Champ Stories von Platan (Band 1: Endynalos) ================================================================================ Kapitel 15: Du bekommst bestimmt immer noch viel Fanpost -------------------------------------------------------- Nachdem sie zu zweit einige Zeit im Schlummerwald verbracht hatten, waren sie im Anschluss noch eine Weile bei Delion zu Hause gewesen – tatsächlich musste Raelene dort ein paar recht peinliche Fragen über sich ergehen lassen. Dank der Kappe konnte sie sich mit ihrer Verlegenheit aber glücklicherweise stets verstecken, wenn ihr die vielsagenden Blicke zu viel wurden. Zu guter Letzt waren sie danach noch in Raelenes Zimmer gewesen, wo sie einige Dinge zusammengepackt hatte, um für ein paar Tage mit Delion zu seiner Wohnung zu gehen. Natürlich war ihre eigene Mutter total aus dem Häuschen deswegen und hatte ebenfalls einige unangenehme Fragen gestellt. Wenigstens war diese Phase somit schon für Delion und Raelene überstanden und sie müssten ihre Familien nicht erst panisch davon abhalten. Am Abend saßen sie schließlich auf Glurak und steuerten geradewegs Score City an. Aus Angst, ihre Kappe könnte verlorengehen, hielt Raelene sie die ganze Zeit mit einer Hand fest. Sie hatte nach wie vor so viel Vertrauen in Delion und Glurak, dass sie sich vor einem Sturz nicht fürchtete. In der Ferne waren schon die unzähligen Lichter von den Häusern der Großstadt zu sehen, was ein gewaltiger Unterschied zu dem verschlafenen Örtchen Furlongham war. Wie bei all den anderen Flügen hielt Delion sie auch diesmal fest, was ihr Herz wieder höherschlagen ließ. Ob er wohl nervös war, ihr den Ort zu zeigen, wo er die meiste Zeit über lebte? In Furlongham war er eher seltener anzutreffen, das wusste jeder. Also dürfte die Wohnung in Score City für Delion wesentlich privater sein als sein altes Kinderzimmer. „Wir müssen jetzt noch kurz durch ein kleines Schneegebiet“, sagte Delion, nahe an ihrem Ohr, damit seine Worte gut verstehen konnte. „Das wird etwas kalt werden, okay?“ Ein wohliger Schauer fuhr über Raelenes Körper. Seine Stimme! So nah! Nun wurde sie schon wieder knallrot wie eine Tamotbeere. Wie machte dieser Mann das nur ständig?! „O-okay!“, rief sie zurück. Auf dem Weg zur Einrichtung waren sie auch schon durch ein Schneegebiet geflogen ... und es war furchtbar kalt gewesen. Im Gegensatz dazu könnte sie sich aber diesmal direkt in Delions Wohnung aufwärmen, also war das in Ordnung. Außerdem hatte seine Stimme sie schon bereits mit reichlich innerer Hitze versorgt. Kurz darauf überflogen sie schon das Kältegebiet von Route 10. Seit ihrer Arena-Challenge war Raelene nicht mehr zu Fuß dort gewesen, was irgendwie schade war. Die Kälte brachten sie so schnell hinter sich, dass sie gar nicht erst ein Gefühl dafür entwickeln konnte. Score City lag dann schon als nächstes vor ihnen und nur Sekunden später kamen sie in dem Stadtteil an, in dem Delion wohnte, was er nebenbei erwähnte. In dieser Gegend war Raelene noch nie gewesen, denn bislang hatte es dafür keinen Grund gegeben. Umso spannender für sie, weil sie so viele neue Dinge entdecken könnte. Glurak landete schließlich problemlos auf der Dachterrasse eines Hochhauses, direkt neben einem Pool – ein Traum für jedes Wasser-Pokémon. Anscheinend waren sie am Ziel, denn Delion stieg mit Schwung von Glurak und reichte Raelene wie gewohnt seine Hand. „Da wären wir~. Willkommen in meinem bescheidenen Heim.“ Wieder ließ sie sich liebend gerne von ihm nach unten helfen und bedankte sich bei Glurak für den Flug. Unbewusst rieb Raelene sich mit den Händen über die Arme und sah Delion skeptisch an, grinste jedoch dabei. „Bescheiden ... mit Pool?“ Vielleicht gehörte dieser standardmäßig zum Gebäude, aber sie meinte es auch nicht so ernst. Selbst wenn Delions Wohnung etwas prunkvoller sein sollte, was sie sich nicht vorstellen konnte, hätte er sich das absolut verdient. „Ich glaube, ich weiß schon jetzt, wo Azurill sich am liebsten aufhalten wird~.“ „Es ist ein eher kleiner Pool“, verteidigte Delion sich schmunzelnd. „Aber ja, Azurill wird den Pool lieben. Meine Wasser-Pokémon benutzen ihn auch regelmäßig.“ Er nickte in Richtung der Terrassentür, legte einen Arm um Raelenes Schultern und ging mit ihr los. „Jetzt musst du dir erst mal das Innere ansehen und dich ein wenig aufwärmen. Ich will ja nicht, dass du dich noch erkältest.“ Seine Sorge rührte Raelene. Sicher wollte Delion aber auch jeden Ärger mit ihrem Manager vermeiden, der es wohl nicht gerne sehen würde, wenn der Champ krank wurde. Manchmal war der Typ etwas übervorsichtig. „Eigentlich macht mir Kälte sonst nichts aus“, meinte Raelene. „Aber es ist doch etwas anderes, wenn man auf einem Glurak mit Vollgas durch ein Schneegebiet rauscht.“ Auf ihrem Rotom-Rad erzeugte sie durch die Bewegung genug Wärme, weshalb ihr nicht mal dabei kalt wurde. Bestimmt war auch das Fliegen mit Glurak nur eine Frage der Gewohnheit ... bis dahin genoss sie Delions Fürsorge liebend gerne. „Mach dir aber keine Sorgen“, fügte sie hinzu. „So leicht werde ich nicht krank~.“ „Falls doch, kümmere ich mich um dich~. Wie versprochen.“ Richtig, bei ihrem ersten Besuch am See hatten sie darüber gesprochen, dass sie beide geglaubt hatten, vor Verlegenheit Fieber zu bekommen – und versprachen einander, den jeweils anderen zu pflegen, sollte einer von ihnen wirklich krank werden. Schön, dass Delion das ernst nahm. Locker öffnete er die Terrassentür, um sie in einen Raum mit einer hohen Decke zu führen, der gleichzeitig als Wohnzimmer fungierte. Neben dem ein oder anderen Bett für ein Pokémon, die offenbar vor allem für die kleineren Exemplare gedacht waren, lag hier auch eine Menge Spielzeug bereit. Im Moment war es aber fein säuberlich in eine Ecke verräumt worden, damit es vermutlich nicht mitten im Weg lag. So viele Sachen nur für Pokémon, das brachte Raelene zum Lächeln. Vor einem großen Fernseher stand ein gemütliches Sofa, zu dem Delion deutete. „Hier sitzen wir zusammen, wenn wir Zeit haben und schauen uns Pokémon-Kämpfe an – oder manchmal auch einfach Filme oder Serien. Worauf wir eben Lust haben.“ Sogar vor dem Fernseher saß er also zusammen mit seinem Team, wirklich typisch für ihn. Ohne Pokémon in seiner Nähe konnte sie sich Delion gar nicht vorstellen. Es beruhigte sie, dass er also niemals wirklich alleine war. An den Wänden hingen einige Bilder von ihm und seiner Familie, dazwischen aber auch gerahmte Poster von Raelene, die im letzten Jahr aufgenommen und verkauft worden waren. Eines davon – das auf dem sie mit Liberlo posiert hatte – hing recht zentral und besaß einen etwas hochwertigeren Bilderrahmen als die anderen, was darauf hindeutete, dass es sich um Delions Lieblingsmotiv handelte. Als Raelene dieses Poster entdeckte, griff sie verlegen nach der Kappe. „So langsam fühle ich mich mit meinem Zimmer nicht mehr ganz so fanatisch~. Jedenfalls nicht einseitig.“ Sie lächelte Delion zu und ließ dann weiter den Blick durch das Wohnzimmer schweifen. „Es sieht schon mal richtig gemütlich aus hier. Gefällt mir!“ „Es wird dir noch besser gefallen, wenn wir nachher die Pokémon freilassen. Jetzt wirkt der Raum noch ein wenig leer, aber wenn sie alle hier herumspringen, ist es sehr lebhaft.“ Vorher wollte er ihr aber noch den Rest der Wohnung zeigen. Deswegen führte Delion sie zuerst in sein Büro, in dem er, laut ihm, die meiste Arbeit verrichtete, die von zu Hause aus möglich war. Die rechte Wand wartete mit einem gut gefüllten Bücherregal auf, in dem nicht nur allerlei Fachbücher, sondern auch die Liga-Richtlinien und auch eine Sammlung verschiedener Pokémon-Magazine zu finden waren. An der linken Wand gab es ein schmales Regal mit einigen Ordnern, in denen sich aktuelle Unterlagen befanden – veraltete wurden im Archiv des Kampfturms aufbewahrt, erklärte er Raelene. Daneben stand ein Schaukasten, in dem einige Dinge lagen, die Fans für ihn gebastelt hatten. Hauptsächlich Figuren, die ihn und Glurak darstellen sollten. Den restlichen Platz nahmen gerahmte Bilder von ihm während seiner Karriere als Champ, sowie einige Zeichnungen von Fans ein. Eines der Fotos zeigte sogar, wie er der jungen Raelene zu ihrem Sieg über ihn gratulierte. Auf dem Schreibtisch stapelten sich einige Dokumente neben dem Monitor und der Tastatur, außerdem stand dort ein Bilderrahmen, der ihn mit allen Arenaleitern der Arena-Challenge zeigte. „Die Fanarbeiten hier sind hauptsächlich meine Lieblingswerke“, erläuterte Delion weiter, mit einem Blick auf die linke Wand. „Viele andere gibt es aber auch im Kampfturm zu sehen.“ Raelene stellte sich näher an den Schaukasten und nahm sich die Zeit, in Ruhe alle Werke anzuschauen. Basteleien von Fans waren immer etwas ganz Besonderes. Jemand hatte wertvolle Lebenszeit investiert, um seinem Idol ein Geschenk zu machen. Das waren im Prinzip Liebesgeständnisse. Und Delion wurde von ganz Galar geliebt, auch jetzt noch. „Die sind echt super! Toll, dass du sie so würdigst.“ Allerdings stimmte sie dieses Büro auch etwas traurig. Der lebhafte, aktive Delion, dazu verdammt langweiligen Papierkram am Schreibtisch zu erledigen, während er von Erinnerungsstücken aus einer besseren Zeit umgeben war. Weil Raelene ihn damals geschlagen hatte. Sie warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, sagte aber etwas anderes: „Du bekommst bestimmt immer noch viel Fanpost, oder?“ Er nickte. „Sehr viel sogar. Die am meisten gestellte Frage ist, wann ich mir den Titel zurückholen werde. Direkt gefolgt von der Frage, ob ich die Absenderin heiraten möchte.“ Plötzlich machte er eine kurze Pause und schien an etwas Bestimmtes zu denken, bevor er weitersprach: „Aber es hält sich in Grenzen, deswegen kann ich die Fanpost inzwischen selbst managen. Anders als deine.“ Besonders in ihren ersten Jahren als Champ war es der ganzen Liga aus irgendeinem Grund ein Anliegen gewesen, Raelene zu schützen. Auch gegenwärtig wurde ihre Fanpost immer noch von Liga-Mitarbeitern durchgesehen, weil manche Briefe wohl sehr ... unschön sein sollten. Deshalb hatte Raelene es vor Jahren aufgegeben, darauf zu bestehen, sich selber um Zuschriften von Fans kümmern zu dürfen. Ihr war oft von mehreren Seiten erklärt worden, dass dies nur zu ihrem eigenem Wohl sei, also musste sie immer warten, bis die Liga ihr Bescheid gab. Nun, nachdem Raelene damals eine Zeit lang negative, teilweise böse Postings von Hatern online in Foren gelesen hatte, konnte sie sich seitdem vorstellen, dass diese Vorsichtsmaßnahme durchaus sinnvoll war. Warum manche Menschen gerne so gemein waren, konnte sie dagegen nicht nachvollziehen. Was hatte man denn davon? Die Heiratsanträge an Delion überraschten sie jedenfalls nicht. Zum Glück war er aber nie auf einen davon eingegangen ... sie war seine erste Liebe, wie er im Schlummerwald gesagt hatte. Ihr Gesicht fing wieder an zu glühen, aber diesmal versteckte sie das nicht. Stattdessen betrachtete sie weiter die Basteleien. „Du bist eben auf ewig der Champ der Herzen~“, bemerkte Raelene stolz. „Was das angeht, wird dich niemand jemals schlagen können.“ „Tja, ich hab den Posten auch mit sehr viel Leidenschaft ausgeübt. Aber in manchen Aspekten war ich auch ein wenig naiv. Das hätte nicht sein dürfen. Aber wenigstens konnte ich für dich ein besserer Liga-Präsident sein.“ Damit hatte er bestimmt mehr Last von ihr nehmen können, als Raelene ahnte. „Im Grunde reicht es mir jetzt auch, wenn ich dein Herzens-Champ sein kann~“, betonte Delion. Raelene wandte sich vom Schaukasten ab und drehte sich ihm zu. Sie hatte nie wirklich darüber nachgedacht, aber dank seinen Erfahrungen hatte er als Liga-Präsident wirklich hervorragende Arbeit leisten können. Ihre Arbeitszeiten waren so ausgeglichen, dass sie sich nur selten überbelastet fühlte. Im Grunde hatte sie sogar recht viel Freizeit, weil auch keine ernsthafte Gefahr mehr in Galar existierte. In dem Punkt hatte sie wahrlich Glück gehabt, nicht an Rose, sondern an Delion geraten zu sein. Rose wäre garantiert nicht derart geduldig mit ihr gewesen, als sie sich in einer rebellischen Phase befunden hatte. Egal, ob als Champ, Präsident oder einfach nur als Delion ... er war großartig. Das teilte sie ihm auch direkt so mit und griff nach seinen Händen. „Würdest du trotzdem irgendwann mal wieder richtig gegen mich kämpfen?“ All das Lob ihrerseits hatte dafür gesorgt, dass sein Gesicht rot geworden war, was ihn im Moment aber nicht weiter zu stören schien. Auf ihre Frage nickte er und zwinkerte ihr zu. „Natürlich. Jetzt muss ich mir ja keine Sorgen mehr machen, dass du mich nur fertigmachen willst.“ Ihre Augen fingen sofort an zu leuchten. „Wirklich? Ich vermisse die Kämpfe mit dir so sehr! Also abgemacht, ja? Da kommst du jetzt nicht mehr raus~.“ Wieder konnte eine Frage, die sie so lange beschäftigt hatte, ganz schnell und unkompliziert geklärt werden. Es war unglaublich, wie leicht das nun war. Innerhalb weniger Tage hatte sich schon so viel verändert. „Und zwar in einer Arena! Damit unser erster Kampf seit langer Zeit so richtig würdig gefeiert wird.“ „Gut, machen wir doch einfach einen Schaukampf draus“, schlug er vor. „Glurak und Liberlo freut es bestimmt, wenn sie sich im Scheinwerferlicht vor Publikum messen dürfen~. Dafür kann ich das Stadion in Score City klarmachen. Wir bräuchten etwa einen Monat Vorlaufzeit, für die Werbung und die Ticketverkäufe – aber ein Kampf zwischen uns dürfte so interessant sein, dass wir die Ränge in Nullkommanichts vollkriegen.“ Raelene konnte sich schon in dieser Sekunde vor Aufregung kaum noch halten. Ein Schaukampf mit Delion! Er war bereit für so etwas! In all den Jahren hatte sie gegen viele leidenschaftliche Trainer gekämpft, aber keiner war an Delion herangekommen. Sie konnte dieses Gefühl der Spannung kaum erwarten. Obwohl Delion es nicht laut sagte, hatten ihm die öffentlichen Kämpfe mit Zuschauern und dem ganzen Drumherum sicher gefehlt, weshalb er sich nun so motiviert zeigte. „Das wird der Kampf des Jahres~! Dann muss ich mein Training unbedingt verschärfen, damit ich gegen dich nicht alt aussehe. Liberlo wird das auf jeden Fall auch freuen. Immerhin ist Glurak sein persönlicher Rivale.“ „Oh-ho~. Das wird Glurak begeistern, bislang hatte er noch keinen richtigen Rivalen.“ Nicht mal Roy? Dabei war der so hartnäckig gewesen. Wenn sie so darüber nachdachte, waren Roys Pokémon aber immer spätestens an Glurak nicht mehr vorbeigekommen. Von Raelenes Team war das bislang nur Liberlo gelungen. „Da werden wir uns beide ausführlich vorbereiten müssen.“ Er deutete mit einem Kopfnicken zur Tür. „Willst du jetzt noch mein Schlafzimmer sehen?“ „Klar~“, stimmte Raelene munter zu. Sie wusste nicht, ob sie bei ihm schlafen durfte oder im Wohnzimmer, aber das könnte sie ihn gleich direkt fragen. Nun wollte sie erst mal alles sehen, um sich ein Bild davon zu machen, wie Delion lebte. Bislang strahlte die Wohnung eine angenehme Wärme aus, wie sie es sich vorgestellt hatte. Auf dem Weg zum Schlafzimmer zeigte er ihr noch schnell das Badezimmer, das sich, abgesehen von der Größe, nicht von anderen Räumen dieser Art unterschied. Der Flur an sich war relativ schlicht, was einfach nur daran lag, dass er den Pokémon Bewegungsfreiheit geben wollte, wie er erklärte. Ein Posterdruck seiner Ligakarte, nachdem er den Kampfturm eröffnet hatte, hing eingerahmt an der Wand, sonst war der Gang im Großen und Ganzen leer, wenn man von einem kleinen Klingelball absah, den eines der Pokémon mal aus dem Wohnzimmer getragen haben musste. Schließlich öffnete er die Tür zu seinem Schlafzimmer. Auf den ersten Blick fiel auf, dass es ein größeres Bett war als jenes in seinem Zimmer in Furlongham. Dieses hier stand außerdem nur mit dem Kopfteil an der Wand, so dass es von beiden Seiten zugänglich war. Das machte es verschiedenen Pokémon leichter, sich nachts in sein Bett zu schleichen, ohne übereinander drüberklettern zu müssen, erläuterte Delion ihr auch diesen Punkt. Im Raum verteilt standen wieder mehrere kleine Pokémon-Betten und sogar eine nicht-brennbare Unterlage für Glurak. Ein Spiegeltisch diente Delion als Hilfe, seine Haare zu bändigen, sofern die Grolldras ihm nicht dabei halfen. Direkt neben der Tür, gegenüber vom Bett, so dass man es nicht direkt beim Hereinkommen sah, hing ein gerahmter Posterdruck von Raelenes aktueller Ligakarte. „Das ist aber wirklich das letzte Bild von dir hier in der Wohnung“, versprach er. „Vorerst.“ Eine einfache Tür führte in einen Wandschrank, fast schon ein begehbares Ankleidezimmer, in dem sich hauptsächlich Sachen befanden, die seinem etwas exzentrischen Stil entsprachen, sogar sein altes Champ-Outfit inklusive Cape war hier gelagert. Dadurch war der Schrank aber bei weitem nicht voll. Nachdem er ihr das kurz gezeigt hatte, kehrten sie in das Schlafzimmer zurück. „So, was sagst du dazu?“, fragte er sie schließlich. Raelene legte die Handflächen aneinander. „Es ist toll! Wirklich, es gefällt mir sehr gut~.“ Vor allem begeisterte sie, dass er bei der Einrichtung immer an die Pokémon gedacht hatte. So könnte sie auch ihr eigenes Team unbesorgt frei herumlaufen lassen – natürlich würde Raelene sie trotzdem vorher darum bitten, sich zu benehmen und nichts für sich zu beanspruchen, was ihnen nicht gehörte. An der Wohnung merkte man deutlich, was Delion wichtig war. Und es machte sie glücklich, neben den Pokémon auch so präsent zu sein. Ihn hierher zu begleiten war wirklich die richtige Entscheidung gewesen. Nun müssten sie sich nicht gegenseitig vermissen und nur Poster anstarren. „Meine Pokémon werden sich garantiert wohlfühlen und auch Spaß haben. So viel Platz haben wir bei uns zu Hause nämlich nicht für alle, wir müssen immer nach draußen gehen, um gemeinsam zu spielen.“ „Das ist der Vorteil, wenn man der Liga-Präsident ist, man kriegt genug Platz für alle. Obwohl das Leben auf dem Land durchaus seine Vorteile hatte.“ Da stimmte Raelene ihm zu. Auf dem Land waren die Häuser meistens kleiner, dafür konnte man jederzeit draußen mit all seinen Pokémon herumlaufen. In einer Großstadt war das etwas schwieriger, schon weil viel mehr los war. Rund um die Uhr. „Okay, dann bleibt nur die Frage, wo du schlafen willst.“ Delion hob beide Hände, um die folgenden beiden Optionen zu unterstreichen. „Ich kann dir das Sofa fertigmachen. Oder du schläfst hier und ich auf dem Sofa.“ Er machte eine kurze Pause und holte Luft. „Oooder wir schlafen beide hier. Das überlasse ich dir.“ Nun hatte er das Thema angesprochen, bevor Raelene ihn diesbezüglich fragen konnte. Wenigstens wusste sie dadurch schon mal, dass er für alles offen war. Da sie sich bereits ein Zelt geteilt hatten, sollte es kein Problem sein, wenn sie auch hier etwas zusammenrückten. Außerdem … „Das Bett ist sooo groß.“ Raelene breitete die Arme aus, um nun ihrerseits diese Tatsache zu untermalen. „Also ich hätte kein Problem damit, mit dir zusammen zu schlafen. Ich bin ja mitgekommen, weil ich in deiner Nähe sein will~.“ Sie zog die Kappe ein Stück tiefer ins Gesicht. „Und ... ein bisschen kuscheln will ich vielleicht auch.“ Dazu waren sie im Zelt nicht gekommen, weil Wolly auch gerne beim Schlafen in der Nähe von Menschen war. Daran würde sich auch in dieser Wohnung nichts ändern, aber die Chance war da, dass sich Wolly auch mal an ein anderes Pokémon schmiegte. Nachdem sie an diesem Tag Delions Zimmer und diese Wohnung gesehen hatte, wollte sie ihn am liebsten die ganze Zeit umarmen. „Prima, dann haben wir das geklärt~“, sagte Delion erleichtert. „Ich möchte dich nämlich auch gern in meiner Nähe haben. Und kuscheln klingt doch ideal~.“ Auf einmal klang er dabei so locker, als würde ihn das nicht verlegen machen. Raelene musste aber nur die Kappe wieder nach oben schieben, um zu sehen, dass auch sein Gesicht erneut rot geworden war. Also ging es ihm doch genauso wie ihr, doch seine Freude schien schlicht zu überwiegen. Delion ließ alles so leicht und einfach klingen, dass es ihr albern vorkam, wenn sie sich wegen etwas zu viele Gedanken machte. Raelene musste sich unbedingt einprägen, ihm gegenüber nicht nervös sein zu müssen und auch keine Sorge zu haben, sie könne zu aufdringlich sein. Er deutete in eine Richtung, zog sie aber schon mit sich. „Okay, dann gehen wir mal ins Wohnzimmer zurück, da können wir unsere Pokémon auch direkt ein wenig Freizeit gönnen.“ „Gute Idee, machen wir das. Ich bin schon auf die Reaktion von allen gespannt.“ Nun befanden sie sich nicht mehr im Freien, auf neutralem Boden. Aber bislang hatten sich die Pokémon so gut verstanden, dass es keine Probleme geben dürfte. Darum folgte Raelene ihm auch zuversichtlich, zurück ins Wohnzimmer, wo sie erst mal ihren Rucksack ablegte und auch ihre Schuhe auszog, um es gemütlicher zu haben. Delion folgte ihrem Beispiel, nachdem sie die wichtigsten Dinge nun geklärt hatten. Danach zog er seine aktuellen Pokébälle hervor, außer den von Glurak, denn dieser hatte es sich auf der Terrasse gemütlich gemacht, um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen. Blieben aber immer noch Maxax, Durengard, Katapultdra, Intelleon und Pichu, die er auch sofort aus ihren Bällen entließ. Bevor sie alle davon sprinten konnten, um ihr eigenes Ding zu machen, hob er rasch und bestimmend die Hand. Pichu wollte das dennoch ignorieren, aber ein Brummen von Maxax genügte, dass er sich doch Delion zuwandte. „Wie ihr seht, ist Raelene auch hier.“ „Hallo, ihr Lieben~“, begrüßte Raelene seine Pokémon herzlich. „Bitte seid nett zu ihren Pokémon, wir können hier alles teilen. Okay?“ Die Pokémon stimmten zu, sogar Pichu, obwohl sich Delion nicht sicher war, ob der es wirklich verstanden hatte, wie er Raelene amüsiert zuflüsterte. Aber das würde sich ja noch zeigen. Nun war ihr Team an der Reihe. Raelene griff nach ihren eigenen Pokébällen und ließ alle nach draußen. Die Verwirrung war im ersten Moment groß, weil sie diesen Ort nicht kannten, wurde aber schnell von Freude und Aufregung abgelöst, kaum dass sie Delions Pokémon erspäht hatten. Liberlo schien nach Glurak Ausschau zu halten, Feelinara winkte Katapuldra und den Grolldras mit ihren Bändern zu, Wolly betrachtete die fremde Umgebung mit großen Augen und Dedenne und Azurill wollten sofort zu Pichu stürmen. Nur Zamazenta schien vollkommen ruhig zu sein. „Bitte hört mir einen Augenblick zu“, bat sie, möglichst streng. Sobald sie in diesem Tonfall mit ihren Pokémon sprach, wurden sie immer sehr aufmerksam ... bis auf Azurill, aber Feelinara hielt sie mit ihren Bändern fest, so dass auch das Baby zuhören musste. Raelene sprach lächelnd weiter: „Wir schlafen heute bei Delion, in seiner Wohnung. Geht also vorsichtig mit den Sachen um und macht nichts kaputt. Und achtet vor allem darauf, keine Grenzen zu überschreiten.“ Der letzte Satz war besonders an Azurill gerichtet, da sie das noch lernen musste. Alle nickten ihr zu – bis auf Zamazenta, doch bei ihm war sie sich auch so sicher, dass er keinen Ärger machen würde. „Gut, dann habt Spaß~.“ Wie auf Stichwort eilte der Großteil ihres Teams daraufhin zu Delions Pokémon. Pichu begrüßte Azurill direkt mit einem fröhlichen „Chu~“, dann rieb er seine Wange an Dedenne. Azurill lachte, weil sie die sprühenden Funken so hübsch fand. Katapultdra schwebte mit seinen Grolldras zu Feelinara hinüber, damit die Kleinen keinen so langen Weg zu ihr zurücklegen mussten. Durengard schwebte um Wolly herum, um es genau zu betrachten, und sie hüpfte begeistert auf der Stelle. Seine Aufmerksamkeit schien ihr zu gefallen. Intelleon bedeutete Liberlo inzwischen, ihm zu folgen, um zu Glurak zu kommen – und Intelleon wollte sicher sowieso in den Pool auf der Terrasse. Tatsächlich folgte Liberlo seinem alten Freund sofort und plapperte aufgeregt drauflos. Maxax legte sich derweil auf einen bestimmten Platz im Wohnzimmer, um ein wenig zu schlafen. „Bislang ist alles noch friedlich~“, freute Delion sich. Zamazenta legte sich irgendwo mitten im Raum auf dem Boden und schloss die Augen, um zu schlafen. Für Raelene bedeutete das, er war entspannt, also gab es auch bei Endynalos keine Probleme. „Kleine Streitereien wird es bestimmt mal geben, aber das bekommen sie sicher dann auch hin“, sagte Raelene überzeugt. „Willst du mir dann mal spontan eine erste Trainingseinheit geben?“ „Oh ja, gute Idee~. Ich hab dir meinen Trainingsraum noch nicht gezeigt. Folge mir einfach~.“ Es gab also noch mehr Räume? Nun, eine Wohnung ohne Küche wäre schon etwas unpraktisch, selbst wenn man nicht viel kochte. „Ich bin immer hinter dir~.“ Sie warf einen letzten Blick zu den Pokémon und lächelte beruhigt. Dann heftete sie sich an Delions Fersen. „Nun bekomme ich also das große Geheimnis deiner Stärke zu Gesicht“, hauchte Raelene theatralisch. „Hast du keine Angst, dass ich alles der Presse verraten werde?“ „Oooh~.“ Delion schmunzelte sie an. „Erstens vertraue ich dir, also bezweifle ich, dass du der Presse etwas erzählen würdest. Und zweitens wäre es der Presse wahrscheinlich zu langweilig, wenn sie nur erfuhren, dass ich Hanteln und Gewichte besitze.“ Er tippte ihre Kappe nach unten. „Aber wie gesagt, das wird ja ohnehin nicht passieren~.“ Raelene schob sie lachend wieder nach oben. „Oh je, wie soll ich mit so viel Vertrauen nur umgehen? Ich glaube, da wird sich mein Gewissen echt dagegen aussprechen, irgendetwas über dich auszuplaudern.“ Zumal sie es viel zu schön fand, wenn gewisse Dinge nur sie wusste. Deshalb war sie gespannt, was sie in den nächsten Tagen noch an neuen Details über Delion erfuhr. Selbst wenn es nur Kleinigkeiten wären, wollte sie alles wissen. „Also gut, ich werde schweigen~.“ „Sehr gut~.“ Delion öffnete die Tür in den Trainingsraum. Dieser war mit einigen Hanteln verschiedensten Gewichts bestückt, dazu ein Rudergerät, eine Kraftstation, ein Indoor Cycle, ein Boxsack und sogar eine Tischtennisplatte. „Wow~!“ „Glurak ist richtig gut im Tischtennis“, erzählte er dazu. „Seit er den Ball nicht mehr anzündet, habe ich aber zumindest auch eine gute Chance zu gewinnen. Davor war es immer ziemlich gefährlich, aber es hat Spaß gemacht.“ „Ich muss euch unbedingt mal spielen sehen“, kommentierte sie Delions Worte. „Das ist bestimmt fast so spannend wie ein Kampf. Tischtennis habe ich noch nie gespielt.“ „Klar~. Heute muss Glurak sich ausruhen, aber wenn du eine Weile bleibst, kriegen wir dafür noch jede Menge Gelegenheiten. Wir können dann auch mal spielen.“ Begeistert lief Raelene durch den Traingsraum und schwang sich direkt auf das Indoor Cycle. Also könnte sie trotzdem ihre gewohnten Runden fahren, ohne dafür erst in die Wildnis fliegen zu müssen. In den letzten Tagen war sie nicht wirklich dazu gekommen ihr Rotom-Rad zu benutzen. Raelene fuhr für den Anfang recht entspannt, um sich erst mal warmzumachen. Sie merkte aber bereits, was für ein gutes Gerät das war, schon weil die Bedienung nicht unnötig kompliziert daher kam. Damit würde sie noch eine Menge Spaß haben. Zufrieden beobachtete Delion sie. Für ihn schien es vollkommen in Ordnung zu sein, dass sie ungefragt direkt eines der Geräte benutzte. „Ich muss mich wohl echt ein paar Nächte mehr hier einquartieren~“, beschloss sie. „Sag aber Bescheid, sobald du doch mal wieder deine Ruhe brauchst.“ Da Delion hier täglich mit seinen Pokémon lebte, war er Unruhe sicher gewohnt und mochte es wahrscheinlich auch gar nicht, wenn es zu still war. Der Anstand verlangte es aber von Raelene, ihm das wenigstens einmal gesagt zu haben. „Kein Problem. Ich sage dir rechtzeitig Bescheid, aber dazu kommt es eh nie.“ Ehe Raelene widersprechen konnte, zwinkerte er ihr zu und deutete über seine Schulter. „Okay, wollen wir wieder ins Wohnzimmer zurück und uns setzen? Sollen wir was zu essen bestellen?“ „Oh, kriege ich keine Trainingseinheit?“ Gut, dafür hätten sie noch genug Zeit, also mussten sie nichts überstürzen. Außerdem wäre es ihr am ersten Tag irgendwie lieber, bei den Pokémon zu bleiben, falls es doch zu Komplikationen käme. Also stieg sie wieder vom Rad und nickte Delion zu, der ein wenig peinlich berührt zu sein schien. Sie wusste nur nicht weswegen. „Bestellen wäre gut. Ich will etwas mit ordentlich Schärfe~. Meine Mutter mag nämlich auch keine scharfen Sachen, also gab es die letzten Tage nur milde Sachen für mich.“ „Okay, dann ... wie wäre es mit Pizza? Wir könne eine bestellen, die zur Hälfte scharf ist.“ „Pizza geht immer~“, stimmte Raelene zu. Zielstrebig ging sie voraus, zurück ins Wohnzimmer, wo sich ein Teil ihrer Pokémon aufhielten. Inzwischen lief nun Wolly aufgeregt um Durengard, der sich über die Aufmerksamkeit freute, herum und Azurill hüpfte fröhlich durch den gesamten Raum, während Dedenne Pichu neugierig über die Wohnung auszufragen schien. Immer wieder stieß Pichu ein begeistertes „Chu!“ aus, als würde er damit tatsächlich irgendetwas beantworten. Feelinara war offenbar fasziniert von den vielen Betten und versuchte wohl das Flauschigste von allen zu finden, darauf bedacht, den friedlich schlafenden Maxax nicht zu wecken. Intelleon und Glurak waren anscheinend immer noch auf der Terrasse. Raelene würde sie am liebsten die ganze Zeit beobachten. „Und die Pokémon bekommen eine riesengroße Party-Pizza.“ „Gute Idee~.“ Delion griff nach seinem Handy. „Dann bestellen wir besser, bevor sie spontan merken, dass sie Hunger haben.“ Klang so, als hätte er da bereits so seine Erfahrungen gemacht. Es war leicht, sich vorzustellen, wie die Baby-Pokémon eines der Betten annagten, weil sie etwas essen wollten. „Besser ist das. Hungrige Pokémon sind kaum zu bändigen.“ Sie bedankte sich, dass er die Bestellung übernahm, und setzte sich derweil schon mal auf das Sofa. Kurz darauf sprang Azurill plötzlich in ihre Arme und erzählte aufgeregt etwas. Raelene verstand kein Wort, nickte aber aufmerksam, was die Kleine zu freuen schien. Schließlich rollte sie sich in ihrem Schoß zusammen und schloss die Augen. „Na, brauchst du jetzt fünf Minuten ein Nickerchen?“, sagte Raelene leise, wobei sie Azurill den Kopf tätschelte. „Du verausgabst dich auch immer viel zu sehr, du Energiebündel~. Mach Liberlo besser keine Konkurrenz.“ Daran könnte Raelene sich gewöhnen. Umgeben von Pokémon, in Delions Wohnung, der immerzu in ihrer Nähe wäre. Selbst wenn er sich mal in einem anderen Raum aufhalten sollte. Wie sehr sie sich schon auf den Tag freute, an dem sie einfach für immer hierbleiben durfte – denn es fühlte sich schon in diesen ersten Minuten wie das Zuhause an, von dem sie geträumt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)