sollte Gerard tatsächlich so etwas wie eine neue Geheimwaffe haben, dann wird sein Liebling es wohl mitbekommen.“
 

„Ich werde es versuchen“, nickte ihm Scott zu und bette seine Stirn an der seines besten Freundes. „Wir bekommen das hin, Stiles. Du weißt, dass ich für dich da bin, oder?“
 

„Ich weiß, Scott.“ Tatsächlich erschien so etwas wie ein Lächeln auf Stiles Lippen. „Gehen wir wieder rein, bevor man uns noch für ein Pärchen hält.“
 

„Da würde mir Derek den Kopf abreißen, hm?“
 

„Höchstwahrscheinlich.“

Neue Teams, alte Verhaltensmuster

Gemeinsam waren sie gestern noch in der Lage gewesen, Derek einigermaßen zu beruhigen. Es waren vor allem die Schuldgefühle gewesen, die den jungen Hale zur Verzweiflung getrieben hatten. Er wollte einfach nicht erneut ein Stück Familie verlieren, für das er verantwortlich war. Zu schmerzlich waren die Erinnerungen an eine Jugend ohne sein vertrautes Umfeld. Erica und Boyd waren mittlerweile im Loft und erholten sich dort, unter strenger Bewachung und auch Aufsicht ihres Alphas.
 

Der nächste Tag stand voll und ganz im Zeichen des Orientierungslaufes. Das Gros der Schule hatte sich, pünktlich um neun Uhr, am ausgemachten Treffpunkt vor dem Wald eingefunden. Allison würde mit Isaac laufen, Lydia mit Aiden, Danny mit Ethan… Pärchen eben. Scott hatte sich mit Stiles dahingehend geeinigt, dass sie diesen Lauf gemeinsam bestreiten würden.
 

Sie hatten sich alle dementsprechend vorbereitet: Mindestens ein GPS-fähiges Handy mit genügend Akku war Pflicht, genauso wie adäquate Kleidung. Diese bestand bei Scott aus einer dunklen Jacke, Trainingshosen und schwarzen Turnschuhen. Stiles trug Ähnliches, nur in grau. Er war gerade dabei, sich den Reißverschluss seiner Jacke zuziehen, da tauchte der Coach auf und sah zwischen den beiden hin und her.
 

„Was habt ihr beide vor?“, fuhr er sie in seiner gewohnten Art an.
 

„Am Orientierungslauf teilnehmen, genauso wie alle anderen auch?“, entgegnete Stiles und stellte sich dabei bewusst dumm.
 

Coach Finstock kniff die Augen zusammen, starrte auf sein Klemmbrett, dann auf den Sohn des Sheriffs und schüttelte den Kopf. „Werdet ihr nicht. Stilinski ist mit Jackson im Team und McCall mit Taylor. Wo steckt er überhaupt?“
 

Sowohl Stiles, als auch Scott, klappe die Kinnlade herunter. Sie hatten sich beide gemeinsam in der Liste eingetragen. Das wussten sie. Jackson würde auch niemals freiwillig mit Stiles den Orientierungslauf bestreiten wollen. Das war ausgeschlossen.
 

„Wer hat das bestimmt?“, wollte Stiles wissen und verschmälerte seine Augen ein wenig.
 

„Ich“, stellte der Coach fest und zwar so, dass er keine Widerworte duldete.
 

„Aber wofür ist die Liste dann eigentlich gut gewesen, wenn Sie bestimmen können, wer mit wem ein Paar bildet?“, ließ Scotts bester Freund nicht locker.
 

„Diese Liste unterliegt mir und ich bestimme schlussendlich, was am besten fürs Lacrosseteam ist.“
 

„Aber Luke ist doch nicht mal im Lacrosseteam“, schaltete sich Scott ein und erntete dafür einen strafenden Blick seitens seines Trainers.
 

„Ja, darüber unterhalten wir uns auch noch. Ich habe mir die sportlichen Erfolge von diesem Jungen einmal angesehen.“ Damit wandte sich Finstock nun vollständig ihm zu. „Es ist deine Aufgabe, ihn zu überzeugen, dass er zu uns ins Team kommt.“
 

„Was? Warum?“
 

„Weil du der Kapitän bist und ich mir davon, sowohl spielerisch, als auch finanziell, etwas für das Team erhoffe. Nächste Woche erwarte ich, dass er uns beim Training unterstützt. Haben wir uns verstanden?“ Finstock kritzelte irgendetwas auf sein Klemmbrett. „Außerdem ist diese Rivalität gut, denn das Feuer, welches in Jackson brennt, ist geradezu…“ Er schien nach dem richtigen Wort zu suchen.
 

„Gehirnzellenvernichtend?“, beendete Stiles den Satz.
 

„Halt die Klappe, Stilinski“, schnauzte ihn der Ältere an. „Du gehst jedenfalls zu Jackson und du mit Taylor, McCall.“ Damit klemmte er sich das Brett unter den Arm und stapfte davon.
 

„Idiot“, zischte Stiles und warf ihrem Lehrer einen giftigen Blick zu. „Mit Jackson, das hat mir gerade noch gefehlt.“
 

„Tut mir leid, Bro“, murmelte Scott schuldbewusst. Er wusste ja nicht einmal, warum er sich gerade schlecht fühlte, denn er konnte nichts dafür.
 

„Irgendwie scheint das Schicksal zu wollen, dass du mit deinem Liebling ein paar Mußestunden verbringen kannst, hm?“, gluckste sein bester Freund. „Ich frage mich nur, warum ich nicht mit jemand Sinnvollem eingeteilt werden kann. Sogar Greenburg wäre mir lieber. Wo steckt dein Herzblatt eigentlich?“
 

„Nenn ihn nicht so“, schnaubte Scott und sah sich um; von Luke fehlte jedwede Spur.
 

„Wahrscheinlich kalte Füße bekommen, weil es hier nicht nur darum geht, schnell zu sein, sondern auch geistig etwas auf dem Kasten zu haben“, witzelte Stiles.
 

„An einem mangelt es dir zweifelsohne“, ertönte es hinter ihnen. Luke war, wie aus dem Nichts, hinter ihnen aufgetaucht. Er trug eine schwarz-rote Trainingsjacke, mit einem gelben Reißverschluss und Kapuze. Auf der rechten Seite prangte das Logo einer Marke, die Scott noch nie gesehen hatte, links das Zeichen, welches sich auch in seinem Zimmer befunden hatte. Die schwarze Trainingshose, mit den roten Streifen, fügte sich dazu nahtlos an, von der gleichen Marke, mit dem gleichen Zeichen. Einzig die gelb-weißen Laufschuhe stachen ein wenig heraus. Der Brite hatte die Hände in die Hosentasche geschoben und den Reißverschluss bis unters Kinn zugezogen.
 

„Warum wundert es mich nicht, dass du so einen Fummel trägst?“, stichelte Stiles und nickte in Richtung des Logos. „Hat dir Daddy auch dazu passendes Bettzeug gekauft, oder gleich einen Platz in der Mannschaft?“
 

„Mein Vater muss mir keinen Platz erkaufen, ich bin tatsächlich ein exzellenter Spieler“, entgegnete Luke kühl und rang sich dann ein Lächeln ab. „Im Gegensatz zu deinem, wäre meiner dazu aber in der Lage. Ich habe gestern einen Strafzettel kassiert. War der von deinem Dad? Soll ich noch zwei Nullen dranhängen, damit sie sich auf der Wache Computer aus dem 21ten Jahrhundert leisten können?“ Er legte den Kopf schief und fügte dann, leicht gehässig klingend, an: „Oder du eine Karte fürs Fitnessstudio ergattern, vielleicht wird dann ja was aus dir?“
 

Stiles blinzelte einen Moment, ehe er sich ebenfalls zu einem Lächeln hinreißen ließ: „Danke, ich bin ganz zufrieden mit meinem Äußeren. Wir geben uns nur nicht dem sinnlosen Konsum hin, und setzen auf Altbewährtes, das ist alles, aber jemand, dem wahrscheinlich der Butler sogar den Hintern abwischen muss, kann sich das kaum vorstellen. Schneidet er dir auch das Essen klein und schüttelt das Bettzeug aus, damit Richboy nur ja keine bösen Alpträume hat? Etwa, dass die Lieblingsmannschaft des kleinen Luke auch ohne ihn gewinnen kann? Oder vielleicht verliert?“
 

Lukes rechtes Augenlid zuckte gefährlich und Scott konnte beobachten, wie sich seine Hände in den Hosentaschen zu Fäusten ballten. Dabei fiel ihm auch eine Ausbuchtung in der rechten Tasche auf, die eindeutig zu groß für seine bloße Hand war. Gerade als der Brite ansetzen wollte, etwas zu sagen, ertönte ein lauter Pfiff und alle wandten sich dem Coach zu, der auf einem kleinen Hügel stand und wartete, bis er die volle Aufmerksamkeit genoss.
 

„Der Ablauf ist euch ja allen klar. Wir starten zeitversetzt. Ihr müsst euch von Station zu Station hangeln. Die Anfangskoordinaten habt ihr bereits in eure Handys eingegeben. Sobald ihr den nächsten Punkt gefunden habt und das Rätsel gelöst, findet ihr die nächsten Koordinaten und so weiter. Wenn ihr euch verlauft, dann kehrt ihr hierher, an den Ausgangspunkt zurück. Wie das mit Google Maps funktioniert, dürfte wohl jedem klar sein.“ Er warf einen strengen Blick in die Runde. „Keine Ausreden, ihr hättet kein Signal, die Strecke wurde ausgetestet. Es ist unmöglich, sich zu verlaufen. Damit würde ich vorschlagen gutes Gelingen und das erste Paar bewegt sich schon einmal zu mir, nämlich McCall und Taylor.“
 

Scott sog scharf die Luft ein. Er hatte ehrlich gesagt keine Lust, als Erster loszulaufen. Vor allem musste er Stiles bereits jetzt alleine lassen, dem er einen weiteren, schuldbewussten Blick zuwarf. Dieser nickte nur in Richtung Lukes und schnitt eine Grimasse, eher davonstapfte und sie alleine ließ. Damit war er mit dem Briten alleine, der sich bereits daran machte, sich beim Coach einzufinden. Unter aller Augen schloss der Alpha zu ihm auf und fühlte sich wie ein Lamm, welches man zur Schlachtbank führte.
 

Im Gehen zog der Brite ein Paar schwarzer Kurzfingerhandschuhe aus der Hosentasche, die er sich überzog und mit einem Klettverschluss festzurrte. Er bog die Finger einmal durch und Scott konnte den Geruch von Leder wahrnehmen.
 

„Ihr zwei habt einen Ruf zu verteidigen“, begann der Coach und zwar so, dass es alle hören konnten. „Du als Kapitän des Lacrosseteams und du als potentieller Kapitän einer etwaigen Fußballmannschaft. Außerdem bist du der Enkel des Direktors. Enttäusche deinen Grandpa also nicht. Ihr werdet als Schnellste ins Ziel kommen, verstanden?“
 

„Sonst noch einen Wunsch?“, erkundigte sich Luke gelangweilt und schaute desinteressiert an Finstock vorbei.
 

„Mehrere, aber das genügt für den Anfang.“ Dann warf der Lehrer Scott noch einen auffordernden Blick zu, ehe er seine Stoppuhr in die Hand nahm und die Pfeife an die Lippen legte.
 

Scott war die ganzen Situation ziemlich unangenehm. Nicht nur, dass er sich wie auf dem Präsentierteller fühlte, und das hasste er, es war auch Lukes verschrobene Art, vor allem gegenüber Stiles, die ihm missfiel und ihn sogar ein wenig verschreckte. Es war kaum vorstellbar, dass dieser Junge, der sich an ihn gedrückt hatte, als sie sich geküsst hatten, überhaupt existierte. Luke war genauso wie an dem Tag, als sie sich kennengelernt hatten: Versnobt, überheblich und herablassend. Ihm blieb aber nichts anders übrig, als sich neben den Briten zu stellen und sich bereitzumachen loszulaufen. Luke sah ihn aus den Augenwinkeln heraus an, eine kaum zu deutende Miene aufgesetzt, ehe er den Blick wieder nach vorne richtete.
 

Kaum, dass der Pfiff ertönte, rannte Luke auch schon los und Scott setzte ihm nach. Ihm war es ein Leichtes, mit seinem Teampartner Schritt zu halten, doch das Tempo, welches er vorlegte, war nichtsdestotrotz erstaunlich.
 

„Weißt du überhaupt, wo wir hinmüssen?“, wollte der Werwolf wissen.
 

„Natürlich, folge mir einfach.“
 

Vor einer großen knorrigen Eiche, nach gefühlt fünf Kilometern Wegstrecke, hielt Luke an und sah nach oben, in Richtung der Baumkrone. Erste Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, trotz der eher kühlen Brise, die sie begleitet hatte.
 

„Sind wir hier richtig?“ Scott tat es Luke gleich und schaute ebenfalls nach oben.
 

„Wahrscheinlich hat der Trottel den ersten Hinweis da oben versteckt.“ Der Brite ging einmal um den Baum herum und nickte dann. „Ganz sicher.“
 

„Müsste er dann nicht ein Seil oder eine Kletterhilfe angebracht haben? Ich meine, manche sind nicht so sportlich wie wir“, gab Scott zu bedenken.
 

„Hat er auch.“
 

Bevor der Werwolf nachhaken konnte, war Luke einige Schritte zurückgetreten, hatte Anlauf genommen und war gegen den Stamm der Eiche gesprungen. Zielsicher fanden seine Finger Halt in einem Stück herausgebrochener Rinde und so hangelte er sich, scheinbar mühelos, von Ausbuchtung zu Ast, bis er oben angekommen war. Wenige Sekunden später hing neben Scott auch schon ein langes Stück Seil, mit mehreren Knoten darin.
 

„Du brauchst nicht nach oben zu kommen, es ist eine einfache Frage“, kam es von oben. „Wann wurden die Vereinigten Staaten gegründet?“
 

„1776“, antwortete Scott und trat einen Schritt zurück, als Luke neben ihm landete, wobei dieser sich geschickt abrollte.
 

„Korrekt“, lächelte er ihm zu und griff nach seinem IPhone. „Wir müssen da lang.“ Er deutete in Richtung Westen, bevor er sein Handy wieder in seiner Jackentasche verstaute und loslief.
 

„Wie hast du das gemacht?“, wollte Scott wissen, während er sich neben Luke hielt.
 

„Übung“, antwortete Luke und atmete dabei bereits recht flach. „Ich habe viel Freizeit und in Cambridge gibt es eine große Parkourszene. Das habe ich bereits mit deiner Mutter besprochen“
 

„Das ist also Parkour?“
 

„Ist es“, wurde Scott bestätigt. „Unter anderem. Ich würde aber vorschlagen, wir verschieben unser Gespräch auf später.“
 

Trotz der Tatsache, dass der Werwolf seinem Teampartner problemlos folgen konnte, war er noch immer beeindruckt ob des Tempos, welches dieser vorlegte. Luke war tatsächlich ein ausgezeichneter Läufer und überquerte scheinbar mühelos Hindernisse, seien es umgestürzte Bäume, Grube, unebene Wege oder den kleinen Bach, ohne sich dabei nass zu machen. Scott nahm ihm einige der Aufgaben, die sich von Klettern über Tasten bis hin zum Erangeln eines Hinweises mit einem Lacrosseschläger erstreckten, ab. Die Rätsel selbst waren einfach und benötigten lediglich Allgemeinwissen in den Bereichen Geschichte, Geografie und Betriebswirtschaft. Auch wenn der Alpha nicht wirklich einzuschätzen vermochte, wie schnell sie waren, so hatte er doch das Gefühl, dass sie zweifelsohne im vorderen Spitzenfeld rangieren würden. Auch hier zeigte sich wieder, dass sie beide ein hervorragendes Team abgaben.
 

„Finalfrage“, las Scott laut vor, während Luke sich auf einem Findling niederließ und verschnaufte. Er zog das rechte Bein an und bettete seinen linken Arm darauf. Mittlerweile klebte ihm das Haar an der Stirn und sein Herz hämmerte wie wild.
 

„Also?“, keuchte der Brite. „Was ist die Finalfrage?“
 

„Wir sind verloren“, seufzte Scott.
 

„Warum?“
 

„Weil das niemand wissen kann.“
 

„Lies vor“, forderte ihn sein Teampartner auf.
 

„Was gehört zusammen?“ Scott blinzelte und kniff die Augen zusammen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen: „Fünf Ringe, Kunst des Krieges und Das Kapital, Kanada, Indien und die USA oder Sekhmet, Ares und Tyr.“ Er verstand nur Bahnhof. Kanada, Indien und die USA waren Länder, aber den Rest hatte er noch nie gehört.
 

Luke wischte sich mit dem Jackenärmel über die Stirn und lachte dann leise. „Das ist die Finalfrage? Wirklich?“
 

„Ja?“ Scott schaute von dem Blatt Papier zu seinem Teampartner und wieder zurück. „Kennst du die Antwort?“
 

„Das erste sind Bücher. Die Fünf Ringe und die Kunst des Krieges sind fernöstliche Klassiker, die sich mit der Kriegsführung beschäftigen. Das Kapital ist eine Abschrift, aus dem sich der Sozialismus herleitet. Kanada, Indien und die USA waren alle einmal unter britischer Herrschaft und Ares, Sekhmet und Tyr sind Gottheiten.“ Luke rutschte von dem Findling und kam zu Scott herüber.
 

„Aber die haben doch alle etwas gemeinsam?“, jammerte der Werwolf.
 

„Ja und nein. Zwei von drei Büchern befassen sich mit einem spezifischen Thema, während eines aus der Reihe schlägt. Bei den Ländern ist genau gleich: Zwei von drei sind Mitglieder des Commonwealth, nur die USA nicht. Einzig die drei Gottheiten haben etwas gemeinsam: Die Griechen beteten Ares als Gott des Krieges an, die Germanen Tyr und die Ägypter Sekhmet“ Er rollte mit den Schultern und lächelte. „Antwort drei ist die Richtige.“
 

Scott schenkte Luke einen überraschten Blick. „Woher weißt du das?“
 

„Hättest du Percy Jackson gelesen, wüsstest du das“, grinste er.
 

„Ich habe wohl andere Interessen“, entgegnete der Werwolf und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
 

Der Brite wirkte nun wieder ganz anders als noch vorhin beim Start: Das Grinsen mitsamt der Zahnspange verlieh ihm etwas Normales. Er stand einfach nur da, komplett verschwitzt, noch immer schwer atmend und schenkte ihm einen neugierigen Blick. Das Schlagen von Lukes Herz war wie Musik in Scotts Ohren. Sein Geruch überdeckte den von Schweiß und Waschmittel. Er musste sich mit aller Macht dazu zwingen, sich daran zu erinnern, was der Junge vor ihm mit seinem besten Freund veranstaltet hatte; dass er eingebildet war, versnobt, hochtrabend und herablassend.
 

Während der Alpha seinen Gedanken nachhing, war Luke auf ihn zugekommen. Er hatte einen lauernden Blick aufgesetzt. Ehe Scott reagieren konnte, waren seine Hände auch schon auf den Rücken seines Teampartners drapiert worden.
 

„Du denkst zu viel“, stellte sein Gegenüber kichernd fest.
 

„Tue ich das?“, brummte der Werwolf und wollte seine Hände lösen, doch er konnte nicht. Sein Körper reagierte auf Luke. Es fühlte sich richtig an, so wie sie dastanden
 

„Eindeutig“, hauchte er ihm zu und wanderte dabei mit seinem Gesicht an seinen Hals.
 

Scott spürte etwas Warmes und Weiches an seinem Hals. Es strich daran entlang. Lukes Lippen wanderten über seine Haut und hielten an seinem Muttermal, welches zärtlich geküsst wurde.
 

„Nicht“, murmelte er und wollte sich loseisen. „Wir sind noch nicht im Ziel.“
 

„Wir haben noch genügend Zeit“, lispelte Luke und fuhr mit seinen Fingern durch Scotts Haare. „Ich könnte den ganzen Tag so dastehen und das machen.“ Er zog den Kopf zurück und schenkte Scott einen verliebten Blick. „Oder willst du tatsächlich, dass ich aufhöre?“
 

Alles in ihm verlangte danach, dass sein Gegenüber nicht aufhörte. Es war unklug und doch misste Scott bereits jetzt das Gefühl von Lukes Lippen auf seiner Haut. Die Finger, die ihm durch die Haare strichen und den Nacken kraulten, hinterließen ein Prickeln und er fühlte ein scharfes Brennen in seiner Brust, welches in den ganzen Körper ausstrahlte.
 

„Nein“, brachte er über die Lippen.
 

Wie aufs Stichwort klebte Luke schon wieder an ihm, um ihn erneut am Hals zu küssen. Der Werwolf legte den Kopf ein wenig in den Nacken und schloss dabei die Augen. Es fühlte sich mehr als gut an was Luke da tat. Aus dem Küssen wurde ein behutsames Knabbern und Scott biss sich auf die Unterlippe. Das Brennen verstärkte sich mit jeder Sekunde. Er konnte kaum noch klar denken.
 

Er kannte den Jungen, der da an ihm hing, kaum und doch fühlte es sich an, als hätten sie das alles bereits einmal gemacht. Das Küssen, das Prickeln auf der Haut, das Brennen, alles wirkte so vertraut. Lukes Finger, die über seine eigenen glitten, sie miteinander verwoben, wie er sich an ihn schmiegte und ihm zuhauchte, wie gut er doch schmecken würde – es war so ähnlich zu Allison und doch so konträr. Luke war ein Junge, kein Mädchen. Er war der erste Junge überhaupt, bei dem er so empfand. Trotz dieses Umstandes, und Scott war bei Weitem nicht verklemmt oder verschlossen was Liebe gegenüber dem gleichen Geschlecht anging, erschien es ihm richtig.
 

„Darf ich dich noch etwas fragen, bevor wir diesen dämlichen Lauf beenden?“, erkundigte sich Luke leise und vergrub dabei sein Gesicht an Scotts Hals.
 

„Was denn?“ Dabei sah er nach unten und strich dem Briten in einer vertrauten Geste über den Nacken.
 

„Übernachtest du heute bei mir, wenn dir der Abend gefallen sollte?“
 

Es war nicht die Tatsache, dass er fragte, sondern wie er es tat, was Scott beinahe dahinschmelzen ließ. Luke klang überhaupt nicht mehr selbstbewusst und versnobt; seine Stimmlage war latent höher, er verschluckte einzelne Buchstaben und druckste dabei fast schon ängstlich wirkend herum.
 

„Willst du das denn wirklich?“, bohrte der Alpha nach.
 

„Klar, also ganz unverbindlich. Ich meine, nicht dass etwas passieren wird.“ Lukes Wangen zierte eine sanfte Röte bei diesen Worten. „Du hältst mich für einen Vollidioten, oder?“
 

„Nein“, beschwichtigte ihn Scott. „Nur für sehr süß, wenn ich ehrlich sein soll.“
 

„Süß ist die kleine Schwester von Scheiße“, spottete Luke verunsichert.
 

„Ich meine es aber ernst.“ Scott zögerte, bevor er dem Briten einen Kuss auf die Stirn drückte. „Sehr sogar.“
 

„Ich spare mir das für heute Abend auf, ja?“ Bei dem Kuss huschte ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht.
 

Luke löste sich von ihm, wobei er seine Hände fest drückte, ehe er in seine Hosentasche griff und sein IPhone herausfischte. Mit zitternden Fingern gab er die Koordinaten ein und vermied es, Scott direkt anzusehen. „Wir müssen da lang“, meinte er noch und setzte sich daraufhin wieder in Bewegung.
 

Den restlichen Weg bis zum vermeintlichen Ziel legten sie schweigend zurück. Lukes flacher Atem war bildete das einzig konstante Geräusch während ihres Laufes. Auch wenn er sich bemühte, es sich nicht anmerken zu lassen, so ließen seine Kräfte langsam nach, trotz der Pause, die sie eingelegt hatten. Das war aber auch kein Wunder, denn das Tempo, in welchem beide bisher agiert hatten, war extrem hoch. Es erstaunte Scott noch immer, dass jemand, der kein Werwolf war, so lange durchhielt und das auf einem so hohen Niveau.
 

Sie rannten über Stock und Stein, wobei Luke immer wieder ihre Richtung überprüfte. Er verzichtete dabei komplett auf jegliche sprachliche Kommunikation und beschränkte sich auf simple Gesten. Irgendwann wurde es Scott zu bunt und er hielt an.
 

„Du brauchst eine Pause“, stellte er ohne Umschweife fest.
 

„Ich brauche keine Pause“, wehrte sich Luke, wobei seine Knie sichtlich zitterten.
 

„Doch. Ich merke doch, wie du dich kaum noch auf den Beinen halten kannst.“
 

„Du irrst dich“, wiegelte er ab. „Ich weiß, was ich meinem Körper zumuten kann.“
 

„Augenscheinlich nicht.“ Scott kam auf ihn zu und ging dann vor ihm auf die Knie, sich mit dem Rücken zu ihm drehend.
 

„Was soll das werden, wenn es fertig ist?“
 

„Ich trage dich die letzte Distanz Huckepack.“ Scott vollführte eine auffordernde Geste mit den Armen und sah zu Luke auf, der überhaupt nicht begeistert wirkte.
 

„Kommt nicht in Frage, ich bin keine verzärtelte Prinzessin. Wie sieht das aus, wenn wir so ins Ziel kommen?“, lehnte er den Vorschlag entschieden ab.
 

„Das hier ist ein Partnerlauf, oder? Wir sind Partner und ich habe bisher kaum etwas machen müssen, weil du alles erledigt hast. Die anderen werden es genauso machen, Isaac bei Allison sicher, sofern sie nicht zu stolz ist und Aiden bei Lydia auch.“ Scott hob erneut auffordernd die Arme an. „Gib dir einen Ruck.“ Er konnte dabei zusehen, wie Lukes Widerstand zu bröckeln begann. Etwas in ihm wollte nicht, dass sein Partner sich so verausgabte, vor allem, weil es nicht notwendig war. Instinktiv fügte er noch ein „Tus für mich“ an.
 

„Du bist dir sicher, dass Allison bei Isaac auch aufsteigen würde?“, wollte er noch zögerlich wissen, doch Scott hatte bereits gewonnen, das war ihm bewusst.
 

„Ganz sicher“, bestätigte er ihm.
 

„Du lässt mich aber kurz vor dem Ziel absteigen“, verlangte Luke, machte sich aber bereits daran, auf Scotts Rücken Platz zu nehmen.
 

„Einverstanden.“
 

Als Werwolf spürte er das zusätzliche Gewicht kaum. Luke schlang die Hände um seine Brust und er fasste ihn im Gegenzug unter den Kniekehlen. Langsam richtete er sich mit seinem menschlichen Gepäck auf, prüfte noch einmal, dass er ihn nicht verlor und setzte sich dann in Bewegung.
 

„Das letzte Mal bin ich Huckepack genommen worden, als ich beim Training ausgerutscht bin und mir den Knöchel verstaut habe“, gluckste Luke und entspannte sich sichtlich. „Jonathan war aber kein so ein angenehmer Träger wie du.“
 

„Kann es sein, dass du ihn gerne hast?“, fragte Scott nach und zog das Tempo dabei ein wenig an.
 

„Jonathan ist nach Grandpa tatsächlich so etwas wie eine Konstante in meinem Leben. Er, Grandpa und Hakim.“
 

„Hakim?“
 

„Ja, Hakim ist mein Hund. Dad hat ihn mir zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Da war er noch ein ganz kleiner Welpe.“ Scott konnte das Lächeln förmlich heraushören, während Luke von seinem Hund berichtete. „Er ist äußerst intelligent und sehr liebenswert, mein bester Trainingspartner.“
 

„Hakim ist aber ein äußerst exotisch klingender Name.“ Scott hielt kurz inne, damit Luke ihre Richtung korrigieren konnte, ehe er sich wieder in Bewegung setzte.
 

„Hakim ist arabisch und bedeutet weise beziehungsweise intelligent. Einmal hat er selbstständig den Schrank aufgemacht, um an Futter zu kommen. Das Reinigungspersonal war außer sich, weil er dabei sämtliche Leckerlis quer über dem Boden verteilt hat. Ich habe mich köstlich amüsiert.“ Luke krallte sich in Scotts Shirt fest. „Er war immer für mich da und schläft auch bei mir im Bett.“
 

„Warum habe ich ihn dann das letzte Mal nicht gesehen?“, wollte Scott wissen. „Ich mag Tiere nämlich auch sehr gerne. Mein Nebenjob ist in der örtlichen Tierarztpraxis.“
 

„Weil Grandpa Hunde nicht mag und Hakim irgendwie ein Problem mit ihm hat. Normalerweise ist er nicht so. Wahrscheinlich ist er eifersüchtig, weil ich wegen Grandpa weniger Zeit für ihn habe“, mutmaßte Luke.
 

Das war wahrscheinlich nicht der Grund. Scott wusste aus Erfahrung, dass Hunde sehr gute Menschenkenner waren. Ihm gegenüber verhielten sie sich meist freundlich, was nicht nur an seinem Werwolfdasein lag. Natürlich gab es auch aggressive Hunde, doch Lukes Beschreibung nach, handelte es sich bei Hakim nicht um ein solches Exemplar. Er konnte sich noch sehr gut an Gerards Ausführungen über den tollwütigen Hund, den er getötet hatte, erinnern.
 

„So, hinter der nächsten Weggabelung müsste das Ziel sein, lass mich absteigen“, wurde er aufgefordert.
 

„Sicher, dass du es schaffst?“ Scott blieb stehen und sah zweifelnd nach hinten.
 

„Ganz sicher.“
 

Kaum, dass er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, setzten sie gemeinsam ihren Weg fort, dieses Mal deutlich langsamer. Tatsächlich wartete hinter der nächsten Biegung, wie prophezeit, ihr Geografielehrer, Mister Wilson auf sie. Er schenkte ihnen ein breites Lächeln und drückte auf die Stoppuhr.
 

„Gratulation, ihr seid die Ersten“, begrüßte er sie. „In Rekordzeit, wohlgemerkt.“
 

„Sind wir damit fertig?“ Luke rollte mit den Schultern und war dabei wieder wie ausgewechselt.
 

„Ja. Ich denke, der Coach möchte sich noch mit euch unterhalten…“, begann ihr Lehrer, wurde aber sogleich von Luke unterbrochen.
 

„Das kann er nach dem Wochenende auch noch machen. Ich würde es vorziehen, wenn ich mich duschen und die verschwitzten Sachen wechseln könnte.“ Luke wischte sich einige Haarsträhnen aus der Stirn.
 

„Ich kann ja bleiben“, schlug Scott vor. „Es reicht doch, wenn einer von uns da ist, oder?“
 

„Ich weiß nicht.“ Mister Wilson zuckte ein wenig ratlos mit den Schultern, wobei er Luke einen bösen Blick zuwarf.
 

„Ich fasse das als ja auf“, mischte sich der Brite erneut ein. „Wir sehen uns dann später“, meinte er noch in Richtung Scott und ließ sie dann alleine.
 

„Wäre dieser junge Mann nicht der Enkel des Direktors…“, schüttelte Mister Wilson den Kopf. „So respektlos.“
 

„Ich weiß“, seufzte Scott. „Ich weiß.“
 

Damit starrte er Luke nach und fragte sich, wie man sich so ambivalent verhalten konnte. Dabei fiel ihm auch auf, dass sie nicht geklärt hatten, ob Scott bei ihm übernachten würde. Sollte er? Wollte er? Die erste Frage war schwer zu beantworten, doch bei der zweiten meldete sich sein klopfendes Herz, welches nicht nur vor Anstrengung schneller pochte... Damit war die Entscheidung wahrscheinlich bereits gefallen.

Ein holpriges Date mit Happy End

Scott befasste sich gedankenverloren mit seinem Kleiderschrank. Nicht nur, dass er keine Entscheidung für sein Outfit treffen konnte, ihm ging auch Lukes Verhalten von heute nicht mehr aus dem Kopf. Wie konnte man nur so ambivalent agieren? War es wirklich nur dem Umstand des Verliebtseins geschuldet? Konnte dieses Faktum so einen gravierenden Unterschied ausmachen? Leise seufzend fuhr er sich durch die noch etwas nassen Haare und versuchte seine Aufmerksamkeit auf die Kleiderwahl zu fokussieren.
 

Während er sich durch seine Oberteile kämpfte drängte sich ihm eine weitere Frage auf: Sollte er tatsächlich bei Luke übernachten? Er würde damit in Gerards Nähe sein. Vielleicht handelte es sich bei diesem Date tatsächlich um eine ausgeklügelte Falle? Der Anblick Lukes, wie er ihn beschämt um die Übernachtung gebeten hatte, wie sich der Alpha dabei gefühlt hatte – nein, es war unmöglich, dass er getäuscht worden war. Scott zweifelte keine Sekunde an der Aufrichtigkeit von Lukes Emotionen ihm gegenüber, zumal er genauso fühlte. Ihm wuchs die ganze Angelegenheit einfach über den Kopf. Er war hin und hergerissen zwischen Zuneigung und Sorge.
 

Nach einer gehörigen Bedenkzeit entschied sich Scott für ein graues Langarmshirt und jenen rot-weiß gestreiften Pullover, den er beim Bowlen mit Allison getragen hatte. Damals war die Welt noch eine andere gewesen. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie sie ihm Mut gemacht hatte, mit leicht fragwürdigen Methoden. Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des Werwolfs beim Gedanken an die gute alte Zeit. Das mochte zwar ein wenig altmodisch klingen, aber es war tatsächlich so: Er vermisste Allison noch immer, wobei sich dieses Empfinden allmählich zurückdrängen ließ.
 

Rasch konzentrierte sich Scott auf etwas anderes, nämlich seine restliche Kleiderwahl, bestehend aus einer dunklen Jeans und seinen schwarzen Converse. Sobald seine Haare getrocknet waren, verschwand er im Badezimmer, verwendete ein wenig Gel für seine Frisur und putzte sich die Zähne. Er kontrollierte noch einmal sein Gesicht und wechselte in sein Zimmer zurück, nickte zufrieden ob seines Aussehens und ging dann leicht nervös nach unten. Luke hatte ihm geschrieben, er würde ihn in einer Viertelstunde abholen.
 

Warum war er überhaupt nervös? Gut, das konnte an dem Date liegen, das war bei Allison auch schon so gewesen, aber er glaubte nicht, dass es sich dabei bloß um diesen Umstand handelte. Ein kleiner Teil von Scott empfand so etwas wie Angst. Er strich sich mit der Hand über die Stelle, an der sich das Mal auf seinem Oberarm befand und ließ sich in einen der Stühle am Esstisch fallen. Das würde seine erste Verabredung mit Luke sein und auch die erste mit einem Jungen. Bisher hatte ihm das Küssen gut gefallen. Auch das war es nicht, was ihn verunsicherte. Wenn er ehrlich sein sollte, konnte er seine Nervosität nicht wirklich zuordnen. Mochte es an Gerards Einfluss auf Luke liegen, der Angst emotional erpressbar zu werden, Lukes verschrobener Art oder einfach ob des Faktums, dass sein letztes Date gefühlt ein halbes Jahrhundert in der Vergangenheit lag – Freude und Scheu kämpften innerlich in ihm um die Oberhand.
 

Unruhig trippelte er mit den Fingern auf der Tischplatte herum. Sollte er seiner Mutter eine Nachricht hinterlassen? Dass es später werden würde? Er vielleicht gar nicht heimkam? Nein, er würde ihr einfach via Handy schreiben. Stattdessen stand er auf und geisterte unruhig im Haus herum. War er passend gekleidet? Was würde Luke tragen? Wie sollte er sich verhalten, wenn ihm das Date nicht gefiel?
 

Die Zeit verging wie im Flug und Scotts Herz vollführte einen kleinen Sprung als es an der Tür klingelte. Hastig kontrollierte er noch ein letztes Mal seine Haare und schnappte sich eine dunkle Jacke, um dann zur Tür zu eilen. Lukes Herzschlag war schnell und er konnte dessen nervöses Atmen vernehmen, genauso wie auch ein Männerparfüm, welches seinen Geruch und den des Waschmittels überdeckte.
 

Kaum, dass Scott die Tür geöffnet hatte, schaute Luke auch schon auf und schenkte ihm ein schiefes Lächeln. Er trug die zimtfarbene Strickjacke von vorgestern, dazu schwarze Jeans und schwarze Sneaker mit einem weißen Streifen, ein Exemplar, welches auch der Werwolf besaß.
 

„Hey“, kam es leise vom Briten.
 

„Hi, Luke“, fiel die Antwort seitens des Alphas aus. Er war leicht unschlüssig, was er machen sollte. Ihn zur Begrüßung küssen? Ihn umarmen?
 

Die Entscheidung wurde ihm abgenommen als Luke mit seinem Autoschlüssel in der Hand leise klimperte. Er wirkte leicht überfordert mit der Situation und vermied jeglichen längeren Blickkontakt zu ihm. „Wollen wir fahren?“
 

„Klar“, kam es von Scott und er schloss die Tür hinter sich. Den Schlüssel brauchte er nicht zu legen, da seine Mutter selbst einen dabeihatte.
 

„Ich hoffe, der Laden ist wirklich so gut, wie der Besitzer am Telefon behauptet hat“, startete Luke einen Gesprächsversuch und entsperrte den Mercedes im Gehen. „Du warst da schon einmal?“
 

„Mehrmals“, bestätigte ihm der Werwolf. „Und er ist wirklich gut“, fügte er noch an.
 

Beide stiegen in den Wagen ein und auch heute hatte der Innenraum noch immer nicht seine faszinierende Wirkung auf Scott verloren. Er war eben, trotz seines Werwolfdaseins, noch immer ein Teenager, dem so Dinge wie Autos, Motorräder und dergleichen gefielen. Bei dem Gedanken an zweirädrige Vehikel kam ihm in Erinnerung, dass er bei der Werkstatt anrufen musste, denn er hatte ehrlich gesagt kaum noch Lust darauf, die Strecke zur Tierarztpraxis mit dem Fahrrad zurückzulegen.
 

Sämtliche Lichter und Lämpchen leuchteten auf, sobald Luke den Schlüssel im Schloss herumdrehte, die Zündung betätigte und dem Mercedes Leben einhauchte. Der Motor schnurrte leise vor sich hin und er legte einen Gang ein, womit sie sich in Richtung Stadtkern aufmachten.
 

„Hoffentlich, denn ich habe einen Bärenhunger“, griff Luke das Gesprächsthema von eben wieder auf und konzentrierte sich auf die Straße. Es war mittlerweile dunkel geworden und die ersten Laternen beschienen damit bereits den Bürgersteig. Der Verkehr hielt sich in Grenzen und so kamen sie zügig ihrem Ziel näher.
 

„Klar“, versicherte er dem Briten. „Vertrau mir einfach.“
 

Die restliche Fahrt wurde mit eher belanglosen Themen gefüllt. Sowohl Scott, als auch Luke stand ins Gesicht geschrieben, dass sie sichtlich nervös waren. Beide schienen hin und hergerissen zu sein zwischen Vorfreude und einer kleinen Panikattacke. Vor allem dem Werwolf fiel es schwer, sich zu kontrollieren. Er hatte Angst eine erneute Verwandlung durchzumachen. Gerade in der Öffentlichkeit würde das ein großes Problem werden.
 

Sie bogen auf einen verwaist wirkenden Parkplatz ein, der normalerweise zu dieser Uhrzeit komplett überfüllt war. Die Lokalität war mit einer Neonreklame in fremdartig wirkenden Buchstaben gekennzeichnet. Dazu passend öffneten und schlossen sich zwei Essstäbchen in regelmäßigem Abstand. Hätte durch die halbgeschlossenen Rollläden kein Licht hindurchgeschienen, wäre man dem Eindruck erlegen, das Restaurant habe geschlossen.
 

Scott stieg, leicht misstrauisch, aus und sah sich um. Tatsächlich war keine Menschenseele zu sehen. Erneut keimte in ihm der Verdacht einer Falle auf. Ein vager Seitenblick zu Luke ließ diesen jedoch absolut ruhig wirken oder zumindest nicht minder nervös als ohnehin schon. Leise durchatmend versuchte sich der Alpha zu entspannen und seiner Verabredung zu folgen, die Sinne dabei dennoch schärfend. Er hatte keine Lust, sich am Ende des Abends in einem dunklen Keller wiederzufinden.
 

Sie hatten noch nicht einmal die Treppenstufen zu der großen, rotgestrichenen Holztür erreicht, da wurde diese auch schon aufgezogen und ein Asiate, schätzungsweise Ende der 50er, mit bereits leicht ergrautem, kurzem Haupthaar, in ein weißes Hemd und eine dunkle Stoffhose gekleidet, mit Lackschuhen, trat ihnen entgegen. Die beiden Besucher wurden kurz gemustert und der Mann kniff die Augen zusammen.
 

„Sie sind Mister Taylor?“, fragte er leicht ungläubig und mit einem starken Akzent.
 

„Bin ich“, bestätigte ihm Luke.
 

„Der Mann am Telefon hat aber älter geklungen“, stellte der Asiate fest und seine dunkelbraunen Augen wanderten zu Scott, der sich überhaupt nicht erklären konnte, was hier los war.
 

„Das war auch mein Butler“, erklärte ihm der Brite und griff in seine Hosentasche. Der Blick des Mannes wurde geringschätzig, als er die orangene Son Goku Brieftasche bemerkte. Er schien leicht verstimmt zu sein, denn seine Augenbrauen wanderten bei diesem Anblick nach unten. Erst als Luke die Brieftasche öffnete und seine Kreditkarte hervorzog, hellte sich sein Gesicht auf.
 

„Hier, sie ist auf mich zugelassen. Wenn Sie wollen, können Sie noch die Unterschriften vergleichen“, bot er ihm mit einer gewissen Reserviertheit in der Stimme an.
 

„Nicht nötig, nicht nötig!“, beteuerte der Fremde. „Mein Name lautet Li Bo und ich möchte mich höflich für mein Verhalten entschuldigen.“ Dazu folgte eine angedeutete Verbeugung mit dem Oberkörper. „Wenn die Herrschaften mir bitte folgen würden.“
 

Luke lupfte die Augenbrauen und bedeutete Scott dann mit einer Geste ihm zu folgen. Für Letzteren war diese Situation absolut grotesk. Stiles hätte gewusst, was hier gespielt wurde, doch seinen besten Freund konnte er gerade nicht fragen. Er war jedenfalls noch nie so begrüßt worden, wenn er mit seiner Mutter hierhergekommen war.
 

Im Inneren herrschte gähnende Leere. Das Lokal platzte eigentlich aus allen Nähten und ohne Reservierung bekam man hier kaum einen Platz. Umso verwunderlicher war es, als man sie beide quer durch den Gästebereich führte, in eine Seitennische, die gut abgeschirmt war vor neugierigen Blicken. Nicht einmal aus der Küche, in der Licht brannte und aus der Stimmen zu hören war, hätte man sie beobachten können. Fast schon gruselig wirkte das Restaurant, so ganz ohne Gäste.
 

Mister Bo, Scott nahm an, dass Bo der Nachname war, rückte sowohl Luke, als auch ihm, jeweils einen Stuhl zurecht, verbeugte sich erneut leicht und ließ sie dann alleine. Der Werwolf zog sich seine Jacke aus und hängte sie über die Sessellehne, während seine Verabredung sich neugierig umsah.
 

„Interessant, ich hatte mit einem deutlich schmuddeligeren Ambiente gerechnet“, schloss er seine Investigation ab. „Zumindest das Equipment scheint adäquat zu sein.“
 

„Sag mal, wo sind denn all die Gäste?“, erkundigte sich Scott und sah sich noch einmal um, nur um sicherzugehen, dass er nicht irgendwen übersehen hatte.
 

„Ich habe das Restaurant für heute ausgebucht“, erklärte ihm Luke beiläufig und schien großes Interesse an einem großen Bild in einem kunstvoll geschnitzten Rahmen zu entwickeln, welches einen Tiger zeigte, der sich durch ein Meer aus Schilf kämpfte.
 

„Du hast was?“, platzte es aus dem Werwolf heraus.
 

„Das Restaurant für heute ausgebucht, beziehungsweise für die Öffentlichkeit geschlossen“, wiederholte sein Gegenüber geduldig, als wäre dieser Umstand das Normalste auf der Welt.
 

„Das kannst du doch nicht machen.“ Scott klang nicht nur schockiert, sondern war es auch. Ganz Beacon Hills musste heute wegen ihnen auf die kulinarischen Köstlichkeiten von hier verzichten.
 

„Natürlich kann ich.“ Luke richtete seine Aufmerksamkeit auf Scott und legte den Kopf dabei ein wenig schief. „Wie du ja siehst. Das ist normal, wenn man Besitzer einer American Express Centurion Card ist. Ich könnte auch das Einkaufscenter schließen lassen, um ungestört zu shoppen.“
 

Dem Alpha blieb die Luft weg. Das war doch der blanke Wahnsinn. Wie kam Luke dazu, ein ganzes Lokal nur für sie beide lahmzulegen? Ihm war das Ganze deutlich zuwider. Er fühlte sich wie jemand, der mit seinem Sugar Daddy unterwegs war. Scott wollte sich nicht aushalten lassen und schon gar nicht eine Sonderbehandlung genießen.
 

„Was hast du?“, erkundigte sich der Brite leicht besorgt. „Ist dir schlecht?“
 

„Nein, aber das ist einfach unmöglich. Luke, wir sind doch nicht alleine hier. Dazu haben wir kein Recht!“, entrüstete sich Scott.
 

„Ich will beim Essen meine Ruhe haben und außerdem möchte ich diesen Abend ungestört verbringen. Zumal dir niemand hier leidtun muss, da sie durchaus genügend Geld dafür bekommen, nur uns beide heute zu bedienen. Wahrscheinlich mehr, als dieser Laden in einem Monat abwirft. Was denkst du, warum der Inhaber persönlich draußen wartet und so freundlich ist, hm?“ Lukes Lippen zierte ein schmales Lächeln, welches noch ein wenig dünner wurde, als Mister Bo mit den Speisekarten auftauchte.
 

„Was wünschen Sie denn zu trinken?“, erkundigte sich der Asiate freundlich.
 

Luke schlug die Karte auf und blätterte sie durch. Er schien den wartenden Blick ihres Gastgebers komplett zu ignorieren. Scott versuchte die Situation zu retten, indem er leise räuspernd um eine Cola bat. Die Bestellung wurde mit einem Nicken aufgenommen, ehe das Hauptaugenmerk wieder auf dem Briten ruhte.
 

„Shiaoxin“, orderte er, ohne dabei aufzusehen. „Eine Schale und nach dem Nachtisch Jasmintee, temperiert. Ich nehme an, Sie sortieren die Blüten wieder aus?“
 

„Natürlich“, versicherte ihm Mister Bo. „Wie alt sind Sie, wenn die Frage erlaubt ist? In Amerika gelten strenge Regeln, was den Konsum von Alkohol angeht, wie Sie sicherlich wissen.“ Dabei klang er fast schon ein wenig entschuldigend.
 

„Siebzehn, aber das tut nichts zur Sache.“ Luke sah vom Rand der Karte auf. „Ich übernehme die Strafe bei einer etwaigen Kontrolle durch die Polizei. Zumal das im Service inbegriffen sein sollte.“
 

Mister Bos Unterlippe zitterte leicht, bevor er erneut nickte und sich davonmachte. Seine Haltung war leicht angespannt und Scott konnte seinen flachen Atem, genauso wie das aufgeregte Pochen seines Herzens gut hören.
 

„Luke, das geht so wirklich nicht“, tadelte Scott ihn leise zischend. „Du bringst den ganzen Betrieb durcheinander und verschaffst Mister Bo obendrein Probleme, außerdem musst du nachher noch fahren.“
 

„Tue ich nicht“, wurde er sogleich korrigiert. „Ich weiß genau, was ich will und auch, was ich vertrage. Eine Schale Shiaoxin ist wohl kaum so stark, dass ich davon nicht mehr Autofahren kann. Mal abgesehen davon wird hier kaum eine Polizeikontrolle auftauchen. Stiles´ Vater ist doch der örtliche Sheriff? Der wird wohl andere Dinge zu tun haben, als sich um einen Siebzehnjährigen zu kümmern.“
 

Scott unterdrückte einen verzweifelten Laut. Das Date war bisher eine Katastrophe und sie hatten noch nicht einmal den ersten Gang serviert bekommen. Er hatte gute Lust einfach abzuhauen. Mit so einer Situation konnte man einfach nicht umgehen. Ein bisschen Normalität, trotz seines Werwolfdaseins, wäre wünschenswert gewesen. Stattdessen hockte er hier, mehr oder weniger alleine, in einem Lokal, wo sich Besitzer und wahrscheinlich auch Küchenteam überschlugen, nur weil seine Verabredung mit einem Stück Plastik gewedelt hatte.
 

„Es stört dich“, stellte Luke fest.
 

„Natürlich stört es mich. Das hier ist einfach falsch“, appellierte Scott an das Gewissen seines Gegenübers. „Geld hin oder her, diese Leute arbeiten tagtäglich hart und du behandelst sie, als wären sie nur dazu geboren worden, für dich zu springen. Du setzt dich über gültige Regeln hinweg und bringst andere dadurch in Schwierigkeiten.“
 

Die Gesichtszüge des Briten verhärteten sich, ehe er wieder hinter der Speisekarte verschwand. Scott glaubte förmlich dessen Gedankengänge hören zu können. Er fragte sich gerade, was er denn falsch gemacht hatte und wie er die Situation wieder bereinigen konnte. Exakt wie beim letzten Mal, als Luke das Haus seiner Mutter mit einem abfälligen Kommentar versehen hatte.
 

Leicht frustriert machte sich der Werwolf daran, ein Menü für sich selbst auszuwählen. Trotz der offenkundigen Spannung, welche die Luft gerade zum Schneiden dünn machte, verspürte er großen Hunger. Sein heutiges Essen hatte aus zwei Müsliriegeln und einer Instant-Nudelsuppe bestanden. Dementsprechend lief ihm das Wasser im Mund zusammen, wenn er an ein Stück gebratener Ente auf Reis dachte oder an Chop Suey.
 

Bis Mister Bo an ihren Tisch mit den Getränken zurückkehrte, hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Scott hatte gelegentlich einen Blick über den Kartenrand geworfen, doch Luke versteckte sein Antlitz sehr gut dahinter. Dementsprechend schwer war es für ihn, dessen Reaktion zu deuten, die quasi nonexistent erschien. Scott erhielt seine Cola und Luke wurde eine Schale dampfender, leicht bernsteinfarbener Flüssigkeit vor die Nase gesetzt. Er sah auf, musterte dann das Getränk und räusperte sich.
 

„Entschuldigen Sie bitte, Mister Bo, aber ich habe es mir anders überlegt. Ich möchte Ihnen keine Schwierigkeiten bereiten, das steht nicht dafür. Könnten Sie mir stattdessen eine Tasse Jasmintee bereits jetzt bringen? Natürlich komme ich für den Reiswein auf.“ Luke verzog dabei keine Miene, er klang auch nicht sonderlich schuldbewusst, nur höflich.
 

„Wie Sie möchten“, lautete die Antwort von Mister Bo, dem sichtlich eine Last von den Schultern fiel.
 

„Ich würde auch vorschlagen, dass Sie die Rollläden öffnen und den Betrieb wiederaufnehmen.“ Der Brite kratzte sich mit dem Daumen unter seinem Auge. „Ich werde natürlich für unsere Plätze den vollen Preis bezahlen, wie auch für den Verdienstentgang, den Sie hatten. Sofern es möglich wäre, würde ich aber darum bitten, dass der hintere Bereich hier dennoch nicht als Erstes besetzt wird.“
 

Das Gesicht des Asiaten sprach Bände und er nickte erneut. Scott wurde ein dankbares Lächeln geschenkt, so als würde er ihn für den plötzlichen Sinneswandel seines Gastes verantwortlich machen. „Haben Sie sich denn schon entschieden?“, wollte er von beiden wissen.
 

Der Werwolf musste sich ein Lachen verkneifen. Innerhalb von fünf Minuten hatte er Luke umstimmen können und das ohne große Mühe. Stiles´ Worten entsprang wohl doch ein Fünkchen Wahrheit, als dieser meinte, er würde großen Einfluss auf den Briten ausüben können. Der Gedanke, nicht mehr in einem gespenstisch leeren Lokal zu sitzen, ließ ihn erleichtert aufatmen.
 

„Hast du, Scott?“, wollte seine Verabredung wissen und dabei entging ihm nicht deren leicht schuldbewusste Miene.
 

„Ähm, ja!“ Der Werwolf bestellte sich zwei Frühlingsrollen, dann eine gebratene Ente auf Reis mit Sojasprossen und als Nachtisch eine gebackene Banane im Honigmantel. Luke wählte eine Nudelsuppe, als Hauptgang Gong Bao Huhn und als Nachtisch ebenfalls eine gebackene Banane im Honigmantel aus. Mister Bo schenkte ihnen nun beiden ein ehrliches und deutlich lockereres Lächeln, nahm die Speisekarten und die Schale Reiswein mit und entfernte sich.
 

„So besser?“, erkundigte sich Luke und legte die Hände auf den runden Tisch.
 

„Viel besser“, bestätigte ihm Scott zufrieden.
 

„Wie du meinst“, gab seine Verabredung zurück.
 

„Findest du nicht?“
 

Luke zuckte mit den Schultern: „Für mich ist es normal, alleine essen zu gehen. Ich will nicht beobachtet werden.“
 

„In der Cafeteria ist es doch auch okay?“, gab der Werwolf zu bedenken.
 

„Da ist es unvermeidbar. Außerdem bist du in meiner unmittelbaren Nähe. Das ist etwas anderes.“ Dabei errötete der Brite leicht und räusperte sich erneut. „Vergiss einfach, was ich gesagt habe, ja?“
 

Scott musste sich ein Lächeln verkneifen. Da war wieder, jener süße Luke, der sich sanftmütig und schüchtern verhielt. Dieser weiche Kern, der unter der harten und versnobten Schale verborgen lag. Er fragte sich mittlerweile, ob dieses andere Ich nicht nur ein Schutzpanzer war, um den verletzlichen Jungen zu verbergen, der in seinem Inneren wohnte.
 

„Das ist doch hier auch so?“
 

„Das hier ist etwas anderes. Es ist ein… ein Date und ich wollte es einfach nicht vergeigen, okay? Niemanden geht an, was ich in meiner Freizeit mache und mit wem. Das habe ich bei Alex damals schon so zu halten versucht.“ Seine Augenbrauen wanderten dabei nach unten und er schloss den Mund, da Mister Bo um die Ecke kam, mit den Vorspeisen und dem Jasmintee. Er wünschte ihnen guten Appetit, wobei Scott tatsächlich handelsübliches Besteck ausgehändigt bekam und verschwand dann wieder.
 

Der Werwolf zog kurz in Erwägung, bei der Erwähnung des Namens Alex einzuhaken, doch er wollte ihr erstes Date, worum es sich hierbei zweifelsohne handelte, nicht völlig ruinieren. Luke verhielt sich jetzt ein wenig ruhiger und bedeckter, während er dazu übergegangen war, seine Suppe zu essen.
 

„Hast du eigentlich Heimweh?“, fragte er stattdessen und probierte eine seiner Frühlingsrollen, die heute besonders gut schmeckte.
 

„Ein wenig“, gab Luke leise zu. „Beacon Hills ist nicht Cambridge, genauso wenig wie es Cambridgeshire ist. Ich vermisse den Geruch des frühmorgentlichen Regens, die weiten und satten grünen Felder, sogar London vermisse ich ein wenig. Das regelmäßige Schlagen des Big Bens, frische Scones mit Clotted Cream und dazu eine Tasse frischen Earl Greys.“ Er rieb sich den Nacken. „Nicht, dass Beacon Hills nicht auch etwas zu bieten hätte. Der Wald ist wunderschön und es ist ruhig hier. Zumal du hier wohnst.“ Der letzte Satz war nicht viel mehr als ein undeutliches Nuscheln und ließ Scott leise auflachen.
 

„Du weißt, dass das süß ist?“, kam es grinsend seine Lippen.
 

„Süß ist die kleine Schwester von scheiße, weißt du das denn?“, grinste Luke verlegen zurück. Dann wurde er wieder ernst und fügte an: „Ich wollte außerdem den Ort kennenlernen, an dem Mom gestorben ist. Hier ist es schließlich passiert.“
 

Schlagartig war die gute Laune wieder dahin. Scott kaute auf seiner zweiten Frühlingsrolle herum und ließ Luke die nötige Zeit, die er brauchte, um sich wieder zu fangen. Man merkte dem Briten an, dass es ihm schwer fiel über dieses Thema zu sprechen. Der Alpha hatte auch nicht vor, auf das Thema weiter einzugehen.
 

„Es ist einfach seltsam. Ich bin vor dem Grabstein gestanden und war traurig, dabei kannte ich sie eigentlich nicht. Meine Mutter war mir fremd. Sie hat sich nie gemeldet oder Interesse an mir gezeigt. Dad war sowieso dagegen, dass ich mit ihr Kontakt aufnehme. Ich weiß nicht, was damals vorgefallen ist, nach meiner Geburt, doch es muss etwas Gravierendes gewesen sein.“ Luke straffte seine Haltung ein wenig und ein trauriges Lächeln erschien in seinem Gesicht. „Er hat sie einmal mit einem Jaguar verglichen: Wunderschön, aber sehr gefährlich und unberechenbar. Auf meine Frage hin, was er damit meine, wurde ich ausgelacht.“
 

Scott konnte Luke dabei beobachten, wie dieser seinen letzten Rest Suppe vertilgte und sich dann dem Jasmintee zuwandte. Für ihn klang dieser Waffenmagnat, oder als was auch immer man diesen Daniel Taylor einordnen konnte, nach einem distanziert-reservierten Menschen, der Kate wahrscheinlich durchschaut hatte. Seinen Sohn darüber aufzuklären wäre falsch gewesen, ihn aber so im Dunkeln tappen zu lassen, genauso. Die Sehnsucht nach Kate, oder besser gesagt deren Anerkennung, stand Luke förmlich ins Gesicht geschrieben.
 

„Hat dein Vater denn nie eine andere Frau in seine Nähe gelassen?“ Scott nippte an seiner Cola und versuchte das Gespräch ein wenig von Kate wegzufokussieren.
 

„Nein. Es gab da mal eine Frau, diese Grace, aber die hat er bald wieder abgeschossen. Ich habe sie eigentlich nur zweimal gesehen. Dad hält mich aus seinem Privatleben größtenteils heraus. Wir sehen uns auch selten. Er ist meist unterwegs und wenn er dann einmal zuhause ist, erstickt er trotzdem in Arbeit oder widmet sich anderen Hobbys, der Vervollständigung seiner Briefmarkensammlung, dem Golf, Cricket oder der Jagd, je nachdem. Oder er schmeißt irgendeine Feier, bei der ein Haufen reicher alter Säcke sich gegenseitig daran aufgeilen, wer den größten Kontostand hat.“ Luke lachte plötzlich auf. „Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie dieser Richard Morgan, irgend so ein Investmentbanker, bei der Fuchstreibjagd aus dem Sattel gefallen ist, weil sein Pferd Angst vor Hakim hatte und scheute. Das Gesicht war unbezahlbar.“
 

Scott war erstaunt, dass Luke nun doch so freizügig über sich erzählte. Das Restaurant war noch immer kaum befüllt, aber die ersten Gäste hatten sich dennoch eingefunden. Entweder ignorierte der Brite diesen Umstand geflissentlich oder es war ihm einfach egal, was sehr konträr zu seiner vorherigen Aussage war.
 

Man brachte die Hauptspeise, während sie sich weiter über alles Mögliche unterhielten. Die gebratene Ente schmeckte ebenso hervorragend wie auch die Frühlingsrollen. Scott schlang das Essen dementsprechend hinunter, unter Aufsicht eines amüsierten Lukes.
 

„Ich soll deine Mutter übrigens von Jonathan grüßen. Er wäre ihr wirklich sehr verbunden ob des Rezepts für ihr Pancakes. Mein Schwärmen war wohl ausreichend, um ihn neugierig zu machen“, sagte er, zwischen zwei Happen Hähnchenfleisch.
 

„Wirklich? Mom meinte noch einmal zu mir, sie seien ganz gewöhnlich.“
 

„Natürlich, denkst du, ich würde lügen? Jonathan ist ein guter Koch, doch so gute Pancakes hat er noch nie gezaubert.“
 

„Du magst diesen Jonathan, hm?“ Scott konnte beobachten, wie Lukes Haltung sich erneut ein wenig veränderte. Er wurde ruhiger, gelassener und wirkte dabei zeitgleich sogar ein wenig glücklich und auch stolz. Die grau-grünen Augen strahlten ein gewisses Maß an Wärme aus, als er leicht nickte.
 

„Jonathan kennt mich von klein auf. Er ist ein exzellenter Butler und arbeitete schon lange vor meiner Geburt für Dad. In diesen 25 oder 30 Jahren, seit denen er bei uns ist, gab es nicht einen einzigen Tag, an dem er meinen Vater nicht zufriedengestellt hätte und mich auch.“ Luke nippte an seiner Tasse und rieb sich die Schulter. „Er hat auf mich aufgepasst, mich getröstet und war für mich da, als ich ihn gebraucht habe. Das liegt nicht in seinem Aufgabenbereich. Jonathan ist eine der wenigen Personen, denen ich Hakim anvertrauen würde. Er ist wie Alfred für Bruce Wayne.“
 

Scott kam bei diesen Worten jene Situation in den Sinn, als Stiles und er diesen Schulbus gefilzt hatten, weil sie glaubten, er habe den Fahrer getötet, dabei war es Peter gewesen. Sein bester Freund hatte einen ähnlichen Batman und Robinvergleich vom Stapel gelassen. In einem Punkt würden sich Luke und Stiles gut zu ergänzen: Ihr Hang zu Superhelden.
 

„Jonathan ist mehr als ein bloßer Butler für mich. Er ist es gewesen, der mich zu meinen Spielen begleitet hat, zu den Langlaufrennen, mir bei Problemen zur Seite gestanden hat, die ich nicht selbst habe lösen können. Er war nahezu nie krank und selbst in diesen Zeiten pflichtbewusst und darauf bedacht, seine Aufgaben zu erfüllen und er weiß nahezu alles von mir. Sogar von dir weiß er Bescheid.“ Lukes Augen begannen förmlich zu leuchten, bei der Erwähnung dieses Umstandes.
 

„Ist das gut oder schlecht?“, wollte Scott wissen. Selbst ein Blinder hätte gesehen, wie sehr sein Gegenüber an diesem Jonathan hing. Das wiederum ließ den Werwolf daran zweifeln, ob Luke überhaupt dazu in der Lage war, so ein Arsch zu sein. Hätte er es nicht selbst mitbekommen…
 

„Jonathan würde sich niemals eine Wertung erlauben, das wäre unprofessionell, ich habe es ihm aber angemerkt: Er hat sich gefreut. So gut kenne ich ihn. Du wirst ihn sowieso kennenlernen, wenn du bei mir übernachtest.“ Dabei beschleunigte sich Lukes Herzschlag hörbar. „Sofern du übernachtest“, korrigierte er sich rasch.
 

Das war nun der Moment, in dem Scott sich entscheiden musste. Wollte er bei Luke übernachten? Was würden sie machen? Bei Allison war er selten über Nacht zu Gast gewesen, da es irgendwann zu gefährlich geworden war, zuerst wegen ihrer Eltern, dann wegen Gerard, später wegen allen Dreien und am Ende hatten sie sich getrennt.
 

Er konnte die Entscheidung noch ein wenig hinauszögern, denn der Nachtisch kam. Nachdenklich kaute Scott auf seinem Stück Banane herum. Was sprach dafür und was sprach dagegen? Er war mit Stiles noch einmal sämtliche Vor- und Nachteile durchgegangen und kam sich, im Nachhinein, reichlich albern deswegen vor. Eine Pro- und Kontraliste erstellte man für andere Angelegenheiten. Die Pros hatten dabei übrigens eindeutig überwogen. Stiles´ Ratschlag belief sich schlussendlich darauf, dass Scott einfach auf sein Herz hören sollte und wenn er das tat, dann stand die Antwort bereits fest.
 

„Wenn es dir keine Umstände macht?“
 

Lukes Gesicht hellte sich nicht nur auf, er strahlte förmlich. „Wo denkst du hin? Überhaupt nicht! Ich habe Jonathan bereits angewiesen, das Gästezimmer beziehfertig machen zu lassen. Du musst nur noch sagen, was du zum Frühstück willst. Wir könnten auch die ganze Nacht aufbleiben und irgendetwas zocken oder einen Film gucken, oder eine Serie, oder keine Ahnung…“ Die Vorzüge einer Übernachtung wurden dem Alpha mehr als deutlich und überschwänglich erläutert.
 

„Ich bezahle eben, dann fahren wir, ja? Wenn du was zum Schlafen brauchst, ich habe genügend Sachen zuhause, die dir sicher auch passen.“ Luke schlang euphorisch und weit weniger gesittet als bisher seine Banane hinunter und lehnte sich mit seinem Stuhl nach hinten, um in die Küche zu winken.
 

Während er ihn dabei beobachtete, erlangte Scott eine tiefgreifende Erkenntnis: Dieser Junge, der da gerade Mister Bo freudestrahlend seine Kreditkarte in die Hand drückte, war ihm in fünf Tagen wichtig geworden. Er litt mit ihm, freute sich mit ihm und das waren genau jene Empfindungen, die auch Stiles mit Derek teilte, Allison mit Isaac und Lydia mit Aiden. Alle drei bildeten ein Team und der eine Part konnte auf den anderen mäßigend einwirken. Stiles war in der Lage Derek zu bremsen, Allison Isaac aus der Reserve zu locken und Lydia verpasste Aiden ein angenehmeres Image. Er hatte alle drei Dinge bei Luke vollbracht. War das Einbildung? Wunschdenken? Ein Tagtraum?
 

„Scott? Wollen wir fahren?“ Luke war bereits aufgestanden und hielt ihm dabei seine Jacke entgegen.
 

„Klar“, entgegnete er lächelnd und schlüpfte in das Kleidungsstück.
 

Nein, das Date war kein Fehlschlag gewesen, im Gegenteil. Er war in der Lage unter diese harte, eingebildete und verschrobene Oberfläche zu gelangen und den guten Kern in Luke hervorzukitzeln. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als Luke zögerlich nach seiner Hand griff und Scott sie fest drückte. Sie waren heute mit einem kleinen Disput gestartet und gingen jetzt nach draußen, gemeinsam und er musste nicht zur Seite sehen, um zu bemerken, wie glücklich der Brite war. Sie verschränkten ihre Finger und verließen so das Restaurant. Von den wenigen Gästen schenkte ihnen niemand Beachtung, nur Mister Bo kam noch einmal herbeigeeilt und hielt ihnen, mit einem nun ehrlichen Lächeln, die Tür auf. Der Körperkontakt fühlte sich richtig und gut an. Ein L und ein A und der Alpha war sich sicher, dass der Junge neben ihm darauf hoffte, dass ein S und ein M durch die Narbe hindurchzuscheinen vermochte. Zum ersten Mal seit Allisons Trennung fühlte sich Scott nicht mehr innerlich leer. Eine Leere, die niemand zu kompensieren vermochte, bis auf jener junge Mann, der gerade neben ihm herging.
 

„Scott?“, lispelte Luke ihm zu.
 

„Hm?“
 

„Danke.“
 

Bevor Scott etwas sagen konnte, wurde er geküsst, rasch und flüchtig.
 

„Wofür war das denn?“, wollte er überrumpelt wissen.
 

„Etwas, das du nicht verstehst. Ich erkläre es dir auch nicht, nur… danke, dass es dich gibt.“ Damit zog Luke ihn ins Auto und machte sich rasch daran, den Motor anzulassen. Innerlich lächelte Scott und beließ es dabei. Er würde auch in der Höhle des Löwen, gemeinsam mit Gerard, ausharren - es war nämlich jede einzelne Sekunde wert.

Zu schnell, zu langsam oder genau richtig?

Luke verhielt sich erstaunlich ruhig, während sie den Weg zu seiner Wohnung antraten. Ein gelegentliches Nicken, wie auch einsilbige Antworten waren alles, was Scott bekam, wenn er mit ihm sprach. Es war dennoch unübersehbar, wie sehr sich der Brite freute. Er strahlte förmlich und sowohl Herzschlag, als auch Atem, waren unregelmäßig und wild.
 

Die Gedanken des Werwolfs schweiften ab, als er das Licht der vorbeiziehenden Straßenlaternen beobachtete. Etwas in ihm veränderte sich gerade und das in einem rasanten Tempo. Für ihn war es beinahe so, als würde er sich nach Lukes Nähe und Zuneigung sehnen. Beide Aspekte, sowohl der Mensch, als auch der Werwolf, wollten mit diesem Jungen Zeit verbringen. Diese Empfindungen waren nicht unbekannt – beim letzten Mitglied der Familie Argent hatte er ähnlich gefühlt, nur weitaus weniger intensiv. Wenn er beide Zustände verglich, so wirkte es bei Allison wie eine kleine lodernde Flamme, die ihn von innen heraus wärmte, das Licht der Sonne, das einem auf der Haut prickelte; bei Luke hingegen…
 

Scott lauschte tief in sich hinein. Sobald er an den Briten dachte, verspürte er ein Brennen im ganzen Körper, ein Feuer, das ihn zu verschlingen drohte, gefährlich und doch wunderschön. Jede einzelne Sekunde war einzigartig. Er war in der Lage dieses Feuer zu bändigen, ihn versengte es nicht, im Gegenteil: Es behütete ihn.
 

Lukes Blick beinhaltete weit mehr als bloßes Verschossen sein, oder Verlangen, nach seinem Körper, der Hülle, die mittlerweile wohl recht ansehnlich war. Nein, der Dunkelblonde liebte ihn und das musste er abgöttisch tun, wenn er seine Meinung so schnell änderte, nur auf Basis von Scotts Tadel. Fühlte man so bei seinem Seelengefährten?
 

„Wir sind da“, riss ihn Luke aus seinem innersten Ich heraus. „Hast du etwas?“ Er klang besorgt.
 

„Nein“, antwortete Scott und blinzelte mehrmals, um wieder in der Realität anzukommen.
 

„Okay.“ Der zweifelnde Blick seines Dates sprach Bände und doch wurden keine weiteren Fragen gestellt, stattdessen führte man den Alpha erneut über die Tiefgarage nach oben, in die taylor´sche Wohnung.
 

„Ich habe Grandpa heute mit seiner Pflegerin ins Theater geschickt. Jonathan hat auch frei bekommen, steht aber auf Abruf bereit. Wir sind also alleine“, erklärte er ihm beiläufig und sperrte auf. „Er hat aber noch alles vorbereitet.“
 

Die Frage, was denn der Butler vorbereitet habe, blieb Scott im Halse stecken, denn er wurde von Luke an der Hand genommen und in dessen Zimmer gezogen. Dort warteten bereits mehre Schüsseln mit Knabbereien, verschiedene Limonaden, Cookies und eine breite Auswahl an Blue-Rays, fein säuberlich auf dem Tisch vor dem Sofa aufgestapelt, auf sie.
 

„Er hat auch noch irgendwelches gesundes Zeug gemacht, aber das steht im Kühlschrank. Auf Gemüsesticks und Dips kann ich herzlich verzichten, es sei denn, du hast Lust darauf.“ Luke legte den Schlüssel auf seinen Schreibtisch, entledigte sich der Jacke und den Sneakers, wobei beides neben und auf dem Bürostuhl landete und wandte sich dann wieder Scott zu: „Fühl dich wie zuhause, Scott.“
 

Dieser Teil des Abends schien minutiös geplant worden zu sein. Scott hatte nichts machen müssen, außer sich einen Film und etwaige Knabbereien auszusuchen. Die Cookies ließ er nach den gebackenen Bananen aus, dafür erfreute er sich umso mehr an den selbstgebackenen Chips und dem Popcorn, welches deutlich frischer schmeckte als jenes aus der Mikrowelle. Seine Wahl war auf einen Detektiv Conan Film gefallen, und dass auch mehr instinktiv – er hatte richtig entschieden, als Luke sich fast überschlug, die Blue-Ray einzulegen.
 

„Der soll der Hammer sein. Makoto hat da einen großen Auftritt“, erklärte ihm der Brite begeistert.
 

„Makoto?“ Scott schob sich eine Handvoll Chips in den Mund.
 

„Makoto Kyogoku ist der ungeschlagene Champ des Karates. Er hat 400 Wettkämpfe in Folge gewonnen.“ Seine Augen leuchteten förmlich, während er damit begann, Scott kurz über das Detektiv Conan Fandom aufzuklären.
 

„Ich dachte, Dragonball sei dein Lieblingsanime?“
 

„Ist es auch, aber man konsumiert alles, was man bekommen kann. Ich liebe Pokemon und Digimon genauso, wie auch Detektiv Conan und Kaito Kid.“ Damit ließ sich Luke neben Scott fallen und schnappte sich die Fernbedienung. „Das wird der beste Abend seit Monaten!“
 

Binnen kürzester Zeit war sein Gastgeber in seinem Element. Jede einzelne Szene wurde mitverfolgt und auch analysiert. Er wirkte wie ein kleiner Junge bei der Erstaufführung seines Lieblingsfilms im Kino. Diese Begeisterung war zwar nicht so ansteckend, wie versprochen, doch Scott musste zugeben, dass die folgenden eineinhalb Stunden weit weniger langweilig waren als angenommen. Das mochte auch dem Umstand geschuldet sein, dass Luke an ihn herangerückt und irgendwann seinen Kopf an die Schulter des Werwolfs gelegt hatte. Dieser war dazu übergegangen, seinen Arm um Luke zu legen und ihn noch ein wenig näher an sich heranzuziehen.
 

Es war verrückt: Scott saß mit einem Klassenkollegen, den er erst seit fünf Tagen kannte, bei ihm im Zimmer, schaute sich einen absolut unbekannten ausländischen Film an, kuschelte mit dem eigentlich Fremden so vertraut wie bei einer langjährigen Beziehung und war auch genauso in ihn verliebt. Unbewusst kreiste das L-Wort durch seine Gedanken. Er liebte Luke, kein Zweifel. Warum dieser bezüglich seines Nachnamens log erschien gerade unwichtig. Ihm war es im Augenblick sogar egal, ob der Junge an seiner Schulter sein Seelengefährte war oder nicht: In seiner Nähe fühlte sich Scott glücklich und konnte seine Sorgen vergessen.
 

„Makoto erinnert mich an mich selbst“, meinte Luke bei der Szene, in der der Karatekämpfer sich seine Freundin auf den Rücken band und dann den anderen Champ vermöbelte.
 

„Du bist aber weder braun, noch schwarzhaarig, noch trägst du eine Brille“, neckte ihn Scott und kassierte dafür einen bösen Blick.
 

„Natürlich sehen wir uns nicht ähnlich – Makoto ist Japaner.“ Er hob den Kopf an, um ihn zu schütteln, nur um sich dann sogleich wieder an Scott zu schmiegen. „Makoto tut für Sonoko alles, verzichtet sogar auf seinen Traum, bei dem Turnier mitzumachen und auf das Kämpfen, weil er Angst davor hat, dass sie dabei zu Schaden kommt.“
 

„Er hat aber gerade den anderen verprügelt?“, hielt der Alpha dagegen.
 

„Erst als Kaito ihm das Armband zerschnitten hat. Du siehst die Botschaft dahinter nicht.“
 

„Welche denn?“
 

Luke drehte seinen Kopf erneut, sodass er zu Scott hinaufsehen konnte, um ihm einen warmen Blick zu schenken: „Er liebt sie. Selbst als er geblutet hat, war seine größte Sorge, ob es ihr gut geht und als er sie wieder losgebunden hat, entschuldigte er sich dafür, dass der Gurt zu fest war. Er liebt sie so sehr…“
 

Bevor er reagieren konnte, war der Brite schon auf Augenhöhe und verschloss seine Lippen mit einem Kuss. Dessen Hände ruhten auf seinen Schultern und er verlagerte dabei seine Position so, dass er auf seinem Schoß Platz gefunden hatte. Scott war im ersten Moment erschrocken, doch das legte sich alsbald und er erwiderte den Kuss; eine unschuldige, reine und vor allem liebevolle Geste.
 

„Ich wäre so gerne dein Makoto“, hauchte ihm Luke zu, sobald er sich wenige Millimeter von ihm gelöst hatte. „Nicht, dass du einen starken Kämpfer an deiner Seite bräuchtest, aber ich würde mir dich genauso auf den Rücken binden und für dich kämpfen.“
 

Das war die seltsamste, aber auch zeitgleich schönste Liebesbekundung, die Scott jemals erhalten hatte. Wieder folgte ein hastiger Kuss und Lukes Wangen glühten dabei, als er sich in seinem Shirt mit den Fingern verhakte. Während er diesen persönlichen und innigen Augenblick genoss, veränderte sich spürbar etwas in dem Werwolf. Eine Verbindung, die sich langsam formte und auch festigte. Automatisch legte er die Arme um Luke und lehnte sich in die Geste hinein. Er hatte ihm gerade gesagt, wenn auch über Umwege, dass er ihn liebte; der Brite hatte den ersten Schritt gewagt und so wie er an ihm hing, meinte er das auch so.
 

Dieses Mal unterbrach Scott den Kuss und er konnte in ein Paar aufgeregter grau-grüner Augen sehen, die fast schon panisch versuchten, seinem Blick auszuweichen. Luke war so anders als Allison: Selbstsüchtig, überheblich, egoistisch, gemein und dabei weich, verletzlich, zärtlich und schüchtern. Zwei gegensätzliche Universen, die eigentlich so gar nicht existieren hätten dürfen und doch gab es sie.
 

„Hast du mir gerade gesagt, dass du mich liebst?“, fragte er leise.
 

„V-Vielleicht?“, gab der Dunkelblonde leise zurück. „Es war zu früh, oder?“
 

„Es war früh…“, bestätigte ihm Scott und konnte beobachten, wie Luke in seinen Armen einzuknicken drohte. „aber auch richtig.“ Damit ergriff er selbst die Initiative und forderte einen neuerlichen Kuss.
 

Nun war es Luke, der überrascht war und die Augen weit aufriss, ehe seine Lider zufielen und er sich an den Alpha kuschelte. Nein, dieser Junge konnte unmöglich ein Werkzeug Gerards sein. Vielleicht mochte er ein guter Schauspieler sein, aber seine Gefühle waren echt. Scott hätte eine Lüge durchschaut.
 

Der Kontrollverlust vom letzten Mal blieb aus, im Gegenteil: Seine innere Ausgeglichenheit kehrte zurück. Die Leere, die er seit der Trennung von Allison empfunden hatte, rückte beständig in den Hintergrund. Das Vakuum in seinem Herzen füllte sich und er streckte Luke seine Brust entgegen, als eine seiner Hände dort ruhte. Dessen Lippen schmeckten nach Chips, Popcorn und Schokolade, eigentlich eine grausame Kombination und doch konnte sich Scott nicht vorstellen, jemals etwas Besseres in seinem Leben gekostet zu haben.
 

„Du hast so wunderschöne Augen, Scott“, wisperte der Brite und strich ihm durch sein Haar. „Ein dunkles Braun, das dem von To´ak-Schokolade gleicht: süß und dabei doch mit einem Hauch von Bitterkeit versehen.“ Er drückte ihm einen weiteren Kuss auf den Mundwinkel und lächelte dann verliebt. „Ich könnte mich in dieser Schwärze verlieren und im Ozean der Dunkelheit treiben lassen, ohne Angst, von ihr verschluckt zu werden.“
 

Scott wusste ehrlich gesagt nicht, was er darauf sagen sollte. Er war ein Teenager, der eigentlich an andere Dinge dachte, jedoch klang jede einzelne Silbe aus Lukes Mund so wunderschön, dass er noch mehr davon hören wollte. Es war unmöglich, sich so schnell ineinander zu verlieben und doch passierte es gerade.
 

„Ich…“, öffnete er den Mund und schloss ihn sogleich wieder. Was erwiderte man auf so etwas? Der Werwolf war noch sonderlich gut darin gewesen, seine Liebe auszudrücken, schon gar nicht einem Jungen gegenüber. In dieser Situation war er eigentlich noch nie gewesen. Ihm schwirrten tausende Gedanken durch den Kopf, Sätze, die er alsbald wieder verwarf, Worte, die nicht dem gerecht wurden, was er empfand.
 

„Du…?“ Luke legte den Kopf schief und schaute ihn abwartend, wie auch auffordernd, an.
 

Der Alpha überlegte, bis er sich einfach für die Wahrheit entschied: „Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Das war so viel und so schnell auf einmal, aber es fühlt sich richtig an. Ich mag dich auch, sehr sogar, und ich bin gerade glücklich.“
 

„Du magst mich sehr?“ Ein Schmunzeln erschien auf den Zügen seines Gegenübers. „Ich denke, ich fasse das mal als positive Reaktion auf meine Aussage auf, hm?“
 

„Kannst du“, bestätigte er ihm nickend.
 

„Dir ist aber bewusst, was das bedeutet?“
 

„Hm?“
 

„Dass du ab sofort den Schulfraß nicht mehr essen musst.“
 

Scott brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Luke damit meinte, ehe er lauthals zu lachen begann. Der letzte Rest an Anspannung fiel vom Briten ab und er stimmte in das Lachen mit ein. Daran hatte er noch gar nicht gedacht und es war dem Werwolf auch nicht wichtig, aber damit konnte er seinem Magen etwas Gutes tun und Geld sparen, das er sowieso dringend benötigte.
 

„Erstelle am besten schon einmal eine Liste mit deinen persönlichen Essenswünschen, damit Jonathan weiß, was er dir zubereiten soll.“ Luke rückte den Kopf wieder gerade und stahl sich noch einen letzten Kuss, bevor er von Scott herunterrutschte, aufstand und sich streckte.
 

„Ich will aber keine Umstände machen, das wäre unhöflich!“, protestierte der Werwolf.
 

„Jonathan kocht gerne und er wird dich genauso mögen wie ich. Das hat er immer getan“, wischte der Dunkelblonde seine Bedenken beiseite.
 

„Ich esse einfach das, was du auch isst.“
 

„Dann hoffe ich, du magst Chinesisch gerne.“ Plötzlich wurde der Brite wieder ernst und rieb sich verlegen den linken Oberarm. „Willst du eigentlich bei mir schlafen? Ich meine, es ist ja nicht so, als hätten wir nicht bereits mehr gemacht.“ Damit nickte er in Richtung der Schlafstatt, in der heute eine Spidermanbettwäsche ihren Platz gefunden hatte. „Das Gästezimmer ist ähnlich gut aufgestellt, keine Sorge. Nur, falls du nicht möchtest. Die Bettwäsche besteht aus ägyptischer Seide mit mindestens fünfzig Millionen Fäden, handgewebt. Es ist, als würdest du auf einer Wolke schlafen.“
 

„Möchte ich“, antwortete ihm Scott sofort. „Nur… für etwas anderes ist es noch zu früh.“ Hatte er das tatsächlich gesagt? Warum? In seiner letzten Beziehung hätte er beim ersten Date bereits alles dafür gegeben, mehr als bloßes Händchenhalten zu machen und hier…
 

„Ich hätte auch nicht gewollt, dafür ist mir das hier zu kostbar.“ Luke rollte mit den Schultern und räusperte sich dann. „Wo das Badezimmer ist, weißt du ja bereits. Jonathan hat dir bereits eine Zahnbürste rausgelegt, genauso wie Schlafsachen von mir. Sag mir kurz noch, was du dir zum Frühstück wünschst, dann schreibe ich es ihm auf.“
 

„Ehm, okay?“ Das bedeutete, sein Date war bereits von einer Übernachtung ausgegangen, mehr noch als ohnehin schon. Wieder keimte kurz der Verdacht einer Falle auf, doch bei dem Gedanken daran, Luke beim Einschlafen festzuhalten, verbannte er diese Vermutung einfach. „Keine Ahnung? Was frühstückst du denn?“
 

„Wir haben alles da, angefangen mit Porridge, über Brötchen, Rührei, Bacon, verschiedene Marmeladen, sag einfach, was du willst. Sonst besorgt er es noch morgen.“
 

„Ein ganz normales Frühstück?“, verkündete Scott vorsichtig.
 

„Du sagst ihm einfach morgen Bescheid, machen wir es so?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schnappte Luke sich die Hinterlassenschaften und verschwand aus dem Zimmer.
 

Scott nutzte die Zeit inzwischen, sich die Zähne zu putzen und aus seinen Sachen zu schlüpfen. Fein säuberlich war tatsächlich alles bereits vorbereitet worden: Eine dünne, schwarze Trainingshose und ein weißes Shirt, beide fühlten sich erstaunlich bequem an, lagen auf dem Waschbecken bereit. Er würde also tatsächlich bei Luke übernachten. Dabei fiel ihm ein, seiner Mutter noch Bescheid zu sagen, dass er heute nicht nach Hause kommen würde. Das tat er auch sogleich, mittels einer kurzen Nachricht am Handy:
 

„Mom, ich übernachte heute bei einem Freund – mach dir keine Sorgen, ich komme morgen nach Hause. Ich liebe dich, Scott.“
 

Beim Umdrehen tapste ihm ein Luke entgegen, in einen Green Lantern Pyjama gekleidet. Das verliebte Lächeln von vorhin war noch immer in seinen Zügen präsent und er griff einmal ins Leere, weil er Scott anschmachtete, bis er es im zweiten Anlauf schaffte, sich seine Zahnbürste zu schnappen.
 

„Sowas Schlichtes steht dir“, meinte er noch und widmete sich seiner Zahnhygiene.
 

„Und wenn ich so einen Pyjama wie du wollen würde?“, foppte ihn der Werwolf.
 

„Kleiderschrank, oberes Fach“, nuschelte der Brite.
 

„Schon okay“, lachte Scott und machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer zurück. Vorsichtig betastete er die Bettwäsche, die sich tatsächlich deutlich weicher und feiner anfühlte als seine eigene zuhause.
 

Er würde gleich mit einem Jungen das Bett teilen. Das hatte er mit Stiles bereits auch mehrfach gemacht, ohne Hintergedanken, doch hierbei handelte es sich um eine gänzlich andere Situation. Stiles war sein bester Freund – Luke etwas anderes.
 

„Spidey beißt nicht“, kicherte es hinter ihm.
 

„Ich… das habe ich doch gar nicht gedacht!“
 

Ein Paar Arme schlang sich um ihn und er wurde sanft im Nacken geküsst: „Ich weiß. Keine Angst, ich beiße auch nicht.“
 

Scott musste ein leises und wohliges Seufzen unterdrücken. In seiner Brustgegend manifestierte sich eine angenehme Wärme, die noch weiter zunahm, als er von Luke ins Bett bugsiert wurde. Dessen letzter Blick wanderte zu dem Bild auf seinem Nachttisch, mit dem fremden Mann und seinem Hund, ehe er sich wieder an den Werwolf schmiegte und zu ihm aufsah: „Darf ich?“ Dabei nickte er in Richtung von dessen Brust.
 

„Was willst du denn?“
 

„Dich als Kopfkissen missbrauchen?“
 

„Ähm… klar?“
 

Kaum, dass der letzte Buchstabe ausgesprochen war, spürte er eine angenehme Schwere auf seiner Brust, die von Lukes Kopf herrührte. Umständlich fingerte er noch nach einer kleinen Fernbedienung, mit der er das Licht der Deckenlampe dimmte, sodass ein normaler Mensch kaum noch etwas erkennen konnte und schnappte sich dann eine von Scotts Hände, deren Finger er mit seinen eigenen verwob.
 

„Scott?“, erklang es aus der Dunkelheit heraus.
 

„Hm?“
 

„Gute Nacht und danke noch einmal dafür, dass du hier bist.“
 

Damit schloss Luke die Augen und döste langsam weg, unter einer Streicheleinheit seitens Scott. Fünf ganze Tage und ein Date hatte es gedauert, und er war bereits in der Höhle des Löwen. Fünf simple Tage, mit Höhen und Tiefen. Trotz der ungewohnten Umgebung und der Gefahr, die durch Gerard ausging, auch wenn sich tatsächlich niemand außer ihnen beiden in der Wohnung zu befinden schien, war der Werwolf komplett ruhig. Luke war nicht nur angenehm warm, er strahle auch Wärme und Geborgenheit aus, nicht die Kälte und den Eigensinn, den er anderen gegenüber an den Tag legte. Auch, wenn Scott sich vornahm, auf der Hut zu sein, dämmerte er nach einer guten halben Stunde weg und er schlief wie ein Stein, trotz des Zusatzgewichts, welches auf ihm lastete. Ein kompliziertes und umständliches „Ich liebe dich“, doch es hatte funktioniert.

Detective Stilinski auf heißer Spur

Wieder ein Kapitel aus der Sicht von Stiles. Viel Spaß! :)

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Stiles hatte den Nachmittag produktiv verbringen wollen und sich mit der Frage beschäftigt, ob Luke nun von Geburt an ein Argent gewesen ist oder ob es sich bei ihm tatsächlich um einen Abkömmling der Familie Taylor handelte. Trotz der notwendigen Informationen, war es ihm nicht gelungen, genauere Auskünfte über Großvater Gerards Lieblingsenkel zu erlangen. Ihm fehlte es an der Legitimation solche Daten einzuholen – er war weder Vater, noch weniger Mutter und auch kein gesetzlicher Vertreter. Die englischen Behörden erwiesen sich als weitaus weniger kooperativ als angenommen. Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, war er zu Chris gefahren, bei dem er jetzt auch am Esstisch saß, eine Cola vor sich, während sein Gastgeber ein Bier genoss.
 

„Ich hätte eventuell auch gerne ein Bierchen gewollt“, grummelte Stiles und schlürfte an seinem Glas.
 

„Dafür bist du noch zu jung“, schmunzelte Allisons Vater und verschränkte die Hände auf der Tischplatte. „Du hast am Telefon etwas über Luke gesagt“, lenkte er das Gespräch ohne Umschweife auf den eigentlichen Grund von Stiles´ Erscheinen.
 

„Richtig. Du wirst nicht wissen, ob er bei seiner Geburt ein Argent war und erst nachher den Namen seines Vaters angenommen hat, oder nicht? Dem englischen Recht folgend, können nämlich die Eltern gemeinsam entscheiden, oder wahlweise ein Elternteil, welcher Nachname schlussendlich in die Geburtsurkunde eingetragen wird.“
 

Stiles konnte beobachten, wie Chris´ rechte Augenbraue verräterisch zuckte und er sich über seinen Dreitagesbart strich. Einen kurzen Schluck Bier später räusperte sich der ehemalige Jäger und kratzte sich am Kinn.
 

„Das ist eine ungewöhnliche Frage – warum interessierst du dich dafür?“
 

Allison hatte ihm also noch nichts von ihrer Vermutung erzählt und Derek und Chris waren nicht die besten Freunde, so war sich Stiles unsicher, inwieweit er ihn einweihen sollte. Das hier betraf schließlich nicht nur Luke, sondern auch Scott. Der Sohn des Sheriffs konnte schwer abschätzen, inwieweit Chris in seinem Neffen eine Bedrohung sah und welche Konsequenzen er daraus ziehen würde.
 

„Neugierde, Interesse, Langeweile“, zählte er auf und ließ sich dabei nicht in die Karten schauen.
 

Chris schwieg und musterte Stiles. Man konnte ihm förmlich ansehen wie er zögerte. Nach einer längeren Bedenkzeit, die beide Männer mit dem Leeren ihrer Flaschen beziehungsweise Gläser verbrachten, erhob Allisons Vater doch die Stimme: „Wenn ich ehrlich sein soll: Ich weiß es nicht. Das mit Luke war eine sehr komplizierte Sache und es ist eine lange Geschichte.“
 

„Ich habe Zeit.“
 

„Also gut.“ Chris seufzte und drehte sein Glas gedankenverloren in den Händen herum. „Luke war eigentlich kein Wunschkind. Mein Vater hat Kate dazu gedrängt, mit diesem Daniel Taylor auszugehen.“
 

„Also hat dein Vater das arrangiert“, schlussfolgerte Stiles.
 

„Dad war ganz scharf darauf, sie mit ihm zu verkuppeln. Er hat ihn beruflich kennengelernt und wohl bereits damals den nötigen Riecher besessen, dass aus diesem Mann noch weit mehr werden wird, als er bis dato bereits war.“ Allisons Vater rollte mit den Schultern und wich dabei dem Blick seines Gegenübers aus.
 

„Ich kenne den Lebenslauf von Daniel Taylor – es ist aber nicht möglich, etwas über Luke herauszufinden; sein Vater schirmt ihn mehr als gut vor der Öffentlichkeit ab. Der Junge ist quasi wie ein Schatten, existiert eigentlich nicht.“
 

„Das kann ich mir gut vorstellen. Kate hat diesen Daniel einmal mit nachhause gebracht. Er war höflich, reserviert und dabei erstaunlich herablassend. In seinen Augen waren wir alle Dreck, Kate einmal ausgenommen.“ Chris stand auf und warf einen Blick auf Stiles´ leeres Colaglas: „Willst du noch etwas?“
 

„Ja, bitte.“
 

Während sich sein Gesprächspartner daran machte, Bier und Cola nachzuschenken, ging Stiles die nächsten Schritte und Fragen, die er an ihn hatte, gedanklich durch. Chris verbarg etwas vor ihm, das stand bereits zu Beginn ihrer Konversation fest. Ihm war es sichtlich unangenehm, über seinen Neffen zu sprechen. Hatte Scott nicht erzählt, dass Victoria und er beabsichtigt hatten, Luke zu sich zu holen? Sollte er ihn damit konfrontieren?
 

Chris stellte das Glas vor Stiles ab und setzte sich wieder hin, sein Bier dieses Mal gleich in der Flasche belassend. Er überkreuzte die Beine unter dem Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick wich immer noch dem von Stiles aus, aber er setzte nahtlos dort an, wo sie aufgehört hatten:
 

„Als sie schwanger wurde, hat mein Vater sie gezwungen, Luke zu bekommen. Sie wollte ihn eigentlich abtreiben lassen, da er ihr die Zukunft versaut hätte. Sie war damals einfach so jung und auch, wenn Daniel bereits damals gut situiert war… sagen wir einfach, Kate konnte noch nie gut Verantwortung übernehmen, schon gar nicht für ein menschliches Wesen.“
 

„Das weiß ich bereits, Chris – Allison hat auch das mitbekommen. Ich brauche andere Informationen, Sachen, mit denen ich arbeiten kann. Wie war ihr Verhältnis zueinander und wie hat Gerard es geschafft, Luke so um den Finger zu wickeln? Soweit ich informiert bin, war Daniel von dieser Verbindung nicht sonderlich begeistert, oder?“
 

Stiles konnte beobachten, wie Chris sich ein wenig im Stuhl aufrichtete und wieder an seinem Bier nippte. Erneut strich er sich über die Wange und schien mit sich zu hadern. Der Sohn des Sheriffs kam den interessanten Punkten in Lukes Leben immer näher.
 

„Luke hat Kate vergöttert, wie er es auch bei meinem Vater zu tun scheint. Er ist sein Liebling. Dad hat ihn regelmäßig besucht und war gelegentlich bei seinen sportlichen Wettkämpfen dabei. Ein kleiner Junge oder ein Jugendlicher, dessen Vater kaum zuhause ist, und dessen einzige Konstante im Leben wahrscheinlich ein wechselnder Personalstab ist, der klammert sich alsbald an das Stück Familie, das sich ihm anbietet. Kate wollte trotzdem nichts von ihm wissen. Der Junge hat ihr oft Briefe geschickt, Bilder von sich, Zeitungsausschnitte, seine Zeugnisse; sie hat sie nicht mal angesehen.“
 

„Aber du“, induzierte der Sohn des Sheriffs.
 

„Als er sechs Jahre alt gewesen ist, kaum, dass er richtig schreiben konnte, hat er ihr geschrieben, ob sie ihn denn besuchen würde, er habe nämlich in vierzehn Tagen sein erstes Fußballspiel im Jugendkader und würde dabei alleine sein.“ Chris biss sich auf die Unterlippe und mahlte hörbar mit den Zähnen. „Mit neun hat er sie dann irgendwann einmal gefragt, ob Mami denn auf ihn böse sei, weil sie nicht reagieren würde. Er vermisse sie und habe sie furchtbar lieb.“
 

„Denkst du, dass er zuhause nicht glücklich ist oder war?“, fragte Stiles nach.
 

„Ich weiß es nicht, Stiles. Mein Vater hat ihn ebenso gut abgeschirmt. Die Briefe konnte er wohl nicht alle abfangen. Weißt du, Victoria und ich hätten ihn gerne bei uns aufgenommen. Ein weiteres Kind im Haus… es wäre schon gut gegangen.“
 

„Aber Gerard war dagegen?“
 

„Sowohl er, als auch Kate. Sie wollte einfach nichts mit ihm zu tun haben. Meine Schwester hat Luke einmal als den größten Fehler ihres Lebens bezeichnet.“ Chris nahm einen großen Schluck und wischte sich dann mit dem Handrücken über den Mund.
 

„Denkst du, dass Gerard ihn zu einem Jäger gemacht hat?“, stellte Stiles seine nächste Vermutung in den Raum.
 

„Vermutet ihr das denn?“
 

„Ich vermute es. Er hat Jackson bis zur Weißglut provoziert und Scott meinte, einige zweideutige Bemerkungen habe Luke auch gemacht. Die körperlichen Voraussetzungen sind da, er ist äußerst sportlich und scheint die nötige Gefühlskälte dazu zu besitzen.“ Chris´ Miene verdüsterte sich bei jedem Wort mehr, sodass Stiles sich genötigt fühlte, hastig anzufügen: „Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.“
 

„So wie du ihn beschreibst, scheint er sehr nach Kate zu kommen.“ Die Züge des ehemaligen Jägers entspannten sich ein wenig, während er sprach: „Es kann sein, doch das wäre ungewöhnlich.“
 

„Ungewöhnlich?“
 

„Du musst wissen, es gibt in unserer Familie eine Regel: Unsere Söhne werden zu Soldaten, unsere Töchter zu Anführern erzogen. Allison hätte die erste Wahl meines Vaters sein müssen, nicht Luke. Auch, wenn er mit den Traditionen durchaus gebrochen hat, wie wir ja spätestens seit letztem Jahr wissen, war er von dieser Einstellung immer überzeugt. Das hat etwas mit der Gründung unseres Familienzweigs zu tun.“
 

„Es würde aber erklären, warum er Victoria und dich in Ruhe gelassen hat. Allison kann auf eine Kindheit frei von übernatürlichen Phänomenen, die sie proaktiv betreffen würden, zurückblicken. Ich hege die Vermutung, dass Luke nicht nur Opas kleiner Liebling ist, weil er sein Sprungbrett in ein deutlich angenehmeres Leben war oder ist. Womit wir aber bei einer weitaus interessanteren Frage angelangt wären: Weißt du, ob es in Lukes Vergangenheit einen Unfall gab?“
 

Chris lauschte Stiles´ Ausführungen und eine Furche bildete sich bei der Frage auf seiner Stirn. „Wie kommst du denn darauf?“
 

„Weil er eine Narbe an der Seite besitzt und ich mich dafür interessiere“, bog sich Stiles die Wahrheit ein wenig zurecht. Das war ja nicht einmal gelogen. Den eigentlichen Grund seines Interesses verschwieg er nur gekonnt und Wahrheit war ja, bekanntermaßen, etwas sehr Subjektives.
 

„Narben können von überall herrühren, Stiles und sie sind eigentlich nichts Ungewöhnliches, oder?“ Allisons Vater verengte die Augen ein wenig.
 

„Aber jede Narbe erzählt auch eine Geschichte. Ich bin einfach an Lukes Vergangenheit sehr interessiert. Wenn du etwas weißt, bitte… es ist wichtig, sehr wichtig. Vor allem, ob sein Nachname Argent oder Taylor lautet oder gelautet hat. Alles was du weißt, könnte helfen“, beschwor ihn der Sohn des Sheriffs.
 

Sein Gegenüber strich mit der Zungenspitze über die Lippen und man konnte ihm sein Hadern ansehen. Chris´ Blick wanderte von Stiles zur Tischplatte, seinem Bier und dann wieder zurück. Wahrscheinlich betrachtete er die ganze Angelegenheit als eine familieninterne Sache und so wie er sich verhielt, machte er sich auch Vorwürfe.
 

„Ich kann dir diese Frage leider nicht beantworten, Stiles“, seufzte sein Gesprächspartner und begrub damit sämtliche Hoffnungen, weiterzukommen. „Ich habe aber etwas, das dir helfen könnte.“ Damit stand er auf und verschwand kurz, um mit einer dünnen braunen Ledermappe zurückzukehren, die er ihm aushändigte.
 

„Was ist das?“, wollte Stiles wissen.
 

„Kates persönliche Dokumente.“ Chris nahm wieder Platz und trank sein Bier in großen Schlucken leer.
 

„Auch Lukes Geburtsurkunde?“, fragte Stiles hoffnungsvoll.
 

„Nein – aber mit ihrer Urkunde wäre es doch möglich, dass du an Informationen über ihn gelangst, oder?“
 

„Natürlich! Ich weiß auch schon wie!“ Es hätte nicht viel gefehlt, und Stilinski Junior wäre dem Argentspross um den Hals gefallen. Er wusste auch schon, wie er es anstellen würde. Zur Sicherheit öffnete er die Mappe und blätterte sie durch. Was notwendig war, hatte er nun in Händen. Der Rest würde ein Kinderspiel sein.
 

„Stiles?“
 

„Hm?“ Er sah auf und konnte das erste Mal direkt Chris´ Blick einfangen. Dieser war eine Mischung aus Sorge, Schuld und auch ein wenig Traurigkeit.
 

„Du suchst das alles aus einem bestimmten Grund. Allison hat es zwar vor mir versucht zu verbergen, doch ich habe ihr angemerkt, dass sie etwas belastet. Es geht um Scott, oder?“
 

„Und wenn dem so wäre?“ So leicht wollte Stiles es dem Älteren dann auch nicht machen.
 

Chris seufzte leise und trippelte mit den Fingern auf dem Tisch herum. „Du weißt, wie mein Vater sein kann. Er benutzt die Leute in seinem Umfeld zu seinen Zwecken, manipuliert sie und wirft sie dann weg, sobald sie ihren Nutzen überlebt haben.“
 

„Was möchtest du damit sagen? Dass das alles ein großangelegter Plan von Gerard ist?“ Stiles ließ seine Augenbrauen verwundert in die Höhe wandern. Auch er war schon zu diesem Schluss gekommen, doch nicht einmal Gerard Argent konnte etwas gegen kosmische Gesetze ausrichten oder sie zu seinen Zwecken hin verändern. Ein Seelenmal war etwas, das sich außerhalb seiner Machtsphäre befand.
 

„Er wird sicherlich seinen Nutzen daraus ziehen wollen. Sein Rachedurst war schon immer übermächtig. Ich könnte mir vorstellen, dass er Luke dafür benutzen will. Scott hat ihm das angetan und er hat es ihm sicherlich nicht verziehen.“
 

„Das denke ich auch, aber jemand wie dein Vater ist nicht in der Lage zu begreifen, was es bedeutet, tatsächlich Liebe und Zuneigung für jemanden zu empfinden. Ich kenne Scott, besser als du, besser als Isaac und sogar besser als Allison – er mag zwar manchmal sehr naiv sein, aber er ist nicht dumm. Er passt schon auf sich auf.“
 

Stiles entschied sich dazu, Chris reinen Wein einzuschenken. Wenn er noch Informationen zurückhielt, konnte ihn das vielleicht dazu bewegen, mit der Sprache herauszurücken.
 

„Ich glaube, dass Luke Scotts Seelengefährte ist und auch umgekehrt. Das Wenige, was ich von ihm gesehen habe, hat gereicht, um diesen Schluss naheliegen zu lassen. Lukes Augen gleichen denen von Kate: Sie sind voller Gleichgültigkeit, Kälte und auch Machthunger. Im Gegensatz zu ihren beherbergen sie aber auch so etwas wie Liebe, Geborgenheit und Sehnsucht. So wie er Scott ansieht und sich ihm gegenüber verhält – er ist wie ausgewechselt.“
 

Sein Gesprächspartner hörte ihm geduldig zu, wenngleich sich auf seiner Stirn gegen Ende hin eine Furche bildete. „Du denkst also, er ist wirklich in Scott verliebt? Der Junge steht doch nicht auf andere Jungs? Ich meine, Allison und er…“
 

„Das ist nicht meine Angelegenheit. Ich weiß nur, dass Scott für ihn ähnlich zu empfinden scheint und das, obwohl sie sich erst seit nicht einmal fünf Tagen kennen. Luke hat mit ihm sein Essen geteilt, ihn von zuhause abgeholt… sie greifen perfekt ineinander; so wie es bei Seelengefährten ist. Den Orientierungslauf haben sie in Rekordzeit beendet und das obwohl Luke ein bloßer Mensch ist. Scott hat vorher noch nie Fußball gespielt und trotzdem sah es so aus, als wäre er sein ganzes Leben lang mit dem Ball am Fuß aufgewachsen.“ Stiles kratzte sich an der Nase und hielt inne, um seinem Gesprächspartner die Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern.
 

„Wenn dem so sein sollte, müsste er doch ein Seelenmal mit Scotts Initialen besitzen? Ich meine, so schwer kann es doch nicht herauszufinden sein. Es gibt nur ganz wenige Menschen, bei denen nie eines auftaucht.“ Chris legte den Kopf schief. „Es sei denn…“
 

„Lukes Seelenmal wird, laut eigener Aussage, von seiner Narbe überdeckt. Eine Narbe, die er schon länger mit sich herumtragen muss. Scott besitzt seit zwei Jahren ein Seelenmal: Ein L und ein A – Luke Argent. Du verstehst, warum ich mich so für seine Vergangenheit interessiere?“
 

Allisons Vater strich sich mit dem Daumen über den Mundwinkel und überlegte, was Stiles nutzte, um sich den letzten Rest Cola zu genehmigen. „Deine Theorie hat aber einen Haken, Stiles.“
 

„Hat sie? Klär mich bitte auf.“
 

„Luke müsste doch sein Mal einmal gesehen haben, oder? Außerdem, wenn Scott seines mit 15 bekommen hat, dann müsste es bei ihm doch gleich sein? Seelenmale tauchen doch simultan auf?“
 

Stiles schüttelte den Kopf: „Nein, soweit ich informiert bin nicht.“ Er hatte nämlich in den letzten Tagen ausgiebig im Internet recherchiert, unter anderem auch in Foren und in wissenschaftlichen Fachartikeln. „Wenn die Wunde bereits vorher zugefügt wurde, kann das beim anderen Partner das Auftauchen des Mals hinauszögern. Es gibt außerdem bestimmte Faktoren, mit denen sich errechnen lässt, wo das Mal bei jemandem auftaucht. Meine Mutter etwa hat die Initialen meines Dads in der Nähe des linken Brustbereichs getragen, wie auch meine Großmutter und mein Großvater. Eine Häufung einer bestimmten Stelle in der Familie scheint dafür zu sprechen, dass sich das Mal eher dort manifestiert, denn sonst wo.“ Dabei kam ihm eine Idee. „Wo hatte Kate denn ihr Seelenmal?“
 

„Das…“ Chris schob die leere Bierflasche beiseite. „Bist du dir ganz sicher, dass so eine Häufung existiert? Das ist kein Hirngespinst und auch keine Lüge?“
 

„Nein. Ich kann dir auch empirische Daten liefern und Statistiken, ganze Fachartikel, wenn du möchtest. Warum?“
 

Stiles konnte beobachten, wie der Ältere langsam mit der Hand an jene Stelle fuhr, wo sich auch Lukes Narbe befand. „Ungefähr hier, genauso wie mein Vater und ich. Victoria hatte ihres auf dem Handgelenk.“
 

„Ja und Allison das von Isaac auch. Ein wirkliches Muster ist nicht zu finden, auch nicht, ob die Position des Mals mehr von den Genen der Mutter beeinflusst wird oder vom Vater. Es gibt Anhaltspunkte und die Tatsache, dass ihr alle euer Mal dort zu tragen scheint, deutet daraufhin, dass Allison einfach ein Ausreißer gewesen ist. Ich kann mich natürlich auch irren“, hob Stilinski Junior die Hände in die Höhe. „Es bedeutet aber, dass Luke, zumindest was das angeht, nicht gelogen hat.“
 

„Er kann aber seinen Seelengefährten dann doch nicht finden, oder?“, fragte Chris interessiert nach.
 

„Das ist auch nicht gänzlich geklärt. Dein Vater hat ihm erzählt, wenn er seinen Seelengefährten findet, und sie sich beide ineinander verlieben, dann würde das Mal durch die Narbe hindurch erscheinen.“
 

„Du hast doch gesagt, sie beide wären verliebt, oder? Warum ist es dann nicht aufgetaucht?“
 

„Das weiß ich selbst nicht. Vielleicht ist es auch nur eine Lüge seitens Gerards? Es gibt so viele Faktoren, die das alles beeinflussen. In der Literatur wurden solche Motive bereits verarbeitet, aber das waren mehr romantisierte Geschichten. Ich konnte dazu auch nicht wirklich etwas finden.“
 

Sein Gesprächspartner zuckte mit den Schultern: „Wenn du Recht haben solltest, wird sich das sowieso alsbald herausstellen.“
 

„Ja, aber ich wäre gerne gewappnet und hoffe, dass Scott genügend Einfluss auf Luke ausübt, um ihn von deinem Vater zu isolieren. Selbst wenn er kein Jäger sein sollte und mit eurer Familiengeschichte nichts am Hut hat, wäre er noch immer ein wertvoller Verbündeter, da er sicher von den Plänen seines Gönners etwas weiß. Du hast auch keine Ahnung, was er plant, oder?“
 

„Nein“, war die knappe Antwort, die folgte. „Und ich will es auch nicht wissen. Solange er Allison und mich in Frieden lässt, sehe ich mich nicht genötigt, etwas zu unternehmen. Wir haben mit diesem Leben abgeschlossen.“
 

„Der Gefährte deiner Tochter ist ein Werwolf“, gab der Sohn des Sheriffs zu bedenken.
 

„Und wohnt auch hier, ich weiß. Bisher hat Dad aber nichts gegen ihn in die Wege geleitet und außerdem hat Isaac einen Alpha, der für ihn verantwortlich ist.“ Chris klang dabei mehr als nur reserviert.
 

„Und wenn sein Alpha die Seiten wechselt, was dann? Hast du darüber schon nachgedacht, hm?“
 

„Scott würde Allison oder Isaac nie etwas tun. Ich unternehme erst etwas, wenn die Situation außer Kontrolle gerät.“
 

„Wenn es da mal nicht bereits zu spät ist.“
 

Am Gesichtsausdruck des ehemaligen Jägers war zu erkennen, dass er von seinem Standpunkt nicht abrücken würde. Das war schade, aber verständlich. Außerdem hatte ihm Chris heute sehr geholfen. Der Tod von Victoria belastete ihn immer noch. Er war über die Schuldzuweisungen an Derek hinaus und sie hatten in der Vergangenheit öfter miteinander gearbeitet, doch am Ende des Tages bestanden noch immer gewisse Spannungen zwischen ihnen. Es war auch sinnlos, ihn weiter über Kate auszufragen, etwa, was mit deren Seelengefährten passiert ist oder ob sie ihn gefunden hatte. Das hob er sich für ein andermal auf.
 

„Jedenfalls danke, Chris, du hast mir sehr geholfen.“
 

„Nichts zu danken.“ Seine Stimme war nun deutlich kühler, während er ihn zur Tür brachte und höflich verabschiedete.
 

Stiles wählte Dereks Nummer und wartete, bis dieser abhob. Der Alpha hatte es vorgezogen bei Boyd und Erica zu bleiben, die auf dem Weg der Besserung waren, aber noch immer nicht über das Erlebte sprechen wollten oder konnten. Die seelischen Wunden, die man ihnen zugefügt hatten, waren zu frisch.
 

„Stiles?“, konnte er die Stimme des Werwolfs am anderen Ende vernehmen.
 

„Hey, Babe – kannst du mich abholen? Ich bin fertig.“
 

„Klar. Und was hast du herausbekommen?“
 

„Das erzähle ich dir später. Ich brauche dich nachher aber dafür, oder besser gesagt deine liebreizende und unfassbar männliche Stimme.“
 

„Was?“
 

„Beeil dich einfach, okay? Liebe dich!“ Damit legte Stiles auf und lächelte triumphierend: Er war dem Mysterium Luke Taylor auf der Spur und sich sicher, dass er mit seiner Vermutung nicht falsch lag.

Vertrauen und Liebe im Übermaß

Wie sie in dieser Position geendet waren, konnte Scott nicht sagen, doch Luke lag gerade an ihn gekuschelt, eine Hand unter sein Shirt geschoben, mit dem Gesicht an seiner Halsbeuge. Er hatte dafür, im Gegenzug, den Arm um ihn gelegt. Irgendetwas stimmte an dieser Szene nicht, aber der Werwolf konnte es nicht wirklich benennen. Sie fühlte sich so fremd an und doch so vertraut.
 

„Ich glaube, ich habe noch nie so einen wunderschönen Hautton gesehen, wie deinen, Scott“, raunte ihm der Dunkelblonde zu, während er mit dem Zeigefinger die Maserung seiner Brustmuskeln nachstrich, was ihm beinahe den Atem raubte. Er zog den Bauch dabei ein und atmete stoßweise ein und aus. Diese Berührung war so intensiv, noch intensiver als ihr Küssen.
 

„F-Findest du?“, stammelte der Alpha und hatte Mühe, sich nicht auf die Unterlippe zu beißen.
 

„Natürlich“, lautete die kichernde Antwort. „Du bist das, was ich von ganzem Herzen liebe, mehr noch als Hakim. Der perfekte Freund.“
 

Scott rang mit sich. Nur mit Mühe konnte er die Verwandlung zurückhalten. Als er das erste Mal kurz davor gewesen war, mit Allison zu schlafen, war es ihm ebenfalls so ergangen. Er blinzelte mehrmals, in der Hoffnung, seine Augenfarbe würde sich nicht verändern und legte den Arm vorausschauend so, dass er Luke mit den Krallen nicht verletzen würde. Der Werwolf wollte aufstehen, sich lösen, konnte aber nicht. Etwas hielt ihn fest; wie eine Kette, die ihn an den Briten band.
 

„In China existiert Yue Lao, der Gott der Ehe und Liebe. Er verbindet zwei Menschen, in der Nacht ihrer Geburt, mit einem roten Seidenband. Sie sind damit auf ewig verbunden und werden sich finden, egal wie groß die Dunkelheit auch sein mag, in der sie leben.“ Luke wanderte mit den Lippen langsam an Scotts Hals entlang, über das Muttermal am Kinn, bis er vor seinem Mund stehen blieb. Grau-grün traf auf braun, Atem vermischte sich mit Atem, Liebe traf auf Liebe. Der Blick des Dunkelblonden wurde weicher als er je zuvor gewesen war. „Yue Lao hat mich mit dir verbunden, mich auf dich warten lassen – 17 lange Jahre musste ich auf dich warten und in dem Moment, in dem ich dich bereits nicht mehr zu finden glaubte, tauchtest du plötzlich auf. Meine große Liebe, mein Partner, mein Gefährte…“
 

Damit legten sich ihre Lippen aufeinander und Scott glaubte den Verstand zu verlieren. Es fühlte sich an, als würde man seinen Mundrand abwechselnd in Feuer und Eis baden. Er konnte kaum atmen, seine Lungen brannten, wie auch sein Gesicht und jede Faser seines Körpers; als hätte man ihn unter Strom gesetzt. Seine Augen glühten förmlich, er spürte, wie sich die Krallen aus seinen Fingern schoben und die Reißzähne zum Vorschein kamen. Er drohte völlig die Kontrolle zu verlieren.
 

Luke hatte seine Hände auf Scotts Schultern gelegt und sich auf ihn geschoben. Der Kuss riss nicht ab, selbst, als die Zahnspange mit den Reißzähnen Bekanntschaft machte. Entweder es störte ihn nicht, oder der Brite bekam gar nicht mit, was unter ihm passierte. Die Tatsache, dass er ihm beim Küssen tief in die Augen sah, sprach eigentlich dagegen.
 

„Denkst du, ich habe Angst vor dir?“, flüsterte der Brite, nachdem er sich wenige Millimeter von ihm gelöst hatte. „Vor dem Monster, das unter der Oberfläche schlummert?“ Lukes Hände wanderten von den Schultern, über die Oberarme, zu seinen Fingern, die er miteinander verwob. Scotts Krallen lagen auf der blassen Haut des Menschen auf, ohne sie irgendwie zu verletzen. Bevor er einen Blick nach unten werfen konnte, wurde er erneut geküsst, dieses Mal auf die Stirn.
 

„Ich habe keine Angst vor dir, Scott. Wir gehören zusammen, du könntest mich niemals verletzen, wie auch ich dich nicht. Liebe mag grausam sein, die schlimmste Empfindung, die man verspüren kann, aber auch zeitgleich die Schönste.“
 

„Du weißt es also?“ Der Alpha war dazu übergegangen, behutsam über Lukes Handrücken zu streicheln. Wieso ihm seine Stimme nicht den Dienst versagte, war ihm ein Rätsel.
 

„Ich weiß, dass du etwas Besonderes bist, etwas Einzigartiges. Du hast es geschafft, die Leere in meinem Herzen zu füllen, das Vakuum, welches dort herrscht, zu vertreiben. Jeder Augenblick mit dir ist ein Geschenk und ich werde dich niemals verletzen, Scott. Wenn das Mal durch die Narbe aufscheint, ein S und M…“ Der Brite beugte sich dabei nach unten und bettete seine Stirn auf der von Scott. „Dann sind Kummer und Schmerz vergessen. Ich werde immer bei dir sein und dich immer lieben. Zwei Teile eines Ganzen, Licht und Schatten, Ying und Yang, Lacrossekapitän und Fußballkapitän – Wolf und Tiger.“
 

Der Alpha konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er wollte sich konzentrieren, war dazu aber nicht mehr in der Lage. Aus dem zärtlichen Küssen wurden leidenschaftliche und von Verlangen getriebene Gesten. Sein Körper reagierte stärker auf Luke als er sich vorzustellen vermochte. Sowohl Werwolf als auch Mensch verschmolzen in diesem Moment zu einer einzigen Entität und gaben sich der Vertrautheit hin. Keine Sorgen, keine Nöte, keine Ängste – Luke wusste es und er liebte ihn trotzdem; er hatte sich verwandelt und ihn dennoch nicht verletzt. Sie gehörten zusammen, so wie Stiles und Derek, Allison und Isaac… Gefährten.
 

Gerade als Luke dazu übergegangen war, mit seinen Fingern, die er mittlerweile befreit hatte, am Bund von Scotts Trainingshosen zu nesteln, hielt er inne und sah nach oben. Er zögerte und das, obwohl er genau sah, dass der Werwolf es auch wollte.
 

„Es ist… es ist zu früh. Ich will nicht diesen Moment dadurch zerstören, dass wir übereinander herfallen wie zwei Tiere. Dafür liebe ich dich zu sehr.“ Damit kehrte er an seinen ursprünglichen Platz, an Scotts Seite, zurück und schmiegte sich wieder an ihn.
 

„Du weißt, dass das gemein ist?“, schnaubte der Alpha und strich mit einer seiner Krallen an Lukes Wange entlang. Einzig seine Gesichtszüge hatten sich nicht verändert, waren menschlich geblieben – sonst glich er einem Werwolf.
 

„Wer hat gesagt, dass ich lieb bin?“, grinste ihn Luke frech an.
 

„Ich.“ Damit legte er seine Wange an die des Briten und bettete ihn erneut in seinen Armen. „Ich weiß, was sich hinter dieser harten Schale verbirgt.“
 

„Ein Makoto Kyogoku?“
 

„Ein furchtbar verletzlicher und schüchterner Junge“, überging er den Einwand seines Gefährtens. Sie waren Gefährten, das war ihm nun bewusst. Keine Berührung, kein Blick, kein Kuss war jemals so intensiv gewesen wie heute.
 

„Sag das mal meinem Vater.“ Luke strich wieder an Scotts Brust entlang und kuschelte sich noch ein wenig fester an ihn. „Ich bin nichts davon; in Camp Half Blood wäre mein Vater Ares. Krieger werden nicht dazu erzogen, Gefühle zu zeigen.“
 

„Das tust du aber, regelmäßig. Sogar dieser Makoto hat das getan.“ Das Streicheln war nun wieder deutlich angenehmer, sanfter und beruhigender als eben noch. Scott konnte sich wieder mehr konzentrieren.
 

„Ich bin nicht dazu erzogen worden und du bist die einzige Ausnahme. Für dich werde ich immer dein Gefährte bleiben, dein dich liebender Luke und in deinen Armen kann ich ruhig einschlafen, denn ich weiß, dass du mich beschützt. Ein altes chinesisches Sprichwort besagt: ‚Du bist solange ein Niemand, bis dich jemand zu lieben beginnt‘ und das stimmt.“
 

„Woher weißt du diesen ganzen Kram eigentlich?“ Scott richtete sich ein wenig auf, um auf Luke hinabschauen zu können, der die Augen bereits geschlossen hatte und sich nicht rührte.
 

„Wenn man alles hat, sehnt man sich nach Etwas, das unerreichbar ist. Die wenige Freizeit, die mir geblieben ist, habe ich für solche Dinge verwendet. Es war erträglicher, den Traum zu leben, eines Tages doch noch meinen Gefährten finden zu können, als sich damit abzufinden, auf ewig alleine bleiben zu müssen.“
 

„Das müsstest du doch gar nicht?“
 

„War es denn mit Allison jemals so intensiv wie mit mir? Hast du nach fünf Tagen bereits so gefühlt wie mit mir? Ich hätte eine Lüge gelebt.“
 

„Und dein Name? Mein Gefährte trägt die Initialen L und A, nicht L und T. Warum hast du mich dann angelogen?“ Scott konnte beobachten, wie Lukes Züge sich bei geschlossenen Augen verhärteten.
 

„Weil…“
 

Sein Mund formte die Worte, bewegte sich, doch Scott konnte nicht verstehen, was sein Gefährte sagte. Ein lautes Klopfen übertönte jegliches andere Geräusch. Es wurde immer lauter. Er glaubte, sein Kopf würde zerspringen, so ohrenbetäubend war der Ton, der sich in seinen Kopf hämmerte. Die Szene entglitt ihm, Luke entfernte sich von ihm und dann, plötzlich, starrte er an die Decke des Zimmers, schwer atmend. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was geschehen war: Er hatte geträumt.

Ein verrückter Morgen

Das Klopfen wurde energischer. Scott bemerkte etwas Warmes und Weiches an sich und ein prüfender Blick auf seine Brust offenbarte ihm einen Luke, der ihn tatsächlich als Kopfkissen missbrauchte und dabei freizügig etwas Sabber auf seinem Shirt verteilt hatte. Auch er schien das Klopfen zu bemerken, denn er kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn.
 

„Was zum Geier ist denn?“, murmelte der Brite halbverschlafen.
 

„Master Luke“, drang es durch die geschlossene Zimmertür.
 

Jener Master Luke rückte ein wenig mit der Wange auf Scotts Brust hin und her, die Augen noch immer geschlossen, und schien die männliche Stimme von draußen einfach ignorieren zu wollen. Seine linke Hand wanderte dabei an Scott entlang und war kurz davor, eine äußerst intime Zone zu berühren, sei es bewusst oder unbewusst, als das Klopfen erneut einsetzte, dieses Mal energischer.
 

„Meine Güte, dann kommen Sie eben rein“, knurrte Scotts Anhängsel, machte aber noch immer keine Anstalten, sich von dieser Position wegzubequemen. Nicht einmal, als die Tür tatsächlich aufging und der Werwolf einem Mann, Ende seiner 50er, mit bereits ergrautem, leicht krausem Haar und einem rasiermesserscharf getrimmten Schnurrbart entgegenstarren konnte. Der Fremde hatte ein leicht eingefallenes, bereits von Falten durchzogenes Gesicht, dunkelgraue Augen und eine kerzengerade Nase. Von der Statur her hätte man ihn als hager bezeichnen können. Die Kleidung des Unbekannten wirkte äußerst überzogen: Eine schwarze Weste über einem blütenweißen Hemd, welches am Kragen mit einer schwarzen Fliege kombiniert worden war. Die dazu passende schwarze Samthose und blitzende Lackschuhe drängten Scott den Gedanken auf, sein Gegenüber würde sich gleich zu einer Gala-Veranstaltung oder einer Hochzeit begeben.
 

Geduldig bezog der Neuankömmling Platz vor ihrem Bett, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er nickte Scott leicht zu, der sich hastig daran machte, die Bettdecke noch mehr über sich zu ziehen, vor allem über seinen Intimbereich, der sich unangenehm eigenständig am Morgen gemacht hatte und dabei auch gleich über Lukes Hand, die knapp darüberlag.
 

„Master Luke“, erhob er erneut die Stimme. „Es ist wichtig.“
 

„So wichtig kann es gar nicht sein“, schnaubte Luke schlaftrunken. „Wir haben doch durchbesprochen, bei welchen Szenarien ich, trotz meines Besuches, zu wecken bin.“
 

„Haben wir“, bestätigte der Fremde.
 

„Sie haben keinen Green Lantern Ring gefunden?“
 

„Nein, Master Luke.“
 

„Dann hat Sie das Filmstudio auch noch nicht angerufen, auf dass ich einen Charakter in Dragonball synchronisieren darf?“
 

„Auch das nicht, Master Luke.“
 

„Die Marvel Filmstudios wollen mich als neuen Ironman?“
 

„Nein, Master Luke.“
 

Die ganze Situation war nicht nur grotesk, sondern auch hochpeinlich. Da stand ein Fremder in Lukes Zimmer, der Scott schlicht und einfach ausblendete und sich geduldig mit dem Hausherren unterhielt, während dieser nicht einmal den Anstand besaß, sich seinem Gesprächspartner zuzuwenden.
 

„Hat sich die Queen gemeldet?“ Luke befand es noch immer nicht als notwendig, sich von Scott herunterzubewegen; er kuschelte sich, dreisterweise, noch mehr an ihn. Mittlerweile war er auch dazu übergegangen, mit seiner Hand unter der Decke nach der des Werwolfs zu angeln und sie miteinander zu verschränken.
 

„Nein“, enttäuschte ihn der Mann erneut.
 

„Dann kann es nur Post sein und das schließe ich aus. Mercedes wird mich nicht als Testfahrer brauchen und der Langlaufkader auch nicht.“
 

„Nein, aber Ihr Fußballverein. Ihr Vater möchte Sie umgehend sprechen.“
 

Mit einem Schlag war Luke hellwach. Scott konnte so schnell gar nicht reagieren, als dass sein Gastgeber aus dem Bett gesprungen war und sich nach draußen drängte. Man hörte etwas im Flur krachen und der Werwolf war sicher, eine Vase oder ein anderer Gegenstand hatte dran glauben müssen. Der Fremde verzog keine Miene, als wäre er diese Prozedere bereits gewohnt. Sein Blick wanderte stattdessen auf Scott, der das ungute Gefühl hatte, dessen graue Augen würden ihn röntgen.
 

„Entschuldigen Sie bitte das unsanfte Wecken und auch, dass ich mich bisher nicht vorgestellt habe: Mein Name lautet Jonathan Davenport und ich bin der persönliche Butler von Master Luke. Er hat mir von Ihrer potentiellen Ankunft berichtet, es aber wohl verabsäumt, mich über Ihre Essenswünsche aufzuklären. Ich habe das Frühstück bereits angerichtet; sofern Sie englisches Breakfast nicht mögen sollten, werde ich mich umgehend daran machen, Ihnen etwas Anderes zu kredenzen.“
 

Jonathan neigte angedeutet seinen Kopf gegenüber Scott, der völlig überfordert das Gleiche tat.
 

„Ähm, freut mich Sie kennenzulernen, ich bin Scott“, gab er leicht schüchtern zurück. „Ich möchte Ihnen keine Umstände bereiten.“
 

„Sie bereiten mir keine Umstände. Master Luke bevorzugt als Hauptgang gebratenen Frühstücksspeck, Würstchen und Rührei. Ich wusste nicht, ob Sie Vegetarier sind, daher habe Ich auch für fleischlose Alternativen gesorgt.“
 

Wie der Butler nur so dastand und ihn vollkommen neutral anschaute, war irgendwie gruselig. Mal abgesehen davon, dass Scott zum Frühstück eigentlich nie Fleisch konsumierte. Wo blieb Luke denn? Ihm wurde die Situation nämlich mit jeder Sekunde unangenehmer. Der Mann ihm gegenüber wirkte einfach so steif und verklemmt…
 

„Ähm, danke, aber ich esse auch Fleisch.“ Scott kratzte sich hinter dem Ohr. „Sie sind also Lukes Butler? Was macht ein Butler so den ganzen Tag?“, versuchte er ein Gespräch zu starten. Natürlich hatte er Geschichten über Butler gehört, doch das wirkte so phantastisch, vor allem bei einem 17-Jährigen.
 

„Ich kümmere mich um den Haushalt und die persönlichen Belange Master Lukes. Ersteres fällt in der Wohnung größtenteils weg, da eigenes Raumpflegepersonal mit der Hygiene betraut ist. Letzteres sind Aspekte, die ich Ihnen nicht erzählen kann und werde. Entschuldigen Sie bitte. Meine üblichen Aufgaben umfassen aber, neben der Wäsche, dem Kochen und teilweise der Terminverwaltung, auch Tätigkeiten als Fahrer und ich wäre ebenso in der Lage, einen etwaigen Garten zu pflegen.“
 

Das war doch verrückt. Vor ihm stand ein Mann, der sein Großvater hätte sein können und erklärte ihm, was er für Luke nicht alles tun würde oder könnte. Nicht, dass Scott nicht danach gefragt hätte; es erschien einfach nur absolut surreal. Bei dem Gedanken an seinen Großvater, bildete sich ein Kloß in seinem Hals.
 

„Darf ich Sie fragen, ob Lukes Grandpa auch beim Frühstück ist?“ Scott hatte ehrlich gesagt keine Lust darauf, sich länger als nötig mit Gerard abzugeben.
 

„Master Lukes Großvater hat sich für heute entschuldigt. Er hat eine wichtige Therapiesitzung, soweit ich informiert bin. Sie werden daher heute alleine sein.“ Jonathan zupfte ein wenig an seiner Fliege herum und legte die Hand wieder zurück auf die andere, hinter seinem Rücken. Sein Gesichtasudruck war noch immer vollkommen neutral. „Sofern Sie nichts weiter von mir benötigen, würde ich mich zurückziehen.“
 

Das klang beinahe zu gut, um wahr zu sein: Gerard war nicht hier. Entweder, der alte Mistkerl hatte das so geplant oder bei diesem Umstand handelte es sich tatsächlich um einen glücklichen Zufall. Scott schob diesen Gedanken fürs Erste beiseite und konzentrierte sich darauf, dass er noch immer mit einem fremden Endfünfziger das Zimmer teilte.
 

„Äh, ich denke nicht?“
 

„Gut. Im Badezimmer liegen frische Handtücher bereit und ich habe mir erlaubt, Ihnen einen eigenen Becher für Ihre Zahnbürste zuzuweisen.“ Damit ließ ihn Jonathan alleine.
 

Wow, er war schon bei einem persönlichen Becher für seine Zahnbürste, die obendrein noch geliehen war. Wenn jetzt noch der Hauschlüssel folgte und ein eigener Pyjama, dann konnte er sich ganz sicher sein, dass Luke und er ein Pärchen waren. Kopfschüttelnd stand er auf und rieb sich mit den Handballen die Augen. Der Traum steckte ihm noch immer in den Knochen. Diese Emotionen, diese Gefühle, diese Vertrautheit – das hatte sich so real angefühlt. Wusste Luke von seinem Geheimnis? War er ein Jäger?
 

Diese Fragen verloren in jenem Moment an Bedeutung, in dem Luke auf der Türschwelle erschien und sich Scott sogleich an den Hals warf. Bevor er nachhaken konnte, was denn passiert sei, wurde er auch schon stürmisch geküsst. Kurz versteifte er sich, lehnte sich dann aber in den Kuss und musste sich ein Lächeln verkneifen: Er mochte es so begrüßt zu werden.
 

„Ich bin in der engeren Auswahl für ein Freundschaftsspiel im Sommer“, strahlte Luke ihm atemlos entgegen.
 

„Herzlichen Glückwunsch?“, gratulierte ihm Scott vorsichtig. Für ihn war Fußball noch immer ein Buch mit sieben Siegeln. Freundschaftsspiele waren doch nichts Besonderes, oder?
 

„Ich freue mich so!“ Der Dunkelblonde stahl sich erneut einen Kuss und nahm den Alpha bei den Händen. „Das ist der schönste Tag in meinem Leben.“ Dabei streckte er sich ein wenig und schenkte Scott einen zärtlichen Blick: „Ohne dich wäre er nur halb so schön.“
 

Jener Angesprochene schmolz bei diesen Worten förmlich dahin. Wie Luke es gesagt hatte, das Zittern in seiner Stimme, die Aufregung, die Zuneigung und vor allem die Liebe, waren geradezu greifbar gewesen.
 

„Komm, machen wir uns fertig und gehen dann frühstücken. Ich habe einen Bärenhunger!“
 

Damit wurde Scott auch schon ins Badezimmer gezogen, wo ein roter Glasbecher mit seinen Initialen markiert worden war. Gleiches galt für die Zahnbürste, bei der ihm versichert wurde, sie würde alsbald durch ein elektrisches Modell ersetzt werden. Kaum, dass die Mundhygiene erledigt war und sie sich umgezogen hatten, gingen die beiden auch schon nach unten, wo bereits gedeckt worden war: Auf dem Tisch befanden sich, nebst Orangen-, Grapefruit- und Granatapfelsaft, zwei Schalen mit Porridge, Pancakes, Teller mit Frühstücksspeck, Würstchen und Spiegel- sowie Rühreiern, eine Kanne mit Earl Grey Tee, eine mit Kakao und eine mit Kaffee, aufgeschnittener Toast, geröstet und naturbelassen, nebst Butter, Honig, Marmelade und ein kleines Kännchen mit Milch, sowie ein Zuckerdöschen. Scott hatte fast mit einem ähnlich verzierten Geschirr gerechnet, wie Lukes restliche Essutensilien, doch das Frühstücksinventar schien davon verschont geblieben zu sein. In einer großen Obstschüssel türmten sich Orangen, Mandarinen, Äpfel und Bananen auf.
 

„Greif zu“, bedeutete ihm Luke, sich zu bedienen, nachdem sie sich hingesetzt hatten.
 

„Danke“, meinte Scott nur, erschlagen von der Fülle an Essen, ehe er sich daran machte, eine Tasse Kaffee einzuschenken. „Du isst das alles normalerweise alleine?“
 

„Nein, wir sind eigentlich zu dritt: Jonathan, Grandpa und ich. Die Pflegerin bleibt in ihrem Zimmer, ich will nämlich beim Frühstück meine Ruhe haben“, meinte sein Gegenüber leichthin.
 

„Ist das nicht ein wenig ungerecht?“ Der Werwolf zog die Schale mit Porridge heran und stocherte darin ein wenig herum, bevor er probierte und es als gut befand.
 

„Zu meiner Familie gehört sie nicht und wird sie auch nie. Wenn Hakim hier wäre, würde er uns noch Gesellschaft leisten, aber ansonsten…“ Luke nippte an seinem Glas mit Granatapfelsaft und machte sich dann über sein Porridge her.
 

„Und wo ist Jonathan heute?“, erkundigte sich Scott und nahm dabei selbst einen Löffel Getreide in den Mund.
 

„In seinem Zimmer. Ich wollte eigentlich nicht, dass du mit ihm in Berührung kommst, zumindest jetzt noch nicht.“
 

„Warum? Ich dachte, du magst ihn?“ Das war gerade leicht verwirrend. Gestern noch hatte Luke über seinen Butler geschwärmt und gemeint, er würde sich auch auf ihn freuen und jetzt versuchte er, ihn von ihm fernzuhalten.
 

„Natürlich mag ich Jonathan, doch ist das bei uns beiden etwas anderes. Wenn du dich mit ihm unterhalten willst, dann ruf einfach nach ihm“, erklärte er ihm zwischen zwei Bissen, die er mit einem weiteren Schluck Saft hinunterspülte.
 

Scott sparte sich jeglichen weiteren Kommentar und konzentrierte sich aufs Essen. Ihm brummte der Schädel und das lag nicht nur an diesem verwirrenden Traum. Er war einfach heillos überfordert. In dieser Welt aus Dekadenz und Prunk, die sich zwar in diesem Bereich in Grenzen hielt, fühlte er sich ziemlich deplatziert. Nichts schien hier normal zu sein und es wirkte noch immer furchtbar steril. Sein Zuhause war kleiner, aber deutlich heimeliger.
 

Auf das Porridge folgte der warme Teil, bei dem sich Luke für Fleisch und Ei entschied, während der Alpha lieber zu den Pancakes griff, die auch extrem gut schmeckten. Abgerundet wurde das Frühstück dann mit einer Tasse Earl Grey, die Luke für sich mit Milch und für ihn mit Zitrone verfeinerte. Ihr Gespräch drehte sich um das anstehende Freundschaftsspiel und über die Schule, den anstehenden Chemietest und das Lacrossetraining. Scott verzichtete darauf, Luke in die Mannschaft zu ködern; das konnte der Coach schön selbst machen.
 

„Ich glaube, Hakim würde dich lieben“, wechselte Luke das Thema.
 

„Denkst du?“ Scott gab einen kleinen Löffel Zucker in seinen Tee und rührte darin herum. Mehr zu essen wäre unmöglich gewesen. Es wunderte ihn, dass die Knöpfe seiner Jeans noch nicht davongesprungen waren. Jonathan schien ein exzellenter Koch zu sein.
 

„Klar. Du bist ein guter Mensch und das merkt er.“ Der Brite nippte an seiner Tasse. „Außerdem gehörst du zu mir, damit beschützt er dich genauso wie mich.“
 

Ein Lächeln stahl sich auf die Züge des Werwolfs, der nichts weiter sagte und sich seinem Getränk widmete. Das klang ganz so, als würden Luke und er miteinander gehen. Nach mittlerweile fünfeinhalb Tagen. Sollte es dafür nicht zu früh sein? Unweigerlich strich er sich über den Oberarm: Bei einem Seelengefährten war es nie zu früh. Nur waren sie das jetzt oder nicht?
 

„Luke?“, fragte er vorsichtig und sah von seinem Mal zum Angesprochenen.
 

„Hm?“ Dieser rührte mit einem kleinen Löffel ein wenig in seiner Tasse herum.
 

„Du hast mein Seelenmal doch schon gesehen, oder?“
 

„Habe ich“, bestätigte er ihm nickend. „Ein L und ein A. Damals schon, in der Umkleide.“
 

„Deine Initialen sind aber ein L und ein T, es sei denn, du würdest gar nicht Taylor heißen, sondern anders. A wie…“
 

„Du meinst, ob ich Argent heiße?“ Luke schüttelte traurig den Kopf. „Nein, ich heiße nicht Argent, Scott. Mein Name ist Taylor.“ Das war keine Lüge, denn sein Puls blieb gleichmäßig. „So sehr ich es mir auch wünschen würde.“ Seine Stimme war erfüllt von Trauer und auch Sehnsucht.
 

„Dann sind wir aber keine Gefährten“, stellte Scott leicht enttäuscht fest.
 

„Nein, sind wir wohl nicht.“ Ein Seufzen entwich dem Briten und er stellte die Tasse auf dem bereitliegenden Unterteller ab. „Ist das für dich schlimm?“
 

Nein, das war es nicht. Nur erklärte es damit auch nicht, warum sie sich so zueinander hingezogen fühlten. Fast hätte sich Scott gewünscht, dass Luke einfach log. Ihm bewusst verschwieg, warum auch immer, wie sein wahrer Name lautete. Doch bisher war der Junge nicht in der Lage gewesen, ihn anzulügen und würde es auch jetzt nicht können, zumal er es sich selbst zu wünschen schien.
 

„Nein, es ist nur“, er suchte nach den richtigen Worten, „Allison war auch nicht meine Gefährtin und es ist am Ende, unter anderem, wegen Isaac in die Brüche gegangen.“ Diese Wunde würde sich nie ganz schließen, das war ihm bewusst. Er hatte Allison ein Stück seines Herzens geschenkt und obwohl Luke in der Lage war, diesen Kummer zu minimalisieren, so war er doch noch immer präsent, zumindest in diesem Moment.
 

„Das wird dir bei mir wohl kaum passieren, Scott.“ Luke griff über den Tisch und legte seine Hand auf die von Scott und schaute ihm tief in die Augen: „Ich kann meinen Seelengefährten sowieso nicht mehr finden. Wenn, dann würdest eher du mich verlassen.“
 

„Würde ich niemals“, entgegnete der Werwolf sofort. Er hatte Allison auch nicht verlassen wollen und würde diesen Fehler kein zweites Mal begehen.
 

„Das weißt du nicht. Die Liebe zu einem Seelengefährten soll schöner sein als alles, was man fühlen kann. Sie lässt einen Berge versetzen und selbst die schwersten Lasten auf den Schultern tragen. Dein Seelengefährte ist dein Spiegelbild und doch das genaue Gegenteil von dir. Ihr ergänzt euch perfekt und du würdest mich beim kleinsten Wimpernschlag von ihm oder ihr einfach links liegen lassen.“ Luke klang dabei fast ein wenig melancholisch.
 

„Du redest, als hättest du das bereits einmal erlebt“, stellte Scott fest und drehte seine Hand unter der von Luke so, dass ihrer beider Innenflächen einander berührten. Ein kleiner Schauer jagte bei dieser Geste über seinen Rücken. Das hier war doch nicht normal, kein normales Verliebtsein.
 

„Nicht so wie du denkst.“ Mit der freien Hand griff Luke erneut nach seiner Tasse und nippte daran, bevor er sie wieder, mit einem leisen Klirren, auf dem Unterteller abstellte. „Ich habe mal jemanden gekannt, den ich sehr geliebt habe. Er war groß, stark und der bis dahin hübscheste Kerl, den ich jemals gesehen habe. Eine perfekte Hülle, verschmolzen mit der Seele eines furchtlosen Kriegers. Ein guter Lehrer und wahrscheinlich ein noch besserer Seelengefährte. Er hat die schwierigsten Dinge vollbracht. Damals hätte ich mein Leben für ihn gegeben und meine Seele, wenn mich das in den Besitz seiner Liebe gebracht hätte. Ein einziger Blick von ihm reichte aus, um mir die Knie weich werden zu lassen. Seine Narben waren kein Zeichen der Schwäche, wie bei mir, sie verschandelten den makellosen Körper nicht – er war nicht dazu geboren, gezähmt zu werden, auch nicht geliebt zu werden und schon gar nicht, um zu lieben. Ein wahrer Krieger bindet sich nicht an einen schwächeren Gefährten; dieser würde nur ein Hindernis werden, ein Joch, das ihn zurückhält und deswegen waren wir nicht füreinander geschaffen. Ein kleines Stück von mir wird immer bei ihm sein und wir beide, sowohl Hakim, als auch ich, vermissen ihn.“
 

Das Verlangen nach diesem Fremden war kaum zu überhören. Ein Teil von Scott war eifersüchtig, ein weiterer verstand nicht, warum dieser Mensch sich nicht in Luke hatte verlieben können und der letzte fragte sich, was passiert sein musste, dass sein Gesprächspartner so schwermütig geworden war und das binnen Sekunden.
 

„Aber das ist Vergangenheit“, stellte Luke fest und strich mit den Fingerspitzen über die von Scott. „Ich habe jetzt dich und bin mit dir glücklich. Wobei ich ein wenig nervös bin.“
 

„Warum?“
 

„Du wärst mein erster fester Freund und ich weiß nicht, wie ich deiner Mutter begegnen soll. Was macht man als Freund des Sohnes denn? Soll ich ihr etwas kaufen? Ein Designerkleid? Ein Brillantcollier? Habt Ihr überhaupt so etwas wie einen anständigen Schneider beziehungsweise einen Juwelier in der Stadt?“
 

„Hör auf“, schmunzelte Scott und schüttelte, zu Lukes offensichtlichem Unverständnis, den Kopf. „Mom mag dich und wird dich auch so mögen, ohne teure Geschenke. Keiner von uns beiden ist auf dein Geld aus“, stellte er auch gleich klar. Luke hatte bei Melissa einen guten Eindruck hinterlassen und für seine Mutter würde es kein Problem sein, wenn er mit einem Jungen nach Hause käme.
 

„Du bist mir aber wichtig und deine Mom damit auch. Ich mag sie. Sie war so nett zu mir.“
 

„Ihr habt euch doch nur eine Stunde gesehen?“ Der Werwolf legte den Kopf schief.
 

„Das hat gereicht, aber lassen wir das. Ich werde mich aber dennoch erkenntlich zeigen, ja? Wenn ihr etwas braucht, lasst es mich wissen.“ Der Brite strich zärtlich über Scotts Handfläche und spielte mit dessen Fingerspitzen.
 

„Wir brauchen nichts, wirklich.“ Scott bette seine andere Hand auf der von Luke und schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Wir haben einander.“ Das stimmte zwar nicht ganz, denn Melissas Auto würde bald den Geist aufgeben, genauso wie einige Reparaturen am Haus anstanden, doch er wollte sich nicht von Luke aushalten lassen. Das wäre falsch gewesen. Seine Mutter würde das auch nicht wollen, das wusste er.
 

„Du glaubst aber nicht, dass ich mir deine Liebe erkaufen will?“, wollte Luke leise wissen.
 

„Natürlich nicht, wie kommst du denn darauf?“, lautete die bestürzte Gegenfrage. Scott runzelte die Stirn und seine Augenbrauen wanderten dabei nach unten. Was war das für eine seltsame Frage?
 

„Nur so“, meinte der Brite halbherzig. „Das heißt, wir sind jetzt zusammen? Trotz dieser kurzen Zeitspanne?“
 

„Scheint so, hm?“
 

„Wow – cooles Gefühl.“ Luke grinste glücklich. „Mein fester Freund, Scott McCall. Klingt gut.“ Er schlug die Augen nieder und rieb sich mit der freien Hand den Oberarm. „Wenn deine Mutter zuhause ist, erzählst du es ihr dann?“
 

„Ich denke schon, warum?“
 

„Darf ich dabei sein? Ich meine… ich würde mich dann noch einmal vorstellen, aber anders und ich schulde ihr außerdem noch etwas für die Pancakes, wie ich auch den Teller zurückbringen muss.“ Er klang dabei leicht nervös und sah auch danach aus.
 

„Du schuldest Mom gar nichts“, korrigierte ihn Scott. „Sie wird sich nur ein wenig wundern, weil es so schnell gegangen ist.“
 

„Lass das meine Sorge sein – ich weiß, schon was ich ihr schenke. Wir könnten ihr etwas zum Essen mitnehmen, hm?“
 

„Das würde sie sicher freuen.“
 

„Gut, dann würde ich vorschlagen, wir machen uns fertig und fahren dann ins Einkaufszentrum, hm?“
 

„Einverstanden.“
 

Luke stand auf, entwand sich Scotts Griff und küsste ihn auf die Wange. „Ich liebe dich.“
 

„Ich dich auch“, lautete die glückliche Antwort und sie kam von Herzen.

Gefährliche Blumen und nervöse Anwandlungen

Sie waren zur Mall gefahren. Luke hatte sich während der ganzen Fahrt überaus glücklich und euphorisch präsentiert. Seine Wangen glühten unaufhörlich, genauso wie seine Ohren und mehr als nur einmal blitzte die Zahnspange im Licht der vormittäglichen Sonne auf. Sein ganzes Verhalten gegenüber Scott hatte sich noch einmal ein wenig verändert, war neugieriger geworden, verspielter und auch etwas ungezwungener. Gelegentlich war sogar ein Witz gefallen, der den Werwolf zum Lachen gebracht hatte.
 

„Brauchst du etwas?“, wollte Luke wissen, während er den Autoschlüssel in seine schwarz-blaue Trainingsjacke mit Kapuze und Manchester United Logo steckte.
 

„Nicht wirklich. Mom erledigt sämtliche Einkäufe“, erklärte Scott und ging neben seinem Freund her. Freund – das klang noch immer seltsam. Es war so schnell gegangen und fühlte sich doch so richtig an.
 

Ihm kam der Gedanke, dass das A auf seinem Oberarm vielleicht einfach ein äußerst hässliches T sein konnte. Vielleicht war es ja verwaschen oder würde sich noch verändern? Konnte ein Seelenmal das überhaupt? Sollte es das?
 

Diese Überlegungen wurden von seiner Begleitung überschattet, die zielstrebig auf einen kleinen Blumenladen zuhielt. Scott beeilte sich, den Anschluss nicht zu verlieren. Das Geschäft war zwischen eine Fast Food Filiale und einen Eisenwarenladen gestopft. Trotz des begrenzten Stauraumes, war das Sortiment groß genug, zumindest wenn man ihn fragte. Ein kleines Blütenmeer sprang ihnen entgegen, als sie eintraten und die Verkäuferin, eine stämmige Frau Mitte 50, mit vollen Wangen, dunklem Teint, einer leicht gekrümmten Nase und Grübchen, sah beim Klingeln auf, welches ihr Erscheinen ankündigte. Die langen schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, der mehr schlecht als recht ihre wilde Mähne zu bändigen vermochte.
 

„Guten Tag, kann ich euch helfen?“, erkundigte sie sich freundlich und richtete sich hinter dem Tresen auf.
 

Der Blumenduft vernebelte Scott die Sinne. Es waren so viele verschiedene Gerüche, die auf ihn einprasselten, dass ihm schwindlig wurde. Er hörte Lukes Stimme und die der Verkäuferin nur mehr gedämpft, fast als hätte er Watte in den Ohren. Der Geruch von Rosen war wahrzunehmen, genauso wie Tulpen, Veilchen und etwas, das in seiner Nase ein unangemessen Kratzen erzeugte. Das Atmen fiel ihm immer schwerer und er hatte Mühe sich auf den Beinen zu halten. Der Alpha blinzelte mehrmals, um die aufkommenden Doppelbilder zu vertreiben. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
 

Luke sagte erneut irgendetwas und die Verkäuferin antwortete, er konnte aber beim besten Willen nicht bestimmen, was das Gesprächsthema der beiden war. Alles um ihn herum begann sich zu drehen. Seine Sicht war mittlerweile so verschwommen, dass er die eigene Hand vor Augen nicht sah und ihm war, als würde er gleich umkippen. Hilflos versuchte er sich zu orientieren. Er wollte nach draußen; irgendetwas in diesem Laden machte ihm zu schaffen.
 

Seine Lungen wollten Sauerstoff, den er ihnen aber nicht bieten konnte. Panik überkam ihn. Es war wie damals, bei einem seiner Asthmaanfälle. Den Inhalator brauchte er seit seinem Dasein als Werwolf nicht mehr.
 

„Luke“, presste er noch stöhnend heraus und bemerkte, wie seine Beine ihren Dienst quittierten. Im verzweifelten Versuch, sich irgendwo festzuhalten, streckte er hilflos die Hände aus, doch nicht einmal das war ihm möglich. Er brauchte Luft, musste atmen! Noch bevor er mit dem harten Holzboden des Ladens Bekanntschaft machte, begriff er, warum er so reagierte: Hier drinnen befand sich Eisenhut. Dann wurde es dunkel um ihn herum.
 

„Scott?“, hörte er jemanden sagen. „Scott?“ Erneut, dieses Mal lauter und auch besorgter. Er brauchte einen Augenblick, um die Stimme zuzuordnen, dann schlug er die Augen auf.
 

Luke schaute ihn sorgenvoll an. Scott konnte eine Hand in seinem Nacken spüren und eine auf seiner Brust. Ein grelles Licht blendete ihn, sobald der Brite den Kopf anhob. Stöhnend schirmte er mit seiner rechten Hand die Augen ab.
 

„Hörst du mich?“, wurde er eindringlich gefragt. „Wenn du mir nicht antwortest, rufe ich einen Krankenwagen.“
 

„Ich höre dich“, murmelte der Werwolf und kniff die Augen zusammen. Was war überhaupt passiert? Sie waren in den Blumenladen gegangen, dann war ihm schwindelig geworden und… Sofort schoss er auf und bemerkte, dass sie sich noch immer im Laden befanden. Die Verkäuferin musterte ihn besorgt. Ein weiterer prüfender Blick eröffnete ihm eine offene Eingangstür. Erleichtert ließ er sich wieder sinken, in Lukes Arm, wie er bemerkte.
 

„Du machst mir Sachen“, hörte er ihn murmeln. „Ein Wunder, dass du dir nichts gebrochen hast.“
 

„Es geht schon, mach dir keine Sorgen“, versuchte der Alpha Luke zu beruhigen. „Ich bin wohl gegen irgendetwas hier drinnen allergisch.“ Das war nicht einmal gelogen. Für einen kurzen Augenblick hatte er sich wieder in der Situation mit Allisons Mutter gewähnt. Victorias Versuch ihn umzubringen war ihm noch immer in lebhafter Erinnerung.
 

„Sicher?“ Luke klang nicht überzeugt. „Wir können sofort ins Krankenhaus fahren.“
 

„Nicht nötig“, beschwichtigte Scott und richtete sich langsam, mit Hilfe, auf. Der Geruch des Eisenhuts war noch immer präsent, aber die Frischluft von draußen schien auszureichen, um den Effekt auf ihn zu minimieren. „Ich warte einfach draußen, okay?“
 

„Okay, aber wenn etwas ist, rufst du sofort, ja? Geh nicht zu weit weg.“ Lukes zog seinen Arm zurück, den er ihm um den Rücken gelegt hatte und Scott beeilte sich, nach draußen zu kommen. Ihm war die Situation nicht nur unangenehm, sondern auch peinlich. Was die Verkäuferin wohl von ihm denken musste oder sein Freund? Wie ein Mauerblümchen… Zielstrebig hielt er auf eine leere Bank in der Nähe zu und setzte sich. Das Gefühl des Erstickens verfolgte ihn noch immer. Zu oft und zu lange war er als Kind und Jugendlicher damit konfrontiert gewesen. Nach dem Biss durch Peter hatten sich die Symptome in Luft aufgelöst, umso schlimmer war es, sie erneut zu verspüren. Die Asthmaanfälle waren etwas Normales gewesen, heute jedoch nicht mehr. Er versuchte sich abzulenken, indem er die vorbeigehenden Leute beobachtete. Jugendliche, Erwachsene, Kinder, ältere Menschen – alles bunt gemischt. Niemand schien von ihm Notiz zu nehmen. Erleichtert atmete er aus; sein kleiner Schwächeanfall war wohl niemandem aufgefallen.
 

Wie lange er so dagesessen hatte, konnte Scott nicht sagen, jedenfalls lange genug, als dass Luke mit einem Blumenstrauß aus lila Veilchen in der Hand auf ihn zukam. Sein Gesicht spiegelte noch immer Besorgnis wider.
 

„Du hast wieder etwas mehr Farbe“, stellte der Brite fest. „Gegen Veilchen bist du nicht allergisch, oder?“
 

„Nein, keine Angst“, schüttelte der Werwolf den Kopf. „Keine Ahnung was das eben war“, log er und fühlte sich beim Ende des Satzes bereits schlecht. Er wollte nicht lügen, wusste nicht einmal, warum er es tat. Sollte er ihm nicht einfach reinen Wein einschenken, ihm sagen, wer und was er war? Etwas hielt ihn davon ab, eine Vorahnung oder ein Gefühl. Er sträubte sich so sehr davor. „Warum hast du denn Veilchen gekauft?“, lenkte er das Gespräch auf ein Thema, welches ihm weitaus weniger unangenehm war.
 

„Weil violette Veilchen, unter anderem, für Geduld stehen“, erklärte ihm Luke und setzte sich neben ihn, den Blumenstrauß zwischen sie legend.
 

„Geduld?“ Scott schenkte ihm einen neugierigen Blick. Er hatte von solchen Dingen keine Ahnung, nur, dass rote Rosen für Liebe standen und man sie am Valentinstag besonders gern verschenkte.
 

„Ja, Geduld“, bestätigte Luke. „Ich möchte deine Mutter um sehr viel Geduld bitten.“
 

„Mom? Wozu?“
 

„Dass sie mir meine Fehler mit Geduld nachsieht und auch geduldig dabei bleibt, mich zu beweisen, ein guter Freund für ihren Sohn zu sein.“ Sein Gegenüber zupfte ein wenig an seinen Fingerspitzen herum. „Mit dir ist wirklich wieder alles in Ordnung? Ich mache mir die größten Vorwürfe, dich in den Laden mitgenommen zu haben.“
 

„Es ist wirklich alles in Ordnung, Luke.“ Scott streckte seine Hand aus und legte sie auf Lukes Schulter. „Mach dir keinen Kopf.“
 

„Okay – wollen wir ein wenig bummeln gehen? Ich habe bisher wenig von der Mall gesehen.“ Dabei nickte der Brite in Richtung der Rolltreppe, die sich in gut zwanzig Metern Entfernung befand.
 

„Deinen hohen Ansprüchen wird wohl keines dieser Geschäfte genügen, hm?“, neckte der Alpha ihn.
 

„Wahrscheinlich nicht“, lautete die knochentrockene Antwort. „Dann sehen wir uns mal an, was die Beacon Hills Mall zu bieten hat.“
 

Damit standen sie auf und schlenderten gemeinsam durch das Einkaufscenter. Nach wenigen Metern waren ihre Hände bereits verschränkt.
 

„Wo kaufst du eigentlich ein?“ Auf das fragende Gesicht seines Freundes hin fügte Scott rasch „zuhause meine ich“, an.
 

„Kleidung beim Schneider meines Vertrauens, beziehungsweise in ausgewählten Modeboutiquen.“
 

„Und Blumen?“, hakte der Werwolf noch. „Kaufst du öfter Blumen?“
 

„Nein.“ Luke drückte seine Hand ein wenig fester und entwickelte reges Interesse an einem kleinen Coffeeshop ihnen gegenüber. „Jungen schenkt man keine Blumen und Mädchen gab es bisher keines so wirklich, das ich damit hätte beschenken wollen.“
 

„Und woher weißt du dann darüber Bescheid, oder hast du mich angeflunkert?“
 

„Interesse. Meine spärliche Freizeit habe ich in der Regel dafür verwendet, mich ein wenig darauf vorzubereiten, einem potentiellen Freund oder einer Freundin und deren Familie gegenüberzutreten, oder es mir zumindest auszumalen.“ Luke sah nun wieder zu Scott zurück und kratzte sich umständlich, mit dem Blumenstrauß in der Hand, an der Wange. „Ich wollte zuerst Lilien kaufen, da sie in der chinesischen Kultur eine besondere Bedeutung haben, aber ich müsste sie eigentlich dir schenken.“
 

„Mir?“, folgte die leicht entgeisterte Frage. Scott freute sich über Geschenke, aber eher nicht über Blumen.
 

„Die Lilie ist ein beliebtes Geschenk für Hochzeitspaare beziehungsweise Frauen, die bald heiraten, da sie als Bringer von Söhnen gilt. Söhne sind in der chinesischen Gesellschaft bisher erwünschter gewesen als Töchter, das ändert und hat sich, zum Glück, auch geändert. Jedenfalls ist die Lilie ein Symbol für glückliche und dauerhafte Liebe. Sie deiner Mutter zu schenken, könnte falsch wirken.“ Luke kratzte sich erneut, dieses Mal an der Nase, wobei sein Kopf kurz hinter dem Veilchenstrauß verschwand.
 

„Mh, ich verstehe.“ Scott verstand nicht, überhaupt nicht. Er begriff nicht einmal, warum man sich so viele Gedanken um ein paar simple Blumen machte. Sie waren eine Geste, ein Geschenk und seine Mutter würde sich sicher darüber freuen, doch er bezweifelte stark, dass Melissa ihnen eine ähnlich tiefere Bedeutung beimessen würde wie Luke.
 

Nachdem die Mall ausgekundschaftet war (und sich sein Freund mehrmals über das lausige Angebot beschwert hatte), bewog sie der grummelnde Magen des Werwolfs dazu, einen kleinen Italiener anzusteuern. Scott war hier bereits mit Allison gewesen und bei dem Gedanken an ein gutes Stück Pizza, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Lukes Skepsis stand diesem förmlich ins Gesicht geschrieben, die er auch nicht ablegte, als der Kellner, etwas älter als sie beide, mit Pferdeschwanz und Stupsnase, sowie den Speisekarten bewaffnet, auf sie zukam. Während Scott sich für eine Pizza Hawaii entschied, beließ es der Brite bei einem Glas Orangensaft.
 

„Hast du keinen Hunger?“
 

„Nicht wirklich. Ich bin mit den Gedanken woanders“, gab sein Gegenüber zu und betrachtete eingehend den Blumenstrauß neben sich. Er vermied es, die anderen Besucher direkt anzusehen und konzentrierte sich voll und ganz auf sein Mitbringsel.
 

„Wo denn?“
 

„Bei deiner Mutter. Was mache ich, wenn sie mich nicht mag, oder mich nicht als gut genug für dich erachtet? Ich hätte ihr ein Brillantcollier kaufen sollen, oder ein Auto, oder…“ Lukes Nervosität war nicht zu übersehen, geschweige denn zu überhören. Immer wieder warf er Scott einen leicht panischen Blick zu. „Blumen, was für eine dumme Idee – generisch, einfach, plump…“
 

„Hey, ganz ruhig“, unterbrach ihn der Alpha rasch. „Mom mag dich jetzt schon und sie wird dich auch als meinen Freund mögen. Du machst dir viel zu viele Gedanken. Sie freut sich über die Blumen, ganz bestimmt.“
 

„Das sagst du nur so.“ Luke rieb die rechte Wange an seiner Schulter. „Ich habe keinen Plan B und das beunruhigt mich.“
 

„Du brauchst keinen Plan B – sei einfach nur du selbst.“
 

Als die Getränke kamen, Scott hatte sich eine Cola bestellt, war er ehrlich gesagt froh darüber. So aufgeregt hatte er seinen Freund in den fünf, fast sechs Tagen, noch nie erlebt. Er schien nicht zu wissen wohin mit seiner überschüssigen Energie, wippte unruhig mit den Schuhspitzen hin und her, trippelte an seinem Glas herum und wechselte zwischen „Reden wie ein Wasserfall“ zu „Schweigen wie ein Grab“ und das im Minutentakt. Irgendwann gab der Alpha sich geschlagen und wartete auf seine Pizza, während er Luke immer wieder beteuerte, er müsse sich keine Sorgen machen.
 

Nach dem Essen, wobei sie für Melissa eine Pizza Margherita mitnahmen, Luke hatte darauf bestanden zu bezahlen, gingen sie zum Auto. Scott war gleich dazu übergangen, wieder mit dem Briten Händchen zu halten, was diesen ein wenig zu beruhigen schien.
 

„Müsste ich nicht eigentlich nervöser sein als du? Dein Vater ist schließlich jemand, der zu den oberen Zehntausend gehört?“, gluckste der Werwolf nach einer Phase des beständigen Schweigens, während Luke umständlich den Wagen aufsperrte.
 

„Wenn es nach mir geht, wirst du mit Dad niemals in Berührung kommen.“ Die Türen schwangen auf und sie ließen sich beide auf den Autositzen nieder, Blumen und Pizzakarton auf der hinteren Ablage abladend.
 

„Warum?“
 

„Weil seinen Ansprüchen niemand genügt. Ich will nicht darüber reden, okay? Zumindest jetzt nicht – ich… ich muss mich emotional darauf vorbereiten, mich deiner Mutter vorzustellen.“
 

„Warum denn? Du tust so, als wäre meine Mom ein Monster mit Schlangenhaaren, das Feuer spuckt. Mal abgesehen davon, dass es mich vielleicht auch verletzen könnte, dass ich anscheinend für deinen Vater nicht genüge.“ Letzteres stimmte sogar, denn es hatte ihm einen kleinen Stich versetzt. Wenn Lukes Vater ähnlich versnobt war wie er…
 

„Hey.“ Ruckartig schnellte Lukes Kopf herum und er sah ihn eindringlich an. „Du bist mein Freund und ich liebe dich. Was mein Vater davon hält oder denkt ist völlig egal. Ich entscheide selbst über mein Leben und wen ich an meiner Seite haben will und das bist du.“ Etwas zu grob wurde der Schlüssel in die vorgesehene Öffnung gerammt. „Wenn Dad nur einmal schlecht über dich redet…“
 

„Luke, Luke…“ Scott hob beschwichtigend die Hände. „Ganz ruhig. Ich komme schon damit klar, dass ich kein reicher Junge aus gutem Hause bin, oder was auch immer sich dein Dad für dich wünscht. Nur, wenn ich damit zu Rande komme, dann du bitte bei meiner Mom auch, ja? Entspann dich. Wir müssen es ihr auch nicht gleich sagen…“
 

„Mhm, ich… lass mich einfach denken während des Fahrens, okay? Ich muss meine Gedanken sortieren und ich will es auch gleich hinter mich bringen.“ Der Motor gab einen Laut von sich und der Wagen setzte sich in Bewegung.
 

„Ist gut, aber beruhig dich. Es wird ganz locker über die Bühne gehen.“ Das hoffte Scott inständig, auch wenn er nicht daran zweifelte. Seine Mutter würde sich höchstens wundern, dass es so schnell gegangen war, aber sich sicherlich freuen, vor allem, wenn sie merkte, wie ernst es ihm mit Luke war. Sie hatte sich sehr bemüht, seinen Liebeskummer bezüglich Allison zu bekämpfen, war aber, wie jeder andere, einschließlich Stiles, daran gescheitert, doch hatte niemals aufgegeben und was Lukes Dad betraf… darüber machte er sich erst Gedanken, wenn es soweit war. Fürs Erste hatte er alle Hände voll damit zu tun, seinen Freund zu beruhigen, dessen Anspannung mit jedem zurückgelegten Meter weiter anwuchs. Das konnte ja heiter werden.

Veilchen als Tarnung

Luke zu beruhigen stellte sich als ungefähr ähnlich simpel heraus, wie Coach Finstock zu einem ruhigen und gelassenen Menschen zu erziehen: Quasi unmöglich. Die ganze restliche Fahrt über hatte er immer wieder mit den Fingern auf dem Lenkrad herumgetrippelt, war dabei mehrmals deutlich über dem Tempolimit gefahren und hatte dabei zusammenhangloses Zeug von sich gegeben. Nach der dritten Aufzählung sämtlicher Spieler des Monats September in der Premier League war es Scott zu bunt geworden.
 

„Halt an“, forderte er ihn auf.
 

„Was?“ Luke sah nicht einmal zu ihm herüber, sein rechtes Augenlid zuckte leicht, während er sich auf den Verkehr zu konzentrieren schien.
 

„Du sollst anhalten.“ Scotts Stimme war ruhig aber bestimmt.
 

„Wozu? Dann kommen wir zu spät. Das macht einen noch schlechteren Eindruck von mir als ohnehin schon. Nein, wir müssen schneller fahren.“ Der Dunkelblonde schnitt eine leicht panisch anmutende Grimasse.
 

„Wenn du nicht sofort rechts ranfährst, steige ich nicht in deine Fußballmannschaft ein.“ Warum Scott das gesagt hatte, konnte er selbst nicht erklären, er war seiner Intuition gefolgt, aber es schien zu fruchten. Kaum zehn Sekunden später stand der Mercedes am Straßenrand und Luke schaute mit weit aufgerissenen Augen zu ihm herüber.
 

„Habe ich jetzt deine Aufmerksamkeit?“, erkundigte sich der Werwolf gelassen. „Oder möchtest du vielleicht noch einmal das Tempolimit um mindestens ein Drittel der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit überschreiten?“
 

„Ich, Scott…“ Das nervöse Gestammel Lukes wurde durch einen behutsamen Kuss beendet. Augenmerklich verlor er dabei einen Großteil seiner Anspannung. Die grau-grünen Augen verschwanden hinter flatternden Lidern und ein erleichtertes Seufzen entsprang seiner Kehle.
 

„Das ist deutlich besser“, konstatierte Scott und schmunzelte dabei. „Dass du so einfach zu beruhigen bist, hätte ich auch nicht gedacht.“
 

„Du tust so, als wäre nichts dabei, deiner Mutter gegenüberzutreten. Was, wenn sie schlussendlich entscheidet, ich wäre nicht der richtige Umgang für dich, der richtige Kerl, hm? Was mache ich dann? Vor den nächsten Zug laufen?“ Lukes Körperhaltung veränderte sich erneut: Muskeln wurden angespannt, Schultern angehoben, die Lippen aufeinandergepresst und sich nervös durch die Haare gefahren.
 

„Ist es auch nicht. Ganz ruhig, Luke.“ Der Werwolf legte seinem Freund dabei eine Hand auf die Wange. „Du machst dir viel zu viele Sorgen. Mom wird es akzeptieren und dich mögen, ich weiß das. Sie wird sehen, wie sehr ich dich liebe und wie sehr du mich liebst und sich auch über die Blumen freuen.“
 

„Die dich fast gekillt hätten“, folgte sogleich die schuldbewusste Antwort, kombiniert mit einem niedergeschlagenen Gesicht.
 

„Was ist eigentlich mit dir los? In den letzten Tagen hast du dich eigentlich nie so verhalten, vor allem nicht, wenn Fremde dabei waren. Dem Coach gegenüber bist du komplett gleichgültig aufgetreten, Jackson auch, sogar Stiles – und hier kneifst du auf einmal? Warum?“ Scott nahm seine Hand dabei nicht von Lukes Wange, sondern begann, im Gegenteil, mit dem Daumen sachte darüberzustreichen.
 

„Weil… weil“, der Brite verdrehte genervt die Augen und gab einen unzufriedenen Laut von sich, wobei er sich dabei in Richtung der fremden Handfläche drehte. „Weil das hier etwas Wichtiges ist, weil du, weil ihr mir wichtig seid“, führte er leise aus und strich mit den Lippen über Scotts Fingerspitzen, was diesem einen warmes Prickeln darin bescherte. „Deine Mutter gehört zu dir, und ich will nicht, dass sie glaubt, es wäre mir nicht ernst, oder ich wäre einfach nur scharf auf dich.“ Hastig sah er zum Werwolf hinüber und fügte an: „Das bin ich auch, sehr sogar.“
 

„Sch, schon gut“, begann Scott aufs Neue seinen Freund zu beruhigen. „Du sollst einfach nur du sein, okay? Es hat doch bisher gut funktioniert, warum sollte es genau jetzt anders sein, hm?“
 

„Ich weiß es nicht, Scott. Das ist eine Situation, die ich nicht unter Kontrolle habe und in der es nicht nur auf mich ankommt, sondern auch auf den Eindruck eines anderen Menschen. Ich will nicht, dass wir so enden wie Romeo und Julia, oder Harry und Ste, dazu verdammt, ein Leben in Heimlichkeit und voller Ablehnung zu führen, mit dem Endergebnis, dass mindestens einer von uns deswegen umkommt.“ Luke klang dezent verzweifelt und umschloss Scotts Handgelenk mit seinen Fingern, es dabei festhaltend, als hätte er Angst, dessen Besitzer würde sich sonst in Luft auflösen. „Wenigstens nicht deiner Mutter gegenüber.“
 

Scott kannte diesen Vergleich, zumindest jenen von Romeo und Julia. Etwas Ähnliches war bereits einmal zwischen Allison und ihm gefallen. Damals war es gehörig schief gegangen. Er wollte nicht eine neuerliche Enttäuschung erleben, sich von diesem schlechten Omen beeinflussen lassen. Entschlossen, sich dagegen zu wehren, setzte er sich ein wenig auf und rückte mit dem Gesicht näher an Luke heran. Wenn es so nicht funktionierte, seinen Freund dauerhaft zu beruhigen, dann vielleicht anders.
 

„Schau mich an“, forderte er Luke auf. „Schau mir tief in die Augen.“
 

Zögernd folgte sein Gegenüber der Bitte, wobei er sichtlich Mühe hatte. Er wirkte nicht nur nervös und unruhig, sondern auch irgendwie beschämt und unsicher. Seine Lippen zitterten, seine Mundwinkel hingen nach unten und die Nasenflügel waren geweitet, warmen Atem auf Scotts Haut blasend.
 

„Luke, ich kenne dich seit nicht einmal einer Woche und wir sind bereits zusammen. Das liegt nicht daran, dass du reich bist, gut aussiehst, oder Möglichkeiten besitzt, von denen ich nur träumen kann; ich liebe dich, weil du so bist wie du bist. In diesem Moment noch mehr als in allen anderen. Der W…“ Fast hätte er sich verplappert und räusperte sich rasch, um diesen Umstand zu überspielen. „Warum sollte meine Mom denn anders auf dich reagieren? Du tust mir gut, bringst mich zum Lachen und hast Dinge zu mir gesagt, von denen ich nicht einmal wusste, dass man sie als Komplimente verwenden kann. Du atmest jetzt noch einmal tief durch und verinnerlichst, was ich dir gerade gesagt habe.“
 

Der Brite schloss die Augen und machte einen tiefen Atemzug. Sein Griff um Scotts Handgelenk lockerte sich, um sich dann gänzlich davon zu lösen. Ein Reiben mit der Wange an der Schulter später, schien er soweit heruntergekommen zu sein, als dass er die Augen wieder öffnete, seine Hände wieder an das Lenkrad legen und ihre Fahrt, nun im vorgegebenen Tempolimit, fortsetzen konnte.
 

„Luke?“
 

„Hm?“, war die einsilbige Gegenfrage, während sie sich in einem kleinen Stau befanden und Luke sich darauf beschränkte, leicht ungeduldig auf dem Lenkrad herumzutrippeln.
 

„Wer sind Harry und Ste?“ Scott war vielleicht nicht der Beste, was literarische Figuren anging, aber die Gängigsten kannte er mittlerweile. Ste klang außerdem nicht nach einem Protagonisten, den etwa Shakespeare erschaffen hätte.
 

„Harry und Ste waren mal DAS schwule Liebespaar in Hollyoaks, DER Seifenoper in Großbritannien. Ich mochte Ste nie wirklich, er war untreu, unsicher und eigentlich ein kompletter Vollidiot, aber Harry – es hatte einen verbotenen Charakter, war eine verbotene Liebe. Harry konnte es seinem Vater nicht sagen, genauso wenig wie Ste.“ Lukes Mundwinkel wanderten ein wenig nach oben. „Verboten hübsch war er auch – bei Gelegenheit werden wir mal einen kleinen Serienmarathon starten, okay?“
 

„Wie kommt es eigentlich, dass du, trotz deiner spärlichen Freizeit, die du zweifelsohne mit Training und Lernen ausfüllen musst, noch immer genügend Kapazitäten hast, um dich mit Serien und Animes zu beschäftigen?“, wollte Scott wissen.
 

„Alles eine Frage der Organisation. Gilt ja beim Fußball auch. Wenn du keine Freunde hast, verlaufen die Tage ein wenig anders: Training, Schule, Hausaufgaben, zwischendrin etwas essen, dann eventuell wieder Training und die restliche Zeit kannst du dir frei einteilen. Zumal es ja die Möglichkeit gibt, sich die Folgen nachträglich anzusehen.“
 

„Ich habe eigentlich damit gerechnet, du würdest jetzt erzählen, den Sender bestochen zu haben, damit er die Serie nur zu einer für dich günstigen Zeit ausstrahlt“, gluckste Scott und beobachte, wie sie in die Einfahrt der McCalls einbogen.
 

„Dann hätte ich den Sender in die Luft jagen und die Regisseure allesamt mit ihrem Drehbuch verprügeln müssen“, lautete der trockene Kommentar.
 

„Hm?“
 

„Mh, sie haben Harry sterben lassen – eine der größten Fehlentscheidungen überhaupt.“ Der Brite sah zum Haus und seufzte leise. „Und du sagst, es reicht, wenn ich einfach ich selbst bin?“, folgte sogleich der eiskalte Themenwechsel.
 

„Vollkommen“, bestätigte ihm Scott. „So wie du mir gegenüber immer gewesen bist.“
 

„Ich schaffe das“, sagte Luke zu sich selbst.
 

„Natürlich schaffst du das“, ermutigte ihn der Alpha. „Ganz locker bleiben.“
 

„Ich versuche es.“
 

Damit stiegen sie aus, Luke den Blumenstrauß in der Hand, Scott vor ihm hergehend. Er drehte den Schlüssel einmal im Schloss herum und trat dann ein, dicht gefolgt von seiner Begleitung, die ihr Gesicht erstaunlich gut hinter Veilchen verbergen konnte. Es würde also an ihm hängen bleiben, das Eis zu brechen, obwohl das eigentlich gar nicht notwendig sein sollte. „Dann auf in den Kampf“, dachte er sich und hielt zielstrebig auf die Küche zu, aus der ihm der Duft von frischem Essen entgegenschlug, sein Anhängsel dicht hinter sich.
 

„Ich bin wieder da, Mom“, rief Scott in Richtung Küche und spürte sogleich Finger, die sich um seine eigenen legten. Er musste sich gar nicht umdrehen, um zu wissen, dass Luke sich hinter ihm versteckte, zumal der Veilchenduft nun übermächtig geworden war.
 

„Ich bin in der Küche; ich hoffe, du hast Hunger, Liebling“, kam es fröhlich zurück. „Morgen habe ich frei. Wir könnten also etwas unternehmen.“
 

„Vielleicht ist es besser, wenn ich wieder gehe“, schlug Luke leise flüsternd vor. „Ich will euch nicht stören, zumal du die spärliche Zeit mit deiner Mutter…“
 

„Mom, kannst du mal eben ins Wohnzimmer kommen, wenn du Zeit hast und mit dem Kochen aufhören? Es ist wichtig. Ich habe dir Pizza mitgebracht“, unterbrach Scott seine Begleitung und bugsierte sie in Richtung des Sofas. „Und du setzt dich jetzt hin und beruhigst dich endlich.“ Damit ließ er sich neben Luke fallen, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Es würde kurz und schmerzlos ablaufen. Mit Allison war es so einfach gewesen, daher musst es mit Luke noch einfacher sein. Ganz sicher.
 

Beim Geräusch herannahender Schritte, kombiniert mit dem Knarzen der Fußbodendielen, schlug der Werwolf die Augen wieder auf und konnte seiner Mutter entgegenblicken, die ihm ein breites, wenn auch leicht verwirrtes Lächeln schenkte. Sie nickte in Richtung von Luke, der sich hinter seinem Strauß zusammenkauerte und so wirkte, als wollte er am liebsten im Erdboden versinken.
 

„Mom, setz dich“, bat Scott seine Mutter und er versetzte Luke einen sanften Stoß mit dem Ellenbogen, sodass dieser aufschreckte und hinter seiner floralen Tarnung aufschnellte. „Luke und ich müssen dir etwas sagen.“
 

„Ahm, ja, guten Tag Mi… Melissa“, räusperte sich der Angesprochene leicht, stand auf und hielt ihr den Veilchenstrauß entgegen. „Ihren Teller habe ich im Auto liegen lassen, ich hole ihn“, sein Blick fiel dabei auf Scott, der angedeutet den Kopf schüttelte „gleich, wenn wir mit Ihnen gesprochen haben.“
 

Melissa schien sich über ihr Präsent tatsächlich zu freuen, denn sie nahm den Strauß entgegen, bedankte sich und setzte sich ihnen gegenüber hin. Neugierde war in ihren Zügen zu erkennen, wie auch eine Spur Besorgnis und Verwirrung. „Ich habe dir doch schon das letzte Mal gesagt, dass Melissa völlig reicht“, sagte sie sanft zum Briten.
 

„Natürlich, nur… es ist gerade ein wenig kompliziert.“ Bevor Scott reagieren konnte, hatte sich Luke schon wieder neben ihn gesetzt und nach seiner Hand, oder besser gesagt, den Fingern seiner rechten Hand gegriffen, um sie miteinander zu verschränken. „Ich würde es vorziehen, wenn ich ganz kurz reden dürfte und Sie mir zuhören, Miss McCall.“ Damit räusperte sich der Dunkelblonde erneut und schien den Fakt, dass Scotts Mutter ihrer beider Geste mit den Händen mit einem leichten Stirnrunzeln kommentierte, einfach auszublenden.
 

„Ich weiß, es mag sehr früh erscheinen und ich verlange viel, aber ich möchte Sie um sehr viel Geduld mit mir bitten, Miss McCall. Darum auch die Veilchen – lila Veilchen werden mit der Bitte um Geduld verbunden.“ Luke drückte dabei Scotts Hand fest, dessen Augenbrauen in die Höhe wanderten, der welcher das Gefühl hatte, sich nicht einzumischen.
 

„Geduld? Warum denn?“ Seine Mutter sah zwischen ihnen hin und her, dann blieb sie erneut bei ihrer beider Hände hängen.
 

„Weil ich mich unsterblich in Ihren Sohn verliebt habe“, stellte Luke erstaunlich gefasst und ruhig in den Raum. „Ich möchte Sie wirklich darum bitten nachsichtig mit mir zu sein und geduldig, und mir eine Chance zu geben zu beweisen, dass ich es ernst meine. Scott hat sich in diesen wenigen Tagen zu einer der wichtigsten Personen in meinem Leben entwickelt und ich verspreche Ihnen, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um weder Sie, noch ihn zu enttäuschen.“ Bei diesen Ausführungen wanderte die rechte Braue des Werwolfs langsam in die Höhe.
 

Melissa tat es Ihrem Sohn gleich, den sie nun fixierte und musterte. Scott rückte dabei automatisch ein wenig näher an Luke heran, sodass sich ihre Schultern berührten. Ein Lächeln stahl sich auf die Züge des Briten und sein pochendes Herz stimmte sich beim Schlagen auf sein eigenes ab.
 

„Das bedeutet, dass du dich auch verliebt hast, Scott?“ Melissa klang überrascht, wie auch ein wenig zurückhaltend, was sich auch in ihrem Gesichtsausdruck widerspiegelte.
 

„Ja, Mum, sehr sogar“, bestätigte er ihr. „Luke und ich mögen uns, ich kann dir aber nicht erklären, warum es so schnell gegangen ist. Stört es dich?“
 

Seine Mutter schüttelte rasch den Kopf: „Nein, natürlich nicht. Ich muss nur zugeben, dass es recht plötzlich kommt und vor allem äußerst früh ist. Ich meine, ihr zwei scheint euch wirklich zu mögen, so wie ihr vor mir sitzt und ich werde euch nicht im Weg stehen, wenn ihr glücklich miteinander seid, nur…“ Sie betrachtete den Blumenstrauß in ihrer Hand. „Ich wundere mich nur.“
 

„Mom, es ist vielleicht ein wenig komisch, dass ich dir kein Mädchen vorstelle, aber…“, fing Scott an, wurde aber sogleich unterbrochen.
 

„Das doch nicht. Schatz, du weißt genau, dass ich nur dein Bestes will, ich frage mich nur, wie ein Junge in deinem Alter in der Lage ist, sich solche Gedanken zu machen, wenn es um einen einfachen Blumenstrauß geht, Luke. Das schaffen die meisten Männer in meinem Alter nicht einmal.“ Sie sah amüsiert zu den beiden herüber. „Ich würde vorsichtig sagen, das ist ein Pluspunkt.“
 

„Ich interessiere mich für solche Dinge. Geschenke und Gesten sollten einen tieferen Sinn beinhalten. Gerade ein Strauß Blumen sagt oft mehr als viele Worte.“ Luke kratzte sich verlegen im Nacken. „Sie haben also nichts dagegen?“
 

„Es kommt wie gesagt sehr plötzlich, aber wenn Scott der Meinung ist, es könnte mit euch funktionieren, dann werde ich das auch so sehen und euch nach Kräften unterstützen, aber nur unter einer einzigen Bedingung.“ Sowohl Scott, als auch Luke neben ihm, hielten den Atem an. „Du hörst endlich auf mich Miss McCall zu nennen. Ich bin Melissa, keine alte Frau.“
 

Erleichterung machte sich in ihnen beiden breit und sie atmeten simultan aus. Luke nickte leise lachend und lehnte sich noch ein wenig mehr gegen Scott. „Einverstanden. Ich werde mich bemühen. Danke für I… dein Vertrauen, Melissa. Mir bedeutet das sehr viel.“
 

„Höflich bist du schon einmal, wenn auch ein wenig hochgestochen. Wenn sich das auch noch legt und du mir gegenüber weniger steif bist, dann denke ich, kommen wir zwei wirklich gut miteinander aus.“ Sie stand auf, wobei sie ihnen nun ein erneutes, dieses Mal weitaus offeneres und ehrlicheres Lächeln als vorhin schenkte, und zu einem kleinen Schränkchen ging, sich hinunterbeugte und eine Vase hervorholte. „Ich habe übrigens kein Händchen für Blumen – wenn sie also bald das Zeitliche segnen, dann sei mir nicht böse, ja?“
 

„Überhaupt nicht.“ Luke sah zu Scott hinüber. „Wir haben die Pizza im Auto vergessen, und ich den Teller. Ich gehe die Sachen mal eben holen, ja?“
 

Sobald sie alleine waren, und Melissa die Blumen in eine passende Vase gegeben hatte (auf Wasser verzichtete sie wohl), setzte sie sich neben Scott und sah ihn eindringlich an. „Du magst ihn wirklich, hm?“
 

„Merkt man das?“ Irgendwie war es ihm unangenehm, nun alleine mit seiner Mutter darüber zu sprechen, fast schon ein wenig peinlich.
 

„Ein wenig“, neckte sie ihn und strich ihm über den Rücken. „Er scheint dich aber auch sehr zu mögen, so wie er an dir klebt.“
 

„Stört es dich wirklich nicht?“ Scott zupfte am Ärmel seines Pullis herum.
 

„Nein, Schatz, es stört mich nicht, weder, dass er ein Junge ist, noch dass schüchtern ist. Es ist nur wirklich sehr früh, aber das ist nicht meine Entscheidung. Du weißt, dass ich hinter dir stehe, egal was du tust, oder?“
 

„Jaaa, Mom. Ich versteh es selbst nicht so ganz. Wir harmonieren einfach und eigentlich ist Luke gar nicht schüchtern, nur bei mir und wohl auch bei dir.“ Das Zupfen wurde ein wenig intensiviert, den Blicken seiner Mutter ausweichend. „Er ist aber wirklich ein toller Junge.“
 

„Er ist ziemlich gut erzogen, ja“, bestätigte sie ihm und umarmte ihn.
 

„Du gibst uns also eine Chance? Auch, wenn er wahrscheinlich nicht mein Seelengefährte ist?“ Scott erwiderte die Umarmung.
 

„Scott, hör auf dir Gedanken darüber zu machen, was ich denke, du musst mit ihm glücklich sein und wenn du mit ihm glücklich bist, dann bin ich es auch. Ich möchte ihn aber trotzdem gerne etwas mehr kennenlernen.“ Melissa drückte ihn noch ein letztes Mal, ehe sie ihn losließ.
 

„Wirst du, ganz sicher. Wahrscheinlich kommt er jetzt öfter vorbei.“
 

„Ich hoffe es.“
 

Ihre Konversation wurde durch die sich öffnende Tür unterbrochen. Luke kam mit dem Pizzakarton und dem mccall´schen Teller zurück. „Mit besten Grüßen von Jonathan“, strahlte er der Älteren entgegen.
 

Der restliche Tag verlief weitaus entspannter, als angenommen. Luke stellte sich dem klassischen Verhör einer Mutter, die nur das Beste für ihren Sohn wollte und meisterte dieses, größtenteils, mit Bravour. Dabei erfuhr Scott auch noch einige neue Dinge über seinen Freund: Dessen Interessensfeld umfasste nicht nur China, sondern auch Japan, er hatte eine Abneigung gegen die meisten Meeresfrüchte, liebte neben Hunden auch Katzen, spielte Fußball bereits seit seinem sechsten Lebensjahr, Langlaufen seit sieben Jahren, würde seine Zahnspange noch mindestens zwei weitere Jahre tragen müssen, trank seinen Earl Grey vorzugsweise mit Zitrone, seine Lieblingsfarbe war Anthrazit, sein Lieblingstier ein Tiger, regnerisches Wetter war genau sein Ding und er war allergisch gegen Ananasfrüchte, sowie deren Erzeugnisse. Melissa bemühte sich im Gegenzug darum, dem Jungen seine Scheu zu nehmen, was sie hervorragend schaffte; das Verhör wurde schließlich nur augenzwinkernd geführt. Bei familiären Fragen wich der Brite gekonnt aus, entschuldigte sich dabei aber höflich, dass er noch nicht gerne darüber sprechen würde. Das akzeptierte Scotts Mutter auch so. Der Werwolf saß meist daneben, holte ihnen etwas zu Trinken oder Snacks, und staunte nicht schlecht, wie sehr Luke auftaute. Fast schon wehmütig sah dieser zur Uhr über dem Eingang zur Küche.
 

„Es ist kurz vor zweiundzwanzig Uhr und ich muss nach Hause. Grandpa wartet sicher bereits auf mich.“
 

Die Erwähnung von Gerard ließ die Stimmung deutlich abkühlen, was der Dunkelblonde aber nicht zu bemerken schien; seine Wange wanderte automatisch zu Scotts Lippen, wo er sich einen flüchtigen Kuss stahl, bevor er Melissa die Hand hinhielt. „Es hat mich sehr gefreut, Melissa und danke noch einmal für alles. Ich befürchte, noch öfter deine Gastfreundschaft beanspruchen zu müssen. Bei Gelegenheit revanchiere ich mich, versprochen.“
 

„Das ist nicht notwendig“, erwiderte sie und ergriff die dargebotene Hand. „Es hat mich ebenso gefreut. Du besitzt außerdem noch den Anstand zu klingeln, nicht wie Stiles, der quasi bei uns durchs Fenster einsteigt.“
 

„Mom!“, tadelte Scott sie und erntete dafür schallendes Gelächter.
 

„Das war nur ein Scherz; Stiles ist bei uns doch genauso jederzeit willkommen.“
 

„Warum wundert mich das nicht?“, schnaubte Luke leise. „Ich muss wirklich los, so gerne ich auch noch länger bleiben würde. Wenn du einmal etwas brauchst, sag über Scott Bescheid, ja?“
 

„Mache ich“, nickte sie ihm zu. „Bis zum nächsten Mal, Luke.“
 

„Man sieht sich!“ Scott bekam nun doch einen kleinen angedeuteten Kuss, wobei sie beide etwas erröteten. „Ich rufe dich morgen an, okay?“
 

„In Ordnung. Freu mich schon“, lächelte der Werwolf. „Komm gut nach Hause.“
 

„Ich kann wahrscheinlich blind, mit nur einem Arm, besser fahren als die meisten Leute in dieser Stadt.“ Zum Abschied hob der Brite noch einmal seine Hand, bevor er nach draußen verschwand, sie alleine ließ und beide ausgiebig gähnten.
 

„Macht es dir was aus, wenn ich ins Bett gehe und wir uns morgen eindringlich über deinen neuen Freund unterhalten? Mir fallen nämlich allmählich schon die Augen zu, die Schicht hängt mir noch in den Knochen.“ Melissa streckte sich und stand vom Sofa auf.
 

„Eindringlich?“, fragte Scott alarmiert. Das klang überhaupt nicht gut.
 

„Keine Sorge, er ist schon akzeptiert“, zerstreute seine Mutter seine Befürchtungen.
 

„Na, okay. Dann, schlaf gut Mom, hab dich lieb!“
 

„Ich dich auch. Bis morgen.“ Melissa verschwand nach oben, während Scott sich noch um das Geschirr kümmerte, ehe er sich ebenfalls bettfertig machte, in sein Zimmer verzog und müde ins Reich der Träume entschlummerte. Irgendwie war der Tag weitaus weniger Fiasko gewesen als angenommen. Er hatte jetzt einen Freund und war damit nicht mehr alleine, nicht mehr ausgeschlossen von den ganzen Pärchenaktivitäten. Am Montag würde man sicherlich über sie beide reden. Stiles würde ihm ein Ohr abkauen. Beim Gedanken an seinen besten Freund überkam ihn ein schlechtes Gewissen: Er hatte ihm ein Versprechen gegeben und war bereits dabei es zu brechen. Technisch gesehen erst, wenn er sich zu einer Dummheit hinreißen ließ und das wusste er mit aller Kraft zu vermeiden, zumindest bisher. Hoffentlich blieb das auch so.

Ein Plan trägt Früchte

Dieses Mal dürft ihr euch mit einem Grandpa Argent auseinandersetzen, der sich seine Gedanken macht - viel Spaß!

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Gerard hätte sich niemals ausgemalt, Freude bei einer Tasse dampfenden Tees empfinden zu können. Der Butler bereitete ihn exzellent zu. Die feine Note erinnerte an Muskattrauben, die der alte Argent auch erst in diesem Haushalt das erste Mal probieren hatte dürfen, in Form eines gut gekelterten Weines. Generell ließ sich festhalten: das Leben in Luxus war als eindeutiger Pluspunkt zu qualifizieren, nicht zu vergleichen mit dem Pflegeheim, in welchem er versauern hätte sollen. Luke bevorzugte den klassischen Earl Grey, doch für ihn war Darjeeling Tea das Höchste der Gefühle. Wenigstens zu etwas waren die Engländer nütze, ihre Küche hingegen war äußerst fragwürdig.
 

Beim Blick aus dem Fenster rührte Gerard ein wenig herum, klopfte den Löffel klirrend am Tassenrand ab, legte ihn auf den Unterteller und nippte vorsichtig am Heißgetränk. Der Stadtkern von Beacon Hills´ lag vor ihm. Jene Stadt, in der er schon vor vielen Jahren einen seiner größten Kämpfe ausgetragen hatte. Damals hatten die Werwölfe geglaubt, ihn in die Knie zwingen zu können und sie waren eines Besseren belehrt worden. Naiv war es gewesen, zu denken, es könne Frieden zwischen übernatürlichen Wesen und normalen Menschen herrschen. Werwölfe waren Killer, Monster, geboren um zu töten. Seine Familie hatte die Legende der Verwundbarkeit dieser Kreaturen durch Silber begründet. Tollwütige Hunde musste man ausradieren, bevor sie zu einer Gefahr werden konnten. Dieses Wissen war an seinen Sohn und an seine Tochter weitergegeben worden und beide hatten ihn enttäuscht.
 

Gerard nippte erneut am Tee und stellte ihn dann in seinem Schoß ab. Der schmucke Porzellanunterteller mit den handbemalten Habichten und Falken schützte seine Haut vor der sengenden Hitze, welche die Tasse absonderte. Seitdem Geld keine Rolle mehr spielte, war auch er, als alter Mann, ein wenig eitel geworden. Er hatte nie am Hungertuch nagen müssen und doch war dieser Anflug von Dekadenz mit nichts zu vergleichen, dem er vorher anhängig gewesen wäre. Der Butler bereitete ihm seine Mahlzeiten gesondert zu, unter anderem hervorragende Soufflés. Ihm war natürlich bewusst, wie wenig ihn dieser Jonathan mochte, das konnte man ihm direkt ansehen, doch er würde es nicht wagen, sich negativ ihm gegenüber zu äußern, da Luke ihn liebte. Der Junge liebte ihn über alles. Für ihn war Gerard das Stück Familie, welches er nie besessen hatte. Es war klug gewesen, Kate dazu zu drängen, ihren Sohn doch zur Welt zu bringen und noch klüger, den Kontakt zwischen Mutter und Sohn zu unterbinden. Seine Tochter war nie der Typus Frau gewesen, dem man große Verantwortung in Form eines Kindes in die Hand drücken hätte können, doch diese schwach aufflackernden Muttergefühle, die eventuell existierten, waren im Keim erstickt worden.
 

Erneut nippte er an seiner Tasse und räusperte sich schlussendlich hinter hervorgehaltener Hand. Eine Spur zu heiß war das Getränk noch. Kate wäre nie in der Lage gewesen, den Jungen zu erziehen, geschweige denn ihn zu formen. Luke war immer Gerards Rückversicherung gewesen, ein Plan B. Jemanden zu isolieren, abzuschneiden und ihm das zu nehmen, wonach er sich so sehnte, war der perfekte Weg gewesen, den Jungen in seine Arme zu treiben. Er war sich nicht einmal zu schade gewesen, bei diesen unsäglich langweiligen Fußballspielen gelegentlich dabei zu sein. Das Leuchten in den Augen seines Enkels hatte ausgereicht, um ihn wissen zu lassen, dass er ihn immer an der kurzen Leine halten können würde.
 

Luke war ein perfektes Puzzleteil auf seinem Weg zur Rache; Rache an Derek und Peter Hale und vor allem an Scott McCall. Dieses lästige Kind war für seinen widerwärtigen Zustand verantwortlich. Der heilsbringende Biss war zu einem Fluch geworden. Nicht einmal die besten Ärzte, die man sich für Geld hatte kaufen können, waren in der Lage gewesen, ihn aus seinem Martyrium zu befreien, nur seine Qualen zu lindern. Er sonderte mittlerweile nicht mehr diese schwarze und widerwärtige Flüssigkeit ab, die Schmerzen waren auch größtenteils verschwunden aber er war noch immer an den Rollstuhl gefesselt. Doch auch für diesen Umstand existierte eine Lösung.
 

Vorsichtig nippte der alte Argent erneut an seiner Tasse und nickte nun zufrieden; die Temperatur hatte sich zu trinkfertig verändert. So war der Nachmittag einigermaßen erträglich. Vom Butler wusste er, dass Luke mit Scott verschwunden war. Natürlich, die beiden mochten sich ja, liebten sich. Ein hämisches Grinsen stahl sich auf die Züge des alten Mannes. Es war ein simpler Versuch gewesen, eine Idee und sie schien zu funktionieren. Ihm war der Gedanke gekommen, ob nicht auch sein zweites Enkelkind mit einem dreckigen Werwolf verbunden sein könnte, nachdem Allison ihn in doppelter Hinsicht verraten hatte, verraten an Scott McCall und an Isaac Lahey. Das Mädchen war unzuverlässig gewesen und hatte sich aus seinen Fängen befreien können, doch Allison besaß auch, was ihr Cousin niemals besitzen hatte dürfen: eine einigermaßen intakte Familie.
 

Rache war ein treibender Faktor im Leben des Patriarchen der Argenfamilie. Gerards Zeit im Pflegeheim war effektiv genutzt worden – Pläne waren geschmiedet, wieder verworfen, erneut aufgegriffen, austariert und schlussendlich für gut befunden worden. Scott das Gleiche anzutun wie er ihm, reichte nicht aus: An körperliche Schmerzen konnte man sich gewöhnen, seelische Wunden begleiteten einen jedoch ein Leben lang. Er würde ihn brechen, indem er ihm nahm, was er noch mehr liebte als Allison, mehr noch als den großmäuligen Sohn des Sherriffs, mehr noch als seine Mutter.
 

Umständlich rollte er, die Tasse in einer Hand haltend, zu dem kleinen Beistelltischchen und nahm sich von einem Teller eines der französischen Nougat-Eclairs, die er so gerne mochte. Den Hang zu Süßigkeiten schien Luke von ihm geerbt zu haben, denn der Junge konsumierte gefühlt pausenlos irgendwelche Naschereien. Genüsslich ließ er das Backwerk im Mund zergehen. Ein himmlischer Geschmack. Seine Wenigkeit hielt vom Butler erstaunlich wenig, aber er musste eingestehen, der Mann war ein exzellenter Koch und auch ein exzellenter Bäcker. Vorsichtig leckte er sich die Schokolade von den Fingerspitzen und spülte mit einem Schluck Tee nach. Danach griff er nach der bereitliegenden Fernbedienung und innerhalb weniger Sekunden erfüllte der angenehme Klang klassischer Musik, in Form ausgewählter Stücke aus der Oper Eugen Onegin, den Raum. Ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen widmete er sich wieder den Eclairs und hing weiter seinen Gedanken nach.
 

Vernon Boyd und Erica Reyes waren nur ein kleiner Vorgeschmack gewesen. Seine neue Geheimwaffe war deutlich effektiver als Jackson, intelligenter, gerissener und vor allem brutaler. War der verwöhnte Anwaltssohn bestenfalls eine Larve, die sich durch ihren Tod zu einem prachtvollen Schmetterling hätte entwickeln können, so glich der Ninja nahezu der Perfektion, der es bedurfte, um sich an den Werwölfen zu rächen. Gerard war in der Lage, dieses Monster zu kontrollieren und es zu lenken.
 

Im Kampf gegen die beiden Werwölfe, das Liebespärchen, war der Ninja brutal und gefühllos vorgegangen. Genüsslich hatte der alte Mann dabei zugesehen, wie sich seine Waffe hatte behaupten können. Der Schrecken in den Augen des Pärchens, als ihnen klar wurde, einem Gegner gegenüberzustehen, der ihnen deutlich überlegen war. Doch nicht dieser Umstand hatte ihm ein gewisses Maß an Befriedigung verschafft: Die seelische Grausamkeit, welcher beider ausgesetzt wurden, hatte sein altes Herz in Euphorie versetzt. Boyd war noch bei Sinnen gewesen, als man Erica aufgehangen hatte, und sie soweit bei sich, um zu realisieren, was mit ihrem Liebsten passierte. Gerard hatte nie die Absicht besessen, die beiden zu töten; sie dienten nur einer simplen Warnung. Mit jeder Sekunde, die verging, zerbrach etwas in den beiden Werwölfen. Sie hatten zuerst noch versucht sich zu befreien, aber irgendwann obsiegte die Lethargie und die Akzeptanz des Unausweichlichen. Doch das war erst der Anfang gewesen.
 

Nach und nach, Stück für Stück, würden er die beiden Rudel dezimieren, sie in Angst und Schrecken versetzen. Omnipräsente Furcht, das war sein Ziel. Ihnen die eigene Unfähigkeit aufzuzeigen. Derek würde verzweifeln, wenn er niemanden aus seiner kleinen Partytruppe beschützen konnte, was wiederum Stiles in den Wahnsinn trieb. Allison musste in der ständigen Angst leben, ob sie und ihren geliebten Werwolf nicht das gleiche Schicksal ereilen würde, Peter sich fürchten, wann es ihn erwischte und Scott… Erneut stahl sich ein Lächeln auf die Züge Gerards, dieses Mal deutlich boshafter und schneidender als zuvor. Für ihn hatte er sich etwas Besonderes ausgedacht.
 

Seelengefährten. Was für ein Mumpitz. Natürlich existierten sie, doch sie waren ein Fehler, eine Schwäche, Liebe war eine Schwäche. In dem Alpha keimte Hoffnung auf, dass er endlich seinen Gefährten gefunden haben mochte. Allison war damals viel zu redselig gewesen und Luke war es genauso. Der Glaube, der Wunsch, das Spiegelbild gefunden zu haben, den perfekten Partner… Er würde alles versuchen, um seinen Gefährten von ihm zu trennen – ein unmögliches Unterfangen. Luke stand nur auf einer Seite und das war die seines Großvaters. Niemals würde er die Schauermärchen glauben, die man ihm über seinen Grandpa erzählte. Scott konnte sich nur falsch entscheiden und daran zugrunde gehen.
 

Zufrieden leckte er sich über die schokoladebeschmierten Lippen. Scotts Loyalität und Liebe zu Luke würde ihm das Genick brechen, er musste sich nur weiter ruhig verhalten und abwarten, lauernd auf den richtigen Zeitpunkt. Das Leuchten in den Augen der Beiden musste sich noch intensivieren, dann am Zenit ihrer blühenden Liebe, erst dann würde er zuschlagen. Nun galt es einfach zuzusehen und irgendwann die Früchte seines Werkes zu ernten, bis dahin konnte er genüsslich die Annehmlichkeiten dieses Lebens genießen und sich zurücklehnen.
 

So verstrich der Tag, das Abendessen kam und ging, die Pflegerin, eine seiner Jägerinnen, kümmerte sich um ihn und gerade, als es halb elf wurde, vernahm Gerard ein Klopfen an der Tür. Das Buch klappte er zu und bat mit einem ruhigen „Ja?“ ins Zimmer hinein. Wie erwartet tauchte sein Enkelsohn auf, der überglücklich schien, aber auch eine Spur Schuld in seinem Blick erkennen ließ.
 

„Grandpa, entschuldige bitte, dass ich dich sitzen habe lassen, aber…“, fing der Brite an und wurde sogleich unterbrochen.
 

„Kein Grund sich zu entschuldigen, mein Junge. Ich kann mir schon denken, was du gemacht hast.“ Grandpa Argent lächelte freundlich und einfühlsam. Innerlich widerte ihn die Vorstellung an, doch er war ein guter Schauspieler – so gut, dass nicht einmal sein eigener Enkelsohn in der Lage war, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. „Setz dich doch“, meinte er nur und bedeutete ihm mit einer Geste seiner Hand, sich niederzulassen.
 

„Danke“, erwiderte Luke das Lächeln und setzte sich neben ihn. „Grandpa, ich…“ Der Dunkelblonde druckste herum und kratzte sich verlegen im Nacken.
 

„Du?“, griff Gerard die Frage auf. „Luke, du kannst mir alles sagen was du möchtest, das weißt du, oder?“ Seine Stimme bekam dabei einen einfühlsamen und sanften Unterton.
 

„Ich weiß, aber…“ Ein leises Seufzen folgte. „Grandpa, du weißt ja, dass ich Scott sehr gerne habe, darüber haben wir ja bereits gesprochen“, fing er an.
 

„Natürlich, es gibt quasi kein anderes Thema mehr in unserem Haushalt.“ Ein leichter Tadel, kombiniert mit einem weiteren, mitfühlenden Lächeln reichte aus, um den Jungen ihm gegenüber zusammenzucken und dann erleichtert ausatmen zu lassen. „Was möchtest du mir denn sagen?“
 

„Scott und ich sind jetzt wohl zusammen“, wurde in den Raum geworfen. „Also ein wirkliches Paar, mit allem Drum und Dran. Wir hatten gestern unser erstes Date und…“ Bei den Erzählungen und Lobeshymnen, wie auch dem verliebten Gewäsch einer Teenageromanze, schaltete Gerard einfach auf Durchzug. Ein gelegentliches Nicken in Kombination mit Floskeln wie „Wie schön“ oder „Das freut mich für dich“, reichten völlig aus, um Luke glauben zu lassen, dass ihn diese ganze Angelegenheit irgendwie berühren würde.
 

Es funktionierte also noch besser als angenommen. Scott hatte seinen Enkel bereits nach so kurzer Zeit an sich herangelassen. Er musste ihm vertrauen. Das war der Hebel, an dem Gerard ansetzen wollte. Die innere Zerrissenheit würde schon bald am Alpha zehren. Er konnte sich nämlich nicht sicher sein, ob Luke etwas von seinen Plänen wusste, mit dem Vorfall rund um Boyd und Erica zu tun hatte oder nicht.
 

„Ich mag auch seine Mutter gerne. Melissa scheint eine tolle Frau zu sein!“, wurde er unsanft aus seinen Gedanken gerissen.
 

„Das klingt ja schon einmal sehr positiv, Luke. Ich freue mich wirklich für dich. Du solltest Scott ab jetzt öfter zu uns einladen, hm?“, schlug Grandpa Argent scheinheilig vor. „Wegen mir brauchst du dir keine Gedanken zu machen, ich werde mich einfach in meinem Zimmer einem Buch widmen oder dergleichen, damit ihr ungestört seid.“
 

„Das will ich gar nicht“, stellte Luke gleich entrüstet klar. „Du gehörst zur Familie und bist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Wenn Scott da ist, dann kannst und musst du auch dabei sein. Schließlich gehören wir dann zusammen.“
 

Sie würden niemals zusammengehören. Kein Werwolf hatte in seiner Familie etwas verloren und jeder, der mit einem Werwolf anbändelte, war genauso Abschaum.
 

„Natürlich“, bestätigte ihm sein Großvater. „Wie du es dir immer gewünscht hast, hm?“
 

Luke senkte den Blick und nickte dann: „Grandpa? Was, wenn er der Richtige ist? Der Eine?“ Dabei strich er sich über die Seite. „Taucht das Mal dann wirklich auf? Ein S und ein M? Durch die Narbe hindurch?“
 

„Ich denke schon.“ Gerard streckte den Arm aus und legte seinem Enkel eine Hand auf die Schulter. „Doch das ist unwichtig. Hauptsache du bist glücklich mit ihm, dann bin ich es auch.“ Auf diese Geste folgte eine innige Umarmung seitens Lukes, die der alte Mann erwiderte und dabei einen selbstzufriedenen Blick aufsetzte. Liebe war ja so berechenbar.

Weibliche Intuition - eine Analyse

Der nächste Morgen im mccallschen Haushalt lief relativ normal ab. Scott und seine Mutter frühstücken miteinander, unterhielten sich über Schule und Arbeit, das Lacrossetraining und den Kostümball an Halloween. Der Werwolf machte seinen Namen alle Ehre, indem er mindestens für zwei Personen Rührei mit geröstetem Toast verschlang, was seiner Mutter ein Lächeln abrang. Nachdem das Morgenmahl erledigt war, setzten sie sich ins Wohnzimmer, Melissa mit einem Glas Wein bewaffnet und es folgte jener Teil des Tages, dem der Alpha ein wenig nervös entgegenblickte.
 

„Mom, findest du nicht, dass es noch ein wenig zu früh ist, um zu trinken?“, begann Scott mit einem nervösen Witz die Konversation.
 

„Das könnte ich dich auch fragen, Schatz – nach nicht einmal einer Woche bereits einen Freund heranzuschleppen, das ist sogar für Teenagerverhältnisse erstaunlich früh.“ Melissas Lippen zierte ein Schmunzeln.
 

„Ich… also“, stotterte der Alpha vor sich hin und konnte dabei fühlen, wie seine Ohren von einer dezenten Röte geziert wurden.
 

„Schatz, alles gut“, beruhigte ihn seine Mutter sanft. „Du scheinst ihn sehr zu mögen, hm?“ Bei der Frage verschwand ihr Gesicht hinter dem Glasrand und machte es so besonders schwer, ihre Miene zu deuten.
 

„Kann man so ausdrücken“, rieb sich Scott verlegen den Nacken. „Es ist schwierig zu erklären.“
 

„Versuch es doch einfach einmal?“, schlug Melissa vor und stellte das Weinglas auf dem Couchtisch vor ihr ab.
 

„Okay.“ Er atmete tief durch. „Mom, ich glaube ich habe mich wirklich in Luke verliebt. Es ist ganz anders als mit Allison damals. Er bringt mich zum Lachen und er ist unendlich süß, wenn er nervös ist, ganz anders als sein Auftreten in der Schule.“
 

„Dort ist er nicht so schüchtern?“, erkundigte sich seine Mutter interessiert. „Auch nicht so steif und förmlich?“
 

„Überhaupt nicht. Er hat sich am ersten Tag bereits erfolgreich mit Jackson angelegt. Es ist einfach so verrückt, weil ich ihn kaum kennen dürfte und doch fühlt es sich an, als würde ich manchmal genau wissen, was er als Nächstes macht. Ich kann seinen Herzschlag förmlich spüren, seine Finger auf meiner Haut hinterlassen ein unbeschreibliches Prickeln und seine Lippen…“ Erst in diesem Moment realisierte er, wem er gerade von Luke vorschwärmte und zog seinen hochroten Kopf ein. Einen flüchtigen Blick zu Melissa hin wagend, konnte er erkennen, wie sie erneut lächelte. „Du hältst mich für verrückt, oder?“
 

„Nein, nur für sehr verliebt. So als wärst du dir ganz sicher. Ist er es denn?“
 

Scott rang mit sich selbst. Sollte er seiner Mutter wirklich die ganze Wahrheit präsentieren? Ihr auch von den Zweifeln berichten, den Vermutungen und der Narbe? In seinem Hinterkopf meldete sich eine Stimme, nicht mehr als ein leises und verschlagenes Flüstern, er solle es nicht machen, doch dann entschied er sich, nicht auf seinen Kopf, sondern seinen Bauch zu hören. Er liebte seine Mutter und vertraute ihr blind.
 

„Mom, ich weiß es nicht“, gestand er ehrlich ein. „Es ist alles so kompliziert.“
 

„Kompliziert?“ Melissas Augenbrauen wanderten ein wenig in die Höhe und sie runzelte die Stirn. „Inwiefern?“
 

„Weil Lukes Mal von einer großen Narbe verdeckt wird.“
 

„Eine Narbe – von einem Unfall?“
 

„Auch das weiß ich nicht; er möchte nicht darüber sprechen, zumindest jetzt noch nicht. Die Narbe überschattet wohl das Seelenmal.“
 

„Okay, aber du hast doch deines noch? Luke hat sich doch mit Taylor vorgestellt? Dein Seelenmal deutet aber auf jemanden mit dem Nachnamen A hin“, warf Melissa ein.
 

„Natürlich und es fühlt sich auch so an, wie Stiles es immer mit Derek beschrieben hat. Luke und ich scheinen ein unfassbar gutes Team zu sein. Wir haben in der Schule etwa beim Fußballspiel gewonnen und das, obwohl ich noch nie wirklich einen Ball an den Füßen hatte. Es war als würde ich wissen, wohin er spielt, was ich machen muss, wann ich den Ball wieder abgeben muss… beim Orientierungslauf genauso. Er war verdammt schnell und extrem ausdauernd und auch viel zu stolz, zuzugeben, sich zu sehr verausgabt zu haben. Als ich ihm dann vorgeschlagen habe, ihn auf meinem Rücken zu tragen, hat er nach kurzem Zögern zugestimmt. Ich weiß, warum auch immer, dass er das nur gemacht hat, weil ich es gewesen bin, der ihn getragen hat.“ Scotts Redefluss wurde von einem gelegentlichen Nicken begleitet, aber seine Mutter verhielt sich ansonsten erstaunlich ruhig und beschränkte sich aufs Zuhören.

„Mom, du hast keine Ahnung, wie er gegenüber dem Coach aufgetreten ist – absolut desinteressiert und gleichgültig. Im Unterricht interessiert er sich auch für sonst niemanden und Stiles scheint er absolut nicht ausstehen zu können. Mir gegenüber verhält er sich aber ganz anders. Er ist sanft, liebevoll, behutsam und furchtbar verletzlich. Auf der Herfahrt hat er sich die ganze Zeit Gedanken gemacht, wie er dir beibringen soll, dass wir nun wohl zusammen sind und ob du mit ihm zufrieden bist, er deinen Ansprüchen genügt, gut genug für mich ist…“
 

„So wie du ihn beschreibst, versucht er wohl diese verletzliche Seite nach außen hin zu kaschieren. Ich habe ihm aber auch angesehen, wie sehr er in dich verliebt sein muss. Dieses Leuchten in den Augen, dazu die Gesten und Blicke – es ist kein Wunder, dass er sich dir gegenüber ganz anders verhält.“ Melissa griff wieder nach ihrem Weinglas und nippte daran.
 

„Weil er in mich verliebt ist?“
 

„Ja, aber vor allem, weil er dir zu vertrauen scheint. So wie du Luke beschreibst und wie er mir gegenüber aufgetreten ist, scheint er schwerlich in der Lage zu sein, irgendjemandem Vertrauen und Zuneigung entgegenzubringen.“ Seine Mutter lehnte sich ein wenig zurück, das Glas bei sich behaltend. „Er klammert auch, oder?“
 

„Ja. Luke hält fast pausenlos meine Hand“, bestätigte Scott.
 

„Weil er Angst hat dich zu verlieren“, stellte die Krankenschwester fest.
 

„Woher willst du das wissen?“
 

„Ich habe Augen im Kopf, Schatz. Er wusste gar nicht, wohin er zuerst sehen soll, zu dir oder zu mir. Dazu dieses verschüchterte Verhalten, so konträr zu dem, was du mir eben berichtet hast.“
 

„Dann glaubst du, bin ich nur eine Art Ankerpunkt für ihn?“ Enttäuschung machte sich in dem Alpha breit. Er wollte nicht nur eine Art Notnagel sein, etwas, an dem man sich festklammern konnte.
 

„Ja und nein. Luke liebt dich höchstwahrscheinlich wirklich und du bist ebenso sein Anker, aber genau deswegen will er dich nicht verlieren oder hat Angst, dich zu verlieren. Darf ich raten, dass er in einer schwierigen familiären Situation aufgewachsen ist?“ Melissas Mundwinkel zuckten ein wenig, als Scott, mit halboffenem Mund, nickte. „Wir haben genügend solche Jugendliche im Krankenhaus, die auch verhaltensauffällig sind. Tief in seinem Inneren wird er wahrscheinlich Sorge haben, nicht auszureichen, um dich halten zu können, und sich darum so bemühen.“
 

„Darf ich deswegen bei ihm mitessen, während er das bei Stiles nur zähneknirschend hingenommen hat?“, wollte der Werwolf wissen.
 

„Ich bin mir ziemlich sicher. Dazu würde auch passen, dass er sich von dir hat tragen lassen, obwohl es ihm offenbar peinlich gewesen ist. Wahrscheinlich sieht er Stiles sogar als eine Bedrohung an, weil du ihn lieber haben könntest als ihn.“
 

„Aber er hat ja Allison und Isaac auch von seinem Lunch etwas abgeben“, gab Scott zu bedenken. „Warum? Nur weil sie seine Cousine ist und er der Freund seiner Cousine?“
 

„Solche Kinder haben oft das Bedürfnis nach einer intakten Familie, einem Stück Normalität. Allison ist Familie, genauso wie Isaac. Ich wage zu behaupten, dass er sich ihnen gegenüber ähnlich wie dir verhalten wird.“ Melissa nippte wieder an ihrem Glas, dessen rotflüssiger Inhalt zur rasch zur Neige ging.
 

„Du weißt, dass das furchtbar anstrengend klingt? Ich habe Stiles außerdem versprochen, ihn für nichts und niemanden auf dieser Welt zu versetzen.“
 

„Das sollst du ja auch nicht, er wird sich an ihn gewöhnen, wie auch umgekehrt. Viel wichtiger ist, geduldig mit ihm umzugehen und ihm zu zeigen, dass seine Angst unbegründet ist.“ Melissa stellte ihr Glas beiseite und nahm Scott bei den Händen. „Er wird sich panisch davor fürchten, dich zu verlieren.“
 

Der Werwolf legte den Kopf schief und zuckte leicht überfordert mit dem rechten Mundwinkel. „Mom, woher weißt du das alles? Du kennst ihn doch kaum? Ich kenne ihn kaum…“ Tatsächlich wusste er, trotz allem, so erstaunlich wenig über seinen Freund, dass er daran zu zweifeln begann, ob es überhaupt die richtige Entscheidung gewesen war, der Beziehung zuzustimmen.
 

„Weibliche Intuition und Erfahrung, Schatz.“ Melissa schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Ich will ehrlich zu dir sein: Es geht sehr schnell, aber ich werde dich nicht aufhalten, sondern bestärken. Zweifelsohne liebt dich Luke, das habe ich gemerkt. Das sage ich dir jetzt auch schon zum dritten Mal.“
 

„Trotzdem…“ Scott rieb sich über den Oberarm. Es war so viel passiert und das binnen einer Woche. Er wusste selbst nicht einmal, wie er reagieren sollte. Fakt war, dass er mit Luke zusammen sein wollte und wirklich sehr auf ihn stand, verliebt war, aber auch, dass es eine große Reihe von Gefahren und Problemen mit sich brachte, mit ihm verbunden zu sein. „Stört es dich nicht, dass er der Enkel von Gerard ist?“
 

„Nein“, antwortete seine Mutter ohne zu zögern. „Es hat mich auch bei Allison nicht gestört, trotz der Vorkommnisse. Wenn du ihn liebst, kann er kein schlechter Mensch sein, so viel Intuition und Menschenkenntnis besitzt du, Schatz.“
 

Er nickte daraufhin nur und holte tief Luft. Seine Mutter schien ihn zu verstehen und Luke gegenüber keine Vorurteile zu besitzen, nicht wie etwa Stiles oder zweifelsohne auch Allison. Mit ihr über dieses Thema zu sprechen wäre sowieso seltsam gewesen. „Mom, ich denke aber, dass Luke lügt.“ Sobald diese Worte seine Lippen verlassen hatten, war da wieder jenes Schuldgefühl, welches an ihm nagte, sobald er auch nur ansatzweise schlecht über den Briten dachte. Nein, er war überzeugt, der Dunkelblonde log nicht, doch irgendwie…
 

„Du glaubst also, er ist dein Seelengefährte?“ Es war nicht einmal eine wirkliche Frage gewesen, sondern eine simple Feststellung seitens Melissa.
 

„Ich wünsche es mir zumindest“, gestand der Alpha leise. „So lange musste ich schon warten, zusehen, wie alle anderen um mich herum glücklich sind, während ich alleine dahinvegetierte. Es ist ja nicht so, als würde mich der Umstand stören, dass es ein Junge ist, überhaupt nicht, nur…“
 

„Du bist dir unsicher, ob es wirklich so ist? Warum er diesen Umstand vor dir verheimlicht? Ob du ihm vertrauen kannst? Was alles auf dich zukommt, wenn du wirklich an ihm festhältst? Ob du es dir nicht nur einbildest, weil du als letzter von deinen Freunden deinen Gefährten finden wirst?“ Jede einzelne Frage war nur rhetorischer Natur und obwohl er seine Mutter gut kannte, war Scott doch immer wieder verblüfft ob ihrer schnellen Auffassungsgabe. „Schatz, das sind Fragen, die dir niemand beantworten kann. Du weißt, ich bin mit einem Jungen an deiner Seite genauso glücklich wie mit einem Mädchen, solange du glücklich bist.“ Um ihre Worte zu unterstreichen, griff sie wieder nach Scotts Händen und zog ihn dieses Mal in eine sanfte Umarmung.
 

„Ich habe aber Angst“, gab er leise preis. „Angst es zu verbocken oder enttäuscht zu werden. Was wenn Stiles Recht hat, und es alles nur ein Plan von Gerard ist, um sich an mir zu rächen? Was, wenn dir deswegen etwas passiert oder meinen Freunden? Mom, es ist einfach so eine große Last, die auf meinen Schultern liegt.“ Schlussendlich klammerte er sich an Melissa, die ihm beruhigend über den Rücken strich und ihn einfach festhielt, was furchtbar guttat.
 

„Du wirst es nicht verbocken, Scott. Ich mag vielleicht kein Werwolf sein und auch nicht solche herausragenden Fähigkeiten besitzen, aber ich bin sehr wohl in der Lage echte Liebe von einem schlechten Schauspiel zu unterscheiden und dieser Junge ist eindeutig verliebt in dich. Du glaubst daran, dass er dein Seelengefährte ist, darum sage ich dir: Versuche es. Schiefgehen kann es immer, doch dafür hast du deine Freunde und deine Mutter, die dich auffangen und festhalten werden.“ Melissa drückte Scott einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und bewegte ihn so, sie anzusehen. „Mal abgesehen davon, dass er wirklich hervorragende Manieren besitzt und weitaus romantischer zu sein scheint, als sämtliche Männer, die ich jemals kennengelernt habe“, fügte sie scherzhaft an.
 

„Mom“, verdrehte der Alpha die Augen und konnte ein Kichern nicht unterdrücken. „Er kann auch ganz anders sein.“
 

„Ich kann es mir lebhaft vorstellen“, bestätigte sie ihm. „Dieser weiche und sehnsüchtige Blick, den er dir heute mehrmals zugeworfen hat, spricht aber eine ganz andere Sprache. Egal wie du dich entscheidest, ich stehe hinter dir.“
 

„Danke.“ Scott löste sich aus der Umarmung. „Du bist die beste Mom der Welt.“
 

„Solange, bis ich dir wieder Hausarrest erteile, wobei das sowieso allmählich nicht mehr zu fruchten scheint. Ich könnte Luke einfach Hausverbot bei uns erteilen, zusätzlich zu Stiles…“ Dabei tippte sich Melissa nachdenklich ans Kinn.
 

„Mom!“
 

„Was denn?“, fragte sie unschuldig.
 

„Du bist genauso unmöglich!“, protestierte der Werwolf.
 

„Ich bin eine Mutter, das bedingt irgendwie beides, Schatz. So und jetzt mach dich an deine Hausaufgaben oder lerne für irgendeinen Test, denn egal ob neuer Freund oder nicht, oder deinen Pflichten als Beschützer, du bist noch immer Schüler und ich möchte gerne auf den Abschlussball meines Sohnes gehen, ohne dabei Bauchschmerzen wegen seines Notenspiegels zu haben.“
 

Scott schenkte seiner Mutter einen gespielt giftigen Blick, ehe er sich in sein Zimmer verzog und auf sein Bett warf. Es hatte gut getan, mit ihr zu sprechen. Sie hielt zu ihm und das war das Wichtigste, neben Stiles. Wenn dieser sich auch noch mit Luke anfreunden konnte und umgekehrt, bestand die reale Chance, dass diese Beziehung nicht ein Fiasko mittleren Ausmaßes werden würde. Der Gedanke daran versetzte ihm einen Stich: Nein, das würde sie ganz sicher nicht, denn sie liebten sich irgendwie. Nachdenklich zog er den Ärmel seines T-Shirts hoch und betrachtete die zwei Buchstaben, welche nach wie vor auf seiner Haut prangten: Ein L und ein A, kein L und ein T. Warum musste alles so kompliziert sein? Das Prädikat „Einfach“ war irgendwie aus seiner Lebensplanung verschwunden und das änderte sich auch nicht, als er sich an seine Hausaufgaben machte. Verrückt, wie ein einzelner Mensch und eine einzelne Woche alles über den Haufen werfen konnte.

Vermutungen und Schlussfolgerungen von Detective Stilinski

Wieder ein Kapitel aus der Sicht von Stiles - ich weiß, es ist gemein, immer einen Cliffhanger einzubauen, wenn es wirklich spannend wird zwischen Derek und ihm, aber ich kann euch beruhigen: So etwas wird noch folgen, ganz sicher. :)
 

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Stiles kaute an der Rückseite seines Kugelschreibers herum. Sein Schreibtisch war übersät von ausgedruckten Zeitungsausschnitten, Fotos und Schmierzetteln. Er konnte seinen Plan heute nicht ausführen, da Sonntag war. Die Idee war simpel, aber genau deswegen auch genial: Er, oder besser gesagt Derek, würde im Queen Charlotte´s & Chelsea Hospital anrufen und sich als Erbenermittler ausgeben. Mit Kates Sterbeurkunde, die tatsächlich einen Luke Taylor als Sohn beinhaltete, war es ein Leichtes, an Daten über ihn heranzukommen. Wenn er die originale Geburtsurkunde in die Finger bekam, konnte er beweisen, dass Luke von Geburt an ein Argent gewesen war. Weiters folgte daraus, dass es sich bei dem Sohn von Daniel Taylor tatsächlich um den Seelengefährten seines besten Freundes handeln konnte. Korrekt zu Ende gedacht würde dies aber auch die Erkenntnis mit sich bringen, genau jenen Freund eventuell an Gerard zu verlieren.
 

Resignierend warf Stiles den Kugelschreiber in eine Ecke seines Zimmers und zog ein Foto heran. Es zeigte einen Anfangvierziger mit kurzen, dunkelbraunen Haaren und grünen Augen. Der stechende Blick passte gut zu dem schwarzen Anzug, welchen er, in Kombination mit einem schwarzen Hemd und einer schwarzen Krawatte, trug. Die Hände hatte der Mann hinter dem Rücken verschränkt. Seine markante Nase verlieh ihm fast schon etwas Majestätisches und man bemerkte sofort, dass er sich seinem Gegenüber überlegen fühlte. Trotz der vielen anderen Männer, die ihn umringten, allesamt im Business-Look, stach er heraus. Seine Figur konnte man mit hochgewachsen und sportlich beschreiben. Der Anzug saß perfekt und unterstrich das leicht angehobene Kinn, wie auch die Wangenknochenform. Dieser Mann war Daniel Taylor.
 

Stiles hatte seinen Kopf mehrmals mit dem Kugelschreiber eingekreist und griff inzwischen nach einem Bleistift, um diesen durchzukauen. Das Foto war auf einer Konferenz zur Bekämpfung des Waffenschmuggels in der Dritten Welt entstanden. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, einen der führenden Köpfe bezüglich der Herstellung von Tötungswerkzeugen auf einer solchen Versammlung dabeizuhaben.
 

Er kramte in seinen Notizen herum und zog ein Bild von Luke aus einem Stapel von scheinbar wahllos zusammengeworfenen Blättern heraus. Der Name des Jungen mit der Nummer 9 aus der Jungenmannschaft der Sancton Wood School ging daraus nicht hervor, doch es war eindeutig, dass es sich dabei um den Briten handeln musste. Luke hatte die Hände in die Höhe gereckt, ein rotes Trikot tragend, auf welchem ein weißes Einhorn prangte. Schwarze Trainingshosen, schwarze Stutzen und orange-weiße Stollenschuhe. In seiner rechten Hand hielt er einen Pokal und wurde von seiner Mannschaft getragen. Die verschwitzten dunkelblonden Haarspitzen klebten ihm an der Stirn; seine übliche Frisur sah ganz anders aus. Sogar über das Schuhmodell hatte er sich erkundigt: Nike Mercurial Superfly 7 Elite FG – genauso wie Scott sie ihm beschrieben hatte. Ganz schwach konnte man sogar die Zahnspange erkennen, welche das Siegesgeheul preisgab. Sämtliche Namen und Angaben waren verwaschen oder geschwärzt worden; es gab keine Daten der Spieler, nichts.
 

Stiles legte das Bild rechts zu dem von Daniel und fischte ein weiteres Foto aus dem Stapel, dieses Mal von Kate. Sie wurde links von ihrem Sohn platziert. Stilinski Junior betrachtete die Familie einige Zeit lang nachdenklich. Seine erste Vermutung war falsch gewesen: Lukes Blick glich nicht nur dem von Kate, sondern auch dem von Daniel. Diese herablassende Art, die Überzeugung überlegen zu sein, dazu das schimmernde Grün, welches von einer Prise grau durchzogen wurde, die Kieferpartie, die Wangenknochen, die Gesichtsform… Er zückte sein Handy und fotografierte beide Elternteile, ehe er sie mit einer Faceapp zusammenfügte und sieh da, es kam ungefähr tatsächlich Luke dabei heraus.
 

Seufzend legte er sein Smartphone beiseite und massierte sich die Schläfen, den Bleistift gerade einmal nicht malträtierend. Das wusste er alles bereits. Darum ging es ihm auch nicht. Er hatte einfach nur gehofft sich zu irren, Luke als Lügner zu enttarnen, doch man konnte die Ähnlichkeiten nicht leugnen. Er war eine Kombination aus seinen Eltern. Das bedeutete aber auch, dass sie auf der Hut sein mussten, mehr noch als sonst. Über die Beziehung zwischen Sohn und Vater war nichts in Erfahrung zu bringen gewesen, doch Stiles rechnete fest damit, dass sie kaum von Liebe geprägt sein durfte. Daniel Taylor war ein schwerbeschäftigter Mann und hatte sicherlich nicht Zeit, sich um sein Kind zu kümmern. Mal abgesehen davon, dass er nicht der Typ dafür zu sein schien. Auch dabei dürfte Luke nicht gelogen haben.
 

„Mist, Mist, Mist“, murmelte der Braunhaarige und fuhr sich durch die zerzaust anmutende Frisur. Warum misstraute er ihm denn, wenn er sie bisher nicht belogen hatte? Weil er zu ihm ein Arsch gewesen war? Nein, damit kam Stiles gut klar, er hatte sich schließlich auch mit Jackson arrangiert. Es klang einfach zu sehr nach einem Märchen und er wusste, dass diese eben kaum der Realität entsprachen: Der reiche Junge von Übersee tauchte in einem verschlafenen Nest wie Beacon Hills auf, tischte eine geheimnisvolle Geschichte um sein Seelenmal auf, fast schon rührselig anmutend und fand seinen Seelengefährten just in dem Jungen, der seinen Großvater in den Rollstuhl gebracht hatte. Das waren einfach zu viele Zufälle. Eins ist ein Ereignis, zwei ist ein Zufall, drei ist ein Muster und vier ein Motiv. Genau diesen Satz, den er von seinem Dad gelernt hatte, hatte er auch unterstrichen und das Wort Motiv eingekringelt.
 

Was war Lukes Motiv? Stiles war sich ziemlich sicher, dass er tatsächlich auch Hals über Kopf in Scott verliebt war. Dessen Blicke im Unterricht, die Erzählungen seines besten Freundes – das konnte niemand schauspielern. Nicht einmal Kate hätte so überzeugend gelogen und sie war in der Lage gewesen Derek zu täuschen. Nein, das konnte es nicht sein. Vom Wort „Motiv“ führte ein Pfeil zu Gerards Namen, den er mit einem roten Textmarker angestrichen hatte. Das konnte durchaus das Motiv sein: Eine Gefälligkeit für den Mann, der ihm ein Stück Familie war und so etwas wie Interesse und Liebe heuchelte. Nur passte das Verhalten des neuaufgetauchten Argentsprosses einfach nicht in das Muster hinein.
 

Von Gerard ging ein weiterer Pfeil weg, der zum Wort „Dämon“ führte. Dieser seltsame Ninja, wie Erica und Boyd ihn beschrieben hatten, der ebenso quasi aus dem Nichts aufgetaucht war. Die neue Geheimwaffe des alten Argents, in der Lage, zwei Werwölfe simultan in Schach zu halten. Natürlich war ein gewisses Maß an Präparation und Vorbereitung notwendig gewesen, wie sie herausgefunden hatten, doch es war nichtsdestotrotz eine beeindruckende Leistung. Dieses Wesen unter Gerards Kontrolle bereitete ihm ähnlich große Sorgen wie Jackson als Kanima. Im Gegensatz zu jenem, war der Ninja wohl in der Lage selbstständig zu denken und zu agieren, nicht nur blindlings zu töten.
 

Erica und Boyd waren auf dem Weg der Besserung und würden in den nächsten Tagen oder Wochen vollständig genesen, aber Stiles war klar, dass dies nur der Fall war, weil Gerard es so haben wollte. Es sollte eine Warnung sein. Eine Warnung an sie alle. Der gewünschte Effekt war jedenfalls nicht ausgeblieben, denn Derek machte sich die größten Vorwürfe und das wiederum schwächte sein gesamtes Rudel.
 

Von Luke führte ein simpler Strich zu Allison. Cousin und Cousine. Ihr gegenüber hatte sich Luke höflich verhalten, schüchtern, fast schon zurückhaltend. Gleiches galt für Isaac, den er nachträglich mit einem Pluszeichen zu seiner Gefährtin hinzugefügt hatte. Stiles kratzte sich nachdenklich über der linken Augenbraue. Es war unmöglich zu eruieren, ob das auch Teil des Plans war, den sie nicht kannten oder eben nicht.
 

Das Hauptproblem war aber Scott, den er nun zu Luke mit einem Pluszeichen schrieb. Es war unbestreitbar, dass sie sich ergänzten und auch, dass sein bester Freund den Dunkelblonden abgöttisch liebte. Nur was hatte Gerard davon, wenn sich beide ineinander verliebten, real verliebten? Wenn sich der Werwolf und sein Enkel miteinander verbanden, tatsächlich Gefährten waren, bestand die Gefahr, dass sich Ersterer für Letzteren entschied, aber genauso auch umgekehrt. Sie hatten genauso die Möglichkeit, Luke über Scott auf ihre Seite zu ziehen. Stiles war sich zu 99 % sicher, dass die beiden Seelengefährten waren. Nur warum sollte Luke ob dieses Umstandes lügen? Woher sollte Gerard wissen, dass sie beide zusammengehörten?
 

Sein Blick fiel auf Allison und Isaac, dann auf die Paarung Luke und Scott. Über die Namen der beiden Menschen kritzelte er ein großes „J“ für „Jäger“ und über die der beiden übernatürlichen Wesen ein „W“ für „Werwolf“. Stiles vermutete stark, dass auch Luke in dem Handwerk seiner Familie ausgebildet worden war, eventuell besser als Allison. Mal angenommen, sie waren beide Jäger, beide Gerards Enkel und hatten dann auch beide einen Werwolf als Gefährten. Konnte Gerard anhand dieses simplen Musters bei Allison auch darauf rückschließen, dass es bei seinem Enkelsohn ebenso sein würde? Doch was hatte er davon, dass sie sich wirklich ineinander verliebten? Er drohte damit den Zugriff auf seine Geldquelle zu verlieren, seine Einflusssphäre teilen zu müssen.
 

Hastig kritzelte er das Wort „Liebe“ zwischen eine neuerliche Verbindung seitens Gerard, die er zu seinen beiden Enkeln zog. Bei Allison strich er es durch und bei Luke setzte er ein Fragezeichen dahinter. Sein Blick pendelte zwischen dem Dreiergespann der Argentfamilie hin und her. Alles auf eine Karte zu setzen war nicht der Stil des alten Mannes. Er plante weise voraus und hielt sich im Hintergrund, darauf wartend, zuzuschlagen. Liebte er seinen Enkelsohn eventuell doch? Fühlte er sich schuldig, weil er bei Kate so kläglich versagt hatte?
 

Nein. Entschieden schüttelte der Jungdetektiv, zu dem er sich mittlerweile zweifelsohne gemausert hatte, den Kopf. Gerard Argent war nicht in der Lage Liebe zu empfinden, für niemanden außer sich selbst. Dann ging ihm ein Licht auf. Schlagartig strich er auch das Wort Liebe bei Luke und Gerard durch. Das war es vielleicht. Der alte Mann verstand nicht, wie Liebe funktionierte. Er glaubte seinen Einfluss nicht verlieren zu können, weil es für ihn absolut irrational war, dass ihm sein Enkelsohn entgleiten könnte. Dieser liebte ihn schließlich, aber das tat er auch mit Scott. Zwischen Luke, Gerard und Scott zeichnete Stiles ein Dreieck und schrieb zwischen den Werwolf und den alten Mann das Wort „Rache“. Diese simple Emotion fixierte er dann nachdenklich.
 

Was wenn Gerard Argent seine Rache eventuell dadurch verwirklichen wollte, dass er Scott etwas beraubte, das ihm noch wichtiger war als seine Mutter, noch wichtiger als Stiles, noch wichtiger als Allison? Würde er wirklich so weit gehen? Er war bereit gewesen, Jackson zu töten, um ihn als etwas Schlimmeres wiederauferstehen zu lassen und auch, Allison fallen zu lassen, sobald sie ihm nicht mehr nützlich gewesen war. Konnte dies auch hier der Fall sein?
 

Das Knarzen seiner Zimmertür riss ihn aus seinen Gedanken. Derek stand im Türrahmen, mit einem Tablett bewaffnet, welches eine Tasse Kaffee und eine kleine Schüssel mit Salzstangen bereithielt. Ein leises Lächeln auf den Lippen kam er näher und setzte das Tablett einfach auf seinen Notizen ab.
 

„Hey!“, protestierte Stiles.
 

„Du solltest einmal pausieren, Stiles“, meinte der Werwolf sanft und strich ihm dabei über den Nacken. „Hast du denn mit deiner stundenlangen Grübelei etwas herausfinden können?“
 

„Nur ein paar Vermutungen“, schmollte der Jüngere und schnappte sich eine Salzstange, an der er zu knabbern begann. „Nichts Handfestes.“
 

„Das liegt daran, weil du viel zu verbissen bist.“ Derek fuhr ihm durchs Haar und vergrub seine Nase dann darin. „Nach etwas Ablenkung kommst du sicher auf die Lösung.“
 

„Mh und wie sieht diese Ablenkung aus?“ Ein Grinsten zierte Stiles´ Züge. „Beinhaltet es etwas nicht ganz Jugendfreies?“
 

„Ich gebe dir sicher keinen Alkohol“, begrub der Alpha seine Hoffnungen gleich wieder. „Es reicht schon, dass du und Scott hinter meinem Rücken gelegentlich trinkt.“
 

„Jaja, ist ja gut – Spielverderber“, murrte der Sohn des Sheriffs.
 

„Ich habe aber nicht verneint, für andere Aktivitäten nicht zur Verfügung zu stehen“, grinste Derek breit und verkniff sich dann ein Seufzen, als sein Gefährte nicht auf diese schlüpfrige Aufforderung einstieg. Das war ein Zeichen dafür, dass ihn dieses Thema schwer belasten musste. Unter lautem Protest des Detektivs hob er diesen einfach kurzerhand in die Höhe und setzte sich dann, Stiles auf seinen Schoß nehmend, in dessen Drehstuhl. Einen zärtlichen Kuss in den Nacken später wandte sich der Werwolf den Notizen zu und staunte nicht schlecht.
 

„Ich bekomme es einfach nicht hin, Derek. Aus irgendeinem Grund schaffe ich es nicht, den Link, den Konnex zu finden, der die ganze Geschichte verbindet, sie real macht. Das ist ab einem gewissen Grad nicht mehr Gerards Stil“, seufzte der Jüngere gequält.
 

„Doch, ist es. Du hast ein anderes Problem“, korrigierte ihn Derek und erntete dafür einen verwunderten Blick. „Du hast die Lösung doch bereits: Es ist so, wie du dir denkst, nur bedeutet es, einzugestehen, Scott eventuell zu verlieren.“
 

Das war es auch, was Stiles so belastete. Natürlich waren seine Folgerungen schlüssig, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Gerard Argent war auch dumm genug zu glauben, dass großväterliche Liebe ausreichen würde, um einen liebestollen Teenager anzuketten – es ging darum, dass er damit endgültig Gewissheit bekäme und akzeptieren müsste, Scott an jemanden wie Luke verlieren zu können. Entgegen dessen Versprechungen, dessen Beteuerungen, sie würden einander niemals gegenüberstehen – diese Gefahr würde mit diesem Eingeständnis real werden.
 

„Du glaubst es also auch?“, flüsterte Stiles und bediente sich an einer Salzstange.
 

„Es sind sehr viele Zufälle, ja – und spar dir jetzt deinen dummen Spruch, okay – aber ich bin auch der Meinung, dass sie zusammengehören“, bestätigte ihm der Alpha und knabberte an einer weiteren Salzstange, welche ihm sein Gefährte hinhielt.
 

„Warum sollte Luke aber dann lügen? Ich meine, er ist ja nicht nur verliebt in Scott, ich glaube, er würde ihn fast schon wie eine zweite Haut tragen wollen. Eine gruselige Vorstellung, aber gut…“ Stiles nippte an seinem Kaffee und ging noch einmal seine Notizen durch, während Derek ihn am Bauch kraulte.
 

„Vielleicht weiß er es selbst nicht?“, schlug Derek vor.
 

„Er wird doch wohl wissen, wie sein Geburtsname lautet? Ich meine, du weißt schließlich auch, dass du Derek Samuel Hale heißt?“ Stiles nippte erneut an der Tasse. „Das ist viel zu vage.“
 

„Weiß ich, aber das muss für jemanden wie Luke nicht gelten.“ Der Blick des Werwolfs fiel auf das Foto von Daniel Taylor und er betrachtete es eine Zeit lang, dann wanderten seine Augen zu Kate und er wiederholte das Spiel. „So wie ich diesen Daniel Taylor einschätze, wird er nicht sonderlich glücklich gewesen sein, dass sein Kind den Nachnamen seiner Verflossenen getragen hat, hm? Wirkt er nicht ein wenig besitzergreifend und überheblich?“
 

„Du denkst, er hat den Originalnamen gleich nach seiner Geburt geändert? Oder sobald er das Sorgerecht für ihn erhalten hat?“ Stiles runzelte die Stirn und dachte nach. Das konnte hinkommen. Die subjektiven Einschätzung und eines etwaigen psychologischen Profils, welches er, rein hobbymäßig, über Daniel Taylor erstellt hatte, mit den spärlichen Informationen, die er finden hatte können, würde so eine Feststellung durchaus hergeben.
 

„Das kann durchaus sein, aber warum erzählt Gerard es ihm nicht? Ich meine, es wäre ein hervorragendes Druckmittel, aber die Narbe überdeckt das Mal wohl. Es hätte sich zeigen müssen, irgendwann, spätestens in dem Moment, als es bei Scott aufgetaucht ist. Nicht einmal dieser alte Irre wäre in der Lage, abzuschätzen, wer der Seelengefährte seines Enkels wird. Denkst du wirklich, er hat sich auf eine simple Vermutung verlassen?“ Stiles drehte sich im Schoß zu Derek herum und sah ihm in die Augen.
 

„Schon mal darüber nachgedacht, dass er ihm diese Narbe verpasst haben könnte?“ Derek schob seine Finger langsam unter Stiles´ Shirt und strichen dabei die Linie zum Bauchnabel entlang. „Es wäre ein simpler Schnitt oder dergleichen, solange er tief genug ist.“
 

Der Jungdetektiv hatte Mühe, sich nun zu konzentrieren, denn die Berührungen seines Gefährten waren in der Regel bereits ausreichend, um sich mit ihm ins Schlafzimmer zu verziehen, oder wahlweise auch die Küche, wenn sie alleine waren. Er biss sich auf die Lippen und schloss die Augen. Natürlich war es im Rahmen des Möglichen, dass Gerard selbst etwas mit dieser Narbe zu tun hatte, nur hätte er auch wissen müssen, dass das Mal an dieser einen Stelle auftauchen würde.
 

„Diese Idee hat einen Haken“, lispelte Stiles leise und schmiegte sich dabei an seinen Freund, dessen Berührungen sichtlich genießend.
 

„Hm?“, machte dieser nur und küsste ihn behutsam auf den Hinterkopf.
 

„Niemand weiß, wo so ein Mal auftauchen wird. Es gibt zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit, aber…“
 

„Wenn er es auf Verdacht gemacht hat?“, warf Derek ein.
 

„Das wäre aber sehr verwegen und es könnte gehörig schiefgehen“, entgegnete Stiles.
 

„Als ob das Gerard jemals aufgehalten hätte.“
 

„Ich…“ Der Detektiv wurde durch einen Kuss auf seine Lippen unterbrochen und dabei auch sein Denken komplett gestört. Widerstandslos ließ er sich von Derek ins Bett tragen. Er brauchte eine Pause und die würde er sich jetzt verschaffen. Später konnte er sich noch mit allen ausständigen und unklaren Fragen beschäftigen. Gerade war es ihm sowieso nicht möglich, sich zu konzentrieren, denn Dereks Hand knapp über dem Bund seiner Jogginghose reichte aus, um ihn alles um sich herum vergessen zu lassen. Oder beinahe, denn die Angst, seinen besten Freund zu verlieren, war noch immer präsent, wenn auch nur mehr flüchtig. Nein, er würde Scott nicht an Gerard verlieren und auch nicht an Luke, sollte sich dieser als Blindgänger herausstellen.

Beste Freunde, zwei Rivalen und ein Parkplatz

„Ihr seid was?!“, platzte es aus Stiles heraus, während Scott auf der Rückbank des Camaros immer kleiner wurde. Natürlich hatte er seinem besten Freund von dem Wochenende erzählen müssen und die Reaktion fiel weitaus heftiger aus als angenommen.
 

„Wir sind jetzt wohl zusammen“, murmelte der Werwolf kleinlaut.
 

„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, zeterte Stiles und gestikulierte wild mit den Händen herum; so wild, dass Derek auf dem Beifahrersitz ihm einen ermahnenden Blick zuwarf, der aber gekonnt ignoriert wurde. „Er hat nicht einmal eine volle Woche gebraucht, um dich herumzubekommen?“
 

Scott konnte die Wut seines besten Freundes zum Teil verstehen, auch dessen heftige Reaktion, aber nicht, warum er ihn jetzt ob des Zeitrahmens anfuhr. „Was soll das heißen?“, fragte er leicht schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nicht einmal eine volle Woche – das klingt ein wenig so, als wäre ich ein Flittchen.“
 

„Ich.. wa…“, Stiles schüttelte entsetzt den Kopf und zog diesen schuldbewusst ein. „So war das nicht gemeint, es ist nur…“
 

„Es ist nur was?“ Der Werwolf trippelte abwartend mit den Fingern auf seinem Oberarm herum.
 

„Es ist einfach so früh und Luke ist – er ist…“ In den Augen seines Bros blitzte Besorgnis auf.
 

„Stiles macht sich Sorgen dich vollends an jemand anderen verlieren zu können“, beendete Derek den Satz seines Gefährten. Dieser warf ihm einen wütenden Blick zu.
 

„Danke“, schnappte er und wandte sich wieder Scott zu „Er hat aber Recht“, lautete das leise Geständnis. „Ich habe wirklich Angst dich zu verlieren, Bro.“
 

„Das wirst du doch nie, Stiles.“ Der Werwolf schüttelte energisch den Kopf und veränderte seine Haltung. Die Hände wurden aus der Verschränkung gelöst und legten sich, so gut wie eben möglich, um seinen besten Freund. „Wir gehören zusammen, haben wir schon immer.“
 

„Ja, aber jetzt sind wir wohl beide in einer Beziehung.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern, unruhig in der Umarmung herumrutschend. „Du und ich.“
 

„Das waren wir vorher doch auch schon? Allison und ich waren auch ein Pärchen?“, gab Scott zu bedenken.
 

„Ja, schon – nur dieses Mal ist es anders.“ Stiles raufte sich die Haare.
 

„Weil Luke ein Junge ist?“
 

„Nein, weil er anders als Allison ist. Sie war und ist ein nettes Mädchen, mit dem Herzen am rechten Fleck. Allison kann man vertrauen. Sie steht zu uns, zweifelsohne, aber bei Luke…“ Der Sohn des Sheriffs knirschte mit den Zähnen. „Er ist Grandpas Liebling, dazu legt er ein hohes Maß an Gefühlskälte an den Tag, ist zeitgleich impulsiv, wie sich bei Jackson gezeigt hat und kommt aus einer ganz anderen Welt, einer ganz anderen Sphäre. Ich will einfach nicht, dass er dich verletzt, das ist alles.“
 

„Das würde er nie!“, antwortete Scott ohne zu zögern. Irgendetwas in ihm sagte ihm, dass Luke ihn tatsächlich niemals bewusst verletzen würde. Dafür liebte er ihn zu sehr. Der Traum hatte so real gewirkt, ihr Küssen so wunderschön, seine Berührungen so sanft und behütend – Gerard hin oder her; sein Freund würde ihm niemals ein Messer ins Herz rammen.
 

„Das weißt du nicht“, flüsterte Stiles. „Du kannst es nicht wissen. Es könnte auch nur alles ein ausgeklügelter Plan von Gerard sein, der dich von uns entfernen soll.“
 

„Nein.“
 

Sowohl Scott, als auch Stiles, sahen verwundert zu Derek hinüber, als dieser ein lautes und festes „Nein“ aussprach. Der Alpha hatte den Blick weiterhin auf die Straße gerichtet, während er fortfuhr. „So wie du ihn beschrieben hast, Stiles, kann er das nicht. Er kann ihn nicht verletzen, genauso wenig wie ich es bei dir kann.“
 

„Kannst du sehr wohl“, korrigierte ihn der Detektiv bissig. „Regelmäßig sogar.“
 

„Nicht so“, entgegnete Derek genervt. „Ich glaube, dass er ihn wirklich liebt.“
 

„Das glaubst du?!“ Stiles war fassungslos und selbst Scott konnte ein gewisses Maß an Überraschung nicht verbergen. Von Derek hatte er sich am wenigsten Schützenhilfe erwartet.
 

„Dafür seid ihr beide noch zu jung.“ Der junge Hale rollte mit den Schultern, ehe er fortfuhr: „Stiles glaubt, er sei ein Jäger, wie sein Großvater, seine Mutter und der Rest der Familie. Wenn er dich wirklich liebt, Scott, wird er seine Tarnung für dich auffliegen lassen.“
 

„Tarnung?“ Der Alpha runzelte die Stirn.
 

„Wenn Jackson oder die Zwillinge dich in die Mangel nehmen, wird er kaum dabei zusehen können. Es muss nahezu unerträglich für ihn sein, wenn man dich verletzt. Sollte wirklich mehr in unserem Wunderknaben aus Übersee stecken als er zugibt, dann wird er versuchen, dich zu retten. Sofern ihr es ernst genug spielt, greift er dabei auf seine ganze Ausbildung zurück.“
 

Ein weiterer entgeisterter Blick folgte, seitens der beiden Freunde.
 

„Das ist dein toller Plan?“ Der Sohn des Sherriffs schüttelte den Kopf. „Du bist ja vollkommen bescheuert, Derek. Scott soll sich verprügeln lassen, in der Hoffnung, dass Luke seine Beherrschung verliert? Und was dann?“
 

„Dann habt ihr Gewissheit, ob er ehrlich zu Scott ist oder Geheimnisse hat.“
 

In diesem Punkt waren sich die beiden Freunde jedoch wieder einig: Es war ein schwachsinniger Plan. Doch nicht nur das hielt Scott davon ab, diesem Vorschlag zuzustimmen. Ein Teil von ihm wusste, warum auch immer, dass Luke etwas vor ihm verbarg. Mochte es daraus geboren sein, dass er sich schämte oder weil er sich unzulänglich fühlte oder weil es doch etwas mit Gerards Plänen zu tun hatte: Etwas verheimlichte sein Freund vor ihm. Er wollte es aber auch gar nicht wissen – sein Vertrauen zu Luke musste blind sein und war es jetzt schon nicht gänzlich, weil dieser sich so zierte, ihm etwas über die Narbe zu erzählen.
 

„Das machen wir nicht“, entschied er. „Eine solche Situation heraufzuprovozieren bringt niemandem etwas. Luke würde sich am Ende zu einer Dummheit hingerissen fühlen und das will ich nicht.
 

„Genau, denn…“ Stiles blinzelte leicht perplex und hielt dabei inne, Derek reinzudrücken, dass Scott und er, trotz ihres Zwists, ein Team waren. „Du willst nicht wegen den Konsequenzen für ihn?“
 

„Klar?“ Scott legte den Kopf schief. „Würdest du denn bei einem Test wegen Derek zustimmen?“
 

„Ich… natürlich nicht“, gestand er ein und trat sogleich die Flucht nach vorne an. „Das hat damit aber überhaupt nichts zu tun! Derek ist auch kein, kein…“
 

„Derek ist genauso ein Monster, falls du dieses Wort suchst“, unterbrach ihn sein bester Freund mit einer latenten Schärfe in der Stimme. „Wie auch der Großteil deines Freundeskreises. Sogar dein ehemaliger Schwarm ist eine Banshee. Würdest du es bei jemandem von ihnen so machen?“
 

„Nein, aber…“
 

„Es gibt kein „Aber“, Stiles. Luke ist mein Freund und es ist meine Aufgabe, ihn zu beschützen, wie ich auch dich beschütze, oder Allison, oder Isaac. Wir sind derzeit zusammen und daran ist auch nicht zu rütteln. Ich liebe ihn und er liebt mich; sogar Derek ist der Meinung, dass Luke es ehrlich meint.“ Trotz seiner großspurigen Worte, trotz all der Liebe und Hingabe, die er für seinen Liebsten empfand, war da ein Hauch von Zweifel in ihm, den er aber, so gut es ging, zu verbergen versuchte.
 

„Wie du meinst“, warf der Detektiv die Hände in einer theatralischen Geste in die Luft. „Du wirst uns zwar noch alle damit umbringen, aber gut…“ Gerade als Scott sich für seine harschen Worte entschuldigen wollte, konnte er im Rückspiegel erkennen, wie sein bester Freund breit grinste. „Ich hoffe, dein Lover ist wirklich so reich, wie er behauptet, Bro – denn eure zart knospende Liebe zu beschützen wird euch so einiges kosten.“
 

„Was?“ Nun blinzelte der Werwolf überrascht. „Das heißt, du bist mir nicht böse?“
 

„Ich war dir nie böse, Scott, nur besorgt um dich, das ist alles. Da du Richboy aber wirklich zu lieben scheinst und sogar mein eigener Gefährte“, Stiles warf Derek dabei einen missmutigen Blick zu, „sich bemüßigt fühlt, mir deswegen in den Rücken zu fallen, werde ich dich nach Kräften unterstützen, ihn bei der Stange zu halten und von seinem verrückt-widerlichen Gehirnwäschegrandpa zu entfernen.“
 

Scott hätte heulen können vor Freude. Das war der Stiles den er kannte, sein Bro, den er auch liebte, von ganzem Herzen. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, denn sich zwischen Luke oder Stiles zu entscheiden, wäre verdammt schwer gewesen, wenn nicht sogar unmöglich.
 

„Aber nur, wenn du ihn dazu bekommst, mich mit seinem Dad bekanntzumachen UND“, der bleiche Zeigefinger wurde bedeutungsschwanger angehoben, „etwaige Babys bekommen mich als Paten.“
 

„Spinner“, lachte der Alpha erleichtert und legte die Arme von hinten um Stiles. „Ich liebe dich, Bro, weißt du das?“
 

„Natürlich, genauso wie Derek, Lydia, Isaac, Allison und die ganze Welt“, folgte prompt die großspurige Antwort.
 

„Dann könnt ihr ja gleich beweisen, wie sehr ihr zwei euch liebt“, riss Derek das Geschwisterduo im Geiste aus ihrer herzergreifenden Liebesbekundung.
 

„Hm?“, machte Stiles und warf seinem Gefährten einen fragenden Blick zu. „Bist du eifersüchtig?“
 

„Nein, aber Scotts neuer Freund und Jackson scheinen kurz davor zu sein, sich an die Gurgel zu gehen“, meinte er und schnallte sich ab.
 

Beide lugten aus dem Auto, welches mittlerweile zum Stehen gekommen war und konnten Jackson, wie auch Luke, heftig gestikulieren sehen. Ersterer wirkte angespannt und zornig, während der Zweiterer… nun, die Gesten des Briten waren eindeutig. Es schien nicht mehr viel zu fehlen und sie würden sich gegenseitig umbringen. Der Streitgegenstand schien auch schon festzustehen: Ein Parkplatz, auf dem heute wohl Jacksons Porsche platzgenommen hatte.
 

„Das kann nicht gut enden“, murmelte Scott und machte sich eilig daran, auszusteigen.
 

„Ich bin direkt hinter dir“, stimmte Stiles ein, wobei unklar war, wem diese Worte galten: seinem besten Freund oder seinem Gefährten, der ebenfalls ausgestiegen war.
 

„Das war schon immer mein Parkplatz“, hallte es quer über den Schulhof. Ein Grüppchen Schaulustiger hatte sich bereits zu den streitenden Parteien gesellt und umringte es.
 

„Steht da irgendwo ein Schild?“ Lukes Stimme trotzte nur vor Provokation. „Unterbelichteter Möchtegernschnösel mit zweitklassigem Auto?“ Dabei sah er sich dann suchend um. „Ich sehe keines.“
 

„Wenn es sein muss, erwirke ich eine anwaltliche Verfügung“, drohte Jackson und seine blasse Haut bekam einen dezenten Rotton von all der angestauten Wut, die sich alsbald zu entladen drohte.
 

„Oh, ich zittere schon.“ Ein breites Grinsen prangte im Gesicht des Briten. „Daddy, der erfolgreiche Provinzanwalt, macht mir dann die Hölle heiß, hm?“ Um seine gespielte Furcht zu untermalen, streckte er die Hände aus. „Mh, bisher ist von meiner Angst noch nichts zu spüren.“
 

„Mein Vater hat schon gegen deinen Lover erfolgreich eine Abstandsverfügung erwirkt.“ Jackson grinste hämisch, als er für einen Augenblick bemerkte, wie seinem Gegenüber die Gesichtszüge entglitten. „Na, getroffen ob der Tatsache, dass ich von euch weiß? Ihr solltet aufpassen, wo ihr im Schulgebäude rummacht.“
 

Luke reagierte nicht und das bemüßigte Jackson wohl, weiterzusticheln: „Wolltet wohl ein Geheimnis draus machen, hm? Ich habe mich fast bekotzt, als ich euch beiden zugehört habe.“ Die Menge grölte und johlte lauthals, ob des verbalen Schlagabtausches.
 

Scott, der gemeinsam mit Stiles und Derek in Lukes Rücken stand, wollte schon losstürmen, wurde aber vom anderen Alpha mit der Hand auf seiner Brust zurückgehalten. Er schüttelte nur angedeutet den Kopf.
 

Da war etwas in Lukes Zügen, etwas Raubtierhaftes, das seinen Freund so sehr an dessen Mutter erinnerte. Wie eine Raubkatze, ein Tiger, bereit zum Sprung. Es war keine Frage des ob, sondern nur des wann. Er schien einen günstigen Zeitpunkt abzupassen. Natürlich würde er dem Werwolf komplett unterlegen sein. Scott konnte Wut fühlen, Zorn und vor allem Hass. Diese Emotionen drohten ihn zu übermannen. Er hielt die Luft an. Für einen kurzen Augenblick war er drauf und dran gewesen, Dereks Hand, wenn notwendig mit Gewalt, abzustreifen und sich einzumischen, da passierte etwas.
 

„Und du?“, fragte Luke erstaunlich ruhig. „Was ist mit dir, hm?“ Der Co-Kapitän der Lacrossemannschaft wirkte tatsächlich für einen Moment verdutzt und verunsichert, ehe sein Streitpartner fortfuhr. „Wen hast du schon? Eine Freundin, die dich anscheinend stehen hat lassen.“ Ein Feixen erschien auf seinen Zügen. „Oder hast du es im Bett nicht mehr gebracht? Keinen hochbekommen? Zu nervös gewesen? Gleich in die Hose gegangen, während du sie angefasst hast?“
 

Beide Kontrahenten verschmälerten ihre Augen zu Schlitzen, während sie sich so aufeinander fokussierten, dass sie nichts um sich herum mitzubekommen schienen. Weder die tobende Meute, die sich ob der anstehenden Prügelei zu freuen schien, auch nicht ihre Freunde, nichts. Erst als eine weibliche Stimme sich erhob, erstarb das Stimmengewirr schlagartig.
 

„Interessant, wie viel schon über unsere Beziehung nach außen gedrungen ist, Jackson“, kommentierte Lydia das Streitgespräch trocken. Sofort lag der Großteil der Aufmerksamkeit auf der Erdbeerblonden, die sich gelangweilt wirkend, eine Haarlocke um den Finger wickelte. „Du scheinst zumindest gut recherchiert zu haben“, räumte sie in Richtung Luke ein. „Und scheinst auch das bessere Auto zu besitzen.“ Dabei wanderte ihr Blick wieder zu Jackson, der eine Grimmasse aus Wut und Scham geschnitten hatte. „Zwei kleine Jungs, die sich streiten – wie wäre es, wenn ihr das wie echte Männer klärt?“ Sie nickte dabei zu den beiden Autos, deren Frontschürzen sich gerade so nicht vor dem Parkplatz berührten.
 

Die Streithähne kniffen die Augen zusammen, bis Luke seine Stimme wiederfand und nickte: „Ausgezeichnete Idee. Etwas ganz Simples: ein kleines Beschleunigungsrennen auf einer langen Geraden. Wer schneller ist, der bekommt den Parkplatz.“ Hämisch fügte er noch an: „Sofern du dich traust.“
 

Jackson schüttelte den Kopf, so als würde er ein lästiges Insekt verscheuchen und knurrte dann: „Natürlich, was denn sonst? Heute, nach der Schule, beim alten Eisenbahndepot, 16:30 – sei pünktlich, sonst hast du bereits vor Antritt verloren.“
 

„Ich verliere niemals“, folgte Lukes knappe Antwort.
 

„Brave Jungs“, kommentierte Lydia das Geschehen. „Und du, Jackson, lässt jetzt unserem Neuzugang den Parkplatz, sonst wird nämlich jemand ganz bestimmter böse.“ Sie deutete in Richtung des Dreiergespanns Stilinski-Hale-McCall. Jackson murrte etwas, als sein Blick auf Derek fiel und suchte sich einen der unzähligen freien Parkplätze aus. Auch Lukes und Scotts Blicke trafen sich, wobei Ersterer diesem sogleich auswich, sich daran machte, den Mercedes zu parken und sich dann beeilte, ins Schulgebäude zu huschen, in erdbeerblonder Begleitung.
 

„Wow“, pfiff Stiles leise. „Ohne Lydia wäre die Situation eskaliert.“
 

„Mh“, machte Scott und schulterte seinen Rucksack.
 

„Sag Jackson, er soll ihm den Parkplatz kampflos überlassen, oder ich werde sauer und er soll sich nachher bei mir melden.“ Derek stieg wieder in seinen Wagen und ließ die beiden Freunde sang- und klanglos stehen.
 

„Autsch.“ Der Detektiv schüttelte seine rechte Hand. „Das wird für Jackson übel enden.“
 

„Für Luke auch“, brummte der Alpha und beschleunigte seine Schritte. Zeit seinem Freund die Leviten zu lesen und das ordentlich.

Standpauke und eine neue Freundschaft?

„Lass mich das machen“, raunte Stiles Scott im Vorbeigehen zu und schob ihn hinter die nächste Ecke. „Ich rede mit ihm.“ Er warf einen Blick um jene besagte Ecke und konnte beobachten, wie Luke sich mit Lydia unterhielt.
 

„Warum willst du das machen?“, zischte der Alpha. „Es ist mein Freund, der Mist gebaut hat.“
 

„Weil ich einen anderen Zugang zu ihm habe und ich etwas versuchen möchte“, antwortete sein bester Freund ruhig. „Kannst du hören, was sie zueinander sagen?“
 

Missmutig spitzte der Werwolf die Ohren und konnte dem Gespräch tatsächlich folgen. Er bedeutete Stiles, mit dem Zeigefinger an den Lippen, ruhig zu sein und versuchte alle anderen Geräusche um sich herum auszublenden. Es dauerte einige Augenblicke, aber dann war er auf die beiden eingestellt.
 

„Sich mit Jackson anzulegen ist nicht sonderlich intelligent“, meinte Lydia, leicht stiefmütterlich anmutend. „Er ist noch immer einer der beliebtesten Schüler der Beacon Hills High.“
 

„Was interessiert mich das?“, lautete Lukes gleichgültige Antwort. „Soll er doch mit Daddy antanzen, wenn es sein muss, dann lasse ich mir dutzende Spezialisten für amerikanisches Recht einfliegen, aus New York, Manhattan oder weiß der Geier woher. Dieser beschissene Parkplatz gehört mir.“
 

„Es geht hier aber gar nicht um den Parkplatz.“ Die Banshee traf eine Feststellung, keine Vermutung. „Es geht dir darum, dass er deine kleine Liaison mit Scott öffentlich gemacht hat.“
 

Das heftige Knallen einer Spindtür ließ Scott zusammenzucken. Auf Stiles besorgten Blick hin schüttelte er nur leicht den Kopf und lauschte weiter. Lukes Herzschlag war unregelmäßig, sein Atem flach und sein Puls raste förmlich. Der Werwolf hatte eine steinerne Miene vor Augen, einen verhärteten Blick und ein missfallendes Zucken des rechten Mundwinkels.
 

„Es ist keine Liaison; Scott und mich verbindet weitaus mehr“, fuhr er sie heftig an. „Wir gehören zusammen und ich werde nicht zulassen, dass ein aufgeblasener Wichser, der Co-Kapitän in einer bestenfalls drittklassigen Schulmannschaft ist, mir das vermiest. Was ich mit Scott mache, geht niemanden etwas an, nur ihn und mich.“ Trotz des Zorns, der Wut und auch des latenten Hasses, der in Lukes Stimme mitschwang, kombiniert mit einer unschönen Beleidigung, war da auch groteskerweise ein sanft anmutender Ton.
 

„Du erzählst es aber gerade mir.“ Eine weitere scharfsinnige Feststellung seitens Lydia.
 

„Ich erzähle dir gar nichts“, schnappte er. „Das ist eine Sache zwischen uns.“
 

„Das respektiere ich auch, aber selbst ein Tiger braucht ab und an Rückendeckung“, antwortete sie ruhig und unbeirrt. „Du magst zwar ein hervorragender Einzelgänger gewesen sein bisher, aber so funktioniert das nicht. Ich vermute stark, dass Scott dein erster Freund ist und du dich deswegen so verhältst. Es ist nichts dabei, sowohl mit einem Jungen zusammen zu sein, als auch das zu zeigen. Du hast aber ab jetzt Verantwortung. Nicht nur für dich, sondern auch für ihn und damit bringst du ihn in große Schwierigkeiten.“
 

Der Werwolf hob die rechte Braue an und sein Mund öffnete sich dabei fassungslos. Lydia hielt Luke gerade eine Standpauke. Warum? Weil sie und der Alpha gute Freunde waren? Er Aiden mal aus der Patsche geholfen hatte? Fühlte sie sich verantwortlich für ihn, sich schuldig?
 

„Ich hasse es, wenn man ‚Lover‘ sagt. Scott ist nicht mein Lover, er ist mein Freund.“ Luke war nun schwerer zu verstehen, und der Alpha konnte sich bildlich vorstellen, wie er verlegen mit der Schulter an seiner Wange rieb. „Und es ist meine Aufgabe, ihn zu beschützen, nicht umgekehrt. Dieser Lackaffe hat ihn vor der ganzen Schule bloßgestellt und dafür werde ich ihn fertigmachen.“
 

„Womit denn?“ Ein kurzer Augenblick des Schweigens folgte, bevor Lydia ruhig fortfuhr: „Er hat nur etwas bestätigt, das schon längst in aller Munde gewesen ist. Du starrst Scott förmlich auf den Hintern, wenn er vor dir her geht, dass du einen Großteil deiner Kurse gemeinsam mit ihm belegst, ist sicherlich auch kein Zufall und, nichts gegen Scott, aber wenn ein Typ wie er aus so einem Wagen aussteigt, dann ist das doch ein wenig ungewöhnlich.“
 

Stille. Eine bedrückende Stille, in der sich Scott gedanklich notierte, Lydia einmal zu fragen, wie denn der Typus Mann aussehen müsse, der aus so einem Wagen aussteigt, um nicht ungewöhnlich zu wirken und er wusste genau, dass sie ein ganz anderes Wort gemeint hatte. Es war nur erstaunlich, wie einfühlsam und geduldig sie mit Luke umging. Der Brite glich einem verzogenen und bockigen Jungen, dessen Geheimnis, er habe nach dem Zähneputzen noch in der Keksdose genascht, offenbart worden war.
 

„Und?“, zischte Stiles leise. „Was ist los?“
 

„Lydia spricht gerade mit ihm“, klärte ihn sein bester Freund auf.
 

„Sehr scharfsinnig“, schnaubte der Sohn des Sheriffs. „Ich will wissen, worüber.“
 

„Über mich und Verantwortung“, folgte die knappe Antwort, ehe Scott wieder genauer hinhörte.
 

„Du bist eine von Scotts Freundinnen, oder?“, fragte der Dunkelblonde plötzlich.
 

„Bin ich“, bestätigte ihm Lydia.
 

„Denkst du, er ist mir sehr böse, weil ich seine Ehre nicht verteidigt habe?“
 

Dieser Satz klang so kindlich und dabei doch so wunderschön, dass er Scott ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Wie ein Ritter, der um seine Maid besorgt war. Nicht, dass er sich als Mauerblümchen sah, welches man verteidigen musste, das konnte er durchaus selbst erfolgreich bewerkstelligen, es war viel mehr die Tatsache, dass Luke, trotz seines Zorns und seines Abscheus gegenüber Jackson, noch immer an ihn dachte.
 

„Da gibt es nichts zu verteidigen, strahlender Ritter.“ Lydia kicherte amüsiert. „Wobei dir wohl eher eine schwarze Rüstung stehen würde, passend zu deinem Auto.“ Scott riskierte einen Blick um die Ecke und konnte erkennen, wie die Erdbeerblondine seinem Freund eine Hand auf die Schulter gelegt und er den Blick gesenkt hatte. „Sei nicht so verkrampft. Scott ist ein guter Freund und ich bin mir sicher, er erkennt, wie sehr du ihn liebst. Dafür habe ich einen siebten Sinn.“
 

„An meinem Entschluss, Jackson heute Nachmittag fertigzumachen, hat sich aber nichts geändert“, stellte der Brite entschlossen fest. „Er hat eine Abreibung verdient und ich mache ihn zum Gespött der Schule.“
 

„Das habe ich mir fast gedacht“, seufzte sie leise. „Jungs und ihre Spielzeuge. Na, von mir aus, aber denk immer dran, dass du auch Scott gegenüber eine Verantwortung hast und er mit Jackson zusammenarbeiten muss.“ Damit ließ sie ihn los und hing sich bei ihm ein. „Wir haben jetzt gemeinsam Biologie und ich denke, für dich könnte es ganz gut sein, mit dem angesagtesten Mädchen an der Beacon Hills High bekannt zu sein.“
 

„Ah ja?“ Auf Lukes Zügen erschien ein Schmunzeln. „Das bist also du?“
 

„Bin ich, wie dir sicherlich bekannt sein dürfte.“
 

Kurz machte sich so etwas wie Eifersucht in Scott breit. Lydia, in ihrem dunkelblauen Oberteil, dem dunkel gemusterten Rock, den lockigen Haaren, die ihr Gesicht perfekt umrahmten und den dazu passenden Stilettos, wirkte gut aufgehoben neben seinem Freund, der heute eine dunkle und enge Jeans trug, die schwarz-gelbe Collegejacke über einem grauen T-Shirt, welches aus dem nicht ganz zugeknöpften Kragen herauslugte und halbhohe grau-schwarze Sneaker. Kurz fühlt er sich an eben Lydia erinnert, als sie noch mit Jackson zusammen gewesen war: Das Pärchen der Schule.
 

„Sie kanns nicht lassen, hm?“, riss ihn Stiles aus seinen düsteren Gedanken. Er hatte den Kopf neben den von Scott gesteckt und sie beide beobachteten, wie Lydia mit Luke ins Klassenzimmer verschwand.
 

„Was?“
 

„Lydia hat sich schon immer zu Kerlen mit hohem Sozialstatus hingezogen gefühlt“, meinte Stiles und fügte, auf Scotts wütenden Blick, hastig an: „Aber sie hat schließlich Aiden und will dir sicher nur helfen.“
 

„Ich brauche aber keine Hilfe, mit Luke komme ich alleine klar.“
 

„Sei doch froh, dass dein Richboy sich nicht nur auf dich fokussiert. Lydia weiß schon, dass sie ihre Finger bei sich behalten muss, sonst verarbeitet Aiden ihn zu Hackfleisch, was wiederum dich dazu bemüßigen würde, Aiden zu einem Zwergpinscher zu degradieren.“ Stiles legte ihm einen Arm um die Schulter. „Komm schon, wir haben jetzt gemeinsam Unterricht, wie in alten Zeiten.“
 

„Na hoffentlich“, murmelte der Alpha noch und schüttelte sich. Er war auf der einen Seite froh, dass Lydia sich, warum auch immer, um Luke zu kümmern schien, aber andererseits war er nicht sonderlich begeistert davon, denn irgendwie… er konnte es nicht benennen. Zumal da heute noch dieses absolut schwachsinnige Rennen war, das er ihm ausreden musste. Dringend. Und die Leviten lesen. Noch dringender.

Ritterlichkeit vs Charisma

Dieses Mal ein Kapitel aus der Sicht von Lydia - viel Spaß beim Lesen!

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Luke hatte sich als außerordentlich interessanter Gesprächspartner und Sitznachbar herausgestellt. Lydia war der reiche und gutaussehende Junge aus Übersee natürlich bereits am ersten Tag ihrer Rückkehr aufgefallen, doch hatte sie sich, wohlweislich, zurückgehalten. Es zeugte von einem gewissen Maß an Mut und Selbstsicherheit, oder Dummheit, wenn man sich mit Jackson anlegte. Wer nicht zu seinen Freunden zählte, wurde als Abschaum betrachtet. Der Brite hatte sich aber nicht abschrecken lassen. Gut, ihm im Rücken saß auch der Direktor und Lydia wusste aus eigener Erfahrung, welch Monster Gerard Argent sein konnte, aber das musste ja nicht für dessen Enkel gelten.
 

Er war kurz und knapp gesagt genau das, was sich jedes Teenie-Mädchen wünschte: gutaussehend, sportlich, intelligent, selbstsicher und steinreich. Sein Sozialstatus war, überspitzt gesagt, weit über dem durchschnittlichen Level eines Quarterbacks oder Lacrossekapitäns. Umso verwunderlicher war es gewesen, als Lydia begriffen hatte, auf wen der Brite ein Auge geworfen hatte: Scott. Luke hätte so viel mehr haben können. Das änderte jedoch nichts daran, dass sie sich für ihn interessierte. Außerdem war Scott kaum in der Lage, eine adäquate Beziehung zu führen, geschweige denn aufrechtzuerhalten: Bereits bei Allison war die Erdbeerblondine mehrmals kurz davor gewesen, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Diese ganze Romeo und Julia-Romanze mochte zwar auf den ersten Blick nett gewesen sein, doch ihr war bereits früh klar gewesen, dass das nicht gut gehen konnte. Scott und sie verstanden sich gut, genauso wie Allison und sie, und als Lydia auch noch realisierte, dass Luke Taylor sowohl der Sohn von Daniel Taylor, als auch Cousin ihrer besten Freundin war, hatte sie kurzerhand entschieden, sich selbst um diese Angelegenheit zu kümmern. Zumal Jackson es durchaus auch verdient hatte, eine kleine Ohrfeige zu kassieren, nachdem er sie abgeschossen hatte. Aiden hin oder her, sie war natürlich glücklich mit ihrem Seelengefährten, aber man durfte sich durchaus Appetit auswärts holen und ein wenig Rivalitätsgehabe imponierte dem angesagtesten und auch noch immer begehrtesten Mädchen der Beacon Hills High.
 

Lange Rede, kurzer Sinn: Luke und sie hatten beschlossen die Mittagspause in ein nobles Restaurant in der Innenstadt zu verlagern und die Nachmittagsstunden zu schwänzen, da Kunst in seinen Augen ein Fach war, bei dem für ihn sowieso Hopfen und Malz verloren war, und sie sowieso zu gut, um sich mit den langweiligen Grundübungen weiter zu beschäftigen. Dementsprechend saßen sie an einem Tisch für zwei, in einem Nobeletablissement, dessen Speisekarte sich als gehoben, wie auch eklatant teuer herausstellte. Auch hier hatte sich der Brite als Gentlemen erwiesen: ihr die Jacke abgenommen, den Stuhl zurückgezogen und dann wieder herangerückt, und sich sogleich bereiterklärt, sie einzuladen. Das gefiel ihr natürlich, genauso wie der Ausblick auf einen durchtrainierten Oberkörper, dessen Muskeln ansatzweise durch das graue T-Shirt hindurchstachen. Einzig die Zahnspange störte sie, doch das konnte man ausblenden, wenn man denn wollte. Sie wurden auch dementsprechend angestarrt; ihre Kleidung war dem gehobenen Etablissement nicht ganz angemessen, oder besser gesagt der dezent sportliche Stil von Luke, doch beim Anblick der Kreditkarte des jungen Mannes, hatte sich der Kellner fast überschlagen. Auf die Frage ihres Gastgebers hin, ob er das Lokal räumen lassen solle, damit sie ungestört sein konnten, hatte sie lächelnd den Kopf geschüttelt. Bei einem Filet Welllington mit Bratkartoffeln für ihn und Linguine mit Hummersauce mit Riesengarnelen, Petersilie und Zitrone für Lydia selbst, und einer passenden alkoholfreien Getränkeauswahl, unterhielten sie sich. Es war fast schon eine Augenweide, ihrem Gegenüber beim maß- und genussvollen Essen zuzusehen, und nicht dem gierigen Schlingen Aidens beiwohnen zu müssen. Werwölfe hatten einen schier unbändigen Appetit – oder ihrer war einfach ein Schwein, was seine Tischmanieren anging.
 

„Ist das Hugo Boss?“, wollte sie von ihm wissen und nickte dabei in Richtung der College-Jacke, die hinter ihm über der Stuhllehne hing. Natürlich war es nicht Hugo Boss, das war ihr bewusst, doch sie wollte ihn ein wenig aus der Reserve locken und unvorsichtig werden lassen.
 

„Saint Lauren“, antwortete er beiläufig.
 

„Darf ich fragen, was sie gekostet hat?“ Interessiert wanderte ihr Blick von dem Kleidungsstück zu Luke, der nur mit den Schultern zuckte. „Du weißt nicht, was du bezahlt hast?“
 

„Keine Ahnung – Jonathan ist damals einkaufen gewesen und hat sie mitgenommen, weil er weiß, dass ich so einen Stil bevorzuge. Ich habe generell wenig Gefühl, was Kosten angeht. Ich weiß, dass mein Wagen teuer war, da er Technik besitzt, die eigentlich in einem straßenzugelassenen Fahrzeug gar nicht verbaut wird, aber ansonsten…“ Er kratzte sich an der Oberseite seines Unterarms. „Wahrscheinlich mehr als Scotts gesamter Kleiderschrank?“, schlug er ein wenig hilflos vor.
 

„Mit Sicherheit“, schmunzelte sie und nahm einen weiteren Bissen ihres Gerichts zu sich, welches vorzüglich schmeckte. Der Preis war in jedem Fall gerechtfertigt. Mit Jackson war sie zu ihrem Jahrestag einmal hier gewesen, daran erinnerte sie sich noch flüchtig.
 

„Das bedeutet also, die McCalls sind arm?“, schlussfolgerte der Brite. „Also ich meine wirklich arm. Das Haus ist zwar sehr liebevoll und warm eingerichtet, aber… es wirkt alles so alt und so antik, aber nicht positiv antik, sondern mehr minderwertig.“
 

Das Vermögen ihres Gegenübers musste so groß sein, dass ein dementsprechender Realitätsverlust damit einherging. Lydia selbst war nicht arm, keineswegs, und auch sie empfand das Haus von Scott bestenfalls als Notlösung, doch es als minderwertig zu betrachten… nun, er hatte irgendwo recht. Verglichen mit dem Haus von Jacksons Familie oder ihrem eigenen Heim, glich die Bleibe der McCalls einer mittleren Bruchbude. „Durchschnitt würde ich sagen“, schlug sie vor. „Warum interessiert dich das?“
 

„Weil es meine Aufgabe ist, für Scotts Auskommen zu sorgen und auch für das von Melissa“, erklärte er ihr und schnitt sich ein weiteres Stück Filet ab. „Ich bin schließlich sein Freund und dementsprechend verantwortlich für ihn.“
 

Das klang tatsächlich so ritterlich und so steinzeitmäßig, dass sie sich beherrschen musste, ihn nicht auszulachen. Er wirkte tatsächlich wie DER Teenie-Schwarm schlechthin: Ein Bad Boy nach außen, aber mit einem sanften Inneren. In einem anderen Leben hätte er den perfekten Freund abgeben, aber so…
 

„Ist das auch der Grund, warum du vorhin so ausgezuckt bist?“, lenkte Lydia das Gespräch auf den Punkt, der sie besonders interessierte. Ihr war natürlich klar, dass Luke unbeholfen war, vor allem, weil es sich bei Scott um seinen ersten Freund handelte, wie auch das übertriebene Balzgehabe wahrscheinlich einen Minderwertigkeitskomplex verbarg, aber dennoch sprach da die Neugierde aus ihr; eine Neugierde, welche befriedigt werden wollte.
 

Er schien einen Moment zu überlegen. Da war etwas in seinen Augen, hübschen grau-grünen Augen, die sich perfekt in die noble Blässe seines Teints einfügten, das mit sich selbst zu ringen schien. Seine Haltung straffte sich dann ein wenig und sie rechnete schon fast mit einer Abfuhr, als er schlussendlich den Mund öffnete und nickte: „Was zwischen mir und Scott ist, geht niemanden etwas an, höchstens meine engsten Vertrauten. Dieser Jackson glaubt, mit einem Mittelklassewagen und einem etwas höheren Einkommen oder Taschengeld, er wäre der King und diesen Zahn will ich ihm ziehen. Grandpa hat mir außerdem erzählt, dass Jackson und Scott ein relativ durchwachsenes Verhältnis zueinander pflegen, beziehungsweise gepflegt haben – dementsprechend groß ist meine Abneigung ihm gegenüber.“
 

Das entsprach so nicht ganz der Wahrheit, denn Jackson und Scott konnten mittlerweile durchaus miteinander, aber diese Ungereimtheit, oder besser gesagt Lüge, aus der Welt zu schaffen, würde heute weder möglich noch notwendig sein. Es ging viel mehr um die Tatsache, dass dieser Junge, der ein wenig seines Lebens auch ihr gegenüber preisgegeben hatte (sie war eine hervorragende Gesprächspartnerin, und ihr Charisma herausragend), tatsächlich so etwas für Verantwortung für Scott empfand. Wirkliche Verantwortung. Das war erstaunlich.
 

„Ist er dein Freund oder dein Gefährte?“ Letzteres würde nämlich erklären, warum er von seiner festgefahrenen Meinung, und auch seinem Abscheu gegenüber Jackson, ansatzweise bereit war, abzuweichen. Ihr gegenüber hatte Luke seinen Freund nämlich fast wie die fleischgewordene Perfektion präsentiert: Scott sei intelligent, hübsch und liebevoll. Über Melissa waren auch nur positive Worte gefallen, das war ungewöhnlich, denn im gleichen Atemzug hatte er sich über Stiles ausgelassen und das in aller Deutlichkeit.
 

„Freund“, murmelte Luke und kratzte sich erneut am Unterarm.
 

„Du bemühst dich so um einen bloßen Freund?“, fragte sie erstaunt.
 

„Das ist nicht so einfach“, wich er aus. „Er könnte es sein, aber ich weiß es nicht.“
 

„Du weißt es nicht?“ Sie hob die rechte Braue an. „Warum?“
 

„Weil… weil mir mein Seelenmal genommen wurde. Ich kann es nicht sehen, da es von einer Narbe überdeckt wird.“ Sein Tonfall verhärtete sich. „Darum ist es umso wichtiger, Scott zu beweisen, wie ernst es mir mit ihm ist.“ Lukes Augenbrauen wanderten dabei nach unten und er zuckte missmutig mit den Mundwinkeln. „Ich werde auf ihn aufpassen, genauso wie auf seine Mutter.“
 

Lydia hatte Mühe nicht die Augen zu verdrehen. Er klang genau wie das Idealbild eines beschützerischen Freundes, den man sich wünschte, wenn man kein Selbstvertrauen hatte. Eine schlechte Teenie-Romanze. Wenn er nun noch herausfand, dass sein großer Schwarm ein Werwolf war, der unter anderem, seinen geliebten Grandpa in den Rollstuhl befördert hatte, würde das einen kleinen Weltuntergang für ihn bedeuten. Doch das war nicht ihre Aufgabe. Ihre weibliche Intuition riet ihr davon ab, Luke zu sehr mit diesem Thema zu konfrontieren, zumindest jetzt, denn dann würde er sich wahrscheinlich komplett verschließen. Die Tatsache, dass er sich ihr überhaupt anvertraute, war schon ein Zeichen dafür, wie verzweifelt er sein musste. Oder er war ein ebenso guter Schauspieler wie sie, was aber in Anbetracht der ehrlich wirkenden Liebesbekundungen an Scott nahezu ausgeschlossen schien.
 

„Der Traum einer jeder Schwiegermutter, hm?“, erwiderte sie trocken und nahm den Blick von ihm als der Kellner mit der Dessertkarte kam.
 

„Keine Ahnung? Ich weiß ja nicht einmal, was ich Melissa schenken soll, damit sie mich für gut genug erachtet, um mich mit ihrem Sohn wirklich ausgehen zu lassen.“ Der Brite versteckte sein Gesicht gut hinter der Barriere aus Papier und eingeschlagenem Leder, fast so, als wäre es ihm peinlich, darüber zu sprechen.
 

„In welchem Jahrhundert lebst du?“, lachte Lydia kopfschüttelnd. „Du musst ihr gar nichts schenken.“
 

„Sie ist aber die Mutter meines festen Freundes“, gab er leicht nuschelnd zurück. „Ich muss ihr genauso recht sein wie Scott.“
 

„Wir leben im 21ten Jahrhundert – stell dir vor: du könntest sogar mit Scott ganz unverbindlich schlafen, wenn du das möchtest“, verdrehte sie die Augen. Wie konnte man nur so rückständig sein?
 

„Nein.“ Luke erschien wieder hinter der Dessertkarte und schüttelte heftig den Kopf. „Das kann ich nicht, denn das erste Mal sollte etwas Besonderes sein, etwas Einzigartiges. Mit viel Vorbereitung und Ruhe in einer geschützten Umgebung. Ich will keine schnelle Nummer: Ich will Scott und das mit jeder Faser meines Körpers.“ In dem Moment, in dem er zu begreifen schien, was er da gerade von sich gegeben hatte, verschwand er erneut und nur ein Paar brennender Ohrspitze zeugten von der Peinlichkeit und Scham, die ihr Gegenüber wohl gerade durchlebte.
 

Das würde ein hartes Stück Arbeit werden: Aus dem ritterlichen und braven Vorzeigefreund einen normalen Jungen zu machen, dem die Rüstung zwar wahrscheinlich hervorragend stand, aber nicht in Weiß, sondern in Schwarz. Kurz hatte Lydia Luke beim alljährlichen Halloweenball vor Augen, in einer nachtschwarzen Plattenrüstung, mit Umhang und grässlich anmutendem Helm, wie er neben seiner Prinzessin, Scott in einem Rüschenkleid und Diadem, stand. Schmunzelnd verwarf sie diesen Gedanken wieder.
 

„Das klingt zwar furchtbar romantisch, aber wir sind wirklich im 21ten Jahrhundert angekommen. Die Zeiten von Romeo und Julia, Hamlet, Othello und dergleichen sind ehrlich gesagt vorbei, Luke.“ Sie legte zwei Finger auf den oberen Rand seiner Dessertkarte und drückte sie mit sanfter Gewalt nach unten, was er sogar zuließ. „Ein Tiger ist ein Raubtier, kein Schmusekätzchen.“
 

„Wieso… woher weißt du eigentlich von meinem Spitznamen?“ Der Dunkelblonde legte den Kopf schief und schien dabei sogar zu vergessen, betreten zu wirken, denn nun war es Neugierde, die seine Zügen entsprang.
 

„Weil ich gut mit Scott, Stiles und Alison befreundet bin“, erklärte sie ihm schief lächelnd. „Außerdem eine Frau und so etwas wie weibliche Intuition besitze, die deinem Geschlecht wohl ewig verborgen bleibt.“ Dazu strich sie sich einmal durch die langen und glatten Haare. Das zog in der Regel immer und war auch bei Luke nicht anders: Seine ganze Haltung veränderte sich. Er richtete sich leicht auf und für den Hauch einer Sekunde war da ein Zittern seiner Lippen zu erkennen. Zeit, ihm richtig auf den Zahn zu fühlen. „Ein Tiger ist aber ein Einzelgänger, ein Alpha, genauso wie der Alpha eines Wolfsrudels.“
 

Die Tatsache, dass Luke eben nicht verwundert dreinblickte, ließ sie ihre Vermutung bestätigt wissen: Er wusste etwas. Derek hatte sich eine ganze Woche lang den Kopf zerbrochen, wie man, mit humanen Mitteln (auf Intervention Stiles´ hin), herausfinden könne, ob der Brite von seinem Großvater eventuell grob über die Vorgänge in Beacon Hills unterrichtet worden sein könnte. Der verliebte Scott sah ihn sowieso nur durch eine rosarote Brille, Stiles fokussierte sich viel zu sehr auf seine Vergangenheit und Allison war derzeit wohl nicht bereit, sich mehr mit ihrem Cousin zu beschäftigen, als notwendig. Da blieb eben nur sie übrig, oder Jackson, doch dann konnten sie sich gleich „übernatürliche Wesen“ auf die Stirn tätowieren lassen.
 

„Wie meinst du das?“, fragte er und gewann seine Fassung zurück, denn er hatte leicht ertappt bei ihrer Aussage gewirkt.
 

„Scott ist ein Alpha, er ist der Kapitän der Lacrossemannschaft, der geborene Anführer. Ich vergleiche ihn manchmal mit einem Wolf, der sich um sein Rudel, sei es seine Mannschaft oder seine Freunde, kümmert. Ein soziales Wesen, während du…“ Lydia legte eine kurze Kunstpause ein und lächelte innerlich, denn sie wusste genau, dass sie Luke am Haken hatte. „Du bist auch ein Alpha, wahrscheinlich der spätere Kapitän der Fußballmannschaft, wie man bereits hört, aber du bist auch ein Einzelgänger. So wie ich dich einschätze, gibst du nicht gerne die Kontrolle aus der Hand und versuchst im Alleingang sämtliche Hindernisse aus deinem Weg zu räumen. So wird das aber bei Scott nicht funktionieren.“
 

Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als der Kellner sie nach ihren Dessertwünschen fragte und sich beide für Schokoladenravioli mit Zitronen-/Mandarinensorbet entschieden. Kaum, dass sie wieder alleine waren, nestelte Luke an seinen Fingerspitzen herum und zog sich dann am Ohr. Er wirkte nicht nur ertappt, sondern auch nervös, denn Lydia war klug genug vorgegangen, als dass er sich nicht sicher sein konnte, ob sie mehr über ihn wusste, als sie zugeben mochte. Natürlich war das ein Bluff gewesen, doch er schien zu funktionieren.
 

„Warum sollte es nicht mit zwei Führungspersönlichkeiten funktionieren, hm?“, knüpfte er nahtlos an ihre Feststellung an. „Zwei starke Anführer sind besser als ein starker und einer, der sich unterordnet.“
 

„Weil du kein Anführer bist“, riet die Banshee ins Blaue. „Und du dich Scott unterordnen würdest. Er ist schließlich dein Freund, den du beschützen willst, das schließt auch vor dir selbst mit ein. Damit vergeudest du dein Potential. Was machst du denn, nur hypothetisch, bei einem Streit mit Scott, hm?“ Sie legte ihm die Hand auf den Unterarm, der gerade in Reichweit war, da er nach seinem Zitronenwasserglas griff.
 

„Darauf hoffen, niemals mit Scott zu streiten?“, schlug er leicht hilflos vor.
 

„Luke, das ist unrealistisch, sogar bei Seelengefährten. Ich weiß was du machen würdest: nachgeben. Das liegt ebenso in deiner Natur.“ Woher sie das wusste? Sie hatte ein Paar Augen im Kopf und besaß eine gute Menschenkenntnis.
 

„Ich gebe niemals nach“, schnaubte er leise. „Ein Krieger gibt niemals auf. Er steht stolz da, erhobenen Hauptes, während nichts und niemand an ihm vorbeikann.“
 

„Du wirst und das öfter als dir lieb ist. Das ist vollkommen normal in einer Beziehung; Kompromisse sind wichtig und auch notwendig.“ Das war zwar nur die halbe Wahrheit, denn Aiden folgte Lydias Worten kompromisslos, da er sie bedingungslos liebte, aber Aiden war eben auch kein Alpha mehr und selbst als solcher war er niemals Anführer eines Rudels gewesen, nur ein Rädchen in Deucalions Uhrwerk.
 

„Kompromisse verwässern eine grundsätzlich gute Lösung“, erwiderte ihr Gesprächspartner und hielt kurz inne als man ihnen die Nachspeisen brachte. „Ich war noch nie ein Freund von Mitteldingen. Entweder ganz oder gar nicht.“
 

„Dann wirst du es schwer mit Scott haben“, lächelte sie und probierte ihr Gericht, welches ebenso köstlich schmeckte wie der Hauptgang. Die Schokoladenravioli zergingen förmlich auf der Zunge und das Mandarinensorbet besaß eine herrlich fruchtige Note. „Selbstlosigkeit steht dir nämlich auch nicht sonderlich.“
 

„Wie kann es eigentlich sein, dass du mich besser kennst als die meisten Menschen, denen ich begegnet bin?“, wollte er wissen, wobei sich ein amüsiertes Grinsen auf seine Züge stahl. Ah ja, die Zahnspange – ein Problem, noch immer. Sie verschandelte sein hübsches Gesicht tatsächlich in unerträglicher Art und Weise.
 

„Erfahrung“, antwortete sie geheimnisvoll. Luke und Jackson unterschieden sich weit weniger, als sie beide glaubten. Sie war lange genug mit Jackson zusammen gewesen, um zu wissen, wie er funktionierte und das schien bei Luke ähnlich zu sein.
 

„Irgendwie mag ich dich“, stellte er fest.
 

„Kann ich zurückgeben.“
 

Das restliche Gespräch drehte sich um eher belanglose Sachen, wobei Luke sich vornehmlich mit eigenen Interessen zurückhielt und ihr mehr Freiraum ließ. Ein angenehmer Unterschied zu ihrem Exfreund: Er war tatsächlich mehr als nur höflich. Nachdem sie bezahlt hatten (wobei Lydia die Dollarzeichen im Gesicht des Inhabers förmlich aufblitzen hatte sehen können, denn er war persönlich gekommen, um sie zu verabschieden), wurde ihr die Jacke angezogen, die Tür aufgehalten und sie durfte wieder Platz im Mercedes nehmen, der weitaus luxuriöser ausgestattet war als Jacksons Porsche.
 

„Soll ich dich vorher noch zuhause absetzen?“, erkundigte sich der Dunkelblonde und ließ den Motor anspringen.
 

„Nein, ich will mir das Rennen ansehen“, beantwortete sie seine Frage. Das wollte sie wirklich, denn es stand Mensch gegen Werwolf und daraus würde sie weitere Schlüsse ziehen können.
 

„Gut, dann…“ Ein neuerliches Grinsen erschien auf seinen Zügen. „Muss ich mich wohl besonders anstrengen, ihn nass zu machen.“
 

„Wir werden sehen.“ Das würden sie wirklich und sie war auch schon gespannt, wie Scott und Derek reagierten.

Ein Rennen mit Schuldgefühlen

Scott und Stiles hatten eigentlich nicht damit gerechnet, dass das Rennen stattfinden würde. Jackson war klargemacht worden, was sein Alpha davon hielt und ihrer beiden Hoffnungen ruhten auf Lydia, die Luke eventuell zur Vernunft bringen würde. Mehr aus einem Bauchgefühl heraus waren sie dennoch den Weg zum alten Eisenbahndepot angetreten. Den Fußweg nutzten sie aktiv für ein Gespräch unter besten Freunden.
 

„Und wie küsst Richboy im Privaten so?“, wollte Stiles neugierig wissen.
 

„Was geht dich das an?“, schnaubte der Werwolf und rieb sich dabei den Nacken. Das war oberpeinlich – sein bester Freund besaß einfach keine Moral und keinen Anstand.
 

„Neugierde?“ Der Sohn des Sheriffs legte den Arm um die Schultern seines Begleiters und grinste breit. „Also?“
 

„Ganz gut“, seufzte Scott und gab sich dann geschlagen. „Er küsst gut.“
 

„Gut? Das klingt aber nicht gut?“ Stiles rückte noch ein wenig näher an ihn heran. „Besser als Allison?“
 

Der Alpha hatte vergessen wie nervtötend sein bester Freund sein konnte. Diese Grenzen, die man aus Anstand eigentlich nicht überschritt, waren für ihn höchstens Richtlinien, welche man je nach Belieben weiter nach hinten verschieben konnte. Was sollte er nun darauf antworten?
 

„Ich vergleiche Luke nicht mit Allison“, gab Scott zurück und biss sich auf die Unterlippe. Das war nämlich eine glatte Lüge. Unbewusst hatte er diesen Vergleich bereits öfter gezogen.
 

„Tust du doch!“, grinste Stilinski junior wissend. „Jetzt spann mich nicht auf die Folter.“
 

„Du hast doch selbst einen Gefährten? Warum interessiert dich dann mein Freund?“ Scott rieb sich über die Stirn und seufzte leise. „Ehekrise zwischen Derek und dir? Nun stahl sich auch auf die Lippen des Werwolfs ein Grinsen.
 

„Weil es dein erster ist.“ Stiles rückte lachend näher an Scott heran. „Ich will meinen Schwager in spe schließlich alsbald von seiner netten Seite kennenlernen oder zumindest begreifen, warum er dein Herz erobern konnte, denn mir gegenüber verhält er sich wie ein Vollarsch.“
 

Darauf wusste der Alpha ehrlich gesagt nichts zu erwidern. Lukes ambivalentes Verhalten war nicht zu entschuldigen, aber irgendwie auch nicht zu korrigieren. Ihm gegenüber verhielt er sich handzahm, während er nahezu jedem seiner anderen Mitschüler, mit Ausnahme nun von Lydia, ein Auftreten an den Tag legte, welches es schwer machte, ihn zu mögen.
 

„Er küsst sehr gut“, nuschelte Scott und trat damit die Flucht nach vorne an, frei nach dem Motto „Ablenkung vom eigentlichen Thema“.
 

„Aha!“, machte Stiles triumphierend. „Ich wusste es!“
 

„Du wusstest was?“
 

„Dass er gut…“ Mitten im Satz brach sein bester Freund ab, denn sie konnten bereits von Weitem lautes Gejohle und Gegröle hören. Die Zeit bis zum Eisenbahndepot war wie im Flug vergangen oder Scott hatte sich einfach verschätzt, was die Wegdauer anbelangte. Sie beide sahen sich ungläubig an, ehe sie ihre Schritte beschleunigten.
 

Dereks ehemaliges Versteck war noch immer genau so, wie sie es in Erinnerung hatten: Verfallen und schmutzig. Hier hatte er Erica, Boyd und Isaac an Vollmond versucht zu bändigen. Das war bevor sie ins Loft umgezogen waren. Letzteres war ein weitaus angenehmerer Ort als die kalte und unfreundliche Umgebung dieses Areals. Eigentlich hätte hier nichts los sein dürfen, das Depot war sogar abgesperrt, doch Gitter konnte man aus den Verankerungen lösen und so hatte sich bereits eine Traube um den schwarzen Mercedes und den grauen Porsche gebildet.
 

„Das darf doch nicht wahr sein“, schimpfte Scott und drängte sich zwischen den Schaulustigen hindurch. Gefühlt war die gesamte High School anwesend. Über Geschrei und Geschnatter legten sich Motorengeräusche. Jackson sah fest entschlossen aus, seinen Kontrahenten in die Schranken zu weisen, während von Luke jedwede Spur fehlte. Die Tatsache, dass der Mercedes vor sich hin schnurrte, war Bestätigung genug, um den ungefähren Aufenthaltsort des Fahrers zu lokalisieren. Durch die getönten Scheiben konnte man nichts erkennen. Zielstrebig hielt der Alpha auf die Fahrertür des schwarzen Sportwagens zu und stellte zu seiner Entrüstung fest, dass Luke sie wohl abgeschlossen hatte.
 

Ein kurzer Seitenblick eröffnete ihm Stiles, der die gleiche Erfahrung wohl bei Jackson machte. Er deutete auf sein Handy, welches er aus der Hosentasche zog und rief ihm irgendetwas zu, was aber in der Geräuschkulisse der Menge unterging. Scott schmerzten schon die Ohren von dem Trubel, der herrschte.
 

„Mach auf“, zeterte er und hämmerte mit der Faust gegen die Scheibe auf der Fahrerseite. „Ich will mit dir reden.“
 

Als keine Reaktion folgte, überlegte er kurz, die Tür mit Gewalt aufzubrechen, doch dafür gab es hier zu viele Zeugen und auch wenn er den Ruf als der Spitzensportler an der Beacon Hills High mittlerweile weghatte, eine noch so leichte Autotür aus ihrer Verankerung zu reißen, war auch einer Sportskanone nicht möglich.
 

„Lass ihn“, meldete sich eine weibliche Stimme hinter ihm zu Wort. Scott war in der Lage eine Hand auf seiner Schulter spüren. Er drehte sich um und konnte einer sich köstlich amüsierenden Lydia ins Gesicht schauen.
 

„Du hast diesen ganzen Irrsinn angestiftet, also beende ihn auch wieder!“, fuhr er sie an, wobei das die Banshee nicht im Geringsten zu irritieren schien.
 

„Sei froh, dass ich geistesgegenwärtig ihre Aggressionen auf etwas Harmloses lenken konnte“, erwiderte sie ruhig. „Oder sie hätten sich beide gegenseitig zerfleischt.“
 

„Harmlos? Du nennst das harmlos?“ Scotts Augenbrauen schoben sich nach unten und er streifte ihre Hand mit einem Zucken seiner Schulter ab. „Schon vergessen was Jackson ist? Das hier ist verdammt gefährlich und Luke ein viel zu stolzer Mensch, um nachzugeben. Hast du eine Ahnung, was hier passieren kann? Er kann dabei sterben!“
 

„Wird er nicht. Vertrau ihm einfach.“ Lydia griff Scott am Handgelenk und zog ihn vom Mercedes weg, welcher nun vollständig zum Leben erwachte. „Er weiß was er tut. Du solltest dir deine Vorwürfe für nach dem Rennen aufheben.“ Damit drehte sie sich um und stolzierte, ganz in ihrer eleganten und aufsehenerregenden Art, nach vorne, zwischen die beiden Autos. Theatralisch hob sie ihre Hände in die Höhe und zählte dann langsam von fünf herunter. Sowohl der Mercedes, als auch der Porsche, vibrierten dazu im Takt. Bei null angekommen schnellten Lydias Hände nach unten und die Hinterräder der beiden Autos gingen durch. Scott glaubte taub zu werden, bei dem Lärm, den der Wagen seines Freundes erzeugte. Der Gestank von verbranntem Gummi, in Kombination mit weißem Qualm, erzeugte ein zusätzlich unerträgliches Ambiente für einen Werwolf.
 

Das Jubeln und Getose der Menge nahm noch einmal zu, als die beiden Sportautos sich endlich von ihrem Platz entfernen durften. Wie zwei eingepferchte Raubtiere, denen man die Freiheit aus einem bedrückenden Käfig heraus geschenkt hatte, schossen sie nach vorne und auch wenn Scott es nicht hätte hören dürfen, so war er in der Lage, einen ganz bestimmten Herzschlag zu vernehmen. Ein Klang, welcher sogar über die ohrenbetäubende Geräuschkulisse hinweg zu vernehmen war.
 

Zum Herzschlag gesellte sich aufgeregter Atem und eine Mischung aus Trauer und Aufregung. Trauer, denn er hatte jemanden verletzt, jemanden der ihm sehr viel bedeutete und Aufregung, denn gerade wegen dieser Tatsache durfte er nicht verlieren. Da war aber auch noch Angst: Angst diesen Jemanden zu enttäuschen. Dies würde bedeuten den Fehler einzugestehen, den man gemacht hatte. Hinzu kam noch verletzter Stolz.
 

Genau an jenem Punkt tat sich der Alpha schwer nur wütend auf seinen Freund zu sein. Natürlich war es eine riesige Dummheit, sich überhaupt auf dieses Rennen einzulassen und es war absolut unnötig, aber Lukes Angst, ihn zu enttäuschen, sie war für ihn fast greifbar. Er brauchte keinen Spiegel um zu wissen, dass er angedeutet lächelte. Sehr zu Stiles´ Missfallen, der ihm einen dezent verärgerten Blick zuwarf.
 

Mit seinen übermenschlichen Sinnen war Scott in der Lage, das Schauspiel des Rennens von der Ferne gut beobachten zu können. Der Mercedes hatte nach kurzer Zeit die Nase vorne und war bereits um den alten ausrangierten Zug vorbei, der auf einem vereinsamten Stück Gleis Posten bezogen hatte, als ihm Jackson folgte. Dessen Augen glühten durch die Scheiben des Porsches hindurch blau auf. Innerlich betete der Alpha, dass er einfach zu weit weg war, als dass die Zuschauermenge diesen Umstand wahrnehmen konnte.
 

Beide Wagen hielten nun mit rasanter Geschwindigkeit auf die Menge zu, der schwarze Sportwagen dem silbernen noch immer weit überlegen. Euphorie breitete sich in Scott aus, die eindeutig nicht seinen Gefühlen entsprang. Lydia stand noch immer an der Ausgangsposition des Starts und rührte sich auch nicht vom Fleck, als die Kontrahenten in Reichweite kamen. Ein kurzer prüfender Blick in Richtung Jackson offenbarte ihm wieder gewöhnliche menschliche Augen, während sich dessen Hände um das Lenkrad krallten. Die Zuschauer machten inzwischen den Rückkehrern Platz und sobald Luke Lydia passiert hatte, stieg er wohl auf die Bremse, denn der Mercedes kam kurz darauf zum Stillstand. Jackson folgte in einem Abstand von mehreren Sekunden und machte ein säuerliches Gesicht.
 

Bevor irgendjemand auch nur Lukes Wagen zu nahe kommen konnte, quietschten die Reifen und gingen durch, wobei er einen halben Donut vollführte und die Beifahrerseite dann passgenau neben Scott anhielt. Mit einem Ruck sprang die Tür auf und er ergriff sie ohne zu zögern, um einzusteigen. Die Geräuschkulisse von draußen wurde gedämpft, sobald er eingestiegen war und wurde ein letztes Mal noch vom Aufheulen des Motors übertönt, ehe sie sich, bevor der Werwolf weiter reagieren konnte, auch schon mit halsbrecherischer Geschwindigkeit davonmachten. Luke starrte stur nach vorne, sich gelegentlich mit der Schulter über die Wange streichend. Einen Seitenblick zu ihm schien er nicht einmal in Betracht zu ziehen.
 

„Du bist sauer“, stellte er ohne Umschweife leise fest.
 

„Ich werde wirklich sauer, wenn du noch länger in diesem Tempo fährst“, korrigierte ihn Scott. „Das ist gefährlich, nicht nur für uns, sondern auch für die anderen Straßenteilnehmer.“
 

„Ich fahre besser als neunundneunzig Prozent der Leute in dieser Stadt“, gab der Brite zurück. „Und kenne meine Grenzen besser als die meisten anderen.“
 

„So wie beim Orientierungslauf, hm?“
 

Diese simple und doch durchaus scharf formulierte Frage ließ Luke tatsächlich das Tempo reduzieren. Auf seiner Stirn bildete sich eine Furche und seine Fingerknöchel traten weiß hervor, was seiner Haut an besagter Partie einen extrem blassen und ungesunden Eindruck verlieh. Es bedurfte keiner Werwolfssinne, um zu erkennen, dass sich sein Gegenüber sehr wohl schuldig fühlte, doch so konnte Scott die Verzweiflung auch noch riechen, die mit diesem Gefühl einherging. Die Angst, ihn verloren, ihn enttäuscht zu haben.
 

„Wie kann ich es wiedergutmachen?“
 

Mit dieser Frage hatte der Alpha nicht gerechnet. Er war von einem Versuch der Erklärung ausgegangen, einer Rechtfertigung, dem systematischen Niedermachen von Jackson, kombiniert mit einer Schuldzuweisung an diesen, aber nicht mit einem quasi Schuldeingeständnis. Und genau deswegen war es ihm auch nicht möglich eine schlüssige Antwort zu geben: Er wusste es nämlich selbst nicht.
 

„Du willst nicht mehr mit mir zusammen sein, oder?“ Lukes Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und der Wehmut in seinen Worten tat sein Übriges um Scott leise seufzen zu lassen. Anstatt ihm eine Standpauke zu halten, entschloss er sich dazu, seine Hand auf die von Luke zu legen und dann den Kopf zu schütteln.
 

„Doch, will ich noch, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich darauf erwidern soll. Du warst hitzig, unüberlegt und hast nicht nur Jackson, sondern vor allem dich in Gefahr gebracht. Was, wenn du dich dabei verletzt hättest oder sogar gestorben wärst? Hast du daran mal gedacht, hm? Was das für deine Familie bedeutet hätte, deine Freunde, mich?“ Er bemühte sich nicht vorwurfsvoll zu klingen, doch gelang ihm das mehr schlecht als recht.
 

Lukes Finger zuckten unter der Berührung durch seinen Freund, aber der Blick war noch immer starr auf die Straße gerichtet. Er öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder und verzog das Gesicht. Seine Schultern hingen nach unten und er schüttelte sich, so als ob er frösteln würde. Nach einer Weile des Schweigens hielten sie an und Scott konnte sein Haus erkennen, vor dem sie parkten.
 

„Macht es dir etwas aus, wenn ich allein sein möchte, Scott?“ Luke schob die Lippen nach innen und kratzte sich mit dem Daumen am rechten Nasenflügel. „Egal was ich jetzt sage oder mache, es wird die Situation nur noch verschlimmern.“
 

„Ich…“ Auch damit hatte Scott nicht gerechnet. Wollte er ihn alleine lassen? Sollte er? Konnte er? Warum fühlte er sich auf einmal schuldig, so als hätte er etwas falsch gemacht? Das war nicht richtig. Konnte nicht richtig sein.
 

Die Beifahrertür schwang auf und der Brite sah auf der Fahrerseite aus dem Fenster. „Ich habe noch etwas zu erledigen, entschuldige mich.“
 

„Warum bist du jetzt sauer auf mich?“ Scott richtete seine Augen auf Luke und überlegte kurz, ob er ihn mit sanfter Gewalt dazu zwingen sollte, ihn anzusehen. Er wich ihm aus und doch fühlte sich der Werwolf irgendwo schuldig, weil er zu wenig Verständnis für diese Situation aufbringen konnte.
 

„Ich bin nicht sauer, aber ich ertrage es nicht, wenn du in meiner Gegenwart niedergeschlagen bist, zumindest wegen mir“, gab Luke zurück. „Du hast nichts falsch gemacht – der Fehler liegt auf meiner Seite und ich werde mich nach Kräften bemühen, ihn wiedergutzumachen. Nur bis dahin ist es notwendig, dass ich mir überlege wie und das kann ich nicht in deiner Gegenwart.“ Seine Lippen presste er zu einem blutleeren Strich zusammen, ehe er anfügte: „Grüß deine Mutter schön von mir.“
 

Irgendwie war Scott klar, dass er nun überhaupt nicht zu seinem Freund durchdringen konnte und so entschied er sich, dessen Wunsch Folge zu leisten. „Du weißt aber, dass wir dieses Problem so nicht lösen können, oder?“, erkundigte er sich sanft und stieg aus.
 

„Wir?“ Luke schüttelte den Kopf und sah ihm nun tatsächlich in die Augen, wobei er die Lider rasch niederschlug. „Ich muss dieses Problem lösen, nicht du.“ Damit schwang die Tür zu und der Wagen setzte sich in Bewegung und ließ Scott alleine zurück, der nun vollkommen überfordert war: überfordert mit der Situation, überfordert mit seiner Gefühlswelt und vor allem überfordert mit sich selbst. Er hatte nichts falsch gemacht und fühlte sich doch hundeelend.

Lukes Form der Entschuldigung

Derek war stinksauer. Das hatte Scott am Telefon mitbekommen. Stiles´ Erzählungen nach war der Alpha komplett ausgetickt. Ohne eine Intervention seitens seines Gefährtens hätte er Jackson wohl windelweich geprügelt. Normalerweise wäre Scott selbst aufgetaucht und hätte sich als Streitschlichter angeboten, doch dazu fehlte ihm der nötige Antrieb. Er war dazu übergegangen sich in sein Zimmer einzuschließen und mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt nachzudenken. Warum fühlte eigentlich er sich schlecht? Luke hatte einen Fehler gemacht und nicht er.
 

Diesen trüben Gedanken hing er schon den ganzen Nachmittag, seit dem Heimkommen, nach. Er begriff es einfach nicht: Sein Freund hatte sogar selbst zugegeben, sich daneben benommen zu haben und doch war er es, der fast auf dem Zahnfleisch kroch. Das letzte Mal hatte er sich so gefühlt als… als sich Allison von ihm getrennt hatte. Sie hatte natürlich die richtige Entscheidung getroffen, nicht nur wegen ihrer Familie, sondern auch ob Isaac, nur machte es das nicht wirklich besser.
 

Sollte er Allison anrufen? Sie waren immerhin noch immer gute Freunde und sie kannte sich mit Liebeskummer aus. Oder Lydia? Sie schien einen Zugang zu seinem Freund zu besitzen. Stiles vielleicht? Sogar Derek kam Scott kurz in den Sinn. Er war älter und erfahrener. Isaac?
 

Die Entscheidung wurde ihm durch ein Vibrieren seines Handys abgenommen. Verwundert zog er es aus der Hosentasche und staunte nicht schlecht, als der Name der Beacon Hills Werkstatt auf seinem Display aufleuchtete. Es war 22:30 und seit dem Tod des letzten Mechanikers arbeitete niemand mehr gerne nachts. Jackson hatte ganze Arbeit geleistet, was das anging.
 

„Ja?“, meldete sich Scott zu Wort.
 

„Ich, ähm… ich bin richtig bei Scott McCall, oder?“, fragte eine männliche Stimme zögerlich.
 

„Ja, sind Sie.“
 

„Hier ist Billy, ich… mh, also – Ihr Bike wäre fertig.“
 

Scott blinzelte mehrmals perplex. „Es ist halb elf Uhr abends. Mal abgesehen davon, sind Sie nicht der Auszubildende?“
 

„Bin ich“, bestätigte ihm Billy. „Wir haben uns sogar einmal kurz gesehen, wenn Sie sich erinnern.“
 

Schweigen. Dieser Billy klang ein wenig verschüchtert. Der Werwolf rechnete mit dem Schlimmsten, doch Jackson war kein Kanima mehr und würde sich wahrscheinlich auch einen Dreck um sein reparaturbedürftiges Bike scheren.

„Die Reparatur sollte doch noch eine Weile dauern?“, durchbrach er die Stille. Das hatte man ihm auch so kommuniziert, sehr zu seinem Leidwesen, bedeutete es doch, auf eine Fahrgemeinschaft angewiesen zu sein.
 

„Ja, also… der Auftrag wurde in der Prioritätsliste nach oben gereiht. Mehr kann ich nicht sagen.“
 

Das klang schon wieder so mysteriös, dass Scott die Augen verdrehte. Warum konnte in dieser verdammten Stadt nicht ein einziges Mal etwas seinen gewohnten Gang gehen? Beacon Hills hatte einfach, auch ohne übernatürliche Wesen, einen Hang dazu, Probleme zu schaffen wo keine waren und sie auch zeitgleich zu lösen.

Er würde gut eine halbe Stunde brauchen, um zu Fuß zur Werkstatt zu gelangen. Stiles zu fragen kam nicht in Frage, denn er war zweifelsohne mit Derek beschäftigt und den Rest seiner Freunde wollte er deswegen auch nicht wirklich belästigen, zumal so ein Spaziergang sicher seinen Kopf freibekommen würde.
 

„Ist gut, ich tauche in einer halben Stunde auf.“
 

Der Fußweg von einer halben Stunde war gut geschätzt. Draußen war es kalt und nur die schwache Beleuchtung der Straßenlaternen vermochte die Dunkelheit ein wenig zu vertreiben. Nicht, dass Scott es nötig gehabt hätte, auf eine externe Lichtquelle angewiesen zu sein; seine Werwolfsaugen konnten sich auch im Dunkeln zurechtfinden. Das war es auch nicht, was ihn beschäftigte. Es lag vielmehr an den Umständen, die sich in den letzten Stunden aufgetan hatten. Nachdenklich kickte er ein paar Kieselsteine beiseite. Er fühlte sich noch immer nicht besser, im Gegenteil.
 

Kurz war ihm der Gedanke gekommen Luke zu bitten, ihn zur Werkstatt zu fahren, doch hatte er auch diese Idee sogleich wieder verworfen. Sein Freund hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass er lieber alleine sein wollte und diesem Wunsch wiederum wollte Scott selbst entsprechen. Das Rennen war bescheuert gewesen, doch irgendwo hatte er es ja für sie beide getan. Eigentlich hätte der Werwolf stocksauer sein müssen, doch das war er nicht. Es tat ihm irgendwo leid, Luke alleine zu lassen. Zu streiten war Scott sowieso verhasst. Das hatte er bei Allison nicht wirklich vertragen und schien auch bei ihrem Cousin ähnliche Schwierigkeiten zu haben.
 

Dieser Ausdruck in Lukes Gesicht, dieses Schuldbewusstsein… etwas in ihm war dabei kurzzeitig zerbrochen. Vielleicht war es dem Briten ja peinlich gewesen, dass Jackson ihre Beziehung öffentlich gemacht hatte? Lag es eventuell daran? Weil Luke einfach zur „Oberschicht“ gehörte? Gutaussehend, reich, sportlich – da gehörte es sich wohl nicht, wenn man mit einem Durchschnittschüler ausging. Hatte Luke ihm nicht erst vor Kurzem gesagt, dass er gar nicht wollte, dass sein Vater und er miteinander in Berührung kamen?
 

Leise seufzend hielt er inne, die Hände in die Hosentaschen geschoben, als er vor der Werkstatt angekommen war. In neonfarbenen Lettern stand der Name des Besitzers über dem Eingang. Von drinnen drangen die Geräusche eines Kugelschreibers, der viel zu fest über ein Stück Papier kratzte. Sämtliche Alarmglocken schrillten bei dem gesteigerten Herzschlag, den der Werwolf vernahm. Da war jemand nervös. Scott spitzte die Ohren ein wenig mehr, konnte aber sonst nichts hören und auch kein weiteres Lebewesen im Inneren wahrnehmen.
 

Vorsichtig drückte er die Tür auf und ein lautes Klingeln verriet seine Ankunft. Innerlich fluchte er und konnte Schritte vernehmen, die sich über die knarrenden Holzdielen auf ihn zubewegten. Er war schon gefasst darauf angegriffen zu werden, als ein strohblonder Junge, ungefähr in seinem Alter, den Kopf durch den Rahmen der zweiten, weitgeöffneten Tür, links von ihm, steckte. Das musste Billy sein. Er erinnerte sich noch flüchtig an ihn.
 

„Du bist Scott, oder?“
 

„Bin ich“, nickte er und lächelte aufmunternd. Das war eindeutig der Junge vom Telefon.
 

„Gut, dann…“ Billy bedeutete ihm in die Werkstatt zu folgen. Er war sichtlich nervös und angespannt. Verwunderlich war dieser Umstand nicht, wenn man bedachte, was dem letzten Mechaniker passiert war, der um diese Uhrzeit gearbeitet hatte.
 

Scotts Augen wurden größer beim Anblick seines Bikes. Es sah ganz anders aus als erwartet. Das Grün der Kotflügel wirkte satter und kräftiger, während das Weiß der restlichen Teile deutlich heller zu sein schien, fast schon glänzte. Sogar die Radspeichen hatte man auf Hochglanz poliert. Hinzu kamen noch neue Reifen, ein neuer Lenker und ein neuer Auspuff. Eigentlich schien alles an seinem Bike neu zu sein, bis auf die Tatsache, dass man die äußeren Teile wohl gleichgelassen hatte. Ein neuer schwarzer Motorcrosshelm, mit einem anständigen Visier und einem spitzen Mundschutz, hing über dem linken Lenker. Gleiches galt für ein nigelnagelneues Paar Handschuhe, ebenfalls in der gleichen Farbe.
 

„Ähm, Billy, bist du dir sicher, dass du nicht etwas verwechselt hast? Ich meine, das da ist zwar mein Bike, aber…“ Scott schüttelte ungläubig den Kopf. Er hatte nur ein paar Kleinigkeiten machen lassen wollen, nicht eine Generalsanierung mit neuem Equipment.
 

„Bin ich. Der Typ, der am Nachmittag in die Werkstatt gekommen ist, war da eindeutig. Meinem Chef sind die Dollarzeichen förmlich aus den Augen gesprungen, als er mich fragte, ob ich eine Nachtschicht einlegen würde.“ Billy rieb sich verlegen den Oberarm. „Bei 150 Dollar war das natürlich klar.“
 

Der Werwolf verschmälerte die Augen und starrte Billy eindringlich an. „Ein Typ? Wie meinst du das? 150 Dollar? Das ist ja fast die Hälfte von den Reparaturkosten.“
 

„Ja, so heute, gegen fünf, ist ein Junge aufgetaucht, ungefähr in deinem Alter. So einen Wagen wie den habe ich noch nie gesehen, der muss sündhaft teuer gewesen sein. Alleine schon die Karosserie hat wahrscheinlich mehr gekostet als unser gesamtes Inventar und der Lagerbestand an Ersatzteilen. Jedenfalls ist er schnurstracks zum Chef und hat ihm wohl ein hübsches Sümmchen in Aussicht gestellt dafür, dass wir die Reparatur deines Bikes vorrangig bearbeiten. Der Chef ist sogar extra nach Sacramento gefahren, um die Ersatzteile noch heute in die Finger zu bekommen. Der Junge muss ihn verdammt gut bezahlt haben, wenn du mich fragst.“ Billy lächelte schüchtern. „Ich hoffe, du bist zufrieden?“
 

Scott war einerseits überglücklich sein Bike wiederzuhaben, aber andererseits auch fassungslos und entsetzt, da es nur einen Jungen in Beacon Hills in ihrem Alter geben konnte, der vermögend genug war, und auch verrückt genug, als dass er wahrscheinlich ein paar Riesen springen ließ, um ein Dirtbike, welches seine besten Jahre schon hinter sich hatte, in einen Topzustand zu versetzen.
 

„Was war es denn für eine Automarke? Kannst du den Jungen beschreiben?“ Scott wollte dennoch sicher gehen.
 

„Mh, ein Mercedes. Keine Ahnung wie der Typ an den Wagen gekommen ist. Das Kennzeichen war aber komisch, keine kalifornische Nummer, wahrscheinlich nicht mal eine aus den Staaten. Ja und der Junge… mh, lass mich mal überlegen. Er war etwas kleiner als du, dunkelblond und er hatte eine Zahnspange. Ja, genau, daran erinnere ich mich, weil er mir einen giftigen Blick zugeworfen hat, als ich eine Sekunde zu lange in sein Gesicht gestarrt habe. Da hat sie aufgeblitzt, ganz eindeutig.“
 

Scott massierte sich die Schläfen. Das war wohl Lukes Form einer Entschuldigung. Er fischte gleich sein Handy heraus, um seinen Freund anzurufen, doch dieser nahm natürlich nicht ab. Alles andere wäre auch zu einfach gewesen. Seufzend ließ er das Smartphone wieder in seine Jackentasche gleiten und bemerkte dabei Billy, der ein ziemlich niedergeschlagenes Gesicht machte.

„Das hat mit dir nichts zu tun. Ich bin nur ein wenig… überrumpelt.“
 

„Weil dir der Junge das Bike reparieren hat lassen?“
 

„Das ist eindeutig übertrieben und auch völlig unnötig“, sagte der Werwolf, mehr zu sich selbst als an Billy gewandt. „Deine Arbeit ist aber nicht zu bekritteln. Ich bin mehr als zufrieden.“ Dabei lächelte er ihn an. „Ich komme dieser Tage vorbei, um dich zu bezahlen, okay?“
 

„Aber wir sind doch schon bezahlt worden?“ Billy legte den Kopf leicht schief und schob die Hände in die Hosentaschen.
 

„Ja, aber ich komme für meine Sachen selbst auf und zumindest du solltest den versprochenen Lohn bekommen, okay?“
 

„Na, von mir aus.“ Der Auszubildende zuckte mit den Schultern. „Ich wünsche jedenfalls eine gute Heimfahrt – das Teil hat jetzt deutlich mehr Leistung. Du wirst in Windeseile zuhause sein.“ Ein Grinsen stahl sich auf Billys Züge.
 

Scott stimmte in das Grinsen ein und bestieg sein Bike. Er schob einmal sämtliche Gedanken an etwaige Kosten und auch an Luke beiseite, zumindest für die anstehende Heimfahrt. Trotz allem war er eben doch nur ein Teenager, der sich für schnelle Fahrzeuge, seien es jene mit vier oder mit zwei Rädern, begeistern konnte. Diesen Rückweg würde er genießen und sich dann wieder dem Grübeln hingeben, aber nicht vorher.

Ein schlafender Alpha ist ein guter Alpha

Ein kleines Stiles-Kapitel. Viel Spaß beim Lesen :).

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Derek schlich wie ein wildgewordener Wolf in seinem Loft umher. Stiles hatte ihn selten so wütend erlebt. Gelegentlich blitzten sogar die Reißzähne auf, was gefährlich an einen Kontrollverlust grenzte. Nur unter Aufbietung all seiner Überredungskünste war Stiles in der Lage gewesen, seinen Gefährten davon abzuhalten, eine Dummheit zu begehen. Dereks Impulsivität und sein großes Verantwortungsgefühl gegenüber dem Rudel standen ihm bei rationalen Entscheidungen oft im Weg.
 

„Komm, setz dich zu mir“, wagte Stiles einen weiteren zaghaften Versuch den Werwolf von seinem unruhigen Herumwandern abzulenken. „Das Essen wird sonst kalt.“ Er hatte heute für sie beide ein Entrecôte Béarner Art mit Schlosskartoffeln gezaubert, welches bisher herausragend verschmäht worden war.
 

„Ich habe keinen Hunger“, knurrte Derek, trat ans Fenster und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
 

„Du musst aber etwas essen, Schatz. Es bringt dir außerdem nichts, wenn du die ganze Zeit wie von der Tarantel gestochen durch die Wohnung rennst und dabei deine körperlichen Bedürfnisse vernachlässigst. Damit ist niemandem geholfen. Der Alpha muss fit sein…“
 

„Das weiß ich selbst“, gab eben jener Alpha leicht ungehalten auf die mahnenden Worte seines Gefährtens zurück. Kurz herrschte betretenes Schweigen, ehe er die Stimme erhob: „Ich hätte diesen Luke gleich ausschalten sollen. Das hätte uns viel Ärger erspart.“
 

„Du hättest auch Jackson gleich umlegen können“, warf Stiles ein und erntete dafür einen wütenden Blick. „Was? Er ist kaum zu kontrollieren und rennt von einer Dummheit in die nächste. Mal abgesehen davon, dass er als Kanima versucht hat, uns alle umzubringen. Spiele jetzt nicht den Moralapostel, Derek. Ich an deiner Stelle würde jetzt essen, denn sonst werde ich sauer.“
 

Tatsächlich bewegte sich der Werwolf zum Esstisch hin und begann schweigend sein Mahl zu vertilgen. Gelegentlich glitt sein Blick zum Fenster hin, streifte dabei Stiles, bevor er sich wieder dem Essen zuwandte. Dass es ihm schmeckte, war ihm auch anzusehen, dennoch wechselten sie kein Wort miteinander.
 

Für eine Gruppe Teenager mit übernatürlichen Kräften verantwortlich zu sein lastete schwer auf Dereks Schultern. Das war seinem Gefährten auch bewusst. Stiles bemühte sich nach Leibeskräften ihn zu unterstützen, doch dem hale´schen Dickschädel war manchmal einfach nicht beizukommen. Wahrscheinlich hätte er Jackson ohne menschliche Intervention und eine Stimme der Vernunft, windelweich geprügelt. Er hatte sich gegen die Anweisungen seines Alphas gestellt und dieser Bruch stellte quasi die Höchststrafe für das Vertrauen untereinander im Rudel dar.
 

„Du bist sauer auf mich, oder?“, durchbrach Stiles das unbehagliche Schweigen und verfolgte dabei ein ganz bestimmtes Ziel. Es gab durchaus eine Möglichkeit Derek aus der Reserve zu locken. „Weil ich nichts unternommen habe.“
 

„Wie kommst du denn darauf?“ Der berühmt-berüchtigte Hale-Blick, bei dem die Brauen beinahe Bekanntschaft mit den Augen machten, verflog schlagartig. „Was hättest du denn machen sollen? Mehr als mich anzurufen war wohl kaum möglich.“
 

„Trotzdem. Ich halte dich ja auch davon ab, etwas gegen Luke zu unternehmen.“ Stiles senkte seinen Blick leicht und starrte auf die Tischplatte aus poliertem Mahagoniholz. „Du bist sauer und deswegen sprichst du nicht mit mir.“
 

Ein sanfter Druck an seinem Handgelenk ließ ihn aufsehen. Dereks grüne Augen spiegelten nun keinen unterdrückten Zorn oder Unzufriedenheit wider, sondern Besorgnis, Schuld und Zuneigung. Bevor er reagieren konnte, wurde er auch schon von seinem Gefährten geküsst und das sehr sanft. Dabei wurde er, scheinbar mühelos, in die Höhe gehoben, und zur Couch getragen, auf der sie es sich gemütlich machten.
 

Stiles lag nun an Dereks Brust geschmiegt da, seine bleichen Finger unter den grauen Henley geschoben, um die nackte Haut am Bauch darunter zu streicheln. Sein Gefährte hatte die Augen geschlossen und einen Arm um ihn gelegt. Zum Glück waren sie mit dem Essen bereits fertig, denn Nahrungsmittelverschwendung vertrug der Hobbykoch überhaupt nicht, aber das hätte er wahrscheinlich heute sogar hingenommen. Es musste seinem Sourwolf wirklich alles sehr an die Nieren gehen, wenn er freiwillig Kuschelbedarf zeigte.
 

„Du hast nichts falsch gemacht“, flüsterte Stiles ihm zu. „Gut, schon ein bisschen, aber das mit euren aufgestauten Aggressionen ist ein Werwolfding und ich bin sowieso der Meinung, dass ihr alle ein paar 1.000 Stunden Therapie braucht.“
 

„Doch, ich hätte diesem Luke gleich auf den Zahn fühlen sollen“, entgegnete Derek ohne die Augen zu öffnen. „Er hat Jackson bewusst provoziert oder siehst du das nicht auch so?“
 

Stiles kaute auf seiner Unterlippe herum. Ihm war dieser Gedanke auch bereits gekommen. Das Ganze hatte zu routiniert gewirkt, fast schon geplant. Natürlich konnte es sich dabei auch nur um simples Balzverhalten handeln und dem psychologisch-analytischen Profil, das er für Luke erstellt hatte, hätte es auch durchaus entsprochen, die Beherrschung wegen einer solchen Kleinigkeit zu verlieren, doch da waren noch immer Zweifel. Bis zu einem gewissen Punkt war Grandpa Argents neuer Lieblingsenkel sicher auf einen Streit mit Jackson aus gewesen, aber ab dem Moment, als Scotts Name gefallen war, hatte sich die Situation hochgeschaukelt.
 

„Ich bin mir nicht ganz sicher“, gab er nach einer Weile zu. „Zum Teil schon, aber dann auch nicht. Außerdem hatte Lydia ihn erstaunlich gut im Griff.“ Was wahrscheinlich daran lag, dass Jackson und Luke sich nicht sonderlich viel nahmen, was ihr Verhalten anging.
 

„Dann soll Lydia ihn in Zukunft auf Kurs bringen, wenn Scott es schon nicht schafft“, schnaubte Derek ungehalten. „Ich werde das nämlich nicht lange dulden. Vermeintlicher Seelengefährte hin oder her, es geht um mein Rudel und auch Jackson ist ein Teil davon. Ich habe eine Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft und auch gegenüber mir selbst, denn ich bin der Alpha.“
 

„Scott ist einfach verliebt und das über beide Ohren. Das kennst du doch auch? Ich werde Scott morgen ins Gebet nehmen, und ihm dann einbläuen, dass so etwas nicht noch einmal passieren darf. Wenn Lydia schon einen so guten Zugang zu Luke zu haben scheint, dann dürfte Scott ihn mühelos bändigen können.“ Irgendwie verteidigte er Scott gerade und machte ihm zeitgleich einen Vorwurf. Das klang selbst in Stiles´ Ohren falsch.
 

„Es interessiert mich überhaupt nicht, wie ihr es anstellt, aber ein zweites Mal kommt er nicht ohne Konsequenzen davon. Es ist schon schlimm genug, dauernd auf der Hut sein zu müssen, weil Gerard wieder in der Stadt ist und er obendrein irgendein neues Monster, noch schlimmer als den Kanima, unter Kontrolle hat. Boyd und Erica erholen sich erschreckend langsam. Wir haben Glück, wenn wir sie am Mittwoch wirklich einmal befragen können und ich meine damit nicht die körperlichen Wunden, die dieses Ding ihnen zugefügt hat.“
 

Auch dieser Umstand nagte an Derek, das wusste Stiles. Boyd und Erica waren traumatisiert und das in einem bedenklichen Ausmaß. Erica bekam noch immer Heulkrämpfe, sobald man sie auf das Thema ansprach und Boyd verhielt sich noch schweigsamer als sonst. Ihre Psyche war völlig aus der Bahn geworfen worden. Die Situation war im Gesamten einfach unerträglich, zumal spürbar so etwas wie Anspannung in der Luft lag, wenn sie sich alle trafen. Ethan und Aiden waren nicht die besten Berater, da sie eine ähnlich rasche und direkte Lösung wie Derek bevorzugten. Jackson konnte man sowieso außenvorlassen; seine Art war kaum hilfreich. Da blieb gerade nur Stiles und er musste ein ganzes Rudel davon überzeugen, seinen besten Freund nicht unglücklich zu machen. Zumal ein direktes Eingreifen ihrerseits zwangsläufig zu einem neuerlichen Krieg mit den Argents führen würde. Sie wussten ja nicht einmal, ob Gerard noch andere Jäger in der Rückhand hatte, wobei es kaum notwendig schien, sich dieser zu bedienen.
 

Sobald Boyd und Erica wieder einigermaßen auf den Beinen waren, hoffte er, dahingehend einen Schritt weiterzukommen. Mit diesen vagen Beschreibungen waren Recherchen nahezu sinnlos. Natürlich hatte er es schon versucht und auch etwas gefunden, doch das erschien einfach zu abwegig. Außerdem wollte er sich noch mit Deaton kurzschließen, um eine etwaige Alternative zu finden. Der ganze Trubel hatte ihn auch um das Projekt „Seelengefährte“ gebracht. Heute war es ihm nicht mehr möglich gewesen, sich mit Lukes Geburtsnamen zu befassen. Das würde er morgen machen, sofern Derek ihm dabei noch helfen wollte.
 

Eben jener Derek war nun eingedöst. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig und er glich einem Engel, wie er so dalag. Einem bärtigen und verdammt durchtrainierten Engel, aber so friedlich und ruhig hatte er ihn schon lange nicht mehr gesehen. Fast war Stiles schon ein wenig enttäuscht, da er gehofft hatte, auch das letzte Register im Beruhigungsmechanismus des Derek Hale ziehen zu können, doch ihn jetzt noch zu wecken, würde einem Frevel gleichen. Stattdessen machte er es sich auf seinem Gefährten gemütlich und schlief dann ebenfalls ein. Morgen würde die Welt schon wieder ganz anders aussehen, das wusste er. Zumindest jetzt musste er auf niemanden aufpassen, denn Derek war ein guter Schläfer: Er konnte so nichts anstellen.



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