Gesangstalent von Yuri_Prigio ================================================================================ Kapitel 2: Die Proben --------------------- Am nächsten Morgen schleppte Enya sich vor das Musikzimmer. Da ihre Eltern zum Hoforchester gehörten, war die Wohnung entsprechend geräumig und fast schon luxuriös eingerichtet. Nahezu in jedem Raum stand ein Flügel, selbst in ihrem Kinderzimmer. Doch ihrer war eher die Jugendausgabe für noch nicht volljährige Meermenschen. Ständig fragten ihre Eltern sie, wann sie dem Orchester endlich beitreten würde. Sie wäre so eine Bereicherung. Doch Enya sah sich selbst nicht als Teil eines Orchesters. Dort würde sie nur den strengen Vorgaben folgen, nur spielen, was man ihr sagte und immer in langweiligen farblosen Konzerten sitzen. Das war nicht Enyas Welt. Für sie war Musik keine Arbeit, es war ihre Zuflucht. Sie spielte zum Spaß, nicht um Erwartungen zu erfüllen. Sie probte auch nicht um fehlerfrei zu spielen. Was waren schon Fehler, höchstens kleine glückliche Unfälle. Während Enyas Gedanken sich weiter um den Sinn der Musik in ihrem Zuhause drehten, starrte sie die Tür des Zimmers immer noch an. Dann atmete sie tief ein und schwamm hinein. „Wenigstens bist du pünktlich“, hörte sie ihren Vater unbeeindruckt sagen, während Enya zur Mitte des Zimmers schwamm. Die hohen Bogenfenster ließen viel Licht in den Raum, die Säulen an ihren Rändern waren von Blaumuscheln umsäumt. Der perlenfarbene Flügel stand zwischen den Fenstern. An der rechten Wand stand der massive Arbeitstisch von Enyas Vater. Auch jetzt saß er daran, den Kopf gesenkt und in einigen Notenblättern versunken. „Natürlich Vater.“ Enya hatte sich entschlossen, die Tortur des Probens und des grässlichen Auftritts einfach schnell hinter sich zu bringen. Kalt, emotionslos, vielleicht konnte es ihr so gelingen, ihre Panik zu unterdrücken. „Gut, wir fangen direkt an. Ich nehme an du kennst die ‚Arie des Meeres‘?“ „Selbstverständlich. Das lernen alle Kinder in den ersten Jahren der Musikerziehung.“ „Fabelhaft, wie viele Strophen kennst du auswendig?“ Enya überlegte kurz. Das letzte Mal, als sie das Lied im Kinderchor gesungen hatte, war schon einige dutzende Monde her. „Drei müsste ich noch hinkriegen.“ „Nicht schlecht. Beim Konzert musst du allerdings alle sieben vortragen.“ Enya wurde wieder flau im Magen, während ihre Schuppen sich in ein blasses Blaugrau verfärbten. Sie versuchte dem Kloß in ihrem Hals nicht nachzugeben und sammelte kurz Kraft. „Verstehe.“ Die Silben krochen förmlich aus ihrem Mund. Ihrem Vater schien die Verfassung seiner Tochter zumindest nicht aufzufallen oder er ignorierte sie. „Dann sing einfach mal die Strophen die du kannst. Dann werde ich auch gleich beurteilen, woran wir noch arbeiten müssen.“ Enya schwamm Richtung Fenster. Wenn sie nach draußen auf die schönen Anemonen und Korallen blickte, fühlte sie sich etwas besser. Den strengen Blick ihres Vaters ignorierend begann sie zu singen. Nach der dritten Strophe gab sie sich ein paar tiefe Atemzüge, bevor sie die Augen wieder öffnete und sich umdrehte. Der Blick des Hofkomponisten ruhte zu ihrer Überraschung nicht auf ihr, sondern auf dem Flügel. „In Ordnung, ja das ist eine gute Basis.“ Er murmelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin, während er im Raum auf- und abschwamm. Mit der einen Hand hielt er sein Gesicht und die andere streng hinter seinem Rücken verschränkt. „Okay. Folgendes Enya, wie erwähnt hast du bereits eine gute Basis. Du triffst die Töne im Großen und Ganzen sehr sicher, hier müssen wir nur an Details feilen. Die hohen Töne brechen kaum merklich weg, das merzen wir aus. Und du musst darauf achten nicht mittendrin schneller zu werden. Das zum gesanglichen Part.“ „Okay, verstehe und was noch?“ Enya schwante Übles. „Dein Auftreten. Daran müssen wir natürlich auch arbeiten. Du kannst auf der Bühne des Lebens nicht in die Leere schauen, und die Augen schließen schon gleich gar nicht. Du musst selbstbewusst vor das Publikum treten. Dein Gesang muss auch bis in die letzten Reihen zu hören und zu verstehen sein. Nimm mal eine aufrechte Haltung ein.“ Enya tat wie ihr befohlen und versuchte den Blick starr geradeaus zu halten. „Lass die Schultern entspannt, halte die Hände vor deinen Bauch. Ja gut so. Deinen Schwanz leicht nach rechts biegen, Kinn etwas runter. Kiefer nicht anspannen. Ja so sieht es annehmbar aus. Jetzt sing nochmal.“ Enya spürte, wie der Kloß in ihrem Hals sich zurückmeldete, doch sie blieb eisern und sang. Diesmal mit ihrem Vater direkt vor sich. Die Probe schien einfach kein Ende zu nehmen. Genauso wird es morgen auch ablaufen, Übermorgen auch und das Konzert wird sich ebenfalls so anfühlen. „Nicht leiser werden, denk an die Bauchatmung!“ Nach einer schier endlosen und anstrengenden Probe war Enya für den Tag endlich entlassen. Bis morgen sollte sie die restlichen Strophen auswendig lernen und auf ihre Haltung achten. Und Wandertag war auch noch angesagt. Sie solle sich die heilige Stätte schon einmal ohne Publikum anschauen. Dann kenne sie die Örtlichkeiten bereits und wäre vielleicht nicht ganz so nervös. Innerlich verdrehte Enya die Augen. Sie wollte sich nun in ihrem Zimmer ausruhen. Mit einem alten Märchenbuch auf dem Schoss genoss sie endlich etwas Entspannung. Sie machte es sich in ihre Ecke voller Kuschelanemonen bequem und blickte zum Fenster hinaus. Nach ein paar ruhigen Atemzügen widmete sie sich wieder ihrem Buch. Ruhe war allerdings Definitionssache, zumindest wenn man ihre Mutter fragen würde, welche ebenfalls für einen Auftritt probte. Als ihr hohes C Enya erneut aus dem Lesen und damit aus dem Märchen der Magischen Perle und der Seehexe riss, beschloss sie sich woanders einen ruhigeren Leseplatz zu suchen. Sie schnappte sich ihre Umhängetasche, verstaute das Buch und ihre kleine Harfe darin. Man weiß ja nie. Erst schwamm die junge Meerjungfrau planlos umher, die Probe hatte sie wohl geistig stärker ausgelaugt, als sie vorher dachte. Wie sollte sie die nächsten Tage nur überstehen? An einer Gabelung hielt sie inne. Nach rechts ginge es zur Schule mit einem großen Park nebenan. Nach links ging es zur heiligen Stätte. Enya wägte kurz ab, schwamm dann aber doch Richtung heilige Stätte. Zumindest war ihr dort Ruhe garantiert. Außerhalb von Festigkeiten verschlug es kaum Meeresvolk dahin, und das nicht nur wegen den Geistergeschichten. Sie erreichte die Rosenhecke, welche die gesamte Stätte umfasste. Es gab nur einen Zugang, durch ein großes eisernes Tor. Enya schob sich hindurch, ohne die Stangen zu berühren. Auch wenn sie nicht viel auf Gruselgeschichten gab, allein die Tatsache, dass Dinge und Pflanzen aus der Oberwelt hier existierten, jagte ihr immer wieder einen Schauer über den Rücken. In ihrem Buch stand die erste Überlieferung über die heilige Stätte beschrieben. Enya durchquerte den Garten, vorbei an verschiedenen Rabatten, welche in Wellenform angelegt waren. Außen wuchsen Sonnenblumen, innen Chrysanthemen und dazwischen tanzten die Anemonen. Das Farbenspiel der Blüten war schon faszinierend. Die Rabatten machten einen Kreis in dessen Mitte eine Statue stand. „Königin Perilia, die Erste Auserwählte“ war auf dem Sockel zu lesen. Sie hielt ein Schwert in ihrer linken Hand nach oben gestreckt und in ihrer Rechten eine Perle mit blauem Schein. Die Haare der Königin waren kurz, aber weiblich und ihre Rüstung sehr detailliert dargestellt. Ihr Fischschwanz ragte nach hinten so dass ihre Pose Angriff und Anmut vereinte. Enya schwamm weiter und erreichte schließlich den großen Platz im Zentrum. Eine kleine Erhöhung in der Mitte formte die Bühne. Pflanzen gab es hier kaum welche, doch ein ganzes Stück weiter hinter der Bühne, konnte Enya einen Dornenhügel erkennen. Sie blickte sich um und fand etwas abseits eine kleine Wiese mit Gras von der Oberwelt. Dort ließ sie sich nieder und schlug ihr Märchenbuch wieder auf. Wenn sie schon einmal hier war, konnte sie auch das Märchen der heiligen Stätte lesen. Vor vielen unzähligen Monden lebten die Welt der Erde und die Welt des Meeres im Gleichgewicht und Frieden miteinander. Doch dieser Frieden wurde gestört, dunkle Magie und diejenigen, welche sie anwendeten brachten das Gleichgewicht ins Schwanken. Die Folge waren Beschwörungen von furchtbaren Seemonstern und Dämonen, welche beiden Welten zu zerstören drohten. Viele Monde lang herrschte ein furchtbarer Krieg und ein Ende war nicht in Sicht. Es war hoffnungslos, bis die damalige Königin Perilia den Kristall des Meeres entdeckte und damit den Kristall der Erde erschuf. Sie wählte einen würdigen Menschen aus der Oberwelt aus und gemeinsam versiegelten sie die Monster mitsamt der dunklen Magie. Doch das Siegel währt nicht ewig. Von Jahr zu Jahr verliert es mehr an Kraft und wird schwächer. Deshalb werden die Kristalle des Meeres und der Erde alle fünfzig Menschenjahre von den Nachkommen der damaligen Helden geweckt und das Siegel erneuert. Diese Zeremonie kannte Enya, die letzte fand vor 15 Jahren statt. Die erstgeborene Tochter des Königspaares war alt genug, um den Kristall des Meeres zu benutzen. Das Ritual war ein ziemliches Durcheinander gewesen. Auch wenn Enya sich nicht mehr genau an alles erinnern konnte, immerhin war sie damals noch sehr klein, war es eine großartige Lichtershow gewesen. Der Kristall schickte Strahlen aus und die Prinzessin schwebte über das Publikum, dann folgte ein lauter Knall und sie war verschwunden. Was für ein cooler Trick. Angeblich war die Königstochter nach der Show wirklich verschollen, aber vermutlich wollte sie nur der arrangierten Hochzeit entgehen und ist abgehauen. Immerhin hatte sie sich schon immer den Regeln widersetzt. Zumindest erklärte Enyas Mutter das Ganze so. Die Zeit verging, doch Enya bemerkte das erst, als das verschwindende Licht es ihr zunehmend erschwerte in ihrem Buch zu lesen. Sie entschied sich nach Hause zu schwimmen. Beim Passieren der Bühne, wurde sie von einer Strömung erfasst. Ihre Haare wirbelten in alle Richtungen und sie hob ihre Arme, um ihr Gesicht zu schützen. Es war Delf. „Enya Schätzchen, was hast du hier draußen verloren, an diesem nicht sehr ansprechenden Ort?“ „Delf, musst du immer so einen Auftritt hinlegen? Meine Haare sehen jetzt aus wie ein Clownfisch Nest.“ „Ach was.“ Delf wirbelte schnell zum Kopf seiner Freundin und schwamm durch ihre Haare, bis sie wieder ihre Ursprungsform angenommen hatten. „Gehört das dir Enya?“ Delf deutete auf ein vergilbtes Blatt Papier, das auf der Bühne lag. „Oh, vielleicht gehört das zu meinem Märchenbuch. Moment.“ Sie hob das Blatt auf und schaute sich den Inhalt an. „Das sind Noten und Text zur ‚Arie des Meeres‘. Aber die Tonart ist anders, an manchen Stellen weicht die Melodie auch ab von der Version, die ich kenne. Da in der Ecke ist eine Harfe eingezeichnet, wie hübsch.“ „Ich dachte es gibt nur eine Version?“ „Dachte ich auch.“ „Kannst du sie singen?“, fragte Delf vorsichtig, wohlwissend, was das für eine Überwindung für Enya bedeutete. Sie warf ihrem kleinen Freund einen bösen Blick zu. „Ich werde erst mal nur die Melodie summen.“ Enya zog ihre Harfe aus der Tasche und legte sich die Noten auf den Schoß. Dann begann sie zu summen. Auch wenn die Melodie beiden sehr gut bekannt war, klang diese Version irgendwie schöner und klarer. Ehrlicher. Ihr Summen formte sich schneller zu Worten, als Delf erwartet hatte. Eine schwache Strömung kam auf, die kurz darauf stärker wurde. Enya fing an, auf ihrer Harfe die Noten zu zupfen. Das Wasser um sie begann zu sprudeln. Delf blickte sich erstaunt um. Die Blasen wirbelten spiralförmig um die beiden Freunde Richtung Oberfläche. “Enya?“ Sie sang unbeirrt weiter. Erst jetzt bemerkte Delf, dass der Blick seiner Freundin ganz leer und glasig auf die Noten gerichtet war. Bekam sie das Ganze gar nicht mit? Sie sang und zupfte an ihrer Harfe. Schließlich beruhigten sich die Luftblasen und gaben die Sicht wieder frei. Vor den Beiden schwebte eine Harfe, eine aus fließendem Wasser, obwohl sie sich im Meer befanden. Die Harfe sah wunderschön aus, sie glänzte durchsichtig in einem beruhigenden Blauton. Ihre Saiten wirkten wie ganz dünne Strömungen, welche anmutig von ihren Perlenhaltern an der oberen Spirale zum unteren Körper in Form einer Miesmuschel flossen. Die kleine Musikerin sang immer noch weiter. „ENYA! WACH AUF!“ Enya schreckte von dem lauten Schrei ihres Freundes panisch auf. „Was hast du für ein Problem? So schlimm war es doch jetzt auch nicht.“ „Sach mal, kriechst du gar nichts mehr mit du Hohlbirne?“, vor Schock vergaß Delf sogar seine feine Ausdruckweise. „Bist du Blind oder wat? Du hast zig Strömungen aufgeweckt und dann das da hergezaubert.“ Enya blickte verwirrt in die zornigen Augen ihres Freundes und sie blinzelte. Irgendwie konnte sie sich kaum an ihr Spiel erinnern. Ihre Gedanken waren schwammig, dann bemerkte sie die Harfe. Ihre Augen vergrößerten sich um mindestens das doppelte und sie stolperte zurück. „Was? Was ist das?“ Bei ihren Worten schaute sie Delf mit einem unsicheren Grinsen an. „‘ne Harfe du Genie! Ick weeß jo net wat du gemacht hast, aber die Harfe ist jetzt da.“ Enya wagte es kaum die Harfe zu berühren. Sie schwebte da einfach seelenruhig vor ihnen. Zerbrechlich wie Glas schimmerte sie mit ihren hauchdünnen Saiten im Licht der Abenddämmerung. Ganz sachte strich Enya mit ihren Fingern über die obere Kante des Instruments. Eine angenehme Kühle erfasste ihre Hand. Langsam näherte sie sich den Saiten und zupfte leicht an der ersten. Der Klang war leise aber kristallklar. So einen Ton hatte Enya noch nie zuvor gehört. Mit immer mehr Mut berührte sie die Harfe und lehnte sie sich gegen die Schulter. „Du willst nicht allen Ernstes auf dem Zauberdingsda spielen oder?“ Delfs Schuppen waren ganz grau geworden. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Es ist und bleibt eine Harfe, oder?“, flüsterte Enya mehr zu sich selbst als zu ihrem Freund und begann die Melodie eines Kinderliedes zu zupfen. Die einzelnen Klänge verbanden sich zu einer fröhlichen Melodie, welche alles Dunkle hell erscheinen ließ. Alles Schwere wurde leicht, alle Sorgen verschwanden. Mit einem Mal war Delfs Farbe wieder normal und die Furcht war auch vergessen. Als Enya aufhörte, starrte sie Delf an und er starrte nur zurück. Doch ihre Gedanken konnte sie gar nicht soweit ordnen, da löste sich die Harfe schon wieder auf. Die Luftblasen tanzten noch etwas bevor sie in Richtung Wasseroberfläche stiegen, von den Blicken ihrer Bewunderer verfolgt. „Okay, was in aller Welt hat sich hier eben zugetragen?“ Delf hatte sich halbwegs wieder gefangen und versuchte sein vornehmes Auftreten erneut aufzunehmen. Es war ihm immer peinlich, wenn sein Dialekt zum Vorschein kam, weshalb Enya es nicht kommentierte. Auf dem Weg nach Hause passierten die beiden Freunde den Schulhof. Gelächter drang vom Spielplatz zu ihnen, wohl die letzten Kinder, welche noch nicht aufhören wollten zu spielen. „Ich habe keine Ahnung was das war. So etwas habe ich noch nie gesehen oder erlebt. Gehört oder gelesen auch nicht. Und du behauptest, ich war wie in einer Art Trance beim Spielen und Singen?“ „Ja, die Sprudelblasen haben alles durcheinander gewirbelt, doch du hast unbeirrt weitergesungen.“ „Ich weiß gar nicht mehr, dass ich gesungen habe. Ich wollte doch nur die Melodie summen.“ „Erzählst du es deinen Eltern?“ „Nein, erst mal nicht. Wenn ich meinem Vater von einer magischen Wasserharfe berichte, denkt er, ich hätte endgültig den Verstand verloren. Aber vielleicht weiß meine Mutter etwas darüber. Sie ist nicht ganz so engstirnig was Märchen, Legenden und Magie angeht.“ Vor dem Schlafen gehen kuschelte Enya sich in das Wohnzimmer. Sie machte es sich auf dem Liegesofa bequem und merkte wie ihre Muskeln, vor allem ihr Rücken, zu entspannen anfingen. Sie hatte jedes Bücherregal in der ganzen Wohnung durchforstet, konnte aber nichts in Richtung magische Wasserinstrumente finden. Also blätterte sie schläfrig weiter in ihrem Märchenbuch, als ihre Mutter in den Raum schwamm. „Hey Schätzchen. Wie geht es dir? Ich hoffe dein Vater nimmt dich nicht zu hart ran mit den Proben.“ Sie setzte sich neben Enya und streichelte ihr über das Haar. Enya mochte das sehr gern und legte ihren Kopf auf den Schoß ihrer Mutter und kuschelte sich an sie. „Es geht. Hatte es mir schlimmer vorgestellt“, murmelte sie in die Schuppen ihrer Mutter. „Glaub mir Schatz. Irgendwann wirst du um diese Erfahrungen froh sein. Wer weiß, vielleicht wirst du doch noch eine professionelle Musikerin oder Sängerin.“ „Gibt’s noch professionelle Harfenspieler?“ „Nein Schatz. Es gib ja kaum noch Musiker, die die Harfe beherrschen.“ „Oma und Opa spielten sie beide.“ „Das ist richtig, aber für sie hatte das Harfenspiel einen nostalgischen Wert. Wegen einer antiken Harfe haben sie sich kennengelernt. Beim Flohmarkt. Die Geschichte kennst du doch.“ „Haben Oma und Opa auch mal Harfen gezaubert oder hatten sie Zauberharfen?“ „Wie Zauberharfen?“ „Naja, Zauberspruch blabla und tadaa da ist eine Harfe.“ Auch wenn Enya den Blick ihrer Mutter nicht sah, spürte sie die Verwunderung in der kurzen Stille. „Wie kommst du auf so etwas?“ „Ich hab da mal was gelesen“, log Enya. Nach einer weiteren kurzen Pause, wuschelte ihre Mutter ihr ganz schnell durch die Haare um zu signalisieren, dass sie aufstehen wollte. „Meinst du vielleicht die Echotechnik zur Wasserkontrolle? Damit könnte man eine Harfe ‚herzaubern‘.“ Enya stützte sich auf ihre Hände und starrte ihre Mutter mit offenem Mund an. „Sowas geht?“ „Ist jetzt nicht direkt Magie, aber man könnte es damit verwechseln, wenn man die Technik nicht kennt. Warte kurz. Oma hatte da mal ein Buch irgendwo.“ Enya blickte gebannt ihre Mutter an, welche an den Bücherregalen auf- und abschwamm, sich nach links und rechts beugte und zum nächsten Regal wechselte. „Hier ist es. ‚Echo und die Macht der Schallwellen‘ Meine Mutter liebte diese kleinen Tricks. Was hat sie früher deine Tante und mich oft reingelegt. Ich erinnere mich noch gut, wie sie einmal behauptet hatte, ein Geist würde uns heimsuchen kommen, wenn wir unsere Hausaufgaben nicht so schnell wie möglich erledigten. Wir haben sie nur ausgelacht und weiter gespielt und die Aufgaben erst abends erledigt. Doch als wir beide aus dem Bad und in unser Zimmer wollten, schwebten unsere Spielsachen im Raum und eine Geistergestalt baumelte in der Mitte. Wir schrien nur noch und schwammen so schnell wir konnten nach draußen. Erst nachdem Opa das Zimmer dreimal inspiziert hatte, trauten wir uns wieder hinein.“ „Das war aber ziemlich gemein von Oma.“ „Da sagst du was. Unsere Aufgaben haben wir ab da natürlich als Erstes erledigt, bis wir alt genug waren und Oma uns aufklärte. Man waren wir da sauer, mussten aber direkt mitlachen. Denn auch wenn wir eine riesen Furcht hatten, es war ein gelungener Trick.“ „Beherrschst du diese Technik auch?“ „Nein, ich habe es früher mal versucht, aber schnell das Interesse daran verloren. Mein Gesangsunterricht war mir auch einfach wichtiger.“ „Kann ich das Buch haben?“ „Klar, lese es dir nur durch, es ist ganz unterhaltsam.“ „Danke Mama.“ „Gerne. Bleib aber nicht mehr so lange auf, Schatz. Du hast morgen früh die nächste Probe. Schlaf schön.“ Enyas Mutter hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und schwamm aus dem Zimmer. Die Hände auf dem Buch abgelegt, stahl sich ein Lächeln auf Enyas Gesicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)