The Tiger and the Wolf von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 5: Surreal nach Hause ----------------------------- Der ausgearbeitete Schlachtplan, dem die letzte Doppelstunde Geschichte zum Opfer gefallen war, war gar keiner. Scott und Stiles hatten diskutiert, abgewogen, Möglichkeiten in Erwägung gezogen und waren zu dem Ergebnis gekommen, dass sie zu keinem Ergebnis gekommen waren. Weder Stiles noch er konnten sich zu einer Entscheidung durchringen und Scotts bester Freund vertrat sowieso die Meinung, sich zuerst mit Derek kurzzuschließen. Sie waren sich aber beide einig, alsbald Informationen über Luke einholen zu wollen. Stiles auf seine eigene Art und Scott über Allison beziehungsweise Chris. „Ich befürchte, dieses Problem wird sich sowieso spätestens dann auflösen, wenn Jackson komplett die Beherrschung verliert und irgendetwas Unüberlegtes anstellt“, mutmaßte Stiles. „Dann haben wir alle Hände voll zu tun, auf ihn aufzupassen.“ „Ich hoffe, dass es nicht so weit kommt. Das gilt auch für Derek.“ Scott schenkte seinem besten Freund einen Blick, der unmissverständlich ihm die Verantwortung in dieser Angelegenheit zuschob. „Ah ja, das ist natürlich wieder mein Part, den großen, bösen Werwolf auf Kurs zu halten. Warum machst du das eigentlich nie? Ich meine, du bist doch der Super-Alpha? Ich nur ein ganz normaler Teenager mit eigenen Problemen, die die Pubertät so mit sich bringt.“ Stiles konnte während seines gespielten Jammerns ein Grinsen nicht gänzlich unterdrücken. „Weil du sein Seelengefährte bist und du so etwas wie die zweite Stimme der Vernunft“, antwortete Scott und stimmte in das Grinsen mit ein. „Ich frage mich, ob Werwolfbändiger irgendwann ein anerkannter Beruf wird und ob man damit reich werden kann.“ Stiles grinste noch ein wenig breiter. „So als zweites Standbein, wenn wir einmal studieren?“ Scott stöhnte leise bei der Erwähnung ihrer Zeit nach der High School. „Erinnere mich bloß nicht daran. Meine Noten sind sowieso im Keller.“ „Das biegen wir schon wieder hin, Scott. Wofür hast du denn mich?“ Stiles legte seinem besten Freund den Arm um die Schulter. „Wir haben noch genügend Zeit und vielleicht lösen sich die übernatürlichen Phänomene einfach in Luft auf? Träumen ist schließlich erlaubt.“ Scott und Stiles blödelten noch herum, bis sie zum Ausgang der High School gelangten. Derek wartete schon im Camaro auf Stiles, in Lederjacke und mit schwarzer Sonnenbrille. Trotz der grimmigen Miene, die er aufgesetzt hatte, dem Stück Ungeduld, weil Stiles und Scott trödelten, konnte er ein Zucken der Mundwinkel nicht unterdrücken. Obgleich der Zankereien, die sich regelmäßig lieferten, passten sie perfekt zueinander. Ein Team, ein Duo, unschlagbar. Scott gingen diese kleinen Auseinandersetzungen zwar öfter auf die Nerven, doch am Ende des Tages gingen Derek und Stiles nie böse aufeinander ins Bett. „Wenn man vom Teufel spricht“, gluckste Stiles und löste sich von Scott. „Sollen wir dich mitnehmen?“ „Nein, nicht nötig“, schüttelte Scott den Kopf. „Ich muss sowieso ein wenig den Kopf frei bekommen und nachdenken.“ „Sicher?“, fragte Stiles zweifelnd. „Ganz sicher“, bestätigte Scott ihm. „Okay, dann…“ Stiles umarmte seinen besten Freund zum Abschied. „Pass auf dich auf, ja?“ „Mache ich.“ Scott erwiderte die Umarmung und beobachtete Stiles, wie er sich umdrehte, ihm zum Abschied noch einmal fröhlich zuwinkte, dabei fast stolperte und dann in den Camaro zu Derek stieg. Einen liebevollen Begrüßungskuss später waren sie auch schon verschwunden. Scott unterdrückte ein leises Seufzen. Er beneidete Stiles um sein Glück, in positiver Hinsicht natürlich. „Netter Wagen“, stellte Luke fest, der neben Scott aufgetaucht war. Er hatte seinen Rucksack mit nur einem Riemen geschultert und die Hand halb daruntergeschoben. „Ist das sein Freund gewesen?“ „Ja, das ist Stiles´ Seelengefährte“, bestätigte Scott ihm. „Hübscher Kerl“, meinte der Brite und zuckte anerkennend mit den Lippen. „Da hat das Universum es wohl gut mit Stiles gemeint, hm?“ „Kann man so sagen.“ Scott musterte ihn einen Moment, bevor er sich verstohlen umsah. Von seinem Großvater fehlte jede Spur. Einige Schüler strömten an ihnen vorbei, doch Gerard war nirgends zu sehen. Ein Hauch von Misstrauen machte sich in dem jungen Alpha breit. „Bist du nicht mit ihnen heute Morgen zur High School gekommen?“, wollte Luke wissen. „Bin ich.“ Scott sah zu Luke hinüber, der die Augen erstaunt zusammenkniff. „Holt dich jemand anderer ab?“, erkundigte er sich und nestelte dabei ein wenig an seinem Rucksackriemen herum. „Nein. Meine Mutter muss arbeiten und mein Bike ist in der Reparatur.“ „Soll ich dich mitnehmen?“ Luke zupfte ein wenig am Kragen seiner College-Jacke herum und zog die Ärmel nach unten, bis sie seine Handrücken bedeckten. Er schob den Riemen seines Rucksacks ein wenig weiter über seine Schulter und bog die Finger nach innen, sodass sie auf dem Ärmelsaum seiner Jacke lagen. Scott konnte hören, wie sich sein Herzschlag ein wenig beschleunigte. Sein Gesprächspartner wurde nervös. Das konnte mehrere Gründe haben, wobei die Möglichkeit, dass es etwas mit Gerard zu tun haben könnte, die am wenigsten behagliche war. „Ich dachte, dein Grandpa würde mit dir nach Hause fahren?“ „Der hat noch irgendeine Konferenz. Ich hole ihn am Abend dann ab. Also willst du?“ Luke griff dabei in die linke Hosentasche seiner schwarzen Jeans und zog den Autoschlüssel hervor, welcher mit mehreren Anhängern, unter anderem einer Miniatur-Plastikausgabe von Ironman und Spiderman, munter vor sich hin klimperte. „Wenn es dir keine Umstände macht?“ „Tut es nicht.“ Dabei stahl sich ein schwaches Lächeln auf Lukes Lippen, ehe er sich in Bewegung setzte. „Du musst mir nur den Weg beschreiben oder zumindest dem Navi deine Adresse füttern, es sei denn, du willst heute sehr spät nach Hause kommen.“ Das verlegene Lachen im Anschluss zeigte Scott weitere Rätsel auf. Irgendetwas war hier im Gange. Wenn das wirklich eine Falle war, wie Stiles heute bereits mehrfach vermutet hatte, lief er gerade sehenden Auges hinein. Das hier bedeutete aber eine Möglichkeit, um ein wenig über Luke herauszufinden. Nach kurzem Zögern beschloss Scott, die Chance zu nutzen: „Es ist nicht weit. Für Derek und Stiles bedeutet es nur immer einen kleinen Umweg und ich will sie nicht länger als nötig aufhalten. Beide haben genug zu tun und ein wenig Laufen ist ein gutes Training.“ „Wer hat das gesagt? Der Sportlehrer?“ Luke kniff zweifelnd die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, bevor sie vor seinem Auto stehenblieben. Scott hatte jetzt das erste Mal die Möglichkeit, sich den Wagen aus der Nähe zu betrachten. Der schwarze Lack glänzte förmlich im Licht der Sonne. Man konnte sein eigenes Spiegelbild problemlos darin erkennen. Gleiches galt für die aufpolierten Felgen und die getönten Scheiben, die auch jetzt jeglichen Einblick in den Innenbereich verwehrten. Über die langgezogene Schnauze spannte sich eine Motorhaube aus Carbon, in die mehrere Lüftungsschlitze eingelassen worden waren. Gleiches galt für die Seitenleisten des Mercedes. Der Heckspoiler schien aus dem gleichen Material wie die Motorhaube zu bestehen. Die Seitenspiegel waren eingeklappt und die verchromten Auspuffrohre starrten Scott gelassen entgegen. Insgesamt wirkte der Wagen wie aus einem Renn-Videospiel. Auch wenn Scott nicht so viel von Autos verstand, so war ihm bewusst, dass dieses Exemplar eindeutig in einer eigenen Liga spielte. Dieser Eindruck bestätigte sich, sobald Luke ihn mittels Knopfdruck entsperrt und ihm die Beifahrertür öffnete. Lautlos schwang die Tür nach oben und ging nicht, wie gewohnt, zur Seite auf. „Am Anfang ist das ein wenig verwirrend“, räumte Luke amüsiert ob Scotts staunendem Gesichtsausdruck ein. „Ich habe mich zu Beginn auch erst daran gewöhnen müssen.“ „Wow“, machte Scott nur, kaum dass er eingestiegen war. Die Innenausstattung war mit nichts zu vergleichen, was er bisher gesehen hatte. Ein weißes Lederinterieur fügte sich farblich perfekt passend zur schwarzen Mittelkonsole und den Armaturen ein. Knapp unter dem Bereich für die Temperaturregulierung prangte ein silbernes „SLR“. Anstelle der normalen Sitze hatte man Rennsitze eingebaut. Auf dem Lenkrad thronte groß der Mercedesstern und ein Blick auf die angegebene Höchstgeschwindigkeit im Tachobereich ließ Scott schwindlig werden. Sogar der Ganghebel und die Lüftungsschlitze waren hochwertig verarbeitet worden. „Beeindruckt?“, erkundigte sich Luke, als er einstieg, den Schlüssel einsteckte und einmal herumdrehte. Sämtliche Knöpfe und Schalter leuchteten auf. „Ein wenig“, gab Scott leise zu und sah sich noch immer staunend um. Er betastete vorsichtig das Leder, fuhr über die Knöpfe zur Temperaturregulierung und machte große Augen, als die Türen sich, wie von Geisterhand, von selbst schlossen. „Ist auch eine Sonderanfertigung.“ Luke legte seinen Rucksack auf die schmale Ablage, die vor dem Rückfenster montiert worden war. „Quasi ein Unikat. Du wirst keinen zweiten Wagen diesseits und jenseits des Äquators finden.“ „Du hast nur zwei Sitze“, stellte Scott fest und entschied sich, seinen Rucksack bei sich, zwischen seinen Beinen, zu behalten. Er war noch immer ganz fasziniert von allem, was sich im Innenraum abspielte. Alles wirkte so surreal, wie aus den Rennspielen, in denen Stiles und er sich oft über Stunden hinweg verloren hatten. „Ja, das ist normal bei Sportwagen, ist ja schließlich kein Kombi.“ Luke drückte auf einen kleinen Knopf am oberen Ende der Mittelkonsole und die Abdeckung fuhr automatisch nach hinten, um das Navigationsgerät preiszugeben. „Und was machst du, wenn du einmal mehrere Leute transportieren musst?“, lautete Scotts neugierige Frage. „Muss ich nie“, entgegnete der Brite. „Also, wo müssen wir hin?“ Scott zögerte einen Moment. Er wollte nichts kaputt machen, was eigentlich ein alberner Gedanke war. Was konnte schon bei einem simplen Navigationssystem schiefgehen? Er besann sich auf die Aufforderung Lukes und gab seine Adresse ein, bevor er sich ebenfalls anschnallte. Luke drehte den Schlüssel ein zweites Mal herum und das Auto erwachte zum Leben. Entgegen Scotts Vermutung war der Motor im Innenbereich kaum zu hören. Er konnte auch, trotz der dunklen Scheiben, alles außerhalb erkennen. Sein Fahrer legte den Gang ein, parkte rückwärts aus und fuhr dann los, wobei ihm eine weibliche Stimme die Richtung vorgab. „Und das ist dein erster Wagen?“, versuchte sich Scott ein wenig an Smalltalk, noch immer beeindruckt vom Innenleben des Autos. „Nein“, meinte Luke, ohne dabei den Blick von der Straße zu nehmen. „Dad hat ihn mir erst geschenkt, als ich eine lange Reihe von intensiven Fahrkursen, Trainings und dergleichen absolviert habe. Wirklich benutzen darf ich ihn erst seit einem halben Jahr.“ „Einem halben Jahr“ echote es in Scotts Kopf und er unterdrückte ein Seufzen. Wahrscheinlich lag der Preis dieses Geschosses höher als das Jahresgehalt seiner Mutter, samt Haus und Grundstück. Vermutlich war Lukes erstes Auto ähnlich luxuriös gewesen und er selbst sparte sich die Raten für sein Bike vom Mund ab, unter Zuhilfenahme seines Jobs in der Tierklinik. „Das mit der Höchstgeschwindigkeit ist doch ein Scherz, oder?“, wollte Scott wissen und deutete auf die rote Tachonadel, welche sich brav im vorgegeben Bereich der Geschwindigkeit bewegte, die auf der Straße erlaubt war. „Mh, ich weiß. Irgendwann musste der Wagen abgeriegelt werden, weil ich sonst keine Zulassung bekommen hätte. Außerdem wird der Luftwiderstand ab einem gewissen Tempo einfach zu stark. Es wäre theoretisch auch möglich, die Drosselung aufzuheben, aber dafür ist mir der Aufwand zu groß“, erklärte der Brite mit einer Spur von Bedauern in der Stimme. „So, war das eigentlich nicht gemeint“, murmelte Scott und beobachtete seinen Sitznachbarn aus den Augenwinkeln dabei, wie dieser nervös am Lenkrad herumtrippelte. Er wirkte angespannt. Kurz konzentrierte sich der Werwolf, warf einen Blick aus dem Fenster und in die Seitenspiegel, die von selbst an ihre Position gefahren waren, doch er konnte nichts Auffälliges erkennen. Keine Gefahr, nichts. Alles wirkte normal. Ein paar Leute benutzten den Bürgersteig, vor und hinter ihnen herrschte ganz gewöhnlicher Verkehr. „Darf ich dich etwas fragen?“, fragte Luke plötzlich. „Klar.“ „Stört es dich eigentlich, dass Stiles mit einem Mann verbunden ist?“ Dabei beschleunigte sich Lukes Herzschlag noch ein wenig mehr. Er hatte die Lippen aufeinandergepresst und schaute starr geradeaus. Scotts Augenbrauen wanderten überrascht nach oben. „Wie kommst du denn darauf? Nein, natürlich nicht!“, wies er diese Vermutung entrüstet von sich. Niemals hatte er etwas gegen Stiles´ und Dereks Beziehung gehabt. Er freute sich für die beiden! „Weil da draußen genügend kranke Gestalten herumlaufen, die so etwas als widernatürlich empfinden und das obwohl man kaum etwas dafürkann. Zumal es falsch ist, jemanden auf sein Geschlecht zu reduzieren. Man liebt seinen Seelengefährten, wie auch andere Personen, nicht ob ihres Geschlechts, sondern ob ihres Charakters, ihres Daseins.“ Luke zuckte bewusst gleichgültig wirkend mit den Schultern. „An meiner alten Schule hatten wir genügend solcher Individuen, die jemanden in der Klasse gemobbt haben, weil sich sein Seelengefährte als ein Junge herausgestellt hat.“ Scott schüttelte nur angewidert den Kopf. Das widersprach seiner kompletten Erziehung. Seine Mutter war weltoffen und diskriminierte niemanden. So war auch er aufgewachsen. Für Melissa wäre es kein Problem, wenn Scott einen Jungen und kein Mädchen zuhause vorstellen würde. Sie hatte sich auch nie über Stiles und Derek ausgelassen, im Gegenteil: Sich ebenso für die beiden gefreut wie Scott. Wie man so denken konnte war ihm ein Rätsel. „Stört es dich denn?“, wollte Scott wissen, während sie die Straße entlangfuhren. Ein weiterer prüfender Blick aus dem Fenster ließ auch keine verdächtigen Aktivitäten in ihrer näheren Umgebung aufkommen. Sogar der Verkehr wirkte normal. Warum also war sein Sitznachbar so angespannt? Scott konnte sich darauf keinen Reim machen. „Nein, warum sollte es?“ Luke rollte ein wenig mit den Schultern. „Mir wäre es egal, wenn mein Seelengefährte ein Junge gewesen wäre. Egal ob Mann oder Frau, er wäre kompatibel zu mir, mein Gegenstück. Wir wären verbunden gewesen. Wieso sollte das falsch sein?“ Er lachte bitter auf. „Wie kann Liebe denn überhaupt falsch sein?“ Scott musterte Luke erneut und konnte dabei Resignation und Trauer erkennen. Nun war er ein wenig in sich zusammengesunken und so etwas wie Enttäuschung machte sich in seinem Gesicht breit. Es hatte mit der Narbe zu tun, die er ihm heute Morgen gezeigt hatte, dessen war sich Scott sicher. Seine Formulierung war außerdem in der Vergangenheit gestellt gewesen. „Du hast gesagt wäre – ich dachte, du könntest deinen Seelengefährten noch finden?“ „Könnte ich auch, wenn Grandpa Recht hat. Nur, wie hoch sind die Chancen, dass ich bei ungefähr acht Milliarden genau den oder die Richtige finde und sie sich auch noch in mich verlieben? Versteh mich nicht falsch, es gibt genügend Menschen da draußen, die auch ohne ihren Seelengefährten glücklich sind. Nur denke ich, dass sie nie so viel Liebe empfinden können, wie jemand, der sein Spiegelbild gefunden hat.“ Luke stieß leise die Luft aus und umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. „Würdest du es nicht einmal in Erwägung ziehen?“ Scott konnte beobachten, wie ein Schatten über Lukes Züge huschte. Er biss sich auf die Unterlippe und rieb sich mehrfach über die Nasenwurzel. „Ich weiß es nicht“, gestand der junge Brite leise. „Ich weiß nur, dass ich alles geben würde, um meinen Seelengefährten zu finden.“ In diesen Worten schwangen so viel Sehnsucht und unerfüllte Hoffnung mit sich, dass sie selbst ihm, als Außenstehenden, weh taten. Scott konnte diese Sehnsucht nachvollziehen. Nachdem das mit Allison und ihm vorbei gewesen war, war er am Boden zerstört gewesen, hatte es sich aber nicht anmerken lassen. Er wollte ihr kein schlechtes Gewissen machen und sie konnte ja nichts dafür. Ihr Mal hatte sich gegen Ende letzten Jahres gezeigt, genauso wie das von Isaac. Seines war bereits mit Fünfzehn auf seinem Oberarm erschienen, aber nachdem er ein Jahr gewartet hatte, und Allison dann zu ihnen in die Klasse gekommen war, da hatte er ihnen Chance gegeben. Allison und er hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Sie waren auch glücklich gewesen, nur nicht füreinander bestimmt. Schon lange fragte sich der Werwolf, ob sein Seelengefährte männlich oder weiblich war. Für ihn machte das keinen Unterschied. Er würde ihn lieben, genauso wie er Allison geliebt hatte. „Freust du dich dann eigentlich für Allison?“, erkundigte sich Scott, einerseits um Luke ein wenig abzulenken und andererseits auch, um seinen eigentlichen Plan, ein paar Informationen zu ergattern, weiterzuverfolgen. „Ich weiß es nicht. Alli und ich haben kaum Kontakt, sind uns eigentlich fremd. Da war zum einen die Distanz und zum anderen, dass Dad mich sehr abgeschirmt hat. Meine einzige wirkliche Bezugsperson ist Grandpa. Er hat es irgendwie durchgesetzt, mich regelmäßig sehen zu dürfen, war an den Geburtstagen der letzten Jahre bei mir in Cambridge und auch bei einigen meiner Spielen und Wettkämpfen.“ Nach dieser kleinen Erklärung hellte sich Lukes Stimmung ein wenig auf und auch sein Herzschlag normalisierte sich. Er wirkte wieder ruhiger und gelassener. In Scott machte sich Bedauern breit. Er kannte Gerard und teilte Stiles´ Ansicht, dass er für niemanden auch nur ansatzweise so etwas wie Zuneigung empfinden konnte. Damals als Allison und er ein Paar gewesen waren, hatte der alte Mann diese Verbindung schamlos ausgenutzt und auch nicht davor zurückgeschreckt, Scott damit zu erpressen. Dementsprechend unwahrscheinlich war es, dass er seinem zweiten Enkelkind gegenüber so etwas wie Nähe und Interesse aus uneigennützigen Gründen entgegenbrachte. Der Alpha fühlte so etwas wie Mitleid für Luke. Vorsichtig und bemüht einfühlsam fragte er: „Und deine Eltern? Hatten die nie Zeit dich zu begleiten?“ „Dad ist zu beschäftigt mit dem Unternehmen. Er arbeitet quasi rund um die Uhr und die wenigen gemeinsamen Stunden, die wir miteinander verbringen, sind von anderen Dingen geprägt, als ernstgemeinte Gespräche über meine Probleme. Vorwiegend darüber, ob ich gute Noten habe und wie ich mir meine Zukunft vorstelle.“ Die zaghaft gute Laune, die gerade eben noch am Aufkeimen gewesen war, hatte einem Ausdruck der Resignation Platz gemacht. „Meist war es Jonathan, der mich begleitet hat.“ Luke wagte nun einen zaghaften Blick zu Scott hinüber und fügte an: „Professionell natürlich. Er würde mich nie kritisieren oder ungefragt seine Meinung äußern. Das fällt nicht in seinen Aufgabenbereich, aber er kennt mich gut. Jonathan weiß, welche Sachen er mir für den nächsten Tag rauslegen soll, was ich zum Frühstück möchte und welches Waschmittel meinen Lieblingsgeruch hat.“ Scott blinzelte mehrmals, bevor er, unbewusst, den Geruch rund um Luke wahrnahm. Da war Deodorant, etwas Schweiß, sein eigener Körpergeruch und… „Zitrone“, stellte Scott unbeabsichtigt laut fest und musste dem Drang widerstehen, sich auf den Mund zu schlagen. Er schalt sich selbst einen Dummkopf. So intensiv war der Geruch nun auch nicht gewesen, dass er ihn auf diese Entfernung hin hätte riechen können. Wahrscheinlich hatte er sich jetzt als Werwolf verraten, doch in Anbetracht dessen, dass Gerard von seiner Existenz wusste, dürfte das weitgehend egal sein. „Ja, Zitrone. Du hast aber eine gute Nase“, stellte Luke fest und roch am Kragen seiner College-Jacke. „Oder Jonathan benutzt zu viel Waschmittel. Eines von beidem.“ Glucksend richtete er den Blick wieder auf die Straße, nicht ohne vorher Scott ein ehrlich wirkendes Lächeln zu schenken. Dieser atmete erleichtert aus. Luke hatte keinerlei Misstrauen gezeigt. Entweder war er ein verdammt guter Schauspieler, was der Werwolf aber anhand seines teilweise unregelmäßigen Herzschlages ausschloss, oder er wusste nichts von Scotts übernatürlichem Dasein. Letzteres war auch schwer zu glauben. Er hatte aber bei der Frage nach seinen Eltern scheinbar bewusst seine Mutter ausgeklammert. Sollte er nachhaken? Würde er ihn damit verärgern? Gerade als Scott sich dazu entschlossen hatte, ein wenig nachzubohren, hielten sie vor seinem Haus, welches mit einem kritischen Blick seitens Luke beäugt wurde. „Ist etwas?“, erkundigte sich Scott ob der zugegebenermaßen seltsamen Reaktion. „Hier wohnst du?“ Luke lehnte sich nach vorne und legte den Kopf ein wenig schief. „In diesem Haus?“ Ein langgezogenes, leicht fragendes Ja war die Antwort des Werwolfs auf die Frage. Scott fand, dass mit ihrem Haus eigentlich alles in Ordnung war. Kein Prunkpalast, aber ein Heim, in dem er sich, gemeinsam mit seiner Mutter, sehr wohlfühlte. Ein einfacher Holzbau mit einer kleinen Veranda und einem regelmäßig getrimmten Rasen. Außerdem war das Sicherheitssystem gegen übernatürliche Wesen unübertroffen. „Wirkt kleinbürgerlich, schlicht, typisch amerikanisch“, konstatierte Luke und fügte hastig an, als er Scotts leicht verstimmten Blick bemerkte „nicht, dass das jetzt schlecht wäre. Es hat seinen ganz eigenen Charme. Rustikal oder so.“ Der Rettungsversuch glückte nur halb, denn Scott machte ein leicht verärgertes Gesicht. Sein Haus war absolut in Ordnung. „Tut mir leid, war nicht so gemeint. Ich…“ Luke kratzte sich verlegen im Nacken. „Ich kann es nicht besser machen, oder, egal was ich sage?“ „Nicht wirklich“, brummte Scott noch immer verstimmt. „Unser Haus ist in Ordnung und ich bin damit völlig zufrieden. Für eine Luxusvilla reicht unser Einkommen eben nicht.“ Den Nachsatz, es könne eben nicht jeder mit einem goldenen Löffel im Mund geboren werden, verkniff er sich. „Zurechtweisung angekommen“, meinte der Brite schuldbewusst. „Schon okay“, meinte der Werwolf halbherzig und machte sich daran auszusteigen. „Es tut mir wirklich leid, Scott. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich…“ Luke fuhr sich durch die Haare und gab einen genervten Laut von sich. „Ich habe echt ein Händchen für neue Bekanntschaften. Kann ich es wiedergutmachen?“, erkundigte er sich zerknirscht. „Musst du nicht“, meinte Scott und bemühte sich um eine neutrale Haltung. Er war normalerweise nicht so, aber irgendwie hatte ihn das ein wenig verletzt. Lukes Verhalten wirkte versnobt und herablassend und das hatte er noch nie so ganz vertragen. Es nervte ihn auch bei Jackson. „Ich könnte dich zum Essen einlade oder in den nächsten Tagen Taxi für dich spielen? Zumindest so lange, bis dein Bike repariert wurde?“, bot Luke zerknirscht an. Scott überlegte kurz. Sein Ärger war bereits wieder am Verfliegen. Er konnte eigentlich nie jemandem wirklich lange böse sein und Luke schien sich tatsächlich ernsthaft entschuldigen zu wollen. Außerdem würde es bedeuten, ein Auge auf ihn haben zu können. Vielleicht erfuhr er ja dadurch sogar was Gerard plante? „Okay“, nickte er schlussendlich. „Gut, dann…“ Luke beugte sich nach hinten zu seinem Rucksack, kramte in diesem nach einem Stift und einem College-Block, kritzelte etwas das verdächtig nach seiner Telefonnummer aussah in eine Ecke und riss sie ab „Dein persönliches Taxi und ein Gutschein für einmal Essen.“ Damit streckte er ihm die Hand mit dem Zettelchen entgegen. Scott griff danach und zuckte zusammen, sobald sich ihrer beider Finger berührten. Eine prickelnde Wärme kroch seine Fingerspitzen entlang, über den Arm bis hin zu seinem Herzen, das plötzlich schneller schlug. Das angenehme Gefühl breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Luke schien es ähnlich zu ergehen, denn auch er zeigte genau die gleiche Reaktion. Schlussendlich war es aber der Brite, der seine Hand zurückzog und die Empfindung verschwand so schnell wieder, wie sie gekommen war. „Man sieht sich“, räuspert sich Luke leicht verlegen, die Autotür schwang nach unten, wobei Scott den Kopf einzog und einen Schritt nach hinten machte. Der Mercedes setzte sich mit einem erstaunlich ruhigen Summen in Bewegung und war binnen weniger Sekunden außer Sichtweite. Scott stand alleine in der Auffahrt zu seinem Haus und begutachtete seine Hand, betastete vorsichtig die Fingerspitzen, eine nach der anderen. Was war das eben gewesen? Zumal er nicht alleine so empfunden hatte. Sich keinen Reim darauf machen könnend, setzte er sich in Bewegung und steuerte die Eingangstür an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)