Willkommen im Bittersweet von Lycc ================================================================================ Kapitel 1: Earl Grey -------------------- Lustlos lief Reel zu dem kleinen Tisch in Fensternähe um die drei Mädchen, die dort saßen, abzukassieren, und trotz seiner finsteren Miene, seinem abweisenden Blick und seiner nicht zu verkennenden 'Lass mich in Ruhe'-Ausstrahlung lächelten sie ihm alle drei nahezu grenzdebil entgegen. Routiniert sortierte er den Schein ein und zählte das Wechselgeld ab. „Behalt´ den Rest“, kam es vielsagend von einem der Mädchen, das ihm nun mit einem Zwinkern die Rechnung über den Tisch schob, auf die sie offensichtlich mit Kugelschreiber irgendwas gekritzelt hatte. Kichernd schlüpften die drei in ihre Jacken und warf beim Verlassen des Cafés immer wieder wenig scheue Blicke über ihre Schultern. Mit einem resignierten Seufzen lud Reel das Geschirr auf sein Tablett und knüllte die beschriebene Rechnung in seine Hosentasche. Im Hinterzimmer des Cafés blieb Reel vor einer Pinnwand stehen und kramte die zerknüllte Rechnung hervor, auf der eine Handynummer, die alberne Verkürzung eines Mädchennamens und ein zwinkernder Smiley gekritzelt waren. Mit einem säuerlichen Grinsen pinnte er sie zu den anderen Rechnungen, Servierten und Papierschnipseln, die bereits an der Wand prangten und die mit Telefonnummern, Zeichnungen oder kleinen Botschaften übersät waren. Reels persönliches Hassobjekt stellte eine Servierte mit der Nachricht „Lach doch mal“ da, die der betreffende Spaßvogel ihm mit einem breiten Grinsen beim Bezahlen auf den Tresen gelegt hatte. Am liebsten hätte Reel den jungen, bebrillten Mann in diesem Moment eigenhändig des Cafés verwiesen, aber solche Dinge waren eben „Berufsrisiko“. Jeder Angestellte hier im Bittersweet-Café deckte einen Stereotypen ab und war dafür zuständig die Kunden nicht nur zu bedienen, sondern sie auch emotional zu binden. Reel war 'der Unnahbare' – keine schwere Aufgabe für ihn. Ravens Rolle war die der rebellischen 'mach keinen Scheiß'-Geschäftsführerin, die solange nett war, bis irgendeine Kleinigkeit sie aus der Haut fahren ließ. Außer ihnen beiden gab es noch die klassischen Personas, wie beispielsweise Lamia, die süßer als der Zucker in ihren Milchshakes war und ihre wohlgewählten Worte wie Honig über ihre Verehrer ergoss, die sich in der lieblich anmutenden Falle verfingen und teilweise ihre ganze Freizeit im Café verbrachten nur um sie besuchen zu können. Und selbstverständlich gab es mit Ravens Zwillingsbruder Corvo auch eine männliche Variante von Lamia – athletisch, charmant, anzüglich, aber insgeheim glücklich verlobt und momentan im Urlaub mit seiner besseren Hälfte. Alles in allem ein ausgesprochen cleveres Geschäftskonzept und im reichsten Bezirk der Stadt auch erfreulich lukrativ. Die Idee an sich war auch nicht das Problem. Reel arbeitete gern im Bittersweet und musste sich dank seines hübschen Gesichts nicht großartig verstellen um die anziehende Wirkung auf einige Gäste zu haben, die Raven sich von ihm wünschte. Was ihm wirklich auf den Keks ging, war die Objektinfizierung, der er dabei jedes mal ausgesetzt war und der seine Gäste ganz schamlos frönten. Niemand hatte etwas gegen Komplimente, interessierte Blicke, hohes Trinkgeld oder zugesteckte Handynummern, aber mit seinem düsteren Aussehen und dem Klischee des „Badboys“, trug er auch ganz unfreiwillig das Label als 'interessantes Abenteuer' und wurde nie als etwas anderes als ein möglicher One-Night-Stand gesehen. Keines der reichen Mädchen hier würde sich mit ihm in den gutbetuchten Vierteln der Stadt sehenlassen oder ihn gar ihren Eltern vorstellen. Schließlich wäre kein Vater aus der oberen gesellschaftlichen Schicht begeistert, wenn dessen Tochter einen gepiercten, tätowierten Habenix mit Polizeiakte aber dafür ohne Elternhaus mitbrachte. Und das wussten seine Verehrerinnen auch. Keine von ihnen wollte mehr von Reel als dessen Körper und den Reiz des Verbotenen. Für sie alle war er nicht mehr als ein Spielzeug oder Zeitvertreib – und genau das hasste Reel so sehr an diesen Mädchen. Alle grinsten sie ihn schmalzig an, machten ihm stumpfsinnige Avancen und wedelten mit dem Geld ihrer Eltern, aber keine einzige meinte es auch nur annähernd ernst mit ihm. Missmutig starrte Reel die Tür an, durch die grade lärmend ein ganzes Rudel an Edelschülern stürmte. Es war wohl Schulschluss – die anstrengendste Zeit hier im Café. Mit abweisendem Blick und kalter Routine arbeitete er die kleinen Grüppchen ab, die sich an den verschiedenen Tischen bildeten. Zu guter Letzt blieb noch der Tisch in der Ecke, an dem nur ein einzelner Junge saß und trübsinnig sein Gesicht in einem Lehrbuch vergrub. Er bemerkte Reel gar nicht, als der neben ihm stehen blieb, also musste er sich einmal auffordernd räuspern um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Oh... Ähm... Entschuldigung.“ Reel stieß genervt die Luft aus und zog skeptisch die Augenbrauen hoch, während der Junge nach der Karte griff und ziellos darin rumsuchte. „Soll ich nochmal wiederkommen, oder kriegst du´s auf die Reihe?“ „Ähm... Also ich... Einen schwarzen Tee. Bitte.“ Erneut wanderten Reels Augenbrauen gen Himmel. „Earl Grey, Darjeeling, Assam, English Breakfast, Five O´Clock Tea?“ Von der unerwarteten Auswahl völlig überrumpelt, wanderten die braunen Augen des Jungen, der laut Reels Erinnerungen noch nie hier im Bittersweet gewesen war, hilflos durch die Karte. „Keine Ahnung. Nimm irgendwas. Ich kenn´ mich damit nicht aus.“ „Offensichtlich.“ Während der Junge sein peinlich berührtes Gesicht wieder hinter dem Lehrbuch vergrub, begutachtete Reel die Tee-Dosen mit den verschiedenen Aufschriften. Wie konnte man denn gern schwarzen Tee trinken, aber die spezielle Sorte nicht kennen? Assam und Earl Grey schmeckten grundlegend verschieden, von Darjeeling mal ganz zu schweigen. Woher sollte Reel denn bitte wissen, welchen davon der Junge mochte? Aber mit Earl Grey machte man eigentlich nie etwas falsch. Er hielt die entsprechende Dose schon in der Hand, da kam ihm ein Gedanke und er stellte sie doch wieder an ihren Platz, und nahm stattdessen eine andere viel kleinere Blechbüchse ohne Aufschrift aus dem Regal. Tief atmete er den verführerischen Geruch ein, der ihm nach dem Öffnen des Deckels in die Nase stieg. Gewissenhaft füllte er ein blankpoliertes Teeei mit der Mischung und legte es auf den Untersetzer neben die Tasse, in die nun 80 Grad heißes Wasser ihren Weg fand. Beides trug er anschließend an den Tisch des Jungen und stellte es ihm wortlos vor die Nase. Beim Klacken der Untertasse auf die Tischplatte schreckte der Junge erneut aus seinem Trübsinn hoch und blickte Reel wie ein Häschen vor der Schlange an. „Danke“, lächelte er unsicher zu ihm hoch, wandte sich dann aber schnell seiner Tasse zu und hängte das Teeei ins Wasser. Mit einem neuen Exemplar für die Pinnwand in der Hosentasche blieb Reel kurz vor Ladenschluss erneut neben dem Tisch des einsamen Jungen stehen. Er war davon ausgegangen, dass er hier auf jemanden wartete oder irgendeiner Mitarbeiterin nachstellen wollte, aber der brünette Schüler saß nur an seinem Platz, machte Hausaufgaben, tippte immer wieder mal irgendwas an seinem Handy und lehnte jedes mal ab, wenn er oder Raven ihn fragten, ob er noch irgendwas anderes bestellen wolle. Nun saß er schon seit Stunden vor seiner leeren Teetasse und blickte abwesend aus dem Fenster. „Wir schließen gleich“, informierte ihn Reel und sofort wurde die Miene das Jungen noch düsterer, aber er nickte, kramte unbeholfen sein Portmonee heraus und bezahlte – genau passend. Ohne ein weiteres Wort nahm Reel das Geld und die leere Tasse, und verschwand damit wieder hinterm Tresen. Am nächsten Nachmittag wiederholte sich das Spiel. Der Junge kam etwas später als das laute Rudel ins Café und setzte sich wieder allein an den kleinen Tisch in der Ecke. Und wieder war es Reels Job ihn zu bedienen. „Wieder Schwarztee unbekannter Sorte?“, fragte Reel mit einem schnippischen Unterton, aber die Miene das Jungen hellte sich dennoch merklich auf. „Ja. Welche Sorte war das gestern? Die war gut.“ Kurz durchzuckte ein Blitz freudiger Überraschung Reels Körper, doch er verbarg ihn hinter einer eisernen Fassade. „Hauseigene Mischung. Die ist immer etwas anders, also keine Garantien.“ „Das Risiko geh ich ein.“ Der Junge schenkte ihm ein derart offenherziges Lächeln, dass selbst Reel ein schwaches Schmunzeln nicht unterdrücken konnte und kurz belustigt die Luft ausstieß. Beschwingt machte er sich wieder daran ein Teeei mit der Mischung zu füllen, die er zuvor während einer ruhigeren Tageszeit hier im Café zusammengestellt hatte. „Was ist das denn da auf deinem Gesicht?“ Raven sah ihn überrascht an. „Ist das etwa... ein Lächeln?“ Raven war die einzige, die ihn mit solchen Sprüchen aufziehen durfte ohne Gefahr zu laufen sich einen dummen Spruch oder eine Faust einzufangen. „Ach halt die Klappe.“ Und tatsächlich ließ sie ihn vorerst mit einem breiten Grinsen auf den Lippen in Ruhe und ging sichtlich belustigt ihrer Arbeit nach. Kapitel 2: Jasmin ----------------- Jeden Wochentag kam der Schüler nach dem Unterricht ins Bittersweet, trank die Mischung des Tages, machte seine Hausaufgaben und blieb bis das Café geschlossen wurde. Und jeden Tag wartete Reel sehnsüchtig darauf, dass die Ladentür aufschwang und ebendieser unauffällige Junge hineinkam und ihm ein Schmunzeln auf die Lippen zauberte. „Heute war die Mischung etwas säuerlich“, stellte sein neuer Stammkunde kritisch fest. „Dann war die Bergamotte zu viel. Ist notiert.“ „Warte. DU machst die Mischung jeden Tag?“ Ertappt gerieten Reels Gedanken etwas ins Stolpern, aber er verbarg seine Unsicherheit hinter aufgesetztem Selbstbewusstsein. „Ja, und dich hab ich zu meinem Versuchskaninchen gemacht.“ Wieder schenkte sein Gegenüber ihm dieses wunderschöne, warme Lächeln, in dem keine Hintergedanken und nichts Gekünsteltes lag. Langsam leerte sich das Café und auch Raven wechselte bereits in ihre Zivilkleidung. „Schließt du heute ab? Ich muss noch die Steuer für diesen Monat machen.“ „Ja, mach dir keinen Stress.“ Dankbar verabschiedete sie sich mit einem Kuss auf Reels Wange und machte sich dann durch die Hintertür davon. Die Uhr passierte ihre Öffnungszeiten und Reel reinigte gewissenhaft die Gerätschaften hinter dem Tresen. „Oh. Ist ja schon wieder so spät. Ich muss raus, oder?“ Der Schüler sah betrübt auf seine Handyuhr und Reel blickte sich kurz nachdenklich um. Sein Versuchskaninchen war der einzige Gast, der noch hier saß, und Reel hatte noch einiges an Arbeit vor sich. „Wenn du dich bereiterklärst meine heutige Tagesmischung mit weniger Bergamotte nochmal zu bewerten, kannst du noch bleiben bis ich abschließe.“ Das Gesicht des Jungen hellte sich erheblich auf und er zog bereitwillig von seinem Platz in der Ecke zu einem Barhocker am Tresen um. „Ich bin übrigens Aiden.“ „Reel“, antwortete er und deutete subtil auf sein Namensschild. „Ach so spricht man das aus. Ich hab mich schon gewundert.“ „Hör mir auf. Was ich schon für Verhunzungen meines Namens ertragen musste, geht auf keine Kuhhaut. Von 'Wheel' über 'Real' bis hin zu Absurditäten wie 'Räl' war alles dabei.“ „Na ein Glück hab ich dich nie mit Namen angesprochen.“ „Wieso? Wie hättest du mich denn genannt?“ Aiden rang kurz mit sich bevor er verlegen mit der Sprache rausrückte. „Rell.“ Schon wieder musste Reel ganz unwillkürlich lachen. Sein Gegenüber war so ehrlich und unbedarft, dass es Reel einfach den Boden unter den Füßen wegzog und seine steinerne Fassade immer mehr zu bröckeln begann. „Das geht ja geradeso noch. Aber bitte sag das trotzdem nie wieder.“ „Ist das dein richtiger Name? Oder eine Kurzform?“ „Beides.“ Aiden blickte ihn etwas irritiert an. „Mein vollständiger Name lautet Relakesch, aber den verwende ich nie. Alle nennen mich Reel und so stelle ich mich auch vor, wenn man mich nach meinem Namen fragt. Also ist 'Reel' in meinen Augen mein richtiger Name.“ Mit dieser Logik konnte Aiden nicht streiten. „So.“ Vorsichtig stellte Reel eine Tasse vor Aiden auf den Tresen. „Drei bis vier Minuten ziehen lassen und dann das Teeei rausnehmen. Weniger Bergamotte und dafür eine Spur von etwas anderem. Mal sehen, ob du erkennst, was es ist.“ Aiden unterdrückte ein verlegenes Lachen. „Ich glaube, du überschätzt meine Fähigkeiten als Geschmackstester.“ „Dann musst du die halt mal trainieren“, neckte Reel ihn mit einem Zwinkern und nahm einige Besteckstücke in die Hand. Betont lässig lehnte er sich mit der Hüfte gegen den Tresen und polierte das silbern glänzende Edelstahlbesteck. Verdammt, warum wurde er jetzt plötzlich so nervös? Er hatte doch gar keinen Grund dazu. Angeregt unterhielten sich die beiden, während Aiden seine Meinung zu der Teemischung abgab und Reel das Café derart gründlich aufräumte, wie er es vermutlich seit über einem Jahr nicht mehr getan hatte. Irgendwann war er dann aber doch mit seiner Arbeit fertig – obwohl er sich wirklich Zeit gelassen hatte. Er verschwand ins Hinterzimmer, wo er eilig in seine Zivilkleidung wechselte, sich seinen Rucksack und seinen Helm schnappte und dann schnellstmöglich wieder zu Aiden nach vorn kam. Der staunte nicht schlecht, als er Reel nun nicht mehr in dem gewohnten Outfit eines Kellners – in Hemd, Stoffhose und Schürze – sah, sondern in einer zerrissenen, schwarzen Jeans, einem hellgrauen T-Shirt mit unzähligen Ziernähten und einer schwarzen, ausgewaschenen Sweatjacke, die von so viel dekorativem Metall geziert wurde, dass sie vermutlich über zwei Kilo wog. Reel beobachtete ganz genau, wie sich Aidens Mimik ob seines Aussehens veränderte, doch er fand nicht die kleinste Spur von Abfälligkeit in seinem Blick – nur Überraschung und eine gewisse Faszination, was Reel viel mehr freute als er zugeben wollte. Gemeinsam verließen sie das leere Café. Reel schloss die Tür hinter ihnen ab und rüttelte noch einmal prüfend an selbiger. „Danke, dass ich noch etwas bleiben durfte. Und auch für das Gespräch.“ „Kein Ding. Es ist immer so schrecklich langweilig, wenn ich alleine Schließen muss, und du sahst so aus, als wolltest du lieber noch nicht wieder gehen.“ Aiden seufzte betrübt. „Nein, eigentlich nicht. Aber da kann man nix machen. Was muss, das muss. Danke jedenfalls. Bis morgen.“ Mit diesen Worten und einem unverblümten Lächeln verabschiedete der kleine Schüler sich und lief zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Reel sah ihm noch einen Moment lang mit einem unbewussten Schmunzeln auf den Lippen nach, bis der brünette Haarschopf um die Ecke bog und aus seinem Blickfeld verschwand. Verdammt. Er hatte sich grade in den Kleinen verknallt. Reel spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg, und verbarg seine Röte schnell in seinem Motorradhelm. Am nächsten Tag wanderten Reels Augen fast schon im Minutentakt entweder zur Uhr an der Wand oder zur Eingangstür. Aiden hatte 'bis morgen' gesagt, also würde er heute wiederkommen, und Reel fieberte diesem Moment schon die ganze Zeit ungeduldig entgegen. Als nun endlich das übliche lärmende Rudel an teuer gekleideten Bonzenschülern das Café betraten, trommelte Reel nervös mit den Fingern auf dem Tresen herum und starrte unentwegt zur Tür. „Musst du aufs Klo, hast du zu viel Kaffee getrunken, oder kickt das Ritalin?“, riss Lamia ihn unsanft aus seinen Gedanken. Sie war eine manipulative Schlange mit dem Gesicht eines Engels, aber Reel gegenüber legte sie ihr unschuldiges Getue stets ab. Er wusste wer und wie sie wirklich war und hatte keinerlei Probleme mit ihren Praktiken, also gab es keinen Grund ihm etwas vorzuspielen. „Hast du nicht eine Bande Häschen, die du verschlingen kannst?“ Subtil deutete Reel auf einen Tisch, an dem soeben eine Gruppe von drei Jungs Platz genommen hatte und Lamia verhalten wartende Blicke zuwarf. Sie seufzte einmal leise, wischte das vulgäre Grinsen von ihrem Gesicht und setzte ihr süßestes Lächeln auf. Mit federleichten Schritten schwebte sie nahezu durch den Raum und nahm die Bestellungen der gaffenden Jungs entgegen – strahlend wie ein Atomkraftwerk und mindestens genauso ungesund. Endlich schwang die Tür erneut auf und ein unauffälliger Schüler, mit braunem Haarschopf schob sich ins Café. Sofort war Reels Unmut wie weggeblasen und er setzte bereits eine Tasse mit seiner heutigen Mischung auf. Auch Aidens Trübsinn verflüchtigte sich, sobald er die schlanke Gestalt seines Lieblings-Baristas hinter dem Tresen erblickte. Von Weitem begrüßte er ihn mit einem offenherzigen Lächeln und einem schwachen Nicken, und setzte sich dann an seinen üblichen Stammtisch in der Ecke. Nur wenig später stand Reel auch schon neben ihm und stellte die Teetasse auf den Tisch. „Heute mal sehr experimentell. Also erschreck´ dich nicht beim Trinken.“ „Trinken auf eigene Gefahr?“ „Ja, so kann man es ausdrücken. Willst du noch irgendwas anderes? Raven hat einen hervorragenden Schokokuchen gebacken.“ „Verlockend. Aber ich fürchte, dafür reicht mein Kleingeld nicht.“ Etwas verdutzt blickte Reel auf den Schüler vor sich. Allein schon die Kleidung, die er grade trug, hatte vermutlich mehr gekostet, als der Inhalt von Reels gesamtem Kleiderschrank, aber die Schamröte in Aidens Wangen bezeugte den Wahrheitsgehalt seiner Worte. „Du weißt aber schon, dass ich dir für den Tee nichts berechne, oder? Immerhin kann es gut sein, dass der gar nicht schmeckt. Darum bist du ja mein Versuchskaninchen.“ Überrascht sah Aiden zu ihn hoch. Ihm war zuhause auch aufgefallen, dass er am Vortag keinen seiner beiden Tees bezahlt hatte, aber er hatte es für einen Fehler von Reel gehalten und nicht für Absicht. „Danke, dann nehm´ ich ein Stück“, gab er kleinlaut und mit einem verlegenen Schmunzeln zurück. „Nawwww. Du stehst auf den Kleinen“, begrüßte ihn Ravens neckende Stimme, als Reel wieder hinter dem Tresen ankam. „Na und? Er ist nicht so arrogant, wie die anderen vom Plec-Gym, und redet kein dummes Zeug. Außerdem ist er irgendwie niedlich.“ Das Plectranthus-Gymnasium war die große Schule hier gleich um die Ecke, auf die höhergestellter Bewohner dieser Gegend ihre Kinder schickten. Ebendiese neureichen Edelschüler machten einen erheblichen Teil der Einnahmen des Bittersweet aus – nicht zuletzt auch dank Ravens geschicktem Personalmanagements – das die leicht zu beeindruckenden Teenager immer wieder ins Café lockte. Berechnend wählte Reel das größte Stück des Schokokuchens aus und drapierte es dekorativ auf einem Teller. „Schreib ihm doch deine Handynummer mit Schokosoße auf den Rand.“ „Raven? Halt die Klappe!.“ Seine Schwester grinste ihn schelmisch an und auch auf Reels Lippen schlich sich ein verlegenes Schmunzeln. Kurz war er glatt versucht, ihren scherzhaften Rat zu beherzigen, aber er schüttelte die dumme Idee entschieden ab und verzierte den Tellerrand stattdessen mit kunstvollen Schnörkeln. „Ich hab keine Lust mehr“, jammerte Lamia im Hinterzimmer, während sie nonchalant einen ganzen Liebesbrief mitsamt Umschlag an die Pinnwand heftete. „Dann mach doch Schluss für heute. Wenn du willst, kann ich das Schließen übernehmen.“ „Echt jetzt?“ Mit großen Augen starrte sie Reel an. „Hat Raven dir was ins Essen gemischt oder bist du auf Drogen?“, feixte sie ob Reels ungewohnter Freundlichkeit. „Halts Maul, oder ich nehm´ das Angebot wieder zurück.“ Das ließ Lamia sich nicht zweimal sagen. In Windeseile zog sie vor Reels Augen die weiße Bluse aus und schlüpfte stattdessen in ein bauchfreies, violettes Oberteil mit tiefem V-Ausschnitt. „Wenn du so rumrennst, holst du dir was weg.“ „Und wenn du nicht aufhörst so dumme Sprüche zu klopfen, nenn ich dich bald nur noch 'Mama'.“ Trotzdem öffnete Lamia noch einmal ihren Spind und nahm einen dünnen, weißen Cardigan heraus. „Bye bye, Reel“, und schon verschwand sie durch die Hintertür. Reel seufzte erleichtert auf. Ihm war es überhaupt nicht wichtig freundlich oder kollegial zu sein – das hatte er bei Lamia auch gar nicht nötig – er verfolgte zwei ganz spezielle Ziele mit diesem Angebot. Zum Einen wollte er verhindern, dass Lamia mit Aiden ihre Spielchen trieb, und zum Anderen wollte er wieder ein bisschen mit den niedlichen Schüler allein sein. Aber das brauche ja keiner zu wissen – schon gar nicht Lamia. Kapitel 3: Ingwer ----------------- Es war Samstag und Reel polierte gedankenverloren einige Teelöffel. Von draußen trommelte der Regen unablässig gegen die Fensterscheiben und der übliche Andrang von Schülern blieb am Wochenende auch aus, also waren er und Raven mit nur drei Gästen allein im Café. „Trauerst du deinem kleinen Schwarm nach? Soll ich dich in Zukunft nur noch für Schichten unter der Woche einteilen, damit du was hast, worauf du dich beim Arbeiten freuen und was du anschmachten kannst?“ „Ach, sein doch still“, knurrte Reel ertappt und boxte seiner Schwester spielerisch in die Seite. „Naw. Du wirst ja sogar ein bisschen rot.“ Plötzlich unterbrach das Öffnen der Ladentür das Gespräch der Geschwister und eine völlig durchnässte und bemitleidenswerte Gestalt trat ein, schlurfte wortlos zu dem kleinen Tischchen in der Ecke und ließ sich dort schwer auf einen Stuhl fallen. Reel und Raven tauschten kurz besorgte Blicke miteinander, dann eilte Reel zu ihrem neuen Gast, der krampfhaft aus dem Fenster starrte um so sein Gesicht vor den Besuchern und Mitarbeitern im Café zu verbergen. „Aiden?“ Vorsichtig berührte Reel seine Schulter und erhielt keine wirkliche Reaktion. „Wenn du hier so sitzen bleibst, wirst du noch krank. Komm mit nach hinten. Ich hab noch ein paar trockene Sachen im Büro.“ Widerstandslos ließ Aiden sich von ihm hinter den Tresen und dann ins Hinterzimmer führen, während die unverhohlenen Blicke der drei anderen Gäste auf ihnen klebten. Verloren stand der tropfend-nasse Aiden neben Reel, der gerade das Zahlenschloss seines Spinds öffnete, als sich plötzlich ein Kopf mit brünettem Flechtzopf durch die Tür schob und Aiden ein Stück hellblau-karierten Stoffs hinhielt. „Ist zwar nur ein Geschirrtuch, aber es ist frisch gewaschen.“ Abwesend nahm Aiden das Tuch entgegen und trocknete sich das Gesicht ab. Erneut tauschten Reel und Raven kurze Blicke, dann verschwand sie wieder in den Hauptraum. „Willst du drüber reden?“, fragte Reel vorsichtig, während er Aiden dabei zusah, wie er seine Haare trockenrubbelte, doch der schüttelte nur geistesabwesend den Kopf. „Auch okay. Meine Sachen sind dir bestimmt etwas groß, aber immerhin trocken. Häng deine nassen Klamotten einfach irgendwo über die Heizung. Du kannst hier im Büro bleiben, wenn du willst. Ich bin gleich wieder da.“ Aiden nahm die Information mit einem schwachen Nicken zur Kenntnis. Seine Augen waren rot und geschwollen und seine ganze Mimik wirkte abwesend, leer und verweint. Es brach Reel das Herz, ihn so zu sehen, und sein Blut kochte aus Wut darüber, dass er ihm nicht helfen konnte. Fünf Minuten später kam Reel mit einer Tasse dampfend heißen Tees zurück und stellte sie vor Aiden auf den Tisch. Der hatte sich im Büro auf einen der unbequemen Holzstühle gesetzt, die Knie angewinkelt und an den Körper gezogen, und die Arme um die Beine geschlungen. „Ist wirklich alles etwas sehr groß an dir“, versuchte Reel ihn ein wenig abzulenken und legte beschwichtigend eine Hand auf Aidens Schulter. „Du zitterst ja.“ Eilig holte er noch seine Jacke aus dem Spind und legte sie Aiden um die Schultern. „Kann ich dir irgendwie helfen?“ Wieder schüttelte Aiden den Kopf und ließ Reel ratlos seufzen. „Wenn irgendwas ist, oder du irgendwas brauchst, sag mir Bescheid. Ich bin gleich nebenan.“ Es widerstrebte Reel, ihn jetzt einfach allein zu lassen, aber Aiden wollte nicht reden und Reel wusste auch nicht, was er tun sollte. Außerdem hatte er vorne seinen Job zu erledigen, also ging er erst mal wieder in den Hauptraum, drehte beim Verlassen des Büros allerdings die Heizung etwas höher. „Was ist denn mit ihm?“, fragte Raven besorgt und warf einen unauffälligen Blick über Reels Schulter ins Büro. „Keine Ahnung. Er will nicht drüber sprechen.“ „Tut mir echt mega leid, dass ich dich damit jetzt alleinlasse, aber ich muss mich wirklich auf den Weg machen.“ „Ist schon okay. Heute ist ja nicht viel los.“ „Du kannst gerne früher zumachen, wenn du willst. Wir sehen uns zuhause.“ Mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange verabschiedete sie sich von Reel, holte eilig ihre Tasche aus dem Büro und verließ dann mit schlechtem Gewissen das Café. Reel schmiss den Laden allein und sah immer wieder mal nach Aiden, der im Hinterzimmer so langsam wieder zur Ruhe kam und warm wurde. „Ich räume jetzt noch auf. Offiziell ist das Café schon geschlossen, du kannst also mit nach Vorn kommen, wenn du willst.“ Aidens Miene war ausdruckslos und er knabberte abwesend an seiner Unterlippe. Mit einem besorgten Seufzen ging Reel neben ihm in die Knie und versuchte ihm ins Gesicht zu sehen. „Du willst nicht nachhause, oder?“ Allein schon die Erwähnung von 'zuhause' ließ Aidens Augen wieder nass werden. „Kannst du irgendwo anders hin?“ Den Tränen nah schüttelte Aiden den Kopf und Reel ertrug diesen Anblick einfach nicht mehr. Zaghaft legte er eine Hand an seine Wange und zog den kleinen Schüler behutsam in seine Arme. „Wenn du willst, kannst du bei mir schlafen. Ich kann dich hier ja schlecht einfach alleine stehen lassen.“ Dankbar vergrub Aiden sein Gesicht an Reels schützender Brust und schluckte seine Tränen runter. „Wirklich?“ „Natürlich wirklich. Wenn ich das sage, dann meine ich´s auch so.“ Aiden löste sich aus seinen Armen und Reel strich ihm einmal aufmunternd durch die nassen Haare. „Keine Ahnung, warum du nicht nachhause willst, aber es geht mich auch nichts an. Wenn du´s nicht sagen willst, werd ich nicht nachfragen. Lass mich nur schnell das Café für morgen vorbereiten und dann können wir los.“ Der Regen hatte inzwischen aufgehört und der Himmel klarte zunehmend auf. Eilig hatte Reel das Nötigste aufgeräumt, Aidens noch immer nasse Kleidung in seinen Rucksack gepackt und reichte ihm nun einen waldgrünen Helm, an dessen Seite ein Raben-Sticker klebte. „Der gehört Raven. Wenn wir zusammen Schluss haben, nehm´ ich sie immer mit. Es wird sie nicht stören, wenn du ihn dir ausleihst.“ Etwas unsicher betrachtete Aiden den Motorradhelm in seinen Händen. Ihm wurde erst jetzt so richtig bewusst, worauf er sich hier einließ. Er kannte Reel doch überhaupt nicht und keine Menschenseele wusste, wo er war. Sein Handy hatte er auch nicht dabei und wie er seine Eltern kannte, würden die sein Verschwinden erst bemerken, wenn am Montag die Schule bei ihnen anrief und nach Aidens Verbleib fragte. Aber was waren seine Alternativen? Straßenbahnen fuhren um diese Uhrzeit keine mehr und Reel gab sich wirklich alle Mühe ihm zu helfen. Der junge Barista sah zwar abschreckend aus, mit seinem schwarzen Sidecut, den übermäßig gepiercten Ohren, seinen vielen Tattoos und dem etwas eigenwilligen Kleidungsstil, aber das waren alles nur Äußerlichkeiten und abgesehen von diesen gab es nichts, was Reel in ein vertrauensunwürdiges Licht rückte. „Alles okay?“ Erschrocken fuhr Aiden aus seinen Gedanken hoch. Reels hellgraue Augen betrachteten ihn besorgt und schienen seine Zweifel zu erraten. „Willst du doch lieber woanders hin? Bahnen fahren glaub ich keine mehr, aber ich kann dich auch woanders hinfahren, wenn du willst.“ Entschieden schüttelte Aiden den Kopf. Wo sollte er hinwollen? Nachhause zu seinen sich dauerhaft streitenden Eltern, die nie mit ihm zufrieden waren und ihn gegen ein Kind eintauschen würden, das ihre Erwartungen erfüllte, wenn das legal wäre? Nein, ganz sicher nicht! Bemüht selbstbewusst schüttelte Aiden den Kopf, setzte sich den Helm auf und kämpfte kurz mit dessen ungewohntem Gewicht. „Warte. Ich helf´ dir.“ Geschickt nahm Reel ihm den Verschluss aus der Hand und schloss ihn gewissenhaft. „Bist du schon mal auf einem Motorrad mitgefahren?“ „Nein“, klang es gedämpft aus dem Helm, während Aiden das besagte Vehikel neben sich betrachtete. Es parkte in der kleinen Gasse hinter dem Café und war, soweit Aiden das mit seiner minimalen Kenntnis beurteilen konnte, Marke Eigenbau. „Okay. Also, du müsstest den aufsetzten, weil du hinten sitzt.“ Reel reichte ihm seinen Rucksack und Aiden tat wie ihm geheißen. Reel stieg indes auf sein Motorrad, klappte den Ständer ein und setzte seinen eigenen Helm auf. „Und jetzt steigst du einfach hinter mir auf und hältst dich an mir fest.“ Unbeholfen kletterte Aiden hinter Reel auf den Sattel. Das Ganze war viel allerdings schwieriger, als er immer gedacht hatte. Der Helm war unerwartet schwer, der Rucksack veränderte seinen Schwerpunkt und das Motorrad war hoch und ausgesprochen wackelig – schließlich hielt Reel es mit nur einem Bein vom Kippen ab. Durch die Form des Sattels dicht an Reels Rücken gedrückt, befand Aiden sich irgendwann endlich am richtigen Platz. „Nicht so zaghaft. Du musst dich richtig festhalten, sonst stürzt du mir noch ab.“ Etwas unsicher schlang er die Arme um Reels Taille und krallte sich in dem weißen Hemd fest. Reel musste seine Arbeitskleidung anbehalten, da Aiden noch immer seine anderen Sachen – einschließlich seiner Jacke – trug. „Bereit?“ „Ja“, rief Aiden möglichst deutlich, um trotz des Helms vernünftig zu verstehen zu sein und im nächsten Moment heulte der Motor unter ihnen auch schon auf. Instinktiv verstärkte Aiden seinen Griff um Reels Taille, als das Motorrad sich in Bewegung setzte und zunehmend an Fahrt aufnahm. Adrenalin pumpte durch seine Adern und zauberte ihm ein vergnügtes Grinsen ins Gesicht, dass ihn für den Moment seinen Trübsinn vergessen ließ. Es langsam verstand er, warum jeder Zweite in seiner Klasse ein Motorrad hatte oder haben wollte – es machte verdammt viel Spaß. Als Reel sein Motorrad parkte und Aiden abstieg, musste der kurz um sein Gleichgewicht kämpfen. „Alles okay?“ „Ja, hab nur etwas weiche Knie.“ Reel musste unwillkürlich lachen und freute sich über Aidens leichtherzigen Tonfall. „Das ist ganz normal. Geht Vielen nach der ersten Fahrt so.“ Unbeholfen kämpfte Aiden sich aus seinem Helm. Warum sah das bei Reel nur so viel leichter und eleganter aus? Endlich von dem schweren Helm befreit blickte Aiden sich ein wenig um und für einen kurzen Moment fürchtete er, doch die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Sie standen im dreckigen Hinterhof eines alten Wohnblocks in einem ziemlich heruntergekommenen Stadtviertel. Ein paar Meter neben ihnen türmten sich alte Fahrradreifen und Pappkartons auf, die Hauswände wurden von Graffitis dominiert und unter Aidens Schuhen knirschten Glasscherben. „Nicht unbedingt was du gewohnt bist, was?“, erriet Reel sofort seine Gedanken und versuchte seine Sorgen scherzhaft etwas zu zerstreuen. „Keine Angst, ich hab nicht vor dich umzubringen.“ Sie stiegen drei Treppen hinauf, bis Reel endlich vor einer der Wohnungstüren stehen blieb, seinen Schlüsselbund zückte und aufschloss. Im Inneren begrüßte sie ein zwar etwas unordentlicher aber gepflegter Flur, den Aiden nach dem katastrophalen Hinterhof so gar nicht erwartet hatte. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich heute Besuch bekomme, hätte ich aufgeräumt“, gab Reel sichtlich verlegen zu und schob eilig einige Schuhe zusammen, die kreuz und quer im Flur verteilt standen. „Schon okay. Das stört mich nicht“, beschwichtigte Aiden und lächelte in beruhigend an. „Na da hab ich ja nochmal Glück gehabt. Da drüben ist das Bad. Da kannst du deine nassen Sachen über die Heizung hängen. Kannst auch duschen gehen, wenn du willst. Handtücher sind im Schrank unter dem Waschbecken und frische Sachen kannst du dir aus meinem Schrank nehmen. Mein Zimmer ist das hinten links. Bedien dich einfach. Ich mach noch schnell was zu essen. Du hast doch bestimmt auch Hunger, oder?“ Aiden nickte. Er war ein wenig überrumpelt von so viel Input und davon, dass Reel ihn hier einfach frei walten und schalten ließ. Immerhin kannte er Aiden doch kaum. „Gemüsepfanne mit Nudeln? Oder gibt’s da irgendwas, was du nicht magst?“ „Ich bin allergisch gegen Tomaten.“ „Ist notiert. Wenn irgendwas ist, dann frag einfach.“ „Danke.“ Aidens kleinlauter Tonfall ließ Reel sich wieder etwas besorgt zu ihm umdrehen. „Kein Ding. Wie gesagt: nimm dir einfach was du brauchst und wenn was ist, dann frag mich einfach.“ Während Reel in die Küche verschwand, öffnete Aiden neugierig die Tür zu dessen Zimmer und wurde von einem ähnlichen Bild wie schon im Flug begrüßt. Sein Zimmer war zwar unordentlich, aber gepflegt und sauber. Die Wände wurden gesäumt von Zeichnungen, Skizzen und einigen abgegriffenen Fotos. Von dem hohen Kleiderschrank platzte an einigen Stellen bereits die Farbe ab und die restliche Fläche wurde von bunten Stickern und weiteren Zeichnungen verdeckt. Reels Bett war ungemacht und einige Kleidungsstücke lagen gedankenlos darauf verstreut. Eine Wand wurde komplett von einem hohen Regal vereinnahmt, das komplett zugestellt war, mit Büchern, die unordentlich und unsortiert mal aufrecht standen, mal quer lagen und teilweise übereinandergestapelt waren. Aiden war sich nicht sicher, was er erwartet hatte, aber eine derartige Büchersammlung war es ganz bestimmt nicht gewesen. Auf dem Weg zum Kleiderschrank blieb sein Blick auf dem Schreibtisch hängen, auf dem Blöcke, Notizbücher, Bleistifte und einiges an Zeichenutensilien herumlagen, die Aiden nicht zuordnen konnte. Die Zeichnungen an den Wänden stammten also größtenteils von Reel, wie er fasziniert feststellte. Als er nun endlich in den Kleiderschrank lugte, empfing ihn eine Unmenge an schwarzem Stoff. 95% von Reels Klamotten schienen in dieser Farbe zu sein und der Rest war entweder weiß, grau oder rot – mehr Farben gab es in seiner Welt augenscheinlich nicht. Etwas unsicher suchte er nach einer simplen Jogginghose und einem T-Shirt ohne großartigem Schnickschnack dran und wurde nach einigen erfolglosen Versuchen endlich fündig. Mit diesen unterm Arm verließ er Reels Zimmer wieder und verschwand ins Bad. Als Aiden nach dem Duschen wieder in die Küche kam, rührte Reel grade in einer Pfanne herum und trug inzwischen ebenfalls andere Sachen. Seine vergleichsweise unbequemen Arbeitsklamotten hatte er in die Wäsche geschmissen und gegen ein T-Shirt und eine Haremshose eingetauscht – selbstverständlich beides in Schwarz. „Ayayay, du hängst ja wirklich wie ein Schluck Wasser in meinen Klamotten“, stellte Reel mit einem Blick auf Aiden belustigt fest. „Nimm mal bitte drei Teller aus dem Schrank da. Ganz oben.“ „Drei?“, fragte er verwirrt, aber leistete der Bitte Folge. „Ja, Raven müsste eigentlich jeden Moment nachhause kommen.“ „Die aus dem Café?“ „Genau. Ihr gehört das Zimmer gleich neben der Wohnungstür.“ Und wie auf Stichwort schwang selbige auf und ein Rufen drang in die Küche. „Ich rieche Mohrrüben, Paprika uuuuuund Nudeln.“ „Hundert Punkte“, kam prompt Reels Antwort und nur Sekunden später steckte Raven ihren Kopf in die Küche. „Ich sterbe vor Hunger. Hast du- Huch.“ Überrascht sah sie Aiden an. „Hallo“, grüßte der verlegen und schaute unschuldig mit den drei Tellern in der Hand zu ihr rüber. „Aiden schläft heute hier.“ „Alles klar“, nahm Raven diese Tatsache vergnügt und ohne weitere Umschweife einfach hin, während sie Besteck aus einem Schubfach hervorkramte. Kapitel 4: Johanniskraut ------------------------ Satt und müde fand Aiden sich schließlich in Reels Zimmer wieder. „Musst du morgen irgendwo sein?“ Etwas verwirrt schüttelte Aiden den Kopf. „Yey. Keinen Wecker stellen. Ich hab morgen nämlich frei und muss nicht ins Café“, jubelte Reel und ließ sich rücklings aufs Bett fallen. „Das Chaos hier tut mir übrigens leid“, ergänzte Reel etwas verlegen mit einem Blick auf sein unordentliches Zimmer, und brachte Aiden damit erneut zum Schmunzeln. „So schlimm sieht´s doch gar nicht aus“, beschwichtigte er und setzte sich zu ihm aufs Bett. „Hast du die alle gezeichnet?“ „Hm“, brummte Reel bestätigend und versuchte seinen Stolz zu verbergen. „Die sind echt schön. Du bist gut.“ „Danke. In letzter Zeit komme ich leider immer seltener dazu, aber vielleicht sollte ich mir einfach ab und an mal die Zeit dafür nehmen. Ich hab übrigens nur die eine Decke. Ich hoffe, das stört dich nicht zu sehr.“ „Ach, das kriegen wir schon hin. Ich bin ja klein.“ Reel lachte verlegen auf und versuchte nicht rot zu werden. Ihn machte das Ganze hier viel nervöser als er zugeben wollte, und Aiden sah in seinen viel zu großen Klamotten einfach zu niedlich aus und brachte ihn dadurch immer wieder ganz unbewusst aus dem Konzept. Etwas unbeholfen richteten die beiden sich zum Schlafen ein. Mit so viel Abstand, wie die eine Bettdecke, die sie sich teilten, eben hergab, sanken sie in die Kissen – von denen hatte Reel tatsächlich zwei. „Reel?“ „Hm.“ „Danke.“ Reel stieß schwach Luft durch die Nase aus. „Du musst dich nicht immer wieder bedanken. Ich hab´s dir schließlich angeboten und ich hätte dich doch nicht alleine im Regen stehengelassen.“ „Genau darum bedanke ich mich ja. Du kennst mich eigentlich kaum und schlägst dich trotzdem mit meinen Problemen rum. Und dabei hast du wahrscheinlich selbst genug um die Ohren.“ Reel drehte sich im Bett liegend zu ihm um, stützte den Kopf auf einem Arm ab und sah Aiden eindringlich in die Augen. „Mach dir um mich mal keine Sorgen. Du hast ja schließlich nicht grundlos so verstört und völlig durchnässt bei uns im Café gestanden. Also hast du momentan eindeutig mehr um die Ohren als ich.“ Aiden blickte ihm mit großen Augen entgegen, in denen ein verräterisches Glänzen von Tränen kündete. „Danke“, kam es erstickt von Aiden und Reel überlegte sofort angestrengt, ob er was Falsches gesagt und ihn damit zum Weinen gebracht hatte. Zaghaft legte er eine Hand auf seine Schulter und versuchte zu ergründen, was nicht stimmte. „Tut mir leid. Jetzt heule ich hier schon wieder.“ „Ist doch okay. Wenn dir zum Heulen zumute ist, dann mach das halt. Es ist bringt ja nichts, dass in dich rein zu fressen.“ Und das war der Startschuss für Aiden. Reel hatte ihm quasi die Erlaubnis erteilt, also brachen Aidens über Wochen hinweg unterdrückte Gefühle jetzt ungezügelt aus ihm heraus. Erschrocken setzte Reel sich sofort in Bett auf. Er hatte das zwar gerade so lapidar dahergesagt, aber mit einer derart heftigen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Etwas ratlos saß er ihm gegenüber und zog den in Tränen aufgelösten Aiden schließlich einem Impuls folgend in seine Arme. Eine ganze Weile blieb Reel so mit ihm auf dem Bett sitzen und streichelte beruhigend über seinen Rücken. „Tut mir leid“, schluchzte Aiden als er sich eine Weile später wieder von Reel löste. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich hab dir doch gesagt, es ist okay.“ Instinktiv strich er Aiden eine Haarsträhne aus dem verweinten Gesicht und lächelte ihn aufmunternd an. „Fühlst du dich jetzt etwas besser?“ Aiden nickte schwach und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg. „Tut mir leid“, entschuldigte er sich schon wieder und deutete auf Reels Oberteil, das an seiner Brust völlig durchnässt von Aidens Tränen war. „Hör endlich auf dich ständig für alles zu entschuldigen“, ermahnte ihn Reel scherzhaft und stand auf um sich ein anderes Shirt zu holen. „Okay, tut mir -“ Ein gespielt strenger Blick ließ Aiden wieder verstummen und verlegen auflachen. Bemüht elegant zog Reel sich sein Shirt über den Kopf und stand etwas länger als nötig mit nacktem Oberkörper vor seinem Schrank. Er wusste immer noch nicht, ob er bei Aiden überhaupt am richtigen Ufer fischte, und der machte keinerlei Anstalten, Reel einen Hinweis zu geben. Aber vielleicht konnte er ja anhand von Aidens Reaktion auf seinen Körper ablesen, ob er Chancen bei ihm hatte. „Cooles Tattoo“, ertönte die noch immer etwas belegte Stimme vom Bett aus und Reel drehte sich – ein frisches Shirt in der Hand – wieder zu ihm um. „Danke. Ein Freund hat es für mich entworfen.“ „Darf ich mal sehen?“ Bereitwillig setzte Reel sich vor Aiden und ließ ihn seine Tattoos bewundern. Auf seiner Brust prangte rechtslastig und mit unglaublicher Detailverliebtheit ein großer, schwarzer Rabe im Halbprofil mit gespreizten Flügeln, geöffnetem Schnabel und einem verschnörkelten Schlüssel in den Krallen. Die Unterseite seines rechten Unterarms wurde vom Bild einer Schreibfeder geziert, die in der Mitte durchgebrochen war und deren Fasern teilweise zerzaust in alle Richtungen abstanden. Über sein linkes Schulterblatt wand sich ein verschnörkeltes, schwarzes Symbol, das subtil Reels Hals hinauf kletterte und unter seinen Haaren verschwand. „Wow. Die sind ja atemberaubend schön.“ „Ich hab auch noch welche weiter unten“, scherzte Reel zweideutig und zog nach einer kurzen Kunstpause eines seiner Hosenbeine hoch. Aiden konnte sein Lachen kaum unterdrücken. An Reels linkem Oberschenkel kletterte die vermutlich hässlichste, in Flammen stehende Blume empor, die Aiden je gesehen hatte. „Das ist... eine interessante Rose“, grinste Aiden belustigt und auch Reel lachte vergnügt. „Das ist eine Spinnenlilie, du Kulturbanause.“ „Oh selbstverständlich. Das hätte mir klar sein müssen.“ Bei genauerer Betrachtung war die verhunzte Lilie nicht der einzige Unfall auf Reels Bein. Einige weitere, kleinere Bilder zierten die blasse Haut und die meisten davon waren eher weniger hübsch anzusehen. „Ich geb mich manchmal als Übungsobjekt für die Azubis von einem befreundeten Tätowierer her. Aber eben nur die Beine.“ „Heißt das, dein anderes Bein sieht auch so aus?“ Als Antwort zog er nur mit einem breiten Grinsen sein zweites Hosenbein hoch und förderte so die nicht ganz gelungene Darstellung eines gotischen Sichelmondes und einiger Sterne zutage. „Das ist noch in Arbeit, aber in ein paar Jahren sieht es mindestens genauso furchtbar aus wie das linke.“ Vergnügt grinsten sie einander an und Aiden war wieder leicht ums Herz. „Du bist echt irre.“ „Schuldig im Sinne der Anklage“, gab Reel bereitwillig zu, während er seine Hosenbeine wieder runter zog und endlich in sein sauberes Shirt schlüpfte. Aidens Gähnen steckte ihn an und so ließen sie sich beide müde wieder in die Kissen sinken. „Gute Nacht, Aiden.“ „Nacht, Reel.“ Erschöpft kuschelte Aiden sich unter die Decke, aber kam nicht in den Schlaf. Es war verdammt kalt in der Wohnung und der Abstand zwischen ihm und Reel erzeugte eine Lücke, durch die die kalte Luft ungehindert unter die Decke drang. „Alles in Ordnung, Aiden? Kannst du nicht schlafen? Du zappelst so rum.“ „Entschuldige. Mir ist nur ein bisschen kalt.“ „Dann sag doch einfach was“, meckerte Reel leicht verärgert über Aidens unangebrachte Zurückhaltung. Schnell kletterte er aus seinem Bett und tapste zielsicher durch die Dunkelheit seines Zimmers. Einige Sekunden später saß er wieder neben Aiden im Bett und reichte ihm einen auffallend flauschigen Pullover. „Hier. Willst du noch warme Socken haben?“ „Nein, der reicht. Danke.“ Als Aiden ihm den Pullover abnahm, berührten sich ihre Hände kurz und Reel zuckte erschrocken zusammen. „Du hast ja Eishände“, stellte er entsetzt fest, während Aiden in den Pullover schlüpfte. „Und du bist total warm. Frierst du gar nicht?“ „Nein. Ich schlafe immer in kalten Räumen. Hab mich wohl dran gewöhnt. Und es spart Heizkosten.“ Fröstelnd rieb Aiden seine Hände aneinander und krabbelte wieder unter die Decke. „Gib mal her.“ Reel rückte näher an Aiden heran, nahm seine kalten Finger und klemmte sie zwischen seine eigenen Hände und seine Brust, um sie wieder aufzuwärmen. Aiden erstarrte überrascht und wollte seine Hände reflexartig zurückziehen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab und so gab er sich zögerlich der ungewohnten Nähe hin, während Reels Wärme langsam seine Finger auftaute und begleitet von einem angenehmen Kribbeln seine Handgelenke entlang kletterte. Am nächsten Morgen ruhten Aidens Hände noch immer an Reels Brust, dessen Arm hatte sich allerdings eng um Aidens Oberkörper gelegt und seine Wange schmiegte sich sanft an Aidens Schläfe. Verschlafen blinzelte Aiden sich aus dem Land der Träume zurück in die Realität und war erst mal eine Weile verwirrt und orientierungslos in dem fremden Zimmer und dem fremden Bett. Ein angenehmer, warmer aber ungewohnter Geruch erfüllte ihn und löste in Aiden eine tiefe, innere Ruhe aus. Reels Atem kitzelte seine Wange und im Schlaf schlang sich dessen Arm noch etwas enger um ihn. Aiden wusste nicht so recht, wie er mit dieser Situation und den seltsamen Gefühlen, die sie in ihm auslöste, umgehen sollte, aber er wollte Reel auf keinen Fall wecken. Er hatte sich bereitwillig um ihn gekümmert, sein Geheule ertragen, für ihn gekocht, ihm seine Sachen geliehen und ihn sogar bei sich schlafen lassen, da wollte Aiden ihn nicht auch noch verfrüht aus dem Schlaf reißen. Vor allem nicht nachdem Reel sich so darüber gefreut hatte, keinen Wecker stellen zu müssen. Also blieb Aiden einfach liegen und versuchte sich nicht zu viele Gedanken zu machen. Als auch Reel endlich die Augen aufschlug und sich seiner Situation bewusst wurde, stieg ihm sofort das Blut in die Wangen. „`Tschuldige“, nuschelte er kleinlaut und entließ Aiden verlegen aus seinem Klammergriff. „Konntest du trotzdem einigermaßen schlafen?“ Ebenfalls etwas peinlich berührt nickte Aiden und strich sich fahrig die Haare aus dem Gesicht. „Wie stehst du zu Rührei und Toast?“ „Was?“ „Was anderes haben wir glaub ich nicht mehr zum Frühstück.“ „Achso. Ja, Rührei klingt super.“ Leichtfüßig schwang Reel sich aus dem Bett, streckte geräuschvoll seine Glieder und ging schon mal in die Küche. Aiden verschwand erst mal ins Bad, allerdings war seine Kleidung noch immer ein wenig klamm, also behielt er Reels zu große Sachen vorerst an. Als er wieder zu ihm in die Küche kam, balancierte Reel gerade fröhlich summend zwei Teller in der einen und zwei Tassen in der anderen Hand. „Kann ich dir irgendwie helfen?“ „Rühr´ mal das Ei um, sonst brennt´s an. Normalerweise schnipple ich da noch Tomaten mit rein, also gut, dass du gestern was gesagt hast. Ich hoffe Lauchzwiebeln sind okay.“ Aiden brummte bestätigend und rührte etwas verwirrt in der Pfanne. „Warum ist das denn so fluffig?“ „Hab das Eiweiß separat schaumig-geschlagen und dann das Eigelb wieder untergehoben. Raven mag ihr Rührei luftig, darum hab ich das irgendwie reflexartig so gemacht, obwohl sie gar nicht mitisst.“ Fasziniert starrte Aiden noch immer in die Pfanne. Das man selbst aus Rührei eine solche Wissenschaft machen konnte, war ihm bisher nicht bewusst gewesen. Und dass es so lecker sein konnte, auch nicht. „Das ist ja mega“, stellte er anerkennend fest, als die beiden am Tisch saßen und frühstückten, und ließ Reel amüsiert auflachen. „Ist doch nur Ei. Da steckt wirklich keine große Kunst hinter.“ „Trotzdem. Das ist voll lecker.“ Aidens Frühstück bestand normalerweise immer nur aus Cornflakes mit Milch, wenn er denn überhaupt frühstückte. Und das gemeinsame Familienfrühstück am Wochenende fand seit einigen Monaten auch nicht mehr statt, also war das hier in gewisser Weise Luxus für den Nobel-Schüler. „Gibt es eigentlich auch etwas, was du nicht kannst?“ Verwirrt sah Reel von seinem Teller hoch und in die brauen Augen ihm gegenüber. „Naja, du kannst Zeichnen, Kochen, eigene Teemischungen kreieren, Motorrad fahren und so weiter. Gibt´s auch irgendwas, was du nicht kannst?“ Reel lachte verlegen und setzt ein schelmisches Grinsen auf, während er seine Aufzählung begann. „Ich bin ein schlechter Verlierer, muss mein Motorrad immer von Lamia oder Corvo reparieren lassen, weil ich absolut keine Ahnung davon hab. Ich hab die Schule abgebrochen, bin impulsiv, respektlos und laut Raven rechthaberisch. Außerdem bin ich schlecht in Naturwissenschaften, launisch und unglaublich unordentlich. Soll ich weitermachen?“ Aiden musste über soviel offene Selbstkritik unwillkürlich lachen, aber einer der genannten Punkte machte ihn neugierig. „Warum hast du die Schule denn abgebrochen?“ „Um bei Raven zu arbeiten. Ich hatte das Geld einfach nötiger als den Schulabschluss.“ „Was ist mit deinen Eltern? Also nur wenn ich fragen darf.“ „Kein Ding. Mich stört das nicht. Ich hab meine Eltern nie kennengelernt, sondern bin in einem Waisenhaus aufgewachsen, aber sobald ich das Angebot von Raven hatte, bin ich da raus und zu ihr in die Wohnung.“ Aiden war sichtlich bestürzt, aber Reel schien das Ganze als Kleinigkeit abzutun. „Tut mir leid. Im Vergleich zu dir, sind meine Probleme echt Kinderkram.“ „Mach dir doch nicht immer solche Gedanken darüber“, seufzte Reel mahnend. „Jeder von uns hat sein Päckchen zu tragen und nur weil deine Probleme nicht existenziell sind, sind es trotzdem Probleme. Und du hast das Recht dich darüber zu beklagen und dich auszuheulen. Also mach dich nicht immer so fertig.“ Aidens Blick war erneut so trübsinnig, dass Reel das Gesagte nicht so stehenlassen konnte und mit einem aufmunternden Lächeln ergänzte: „Da kriegt ja selbst ein verwaister, mittelloser Kellner Mitleid mit dir.“ Und tatsächlich wanderten Aidens Mundwinkel ganz unwillkürlich ein Stück weit nach oben. Kapitel 5: Hibiskus ------------------- Aiden blieb fast den ganzen Sonntag über bei Reel, vertrieb sich mit ihm die Zeit und vergaß für ein paar Stunden seine Sorgen. Gegen 16 Uhr musste er dann aber doch der bitteren Realität ins Auge blicken. „Soll ich dich direkt nachhause fahren, oder lieber irgendwo in der Nähe absetzen?“, fragte Reel unsicher. Er wollte Aiden nicht in die Verlegenheit bringen, erklären zu müssen, warum er vom Motorrad eines zwielichtigen Typen wie Reel stieg, aber Aiden schien diese Gedanken überhaupt nicht gehabt zu haben. „Wieso nur in der Nähe? Ich weiß wo du wohnst, dann kannst du auch wissen, wo ich wohne. Ausgleichende Gerechtigkeit.“ Aidens Unbedarftheit traf Reel völlig unvorbereitet und für eine Sekunde starrte er ihn nur perplex an. „Reel, alles okay?“ „Ja, ich hatte nur nicht mit so einer leichtfertigen Antwort gerechnet.“ „Wieso?“ „Wer weiß. Vielleicht brech ich ja heimlich bei dir ein und entführe dich. Du kennst mich schließlich kaum“, neckte Reel ihn, um seine eigene Verlegenheit zu überspielen, und entlockte Aiden so ein überraschtes Lachen. „Ich bin seit gestern Abend ohne Handy und völlig wehrlos in einem fremden Stadtteil in deiner Wohnung. Ich glaube, wenn du mich entführen wolltest, hättest du schon genügend bessere Gelegenheiten gehabt.“ „Punkt für dich.“ Aidens offenherziges Lachen riss alle Mauern um Reels Herz nieder und ließ selbiges mühelos dahinschmelzen. Und Reel verstand nicht so recht warum. Irgendetwas hatte dieser Junge an sich, dem Reel sich beim besten Willen nicht erwehrten konnte. Aidens Sachen waren inzwischen vollständig getrocknet und so schlüpfte er wieder in seine Jeans und das langweilige, einfarbige Marken-Shirt. Seine Turnschuhe waren leider noch immer nass und fühlten sich eklig kalt an, als Aiden sie anzog. „Hier.“ Reel hielt ihm den Pullover ihn, den Aiden auch schon in der Nacht getragen hatte. „Sonst frierst du mir auf dem Motorrad fest.“ Mit einem schiefen Grinsen nahm Aiden den zu großen, schwarzen Pullover mit den dekorativen Aufnähern entgegen und schlüpfte dankbar hinein. Unbeholfen kletterte Aiden von dem Motorrad, wand sich ungeschickt aus dem schweren Helm und reichte ihn seinem Schutzengel. „Danke.“ Reel schenkte ihm ein schiefes Grinsen. „Kein Ding. Komm mal her.“ Nonchalant griff er nach Aidens Handgelenk, schob seinen Ärmel hoch und zückte einen Kugelschreiber. „Hier. Wenn was sein sollte, ruf einfach an oder schreib mir.“ Etwas perplex starrte Aiden die Zahlen auf der Innenseite seines Unterarms an. „Lass dich nicht unterkriegen. Ich hab morgen übrigens wieder Schicht im Bittersweet. Du kommst doch und spielst wieder mein Versuchskaninchen, oder?“ Mit einem belustigten Lächeln auf den Lippen nickte Aiden und verabschiedete sich von ihm. „Dann bis morgen.“ Geschickt wendete Reel auf der Stelle, winkte Aiden noch einmal zu und fuhr dann durch die beschauliche, gutbetuchte Nachbarschaft zurück ans anderen Ende der Stadt. Melancholisch schaute Aiden ihm nach und verspürte beim Anblick des wegfahrenden Reels einen seltsamen Stich in der Brust. Schweren Herzens riss er sich von der kleiner werdenden Gestalt in der Ferne los und schlurfte missmutig die gepflegte Einfahrt zu seinem Elternhaus hoch. Zögerlich steckte er seinen Hausschlüssel ins Schloss, drehte ihn und öffnete möglichst lautlos die Haustür. Zaghaft lauschte er, aber hörte niemanden. Seine Eltern waren wohl nicht da. Mit einem erleichterten Seufzen schloss er die Tür hinter sich, zog seine Schuhe aus und stellte sie zum trocknen unter die Heizung, bevor er die Treppe zu seinem Zimmer hinaufstieg. Lustlos zog er Reels Pullover aus, faltete ihn ordentlich zusammen und legte ihn fein-säuberlich auf seine Kommode. Er hatte völlig vergessen ihm den wiederzugeben, also würde er ihn morgen in die Schule und danach ins Café mitnehmen müssen. Auf dem Nachtschrank lag noch sein Handy, dass er am Vortag beim fluchtartigen Verlassen des Hauses dort vergessen hatte. Prüfend löste er die Tastensperre und wurde von einem leeren Screen begrüßt. Keine Nachricht und kein Anruf von seinen Eltern – ihnen war also wirklich nicht aufgefallen, dass ihr einziger Sohn das ganze Wochenende über ohne ein Wort und ohne sein Handy verschwunden war. Warum überraschte ihn das eigentlich nicht mehr? Entmutigt biss er sich auf die Unterlippe um seine aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, und wechselte schnell in sein digitales Telefonbuch. Mit zittrigen Fingern tippte er die Zahlen von seinem Unterarm ab und schickte Reel ein unverfängliches „Hier ist Aiden. Danke nochmal.“, damit er seine Nummer hatte. Pflichtbewusst wandte er sich anschließend seiner Pinnwand zu und konzentrierte sich lieber erst mal auf seinen Stundenplan. Übermäßig gewissenhaft packte er seine Schultasche für den nächsten Tag und griff sich anschließend sofort seine Videospielkonsole, um sich weiter abzulenken. Irgendwann hörte er dann wie im Erdgeschoss sein Vater das Haus betrat. Er telefonierte lautstark mit irgendwem von der Arbeit und sofort spürte Aiden wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Eilig kramte er seine Kopfhörer raus, schloss sie an seine Konsole an und drehte die Lautstärke hoch. Eine Weile später wurde Aidens Zimmertür ohne Vorwarnung geöffnet und seine Mutter stand mit verschränkten Armen um Türrahmen. Widerwillig setzte Aiden seine Kopfhörer ab um sich den Ermahnungen seiner Mutter zu ergeben. „Aiden, du kannst doch nicht das ganze Wochenende nur in deinem Zimmer herumgammeln. Ich weiß, dass ist für dich auch nicht leicht, aber wenn du dich nur hier einschließt, geht’s dir auch nicht besser. Geh doch lieber mal raus. Unternimm was mit Freunden oder geh in die Bibliothek zum Lernen.“ Aiden nickte nur stumm und ließ den endlosen Wortschwall seiner Mutter über sich ergehen. Sie sah abgekämpft und müde aus, und hatte gerade offensichtlich ganz andere Sorgen als Aidens Sozialleben. Von Unten ertönte plötzlich erneut die verärgerte Stimme seines Vaters – aber dieses mal lauter. Sofort versteinerten die Gesichtszüge seiner Mutter. „Hier. Hol dir morgen vor der Schule was beim Bäcker. Ich war nicht einkaufen und dein Vater garantiert auch nicht.“ Fahrig legte sie ein paar Geldscheine auf Aidens Schreibtisch. „Könntest ruhig mal wieder aufräumen“, meckerte sie über drei Stifte, ein Buch und ein paar Blätter Papier, die nicht ordnungsgemäß weggeräumt waren. Hastig machte sie sich wieder auf den Weg durch die Tür. „Ach, und Aiden? Setz´ die Kopfhörer ruhig wieder auf.“ Mit erschöpfter Miene verließ sie Aidens Zimmer und tippelte die Treppe hinunter, die sein Vater bereits zu erklimmen begonnen hatte. Laut und wütend schalten die Stimmen seiner Eltern durch das ganze Haus und Aiden sperrte sie mithilfe seiner Kopfhörer aus, doch es war zu spät. Seine Augen wurden schon wieder nass. Hilfesuchend ließ er den Blick durch sein Zimmer wandern und blieb an dem schwarzen Haufen Stoff hängen, der hier eigentlich nicht hingehörte. Ohne weiter nachzudenken krabbelte Aiden aus seinem Bett, holte Reels Pullover und zog ihn wieder über. Er roch noch immer nach ihm und dem gemütlich chaotischen Zimmer – nach Tee, Papier, ein wenig nach Staub – und Aiden fühlte sich sofort in die tröstliche, kleine Wohnung zurückversetzt. Etwas beruhigter zog er sich die Kapuze über den Kopf, wechselte von der Konsole auf Musik und bemerkte dabei eine Nachricht auf seinem Handybildschirm. „Kein Problem. Melde dich einfach, wenn irgendwas ist. Zur Not komm ich vorbei und entführe dich. Ich weiß ja jetzt, wo du wohnst ;)“ Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln auf Aidens Lippen. Reel war ein Engel, auch wenn er nicht unbedingt so aussah. Er war der einzige, den es wirklich kümmerte, wie es Aiden ging, und der wirklich für ihn da war. Und dabei kannte er Aiden im Grunde genommen gar nicht. Andererseits versetzte dieser Gedanke ihm einen tiefen Stich. Irgendein Kellner, den Aiden nur ein paar mal im Café getroffen hatte, war der einzige, an den er sich wenden konnte. Keiner von Aidens Freunden würde in seiner aktuellen Situation für ihn da sein. Und wenn er ehrlich war, wollte er auch mit keinem von denen reden oder vor ihnen einen derartigen Gefühlsausbruch haben, wie er es sich bei Reel erlaubt hatte. Lukas war sein bester Freund, aber mit solchen Dingen war selbst der hoffnungslos überfordert, und seine Eltern würden sofort bei Aidens Vater sturmklingeln, wenn er bei ihnen klitschnass und verheult vor der Tür gestanden hätte. Mal ganz zu schweigen von Lukas' Freundin, die sofort davon gewusst und diesen neuen Klatsch und Tratsch in der ganzen Schule verteilt hätte. Unbewusst vergrub sich Aiden immer tiefer in Reels Pullover und versank sehnsüchtig in dem weichen, schwarzen Stoff. Reel schloss die Wohnungstür hinter sich und sofort drang ungewollt ein tiefes, trübsinniges Seufzen aus seiner Kehle. „Du bist hoffnungslos in den Kleinen verliebt“, begrüßte ihn Ravens verständnisvolle Stimme vom Türrahmen der Küche aus. Reel nickte stumm. „Und du hast keine Ahnung, ob du überhaupt Chancen bei ihm hast.“ Dieses mal schüttelte er bestätigend den Kopf und sah dabei frustriert zu Boden. „Och Brüderchen.“ Fahrig stellte Raven ihre Kaffeetasse auf die Kommode im Flur und schlang tröstend ihre Arme um ihn. „Er gibt mir auch keine Hinweise. Er kommt nicht von sich aus auf mich zu, aber er weist mich auch nicht ab. Mit seinen gemischten Signalen kann ich einfach nichts anfangen.“ „Du musst das mit ihm klären. Sag ihm einfach was Sache ist, oder mach deine Absichten anderweitig klar. Dann weißt du endlich, woran du bist.“ „Ich weiß, aber...“ Reel ließ seine Stirn auf Ravens Schulter sinken. „Ich hab Angst, dass er nicht nur kein Interesse an mit hat, sondern es sogar eklig findet.“ „Wenn er deine Zuneigung eklig findet, dann ist er´s nicht wert, dass du dir solche Gedanken um ihn machst. Dann ist bei ihm eh Hopfen und Malz verloren und es würde nichts mir euch werden. Leg deinen Standpunkt offen. Du kannst dabei nur gewinnen – entweder er fühlt genauso wie du und ihr versucht es zusammen, oder es wird nichts, aber du weißt immerhin woran du bist. Beides ist besser als weiter im Dunkeln herumzustochern.“ „Du hast ja recht.“ „Weiß ich. Hab ich immer“, antwortete Raven verschmitzt und drückte ihn noch einmal enger an sich. „Aber...“ Wieder ein geschlagenes Seufzen von Reel. „Ich will ihm jetzt nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. Er hat gerade eh so viel um die Ohren und verlässt sich auf mich. Wenn ich ihn jetzt vor vollendete Tatsachen stelle, hab ich das Gefühl, ich würde seine Situation und sein Vertrauen ausnutzen. So wie...“ „So wie Corvo das früher immer gemacht hat?“ Er nickte in ihre Schulter hinein. „Und Corvo hat trotzdem sein passendes Gegenstück gefunden. Und dann auch noch so ne gute Partie. Aber ich versteh schon was du meinst. Also, was willst du machen? Mit ihm reden, das Risiko eingehen und endlich wissen, was Sache ist? Oder lieber abwarten, deine eigenen Gefühle hinten anstellen und weiter mit der Ungewissheit klarkommen?“ „Weiß ich doch auch nicht.“ „Oh man, Reel. Du bist echt zu lieb.“ „Verrats keinem.“ Raven unterdrückte ein liebevolles Lachen und auch Reel musste ganz unwillkürlich schmunzeln. „Ich backe gerade Zimtschnecken. Willst du uns ´nen Tee dazu machen und mit zu mir rüber kommen? Ich hab die neue Staffel von 'Mercucio' noch nicht gesehen.“ „Ich auch noch nicht.“ „Perfekt. Noch circa 10 Minuten, dann können die Schnecken aus dem Ofen.“ „Raven? Danke.“ Reel kuschelte sich noch einmal kurz in die braunen Locken, bevor er sie wieder losließ und mit neuem Mut in die vertrauten, smaragdgrünen Augen blickte. „Nicht dafür, Brüderchen. Im Vergleich zu Corvos katastrophalem Beziehungschaos bist du doch absolut pflegeleicht. Und wenn ich sogar meinen bindungsgestörten Zwilling erfolgreich unter die Haube bringen konnte, dann schaff ich das auch bei dir.“ Mit einem aufmunternden Lächeln drückte sie Reel einen geschwisterlichen Kuss auf die Wange und zog ihren kleinen Bruder mit sich in die Küche. Kapitel 6: Hanf --------------- „Du siehst heute ja noch trübsinniger aus als sonst“, stellte Reel mit einem besorgten Blick auf Aiden fest, während er ihm die übliche Tasse seiner Tagesmischung servierte. Aiden seufzte einmal ertappt, aber schenkte ihm ein beschwichtigendes Lächeln. „Ach passt schon. Könnte schlimmer sein.“ „Kann ich dich trotzdem für ein bisschen Ablenkung dieses Wochenende gewinnen?“ Etwas irritiert sah Aiden zu ihm hoch. „Mein Bruder und ein paar Freunde von uns kommen am Freitag vorbei. Nichts großes, nur ein entspannter Abend mit ein paar Leuten. Du musst nicht mitkommen, aber ich hätte dich gerne dabei.“ Aidens Herz machte einen kleinen Hüpfer. Reel wollte ihn dabeihaben. Und Aiden konnte wieder einem Wochenende zuhause entgehen. „Gerne“, nahm er also die Einladung mit sehr viel besserer Laune als noch zuvor an. „Super, dann komm am Freitag nach der Schule einfach hierher. Ich hab die letzte Schicht und muss abschließen, aber danach kann ich dich einfach gleich mitnehmen. Passt das für dir?“ „Perfekt. Dann kann ich vorher noch im Café meine Hausaufgaben machen.“ Raven beobachtete vom Tresen aus wie Reel und Aiden einander anlächelten und sich unterhielten. Sie konnte ihr Grinsen kaum verbergen und war ausgesprochen stolz auf ihren kleinen Bruder. Sie hatte ihn eine ganze Weile bearbeiten müssen, damit er sich traute, Aiden zu ihrer kleinen Zusammenkunft einzuladen. Ein zwangloser Abend mit etwas Alkohol und lockerer Stimmung könnte genau das Richtige sein, um die beiden etwas näher zusammen zu bringen. Und es würde den kleinen Schüler etwas von seinem Trübsinn ablenken. „Dein Grinsen sagt mir, dass du erfolgreich warst“, begrüßte sie Reel, als der strahlend wie ein Atomkraftwerk wieder hinter den Tresen trat. „Ach, sei still.“ Beide konnten ihr Schmunzeln nicht verbergen und Raven knuffte ihren kleinen Bruder liebevoll in die Seite. „Ich freu mich jedenfalls. Hast du gut ausgesucht, den Kleinen. Ich mag ihn.“ Als Reel und Aiden am Freitagabend in der Wohnung ankamen, tummelte sich dort bereits eine Handvoll Leute in ähnlichem Alter und Kleidungsstil wie Reel und Raven. „Reel, da bist du ja“, begrüßte sie die hübsche Blondine, die Aiden schon aus dem Bittersweet kannte. Allerdings wirkte sie hier ganz anders als auf der Arbeit. Sie trug eine Netzstrumpfhose, eine schwarze Hotpant und ein violettes, bauchfreies Oberteil mit einem rautenförmigen Cutout auf der Brust, die den Blick auf ihre Dekolletee freigab. Den letzten Rest ihrer sonstigen Unschuld und Eleganz war dahin, als sie nun auch Aiden mit schnodderiger Aussprache und beschwipstem Kichern begrüßte. „Nanu, wen haben wir denn hier? Du bist doch...“ Ein vulgäres Grinsen stahl sich auf ihre Lippen und sie grinste Reel wissend an. „Lamia, bring mir mal mein Glas“, rettete Ravens Stimme die beiden Neuankömmlinge, bevor die vorlaute Blondine etwas dummes sagen und Reel in Verlegenheit bringen konnte. Der umarmte indes einen jungen Mann, der quasi Ravens männliches Ebenbild war – mit den kurzen, kastanienbrauen Haaren, den exakt gleichen mandelförmigen, smaragdgrünen Augen und dem definierten Unterkiefer. „Corvo – Ravens Zwilling“, stellte er sich Aiden knapp vor und verschwand dann auch schon wieder in die Küche. Corvos Platz nahm ein breitschultriger Mann in seinen späten Zwanzigern ein, der auffallend groß und erschreckend normal gekleidet war. „Lass dich von ihm nicht verunsichern. Corvo braucht immer eine Weile um sich an neue Leute zu gewöhnen. Das ist nichts gegen dich persönlich. Ich bin Emilian.“ Höflich reichte er Aiden die Hand und lächelte ihn offenherzig an. „Aiden“, stellte auch der sich etwas überfordert vor. „Freut mich. Willst du ein Bier? Du bist doch volljährig, oder?“ Mit einem belustigten Lachen sahen alle zu Emilian rüber und der begann ebenfalls wissend zu grinsen. „Ja ja, euch interessiert das nicht, aber ich hab hier einen professionellen Ruf zu wahren, okay?“ Ohne auf eine Antwort zu warten reichte er Aiden eine Flasche und zwinkerte ihm scherzhaft zu. „Falls du nicht volljährig bist, dann sag´s mir bitte nicht, okay?“ „Aber ich bin 18“, verteidigte Aiden sich etwas verwirrt. „Umso besser.“ Nachdem Aiden sich der Gruppe vorgestellt und jeder von Reels Freunden dem einen wissenden Blick zugeworfen hatte, zog er seinen kleinen Schüler erst mal in sein Zimmer. „Lass dich von den Chaoten nicht verunsichern. Die ärgern dich nur, weil du der Neue bist.“ Aiden stellte seinen Rucksack in eine Zimmerecke und biss sich unsicher auf die Unterlippe. „Wenn es dir zu unangenehm wird, dann sag mir einfach Bescheid.“ „Nein nein. Ich bin´s nur nicht gewohnt so viele neue Leute auf einmal kennenzulernen“, beschwichtigte Aiden ihn. Er war überfordert, aber er wollte jetzt nicht wie ein kleines Kind nach den ersten paar Minuten herumjammern. „Willst du was von mir anziehen?“ „Hm?“ „Naja, du zupfst die ganze Zeit an deinem Shirt rum und verdeckst das Marken-Logo.“ Aiden lief rot an. Er fühlte sich unwohl damit, etwas so teures zu tragen, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Verhalten so auffällig war. „Hey, dass muss dir nicht peinlich sein. Komm mit. Du kannst dir was von mir aussuchen, was dir gefällt.“ Aiden schenkte ihm ein dankbares Lächeln und stellte sich neben ihn vor den hohen Schrank. Als die beiden das Zimmer wieder verließen und zu den anderen in die vergleichsweise geräumige Küche kamen, trug Aiden ein schwarzes, kurzärmliges Oberteil mit zierenden Riemen und Schnallen an der Taille, die Reel geschickt enger zog, um das Shirt auf Aidens schmaleren Körperbau anzupassen. „Steht dir gut“, hatte Reel zufrieden mit dem Anblick vor sich festgestellt und Aiden dadurch leicht erröten lassen. Er fühlte sich sehr viel wohler, wenn er nicht so völlig anders als alle anderen angezogen war. In der Küche schlossen sie sich dem regen Treiben an, und nach und nach fiel auch das Unbehagen des Neulings von Aiden ab und er beteiligte sich etwas selbstsicherer an den Gesprächen, in deren Verlauf sich ihm auch endlich erschloss, was es mit Emilians Frage nach seiner Volljährigkeit auf sich hatte. Der sportliche, große, junge Mann war Polizist, aber davon merkte man ihm hier in der leichtherzigen Runde kaum etwas an. „Gehen wir rüber?“, fragte Raven schließlich in die Runde und unter angeregtem Gequassel und angetrunkenem Gekicher pilgerte die Truppe in ihr Zimmer rüber. „Warte“, hielt Reel Aiden zurück, als er ihnen folgen wollte. „Zieh die lieber über. Ich kenn´ dich Frostbeule doch.“ Mit einem wissenden Schmunzeln nahm Reel seine Jacke vom Garderobenhaken und reichte sie dem etwas verwirrt drein-guckenden Aiden. Alle anderen hatten sich bereits auf Ravens Bett, dem Fensterbrett oder ihrer Kommode verteilt, als Aiden und Reel als letzte das Zimmer betraten. Und Aiden war sofort dankbar für Reels Jacke, denn das Fenster stand sperrangelweit offen und der kalte Luftzug ließ ihn unwillkürlich frösteln. Alle anderen schien die Kälte eher wenig zu stören. Lamia saß unbedarft in ihrem bauchfreien Top neben dem offenen Fenster und alle anderen trugen auch nur T-Shirts. Wenn er sich die Gruppe so ansah, stach außer ihm selbst wirklich nur Emilian – oder Emily, wie ihn hier sehr zu dessen Leidwesen jeder nannte – optisch ziemlich raus. Er war ein gutes Stück älter und um einiges größer als Aiden, trug ganz normale Kleidung, keine sichtbaren Piercings oder Tattoos und schien sich trotzdem nahtlos in die Gruppe einzufügen. Er saß dicht neben Ravens Zwillingsbruder und war anscheinend in ein angeregtes Gespräch mit Lamia vertieft. Reel zog Aiden mit sich und scheuchte Raven ein Stück bei Seite, damit die beiden sich zwischen sie und Corvo aufs Bett setzen konnten. Aiden fühlte sich noch immer etwas unwohl inmitten all der mehr oder weniger fremden Gesichter, aber keiner von ihnen schien sich an seiner Anwesenheit zu stören. Unter lautem Klappern und allgemeiner Vorfreude holte Lamia schließlich eine Blechdose aus ihrer viel zu großen, dunkelvioletten Handtasche, in der sich unter anderem Tabak, Papiere, Filter und ein kleiner Zipbeutel mit verdächtig grünem Inhalt befanden. „Willst du auch?“ Der fragende Blick der attraktiven Blondine lag auf Aiden, während sie auf ihrem Schoß bereits ein Papier zwischen ihre Finger klemmte. Da er ihr nicht sofort antwortete, setzte sie nochmal nach. „Hast du schon mal geraucht? Tabak oder Gras?“ Verneinend schüttelte Aiden den Kopf. Er kam sich so schrecklich unerfahren und langweilig vor zwischen all den anderen hier. Reel schien seine Unsicherheit zu spüren und legte unauffällig eine Hand an seinen Rücken, um ihn ein wenig zu beruhigen. „Du kannst es ja mal probieren. Ich pass schon auf, dass du nichts dummes machst, falls du nicht so gut auf das Zeug reagierst.“ Noch immer etwas peinlich berührt nickte er. Es reizte Aiden ja schon, und hier hatte er die Gelegenheit es in einem Savespace auszuprobieren. Raven und Reel würden auf ihn achtgeben, also warum sollte er nicht mitrauchen? Geschickt drehte Lamia mit ihren schmalen Fingern die getrockneten Pflanzenteile in das Papier ein, schob einen kleinen Filter in das eine Ende und drehte das andere gekonnt zu. „Husten“, stellte sie das Wort ohne weitere Erklärung in den Raum und alle stimmten ihr mit einem belustigten Grinsen und schelmischen Blicken auf Aiden zu. „Was?“ „Wir wetten, ob du bei deinem ersten Zug husten musst.“ Peinlich berührt stieg ihm das Blut in die Wangen und erntete erneut ungehemmtes Lachen. „Lass dich nicht ärgern, Aiden. Lamia hat sich bei ihren ersten Rauchversuchen fast die Seele aus dem Leib gehustet. Darum braucht sie solchen Spielchen jetzt für ihr Ego“, beruhigte ihn Ravens vergnügte Stimme und ließ Lamia ertappt los-meckern. Schließlich wendete sie sich dann aber doch lieber ihrem Joint zu, zündete ihn an und ließ einen unverkennbaren Geruch den Raum erfüllen. Genießerisch zog sie daran und ließ die Glut kurz aufglimmen, dann schloss sie die Augen, hielt für eine Sekunde inne und pustete den erkalteten Rauch wieder aus ihrer Lunge. Munter wanderte der Joint weiter und durchlief in jeder Hand die gleiche Prozedur wie eben bei Lamia. Schließlich atmete auch Reel den Rauch aus, reichte den Joint an Aiden weiter und sofort hefteten sich alle Blicke in freudiger Erwartung auf die Gras-Jungfrau in ihrer Mitte. „Aber nicht schummeln. Schön auf Lunge ziehen“, ermahnte ihn Lamia spielerisch und grinste ihn herausfordernd an. Zaghaft schob Aiden sich den Filter zwischen die Lippen, zog den Rauch erst in seinen Mund und mit einem zweiten Einatmen in seine Lunge. Für den Bruchteil einer Sekunde versuchte er sich gegen den Hustenreiz zu wehren, doch er hatte keine Chance. Unter vergnügtem, aber verständnisvollem Jubel hustete Aiden weiße Rauchwölkchen aus. Raven nahm ihm belustigt den Joint ab und Reel streichelte ihm beruhigend über den Rücken. „Und damit hat unter Neuzugang seine Jungfräulichkeit verloren“, postulierte Lamia feierlich und reichte ihm ihre Wasserflasche. Dankbar nahm er sie entgegen und trank ein paar Schluck um den Hustenreiz zu lindern. Der Joint wanderte inzwischen weiter und als er zum zweiten mal seinen Weg in Reels feingliedrige Finger fand und sie die Nervosität in Aidens Blick sehen konnte, meldete sich Lamia erneut zu Wort. „Nu sei doch nicht so, Reel. Gib dem armen Jungen einen Headshot, sonst kriegt er vom Husten noch Halsschmerzen und traut sich nie wieder mit uns zu rauchen.“ Raven kicherte kurz wissend auf und Reel stieg kaum merklich das Blut in die Wangen. „Was ist denn ein Headshot?“, fragte Aiden sichtlich verwirrt und zur allgemeinen Belustigung der Gruppe. Lamia sah auffordernd zu Reel und der leistete ihrer nonverbalen Aufforderung folge. Routiniert zog er an dem Joint, lehnte sich zu Lamia vor und pustete ihr den weißen Qualm in den Mund, wobei sich ihre Lippen leicht berührten. „Beim Headshot ist der Rauch schon etwas abgekühlt“, setzte Raven zu einer Erklärung an. „Das ist dann viel milder, wirkt nicht ganz so stark und kratzt nicht so im Hals.“ Aidens Blick traf auf Reels hellgraue Augen, die ihn unverwandt ansahen, und ohne den Blickkontakt zu unterbrechen wanderte der Filter wieder zwischen Reels schmale Lippen. Er lehnte sich auffordernd zu Aiden rüber, dessen Verstand jetzt einfach völlig aussetzte. Ob es nun das Gras vom ersten mal Ziehen, der Alkohol oder was ganz anderes war, konnte Aiden nicht sagen, aber er lehnte sich ganz absichtlich ein wenig zu weit in Reels Richtung und ließ ihre Lippen sich dadurch nicht nur leicht berühren, sondern einander großflächig umschließen. Instinktiv zog er Reels THC-schweren Atem in seine Lungenflügel, und als er sich von dessen Lippen löste und den Rauch wieder aus seinem Mund pustete, erfasste ihn eine tiefe, innere Ruhe, obwohl er grade vor aller Augen Reel geküsst hatte und er eigentlich vor Verlegenheit im Boden versinken müsste. Raven kicherte wieder neben ihnen und nahm Reel den Dübel aus den Fingern, während Lamia nicht mal versuchte ihr wissendes Lachen zu unterdrücken. Auch bei Reel trat so langsam die Wirkung des Grases in Erscheinung – er legte nonchalant einen Arm um Aiden, zog ihn etwas näher zu sich und lehnte sich entspannt zurück. Etwas benebelt und von der allgemeinen Stimmung dazu ermutigt ließ Aiden sich darauf ein, stützte seinen Kopf auf Reels Schulter und kuschelte sich in seine wärmende Umarmung. So verbrachte die ungleiche Gruppe den Abend in Ravens Zimmer, rauchte, trank und unterhielt sich über Gott und die Welt. Aiden fühlte sich zunehmend wohler zwischen den anderen und wurde entsprechend offener und fröhlicher. Das hier war eine völlig andere Welt, in der er sich keine Gedanken um die Probleme seines 'anderen Lebens' machen musste und einfach mal nur Aiden sein konnte. Keine streitenden und ewig unzufriedenen Eltern, keine oberflächlichen Freundschaften und kein langweiliges Spießerleben. Das hier mit Reel war viel interessanter, viel echter und endlich hatte Aiden mal das Gefühl wirklich dazuzugehören ohne auf seine Außenwirkung achten zu müssen. Hier fühlte er sich viel lebendiger und viel mehr wie er selbst. Nicht so wie sonst, wenn er immer versuchte die Version von sich selbst zu sein, die jeder von ihm haben wollte. Vielleicht stieg ihm aber auch einfach nur der Alkohol und das Gras zu Kopf. Wer weiß das schon? Zwischen 2 und 3 Uhr morgens klang der Abend für die Truppe aus. Emily schnappe sich Corvo und Lamia, versprach Reel, beide sicher nachhause zu bringen, und verabschiedete sich dann. Der Rest machte sich allein auf den Heimweg. Raven schüttelte ihr Bett einmal auf und fiel dann todmüde in selbiges. „Sag mal, Reel. Wo bringt Emily Corvo überhaupt hin? Er ist doch euer Bruder. Warum wohnt er nicht auch hier mir dir und Raven?“ Reel sah ihn kurz etwas perplex an, ehe ihm sein Versäumnis endlich auffiel. „Ich hab dir das gar nicht gesagt oder? Emily ist Corvos Verlobter. Die beiden wohnen zusammen und Lamias Wohnung liegt auf dem Weg. Darum liefert Emily sie immer da ab. Wir wollen Lamia nicht allein, betrunken und bekifft nachts durch die Stadt torkeln lassen, darum passt das ganz gut, dass Emily sich immer freiwillig opfert. Ansonsten müsste ich die Schnapsdrossel jedes mal nachhause bringen.“ Aiden fiel es wie Schuppen von den Augen – natürlich, Corvo und Emily. Plötzlich machte viel mehr von dem, was er den Abend über so beobachtet hatte, Sinn und er kam sich ein wenig naiv vor, weil es ihm nicht vorher aufgefallen war. „Wie fühlst du dich eigentlich?“ Aus seinen Gedanken gerissen starrte er Reel irritiert an. „Naja, du hast heute zum ersten mal Gras geraucht und dabei auch noch Alkohol im Blut gehabt. Kopfschmerzen oder schwere Glieder?“ „Nö, alles gut. Ich bin nur total müde.“ Zur Demonstration ließ Aiden sich schwer gegen Reel sinken und der drückte ihn reflexartig an sich. „Na dann ab ins Bett.“ Ein paar Minuten später fand Aiden sich auch schon neben Reel im Kissen wieder. Mit einem zufriedenen Seufzen kuschelte er sich unter die Decke und rückte etwas näher an Reels warmen Körper. Heute hatte er seit langem mal wieder richtig Spaß gehabt und das Leben genossen, und dafür war er seinem Schutzengel über alle Maße dankbar. Bei Reel fühlte er sich einfach immer wohl und dem schien es ganz ähnlich zu gehen. Nach einigem Zögern traute Reel sich schließlich, schlang einen Arm um seinen kleinen Schwarm und kuschelte sich an ihn. Anfangs hatte er sich Sorgen gemacht, er könnte Aiden mit seinem etwas eigenwilligen Freundeskreis überfordern oder abschrecken, aber der hatte sich recht schnell in den überwiegend chaotischen Trupp eingefügt und den Abend allem Anschein nach genauso sehr genossen wie Reel selbst. Zufrieden und müde vergrub er sein Gesicht ein Stück weit in den braunen Haaren und fiel in einen ruhigen Schlaf. Kapitel 7: Borretsch -------------------- Aiden spürte, wie ein regelmäßiger Atem seine Kopfhaut streifte und seine Haare im Rhythmus wippen ließ. Eine kleine Weile realisierte er gar nicht, wie nah er an Reel gekuschelt war, und so stieg ihm erst einige Minuten später das verräterische Rot in die Wangen. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er dicht mit Watte zugepackt und entsprechend gedämpft waren all seine Gedankengänge. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, Alkohol und Gras zu mischen, aber nun hatte er den Salat. Geschlagen seufzte er einmal gegen Reels Brust, an der noch immer sein Kopf ruhte. Aiden konnte sich nach wie vor nicht so recht entscheiden, ob diese Situation jetzt unangenehm für ihn war, oder nicht. Auf der einen Seite lag er hier in den Armen eines anderen Typen, auf der anderen Seite, war das eben nicht irgendein Typ – sondern Reel – und ihre Beziehung zueinander war ja eh ein wenig... speziell. Dass ihn diese ganze Situation nicht so sehr störte wie sie es vermutlich sollte, schob Aiden also einfach auf die ohnehin schon starke Vertrautheit zwischen ihnen. Immerhin hatte Reel schon ein ums andere mal das zweifelhafte Vergnügen gehabt, ihn am absoluten Tiefpunkt zu erleben und sich mit seinem gestörten Selbstwertgefühl herumzuschlagen. Während Aiden noch seinen Gedanken nachhing, entließ der Schlaf allmählich auch Reel aus seinen Fängen. Verschlafen pustete er einmal durch Aidens Haare und richtete sich dann ein Stück weit auf, um erkennen zu können, ob der noch schlief. „Morgen“, begrüßte er ihn, als er keine geschlossenen sondern offene Augen vorfand. „Morgen“, nuschelte Aiden zurück und trauerte heimlich Reels Wärme hinterher, als der ihn aus seiner Umarmung entließ. „'Tschuldige. Die Macke werd ich wohl nicht mehr los. Du kannst mich ruhig aufwecken, wenn ich dich nachts festhalte.“ „Ich merk das immer erst beim Aufwachen“, winkte Aiden beschwichtigend ab und lächelte ihn offenherzig an. Reel strich sich fahrig die Haare auf die eine, unrasierte Kopfseite, auf die sie ordnungsgemäß gehörten, und streckte anschließend knackend seine Glieder, um sein Grinsen über Aidens Antwort zu kaschieren und irgendetwas anderes zu tun, als verlegen, wie ein verknalltes Schulmädchen, vor ihm zu sitzen. Wie schaffte es dieser kleine, unschuldige Schüler nur so mühelos einen polizeilich aktenkundigen Gelegenheitsdieb mit (gelinde gesagt) zweifelhaftem Lebenslauf derart aus der Fassung zu bringen? Sobald Aiden lächelte oder ihn einfach nur ansah, legte sich bei Reel einfach ein Schalter um und seine mühevoll aufgebaute Fassade bröckelte nicht nur, sondern fiel sofort und restlos in sich zusammen. Die beiden ließen den Tag entspannt angehen, räumten irgendwann die Überreste ihrer gestrigen kleinen Party auf und schauten noch ein paar Folgen einer Serie. Pünktlich zum sehr verspäteten Mittagessen stolperte Raven dann leicht verkatert zu ihnen in die Küche. „Heute Abend ins Nest?“, fragte sie beim Essen und sah abwartend zwischen Aiden und Reel hin und her. „Heute? Du? In deinem Zustand?“ „Pff. Du kennst mich doch. Gib mir noch 2 Stunden und ich bin wieder fit wie ein Turnschuh – zwar wie ein Montags-Fabrikat, aber trotzdem wie ein Turnschuh“, kam prompt die freche Antwort, gefolgt von einem herausfordernden Grinsen. „Was ist denn 'das Nest'?“, klinkt sich nun auch Aiden ins Gespräch ein. Reel setzte bereits zu einer Antwort an, doch Raven kam ihm zuvor. „Das 'Krähennest' ist ein Szene-Club hier in der Gegend, in den wir gerne gehen. Willst du auch mit?“ Aiden haderte ein wenig mit sich. Er war nie ein großartiger Club-Gänger gewesen, aber gekifft hatte er vor gestern Abend ja auch noch nie, also was soll´s? Vielleicht gefiel es ihm ja besser als er dachte und seine Mom behauptete doch immer: 'it´s not about the time, but the people you spend it with'. Und bei Reel und Raven war seine Zeit bisher immer in sehr guten Händen gewesen. Also nickte er bestätigend. „Ich hab zwar nicht viel Club-Erfahrung, aber das kann man ja ändern.“ „Richtige Einstellung“, lobte Raven feierlich und klopfte ihm auf die Schulter. „Genau das wollte ich hören. Aber bevor wir dahin gehen, brauchst du definitiv was anderes zum Anziehen. In deinen eigenen Klamotten fällst du da auf, wie eine Pastell-Lolita auf na Beerdigung.“ Etwas betreten sah Aiden an sich hinab, aber er trug immer noch eine Jogginghose und T-Shirt von Reel, was die ganze Aktion null und nichtig machte. „Keine Angst“, las Reel seine Gedanken. „Wir finden schon was Passendes für dich. Irgendwas aus meinem oder Ravens Schrank wird dir schon gefallen UND dir passen.“ „Au ja. Make-Over-Time! Du hast so schön schmale Hüften und weiche Gesichtszüge – aus dir könnte man den perfekten Fem-Boy machen.“ Ravens Augen leuchteten fast schon, während sie den armen Aiden geistig schon durch ihren gesamten Kleiderschrank zog. Das betreffende Anziehpüppchen sah indes hilfesuchend zu Reel hoch, der erfolglos versuchte sein Lachen zu unterdrücken. „Darf Aiden vielleicht auch mitreden, was er in der Öffentlichkeit trägt?“ Erschrocken fuhr Raven aus ihrer Tagträumerei. „Achso. Ja. Natürlich. Tut mir leid.“ Sie schenkte beiden ein entschuldigendes Lächeln. „Am wichtigsten ist natürlich, dass du dich darin wohlfühlst. Aber vielleicht lässt du mich dich ja trotzdem mal in ein bisschen was gewagteres stecken. Nur hier in der Wohnung. Nur so. Corvo hat nicht mal annähernd die Figur dazu und weder er noch Reel passen in meine Klamotten.“ Aiden hatte nicht das Herz, ihr ihre Bitte abzuschlagen, also willigte er seufzend ein. Eigentlich hatte er wenig Lust darauf, sich von ihr in Frauenkleider stecken zu lassen, aber Raven tat so viel für ihn und so konnte er sich zumindest ein kleines bisschen bei ihr revanchieren. Immerhin ließ sie ihn hier schlafen, band ihn in ihre Freizeitgestaltung mit ein und stellte ihm nie unangenehme Fragen, sondern akzeptiere einfach seine Anwesenheit und seinen emotionalen Zusammenbruch von Letztens. Und so fanden sich die Drei am Abend wieder in Ravens Zimmer zusammen. Sowohl Reel als auch Raven hatten sich bereits umgezogen. Nur Aiden trug nach wie vor die geliehenen Schlabber-Klamotten. Ravens am Rücken großflächig ausgeschnittenes Oberteil gab den Blick auf ihre Schultern und einen großen Teil ihrer Wirbelsäule frei, auf denen die Abbildung eines riesigen Raben prangte, der vollständig aus verschlungenen Bändern bestand und seine gespreizten Flügel auf ihren Schulterblättern ruhen ließ. Raben und Krähen schienen irgendwie ein Ding in ihrer Familie zu sein – na gut, die Zwillinge waren schließlich auch beide nach ebendiesen Tieren benannt. „Das hier steht dir bestimmt gut. Und das hier. Oh das ist einfach perfekt, du hast die gleiche Kleidergröße wie ich.“ Aidens Augen wurden mit jedem Kleidungsstück, das die übermotivierte Café-Besitzerin aus dem Schrank hervorzog, größer und so langsam bereute er seine Entscheidung fast. Bei der Hälfte der Klamotten wusste Aiden nicht mal, ob es Oberteile, Unterteile oder Accessoires waren, geschweige denn wie man sie tragen sollte. „Schwesterchen, überfordere ihn doch nicht gleich. Was simples reicht doch.“ „Nein! Die Gelegenheit muss ich nutzen. Außerdem müssen wir ausgleichen, dass du keine Tattoos oder Piercings hast. Sonst fällst du doch noch den falschen Leuten auf.“ Reel warf ihr reflexartig einen mahnenden Blick zu, doch der brünett gewellte Haarschopf verschwand schon wieder in den Untiefen ihrer Kommode und förderten das nächste schwarze Netz-Oberteil zutage. „Zieh das hier mal über.“ Unschlüssig starrte Aiden auf den schwarzen Stoff in seiner Hand – und das war verdammt wenig Stoff. „Die Hose zieh ich nicht an!“ Während Reel im Hintergrund erneut in unterdrücktem Gelächter versank, hielt Aiden dessen Schwester besagtes Kleidungsstück vor die Nase. Auf dem ersten Blick war nichts an ihr auszusetzen, bis einem auffiel, dass die Seiten vollkommen offen waren und nur alle 15 Zentimeter von einem breiten Riemen zusammengehalten wurden. Die smaragdgrünen Augen schauten ihn betreten und mitleiderregend an und bescherten Aiden prompt ein schlechtes Gewissen. „Pack deinen Hundeblick ein und gib ihm einfach die Bondagehose mit den Riemen an der Taille“, eilte Reel zu seiner Rettung und sofort verschwand das traurige Schmollen aus Ravens Gesicht. „Na gut.“ Zielsicher zog sie die Hose aus dem Stapel, der sich mittlerweile auf ihrem Bett türmte, und reichte sie Aiden. Diese Hose bedeckte tatsächlich Aidens gesamte untere Körperhälfte und sie passte ihm wie angegossen, wenngleich sie zu seinem Unmut low-rise geschnitten war. Mit seiner oberen Hälfte war er allerdings noch nicht so zufrieden. Raven hatte ihn tatsächlich in ein langärmliges, feinmaschiges Netzoberteil gesteckt und das dünne, locker-sitzende, kurzärmlige Kapuzenshirt, das er darüber tragen sollte, endete bereits auf Höhe von Aidens Bauchnabel, wie er leider erst beim Anziehen bemerkt hatte. Peinlich berührt versuchte er seine Blöße mit den Armen zu verdecken und ein zarter Rotton färbe seine Wangen. „Das ist viel zu kurz.“ „Nein, es ist genau richtig. Kein Angst, das Netz ist eher ein Lochschnitt als ein richtiges Gitter. Es verdeckt viel mehr von dir, als du glaubst. Guck doch selbst.“ Kurzerhand zog sie ihn vor ihren mannshohen Spiegel. „Wenn du obenrum auch noch lange Klamotten trägst, stirbst du einfach vor Wärme.“ Überrascht drehte Aiden sich vor dem Spiegel ein wenig hin und her. Er sah aus wie ein völlig anderer Mensch – Kleider machen eben doch Leute – aber das war nicht die einzige Überraschung. Er gefiel sich erstaunlich gut in dem ungewohnten Outfit und Raven hatte recht, was das Netz betraf. Ganz unmerklich schlich sich ein freudiges Schmunzeln auf seine Lippen, während er weiterhin stumm sein Spiegelbild bewunderte. Raven suchte inzwischen einige Accessoires zusammen, mit denen sie Aiden ausstatten konnte. Flink fand ein simples, schwarzes Halsband seinen Weg an Aidens Körper, gefolgt von einem Leberarmband mit silberner Feder-Applikation aus Reels Besitz. „Eigentlich würde ich ja noch ein paar Ketten hier und da anbringen“, sie deutete auf Ringe an Aidens Hose und Shirt, die wohl offensichtlich für genau diesen Zweck dort angebracht worden waren. „Aber die stören beim Tanzen und werden im Laufe des Abend irgendwie immer schwerer.“ „Ich glaube, Aiden ist auch so schon auffällig genug um unauffällig zu sein“, schaltete sich Reel endlich wieder ein und begutachtete den Aiden a la Raven, der hier vor ihm stand. Heimlich dankte er seiner Schwester mental für ihre Kleiderwahl, denn wenn er nicht eh schon hoffnungslos verknallt in den kleinen Schüler wäre, dann wäre es spätestens bei diesem Anblick um ihn geschehen gewesen. Und plötzlich wurde auch Ravens Idee von dem Fem-Boy-Outfit immer reizvoller in Reels Kopfkino. Als das Krähennest langsam in Sichtweite kam, wurde Aiden zunehmend flau im Magen. Irgendwie hatte er bisher erfolgreich verdrängt, dass er sich hier im verrufenen Teil der Stadt befand und der sein schlechtes Image nicht ohne Grund hatte. Wenn er all die finsteren Gestalten hier so sah, kam er sich in den geliehen Klamotten plötzlich so klein und unzulänglich vor – klassischer Fall vom Imposter-Syndrom. Und das traf es ziemlich gut. Immerhin spielte er hier in gewisser Weise eine Rolle und gab vor etwas anderes zu sein als der langweilige, ordinäre Durchschnittstyp aus dem Reihenhaus, als der er wohl oder übel geboren wurde. Doch nun war es zu spät für einen Rückzug. Während Aiden in Selbstmitleid und Grübelei versunken war, hatten sie den Eingang des Szene-Clubs bereits erreicht. Und erst jetzt stellte Aiden fest, dass Reel und Raven nicht das Ende der Schlange ansteuerten, sondern direkt zu den beiden bulligen Türstehern gingen. „Hey Mikey“, begrüßte die zierliche Raven den Bären von einem Mann freiheraus. „Raven, Reel. Is echt Zeit, dass ihr mal wieder hier auftaucht.“ Ein Grinsen, fast genauso breit wie seine massigen Schultern, breitete sich auf dem Gesicht des einen Türstehers aus, das jedoch sofort einem einschüchternden Blick mit hochgezogenen Augenbrauen wich, sobald er Aiden erspähte. Unverhohlen musterte er den schmalen, fremden Jungen zwischen seinen beiden Bekannten. „Der gehört zu Reel“, erklärte Raven knapp. „Beziehungsweise zu uns.“ Mikeys Miene entspannte sich wieder und er wandte sich schulterzuckend von ihm ab. „Dann soll´s mir egal sein.“ Ohne einen Ausweis vorzuzeigen oder Eintritt zu zahlen, zogen die Geschwister Aiden nicht nur an dem Türsteher, sondern auch an der Kasse hinter der Eingangstür vorbei. Die junge Frau hinter dem Tresen nickte Raven und Reel nur kurz zu, sah, dass Aiden wohl in ihrer Begleitung war, und verschwendete daher keinen weiteren Gedanken daran ihn abzukassieren. „Wir kennen hier ein paar Leute“, erklärte Raven grinsend über die Lautstärke der Musik hinweg, als sie Aidens irritierten Blick bemerkte. Der Eingangsbereich bildete das Nadelöhr des Clubs und entsprechend voll war es hier. Immer wieder wurde Aiden von anderen Feiernden weggestoßen oder angerempelt, bis Reel mit einer Hand seine Schulter umfasste und ihn ein Stück weit zu sich zog. Aiden bedankte sich betreten, aber seiner Stimme ging vollkommen im Lärm unter. Er durfte Reel in diesem unsäglichen Gewusel unter keinen Umständen aus den Augen verlieren, sonst käme er sich hier vermutlich noch verlorener vor als eh schon und würde im schlimmsten Fall vielleicht wirklich noch entführt werden. Endlich betraten die Drei die eigentlichen Räumlichkeiten des Clubs und Aiden klappte die Kinnlade runter. Von Außen hatte das Krähennest ja ziemlich runtergekommen gewirkt, aber in seinem Inneren überraschte es mit mehreren gut-ausgestatteten Floors, einigen clever platzierten Ruhe-Nischen und einer gesunden Anzahl strategisch günstig-gelegener Bars. Der Hauptteil hatte optisch einen starken Industrial-Flaire, während die privateren Nischen mit schweren, samtigen Stoffen und Vorhängen ausgekleidet waren, die den Krach wirksam dämpften und problemlos zum Sichtschutz umfunktioniert werden konnten. Einige Treppen nach Oben und Unten verrieten, dass es wohl noch mehr Etagen gab, aber dort wollten die Geschwister wohl nicht hin. Raven steuerte zielsicher eine der Bartheken an, ignorierte erneut alle Wartenden und bekam sofort und ohne Bezahlung ausgeschenkt, was sie haben wollte. Arbeitete hier auch jemand, den sie nicht kannte? Ehe sie es sich versahen, hatten sowohl Aiden als auch Reel irgendein alkoholisches Getränk in der Hand. Reel sah seine Schwester vielsagend an, doch die lachte nur und rief ihm etwas zu, das Aiden als „Entspann dich. Ein Drink wird dich schon nicht umbringen“ deutete. Ihm war schon am Vortag aufgefallen, dass Reel kaum bis gar keinen Alkohol trank. Woran das lag, konnte Aiden allerdings nicht sagen und so langsam dämmerte ihm, dass er generell ausgesprochen wenig über den Mann wusste, mit dem er sich jetzt schon mehrfach ein Bett geteilt hatte – eigentlich völlig absurd, wenn er so darüber nachdachte, und auch nicht ganz ungefährlich. Unvermittelt rempelte Aiden ein Typ mit giftgrünem Undercut an und verschüttete dabei eines Teil seines Biers auf den Boden. Erschrocken schaute Aiden zu dem viel größeren Mann hoch, der ihn wüten anschnauzte. Doch noch ehe Aiden etwas erwidern konnte, wanderten die Augen des unfreundlichen Clubgängers zu Reel und Raven hinter ihm, weiteten sich ein Stück weit und ohne ein weiteres Murren machte der Mann auf dem Absatz kehrt und zog sich zurück. Aiden sah ihm noch kurz verwirrt nach, während Reel ihn intuitiv ein Stück näher zog. „Lass dich hier drinnen bloß nie auf einen Streit ein. Und halt dein Glas immer mit der Hand zu, damit dir keiner was reinwerfen kann“, warte ihn Reel, und seine durchdringenden Augen ließen keinen Widerspruch zu. Also legte Aiden brav seine Hand auf seinen Drink und rückte freiwillig weiter zwischen ihn und Raven. Die beiden schien man hier zu respektieren, also sollte er wohl immer darauf achten, dass seine Zugehörigkeit zu ihnen für jeden ersichtlich war. Kapitel 8: Ginkgo ----------------- Raven sorgte engagiert dafür, dass ihre Gläser nie lange leer blieben, und daher dauerte es nicht lange, bis Aiden den berauschenden Schwindel des Alkohols spürte und sein Unbehagen mehr und mehr davon verdrängt wurde. Recht schnell fand er sich mit Reel zwischen all den anderen Feiernden auf einem der Floors wieder, legte seine Scham ab und übergab das Steuer an den Whisky-Cola, den er grade ausgetrunken hatte. Niemand kannte ihn hier, keiner würde über ihn urteilen und nicht eine einzige Menschenseele in dieser Masse aus Körpern erwartete irgendwas von ihm. Also warum sollte er nicht einfach mal seine Außenwirkung und seinen Ruf vergessen und sich so geben, wie er sich wirklich fühlte? Reel schien es da ganz ähnlich zu gehen. Mit einer Eleganz, die Aiden ihm bei dieser Musikrichtung so gar nicht zugetraut hatte, und der Selbstsicherheit, die er bereits von ihm kannte, bewegte Reel seinen Körper – nichts schien selbstverständlicher oder einfacher für ihn zu sein und diese lockere Mühelosigkeit hatte etwas Ansteckendes an sich. Benebelt vom Alkohol, beschwingt von der Musik und ermutigt von Reels freizügigen Bewegungen ließ Aiden sich ebenfalls zu zunehmend offenerem Tanzen verleiten. Sorgenfrei ließ er sich vom Rhythmus der Musik und irgendwann ganz unbewusst von Reels Händen führen, der in der Enge der Menschenmasse immer näher kam. Seine Finger strichen bemüht beiläufig über Aidens halbnackte Oberarme und ließen einen angenehmen Schauer durch seinen gesamten Leib wandern. Seine hellen Augen hefteten sich immer unverhohlener auf den jugendlichen Körper vor sich und fingen Aidens Blick dabei unwillkürlich ein. Der Alkohol raubte Reel die Sinne, den Verstand und schließlich auch die Selbstbeherrschung – genau darum trank er normalerweise nicht so viel, aber jetzt war es zu spät. Seine Hand ruhte bereits auf Aidens Wange und ehe er es sich versah, trafen seine Lippen auf dessen Mund. Erschrocken weiteten sich Aidens Augen. Er hatte erahnt, was Reel vorhatte, aber sein Körper und Verstand waren einfach erstarrt. Er konnte ihn nicht rechtzeitig abwehren und wenn er endlich mal ehrlich zu sich war, wollte er ihn auch gar nicht abwehren. Sein Körper regierte ganz instinktiv – er schloss die Augen, seine Finger krallten sich in Reels Oberteil und seine Lippen gingen bereitwillig auf das Spiel ein, während Reel ihn gierig näher zu sich zog. Dessen Zunge glitt fordernd über Aidens Lippen und spaltete sie vergnügt um sich Einlass zu verschaffen. Aiden konnte spüren, wie Reel seine Mundhöhle in Besitz nahm, und als er sich auf das Zungenspiel einließ, bemerkte er eine interessante, kleine Metallkugel. Reel trug also auch dort ein Piercing – das war Aiden bisher gar nicht aufgefallen, aber es machte ihren Kuss um einiges spaßiger. Vergnügt umspielte Aiden die kleine Kugel mit der Zunge und kostete Reels reizvollen Geschmack voll aus. Wenn er morgen wieder nüchtern, klar und im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten war, würde er das hier sicherlich bereuen, aber jetzt gerade war es ihm schlichtweg egal. Reel schmeckte einfach zu gut, seine Lippe fühlten sich so berauschend an und seine flinken Finger wanderten frech unter den Saum von seinem geliehenem Oberteil. Aiden verschränkte inzwischen seine Arme in Reels Nacken und schmiegte sich gierig näher an ihn. Zwischen zwei Küssen legte Reel schließlich seine Stirn an Aidens, hielt sich schwankend an ihm fest und kicherte beschwipst. Sein Gleichgewichtssinn wurde schlechter und Aiden musste schnell schalten um ihn mit Mühe und Not noch festzuhalten. „Reel? Alles okay? Du siehst irgendwie nicht so gut aus“, fragte Aiden besorgt und konnte der Farbe in Reels Gesicht quasi beim Verschwinden zusehen. Der hielt sich nun gequält den Schädel und sah zu Boden. Verdammt, er hatte seinen Pegel nicht nur erreicht, sondern bei Weitem überschritten. Was für ein beschissenes Timing. „Sollen wir kurz raus?“ Reel nickte abwesend und stützte sich schwer auf Aiden, der ihn mühsam zur Tür geleitete. Draußen lehnte Reel sich gegen die Hauswand, drehte sich von Aiden weg und übergab sich schließlich. 'Na toll. Ich hab ja echt ne eigenwillige Wirkung auf ihn. Oder ich küsse wirklich schlecht', dachte Aiden still bei sich, während er Reel beruhigend den Rücken streichelte. „Wir gehen wohl besser heim, was?“ Reel nickte schwach und wich beschämt Aidens Blick aus. „Tut mir leid. Ich vertrage Alkohol nicht besonders gut.“ „Schon okay. Hier.“ Beschwichtigend reichte er ihm ein Taschentuch, legte sich dann Reels Arm über die Schultern und brachte ihn zu Fuß und in quälend langsamem Tempo zurück in die kleine Wohnung. Die drei Treppen erwiesen sich ebenfalls als schweres Hindernis, aber irgendwann standen die beiden endlich vor der Wohnungstür und Aiden fischte etwas peinlich berührt in Reels Hosentasche nach dem Schlüssel. Kaum hinter der Tür führte Reels erster Weg ins Bad. Aiden blieb an seiner Seite, streichelte ihm beruhigend über den Rücken und passte auf, dass Reel nicht das Gleichgewicht verlor. Schwer ließ der sich schließlich auf den Wannenrand sinken und stützte sich an der Wand ab, während Aiden geistesgegenwärtig einen Zahnputzbecher mit Leitungswasser füllte und ihm reichte. „Ich trinke nie wieder Alkohol.“ „Das sagen sie alle“, antwortete Aiden grinsend und setzte sich neben den leidenden Reel. „Schon etwas besser?“ „Hm“, brummte der bestätigend. „Ich bin müde. Ich putze nur noch Zähne und dann will ich ins Bett.“ „Alles klar. Ist dir noch schlecht?“ „Ja, aber ich glaub, ich hab nichts mehr im Magen, was ich noch loswerden könnte.“ Unbeholfen wand Reel sich aus seinen Klamotten, ließ sie achtlos auf dem Boden liegen und verkroch sich nur mit seiner Boxershort bekleidet im Bett. Aber wann immer er seine Augen schloss, drehte sich plötzlich alles und er musste fürchten, sich erneut zu übergeben. „Können wir noch irgendwas auf den Laptop anmachen? Nur bis das Drehen aufhört?“, nuschelte er Aiden zu und der holte schnell besagtes technisches Gerät vom Schreibtisch. „Tut mir leid“, entschuldigte er sich schon wieder, als Aiden neben ihm ins Bett krabbelte. „Ist doch okay. Du bist nicht der Erste, der Einen über´n Durst getrunken hat.“ „Aber jetzt hab ich dir den Abend versaut.“ Unwillkürlich musste Aiden lachen und schlang einen Arm um Reel. „Nein, hast du nicht. Ich hatte Spaß, wirklich. Und jetzt kann ich mich wenigstens mal ein bisschen bei dir revanchieren. Sonst musst du dich ja immer um mich kümmern, jetzt kann ich mal auf dich aufpassen.“ Dankbar kuschelte Reel sich an Aidens Brust und ließ sich von ihm den Rücken kraulen, während im Hintergrund irgendein YouTube-Video dudelte. Reel nickte so langsam in seinen Armen ein, aber Aiden kam noch lange nicht zur Ruhe. So langsam wurde auch er wieder nüchterner und spielte im Geiste nochmal ihren Clubbesuch nach. Verdammt, er hatte Reel geküsst – und zwar nicht so unschuldig und unverfänglich wie beim Rauchen – er hatte seine Zunge in seinem Mund gehabt. Und es hatte ihm unglaublich gut gefallen. Was war nur los mit ihm? Geistesabwesend strich er durch Reels rabenschwarze Haare. Aiden musste sich wohl oder übel eingestehen, wovor er bisher so vehement die Augen verschlossen hatte – er empfand mehr für Reel. Für einen Mann. Und Reel empfand ihm gegenüber offensichtlich auch mehr, als nur Freundschaft. Geschlagen massierte Aiden sich das Nasenbein. War das jetzt gut, oder schlecht? Wenn Reel ihn nicht auf diese Weise mögen würde, könnte Aiden seine Gefühle einfach als chancenlos und zum Scheitern verurteilt abtun. Aber so war es eben nicht. Reel hatte ihn geküsst und er war darauf eingegangen, also musste Aiden jetzt auch dazu stehen. Dabei hatte er eigentlich mehr Zeit nötig, um sich selbst erst mal an den Gedanken zu gewöhnen und sein eigenes Selbstbild etwas anzupassen. Immerhin hatte er sich noch nie zu Männern hingezogen gefühlt, darum hatte es ihn bei Reel auch so überrumpelt und er hatte jedes Gefühl ihm gegenüber als Einbildung abgetan. Aber jetzt galt keine Ausrede mehr. Er hatte sich in den dreisten, gepiercten, tätowierten Kellner verknallt, der gerade völlig betrunken auf seiner Brust schlief. 'Und sich nach einem Zungenkuss mit mir übergeben hat', ergänzte Aiden gedanklich und mit gemischten Gefühlen. Natürlich war ihm klar, dass es am Alkohol und nicht an ihrem Kuss gelegen hatte, aber ein bisschen nagte das schon an seinem Selbstwertgefühl. Als Reel wieder die Augen aufschlug, begrüßte ihn sofort sein brummender Schädel. Ihm war schlecht, er hatte Kopfweh, schwere Glieder und das viel zu helle Tageslicht blendete in seinen Augen. Gequält stöhnte er auf und vergrub sein Gesicht wieder an... ja, woran eigentlich? Einige Male blinzelte er angestrengt und lief hochrot an, als er sich seiner Situation bewusst wurde. Er lag auf Aidens Brust, hatte die Arme besitzergreifend um ihn geschlungen und trug dabei nichts, außer seiner Unterhose. Verflucht, er hasste Alkohol und er würde nie wieder welchen anrühren. Aufstehen wollte er allerdings auch nicht. Aidens anziehender Geruch hing ihm in der Nase und dessen Arme ruhten ganz unverblümt auf seinem nackten Oberkörper. Kopfschmerzen hin oder her, diese Situation würde er so lange wie möglich auskosten. Ein paar Minuten später spürte Reel allerdings, wie eine Hand unbedacht durch seine Haare glitt und Aiden unter ihm langsam wach wurde. Reflexartig richtete er sich auf, doch sofort befiel ihn ein starkes Schwindelgefühl und er musste sich den Kopf halten. „Reel! Alles okay?“ „Ja, aber schrei doch nicht so.“ „Entschuldige“, flüsterte Aiden verständnisvoll und strich Reel über den Rücken. „Soll ich dir Wasser holen?“ „Ja, bitte.“ Aiden kletterte aus dem Bett und Reel rief ihm noch schnell eine weitere Bitte hinterher. „Kannst du kurz nach Raven sehen?“ „Mach ich.“ Vorsichtig öffnete Aiden Ravens Zimmertür und lugte hinein. Die zierliche Frau lag komplett angezogen und mitsamt ihrer Schuhe neben ihrer Decke auf dem Bett und rührte sich nicht. Bemüht leise schlich Aiden zu ihr rüber, stellte sicher, dass sie atmete, und zog ihr die Decke bis über die Schultern. Mit einem Glas Wasser in der Hand kam er wieder zu Reel, der noch immer auf seiner Bettkante saß und sich den Schädel hielt. „Sie schläft“, beruhigte er Reel und reichte ihm das Glas. Dankbar stürzte der das Wasser in einem Zug hinunter und seufzte einmal gequält. „Warum hab ich eigentlich nichts an? Und wie sind wir nachhause gekommen?“ Etwas verwirrt setzte Aiden sich neben ihn. „Ich hab dich hergebracht, nachdem du dich hinterm Club übergeben hast. Du hast dir die Klamotten vom Leib gerissen und bist ins Bett gefallen.“ Peinlich berührt schlug Reel die Hände vors Gesicht. „Verdammt. Tut mir total leid. Ich hab dir den Abend versaut.“ „Hast du nicht. Hab ich dir doch gestern schon gesagt.“ „Hast du? Tut mir leid, ich hab nen totalen Filmriss. Hab ich irgendwas dummes gemacht? Ich neige dazu mich in Schwierigkeiten zu bringen, wenn ich trinke. Darum mache ich das normalerweise nicht. Ich hab doch nicht mit irgendwem Stress angefangen, oder?“ Aiden stutzte. Konnte Reel sich etwa auch nicht mehr an ihren Kuss erinnern? Das würde ja bedeuten, dass Aiden doch noch die Zeit bekommen könnte, die er brauchte. Auf der anderen Seite könnten seine Avancen auch nur dem Alkohol entstiegen sein, aber darüber würde Aiden sich später den Kopf zerbrechen. Die Zeit dazu hatte er ja jetzt unerwarteterweise doch. „Nein. Du hast nichts angestellt“, antwortete Aiden daher mit einem beruhigten Schmunzeln. „Na ein Glück.“ Reel seufzte schwer und hielt sich wieder den Schädel. „Darf ich dich nochmal losscheuchen? In einem der Küchenschränke ist ein Medikamentenkoffer. Holst du mir die Schmerztabletten daraus? Ich glaube ansonsten bin ich heute nicht zu ertragen.“ „Na klar. Warte kurz.“ Ganz beiläufig berührte Aiden seine Schulter und holte dann die entsprechenden Medikamente. „Danke. Tut mir leid, dass ich grade so jammervoll bin.“ Aiden lachte verhalten auf. „Ist schon okay. So hab ich wenigstens mal die Gelegenheit mich bei dir zu revanchieren. Ich hab gesehen, dass ihr noch Aufback-Brötchen habt. Soll ich die in den Ofen schieben und wir frühstücken im Bett?“ Reel hatte eigentlich nicht unbedingt Hunger, aber es würde seinen Magen beruhigen, also nickte er dankbar und sah Aiden hinterher, während der wieder in die Küche ging. „Danke. Und mach gleich ein paar mehr. Raven ist immer so unleidlich, wenn sie verkatert Hunger hat.“ „Alles klar. Mach ich.“ Aiden kannte sich inzwischen ganz gut in der Küche aus und wusste, was Reel und auch Raven gerne frühstückten, also kochte er Tee, schmiss die Kaffeemaschine an und belegte ein paar Brötchenhälften. Während er Letzteres tat, schlurfte Raven hinter ihm in die Küche. „Aiden, du bist ein Schatz. Ein Engel. Ein Goldstück. Ein absoluter Lebensretter.“ Sichtlich verkatert, mit verschmiertem Make-Up und heiserer Stimme stahl sie sich ein Brötchen und goss sich eine Tasse des frisch aufgebrühten Kaffees ein. „Wie geht’s Reel? Er hat für seine Verhältnisse wirklich viel getrunken“, fragte sie nachdem sie ein paar mal von ihrem Brötchen abgebissen und die Hälfte ihrer Tasse geleert hatte. „Der ist total verkatert, hat Schmerztabletten genommen und wartet grade im Bett.“ Verhalten begann Raven zu kichern und legte Aiden eine Hand auf die Schulter. „Sieht ihm ähnlich. Pass bloß gut auf mein Brüderchen auf. Der ist viel pflegebedürftiger als er sich immer gibt.“ Raven nahm den Teller mit Brötchen und den Kaffee, Aiden die Teekanne und drei Tassen, und beide liefen zu besagtem Pflegefall ins Nebenzimmer, der sich inzwischen immerhin ein T-Shirt übergezogen und sich dann wieder unter der Bettdecke verkrochen hatte. „Reel, du lebst ja noch.“ „Schrei nicht so, Raven“, beschwerte er sich und sah seine Schwester verärgert an. „Mecker mich nicht an, immerhin hab ich das Essen und den Kaffee“, neckte sie ihn und stellte beides auf den Nachtschrank. „Wirken die Schmerzmittel schon?“ Behutsam strich sie ihm die Haare aus dem Gesicht und setzte sich neben ihn. „Ja, passt schon. Scheiß Alkohol.“ „Du hast echt Glück, dass Aiden so gut auf dich aufpasst.“ Reel brummte bestätigend und schenkte ihm ein verlegenes, dankbares Lächeln, während er sich ein belegtes Brötchen vom Teller nahm. „Ja, er ist ein wahrer Sonnenschein“, ergänzte er mit einem Zwinkern und Aiden stieg das Blut in die Wangen, während er auf Reels anderer Seite ins Bett krabbelte. 'Sonnenschein' war ein kleiner Insider zwischen ihm und Reel, aber das musste kein anderer wissen. Es war ihm schon peinlich genug, dass Reel ihn mit dieser kitschigen Abwandlung seiner Namensbedeutung ständig aufzog. Die drei frühstückten zusammen, schauten Serien auf dem viel zu kleinen Laptopbildschirm und die Geschwister bekämpften gemeinsam ihren Kater, während Aiden sich um beide kümmerte. Wie es jetzt dazu gekommen war, dass der Schüler auf die beiden über 20-jährigen aufpasste, war ihm zwar ein Rätsel, aber irgendwie freute es Aiden, dass er sich auf diese Weise endlich mal bei ihnen bedanken konnte. Außerdem genoss er diesen entspannten Sonntag mit Reel und Raven auch ziemlich. Das hier fühlte sich familiärer an als alles, was Aiden innerhalb der letzten zwei Jahre mit seinen Eltern erlebt hatte, also kostete er die Gesellschaft der beiden liebenswerten Schnapsdrosseln voll aus, bevor er heute Abend wieder zurück in sein 'anderes Leben' musste. Den Rückweg zu Aidens Elternhaus fuhr Reel dieses mal auffallend langsam. Zum Einen dröhnte ihm noch immer ein wenig der Schädel und zum Anderen wollte er Aiden nicht wieder vor dem Reihenhaus absetzen, das der doch so eindeutig hasste. „Danke. Das Wochenende war echt schön“, begann Aiden mit der Verabschiedung, als er in der gepflegten Einfahrt von dem umgebauten Motorrad abstieg und Reel den Helm reichte. „Das freut mich. Du kannst gerne nächstes Wochenende wieder rum kommen. Also nur wenn du nichts anderes vorhast natürlich.“ Verlegen nahm Reel den Helm entgegen und war unglaublich froh darüber, dass sein eigener die verräterische Röte in seinen Wangen verbarg. Über Aidens Gesicht ging indes ein Strahlen und er nahm das Angebot dankbar an. „Ach ja. Das hab ich ja völlig vergessen.“ Aidens Blick hing an seinem Handgelenk, das noch immer von Reels Lederarmband geziert wurde. Unbeholfen machte er sich daran, den Verschluss zu lösen, doch Reel legte beschwichtigend eine Hand auf den Knoten. „Behalt´s ruhig. Ich hab das eh seit Ewigkeiten nicht getragen und es steht dir gut.“ „Danke.“ Kurz zögerte er, aber dann gab Aiden doch dem Impuls nach und umarmte Reel zum Abschied. „Bis Morgen.“ Fast jeden Nachmittag verbrachte Aiden im Bittersweet, fast jedes Wochenende bei den Geschwistern und ehe er es sich versah, besaß er plötzlich zwei Leben – das eine, in dem er ständig versuchten musste, der perfekte Sohn und der perfekte Schüler zu sein, der immer brav „Ja“ und „Amen“ zu allem sagte, niemandem Ärger machte und niemals negativ auffiel. Und das andere, in dem er zu Reel und den Zwillingen gehörte, von Markenjeans in schwarze Szene-Klamotten wechselte, trank, rauchte und sich mit den anderen die Nächte im Krähennest um die Ohren schlug. Die Zweiteilung war perfekt. Beide Leben spielten zwar nur in unterschiedlichen Teilen der gleichen Stadt, aber es hätten genauso gut zwei verschiedene Welten sein können. Ihr einziger Berührungspunkt war das Bittersweet-Café. Wobei das so nicht ganz stimmte, denn immer wieder schlich sich der Einfluss der Geschwister auch in Aidens normalen Alltag. Er war ein wenig selbstbewusster und tat sich weniger schwer damit, seinem Unmut hier und da auch mal Luft zu machen, anstatt ihn immer nur stillschweigend hinunterzuschlucken. Reels Armband legte er nur zum Duschen ab, damit das Leder nicht nass wurde, und den großen, flauschigen Pullover trug er immer, wenn seine Eltern ihm mal wieder zu viel wurden. Eigentlich hatte er ja vorgehabt ihm den wiederzugeben, aber er brachte es einfach nicht fertig, sich von dem kuscheligen, kleinen Rückzugsort zu trennen, und Reel hatte bisher nicht danach gefragt, also behielt er ihn vorerst. Kapitel 9: Baldrian ------------------- Verbissen drückte Aiden sich seine Kopfhörer auf die Ohren. Er hatte heute einfach schon zu viel von seinen Eltern gehört. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als sie endlich aus seinem Kopf auszusperren, sie nicht mehr zu hören und nicht mehr an sie zu denken. Aber selbst die höchste Lautstärkestufe und seine teuren Noisecanceling-Kopfhörer schafften es nicht, seine Gedanken zu übertönen, und so saß er in Reels Pullover gehüllt auf seinem Bett und unterdrückte den Drang zu Schreien. Die Zeiger seiner Wanduhr ließen soeben die Eins hinter sich und Aiden starrte noch immer mit leerem Blick die Zimmerdecke an. Inzwischen war es still im Haus geworden, aber seine Gedanken kreisten unaufhörlich um das, was er heute hatte mitanhören müssen. Geschlagen seufzend nahm er sein Handy zur Hand in einem verzweifelten Versuch sich irgendwie abzulenken. Wie von selbst öffnete er den Chatverlauf mit Reel und scrollte gedankenlos durch die Nachrichten. Irgendwie hinterließen sie einen unerklärlich bittersüßen Geschmack bei ihm. Dass er sich in ihn verliebt hatte, war Aiden inzwischen sonnenklar. Er hatte auch nach ihrem Kuss im Krähennest immer wieder verbissen in sich hineingehört und gehofft, dass die vorlaute Stimme, die ununterbrochen den Namen des dreisten Kellners rief, endlich verstummte. Doch stattdessen war sie mit jedem Tag lauter und deutlicher geworden und Aiden musste sich wohl oder übel eingestehen, dass er wohl doch nicht so hetero war, wie er sich immer eingeredet hatte. Klasse. Noch etwas, womit er seine Familie enttäuschen und für Ärger sorgen würde. Aber so langsam war ihm das auch egal. Es kümmerte schließlich auch niemanden, das Aiden von seinen Eltern enttäuscht war und sich über sie ärgerte. Plötzlich sprang der Chat ganz automatisch an dessen Anfang und zeigte Aiden neue Worte. „Solltest du nicht längst schlafen? ;)“ Reel musste gesehen haben, dass Aiden online war, und hatte ihm kurzerhand geschrieben. Mit einer Mischung aus Überraschung und Freude wählte Aiden sein Textfeld an. „Ich kann nicht schlafen.“ „Wieder Ärger zuhause?“ Aiden schluckte kurz. Er spürte wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete und biss sich auf die Unterlippe um die Tränen im Zaum zu halten. „Ja, aber es geht schon. Ist keine Katastrophe. Ich mach mir nur zu viele Gedanken.“ „Hör doch auf, dass immer relativieren zu wollen. Du kannst deswegen nicht schlafen, also ist es eine Katastrophe. Willst du drüber reden? Vielleicht geht’s dir dann besser. Oder wir reden über was ganz anderes und versuchen dich ein bisschen abzulenken.“ Aiden sah eine Weile auf die digitalen Buchstaben und war unendlich dankbar für Reel. Er war zwar grade nicht physisch bei ihm, aber er gab ihm das Gefühl nicht allein und nicht unwichtig zu sein. Also nahm er das Angebot dankend an. „Alles klar. Ich ruf dich an.“ Hecktisch tippte Aiden auf seinem Bildschirm herum. Er dachte Reel meinte mit 'reden', dass sie chatten würden und nicht telefonieren. Beim Schreiben konnte er seine Gefühle verstecken, aber am Telefon würde seine Stimme ihn früher oder später verraten. Aber es war zu spät – ehe er seine Nachricht abschicken konnte, vibrierte sein Handy und Reels Name erschien gemeinsam mit einem grünen Hörersymbol auf dem Touchscreen. Nervös atmete Aiden ein paar mal tief durch und klickte dann auf Letzteres. „Wie geht’s dir“, begrüßte ihn Reels vertraute und nur leicht vom Telefon verzerrte Stimme. „Hm. So semi-gut.“ „Willst du mir erzählen, was los ist, oder soll ich dich ablenken?“ Aiden schwieg einen Moment. Reels Stimme und verständnisvoller Tonfall beruhigten ihn mehr als er erwartet hatte und gaben ihm den nötigen Schubs, um sich seinem gepiercten Schutzengel endlich anzuvertrauen. „Meine Eltern sind grade mitten in der Scheidung. Mein Vater lebt nur noch für seine Arbeit und meine Mom hat das nicht mehr ausgehalten, obwohl sie in der gleichen Firma arbeitet wie er. Vor einigen Wochen hat sie dann herausgefunden, dass er sie seit Monaten betrügt, und jetzt keifen sie sich bei jeder Gelegenheit an bis die Wände beben. Mom ist so mit sich selbst und der Situation überfordert, dass sie keinen Nerv mehr für mich hat, und mein Vater hat sich eh seit Jahren nicht mehr für etwas anderes als meine Schulnoten interessiert.“ Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus und Aiden konnte plötzlich gar nicht mehr aufhören zu reden. Es war, als hätten die Gefühle und Sätze nur darauf gewartet endlich freigelassen zu werden, und nun ließen sie sich von nichts mehr halten. „Eigentlich sollte ich damit ja besser umgehen können, aber ich ertrag´s einfach nicht mehr. Ich glaube, die beiden sind nur so lange zusammen geblieben, weil ich da bin. Einerseits bin ich Schuld an dem ganzen Mist und andererseits interessiert keinen, wie es mir dabei geht. Meine Eltern haben bisher noch kein einziges Mal gemerkt, dass ich fast jeden Tag erst super spät von der Schule komme und dass ich am Wochenende nie da bin. Und falls sie es doch gemerkt haben, dann hat sich keiner von beiden die Mühe gemacht, mich danach zu fragen.“ Reel hörte ihm geduldig zu und versuchte möglichst alles zu verstehen, was Aiden in immer schneller werdender Folge erzählte. Das erklärte, warum er immer so lange wie möglich im Bittersweet blieb und partout nicht nachhause wollte. Reel konnte die Verzweiflung und Frustration in seiner Stimme hören und sofort wurde in ihm der Wunsch wach, ihn zu sehen. „Mom schläft im Hotel und mein Vater ist nochmal wegen irgendwas ach so Wichtigem in die Firma gefahren. Und keiner von beiden hat auch nur ein Sterbenswort zu mir gesagt oder sich verabschiedet. Hätte ich sie unten nicht streiten hören, hätte ich gar nicht mitbekommen, dass ich grade ganz allein zuhause bin.“ Die Wut in seiner Stimme ging immer mehr in Trauer und Enttäuschung unter. „Tut mir leid, Reel. Ich heule dir hier die Ohren wegen meiner Eltern voll, obwohl du -“ „Denk den Gedanken nicht mal zu Ende“, unterbrach ihn Reel an dieser Stelle ganz entschieden. Er hasste es wegen seiner familiären Situation bemitleidet zu werden, weil es da nichts zu bemitleiden gab. Er mochte sein Leben so wie es war. „Ich hab meine Eltern zwar nie kennengelernt, aber ich hab sie auch nie vermisst. Ich hab die Zwillinge und liebe meine kleine, kaputte Familie. Ich würde um nichts in der Welt mit dir tauschen wollen, Sunshine. Deine Situation ist beschissener als meine, das kannst du mir glauben.“ An Aidens Ende der Leitung wurde es plötzlich still. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht so anfahren. Das ist vermutlich das Letzte, was du gerade gebrauchen kannst“, setzt Reel in sanfterem Tonfall nach und ohrfeigte sich innerlich für seine Impulsivität. „Schon okay. Ich hab nur das Gefühl, dass ich dich bei jeder Gelegenheit mit meinem Scheiß volljammere.“ „Das ist doch in Ordnung. Du weißt doch, dass du dich bei mir immer über alles auskotzen kannst. Ich kann damit schon umgehen und dir geht’s danach besser.“ „Danke Reel.“ „Nicht dafür. Geht´s dir denn schon etwas besser?“ Aiden brummte bestätigend ins Telefon. Er hatte zwar nasse Augen und dieses enge, beklemmende Gefühl in der Brust, aber ihm war schon etwas leichter ums Herz. „Hör zu, Sonnenschein. Ich kenn´ mich damit zwar nicht aus, aber ich denke, dass deine Eltern dich trotzdem lieben. Sie sind momentan beide überfordert und leiden bestimmt genauso unter der Situation wie du, aber sie tun dir nicht absichtlich weh. Momentan ist es halt einfach scheiße, aber es wird auch wieder besser. Es ist total anmaßend von mir das jetzt so zu sagen, aber nimm es deinen Eltern nicht zu übel. Du bist ihnen wichtig, auch wenn es sich jetzt gerade nicht so anfühlt.“ Wieder bildete sich der Kloß in Aidens Hals. Genau das war ja sein größtes Problem. „Das glaube ich nicht. Wenn Eltern sich darüber streiten, bei wem das Kind nach der Scheidung leben soll, dann sollten doch normalerweise beide ihr Kind bei sich haben wollen, oder? Ich hab heute über eine Stunde lang meinen Eltern dabei zugehört, wie sie sich gegenseitig Argumente an den Kopf geworfen haben, warum ich beim jeweils Anderen bleiben sollte. Beide sehen mich nur als Last und Hindernis. Keiner von beiden will mich. Warum haben sie mich überhaupt gezeugt, wenn ich doch anscheinend nur ein Klotz am Bein bin?“ Aidens Stimme brach. Seine Tränen erstickten immer mehr seiner Worte und rannen ihm nun unaufhaltsam die Wangen hinunter. Er wollte nicht so schwach und jammervoll sein, aber er hatte einfach keine Kontrolle darüber, so sehr er es auch versuchte. Reel hörte Aidens Schluchzen durch die Telefonleitung und hielt es nicht mehr aus. „Zieh dich an. Ich bin in 20 Minuten bei dir.“ „Was?“, schniefte der verwirrt in den Hörer. „Ich komm dich abholen. Ich lass dich jetzt doch nicht alleine. Du hast gesagt, deine Eltern sind nicht da, also ist es doch egal, ob du zuhause oder bei mir schläfst.“ „Aber ich hab morgen Schule.“ „Nimm deine Schulsachen einfach mit. Ich fahr dich morgen früh rechtzeitig hin. Okay?“ Aiden nickte, bemerkte aber schnell, dass Reel das ja durchs Telefon gar nicht sehen konnte. „Ja. Danke“, schob er daher schnell noch verbal hinterher und verarbeitete geistig noch, was hier gerade passierte. „Alles klar. Ich hab schon fast meine Schuhe an und meinen Helm in der Hand, und lauf gleich runter. Bin in 20 Minuten bei dir.“ „Danke.“ „Schon okay. Ich lass dich doch nicht einfach alleine, wenn´s dir so dreckig geht. Bis gleich, Sunshine.“ Aiden nahm das Handy von seinem Ohr und drückte es einem irrationalen Impuls folgend eng an seine Brust. Reel war wirklich sein Engel – er fuhr an einem Wochentag mitten in der Nacht einmal quer durch die halbe Stadt, nur damit Aiden nicht allein mit seiner Einsamkeit, Wut und Enttäuschung war. Eilig kletterte er aus seinem Bett, wischte sich die Tränen weg, zog sich an und überprüfte noch einmal seine Schultasche. Kurz überlegt er, sein Schlafzeug einzupacken, aber er entschied sich dagegen. Er würde sich lieber wie immer etwas von Reel leihen. Darin fühlte er sich eh wohler, als in den unnötig teuren Klamotten, die seine Mom ihm immer von ihren Shoppingtouren mitbrachte. Shopping war ihre Art mit der Situation umzugehen und Aiden für die Vernachlässigung zu entschädigen. Dass das in seinen Augen nichts besser machte und ihm auch in keinster Weise half, schien seiner Mutter dabei nicht wirklich bewusst zu sein. Andererseits war sie mit sich selbst, der Scheidung, der Wohnungssuche und der Versetzung an einen anderen Firmenstandort schon vollkommen ausgelastet und hatte keine Kapazitäten mehr für das Befinden ihres Sohnes. Ungeduldig saß Aiden auf der Treppe, wippte mit den Fußspitzen und sah abwechselnd aus dem Fenster und auf seine Handyuhr. Er wollte einfach nur weg von hier und zu Reel. Als er endlich das Motorengeräusch näherkommen hörte, machte sein Herz einen freudigen Hüpfer. Hastig stürme er aus der Tür, ließ die belastende Stille des edlen Reihenhauses hinter sich und flüchtete sich in Reels tröstende Arme. „Ist ja gut. Ich bin ja da. Ich hab doch gesagt, ganz zur Not komme ich vorbei und entführe dich“, versuchte der überrumpelte Reel ihn irgendwie zu beruhigen und streichelte seinen Rücken, während er noch immer seinen Helm trug, weil Aiden ihm keine Zeit gelassen hatte, ihn abzunehmen. „Danke“, nuschelte der in Reels Jacke und löste sich kurze Zeit später wieder von ihm. Aiden hatte diese Umarmung dringend gebraucht, aber jetzt wollte er schnell weg aus der Edelgegend und in die gemütliche, kleine, etwas chaotische Wohnung von Reel und Raven. Beschwichtigend reichte der ihm den Helm seiner Schwester und ließ den etwas zittrigen Aiden hinter sich aufsteigen. Dessen Griff um seine Taille war auffallend eng und bereitete Reel ein wenig Sorgen. Es brach ihm das Herz, ihn so leiden zu sehen, und er wollte ihn einfach nur in den Arm nehmen. Aber dafür mussten sie erst mal wieder nachhause kommen, also startete Reel sein Motorrad und brachte Aiden weg aus dem deprimierend perfekten Wohnviertel. Wieder in Reels Zimmer angekommen, schlüpfte Aiden eilig in die so beruhigend großen Klamotten von Reel, in denen noch immer dessen Geruch hing. Kurz darauf kam der mit zwei Tassen dampfendem Tee und stellte beide auf dem Nachtschrank ab, bevor er sich zu ihm aufs Bett setzte. Instinktiv schlang Aiden die Arme um ihn und vergrub sein Gesicht an Reels Brust. Er wollte sich einfach nur von ihm trösten lassen und alles andere ausblenden, und Reel erfüllte ihm diesen Wunsch bereitwillig. Behutsam strich er ihm durch die Haare und über den Rücken und redete dabei beruhigend auf ihn ein. Dieser Abend – beziehungsweise diese Nacht – riss Aidens letzte Zweifel und Barrikaden nieder. Er wusste jetzt, was er wollte, und sein aktueller emotionaler Zustand ließ ihn sich genau das einfach nehmen. Müde kuschelte er sich an Reel und sein Blick heftete sich ganz automatisch an dessen Lippen. 'Ach scheiß drauf.' Eher er es selbst so recht merkte, legte er eine Hand an Reels Wange und zog ihn ein Stück weit zu sich runter. Reels Gedanken gefroren einfach, sobald Aidens Lippen seine eigenen umschlossen. Genau das hatte er sich ja die ganze Zeit gewünscht, aber jetzt da es passierte, konnte er es nicht fassen und war völlig überrumpelt. Zu seinem Glück reagierte sein Körper ganz instinktiv auch ohne sein bewusstes Zutun, sonst hätte Aiden seine Regungslosigkeit wohl als Ablehnung fehlinterpretieren können. Völlig selbstverständlich rutschte Aiden wieder an seinem Körper runter und kuschelte sich erneut an seine warme Brust, in der sein Herz völlig außer sich vor Freude und Überraschung wild gegen den Rippenkasten trommelte. Einige Minuten blieben sie einfach so sitzen – schweigend und beide mit wild klopfendem Herzen. „Willst du drüber reden? Den Kuss meine ich“, brach Reel etwas unbeholfen die Stille. „Du weißt, dass ich mehr für dich empfinde. Das habe ich ziemlich offensichtlich gemacht, denke ich.“ „Es war ja nicht unser erster Kuss.“ Aiden wich ihm etwas peinlich berührt aus, aber er konnte Reels verwirrten Blick dennoch auf sich spüren. „Erinnerst du dich an unsere erste Clubnacht?“ „Du meinst die Nacht, an die ich mich nicht erinnern kann?“, fragte Reel scherzhaft. „Genau die. Du hast mich geküsst. Mitten auf der Tanzfläche. Darum weiß ich auch von deinem Zungenpiercing.“ Ein verhaltenes aber durchaus freches Schmunzeln stahl sich ganz unwillkürlich auf Aidens Lippen, als er an den besagten Abend und den betreffenden Kuss zurückdachte. „Also hab ich doch was angestellt, während ich betrunken war.“ Resigniert fuhr Reel sich mit den Fingern durch die Haare und versuchte erfolglos seine Verlegenheit zu überspielen. „Ja, aber du hattest mich nur gefragt, ob du was Dummes gemacht hast. Und ich fand das nicht dumm, also...“ „Wenn du von meinem Piercing weißt, dann war es nicht nur ein unschuldiger, kleiner Kuss, oder?“ „Nein, als unschuldig kann man das eher weniger bezeichnen.“ „Warum hast du´s mir nicht gesagt?“ Enttäuschung fand ihren Weg in seine Stimme, so sehr Reel sie auch zu verbergen versuchte. „Ich musste erst mal selbst damit klarkommen. Du bist der erste Mann, für den ich so empfinde. Ich dachte einfach nie, dass ich... also... Ich hatte ein wenig Angst und ...“ „Ist schon okay. Ich weiß schon lange, dass ich schwul bin, aber ich kann mich trotzdem noch daran erinnern, wie verwirrend das für mich am Anfang war.“ „Außerdem hast du dich gleich danach übergeben.“ Reels Gesichtszüge entgleisten. „Oh nein. Echt jetzt?“ „Ja. Wir haben auf der Tanzfläche rumgeknutscht, dann wurde dir plötzlich schlecht und wir mussten raus an die Luft. Und kaum waren wir aus dem Club raus, hast du dich übergeben und der Abend war gelaufen.“ Beschämt verbarg Reel seine Schamröte hinter seinen Händen. „Oh nein. Das tut mir total leid. Ich schwöre, dass lag am Alkohol und nicht an dir.“ „Weiß ich doch. Aber das Timing war trotzdem schon fast auf Slapstick-Niveau.“ Beschwichtigend kuschelte Aiden sich wieder enger an ihn und dieses mal konnte Reel tatsächlich bewusst darauf reagieren, anstatt nur zu erstarren. Zärtlich schloss er ihn in seine Arme und vergrub sein Gesicht in dem braunen Haarschopf. „Und du hast mich einfach wochenlang zappeln lassen. Frech von dir, Sunshine.“ Doch Aiden reagierte nicht mehr. Die Erschöpfung des Tages hatte ihn übermannt und so war er einfach in Reels Schoß eingeschlafen. Mit einem glücklichen Schmunzeln rutschte Reel mit ihm in den Armen an der Wand runter, damit sie beide in die Kissen sinken konnten. Irgendwie war das typisch für Aiden – erst stellte er Reels gesamte Welt auf den Kopf und dann war er plötzlich nicht mehr in der Lage ihm Rede und Antwort zu stehen, weil er schlief oder das Bittersweet verließ. Aber jetzt gerade, war ihm das erst mal egal. Reels Arm schlief unter Aidens Gewicht ein, seine Endorphine ließen ihn nicht zu Ruhe kommen und er würde bereits in wenigen Stunden aufstehen müssen, um Aiden zur Schule zu fahren, aber trotzdem konnte er nicht aufhören zu grinsen. Kapitel 10: Rosmarin -------------------- Verwirrt blinzelte Reel gegen das helle Tageslicht an und suchte nach der Quelle des Musikstücks, das ihn so unverhofft aus dem Schlaf gerissen hatte. Er wollte sich aufsetzen und sofort durchfuhr seinen rechten Arm ein unangenehmes Kribbeln. Aiden lag seelenruhig an Reels Brust gekuschelt, drückte dabei die Blutzufuhr in dessen Arm ab und verursachte so das kribbelige Brennen. So langsam kamen Reels Erinnerungen an den vergangenen Abend zurück und schickte seine Mundwinkel erneut himmelwärts. Zärtlich strich er Aiden eine Haarsträhne aus dem Gesicht, hauchte einen Kuss auf dessen Stirn und redete leise auf ihn ein, um ihn möglichst sanft aus seinem Schlaf zu holen. Mindestens genauso verwirrt, wie Reel es gewesen war, blinzelte nun auch Aiden gegen das viel zu grelle Tageslicht an. Verdammte Fenster auf der Ostseite! „Konntest du einigermaßen schlafen?“, zog Reel seine Aufmerksamkeit wieder auf sich und Aiden nickte bestätigend. „Im Berufsverkehr brauchen wir mindestens 20 Minuten – eher 25 – bis zum Plec-Gym. Geh du ruhig zuerst ins Bad, ich setz´ schon mal Wasser für Tee auf, koche Kaffee und guck mal, ob die Küche noch was fürs Frühstück hergibt.“ Noch etwas abwesend nickte Aiden, während Reel ihm liebevoll die wirren Haare glattstrich. „Ich hab dich aus dem Tiefschlaf gerissen, oder? Tut mir leid.“ Ein weiterer Kuss fand seinen Weg auf Aidens Stirn. „Werd erst mal richtig wach. Aber nicht wieder hinlegen! Und mach bitte deinen Handywecker aus, ich hab keine Ahnung wo du das hast.“ Mit einem frechen Grinsen und beschwingten Schritten verschwand Reel in die Küche und Aiden suchte indes nach seiner Jacke, in deren Tasche sich sein Handy befand und noch immer unaufhörlich ein ruhiges Klavierstück abspielte. Völlig übermüdet saß er auf der Bettkante und starrte in die Leere des Zimmers, um endlich richtig hochzufahren. Sein Blick wanderte durch den unordentlichen Raum, über das überfüllte Bücherregal, den chaotischen Schreibtisch und die unzähligen Zeichnungen und Fotos, die die Wände zierten. Dass Reel gerne Erinnerungsstücke in verschiedensten Formen behielt, wusste Aiden inzwischen, und auch viele der abgebildeten Personen kannte er mittlerweile. Da waren seine Geschwister Raven und Corvo, seine Freunde Emily, Lamia, Mikey, und auch sich selbst erkannte Aiden auf der ein oder anderen Zeichnung wieder. Unwillkürlich schlich sich ein Schmunzeln auf seine Lippen, doch es verschwand sofort wieder, als sein Blick an der Zeichnung gleich daneben hängen blieb. Sie zeigte Reels häufigstes Motiv – eine zierliche, fast schon elfenhafte Gestalt mit unglaublich langen, hellen Haaren, von der Aiden bisher noch nie persönlich etwas gehört oder gesehen hatte. Vom Aussehen her war nicht einmal eindeutig zu erkennen, ob es sich dabei um einen jungen Mann oder eine Frau handelte, aber Reel hatte ihn oder sie unzählbar oft auf das Papier gebannt und dabei zumeist den Fokus auf die Augen gelegt. Sie waren wunderschön, einprägsam, hell und irgendwie auf jedem Bild etwas gebrochen. Selbst wenn die unbekannte Schönheit lächelte, schwang in ihrem Blick immer etwas ängstliches und zerbrechliches mit. Unwillkürlich glitt Aidens Blick zu seiner eigenen Reflektion im Spiegel. Er selbst war im Vergleich zu Reels Lieblingsmotiv total langweilig mit seinen braunen Haaren, braunen Augen und dem Allerweltsgesicht – mehr Durchschnitt ging ja wohl kaum. Mit einem schweren Seufzen schüttelte er die trüben Gedanken ab und sammelte seine Klamotten zusammen. Widerwillig zog er seine Jeans an und starrte eine Weile unschlüssig auf sein einfarbiges Markenshirt, bevor er es kurzerhand wieder über die Rückenlehne des Schreibtischstuhls hängte und stattdessen Reels Kleiderschrank öffnete. „Steht dir gut“, stellte Reel mit einem überraschten Schmunzeln fest, als Aiden die Küche betrat und dabei eins seiner unauffälligeren aber dennoch ungewöhnlichen T-Shirts trug. „Ein bisschen groß vielleicht.“ Beiläufig zupfte er am Saum des asymmetrischen, schwarzes Oberteils mit den ungleich langen Ärmeln und ganz unwillkürlich bemächtigte sich eine zarte Röte Aidens Wangen. Verlegen schlang der die Arme um Reels Taille und verbarg sein gerötetes Gesicht an dessen Halsbeuge. „Is es okay für dich, wenn ich mir das für die Schule ausleihe?“ „Natürlich. Ich hab doch gesagt, mein Schrank steht dir immer offen.“ Bereitwillig drückte er Aiden kurz an sich und hauchte ihm einen Kuss auf die Schläfe. „Hier, bevor er kalt wird.“ Reel reichte ihm eine dampfende Tasse, aus der ihm der verführerische Geruch von schwarzem Tee mit einer dezenten Zitrusnote entgegen stieg. Eilig frühstückten die beiden zusammen und machten sich dann auf den Weg in den schmuddeligen Hinterhof, wo Reels Motorrad parkte. „Ich hab heute die Frühschicht im Café. Ich werd also gleich zur Arbeit gehen, wenn ich dich abgesetzt hab. Willst du anschließend mit ins Bittersweet kommen, oder soll ich dich abholen?“ Aiden haderte mit sich. Er hatte sich zwar inzwischen damit abgefunden, dass er sich in einen Mann verliebt hatte, und auch Reels Aussehen und Herkunft störte ihn kein bisschen, aber wenn er ehrlich war, wollte er sich dem Getuschel und Gerede seiner Mitschüler nicht unnötig aussetzen, also verabredete er sich lieber im Café mit ihm. Zu spät kam Aiden allerdings trotz ihres eiligen Frühstücks. Der Berufsverkehr machte ihnen das Vorankommen schwer und so waren die meisten Schüler bereits in ihren Klassenräumen, als Aiden endlich von dem Motorrad sprang, sich aus seinem Helm kämpfte und hastig losrannte. Etwas enttäuscht sah Reel der davoneilenden Gestalt hinterher. Er hatte sich ja doch irgendwie einen Abschiedskuss erhofft, aber ein Blick auf das dunkelgrüne Objekt in Aidens Hand verriet ihm, dass eine Verabschiedung wohl nicht das Einzige war, was seine verpeilte Sonne in diesem Moment vergessen hatte. So schnell seine Beine ihn trugen stürmte Aiden über den Schulhof und durchs Foyer. Wenn er schon wieder zu spät kam, bestand die Gefahr, dass seine Lehrerin ihm eine Verwarnung erteilte und über die würden dann wiederum auch Aidens Eltern informiert werden. Das Risiko wollte er auf keinen Fall eingehen, und hatte sich wegen seiner Panik nicht mal vernünftig von Reel verabschiedet oder sich bei ihm fürs Mitnehmen bedankt. Dafür würde er sich später noch bei ihm entschuldigen müssen, aber erst mal musste er es vor dem letzten Klingelzeichen in seinen Fachraum schaffen. „Sag bloß, du hast jetzt auch ne Simmi“, begrüßte ihn Lukas' vertraute Stimme, als Aiden völlig außer Atem von dem kurzen Sprint in seinem Klassenzimmer ankam und sich neben ihm auf den Stuhl fallen ließ. „Was?“ Erst jetzt fiel ihm auf, dass er vergessen hatte, den Helm an Reel zurückzugeben, und er ihn noch immer in der Hand hielt. „Mist. Ähm. Nein, hab ich nicht. Ein Freund hat mich hergefahren.“ Aidens Gewissen zwickte ihn bei den Worten „ein Freund“, aber was war Reel jetzt eigentlich für ihn? Sie hatten sich geküsst und einander gestanden, dass sie mehr für den jeweils anderen empfanden, aber Fakten geschaffen hatten sie nicht. „Was hast du da überhaupt an? Ist das Montagsware oder ist dir das Shirt unter den Rasenmäher geraten? Das Ding ist ja völlig verzogen.“ „Das muss so“, fuhr Aiden ihn leicht verärgert an. „Ich mag´s.“ Lukas zog nur skeptisch die Augenbrauen hoch und ignorierte das Thema dann geflissentlich. Wenn es ihm gefiel, sollte Aiden halt tragen, was er wollte. Aber über diesen unbekannten Freund, der ihn hergefahren hatte, musste er ihn nochmal ausfragen. Immerhin war es schon etwas seltsam, dass Aiden mitten in der Woche morgens von irgendwem zur Schule gefahren wurde. Er hätte die Nacht bei diesem „Freund“ verbracht haben müssen und egal wie viel Ignoranz man Lukas manchmal nachsagte, er war weder blind noch dumm. Ihm war schon aufgefallen, dass sein Freund sich verändert hatte, aber bisher hatte Lukas das immer auf die laufende Scheidung seiner Eltern geschoben. Aber vielleicht steckte ja doch etwas mehr dahinter. „Es ist eine der Kellnerinnen aus dem Bittersweet, nicht wahr?“ „Was?“ „Na ich bin doch nicht bescheuert. Du bis jeden Tag nach der Schule in dem Café und hast am Wochenende nie Zeit für mich. Gib´s zu, du hast dich in eine der Kellnerinnen verguckt.“ Ungewollt lief Aiden ein wenig rot an und wich Lukas' Blick ertappt aus. „Wusste ich´s doch. Welche ist es? Die süße Blondine mit den schönen Beinen und dem großen Vorbau, oder die Brünette mit dem losen Mundwerk und dem stechenden Blick? Oder is es doch die niedliche Asiatin mit dem- Aua!“ Sofort fing Lukas sich für diese etwas zu detaillierte Beschreibung anderer Frauen einen Schlag von seiner Freundin ein. „Was denn? War doch nur ne Feststellung. Du bist natürlich viel süßer und hübscher und attraktiver und intelligenter und charmanter und -“ „Ja ja, versuch bloß dich rauszureden“, neckte Sophie ihren Freund und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Aber jetzt bin ich auch neugierig. Welche ist es, Aiden?“ „Ist doch egal. Warum interessiert euch das so sehr?“ „Also ist es wirklich eine aus dem Bittersweet“, prustete Lukas triumphierend hervor. „Wusste ich´s doch.“ Und schon wieder stieg Aiden die verräterische Röte ins Gesicht. „Hey, Sophie. Hast du Lust heute nach dem Unterricht ins Bittersweet zu gehen?“ Mit einem belustigten Lachen und einem theatralischen „Oh ja. Was für eine hervorragende, spontane Idee ohne jeden Hintergedanken“ besiegelte sie Aidens Schicksal. Mit rasendem Herzen und steigender Nervosität betrat Aiden das vertraute Café in Begleitung von Lukas und Sophie. Sofort trafen Ravens stechend grüne Augen auf ihn und sie kam mit beschwingten Schritten und einem freudigen Lächeln auf ihn zu. „Aiden. Du hast meinen Helm dabei. Sehr gut.“ „Deinen Helm?“, fragte Lukas mit einem ungläubigen Blick auf Raven. „Ja, meinen Helm. Mein Bruder hat Aiden heute zur Schule gefahren, also hab ich ihm meinen Helm geliehen. Geh doch schon mal nach hinten, Aiden. Wir wollen morgen übrigens wieder ins Krähennest. Nur damit du schon mal Bescheid weißt.“ Raven schenkte ihm ein vielsagendes Zwinkern und deutete auf die Tür hinterm Tresen. Bevor seine Begleiter unbequeme Fragen stellen konnten, nickte Aiden ihr zu, verabschiedete sich knapp und ohne Blickkontakt von Lukas und Sophie, und verschwand dann im Hinterzimmer, wo er prompt von Reels nacktem, tätowiertem Rücken begrüßt wurde. „Perfektes Timing. Ich zieh mich nur noch schnell um, dann können wir los.“ In einer fließenden Bewegung schlüpfte Reel in sein Oberteil mit zierender Schnürung an der Seite und lehnte sich dann zu Aiden rüber. „Darf ich?“ Der nickte noch etwas perplex und ließ sich von Reel einen begrüßenden Kuss auf die Lippen geben. „Alles okay? Du siehst etwas blass aus. Ist was passiert?“ „Nein, alles gut. Ich war nur kurz mit meinen Gedanken woanders.“ Mit einem anzüglichen Schmunzeln sah Reel vielsagend an sich herunter und zog sein Oberteil gerade. „Oh, wo genau warst du denn?“ Ertappt wich Aiden seinem Blick aus und brachte damit auch Reel unwillkürlich zum Kichern. „Ach, du bist doof.“ Lachend legte Reel einen Arm um Aidens Schultern und zog ihn sanft ein Stück weit zu sich. „Wollen wir noch einen Abstecher in die Innenstadt machen?“ „Also quasi ein Date?“, platzte Aiden völlig unüberlegt heraus und brachte Reel damit erneut in Verlegenheit. „Irgendwie schon. Also... nur wenn du willst natürlich.“ „Du kannst ja doch rot werden“, stellte Aiden begeistert fest und sein Grinsen wurde noch breiter. „Das sagt der Richtige.“ „Nehmt euch ein Zimmer“, fiel ihnen Lamia plötzlich belustigt ins Wort und schob sich an den zwei Tomaten vorbei an die Pinnwand, wo sie besonders theatralisch eine weitere Servierte mit einem Kompliment darauf anpinnte. „Was denn? Habt ihr jetzt die Zunge des jeweils anderen verschluckt, oder was?“ Kurz rang Lamia mit sich, aber sie konnte sich den letzten Kommentar, der ihr noch auf den Lippen brannte, beim besten Willen nicht verkneifen, obwohl sie wusste, dass Reel ihr dafür später die Hölle heißmachen würde. „Sei vorsichtig, Aiden. Der beißt.“Mit einem vulgären Grinsen und einem wissenden Zwinkern lief sie wieder an den beiden vorbei und ließ sie einfach stehen. „Was?“ Aiden sah verwirrt und ein wenig gekränkt zu Reel, in dem die Wut fast überkochte. Das würde er ihr heimzahlen und zwar doppelt und dreifach. Er ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass seine Fingernägel kleine Sichelmonde in seinen Handflächen hinterließen, doch er riss sich zusammen, um Aiden nicht noch mehr zu verunsichern. „Was meint sie denn damit?“, gab der schließlich seinem gekränkten Selbstwertgefühl nach und fragte nach, da Reel keine Anstalten machte, diesen Kommentar als dummen Witz abzutun. „Ich weiß, es wirkt manchmal so, aber Lamia und ich hatten nie was miteinander. Ich schwör´s. Eine Affäre, die ich mal hatte, hat´s ihr verraten und jetzt spielt sie das gerne gegen mich aus. Aber die Affäre ist längst Geschichte. Das... war mal ne Dummheit, auf die ich mich eingelassen hatte. Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber.“ So richtig beruhigen tat Aiden diese Erklärung nicht, aber eigentlich wollte er auch keine genaueren Details wissen – vorerst. „Was ist das hier?“, lenkte er daher schnell von der seltsamen Situation ab und betrachtete interessiert die gut gefüllte Pinnwand. „Das ist eine Spielerei von uns Mitarbeitern. Nimm das nicht zu ernst.“ Am liebsten hätte Reel ihn sofort von da weggezogen. Er wollte nicht, dass Aiden nun doch noch ein falsches Bild von ihm kriegen und ihn für einen Player halten könnte. So war er nicht. Er hatte nie auch nur ein einziges der schlüpfrigen Angebote angenommen und war auch nie versucht gewesen, das zu tun. Es gab nur diese eine einzige Affäre, die ihm jetzt im Nachhinein unangenehm war, aber die hatte nichts mit den Gästen des Cafés zu tun. „Das ist ja ne ziemliche Sammlung.“ Interessiert wanderten Aidens Augen über die vielen Zettel, Servierten und beschrifteten Rechnungen und staunte nicht schlecht über die Schamlosigkeit einiger Nachrichten. „Die meisten hat Lamia bekommen“, versuchte Reel das Ganze irgendwie zu relativieren. „Sie legt es aber auch immer darauf an. Die Pinnwand war ihre Idee gewesen und sie macht da gern einen Wettbewerb draus.“ Aiden wurde unterdessen so langsam bewusst, was die Arbeit hier für die Mitarbeiter – und natürlich auch für Reel – bedeutete. Ihm selbst war ebenfalls schon aufgefallen, was für unanständige Blicke ihm einige Kundinnen völlig unverhohlen zuwarfen und auch einige schlüpfrige Gesprächsfetzen hatte er schon mitbekommen, während er hier im Bittersweet auf Reel gewartet hatte. Dass das Ganze Teil des Geschäftskonzepts war, wusste Aiden inzwischen, aber trotzdem hat es ihn immer gestört, wenn er Leute so über Reel hat reden hören oder er sah, wie sie ihn anschmachteten. Und jetzt, wo er wusste, dass er Reel liebte, verstand er auch, warum ihn diese Leute, ihre dummen Sprüche und eindeutigen Blicke immer so störten. „Also? Innenstadt?“, riss Reel ihn aus seinen Gedanken. „Wir können ins Einkaufcenter gehen und ein bisschen durch die Läden schlendern. Da werden auch noch bis Ende des Monats Sachen zum Thema Astronomie ausgestellt.“ „Stimmt, das ist ja das aktuelle Motto der Straßen-Galerie. Ich wusste gar nicht, dass du dich für sowas interessierst.“ „Ist dir das zu langweilig?“ „Nein, gar nicht. Ich bin nur beeindruckt, dass du es immer noch schaffst, mich zu überraschen.“ Erleichtert stieß Reel die Luft aus und Aiden fing ganz unwillkürlich zu lachen an. „Du bist echt der letzte Mensch in dieser Dimension, der sich Sorgen darüber machen muss, dass er zu langweilig sein könnte.“ Ein aufmunternder Kuss fand seinen Weg auf Reels Lippen und der schloss beruhigt die Arme um seine kleine Sonne. Er hatte sich schon Sorgen gemacht, Aiden könnte es ablehnen mit ihm in der Öffentlichkeit gesehen zu werden, aber eigentlich sollte er ihn inzwischen besser kennen. Schließlich trug er sogar Reels Klamotten in der Schule. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)