Antinoos von tobiiieee (Tod Auf Dem Nil) ================================================================================ Kapitel 1: Die Jagd ------------------- Ich möchte meine Geschichte also etwas weiter westlich beginnen, in der libyschen Wüste. Ich kauerte auf dem kochend heißen Sand, der mir mit jedem Schritt zwischen die Zehen rieselte. Die Oase im Rücken, breitete sich vor mir ein Kosmos voller Sand und Geröll aus; ein leichter Wind blies mir den noch immer schwelenden Rauch des Opfers entgegen, das zuvor erbracht worden war. Ich blinzelte und rieb mir die Augen, wobei Bogen und Köcher an meiner rechten Schulter verrutschten. Ich erhob mich und richtete sie, den Speer in der Linken. Im Sand waren keine Spuren zu erkennen. Keine Anhaltspunkte, wo er zu finden war, dieser angeblich menschenfressende Löwe, der die Bewohner des entfernten Dorfes plagte. Nur die Einsamkeit der Wüste flüsterte unverständlich, leise. Ich schüttelte den Kopf. Das Wispern erstarb.             Die unbesiegbare Sonne brannte in meinem Nacken, an dem noch immer Rötungen zu erkennen sein mussten. Unbewusst berührte ich die Stelle mit meinen Fingerspitzen, spürte den perlenden Schweiß, der sich gebildet hatte in diesen erbarmungslosen Strahlen des Helios. Doch plötzlich war gar nicht mehr die Sonne warm, sondern sein Atem. Ich sträubte mich, als die Bilder vor mir auftauchten. Seine Arme um meine Seiten. Sein Unterleib an meinem Rücken. Er ... in mir. Und sein lüsterner Atem in meinem Nacken. Dieser Hauch, der mich Tag und Nacht peinigte ... Wobei, nein ... Mich mit aller Kraft in die Realität zurückziehend stellte ich fest: Das war kein Atem. Es war der Wind, der drehte. Und der Geruch, den er mitbrachte, drohte tödlich zu sein.             Zögernd, in vollem Bewusstsein, meinem Untergang entgegenzublicken, wandte ich mich um, den Speer erhoben, doch was konnte dieses dünne Stück Holz ausrichten gegen – das? Durch den Rauch, den der Wind langsam auseinander schob, sah ich mich einem vollausgewachsenen Löwen gegenüber; ob er Menschen fraß oder nicht, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls hefteten sich die gelben Augen in diesem gewaltigen Kopf, beinahe auf der Höhe meines eigenen, fest auf mich. Ein Knurren kam aus dem geöffneten Mund mit Reißzähnen so lang wie meine gesamte Hand. Ich erstarrte. Pfeil, Bogen, Speer und auch das Schwert an einem Gurt um meine Hüfte vergessen. Flucht zwecklos. Ich starrte meinem Verderben entgegen, hier in dieser surrealen Wüste. Ich wusste es. Die Vögel hatten es vorausgesagt. Die Jagd stand unter schlechten Auspizien. Die steinige Küste Libyens, die wir auf unserer Reise durch die Provinzen passierten, erinnerte mich an meine Heimat am Pontos. In einem der Dörfer, die wir besuchten, hörten wir von einem Löwen, der schon mehrere Bewohner getötet und mitgenommen hatte, um sie zu fressen. In der Wüste weiter im Landesinneren sollte er sich aufhalten, wenn er nicht zum Fressen ins Dorf kam. Nun war es seine Aufgabe, das Problem zu lösen. Da er Tierhatzen ohnehin genoss und die Jagd seit Jahrzehnten leidenschaftlich betrieb, fiel die Wahl nicht schwer: Der Löwe musste getötet werden. Da es sich aber um kein ungefährliches Unterfangen handelte, mussten vorher Auspizien eingeholt werden: Die Vogelschau konnte uns sagen, ob das Unternehmen glücken würde oder nicht. Genau für solche Fälle reiste unsere Gruppe immer mit mindestens einem Auguren.             Zum Zweck der Vogelschau versammelten sich alle vor dem Dorfeingang. Er herrschte über den ganzen Vorgang in seinem Brustpanzer und seinem dunkelroten Militärmantel. Ich hingegen nahm möglichst unauffällig meinen Platz rechts neben ihm ein, so nah, unsere Knie hätten sich berührt, wenn ich meine Beine nicht angezogen hätte. Bei der Vogelschau galt es immer zu warten: Zunächst mussten die Vögel auftauchen. Solange der Augur vor uns stand und den Himmel absuchte, blieb es ruhig unter allen Umstehenden. Die libysche Hitze machte ihnen zu schaffen. Und ich nahm den Geruch seiner Haut neben mir wahr. Gesalbt. Leicht verschwitzt. Wie in der Nacht zuvor ...             Als er fertig war, knabberte er an meinem Nacken. Er tat gerne so, als wäre alles normal. Vielleicht flüsterte ihm die Nacht nicht ins Ohr. Vielleicht hörte er nichts. Sah nichts. Schlief einfach ein. Ruhig. Wie im Tod, dem allmächtigen Zwillingsbruder des Schlafs. Vielleicht ließ ihm seine Seele Ruhe. Ich wüsste zwar nicht, wieso. Aber so schien es zu sein. Ich sah ihn ja. Friedlich schlummern. Jede Nacht. Stundenlang konnte ich ihn so im Dunkel beobachten, bis die frühen Morgenstunden auch mir Schlaf brachten, Hypnos, den süßesten aller Liebhaber. Denn obwohl er mich regelmäßig durchrüttelte und mich nicht minder erschöpft als vorher zurückließ, musste ich ihn mögen. Wer sonst sollte mir jemals Erlösung bringen, wenn nicht die Götter?             Die Antwort folgte prompt. Während mich Erinnerungen und ungebetene Gedanken überrollten, flogen, von mir völlig unbemerkt, die ersten Vögel. Ich bekam es zwar nicht mit, doch es musste so sein. Denn – getragen von der Brise, als ob sie über einen unsichtbaren Faden mit dem Himmel verbunden wäre und sichergehen wollte, dass sie ihr Ziel fand – langsam und allmählich segelte eine schwarze Feder auf meinen Schoß, wo sie auf dem Rock meiner gegürteten weißen Tunika liegen blieb. Mit angehaltenem Atem starrte ich die Feder an. Bei der Größe musste ein Geier sie gelassen haben. Trotz Hitze gefror mein Körper von innen, als ob mir ein Eissamen in den Magen gerutscht wäre: Durch die Blutgefäße breitete sich die Kälte aus, bis sie meine Arme, meinen Nacken, meine Schenkel erreicht hatte.             „Herr.“ Ich schreckte aus meiner Starre. Der Augur hatte sich uns genähert, um das Ergebnis der Vogelschau zu verkünden. „Es steht fest. Die Jagd auf den Löwen ist keine gute Idee. Du wirst verlieren, was dir lieb und teuer ist. Die Götter verkünden es so und werden ihr Wort mit einem Zeichen bestätigen.“             „Und was soll das sein?“, fragte er spöttisch. Der Augur sah an ihm vorbei zu der Feder, die ich zwischen die Finger genommen hatte und hochhielt. Auch er wandte sich um. Stille breitete sich aus. Sein strenger Blick unter den zusammengezogenen Augenbrauen richtete sich fest auf mich, während ich versuchte, ihn stumm um Hilfe zu bitten. Er nahm mir die Feder ab. „Ist die von einem Geier?“             Der Augur legte den Kopf schief. „Nein, eine Geierfeder ist sogar doppelt so groß. Ich würde sagen, diese ist ... von einem Ibis, Herr. Sie leben am See hier im Ort.“             Er versank in nachdenklichem Schweigen. Mein Herz raste. Die schwarze Feder und die Vorhersage des Auguren ließen mich an der Unternehmung zweifeln. Ich wollte diesen Löwen nicht jagen. Die Jagd war auch ohne schlechte Vorzeichen gefährlich, gerade auf Raubtiere. Schließlich richtete er sich auf. „Unsinn. Wir werden diesen Löwen jagen und erlegen.“             „Aber Sebaste!“, rief ich aus. Der Kopf des Kaisers fuhr zu mir herum.             „Erinnerst du dich, wie ich einst einen Eber mit einem einzigen Pfeil getötet habe?“ Ich nickte zögernd. „Nun, für den Löwen werde ich vielleicht drei mitnehmen. Und du wirst dabei sein, wenn er tot zu Boden fällt.“ Im Moment sah es danach allerdings überhaupt nicht aus. Der Löwe kam langsam in einem Bogen auf mich zu, die gelben Augen starr auf mich gerichtet, die hellbraunen Pranken nacheinander vom Sand hebend, und ich spürte bereits Hypnos‘ Bruder Thanatos angenehm über meine Haut streichen: Er versprach mir ewige Treue. Kein Leiden mehr. „Antinoe ...“, flüsterte er mir ins Ohr, körperlos. „Komm zu mir ...“ Und als er mich auf die Lippen küsste, zog er meinen Atem mit sich, umschloss meine Gliedmaßen in diesem angenehmen ... Nichts ...             „Antinoe!“ Deutlich lauter hörte ich meinen Namen in der Wüste widerhallen, als auch schon ein Pfeil die Flanke des Löwen traf. Er brüllte und wandte sich um, woraufhin ein weiterer Pfeil in seiner Stirn landete. Nun kreischte er, versuchte, den Pfeil aus seinem Kopf zu schütteln, rasend und erbost, als er scheiterte. Dennoch preschte der Kaiser auf ihn zu, den Speer erhoben, den er ihm in der Folge in die Brust rammte und wieder hervorzog. Der Löwe strauchelte; Blut quoll aus der Wunde. Ein letzter Pfeil, aus direkter Nähe abgefeuert, traf ihn zwischen die Augen. Der mächtige Kopf sank zu Boden. Der Sand begann sich rot zu verfärben. „Antinoe!“, schalt mich der Kaiser nun. „Warum hast du nicht gerufen, als du den Löwen gefunden hast?“             „Er hat mich gefunden!“, rief ich, höher als beabsichtigt.             „Und warum tust du dann nichts?“ Der Kaiser kam auf mich zu, packte mich an beiden Oberarmen und schüttelte mich leicht. „Bist du in Ordnung?“             Statt eine Antwort zu geben, sah ich in seine Augen, klein, etwas eng zusammenstehend. Alt. Und verängstigt. Er zog mich an sich und küsste mich, mitten vor der ankommenden Jagdgesellschaft. Ich legte meine Hände an seinen Brustpanzer, eigentlich in der Absicht, ihn wegzudrücken, doch ich konnte die Kraft nicht aufbringen. „Ich bin nicht sicher“, sagte ich, als er mich schließlich losließ.             Statt seiner Hände erinnerte ich mich an Thanatos‘ Gefühl auf meiner Haut, seine Umarmung, seine kühle Berührung. Erneut wisperte die Wüste mir zu, doch mein Blut rauschte noch immer zu laut in meinen Ohren, um geflüsterte Worte zu verstehen. Das Blut des leblosen Löwen ergoss sich hingegen weiter über den Sand. Es hätte auch meines sein können, überlegte ich, während ich angewidert beobachtete, wie die Lache immer größer wurde. Die Ibisfeder hatte mir gesagt, dass es meines hätte sein sollen.             Der Ibis ... bedeutete Gefahr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)