Als die Dunkelheit das Licht verschlang von Seelendieb (Buch I: Hohepriester Chaths) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel I -------------------- Chaths richtete sich langsam auf, als er die ersten Vogelstimmen hörte. Gedankenverloren blickte er auf seine Hände und atmete tief durch. Drei Monde war es nun her, dass er hier ankam und er begriff immer noch nicht, wie Hohepriester Ausar es geschafft hatte, ihn vollständig zu heilen. Leise seufzend stand er auf und ging zum Brunnen, um sich zu reinigen. Seit etwa fünf Sonnenläufen war er soweit fit, dass er arbeiten konnte. Er sollte zum Hohepriester ausgebildet werden, weil er Amsu, wenn dieser einmal Pharao war, zur Seite stehen sollte. Chaths schnaubte leise. Er bezweifelte, dass ein Hohepriester Boden putzen musste. Nichts anderes machte er nämlich. Boden putzen. Und heute sollte er anfangen die großen Statuen zu putzen. Oh wie sehr er sich darauf freute. Chaths fragte sich sowieso, wie man auf diese kranke Idee kam, ihn zum Hohepriester ausbilden zu wollen. Die Götter konnten ihm den Buckel runterrutschen – mal davon abgesehen, dass er bis jetzt nie irgendeinen Beweis bekommen hatte, dass diese komischen Figuren auch wirklich existierten – und die hohen Herrschaften, allen voran der Pharao sollten doch in der Verdammnis verfaulen! Als Chaths sich gereinigt hatte, warf er sich das grobe Leinentuch wieder um und band sich die Tunika geschickt. Noch durfte er diese tragen, um seinen Körper zu schonen. Dann ging sein Blick zur aufgehenden Sonne und er vergaß alles um sich herum. Ausar beobachtete aus dem Schatten heraus Chaths. Er verstand, warum Amsu unbedingt das Leben von diesen Straßenkind erhalten wollte, aber er verstand nicht, warum es zum Hohepriester ausgebildet werden sollte. Er hatte sehr schnell bemerkt, dass Chaths Glauben an die Götter, praktisch gesehen, überhaupt nicht existierte und er würde auch vor dem Pharao ausspeien. Chaths war respektlos, sehr aufbrausend und voller Wut und Hass. Und dennoch, als er den Jungen so verträumt in den Sonnenaufgang blicken sah, musste er an die tiefe Demut und Dankbarkeit denken, die ihm jedes mal für scheinbare Selbstverständlichkeiten begegneten. Chaths war dankbar für jeden Tropfen Wasser und für jedes nette Wort. Deshalb wusste Ausar auch, dass er alles versuchen würde, damit Chaths diese Chance, die er jetzt bekam, nicht nur nutzen, sondern auch zu würdigen wissen würde. Doch noch war er ein Kind, dass jetzt zwar Grenzen und Regeln lernen musste, aber immerhin ein Kind! Und so sollte der Kleine noch etwas Kind bleiben. Chaths saß zwischen den Beinen der großen Anubisstatue im Schatten und machte Pause. Irgendwie hatte er keine Lust mehr. Seine Aufgabe war, alle Götterstatuen hier auf dem Platz zu reinigen. Es waren zwar nur fünf Götter, aber es war dennoch eine langwierige Arbeit. Er hatte schon begriffen, dass dieser Platz hier wohl ein Zeremonienplatz oder so was war. Hier waren alle wichtigen Götter des Totengerichtes, außer der Ma'at, was Chaths wiederum merkwürdig fand. Er musste da mal Ausar fragen. Auf jeden Fall war dieser Platz kreisrund und in der Mitte stand eine Säule. Zwischen den einzelnen Göttern konnten Gefangene gefesselt werden. Ja, es war der gleiche Platz, an dem Chaths in den Seilen hing, bevor Ausar ihn losgebunden hatte. Wenn man es genau nahm, passte es auch auf eine makabere Weise, dass hier an dem Platz, an dem laut den Überlieferungen über die Toten gerichtet wird, Ausar über die irdischen Angeklagten richtete. Schließlich stand Ausar für Osiris und Osiris war nun mal der Totenrichter. Wie dem auch sei. Chaths hatte die Statuen zu reinigen. Ammit war eigentlich sehr schnell fertig gewesen. Auch für Thot hatte er nur einen Tag gebraucht. Für Osiris zwei Tage und so eben war er mit Horus fertig geworden, mit dem er gestern früh begonnen hatte. Jetzt fehlte eigentlich nur noch Anubis... Chaths musterte die Säule vor sich. Sie war schlank und trug keinerlei Verzierungen. Langsam ließ er seinen Blick nach oben gleiten und stockte dann, als er die Schenkel der Waage erkannte. Die Säule war Ma'at! Er begann zu grinsen. Ob die Waage sich bewegen würde? Plötzlich horchte er jedoch auf. Unruhe kam auf und da hörte er seinen Namen rufen. Aber nicht von Ausar. Langsam erhob sich Chaths, trat aus den Schatten und stand einen grinsenden, komplett verdreckten und verschwitzten Amsu gegenüber. Langsam ließ Chaths seinen Blick über den Pharaonensohn gleiten. „Du hast auch schon bessere Tage gesehen...“, meinte er trocken und Amsu lachte schallend auf. „Hallo, Chaths. Ich hoffe, es ist dir nicht allzu schlecht ergangen. Aber wie ich sehe, geht es dir dennoch gut. Mein Vater und ich sind auf Durchreise und bleiben die Nacht hier. Mein Vater und Hohepriester Ausar wollen einiges besprechen und ich darf mit dir Zeit verbringen.“ Chaths blinzelte etwas verwirrt, als er versuchte den Fluss an Informationen zu verarbeiten. „Ich fasse zusammen: Wir haben Spaß?“, fragte er dann noch einmal nach und Amsu nickte. Da begann er breit zu grinsen. „Lass uns erst einmal schwimmen gehen. Das kühlt uns ab und du kannst dich reinigen“, schlug er vor und sein Gegenüber sagte nicht nein. Chaths saß am Beckenrand der riesigen Zisterne und beobachtete wie Amsu seine Bahnen zog. Ja, er war etwas neidisch, als er diese Eleganz und Kraft sah. „Kann es sein, dass du im Wasser geboren wurdest?“, rief er da leise und Amsu lachte warm auf. „Du wirst lachen, ich bin tatsächlich im Wasser geboren. Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich es wohl sehr eilig hatte. Und wie sieht es bei dir aus?“ Chaths blickte zur Decke und betrachtete die Bilder. „Ich denke, ich bin normal geboren. Ich weiß es nicht. Ich kann mich nur vage an meine Eltern erinnern. Ich weiß noch, dass wir eines Tages Besuch bekamen. Reisende. Sie bekamen zu essen und durften bei uns schlafen. Am nächsten Morgen waren sie bereits aufgebrochen und plötzlich standen die Truppen des Pharaos vor unserer Tür. Ich weiß noch, wie sie meinen Papa die Haut vom Rücken gepeitscht haben und wie meine Mama geschrien hatte. Mein Onkel hat mich im Vorratsloch versteckt und ich sollte erst wieder rauskommen, wenn ich einmal geschlafen habe. Ich schlief irgendwann ein und als ich wach wurde, stieg ich aus dem Vorratsloch und stand in den rauchenden Resten von unserem Heim.“ Amsu war langsam zum Beckenrand geschwommen, als Chaths erzählte und verharrte nun vor dessen Füßen. „Das tut mir Leid, Chaths. Du bist auf der Straße groß geworden?“, wollte er leise wissen. „Ja, Irgendwie habe ich es geschafft zu überleben. Und da war niemand, der mir half oder mich wärmte oder mich beschützte. Amsu, warum bin ich hier? Schau mich an! Ich kann weder lesen noch schreiben oder rechnen. Für mich sind die Götter nur die Bilder und die Steine da draußen. Der Pharao kann mir die Füße küssen. Wir können uns doch auch so treffen und Spaß haben. Also warum bin ich hier, Amsu?“, wollte Chaths leise, ja beinahe verschüchtert wissen. Amsu seufzte und stemmte sich aus dem Becken, um sich dann neben Chaths hinzusetzen. „Weißt du, Chaths, du hast ein Leben geführt, wovon ich träume. Frei, ungebunden, nur mein eigener Herr sein. Nur klingt es aus deinem Mund nicht annähernd so toll, wie ich es mir vorstelle. Meine Eltern lieben mich, ja. Aber dennoch bin ich der Thronerbe meines Vaters. Ich muss mich an Regeln und Gebräuche halten und darf die Palastmauern nicht ohne Erlaubnis und entsprechender Eskorte verlassen. Ich wünsche mir jemanden an meiner Seite, der mir auf Augenhöhe begegnet. Chaths, du hast mir imponiert. Ich habe an meinem Verstand gezweifelt, als du meintest, dass ich etwas besitze, was dir gehört. Und ja, ich hatte wirklich Spaß. Ich konnte einmal alles vergessen und normal sein. Danke, Chaths. Eigentlich war es lustig, wie wir aufgewacht sind. Ich habe immer noch keine Ahnung wie wir dorthin gekommen sind.“ Chaths gluckste leise vor sich hin und auch Amsu lachte warm. Wurde dann aber wieder ernst. „Es ist dem einfachen Volk verboten, den Pharao oder dessen Familie anzusehen, geschweige denn anzufassen und du hast auf mir geschlafen. Ja, man wollte dich öffentlich zu Tode foltern. Ich habe meinen Vater angefleht, dass ich jemanden an meiner Seite haben möchte wie dich. Er hat schließlich zugestimmt, jedoch die Bedingung gestellt, dass Hohepriester Ausar entscheiden soll. Denn die einzige Möglichkeit, immer jemanden an meiner Seite zu haben, ist ein Hohepriester zu werden. Dazu musstest du ihm vorgestellt werden. Du wurdest hierher gebracht und Ausar hat dich als seinen Schüler aufgenommen. Mein Vater hat dich begnadigt und öffentlich zu meinen Wegbegleiter ernannt. Du wirst an meiner Seite stehen, sobald ich zum Pharao ernannt werde.“ Chaths schwieg lange und ließ sich die Worte immer wieder durch den Kopf gehen. „Also sind wir Freunde?“, fasste er zusammen und Amsu nickte. „Genau, wenn du möchtest.“ Chaths zuckte mit den Schultern. „Warum nicht. Wird bestimmt lustig werden. - Aber jetzt was anderes. Da draußen steht die Ma'at. Meinst du sie bewegt sich?“ Amsu blinzelte verdutzt und dachte angestrengt nach. „Keine Ahnung.“ Da grinste Chaths frech und seine Augen funkelten. „Wollen wir es heute Nacht herausfinden?“ - „Mit dem größten Vergnügen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)