Antinoos von tobiiieee (Tod Auf Dem Nil) ================================================================================ Kapitel 3: Geschäftigkeit ------------------------- In der Folge setzten wir unsere Reise durch Libyen fort. Durch das Gedränge auf den Straßen der Hafenstadt, die wir als nächstes passierten, gab es fast kein Durchkommen: Alle Welt wollte den Kaiser sehen. Um nicht verloren zu gehen, musste ich so nah am Kaiser wie möglich laufen, ohne dabei allerdings auf seine lange purpurne Toga zu treten. In Gedanken war ich noch immer bei meinen Erkenntnissen jener Nacht. Mit gesenkten Augen ging mein Blick weder nach links noch nach rechts. Die Hitze Nordafrikas ließ mich schwitzen; das Johlen der Menge ließ mich erzittern. Ich schaute nur auf die voluminöse wie blutgetränkte Toga vor mir. Ich versank tief darin. Ein Junge von zwölf Jahren, war ich auf dem Weg nach Hause. Die Luft um die Pinien herum flirrte; Zikaden waren zu hören, ein leichter Wind begann einzusetzen. Ich konnte die Schilder vor den Läden knarzen hören, während meine Schritte in den Gassen meiner Heimat widerhallten. Ich lief schneller, mein eigenes Echo in den Ohren. Statt weiter nach Hause zu eilen, schlug ich jetzt die Richtung von Markt und Gymnasion ein. Die Fensterläden in den Straßen waren zugeschlagen. Wo waren alle? Ich bog nach rechts ab in eine sonst belebte Gasse, an deren Ende sich das Gymnasion befand, und in der ich endlich Menschen erkennen konnte. Sie riefen mir hinterher, als ich an ihnen vorbeilief, doch mit all dem Blut, das in meinen Ohren rauschte, hörte ich nicht, was sie sagten; ich wollte das Gymnasion passieren und den Markt ansteuern, um zu erfahren, was los war. Auf dem Platz konnte ich schon von Weitem die Menschenmenge erkennen, die sich versammelt hatte. Ich kürzte über die Stufen ab, die zum Gymnasion führten, und alles, woran ich mich heute noch erinnere, ist ein tiefes Rot, als ob jemand ein großes weißes Stück Stoff in einer ganzen Wanne voll dunklem Rotwein getränkt hätte und es einfach nicht trocken werden wollte. Ich weiß noch, ich hielt an, doch mehr als den Purpurton gibt meine Erinnerung heute nicht mehr her, keine Umgebung, keine Geräusche, keine anderen Gesichter. Langsam ging mein Blick nach oben, über Bahnen von wallendem Stoff, der mehrfach um ausladend breite Schultern gelegt war, vorbei an einem kurz geschorenen, dichten Vollbart und in ein Gesicht, das wie von schwarzen Locken behelmt war, und das mit einem Lächeln auf mich herab blickte, das nicht so recht zu den wachsamen Augen passen wollte. Ich schluckte. „Verzeihung, Herr.“ Natürlich erkannte ich dieses Gesicht damals von den Statuen, die bei uns auf den Plätzen standen. Das ganze Dorf hatte seine Wohnungen und Läden verlassen, um einen Blick auf den Kaiser zu erhaschen, der dem Ort einen Besuch abstattete. Niemals hätte ich geahnt, was dieses Lächeln zu bedeuten hatte – für mich bedeuten würde. Nur Stunden danach redeten kaiserliche Vertreter mit meinen Eltern. Ich wurde nach Rom geschickt. Ich erhielt eine Haussklavenausbildung, um zwei Jahre später meine Arbeit in der Villa in Tibur aufzunehmen. Wiederum nach einem Jahr wurde ich ins Schlafgemach des Kaisers gebeten. Während ich also an einen Zufall geglaubt hatte, der mich bereits seit vier Jahren ans Bett des Kaisers fesselte, das wurde mir nun mit einem Blick auf die tiefrote Toga vor mir klar, war meine Situation in Wahrheit das Resultat jahrelanger Pläne und Machenschaften. Damals, auf den Stufen vor dem Gymnasion, das der Kaiser zu besuchen im Begriff gewesen war, hatte er mein Schicksal beschlossen. Nur langsam hatte er mich in diese Position hineingedrängt. Alle Teile fielen perfekt in eine Reihe. Er gab mir scheinbar zufällig seine Aufmerksamkeit und beförderte mich zu angenehmeren Tätigkeiten, dafür tat ich so, als ob ich nicht merkte, dass er mich berührte, wo seine Hände nichts zu suchen hatten. Und am Ende blieb mir keine Wahl. Er war der Kaiser. Eine Hand strich über meinen Oberarm und ich wich augenblicklich zurück, wobei ich über den Saum der kaiserlichen Toga strauchelte. Der Tross vor und hinter uns hielt an und der Kaiser wandte sich zu mir um. Eine Frau aus der umstehenden Menge hatte die Nähe ausgenutzt, um mich zu berühren. Mit entsetzt aufgerissenen Augen starrte ich sie an, während sich eine noch dichtere Traube aus Frauen bildete. „Liebling des Kaisers!“, riefen sie. Ich fror auf dem Boden fest. Sie skandierten sich in Raserei. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sie würden mich in Stücke reißen, wie die Mänaden Pentheus in Stücke gerissen hatten. Ich wich einen Schritt zurück, als ich die Hand des Kaisers im Rücken spürte. Er wandte sich an die Menge. „Ich weiß, ist er nicht schön?“, sagte er über mich, während meine Augen in der Umgebung hin und her rasten, irgendwo auf der Suche nach einem Ausweg; mein Herz schlug wie eine Jagdtrommel in meiner sich schnell bewegenden Brust, in der kaum ein Atemzug Platz finden wollte. Mensch an Mensch stand die Menge wie ein Dornendickicht, durch das es kein Durchkommen gab, kein Entrinnen, sollte Pan erscheinen und seine Flöte erklingen lassen, um den hier Versammelten seinen Geist einzuflößen. Ich sah mehr Hände nach mir greifen, ich fiel, Menschen trampelten über mich hinweg, schleiften mich mit sich wie Achilles den leblosen Hektor, hängten mich auf und rissen mir nach und nach die Gliedmaßen auseinander, bis ich in sieben Stücke geteilt war wie Dionysos von den Titanen, und alles, was mein abgetrennter Kopf noch sehen konnte, waren schwarze Vögel, die in einem Federsturm über den Himmel flogen, aus dem ein Ibis herabfuhr und mich mitnahm ... „Antinoe, sieh nur“, flüsterte der Kaiser neben mir, „wie sehr sie dich lieben.“ Mein Kopf ruckte, als die Bilder vor meinen Augen verschwanden. Ich verstand nicht, was der Kaiser meinte. Vor mir erstreckte sich ein Meer aus Harpyien, grotesk lang verzogen sich die Gesichter der Umstehenden, aus ihren Mündern erschollen die Rufe von Krähen, die mir die Kälte in Knochen und Adern trieben. Aus ihren Schultern begannen dunkle Federn zu sprießen, die zu Flügeln wurden, jeder so groß wie ein Mann. „Liebling des Kaisers!“, krächzten sie, zeigten mit langen, krummen Fingern auf mich. „Stirb!“ Doch als ich blinzelte, stand nur noch eine alte, etwas gebeugte Frau in der Menschentraube vor mir, die Frau, die mich am Arm berührt hatte. „Junge“, sagte sie endlich zu mir. „Du siehst meinem Sohn so ähnlich, den mir die Götter geraubt haben. Bitte lass mich dich nur kurz anschauen. Dein Gesicht –“ Und erneut streckte sie die Hand aus. „Nein!“, sagte ich atemlos. „Antinoe!“, schalt mich der Kaiser. „Tu gefälligst, worum die Frau dich bittet!“ „Sie lügt!“, sagte ich bestimmt. „Sie will mich nur zerreißen ...“ „Domine“, sagte der Präfekt, der vor uns lief. „Wir müssen weiter.“ In der Folge klammerte ich mich förmlich an den Kaiser. Die Böswilligkeit der Menschen begleitete mich bei jedem Schritt: Sie riefen meinen Namen, wieder und wieder, verhöhnten mich, sie zeigten auf mich, lachten, nannten mich „kleiner Liebling“, in einer absurden Verzerrung dessen, wie der Kaiser zu mir zu sprechen pflegte, und jedes Wort, jede Silbe hackte auf mich ein wie der lange Schnabel des Ibis, der meinen Tod vorausgesagt hatte, pickte in meinem Fleisch, riss Haut und Haare mit sich, drehte sich in der Wunde und labte sich an meinem Blut. Sie machten mich mürbe, um mich leichter überwältigen zu können, wenn sie mich mitnehmen wollten. Mitnehmen, zerkleinern und kochen. Braten. Opfern. Ich richtete meinen Blick weiterhin auf das blutgetränkte Gewand des Kaisers, während wir durch die Stadt zogen, damit alle den Kaiser einmal gesehen haben konnten. „Antinoe!“, riefen sie immer noch. „Antinoe! Antinoe! Antinoe!“ Ich schloss die Augen und träumte mich fort, um sie nicht mehr zu hören. Ich beabsichtigte, in meine Heimat zu reisen, doch so weit schaffte ich es nicht. Stattdessen kam ich in Caesarea an, wo der Kaiser im Jahr zuvor Halt gemacht hatte. Als wir auf dem Marktplatz der Stadt ankamen, wurde eine Weihung enthüllt: eine Büste, die mich darstellte. Die Locken, der gesenkte Blick, die prominente Nase, die große breite Brust, die ich erhalten musste, weil sie dem Kaiser gefiel. Der Anblick eines jungen Gottes. So hatte der Kaiser mein Bildnis vorgeschrieben. So sah er mich: schüchtern, passiv, gefügig. Schön. Und so verewigte mich die Stadt Caesarea in ihrer Verehrung. Doch sie liebten nicht mich, sondern ein Bild. Glücklicherweise hatten sie keinen Teil von mir bekommen. Und auch dieses Mal konnte ich noch aufatmen, als wir diese Stadt verließen und die Villengegend in der Nähe aufsuchten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)