Zum Inhalt der Seite

The Weapon They Fear

Sasuke x Sakura
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo,

gerade erst habe ich meine andere Naruto-Fanfic beendet und nun startet schon die nächste ... Eigentlich wollte ich mich vorerst meinen anderen angefangenen Projekten widmen, aber diese Idee ließ mich einfach nicht mehr los. Ich bin gespannt, wie die Story ankommt. Feedback ist wie immer gerne gesehen. ;)

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe Leser,

dieses Kapitel ist eine Rückblende und spielt ca. drei Jahre vor den Ereignissen in The Weapon They Fear. Dieses Kapitel war eins der ersten, die ich zu dieser Geschichte geschrieben habe. Es ist schließlich die Ausgangsitation und erklärt das Verhalten von Sakura und Sasuke. Ich denke, jetzt wird einiges klar. Ich bin schon sehr gespannt auf eure Reaktionen.

Das nächste Kapitel ist noch in Arbeit. Im Moment gibt es ein anderes Pairing aus dem Narutoverse, das mich ein wenig ablenkt, und zu dem ich gerne schreiben würde. Deshalb kann ich noch nicht sagen, wann das nächste Update bei TWTF kommt.

Vielen lieben Dank an die Kommentare, die ihr mir hinterlasst! Ich freue mich wirklich sehr darüber :)

Jetzt erstmal viel Spaß beim Lesen!
stone Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe Leser,

ich bin tatsächlich selbst überrascht, dass dieses Kapitel doch so schnell fertig geworden ist, denn wie gesagt hatte ich vor an einem anderen Projekt zu arbeiten. Allerdings haben mich eure Kommis so sehr ermutigt weiterzuschreiben, dass ich mich doch wieder dran gesetzt habe und es heute doch noch fertig geworden ist. :)

Deshalb noch einmal: Vielen lieben Dank für eure Kommis! 🖤

Ehm, für dieses Kapitel gibt es eine kleine Triggerwarnung: Es kommen Depressionen vor. Also, wer nicht stabil genug ist sollte den Anfang vielleicht überspringen. Ich hatte auch lange überlegt, ob ich das wirklich so schreibe, aber ich denke, das beschreibt Sakuras Gefühle und ihr weiteres Handeln einfach am besten, sodass man die ersten Kapitel nun auch besser nachvollziehen kann.

Viel Spaß beim Lesen!
stone Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Eiskaltes Wasser

Ayato versuchte die Müdigkeit wegzublinzeln, die ihn überfiel. Er musste sich zusammenreißen! Schließlich hatte er einen Job zu erfüllen. Seit zwei Monaten war er ein Jō-Nin und bekleidete somit einen Rang, den er sich mühsam erarbeitet hatte. Und doch verbrachte er seine Zeit nun nicht auf abenteuerlichen Missionen, sondern stand sich hier die Beine in den Bauch und bewachte die privaten Gemächer des Tsuchikage.

 

Sei nicht so undankbar, mahnte er sich selbst. Es ist eine Ehre, dass du zur Leibgarde des Dorfoberhauptes gehörst!

 

Er gähnte und hoffte, dass Ken, der neben ihm stand, nichts davon mitbekam. Nicht dass er ein falsches Bild von ihm bekam. Der Iwa-Nin war zehn Jahre älter als Ayato und gehörte schon seit Ewigkeiten zu den Vertrauten Ōnokis. Noch dazu war er äußerst streng und würde ein falsches Benehmen sicherlich nicht tolerieren. Für Ken war Ayato noch grün hinter den Ohren und musste sich seinen Respekt erst noch verdienen.

 

Die Nacht war noch lange nicht vorbei und seine Schicht hatte gerade erst begonnen. Auch wenn er noch jung war bereitete es ihm Probleme sich vom Tag- auf den Nachtdienst umzustellen, so wie es zweimal die Woche vorkam. Der Tsuchikage schlief vermutlich seelenruhig in seinem Bett, während sie beide hier standen und aufpassten, dass nichts passierte. Für den Fall eines Angriffs. Lächerlich. Wer wäre so töricht den Tsuchikage anzugreifen? Vor allem, wenn er so gut bewacht wurde?

 

Im Kagepalast war es mucksmäuschenstill. Kein Wunder, denn jeder verbrachte die Nacht dort, wo er hingehörte, und zwar in seinem Bett. Ayato zählte bereits die Stunden, bis er auch nach Hause und in sein gemütliches Bett konnte, zu seiner Freundin. Er seufzte sehnsüchtig bei dem Gedanken an ihren warmen und weichen Körper, sowie ihre Kurven, die sich nachts immer an ihn schmiegten.

 

Weitere Minuten verstrichen, in denen nichts geschah. Dann regte sich Ken neben ihm.

 

„Hast du das gehört?“

 

Ayato sah ihn an und lauschte in die Stille hinein. „Nein.“

 

Ken spannte sich an und starrte den Gang entlang. „Ich gehe mal nachsehen.“

 

„Okay.“

 

Während sein Kamerad sich von ihm entfernte und kurz darauf um die Ecke verschwand, lehnte Ayato sich gegen die Wand und erlaubte sich kurz die Augen zu schließen. Fast wäre er eingenickt, doch dann ließ ein Geräusch ihn zusammenzucken. Er öffnete die Augen, in der Erwartung Ken zu sehen. Aber der Gang war immer noch leer. Seine Schritte konnte er auch nicht mehr hören. Ken war nun schon ungewöhnlich lange weg. Sollte er vielleicht mal nachsehen, wo er steckte? Nein, er durfte seinen Platz nicht verlassen. Sicher würde er jeden Moment wiederkommen.

 

Aber Ken kam nicht wieder. Stattdessen vergingen die Minuten und Ayato wurde immer unruhiger. Es sah dem Älteren gar nicht ähnlich seinen Dienst zu vernachlässigen. Bei jedem anderen hätte er es als spontane Pause abgetan – vielleicht hätte er sich etwas zu trinken geholt oder sich die Beine ein wenig vertreten. Aber nicht Ken. Nicht der strenge, disziplinierte und pflichtbewusste Ken.

 

„Ken?“, rief er deshalb in die Stille hinein, nicht allzu laut, um den Kage nicht zu wecken. In seinem Bauch breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Hier stimmte doch etwas nicht.

 

In dem Moment, in dem er den ersten Schritt tat, um seinen Kameraden zu suchen, bemerkte er etwas. Seine Augen weiteten sich überrascht, als er sah, wie sich Wasser über den Gang ausbreitete. Plötzlich war er hellwach. Langsam kam es um die Ecke geflossen, in der Ken zuvor verschwunden war. Zuerst war es nur eine kleine Pfütze, als hätte jemand eine Blumenvase umgestoßen, doch das Wasser breitete sich immer weiter aus, erstreckte sich in alle Richtungen und kam näher und näher.

 

Für den ersten Moment war er so überrascht, dass er nicht anders konnte, als es ungläubig anzustarren. Was war denn da los? War vielleicht irgendwo ein Rohr geplatzt oder etwas undicht? War Ken deshalb fort? Um Handwerker zu holen, die den Schaden reparierten?

 

Er schluckte, als das Wasser immer näher kam. Sein Verstand sagte ihm, dass er nachsehen musste, doch sein Körper verharrte regungslos. Er konnte sich nicht bewegen. Wasser war schon seit seiner Kindheit ein Grauen für ihn gewesen. Mit ungläubigem Blick trat er einige Schritte zurück, als es sich ihm näherte und schließlich seine Sandalen erreichte. Eisige Kälte berührte seine Zehen und kroch seine Beine empor. Was für eine Ironie, dass ein Shinobi aus dem Erdreich Angst vor Wasser hatte, denn so war doch bekannt, dass das Wasserelement dem Erdelement unterlag. Aber ein Stein ging nun einmal in einem See unter, wie ein gefesselter Mann, der keine Gelegenheit bekam Arme und Beine zu bewegen, um sich vor dem Ertrinkungstod zu retten.

 

„Ken?“, rief er noch einmal, leiser, zittriger. Ein Geräusch machte sich bemerkbar, ein Klatschen oder eher ein Platschen. Das eisige Wasser lief nun schneller, stieg mit rasantem Tempo, sodass es bereits seine Knöchel erreichte. Er riss sich aus seiner Starre, griff bereits mit der Hand nach der Türklinke, um den Tsuchikage zu wecken, damit er ihn in Sicherheit bringen konnte.

 

Ein schweres Keuchen hielt ihn davon ab. Etwas kam um die Ecke, eine Gestalt, bei deren Anblick sich seine Nackenhaare aufstellten. Ein Körper zog sich über den Boden. Alles, was man erkennen konnte, waren dünne, blasse Gliedmaßen und lange, schwarze, nasse Haare, die das Gesicht verhüllten. Ayato atmete zitternd ein, Angst ergriff ihn. Sie lähmte ihn, sodass er nur geschockt auf das Wesen starren konnte.

 

Die Gestalt bewegte sich mit ruppigen Bewegungen fort, kroch auf dem nassen Boden auf ihn zu. Auch wenn er den ausgemergelten Körper kaum erkennen konnte, wusste er sofort, dass es sich um eine Frau handelte. Und er wusste auch sofort, welche Frau.

 

Sein Denken verabschiedete sich und doch gelang es ihm nach einem Kunai zu greifen. Das eiskalte Wasser an seinen Beinen, das ihm bereits bis zu den Knien reichte, bemerkte er schon gar nicht mehr. Instinktiv trat er weitere Schritte zurück. Sofort fühlte er sich zurückversetzt in seine Kindheit, fühlte sich wieder wie der kleine Junge, der er mal gewesen war.

 

Das Wesen röchelte und hob seinen Kopf. Ein Schwall schmutziges Wasser quoll aus seinem Mund hervor. Das Gesicht war blass und aufgedunsen, und die Augen, die durch die dunklen Haarsträhnen stierten, blickten ihm leblos entgegen. Ein Wimmern entfuhr ihm beim Anblick seiner toten Mutter. Sein Körper begann unkontrolliert zu zittern. Alle Gedanken an den Tsuchikage und Ken waren einer unkontrollierten Angst gewichen, die ebenso wie das Wasser mit eisigen Klauen nach ihm griff. Das konnte nicht sein, das konnte einfach nicht sein! Seine Mutter war seit Jahren tot, hatte sich in einem See ertränkt, er selbst hatte sie gefunden, sie selbst aus dem kalten Wasser gezogen …

 

Panisch kniff er die Augen zu. Ich bin vermutlich eingeschlafen!, dachte er verzweifelt. Das ist ein Alptraum. Nichts weiter! Ein Alptraum!

 

Wach auf!

 

Verdammt, wach auf!

 

Nach einigen quälenden Sekunden wagte er es die Augen wieder zu öffnen. Ganz langsam spähte er in den langen Flur hinein. Erleichtert atmete er aus. Das Wasser und die Leiche seiner Mutter waren verschwunden. Das Adrenalin rauschte nur so durch seinen Körper und jetzt erst bemerkte er den Schmerz in deiner Hand, da er sein Kunai so fest umschlossen hielt. Er lockerte seinen Griff und hätte am liebsten vor Erleichterung laut aufgelacht.

 

Doch dann schlangen sich zwei Arme um seine Schultern und zogen ihn mit einem heftigen Ruck zurück. Mit einem Platschen landete er im metertiefen Wasser eines weit entfernten Sees. Ein Schrei entfuhr ihm, dutzende Luftblasen entrissen sich seiner Kehle. Seine Mutter zerrte an ihm, das Gesicht zu einer grässlichen Fratze verzerrt. Ihr langes schwarzes Haar wirbelte wie ein dichter Nebel um ihren Kopf.

 

Sie zog ihn weiter hinab, immer tiefer und tiefer, bis er in der Dunkelheit des Sees verschwand und ihn nur noch eisige Kälte umfing.

Hilferuf aus Iwagakure

Was Kakashi wohl von mir will?

 

Dieser und ähnliche Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf, seitdem man ihr vor wenigen Minuten die Nachricht überbracht hatte, dass der Hokage sie unverzüglich sprechen wollte. Ihre diesbezügliche Verwirrung war durchaus begründet, denn ihre letzte Mission lag nun schon drei Jahre zurück, weshalb sie nur noch selten einen Fuß ins Hokage-Gebäude setzte. Sakura Haruno war zwar eine gut ausgebildete Kunoichi, sogar ein Jō-Nin, doch inzwischen widmete sie all ihre Zeit ihrer Arbeit im Krankenhaus. Und genau dort war sie auch gewesen, als der ANBU sie erreicht hatte: im Krankenhaus von Konoha. Während der morgendlichen Visite stand er plötzlich mitten in einem Patientenzimmer, in seinen beigen ANBU-Kapuzenmantel gehüllt vor ihr, die irritierten Blicke des männlichen Patienten, der in seinem Krankenbett saß, vollkommen ignorierend. Die Fuchsmaske über seinem Gesicht verschleierte seine Identität. Hinter dem bemalten Porzellan erklang dumpf seine tiefe und ruhige Stimme. Der Hokage wollte sie sprechen. Sofort. Also machte Sakura sofort auf dem Absatz kehrt, um sich auf den Weg zu machen.

 

Ihren weißen Arztkittel behielt sie einfach an, schließlich würde sie im Anschluss ins Krankenhaus zurückkehren, um ihre Arbeit fortzusetzen, denn Arbeit gab es dort genug. Mit den Händen in den weiten Kitteltaschen vergraben stieg sie die Treppen empor, die sie ins oberste Stockwerk führen sollten, wobei die Absätze ihrer schwarzen Schuhe bei jedem Schritt ein klackerndes Geräusch auf den grauen Fliesen hinterließen.

 

Ob er eine Mission für mich hat?

 

Bei dem Gedanken daran zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen. Nein, das konnte nicht sein. Schließlich erfüllte sie keine Missionen mehr …

 

Vielleicht will er über die Arbeit im Krankenhaus reden …

 

Wieder kamen ihr Zweifel, denn bei Angelegenheiten des Krankenhauses kam er meist zu ihr, zum Ort des Geschehens, statt nach ihr zu schicken. Noch dazu kamen das Auftreten des ANBU und die sofortige Dringlichkeit, die sie so neugierig machte. Aber ganz egal was es war, sie würde es bald erfahren.

 

„Hey, Sakura! Warte mal!“

 

Sakura blieb auf der Treppenstufe stehen und drehte sich um, nur um Naruto die Treppe hinauf stürmen zu sehen. Mit ein paar großen Schritten holte er sie ein und blieb zwei Stufen unter ihr stehen. Inzwischen war Naruto so groß geworden, dass er sie trotz der Höhenunterschiede noch überragte.

 

Lächelnd sah der Blonde sie an. „Was machst du denn hier?“ Naruto trug seine grüne Ninjaweste sowie die restliche Shinobi-Ausrüstung des Dorfes. Die Uniform stand dem blonden Chaosninja wirklich gut und verlieh ihm Autorität und Selbstbewusstsein. Ebenso wie Sakura war es ihm ebenfalls gelungen vor einigen Jahren zum Jō-Nin aufzusteigen. Aus ihren Teams der Ninjaakademie gab es nur noch wenige Chū-Nin unter ihnen. Chōji war bereits zweimal durch die Prüfung gefallen und würde dieses Jahr einen dritten Versuch wagen. Tenten, Lee, Hinata und Kiba waren ebenfalls noch Chū-Nin, aber sie schienen mit diesem Rang zufrieden zu sein. Nur Team 7 war es vollständig gelungen zu Jō-Nin aufzusteigen und somit den höchsten Ninjarang zu erreichen – abgesehen vielleicht von einem ANBU. Aber immerhin gehörten sie auch zum Team von Kakashi Hatake, dem legendären Kopierninja und derzeitigen Hokage von Konohagakure.

 

„Ich wollte gerade zu Kakashi“, antwortete Sakura, woraufhin Naruto überrascht die Augenbrauen hochzog.

 

„Du auch?“

 

Daraufhin runzelte sie die Stirn. Naruto war also auch gerufen worden. Konnte das ein Zufall sein? Wieso sollte Kakashi ausgerechnet sie beide sprechen wollen? Überfiel ihren Sensei vielleicht die Nostalgie und er bekam Sehnsucht nach seinem alten Team?

 

Wohl kaum.

 

Die Ausbildung und die gemeinsame Zeit von Team 7 waren schön gewesen – sehr schön sogar. Sakura erinnerte sich gerne daran zurück, wie sie gemeinsam die Chū-Nin-Auswahlprüfungen meisterten und auf zahlreiche Missionen gingen, um für Sicherheit im Feuerreich zu sorgen. Doch im Laufe der Jahre hatten sie sich von einander entfernt. Jeder führte sein eigenes Leben, unabhängig ihres Teams und spätestens als Kakashi zum Hokage ernannt worden war und er seitdem nur noch selten das Dorf verließ, hatte es diese gemeinsamen Missionen nicht mehr gegeben. Gleichzeitig hatte Sakura angefangen sich für die medizinische Ausbildung zu interessieren, woraufhin sie sich schließlich kurz darauf dazu entschloss, dies als ihren Hauptberuf zu wählen. Unter der Aufsicht von Tsunade war sie zu einer talentierten Medic-Nin ausgebildet worden.

 

Auch wenn sie ihren Sensei nicht mehr häufig zu Gesicht bekam standen sie sich weiterhin nah. Kakashi war ihr oft wie ein Familienmitglied erschienen. Nicht unbedingt wie ein Vater, eher wie ein cooler Onkel, der gerne mal einen Ratschlag gab, sich aber sonst aus der Erziehung raushielt. Die gemeinsame Zeit, die sie zusammen erlebt hatten, hatte sie unumkehrbar miteinander verbunden und zusammengeschweißt. Ihr Sensei war ohne Zweifel ein guter Hokage. Er regierte das Dorf mit Gelassenheit und Scharfsinn. Sakura sah nach wie vor zu ihm auf und war stolz darauf, sich seine Schülerin nennen zu dürfen. Immerhin gehörte sie dem einzigen Team an, das er jemals anerkannt hatte.

 

Zwischen ihr und Naruto hatte sich im Laufe der Zeit eine enge Freundschaft entwickelt. Inzwischen war er nicht mehr der dumme und nervige Trottel, für den sie ihn am Anfang gehalten hatte. Sie waren beide erwachsen und reifer geworden. Er hatte sich nicht nur ihren sondern auch den Respekt des Dorfes verdient. Naruto gehörte inzwischen zu den stärksten Ninja von Konohagakure und führte sogar sein eigenes Team an, obwohl er erst neunzehn war. Der spontane Gedanke, wieder mit ihm auf eine Mission zu gehen, wie in alten Zeiten, weckte Erinnerungen in ihr.

 

Tja, und dann war da noch der Vierte im Bunde: Sasuke …

 

Aber das war ein anderes Thema.

 

„Weißt du denn worum es geht?“, riss Naruto sie aus ihren Gedanken. Aber die Kunoichi schüttelte verneinend den Kopf.

 

Gemeinsam schritten sie die letzten Treppenstufen empor und gingen in Richtung Hokagebüro. Naruto warf ihr einen spitzbübischen Blick zu, eher er in einem rhythmischen Takt mit den Fingerknöcheln fünfmal gegen die Tür klopfte. Wenig später ertönte dahinter Kakashis Stimme – „Herein.“ – und sie betraten das Büro.

 

Dort drin angekommen stieß Naruto einen leisen Pfiff aus. „Oha, was sehen meine trüben Augen? Du hast ja das komplette Team versammelt!“

 

Sakura erstarrte mitten in der Bewegung. Sie musste sich regelrecht dazu zwingen, die Türe hinter sich zu schließen. Dann stellte sie sich neben Naruto vor Kakashis Schreibtisch und ließ zaghaft den Blick durch das Büro wandern. Vor ihr am Schreibtisch saß ihr Sensei, wie gewohnt mit seinem blauen Mundschutz vorm Gesicht, auf dem man nur seinen schon fast gelangweilten Blick erkennen konnte. Der rot-weiße Hut des Hokage, auf dem der Titel in ebenfalls roten Schriftzeichen stand, lag vor ihm auf der Tischplatte. Seine grauen Haare standen wie immer wirr vom Kopf ab. Im Gegensatz zu Tsunades Büro wirkte seins seltsam ordentlich. Ein Anblick, an den Sakura sich immer noch nicht gewöhnen konnte.

 

Träge hob Kakashi eine Hand. „Hallo, ihr zwei. Jetzt sind wir vollzählig.“

 

Neben Naruto stand noch jemand. In Schwarz und Dunkelblau gekleidet und mit dem Wappen seines Clans auf dem Rücken starrte er aus dem Fenster, der den Blick auf das Dorf preisgab, als würde ihn dies alles nichts angehen. Ihr Eintreffen wurde von ihm weder mit einer Begrüßung, noch mit einem Blick beehrt. Bei seinem Anblick wurde ihr Mund ganz trocken. Es kam Sakura wie eine Ewigkeit vor, dass sie den Schwarzhaarigen das letzte Mal gesehen hatte, zumindest aus der Nähe. Einen Augenblick lang musterte sie ihn verstohlen, bis Kakashi erneut das Wort erhob und sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Hokage widmete.

 

„Ihr fragt euch sicher, weshalb ich euch so plötzlich zu mir gerufen habe.“ Seine schwarzen Augen sahen sie der Reihe nach an. „Also, ich werde nicht lange um den heißen Brei herumreden: Ich habe eine Mission für euch.“ Er wartete einen Moment lang, damit sie alle diese Information sacken lassen konnten. In Sakuras Magen machte sich ein flaues Gefühl breit. Ihre Vermutung hatte sich also bewahrheitet. Aber wieso so plötzlich? Nach all der Zeit?

 

„Was für eine Mission?“, fragte Naruto, der zuerst seiner Ungeduld nachgab.

 

Kakashi faltete die Hände vor dem Gesicht und sein bisher gelangweilter Gesichtsausdruck wurde ernst. „Vor etwa einer Stunde erreichte uns ein Falke mit einer Nachricht, in der stand, dass Iwagakure um Hilfe bittet. Der Tsuchikage wurde ermordet.“

 

Erschrocken zog Sakura die Luft ein, Naruto zischte verärgert und Sasuke guckte lediglich ernst.

 

Kakashi schloss kurz die Augen und seufzte bei dem Gedanken an seinen verstorbenen Kameraden, dann begann er zu erzählen. „Ōnoki mag zwar alt, aber keineswegs schwach gewesen sein. Und auch wenn wir beide in gewissen Angelegenheiten unterschiedlicher Meinung waren bedauere ich, was ihm wiederfahren ist. Er wurde in seinem eigenen Dorf hinterrücks erschlagen. Ebenso wie seine Wachen.“ Kakashi griff nach einer Schriftrolle, die auf dem Schreibtisch lag, rollte sie aus und überflog sie kurz. „Die Ältesten von Iwa haben nicht lange gefackelt und einen neuen Tsuchikage ernannt. Sein Name lautet Ryō Yagami.“

 

„Was wissen wir über diesen Kerl?“, fragte Sasuke geradeheraus, ohne den plötzlichen Tod des Tsuchikages weiter zu erwähnen.

 

„Yamato ist gerade dabei einen Bericht zusammenzufassen“, erklärte Kakashi, während er die Ellenbogen auf der Tischplatte abstützte und die Hände vor dem Gesicht faltete. „Er sollte fertig sein, bevor die Mission startet. Ich will nicht voreilig schlussfolgern, aber es könnte sein, dass er in die Sache verwickelt ist.“

 

Sakura konnte diesen Gedanken nur allzu gut nachvollziehen. Bei einem Mord war in erster Linie jeder verdächtig. Es kam nicht selten vor, dass er von einer nahestehenden Person verübt wurde oder jemanden, der es auf das Amt das Kage abgesehen hatte. Sakura kamen sofort mehrere Theorien in den Kopf. Vielleicht war es ein Anschlag oder ein Racheakt aus einem verfeindeten Dorf, oder jemand, der wollte, dass die lange Herrschaft des Tsuchikage endlich endete. Gerade jemand, dem Ōnoki vertraute, würde es leichter fallen an ihn heranzukommen, als jemand außenstehendes.

 

„Das ist noch nicht alles“, fuhr Kakashi fort. „Bereits vor dem Tod des Tsuchikage gab es mehrere Angriffe auf Iwa.“

 

„Weiß man, wer diese Angriffe verübt hat?“, fragte Naruto.

 

„Nun kommen wir zum interessanten Teil.“ Kakashi löste seine verschränkten Finger, lehnte sich in seinem Sessel zurück und klopfte mit dem Zeigefinger ein paar Mal auf die Schriftrolle, die ausgebreitet vor ihm auf dem Tisch lag. „Die Augenzeugenberichte unterscheiden sich alle voneinander. Jeder hat etwas anderes gesehen. Manche reden von maskierten Ninja aus feindlichen Dörfern, andere wiederum von Tieren. Und manche … von Monstern.“

 

Sasuke schnaubte. „Monster?“, hakte er ungläubig nach. Seine Stimme triefte vor Spott.

 

Kakashi nickte bloß, ohne zu offenbaren, was er von dieser Mitteilung hielt. „So steht es in der Nachricht. Seltsame Kreaturen und gefährliche Schatten, feuerspuckende Ungeheuer und noch mehr solcher Dinge. Es mag unglaubwürdig klingen, aber egal, wer oder was Iwa angegriffen hat, es hat bereits ein Drittel seiner Shinobi auf dem Gewissen.“

 

Augenblick steigerte sich die Anspannung im Raum.

 

„Was?“, sprach Sakura ihre Gedanken aus. Iwagakure war ein großes und mächtiges Dorf – das Dorf versteckt unter den Felsen. Es lag im Land der Erde und zählte zu einem der fünf großen Ninjadörfern. Sakura erinnerte sich noch gut an die berg- und felsenreiche Umgebung, die sich um das Dorf erstreckte. Sie selbst war bereits mehrmals dort gewesen und hatte die freundlichen, aber auch leicht arroganten Bewohner kennengelernt. Wer war so mächtig, nicht nur den Kage, sondern auch eine solche hohe Anzahl an Shinobi auszuschalten, dass sie bereits Konoha um Hilfe baten, ein Dorf, mit dem sie früher Krieg geführt hatten und zudem die Allianz erst seit kurzem bestand?

 

„Und hier kommt ihr ins Spiel.“ Unter Kakashis Maske schien sich ein Lächeln abzubilden. „Ich schicke euch noch heute nach Iwa. Dies ist in erster Linie eine Erkundungsmission. Wir müssen uns erst einmal Klarheit verschaffen, wer oder was Iwa angreift. Wir sind nach wie vor Verbündete und werden sie nicht im Stich lassen, wenn sie um Hilfe bitten. Sobald wir wissen, mit wem wir es zu tun haben, werden wir, sollten wir sie brauchen, nach Verstärkung schicken. Ich weiß, dass eure letzte gemeinsame Mission lange zurückliegt“, und bei diesen Worten sah er sie abermals der Reihe nach an, wobei Sakura das Gefühl hatte, dass sein Blick auf ihr länger lag, als auf den anderen beiden, „aber ich habe euch drei nicht ohne Grund ausgewählt.“

 

„Dass Naruto und ich gehen verstehe ich ja“, äußerte sich nun Sasuke zu Wort. Mit einem Kopfnicken deutete er auf Sakura. „Aber wieso sie?“

 

Es war, als würde man ihr den Boden unter den Füßen wegziehen. Seine Abneigung ihr gegenüber sowie sein fehlender Respekt waren wie ein Schlag ins Gesicht.

 

Naruto sah ihn strafend an. „Sasuke, echt jetzt?“

 

„Was?“ Der Schwarzhaarige schien wenig beeindruckt. „Die Frage ist durchaus berechtigt. Sakura war seit Jahren nicht mehr auf Mission.“

 

„Na und?“ Naruto zuckte mit den Schultern. „Dann ist sie eben ein bisschen eingerostet. Was soll’s?!“

 

Ihre Hände zitterten vor Wut, sodass sie sie zu Fäusten ballte. Was bildete der sich eigentlich ein, sie so vor den anderen bloßzustellen? Nichtsdestotrotz stellte sie sich dieselbe Frage wie er: Wieso ausgerechnet sie? Immerhin hatte sie vor drei Jahren darum gebeten, ihr keine weiteren Missionen mehr zuzuweisen.

 

Zeitgleich stieg auch Trotz in ihr auf. Ihre innere Stimme zeterte aufgebracht, sich das nicht gefallen zu lassen. Dann war sie eben aus der Übung, na und? Sie gehörte immerhin noch zu den Jō-Nin, den Ranghöchsten in Konoha. Shanaroo!

 

Doch statt ihm eine gepfefferte Antwort oder am besten gleich ihre Faust gegen seinen arroganten, hübschen Schädel zu schlagen, wie sie es in diesem Moment am liebsten tun würde, schwieg sie nur und spürte, wie ihr Selbstbewusstsein kleiner und kleiner wurde. Wieso nur schaffte Sasuke es immer noch ihr so weh zu tun? Dabei hatte sie gehofft, diese Zeiten wären endlich vorbei.

 

„Nachdem in Iwa bereits so viele Ninja verwundet und getötet wurden benötigen wir für diese Mission unbedingt eine Medic-Nin.“ Kakashis Blick wanderte zu der Rosahaarigen und sie glaubte in seinen schwarzen Augen einen ermutigenden Glanz zu erkennen. „Und Sakura ist die Beste.“

 

Daraufhin antwortete Sasuke nicht, sondern verschränkte lediglich die Arme vor der Brust. Naruto sah ihn nur kopfschüttelnd an und Sakura versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sie gekränkt hatte.

 

Sie schluckte schnell den Kloß, den sie im Hals hatte, hinunter und fragte: „Und wer ist der Vierte?“ Daraufhin wanderten alle Augenpaare zurück zu ihr. Für einen Moment herrschte Stille. Daran schienen weder Naruto noch Sasuke gedacht zu haben, obwohl diese Frage durchaus berechtigt war, denn Ninja gingen bekannterweise immer in Viererteams auf Mission.

 

„Ich werde der Vierte sein“, antwortete Kakashi schlicht, als wäre es von Anfang an klar gewesen.

 

„Echt jetzt?“ Naruto – und auch die anderen beiden – sahen ihn überrascht an. „Du gehst mit uns auf Mission? Aber du ...“ Für einen Moment suchte er nach den richtigen Worten und gestikulierte hilfesuchend mit den Händen. „Aber du bist der Hokage.“

 

Kakashi sah Naruto mit schiefgelegtem Kopf an. „Na und? Der Nidaime war davon überzeugt, dass der Platz eines Kage auf dem Kampffeld sein sollte, und nicht in einem langweiligen Büro. Ich schätze, ich habe mehr mit Tobirama Senju gemeinsam, als lediglich die gleiche Haarfarbe.“ Daraufhin kratzte er sich verlegen am Hinterkopf und kniff lächelnd die Augen zusammen.

 

Aber Sasuke ließ sich von dieser Ausrede nicht täuschen. Prüfend sah er seinen Sensei an. „Du scheinst diese Angelegenheit sehr ernst zu nehmen.“

 

Kakashis Lächeln verschwand. „Diese Gegner haben es geschafft einen Kage zu ermorden sowie ein Drittel seiner Elite auszulöschen. Also ja, Sasuke, ich nehme es ernst.“ Mehrere Sekunden lang hingen diese unheilschwangeren Worte in der Luft. Kakashi seufzte und wechselte wieder zu seiner gelangweilten Miene. „Aber ich bin zuversichtlich, dass Team 7 auch dieses Abenteuer meistern wird. Sakura, lass dich von der Arbeit im Krankenhaus freistellen. Wir brauchen dich und deine Heilkünste während dieser Mission. Du wirst dich, da du aber bereits seit Jahren nicht mehr gekämpft hast und ich deinen derzeitigen Trainingsstand nicht beurteilen kann, erst einmal im Hintergrund halten. Sasuke, vielleicht siehst du mit deinem Sharingan etwas, was den anderen verborgen blieb. Ich vermute, dass Iwa gerade deshalb Konoha um Hilfe gebeten hat, statt eins der anderen großen Ninjadörfer. Dein Kekkei Genkai ist immer noch eine unserer mächtigsten Waffen. Aufgrund der unterschiedlichen Zeugenaussagen kann es durchaus sein, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der Genjutsu beherrscht. Und Naruto, ich bewundere dein Gespür für Menschen und deine Art schnell Freundschaften zu schließen. Deshalb möchte ich, dass du vor allem Ryō Yagami im Auge behältst und in Erfahrung bringst, ob er Freund oder Feind ist. Vielleicht wird uns dein Bauchgefühl weiterhelfen. Wir Vier werden heute Abend aufbrechen. Treffpunkt ist wie immer das Haupttor, achtzehn Uhr. Nach Iwa sind es drei Tagesmärsche. Wir sollten uns beeilen, damit dem Dorf nicht noch mehr passiert. Stellt euch darauf ein, dass es gefährlich werden könnte und man einen Zeitpunkt für die Rückkehr schwer einschätzen kann. Weitere Details besprechen wir auf dem Weg. Sonst noch irgendwelche Fragen?“

 

Die Drei verneinten und daraufhin wurden sie von Kakashi entlassen.

 

Sakura wandte sich gerade zur Tür, als sie noch einmal von Kakashi aufgehalten wurde. „Sakura, bleib bitte noch einen Moment.“ Ihre beiden Teamkameraden gingen an ihr vorbei, erst Naruto, der ihr noch einen neugierigen Blick zuwarf, dicht gefolgt von Sasuke, der sie ignorierte. Sie hörte seine verklingenden Schritte und wie er die Tür schließlich leise hinter sich schloss. Augenblicklich atmete sie die Luft aus, von der sie gar nicht gewusst hatte, dass sie sie angehalten hatte.

 

Erwartungsvoll sah sie Kakashi an. Einige Sekunden betrachtete er seine Schülerin, ehe er das Wort erhob. Das mulmige Gefühl machte sich wieder in ihrem Magen breit. „Wie fühlst du dich jetzt?“

 

Überrascht blinzelte sie ein paar Mal, da diese Frage doch sehr unerwartet kam. Er schien ein gutes Gespür dafür zu haben, was in ihr vorging. „Gut“, log sie.

 

Kakashi sah sie an, seine Augen wirkten, als könne er direkt in ihre Seele sehen und sie sofort dieser Lüge entlarven. „Ich weiß natürlich, dass du mich damals darum gebeten hast, dich von weiteren Missionen auszuschließen und dass du vorhast, dem Leben als Kunoichi den Rücken zu kehren. Aber wir brauchen dich diesmal, Sakura. Und ich glaube, du brauchst uns auch. Diese Mission wird dir vielleicht helfen über das Geschehene von damals hinwegzukommen und alte Wunden zu schließen.“

 

Bei seinen offenen Worten verkrampfte sich Sakura. Es fiel ihr auch noch nach all der Zeit schwer über die Geschehnisse zu reden. Betreten sah sie auf den Boden zu ihren Schuhspitzen, um Kakashi nicht ansehen zu müssen. Ihr Mund schien plötzlich wie ausgetrocknet, sodass es ihr schwerfiel, eine Antwort zu formulieren.

 

Kakashis Stimme klang bei seinen nächsten Worten ungewöhnlich sanft. Die darin enthaltene Aufmunterung glich einer tröstenden Umarmung. „Das was passiert ist, war nicht deine Schuld.“

 

Sakura nickte, aber nur, um ihn zufrieden zu stellen. Sie selbst glaubte diese Lüge nämlich nicht.

 

Lange spürte sie seinen Blick auf sich ruhen, als wartete er, dass sie etwas zu diesem Thema erwiderte. Aber sie blieb stumm. Von daher schien er irgendwann einzusehen, dass dieses Gespräch keinen Sinn machte und fragte nur: „Kann ich auf dich zählen?“

 

Sie hob den Kopf und sah ihren Sensei entschlossen in die Augen. Sie würde weder ihn, ihr Team noch Iwa enttäuschen. Nach wie vor war sie eine Medic-Nin und sie würde den Menschen helfen, wenn sie ihre Hilfe benötigten. Diese Mission würde ihr zwar viel abverlangen und sie vor eine Herausforderung stellen, die sie lange vor sich hergeschoben hatte, aber ihr Hilfsbedürfnis war größer, als ihre Angst. Deshalb gab es nur eine Antwort: „Hai!“

 

Kakashi nickte zufrieden und bedeutete ihr, dass sie gehen konnte. Zügig verließ Sakura das Büro. Ihr Herz klopfte aufgeregt in ihrer Brust und ihr Kopf schwirrte vor wirren Gedanken. Zuerst musste sie sich auf den Weg zum Krankenhaus machen und einige Dinge regeln, bevor sie anfangen würde zu packen. Diese Information würde sie erst einmal verdauen müssen. Ihr graute es bereits bei der Vorstellung wieder in einen Kampf verwickelt zu werden. Lange hatte sie es geschafft, dem auszuweichen und sich in Konoha zu verstecken.

 

Irgendwie hatte sie es tief in sich immer gewusst, dass dieser Moment eines Tages kommen würde.

 

Und dann ausgerechnet noch Team 7 …

 

Fluch und Segen zugleich …

 

Es war ihr Team, diejenigen, mit denen sie am besten vertraut war. Sie waren aufeinander eingespielt, kannten den anderen ebenso gut wie sich selbst. Sie harmonierten miteinander. Eigentlich sollte sie deshalb froh sein, dass sie es waren, die an ihrer Seite kämpften. Wie in alten Zeiten, die Zeiten, die sie so sehr vermisste, als sie noch naiv und blind vor den Grausamkeiten der Wirklichkeit gewesen war.

 

Aber das, was ihr am meisten Bauchschmerzen bereitete, war Sasuke.

 

Der angsteinflößende Gegner, der in Iwagakure sein Unheil verbreitete, machte ihr in diesem Augenblick weniger Sorgen, als die Aussicht darauf wieder in seiner Nähe zu sein.

Willkommen im Hasunohana

„Meister Ho-k-k-kage?!“

 

Die Augen der Rezeptionistin schienen ihr beinahe aus dem Kopf zu fallen, als sie erkannte, wer soeben ihre kleine Unterkunft betreten hatte. Ungläubig und mit offenem Mund starrte sie Kakashi an. Doch dann fing sie sich wieder und erinnerte sich an ihre guten Manieren.

 

„Mein Name ist Nuriko Takahashi und als Besitzerin des Hasunohana heiße ich Sie hiermit herzlich Willkommen! Was für eine Ehre!“ Die etwas rundliche Frau mit dem lockeren grauen Haarknoten und dem dunkelblauen Kimono verbeugte sich hinter ihrem Tresen mehrmals tief vor ihm. Für die heutige Nacht und die zweite von insgesamt dreien hatte Kakashi dieses eher unbekannte Ryōkan* ausgewählt, das nur wenige Zimmer für Reisegäste bot. Hier würde ihr Aufenthalt weniger auffallen, als in stark frequentierten Gasthäusern. Dass der Hokage das Dorf verließ sollte nicht allzu bekannt werden. Man wusste ja nie, ob es jemanden in der Nähe gab, der diese Information zu seinem Vorteil nutzen wollte.

 

„Es freut mich wirklich sehr Sie kennenzulernen, Meister Hokage!“

 

Leicht verlegen kratzte sich Kakashi am Hinterkopf. Freundlich kniff er die Augen zusammen. „Ähm, gleichfalls. Guten Abend.“

 

Sakura, Naruto und Sasuke standen etwa drei Meter hinter ihm im schmalen Eingangsbereich, bepackt mit ihren Rucksäcken, und beobachteten – der eine mehr, der andere weniger –amüsiert, wie die Frau beinahe den roten Teppich für ihren Sensei ausrollte. Der Name Kakashi Hatake war zwar schon früher bekannt gewesen, doch nun, als Hokage und somit einem der mächtigsten Shinobi der Ninjawelt, behandelten ihn die Leute doch mit weitaus mehr Respekt und Ehrfurcht.

 

„Wenn ich mal Hokage bin, werden die Leute auch vor mir niederknien“, verkündete Naruto stolz und zuversichtlich gegenüber seinen beiden Teamkameraden. Sakura schüttelte skeptisch den Kopf und verzog leicht das Gesicht, woraufhin er nur breit grinste. Naruto würde seinen Traum wohl nie aufgeben. Aber sie musste zugeben, dass er in den vergangenen Jahren seinem Ziel tatsächlich ein großes Stück näher gekommen war und der Gedanke, dass der Uzumaki eines Tages in Kakashis Fußstapfen treten könnte, war gar nicht mehr so abwegig.

 

Kakashi hielt eine Hand hoch und zeigte abgesehen vom Daumen alle Finger. „Eine Nacht für vier Personen, bitte.“ Ryōkan waren dafür bekannt, dass es keine Einzelzimmer gab, weshalb sie sich zusammen ein Zimmer teilen würden. In der Vergangenheit war dies bereits schon öfter vorgekommen und für Team 7 keineswegs etwas Neues.

 

„Oh!“ Jetzt erst bemerkte Nuriko, dass hinter dem Hatake noch drei weitere Personen standen. Ihre hellbraunen Augen betrachteten sie der Reihe nach, bis sie sich wieder auf Kakashi legten. „Natürlich. Vier Personen.“ Aufgeregt blätterte sie in einem Notizbuch und trug mit einem Kugelschreiber etwas ein. „Sie bekommen unser schönstes Zimmer, Meister Hokage. Bitte folgen Sie mir.“ Freudestrahlend bedeutete sie ihm ihr zu folgen und machte sich dann auf den Weg den langen Flur entlang. Kakashi und sein Team folgten ihr.

 

Die ersten eineinhalb Tage ihrer Reise waren ohne Zwischenfälle verlaufen. Mittlerweile hatten sie den größten Teil des Feuerreichs hinter sich gelassen und schon morgen würden sie Kusagakure erreichen. Da sie erst am späten Abend aufgebrochen waren, waren sie den größten Teil der Nacht durchgelaufen, um genügend Kilometer zu schaffen. Für einige Stunden hatten sie sich allerdings ein ruhiges Fleckchen gesucht und die Nacht unter freiem Himmel verbracht, um ihre Kraftreserven aufzufrischen. Da sie sich aber immer noch weit von ihrem Zielort aufhielten entschied Kakashi nicht noch einmal im Freien zu schlafen, weshalb er für die heutige Nacht ein nettes Schlafquartier ausgewählt hatte. Wer wusste schon, was sie in der nächsten Nacht erwarten würde, deshalb würden sie es noch einmal ausnutzen unter einem Dach zu schlafen und eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen, bevor sie in den Genuss von Iwagakures Gastfreundschaft kamen.

 

Nuriko hielt vor einem Zimmer an und schob die Schiebetür auf. Mit einer einladenden Geste deutete sie in den Raum, woraufhin Kakashi eintrat.

 

„Ich bringe Ihnen gleich vier Futons, auf denen sie schlafen können. Unser Onsen ist noch bis Mitternacht für Sie zugänglich, für den Fall, dass Sie sich noch ein wenig von Ihrer langen Reise entspannen wollen.“

 

Ihre Augen sahen die Vier neugierig an, die angefangen hatten ihre Rucksäcke abzusetzen und sich das geräumige und durchaus gehoben eingerichtete Zimmer anzusehen. Ihr schien die Frage auf der Zunge zu liegen, wohin die vier Konoha-Nins denn reisen wollten, doch sie verkniff sich ihre Neugierde und biss sich stattdessen nur kurz auf die Unterlippe.

 

„Wir wissen, dass es schon spät ist“, begann Kakashi freundlich, „aber wir würden gerne noch etwas zu essen bestellen. Wir hatten gehofft, Ihre Küche wäre noch nicht geschlossen.“

 

Ihr Gesicht erhellte sich noch mehr. „Oh! Natürlich! Ich lasse Ihnen sofort etwas bringen. Kommen Sie erst einmal in Ruhe an und machen Sie es sich bequem. In etwa einer halben Stunde wird Ihnen dann hier das Abendessen serviert.“ Die nette Frau verbeugte sich noch einmal vor ihnen und verschwand dann rückwärts aus dem Zimmer, woraufhin Kakashi erst einmal erleichtert ausatmete.

 

Sakura zog sich ihre Weste aus und ließ sie auf ihren Rucksack fallen. Die Reise hatte sie durchaus geschlaucht, denn immerhin war sie es nicht mehr gewohnt so lange und so schnell zu laufen. Ihre Füße schmerzten und fühlten sich so schwer an, als wäre sie bereits seit einer Woche unterwegs. Bei der Erwähnung des Onsen hatte sie sofort aufgehorcht. Sie konnte es kaum erwarten sich ins heiße Quellwasser zu begeben und sich zu entspannen.

 

Doch vor dem Vergnügen kam bekannterweise die Arbeit.

 

Ebenso wie die anderen zog sie sich die Sandalen aus, die sie der Reihe nach an der Seite des Zimmereingangs abstellten, und schlüpfte in die bereitgestellten Hausschuhe, mit denen sie nun geräuschlos über die Tatami-Matten ging. In der Mitte des Raumes stand ein etwa dreißig Zentimeter hoher Tisch, um den sich die Vier versammelten. Jeder von ihnen hatte die grüne Weste ausgezogen sowie die Waffentaschen abgenommen, sodass sie nur noch einheitlich in ihrer dunkelblauen Uniform da saßen. Jeder saß an einer Seite des Tisches. Naruto saß Sakura gegenüber, während Kakashi rechts und Sasuke links von ihr saß. Kakashi, gleichzeitig der Gruppenführer, legte eine dicke Mappe auf den Tisch, und sie begannen noch einmal die Einzelheiten der Mission Stück für Stück durchzugehen.

 

Etwa dreißig Minuten später wurde das Essen serviert. Drei junge Frauen, die ebenso dunkelblaue Kimonos trugen wie Nuriko, betraten den Raum. Jede von ihnen hielt ein großes Holztablett in der Hand, auf denen sich die angerichteten Speisen befanden. Ohne ein Wort zu sagen, und um die Gäste auf keinen Fall bei der Besprechung zu stören, deckten sie den Tisch, verteilten Teller und Schälchen, sowie Essstäbchen und Becher. Sakura beobachtete die drei dabei. Sie sahen sich alle sehr ähnlich, denn sie hatten alle das gleiche lange, glatte, schwarze Haar und helle, braune Augen. Vielleicht befanden sie sich momentan in einem Familienbetrieb, überlegte sie, und die drei könnten die Töchter oder die Nichten von Nuriko, der Eigentümerin des Hasunohana, sein. Was Sakura auch bemerkte war, wie die drei verstohlene Blicke in Sasukes Richtung warfen. Dies löste bei ihr einen Hauch von Eifersucht aus. Egal wo der Schwarzhaarige auftauchte, es kam immer wieder vor, dass sich das weibliche Geschlecht in seiner Nähe automatisch zu ihm hingezogen fühlte. Ein Umstand, der früher nicht nur Naruto, sondern auch sie furchtbar frustriert hatte. Nach wie vor fühlte sie sich von der mutmaßlichen Konkurrenz bedroht, auch wenn sie wusste, dass sie keinerlei Ansprüche auf ihn hatte. Dass er von den drei durchaus hübschen Frauen jedoch keinerlei Notiz zu nehmen schien, und lediglich Kakashis Monolog lauschte, beruhigte sie ungemein, auch wenn er sie ebenso ignorierte.

 

Zu guter letzt stellten sie eine große Sake Flasche auf den Tisch, die Naruto interessiert begutachtete. Dann verließen sie den Raum und Sakura konnte sich wieder darauf konzentrieren, was Kakashi sagte.

 

Während das Abendessen aufgetischt wurde hatte ihr Sensei darauf geachtet lediglich Dinge zu erwähnen, die weder wichtige Infos über ihre Mission, noch ihren Zielort offenbarten. Letztendlich hätten die drei auch Spione sein können, die sich hinter liebreizenden Lächeln und unschuldigen Augen versteckten. Da sie nun wieder unter sich waren ging er wieder ins Detail.

 

„Das ist Ryō Yagami, der neue Tsuchikage aus Iwagakure.“ Kakashi holte eine Fotografie aus einer Mappe hervor, die einen braungebrannten, rothaarigen Mann zeigte, der ernst in die Kamera schaute. „Geboren und aufgewachsen in Iwa. Die Akademie hat er mit Auszeichnung abgeschlossen. Mit zwölf wurde er zum Ge-Nin und mit dreizehn zum Chū-Nin. Ein weiteres Jahr später zum Jō-Nin. Es folgten 158 A-Rang-Missionen, 63 S-Rang-Missionen sowie etliche B-, C- und D-Rang-Missionen. Seine Spezialitäten sind im Gegensatz zum Erdelement, dass die meisten Shinobi aus Tsuchi no Kuni einsetzen, die Blitz- und Wassernatur. Momentan ist er achtunddreißig Jahre alt und er lebt seitdem er das Amt des Kage ausübt gemeinsam mit seiner Familie – seiner Frau und einem Sohn – im Kagepalast. Er ist“, zitierte Kakashi, während er auf ein Pergament stierte, das zusammen mit unzähligen weiteren Papieren in der Mappe steckte, die Yamato für die Mission zusammengetragen hatte, „eitel, ehrgeizig, pflichtbewusst, äußerst kampferfahren und skrupellos.“ Das letzte Wort hing noch wie Rauchschwaden in der Luft, während er die Mappe wieder zuklappte. „Hm, ich schlage vor, wir machen uns nichtsdestotrotz unser eigenes Bild.“

 

In dem Moment knurrte Narutos Magen und er senkte beschämt den Kopf. „Sensei, können wir die Mission besprechen und nebenbei essen?“ Schon fast sabbernd starrte er auf die köstlich duftenden Oktopus-Bällchen direkt vor ihm.

 

Kakashi sah von seinen Unterlagen auf und betrachtete nun verwundert den Tisch, als hätte er ganz vergessen, dass das Essen inzwischen vor ihnen stand.

 

Sakura warf Naruto einen tadelnden Blick zu, obwohl sie selbst großen Hunger hatte. „Kannst du dich nicht einmal zusammenreißen?“

 

Sein Magen knurrte erneut, lauter, verzweifelter. Er sackte noch mehr in sich zusammen und hielt sich den leeren Bauch. „Aber das Essen wird doch sonst ganz kalt.“

 

Kakashi schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete griff er nach den Essstäbchen. „Na los, greift zu. Das Essen geht auf mich.“

 

Mit einem leisen Freudenschrei griff Naruto nach seinen Stäbchen, riss sie auseinander und rieb sie aufgeregt in seinen Händen aneinander. „Wow, Kakashi-Sensei, du lässt es dir ja echt gut gehen, was? Das Reisen als Hokage zahlt sich ganz schön aus.“

 

„Hm, ich verrechne das als Spesen.“

 

Die Vier aßen, während sie den weiteren Verlauf der Mission besprachen. In den Schälchen und auf den Tellern versammelten sich allerhand Köstlichkeiten, wie gebratener Curryreis, gegarter Aal, gegrillte Hühnchenspieße, gegrillte Teigbällchen mit Oktopusstückchen und gegrillte Schweineschnitzel.

 

Beherzt griff Naruto nach der Sake-Flasche, aber Kakashi schüttelte mit ernstem Blick den Kopf, woraufhin der Blonde sie mit einem Schmollmund zurückstellte. Die Schüsseln und Teller leerten sich während die Bäuche immer voller wurden.

 

„Was immer noch das größte Rätsel darstellt“, begann Kakashi, während er gesättigt seine Essstäbchen beiseite legte, „sind die unterschiedlichen Zeugenaussagen. Das bereitet mir das meiste Kopfzerbrechen.“

 

„Könnte es sich vielleicht um so etwas Ähnliches wie einen Bijū handeln?“, fragte Sakura, die ebenfalls gesättigt war. Der einzige, der nach wie vor aß, war Naruto. „Der Neunschwänzige und die anderen Bijūs haben ungewöhnliche Gestalten und Fähigkeiten. Das Kyūbi sieht aus wie ein Fuchs, ist aber wesentlich größer und durchaus in der Lage ein komplettes Dorf zu zerstören.“ Kurz warf sie einen Blick zu Naruto, um zu sehen, wie er bei der Erwähnung des Fuchsungeheuers reagierte, doch er zuckte nicht einmal mit der Wimper.

 

„Die Bijūs an sich können wir ausschließen“, entschied Kakashi, der die Arme vor der Brust verschränkte. „Wenn ein Jinchūriki oder ein Bijū ein Dorf unkontrolliert verlassen hätte und somit eine Gefahr darstellen würde, wären wir mit Sicherheit informiert worden. Aber vielleicht könnte es sich tatsächlich als etwas Ähnliches herausstellen. Die Bijūs sind Dämonen und wir wissen nicht, ob es abgesehen von ihnen nicht noch weitere gibt. Eine weitere Theorie wäre ein Genjutsu.“

 

„Ein Genjutsu halte ich nicht für wahrscheinlich“, entgegnete Sasuke, während er gedankenverloren mit seinen Essstäbchen in der rechten Hand spielte. „Das wäre zu einfach. Außerdem bin ich mir sicher, dass es in Iwa genügend Spezialisten gibt, die es aufdecken würden.“

 

Naruto nickte, während er mit seinen Stäbchen nach einem Reisbällchen schnappte und es sich in einem Stück in den Mund steckte. „Wie wär‘s mit ‘nem Transformationsjutsu?“, fragte er schmatzend und mit vollem Mund, sodass Sakura missbilligend den Mund verzog.

 

Interessiert legte Kakashi den Kopf schief. „Wer weiß. Das könnte durchaus möglich sein.“

 

Eine Stunde später schwamm Sakura im heißen Wasser. Das Onsen des Hasunohana war wie die meisten Bäder nach Geschlechtern getrennt, sodass sie auf dieser Seite der heißen Quelle allein war. Abgesehen von ihr befand sich kein weiterer weiblicher Gast im Onsen, sodass sie die Ruhe ganz entspannt genießen konnte. Hinter der Trennwand konnte sie das leise Lachen von Naruto hören. Die drei weiteren Mitglieder ihres Teams genossen gemeinsam ihr Bad. In Momenten wie diesen fand sie es schade, dass sie die einzige Frau in ihrem Team war. Umgeben von Männern konnte es manchmal recht einsam sein. Dabei mochte sie die drei Männer ihres Teams, vor allem Naruto war mehr als ein Kamerad, er war ein sehr guter Freund, auch mit Kakashi verstand sie sich wunderbar, nur mit Sasuke hatte sie ihre Probleme. Aber manchmal fehlte ihr einfach eine Partnerin des weiblichen Geschlechts, eine Frau, eine Freundin, jemanden, mit dem sie reden konnte, der auch mal ihre weiblichen Launen verstand, so jemanden wie –

 

Sakura schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Sie wollte jetzt nicht anfangen zu grübeln, sondern sich entspannen! Das heiße Wasser tat ihrem Körper unglaublich gut und umschmeichelte ihre Muskeln. Die Hitze und der Dampf der Quelle sorgten für einen leichten Rotschimmer im Gesicht und Schweißperlen auf ihrer Stirn. Die Mission würde noch anstrengend genug werden. Wer wusste schon, wann sie sich wieder ein herrliches Bad gönnen konnte?

 

Es war so ruhig und friedlich. Keine Menschenseele war hier und störte sie, zumindest nicht in ihrem Badebereich. Sie lehnte sich zurück, sodass sie nun horizontal im Wasser lag, nur ihr Gesicht überragte die Wasseroberfläche. Ihre Augen starrten in den dunklen Nachthimmel hinauf.

 

Bis jetzt lief es doch ganz gut. In ihrer Fantasie hatte sie sich die schlimmsten Szenarien ausgemalt, wie diese Mission verlaufen könnte, als würde ein Teil in ihr wissen, dass sie zum Scheitern verurteilt war. Ihr Stolz hielt sie aufrecht. Sie wollte sich beweisen, heute, ebenso wie früher, dass sie ein berechtigtes und ernstzunehmendes Mitglied von Team 7 war. Vielleicht sollte sie diesmal lediglich als Medic-Nin aushelfen, doch die anderen sollten sie dennoch nicht unterschätzen. Denn sie hatte bei Tsunade nicht nur Heiljutsus gelernt.

 

Ihre Gedanken drifteten ab, bewegten sich über das Wasser, glitten mühelos durch die dünne Wand, die sie von ihren Kameraden trennte, und fanden den Weg zu der Person, die ihr am meisten Kopfzerbrechen bereitete. Zugegeben, es fühlte sich nicht ganz so schlimm an, wie sie anfangs befürchtet hatte. Und doch spürte sie, dass etwas zwischen ihnen stand. Er beachtete sie kaum und sie sprachen nur miteinander, wenn es sich nicht anders vermeiden ließ. Es war komisch, wenn man bedachte, dass sie früher alles Mögliche unternommen hätte, um in seiner Nähe sein zu dürfen. Jetzt machte seine Nähe sie nervös und sie fühlte sich unwohl. Gleichzeitig fühlte sie sich von ihm angezogen. Die flüchtigen Blicke, die sie ihm hin und wieder zuwarf, immer dann, wenn sie dachte, dass er sie nicht bemerkte, konnte sie einfach nicht unterlassen. Etwas an ihm zog sie nach wie vor in den Bann.

 

Sakura atmete tief ein, hielt die Luft an, tauchte unter und genoss das Gefühl von Schwerelosigkeit im heißen Wasser. Die Augen hielt sie geschlossen. Die Geräusche wurden gedämpft, nur ein leises Rauschen drang an ihre Ohren. Sie blieb so lange untergetaucht, bis ihr die Luft ausging. Ihr Kopf brach durch die Wasserdecke und sie atmete begierig ein. Mit einer Hand rieb sie sich das Wasser und einige nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht. Mit einem Blick auf ihre Fingerkuppen bemerkte sie, dass sie bereits ganz schrumpelig waren. Von daher beschloss sie, dass es langsam Zeit wurde, das Bad wieder zu verlassen.

 

Nach einigen weiteren Minuten stieg sie aus dem Wasser und wickelte sich das weiße und ziemlich flauschige Handtuch um den Körper. Im Umkleidebereich, der ebenfalls nach Geschlechtern getrennt war, trocknete sie sich mit ihrem Handtuch ab, bevor sie in den für sie bereitgelegten hellgrauen Yukata schlüpfte. Anschließend rubbelte sie sich mit dem Handtuch noch übers Haar, um es weitestgehend möglich zu trocknen. Dann warf sie es in einen dafür vorgesehenen Behälter, schnappte sich ihre Kleidung aus dem Körbchen und ging zurück in ihr angemietetes Zimmer. Nun, außerhalb der heißen Quelle, fühlte sich die Luft eisigkalt auf ihrem Körper an, sodass sich eine leichte Gänsehaut auf ihren Beinen ausbreitete. Wenn sie Glück hatte wäre sie die erste und die anderen wären noch im Onsen, dann hätte sie noch einen Moment für sich. Auf der Mission waren sie schließlich immer zusammen, da war nicht viel Platz für Privatsphäre.

 

Kami erhörte ihren Wunsch allerdings nicht, denn als sie die Schiebetür zu ihrem Zimmer leise aufschob musste sie feststellen, dass schon jemand vor ihr zurückgekommen war. Einen Moment lang verharrte sie in der Türschwelle und starrte in die schwarzen Augen, die aufsahen, als er ihr Eintreten bemerkte. Plötzlich wurde ihr wieder ganz warm.

 

Sasuke saß an dem Tisch, der in der Zwischenzeit abgeräumt worden war. Jemand hatte ihn beiseitegeschoben und stattdessen die Futons ausgerollt. Der Schwarzhaarige wandte den Blick von ihr ab und studierte wieder die Unterlagen, die er in seinen Händen hielt. Als der Blickkontakt endete erwachte Sakura auch wieder aus ihrer Starre. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, zog die Tür hinter sich zu und ging zu ihrem Rucksack. Sie hockte sich davor, faltete ordentlich ihre Shinobi-Kleidung und legte sie neben ihr Gepäck. Dann sah sie sich wieder um. Die Stille im Raum war erdrückend. Sasuke beachtete sie nicht und las, während sie überlegte, was sie zu ihm sagen sollte – ob sie überhaupt etwas zu ihm sagen sollte. Einerseits wollte sie es, sehr sogar, wünschte sich, dass sie einfach wieder vernünftig miteinander reden konnten, andererseits befürchtete sie, dass sie sich wieder einmal zum Affen machte und ihn vermutlich nur nervte.

 

Während sie überlegte musterte sie ihn. Er trug den gleichen hellgrauen Yukata wie sie, nur einige Nummern größer. Sein schwarzes Haar war noch leicht nass. Wie gerne würde sie es berühren, vor allem die kurzen abstehenden Strähnen in seinem Nacken oder die langen, die ihm verwegen in die Stirn fielen. Selbst in diesem einfachen Outfit sah er verboten gut aus.

 

„Wo … Wo sind denn Naruto und Kakashi?“, fragte sie, als sie die Stille nicht länger aushielt. Noch während sie die Frage stellte bemerkte sie, wie bescheuert sie doch war. Er schien ähnlich zu denken, denn er warf ihr einen leicht irritierten Blick zu.

 

„Im Wasser. Wo sonst?“

 

„Oh.“

 

„Sie kommen sicher gleich.“

 

Sakura nickte stumm. Unerklärlicherweise störte sie der Gedanke. Von ihr aus konnten die anderen beiden sich noch Zeit lassen. Ihre Füße schienen ein Eigenleben zu führen, denn sie ging plötzlich langsam auf ihn zu. Dabei wusste sie gar nicht, woher dieser Mut auf einmal kam. Hier mit ihm allein in einem Zimmer zu sein fühlte sich irgendwie verboten an, als würden sie etwas Unerlaubtes tun.

 

Er las weiter und sah auch nicht auf, als sie sich neben ihn stellte und leicht zu ihm herunterbeugte. „Und? Hast du schon irgendwelche Ideen?“ Sie räusperte sich, da ihr ihre Stimme eher wie ein Krächzen vorkam.

 

Er sah sie immer noch nicht an. „Mehrere.“

 

„Mhm.“ Sie kam sich vor wie eine Idiotin. Nervös fummelte sie mit ihren Fingern an dem Rand des Ärmels ihres Yukatas. „Ähm …“

 

Sasuke atmete tief ein und wieder aus. In ihren Ohren klang es, wie ein genervtes Seufzen. Er legte die Unterlagen beiseite und drehte sich mit dem Oberkörper in ihre Richtung. „Was?“ Seine Augen blickten ihr kalt entgegen, sodass es ihr den Atem raubte. Ihre Brust schnürte sich zusammen, sodass es ihr schwerfiel, zu atmen.

 

Gekränkt wandte sie den Blick ab. „Nichts“, murmelte sie, während sie zu den Futons ging, nur um mehr Abstand zwischen sich und ihn zu bekommen. Sie wählte einen an der Wand aus und legte sich unter die Decke. Seine Anwesenheit war immer noch stark präsent. Sie rollte sich so weit es ihr möglich war zusammen und kniff die Augen zu. Diese Nacht würde der Horror werden. Diese ganze Mission würde der Horror werden. Sie schafften es ja nicht einmal normal miteinander zu reden.

 

Seine Reaktion sorgte dafür, dass sie sich elend fühlte. Seine Botschaft war nicht misszuverstehen. Am liebsten würde sie weglaufen, weg von ihm und dieser Mission, die alles auf den Kopf stellte. Die Anspannung im Raum war kaum auszuhalten. Sie traute sich kaum zu atmen. Nun hatte sie ihre Meinung geändert und hoffte, dass Naruto und Kakashi bald wieder zurückkamen.

 

Aber auch diesmal erhörte Kami ihren Wunsch nicht …

 

Es dauerte noch eine halbe Ewigkeit, bis Sasuke schließlich aufstand und das Licht ausschaltete. Im Dunkeln ging er ebenfalls zu den Futons, und wählte genau so wie sie einen an der Wand, und somit den am weitesten von ihr entfernten. Sie lag auf der Seite und konnte ihn trotz der Dunkelheit der Nacht leicht erkennen. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Noch eine klare Botschaft.

 

Es zerriss ihr beinahe das Herz. Ihre Augen begannen zu brennen, während sie auf seinen Rücken starrte. Auf den Punkt, wo seine Kleidung sonst immer das Uchiha-Wappen zierte, wenn er nicht seine Shinobi-Uniform trug.

 

Inzwischen hatten sie sich wieder soweit voneinander entfernt. Dabei hatte es Zeiten gegeben, in denen es anders gewesen war. Schon damals, als ihr Team gegründet wurde, war es schwierig mit dem Uchiha gewesen, doch im Laufe der Zeit hatten sie sich alle, zusammen mit Naruto und Kakashi, angefreundet. Der Eisklotz taute nach und nach langsam auf und das Teamwork, woran es bei allen anfangs haperte, wurde immer mehr ein Teil von ihnen. In den vergangenen Jahren hatten sie vieles zusammen erlebt, viel schönes …

 

Doch nun war alles anders. Und sie bedauerte es zutiefst und wünschte sich, es wäre nie soweit gekommen. Ihre Gefühle für ihn waren immer noch da. Am liebsten wäre sie aufgestanden und zu ihm gegangen, mit unter seine Decke gekrochen und hätte sich an ihn geschmiegt. Seine Nähe und seine Wärme gespürt. Seine beruhigenden Berührungen. Seine dunkle Stimme, die ihr zuflüsterte, dass alles wieder gut werden würde.

 

Sie fragte sich, was er inzwischen für ein Mensch war, schließlich hatten sie die letzten drei Jahre so gut wie keinen Kontakt gehabt. Ebenso wie Naruto gehörte er mit zu den talentiertesten Shinobi des Dorfes. Er entsprang einem berühmten Clan, war durchaus begabt und mit seinem Sharingan in der Lage es mit jedem Gegner aufzunehmen. Mehrmals hatte sie ihn kämpfen gesehen, mehrmals Seite an Seite mit ihm gekämpft, und jedes Mal hatte es ihr den Atem geraubt. Seine Präzision, die Schnelligkeit und der Anmut, mit denen er sich bewegte und seine Waffen führte, stets hatte er die Kontrolle, zeigte niemals Angst … Gleichzeitig konnten seine Augen eine eisige Kälte ausdrücken und eine Leere schien in ihm zu stecken, die sie unbedingt füllen wollte.

 

Die Sehnsucht riss weiter an ihr, wollte sie zu ihm zerren und es kostete sie alle Anstrengung dagegen anzukämpfen. Sie stellte ihn sich vor, seine stattliche Größe, sein durchtrainierter Körper, die zarte Blässe seiner Haut, die sinnlichen Lippen, das leicht zerzauste schwarze Haar, seine starken Hände und seine Augen, diese wundervollen dunklen Augen, die sie alles vergessen ließen, wenn sie in sie hineinblickte.

 

Doch dann drängten sich andere Augen in ihre Gedanken, helle, anklagende Augen. Ein Ziehen ging durch ihren Magen und verbreitete einen bitteren Nachgeschmack.

 

Nein, sie durfte nicht.

 

Mit einer schnellen Bewegung drehte sie sich um und kehrte ihm ebenfalls den Rücken zu. Sie atmete mehrmals zitternd ein und aus. Der Schlaf wollte nicht kommen, denn sie war zu aufgewühlt, ihre Gedanken fuhren Achterbahn. Irgendwann wurde die Tür aufgeschoben und Naruto und Kakashi schlichen ins Zimmer. Da das Licht bereits aus war achteten sie darauf, die anderen beiden nicht zu wecken, auch wenn Sakura anhand von Sasukes Chakra spüren konnte, dass nicht nur sie noch wach war.

 

Naruto und Kakashi machten es sich ebenfalls auf ihren Futons bequem. Direkt neben sich hörte sie die tollpatschigen Schritte von Naruto. Seine leisen Atemzüge wurden immer langsamer und lauter, bis es einem leichten Schnarchen glich.

 

Lange lag Sakura wach und quälte sich mit Gedanken, mit Gefühlen und Sehnsüchten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch irgendwann schlief auch sie schließlich ein.

Ryō Yagami

Sakura wachte auf. Panisch riss sie die Augen auf und starrte an eine nackte, kalte Steinwand. Sofort war sie hellwach. Hastig zog sie die Luft ein; ihre Atmung beschleunigte sich durch die Angst, die ihren Körper ergriff und sie spürte, wie ihr Herz heftig gegen ihren Brustkorb hämmerte. Ihr Körper war in Alarmbereitschaft. Der Schreck steckte ihr noch immer tief in den Knochen und schickte ein elektrisches Kribbeln durch ihre Arme und Beine. Sie schloss ihre Augen und zog die Decke fester um sich, als würde sie dadurch einen schützenden Mantel erschaffen, der sie vor der unsichtbaren Gefahr abschirmte. Unter ihrer Decke kauerte sie sich zusammen, bei der Erinnerung an die Angst, die sie empfunden hatte.

 

Es ist alles gut, versuchte sie sich zu beruhigen. Alles gut … Das war nur ein Traum …

 

Zwischen den Erinnerungen an den Inhalt ihres Alptraums fanden sich in ihrem Bewusstsein nach und nach klare Gedanken zusammen und sie stellte fest, dass sie in einem Bett lag. Erleichtert atmete sie aus. Sie waren in Iwagakure. Müde und erschöpft von der dreitägigen Reise waren sie die Nacht zuvor angekommen. Sakura hatte sich, nachdem sie das Gästezimmer bezogen hatte, in ihr Bett gelegt und danach konnte sie sich an nichts mehr erinnern. Sie musste sofort eingeschlafen sein.

 

„Guten Morgen.“

 

Die männliche Stimme traf sie dennoch unerwartet. Sie drehte sich in ihrem Bett um und zog die Decke soweit vom Gesicht herunter, dass sie ihr nur noch bis zur Nasenspitze ging und ihre Augen den Blondschopf erkennen konnten, der mit ihr das Zimmer teilte. Naruto saß auf dem Bett neben ihr. Er trug nur ein weißes Shirt und dunkelblaue Shorts. Er saß im Schneidersitz auf der Matratze und sah sie an, wirkte dabei als wäre er schon seit Stunden wach, dabei musste gerade erst die Sonne aufgegangen sein.

 

„Alptraum?“, fragte er mitfühlend.

 

Sakura schluckte. Einerseits war es ihr peinlich, bei solch einer Schwäche erwischt worden zu sein, denn immerhin kannte ein Shinobi keine Angst, zusätzlich war es, als wäre er in etwas sehr Intimes eingedrungen, das nur ihr gehörte. „Woher weißt du das?“

 

„Du hast dich ganz unruhig hin und her gewälzt“, antwortete er. Und nach einer kurzen Pause ergänzte er schon beinahe beiläufig, als würde es die Situation entschärfen: „Ich hatte auch einen.“

 

Für einen Moment sahen sie sich an, doch keiner von ihnen wagte es, nach dem Inhalt des Alptraumes des anderes zu fragen, noch schien einer von ihnen bereit von sich selbst aus erzählen zu wollen, welcher Schrecken sie in der Nacht geplagt hatte. Sakura war dankbar, dass er sie nicht mit Fragen löcherte. In einigen Minuten würde sie diesen dämlichen Traum ohnehin wieder vergessen haben. Ihre Atmung und ihr Puls hatten sich schon fast wieder normalisiert.

 

„In fünf Minuten hätte ich dich eh geweckt“, sagte Naruto, der sich nun aus seinem Schneidersitz befreite und die langen Beine aus dem Bett schwang. Langsam trottete er zu seinem Rucksack, der gegen die Zimmerwand lehnte, streckte sich dabei auf halbem Wege einmal ausgiebig und begann nach seiner Uniform zu kramen. „Wir müssen uns langsam fertig machen. Die anderen warten sicher nicht gerne auf uns, auch wenn es Kakashi nur recht geschehen würde, wenn wir mal ihn warten lassen würden.“ Bei der Vorstellung sah er über seine Schulter in ihre Richtung und grinste schadenfroh. Trotz seiner offensichtlichen guten Laune wirkte er angespannt. Wenn er auch einen Alptraum gehabt hatte war er vermutlich deswegen schon wach und nicht, wie sie zuerst vermutet hatte, bereits ausgeschlafen. Naruto war soweit sie wusste ein Langschläfer und ein Morgenmuffel. „Aber wir sollten den Tsuchikage nicht hinhalten. Wenn er nur halb so viel Temperament hat wie Oma Tsunade wird er uns eine Abreibung erteilen.“

 

Einige Sekunden lang sah Sakura dabei zu, wie Naruto damit begann, sich umzuziehen, bis sie seine Worte begriff, an sich selbst herabblickte und bemerkte, dass sie noch ihre Schlafkleidung trug, die Zähne ungeputzt, mit völlig zerzausten Haaren und vermutlich etlichen Kissenfalten im Gesicht.

 

Erschrocken keuchend fuhr sie zusammen. „Wie spät ist es?“

 

Naruto zog sich gerade seinen blauen Pullover über den Kopf. „Es ist kurz vor halb sieben.“

 

Sakura entfuhr ein spitzer Laut. In fünfzehn Minuten würden sie sich mit Sasuke und Kakashi treffen, um gemeinsam zum Tsuchikage zu gehen, bei dem sie um sieben Uhr zur Besprechung geladen waren. Hektisch sprang Sakura aus dem Bett. Und dieser Idiot hätte sie noch fünf Minuten weiterschlafen lassen! Wusste er denn nicht, dass Frauen länger brauchten, um sich fertig zu machen? Der Alptraum war nun in Vergessenheit geraten. In Rekordzeit schnappte sie sich ihre Ninja-Uniform und stolperte ins angrenzende Bad, wobei sie Naruto kurzerhand aus dem Weg schubste und sich vordrängelte.

 

Wie vereinbart trafen sie sich mit den anderen beiden Teammitgliedern auf dem Flur. Ihre Zimmer lagen direkt nebeneinander. Kakashi und Sasuke warteten bereits auf sie und für alle Anwesenden war klar, dass Kakashi nur so vorbildlich pünktlich war, weil er sich mit dem Uchiha ein Zimmer teilte und der ihn womöglich aus dem Bett geschmissen und ein Auge auf ihn gehabt hatte, damit er nicht wie sonst immer zu spät kam. Selbst als Hokage hatte er diese Eigenschaft, mit der er seine Schüler bereits zu Ge-Nin-Zeiten genervt hatte, nicht ablegen können. So war er zum Beispiel auch zu seiner eigenen Amtseinführung eine halbe Stunde zu spät gekommen.

 

Alle vier trugen die Shinobi-Uniform aus ihrem Heimatdorf, bestehend aus dunkelblauer Hose und dem gleichfarbigen Pullover, mit den aufgestickten roten Wirbelzeichen auf den Oberarmen, sowie einer olivgrünen Weste mit hochgestelltem Kragen und dunklen Sandalen. Wie jeder Ninja trugen auch sie die Stirnbänder, mit dem Zeichen ihres Dorfes auf der Metalplatte. Sakura musterte Sasuke kurz, der überall hinsah, nur nicht zu ihr, und musste wieder einmal feststellen, wie gut er in seiner Uniform aussah. Auch wenn sie alle die gleiche besaßen, schien es, als würde er seine mit mehr Würde tragen.

 

„Na, ausgeschlafen?“, fragte ihr Teamführer mit einem Blick auf die dunklen Schatten, die sich nicht nur unter Sakuras Augen abzeichneten. Von ihr und Naruto kam lediglich ein murrendes Brummen zur Antwort. Die Nacht war alles andere als erholsam für Sakura gewesen und ihr Körper verlangte nach einer weiteren Runde Schlaf.

 

Kurz darauf ertönte das Geräusch von sich nähernden Schritten und wenig später kam eine Person den Flur entlang geschlendert. Der dunkelhaarige Mann trug die typische Uniform von Iwagakure. Sie unterschied sich in einigen Punkten von der Kleidung Konohas: statt Blau und Grün trugen sie Rot und Braun und ihr Oberteil ließ den rechten Arm unbekleidet. Sein nackter Arm war gebräunt und muskulös.

 

„Guten Morgen, Meister Hokage“, grüßte der Iwa-Nin, als er bei ihnen ankam. Er verneigte sich höflich, was Kakashi mit einem leichten Nicken erwiderte. „Mein Name ist Haru. Ich begleite Euch zum Tsuchikage. Er erwartet Euch bereits. Folgt mir bitte.“

 

Die Vier Konoha-Nins folgten Haru durch den Kagepalast. Schon bei ihrer Ankunft in der Nacht zuvor hatten sie sich einen ersten Eindruck von dem Ort machen können, an dem der Tsuchikage lebte. Im Gegensatz zu Kakashi, der nach wie vor in seiner bescheidenen Wohnung in Konoha hauste, und das Hokage-Gebäude nur betrat, um dort zu arbeiten, lebte Ryō Yagami in einem wahren Palast, der einzig und allein für den amtierenden Tsuchikage gebaut worden war. Dort gab es abgesehen von den privaten Gemächern des Dorfoberhauptes und seiner Familie noch die offiziellen Räume für Versammlungen und Besprechungen, etliche Büros für diverse Angestellte und Shinobi, sowie zahlreiche Gästezimmer für wichtigen Besuch aus anderen Ländern. Und wichtiger Besuch wurde auch dementsprechend besonders behandelt. Gäste des Kage durften in seinem Palast übernachten, wodurch sie sich nicht nur in seiner unmittelbaren Nähe befanden, sondern auch seiner totalen Überwachung und Kontrolle unterlagen. Perfekt eingefädelt, würde man sagen.

 

Iwagakure wirkte auf den ersten Blick sehr robust und kalt, mit vielen steinernen Mauern und wenig Grün in der Umgebung. Aber was sollte man auch schon erwarten, vom Dorf, das versteckt unter den Felsen lag? Die Landschaft wirkte trocken und trostlos, ebenso wie der Palast, der mehr einer unerschütterlichen Festung glich, als einem Ort, an dem man sich wohlfühlen konnte, aber vielleicht waren die Konoha-Nins auch einfach nur anderes gewohnt. Sakura konnte sich jedenfalls nicht mit dieser tristen Stadt abfinden und freute sich schon darauf bald wieder in ihrer Heimat zu sein. Nicht nur die kalten Mauern oder die fehlende Natur, sondern auch die distanzierten Menschen waren ihr nicht geheuer.

 

Nach etwa fünfzehn Minuten und dem Durchqueren von mehreren Stockwerken wurden sie zu einer breiten Tür geführt, die zu einem Konferenzraum führte. Haru trat nach dem Anklopfen ein und verbeugte sich anschließend vor dem Tsuchikage. Die vier Konoha-Nins folgten ihm in den Raum hinein und fanden sich nun dem neuen Dorfoberhaupt Iwagakures gegenüber. An den Wänden hingen einige gerahmte Bilder und zwei breite Fenster boten eine großzügige Sicht über das Dorf, wodurch man erkennen konnte, dass sie sich im obersten Stockwerk befanden. Ein runder Tisch stand in der Mitte des Raumes, um den bereits fünf Personen saßen, die sich von ihren Plätzen erhoben, als ihr Besuch eintrat. In der Mitte von ihnen saß offenbar der Tsuchikage, den Sakura von der Fotografie wiedererkannte. Er umrandete den Tisch und ging auf sie zu. Haru verließ währenddessen wieder den Raum.

 

„Ah, Kakashi Hatake. Endlich lernen wir uns kennen.“ Der Tsuchikage streckte kameradschaftlich seine große Hand aus, die Kakashi sofort ergriff und fest schüttelte. Ryō Yagami war ebenso groß wie der Hokage. Seine Haut war gebräunt und sein Haar so rot wie Sasukes Sharingan. Wie eine Flamme stand es ihm nach oben vom Kopf ab. Er trug ein dunkelbraunes Tanktop und die dazu passende dunkelrote Hose, ganz in den Farben seines Dorfes, sowie schwarze Stiefel und schwarze Ohrringe. Seine dunklen Augen betrachteten nun auch Naruto und Sakura, er nickte ihnen höflich zu, nur an Sasuke blieb sein Blick einen Moment länger hingen, als er bemerkte, welchem berühmten Mann er gerade gegenüber stand. Respektvoll senkte er seinen Kopf. Der Name Uchiha war überall bekannt und gefürchtet. Sein Clan legendär. Und Sasuke war jemand, den man gewiss nicht zum Feind haben wollte.

 

„Glückwunsch zur Ernennung“, entgegnete Kakashi förmlich. „Wie bedauerlich, dass wir uns unter solchen Umständen kennenlernen müssen. Wir sind so schnell aus Konoha gekommen, wie wir konnten.“ Kakashi kam wie immer schnell auf den Punkt. Seine Abneigung gegenüber Smalltalk war ebenso groß wie Chōjis Appetit.

 

„Und dafür danke ich euch.“ Für einen Moment huschte ein ernster Ausdruck über Ryōs Gesicht. Dann wandte er sich mit einer halben Drehung zu den anderen Anwesenden im Raum und deutete auf sie. „Bevor wir beginnen – darf ich euch vorstellen: Meine Frau Takiko und meine Berater Toya Ichigawa, Kazuko Itō und Tetsuya Nakamura.“ Die Vorgestellten verbeugten sich jeweils bei der Erwähnung ihres Namens und Kakashi stellte daraufhin seine drei Begleiter mit Namen vor. „Kommt, setzen wir uns.“

 

Die Iwa-Nins nahmen wieder ihre Plätze ein. Ihnen gegenüber standen vier leere Stühle. Kakashi setzte sich dem Kage gegenüber, Sasuke setzte sich zu seiner Rechten und Naruto nahm den Platz zu seiner Linken, sodass Sakura nur noch der freie Stuhl neben Naruto blieb.

 

„Was genau ist Meister Ōnoki zugestoßen?“, begann Kakashi das Gespräch.

 

Ryō lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Während er anfing zu erzählen betrachtete Sakura den Mann ihr gegenüber und verglich seine Erscheinung mit den Beschreibungen, die in Yamatos Zusammenfassung gestanden hatten. Auf den ersten Blick würde sie ihn als entschlossen beschreiben. Er wirkte wie ein Mann, der nicht lang fackelte. Stark, stolz und unerschrocken.

 

„Die Männer, die die Nachtwache ablösen sollten, fanden zwei getötete Jō-Nin in den Fluren, die zu den privaten Gemächern des Tsuchikage führten. In seinem Schlafzimmer fanden sie dann seine Leiche. Man hatte ihm im Schlaf die Kehle durchtrennt, ebenso seiner Frau. Nichts deutete auf einen Kampf hin, noch wurde ein Eindringen bemerkt.“ Ryōs Miene wurde zunehmend ernster. „Wie ihr bereits festgestellt habt wird der Palast sehr gut bewacht. Allerdings wurden an diesem Morgen weitere Wachen tot aufgefunden, sowie einige Zivilisten aus dem Dorf, was ein Zufall sein kann, wir aber ausschließen.“

 

„Hatte Meister Ōnoki irgendwelche Feinde?“, fragte Kakashi weiter.

 

Ryō schnaubte belustig. „Wer hat die nicht? Ihr müsstest selbst wissen, dass auf jeden Verbündeten zwei Feinde folgen. Und Loyalitäten können sich so leicht ändern, wie die Stimmung eines launenhaften Weibstücks.“

 

Für einen Moment sah Sakura den Tsuchikage verblüfft an. Hatte sie sich gerade verhört? Sie wollte einen ungläubigen Blick mit seiner Frau wechseln, doch deren blaue Augen fixierten nur die Tischplatte vor sich.

 

„Fangen wir an mit denjenigen, von denen wir wissen“, sagte Tetsuya, ein Mann mittleren Alters mit einem hellgrauen Kopftuch, unter dem einige weiße Haarsträhnen hervorlugten. „Im Erdreich gibt es ein Dorf namens Yugawa, das sich weigert mit uns zu kooperieren. Die Bürger zahlen weder Steuern, noch geben sie die Erträge ihrer Ernte ab. Sie fühlen sich von uns unterdrückt und behandeln unsere Shinobi alles andere als freundlich.“

 

„Aber die Bewohner aus Yugawa sind Zivilisten und keine Ninja“, wandte Ryō ein. „Sie wären zu solchen Angriffen nicht in der Lage.“

 

„Abgesehen davon gab es mehrere Kämpfe in Otogakure“, ergänzte Toka, der ebenso rotes Haar besaß wie der Tsuchikage und Sakura vermutete, dass sie miteinander verwandt waren. Da sie beide allerdings unterschiedliche Nachnamen trugen konnte es sich nicht um seinen Bruder, vielleicht aber um einen Cousin handeln. „Wir vermuten, dass es sich dabei um Orochimarus Gefolgschaft handelt.“

 

„Was ist mit den anderen Angriffen?“, fragte Kakashi.

 

Nun antwortete Kazuko, der links vom Tsuchikage saß. Ein Mann mit runder Brille, der trotz seines vorangeschrittenen Alters eine beachtliche Menge an Autorität ausstrahlte. „Mehrere Shinobi wurden getötet. Alle während ihrer Missionen. Manche waren allein, andere im Team. Noch dazu gibt es viele Berichte von Angriffen und Verletzten.“

 

„Es begann mit einem Chū-Nin“ berichtete Ryō, „der Alarm schlug, weil er glaubte, ein Feuer sei im Palast ausgebrochen, allerdings konnte keines entdeckt werden, obwohl er beteuerte es gesehen zu haben. Kurz darauf häuften sich die Meldungen von Teams, die von Missionen zurückkehrten und von Begegnungen mit wilden Tieren oder Untoten sprachen. Einer behauptete sogar er hätte Yonbi persönlich gesehen und wäre nur um ein Haar entkommen. Allerdings konnten weder Spuren noch sonstige Beweise für deren Existenz gefunden werden. Und Roushi, der Jinchūriki des Yonbi ist wohlauf und sein Bijū weiterhin versiegelt.“

 

„Noch dazu kommt die Häufung an Zivilisten, die sich im Krankenhaus einfinden und davon berichten, sie wären unheilbar krank“, sagte Toya. „Manche denken sie können nicht mehr gehen, obwohl wir an ihren Beinen keinen Schaden feststellen können und andere wiederum verbarrikadieren sich zuhause und weigern sich das Haus zu verlassen, aus Angst, sie könnten jemanden mit einer Krankheit anstecken, die gar nicht existiert. Zuerst haben wir das nicht ernst genommen. Erst später haben wir bemerkt, dass es womöglich einen Zusammenhang zwischen all dem gibt.“

 

„Habt Ihr auch etwas Merkwürdiges gesehen?“, fragte Kakashi nun den Tsuchikage.

 

„Ich?“ Ryō schien einen Moment zu überlegen. „Abgesehen von einer stark schwindenden Shinobi-Einheit und etlichen Dorfbewohnern, die sich wie Verrückte aufspielen, nein. Ich habe nichts Merkwürdiges gesehen.“

 

„Was ist mit euch?“, fragte Kakashi die Berater. „Habt ihr irgendetwas bemerkt oder etwas Seltsames gesehen?“

 

Toya, Tetsuya und Kazuko verneinten.

 

„Und Sie, Takiko?“, fragte Kakashi, dem nicht entgangen war, dass sie nicht geantwortet hatte. Die Frau des Tsuchikage, die bisher geschwiegen hatte, spürte nun, dass die Aufmerksamkeit aller auf ihr lag. Einen Moment wirkte sie verunsichert und wechselte einen Blick mit ihrem Mann. Bei ihrem Anblick musste Sakura unweigerlich an Hinata denken. Die braunhaarige Frau war noch lange nicht so schüchtern wie die Hyūga, doch sie hatte auch nicht das starke Selbstbewusstsein ihres Mannes.

 

Entschieden schüttelte Takiko den Kopf. „Nein.“

 

Kakashi und Sasuke wechselten einen Blick. „Wurden die Personen auf Genjutsu untersucht?“, wollte der Hokage dann wissen.

 

„Natürlich. Wir haben jeden von ihnen getestet und ihren Chakrafluss unterbrochen, was zu keiner Veränderung führte. Außerdem haben wir gewisse … Methoden, um herauszufinden, ob jemand unter einem Genjutsu steht oder stand. Diese Methoden gibt es in Konoha bestimmt auch.“

 

Kakashi nickte wissend. „Also kein Genjutsu.“

 

„Zum Schutze unseres Dorfes haben wir erst einmal alle laufenden Missionen abgebrochen und unsere Shinobi zurück ins Dorf geholt“, erklärte Ryō. „Unsere Ermittlungen haben bisher leider nichts Konkretes ergeben. Wir hoffen, dass vielleicht euren Augen ein Detail auffällt, das uns zur Auflösung dieses Alptraums helfen kann.“ Sein Blick blieb dabei an Sasuke hängen. Beide sahen sich einige Sekunden lang schweigend an.

 

Sakura hatte bei der Erwähnung des Wortes Alptraum aufgehorcht und sich unfreiwillig an ihre unschöne Nacht erinnert. Diese Erzählungen klangen wirklich nach einem Sammelsurium an schlimmsten Alpträumen. Was für ein Zufall, dass sie genau in dieser Nacht schlecht geträumt hatte. Beschäftigte diese Mission sie bereits so sehr, dass die Berichte von den mysteriösen Angriffen schon unbemerkt in ihr Unterbewusstsein gelangten?

 

„Wir würden gerne selber mit einigen Zeugen reden und uns ein wenig im Dorf umsehen“, meinte Kakashi.

 

„Natürlich.“ Ryō breitete die Arme zu einer einladenden Geste aus. „Ihr seid meine Gäste. Fühlt euch in Iwa wie zuhause. Haru wird euch ins Dorf begleiten. Bitte lasst es mich sofort wissen, wenn ihr etwas herausfindet. Ich würde euch ja begleiten, aber–“

 

„Das Wohl des Tsuchikage liegt an oberster Stelle“, fuhr Toya sofort dazwischen. „Wir können einen weiteren Angriff auf das Dorfoberhaupt nicht ausschließen und überwachen ihn deshalb rund um die Uhr.“

 

Irritiert zog Sakura ihre Augenbrauen zusammen. Skeptisch musterte sie den starken rothaarigen Mann, der den Eindruck machte, als könne er gut auf sich selbst aufpassen. Das Wohl des Tsuchikage lag an oberster Stelle? Wie bitte? Sollte sich ein Kage nicht eigentlich für sein Dorf einsetzen und es mit seinem Leben beschützen, so wie einst der vierte Hokage, der beim Angriff des Kyūbi ums Leben kam? Sie musterte Ryō Yagami und fragte sich, was wohl in seinem Kopf vorging. Kakashis Worte kamen ihr wieder in den Sinn, dass es möglich sein konnte, dass er in die Sache verwickelt war. Aber war das möglich? Saß er hier ihnen gegenüber und mimte den Unschuldigen, während er hinter den Kulissen die Fäden zog? Selbst angenommen, Ryō war verantwortlich für den Tod von Meister Ōnoki und die Angriffe auf die Shinobi, weshalb sollte er dann Konoha um Verstärkung bitten? Das machte schließlich keinen Sinn.

 

Als sie den Raum verließen wartete Haru bereits draußen auf dem Gang auf sie. Offenbar hatte er dort auf sie gewartet. Er führte sie ins Krankenhaus von Iwagakure, in dem sie mit mehreren Augenzeugen sprachen und sich deren Erlebnisse schildern ließen. Die meisten von ihnen waren Zivilisten. Ein Mann mit einem Gips am Bein berichtete gequält, er sei von einem riesigen wilden Wolf gejagt worden und habe sich den Bruch zugezogen, als er bei seiner Flucht gestürzt war. Dabei hatte man den letzten Wolf im Erdreich vor Ewigkeiten gesehen. Eine Frau erzählte von einem Einbrecher, der sie in ihrem eigenen Haus die Treppe hinuntergestürzt hatte, woraufhin sie mit mehreren Knochenbrüchen und einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Eine Angestellte berichtete, sie habe eine riesige Spinne angegriffen, die so groß war, wie ein Bär. Unter ihnen befanden sich auch einige Shinobi, die ebenfalls von ihren Schockmomenten erzählten. Mehrere Medic-Nins erwähnten die Toten, die in Leichensäcken von ihren Missionen zurückgekehrt waren. Team 7 hörte sich alles in Ruhe an.

 

Zwei Stunden später verließen sie das Krankenhaus. Kakashi rieb sich dabei mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken und seufzte einmal laut. „Ich schlage vor, wir gehen erst einmal etwas essen.“ Haru verabschiedete sich, denn auch er hatte noch viel zu tun, und die vier Konoha-Nins machten sich auf den Weg, um das Dorf zu erkunden und sich ein Lokal auszusuchen, in dem sie zu Mittag essen konnten. Die Zeit um zu frühstücken war lange vorbei und die letzte Mahlzeit lag schon viele Stunden zurück.

 

Aufgrund ihrer Kleidung und Stirnbänder fielen sie in der Straße sofort auf und ernteten interessierte Blicke. Besuch aus anderen Ländern war nichts Ungewöhnliches, allerdings kam es auch nicht so häufig vor, dass man bereits dran gewöhnt war. Die meisten von ihnen waren Zivilisten, doch einige Iwa-Nins erkannten Kakashi und verbeugten sich anerkennend vor dem Hokage.

 

Naruto verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, während sie die Straße entlanggingen. „Ich habe mega Hunger, echt jetzt!“ Suchend sah er sich nach links und rechts um, doch alles, was sie passierten, waren Wohnhäuser. Neben ihm ging Sasuke und hinter ihnen Sakura und Kakashi.

 

„Und? Was denkst du?“, fragte Sakura ihren Sensei. Ihr Blick haftete dabei an dem Rücken des Schwarzhaarigen vor ihr.

 

„Hm.“ Kakashi schlenderte neben ihr her, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und den Blick geradeaus gerichtet. Sein Gesicht verriet nicht viel. Sein Mundschutz verdeckte die untere Hälfte seines Gesichts, sein Stirnband sein linkes Auge. Nur sein rechtes war sichtbar und offenbarte einen ernsten Blick. „Mir ist etwas aufgefallen“, offenbarte er nach einer dramatischen Pause. „Es könnte etwas bedeuten, vielleicht aber auch nicht.“

 

Sasuke blickte im Gehen über seine Schulter zu Kakashi, der seine Worte offenbar mitgehört hatte. Naruto sah sich weiterhin nach Lokalen um, die seinen Hunger stillen würden. „Können wir das auch später bereden?“, fragte der Blonde ungeduldig. „So etwas lässt sich doch viel besser mit einem vollen Magen besprechen. Autsch, was war das denn?“ Er klatschte sich eine Hand in den Nacken und sah sich danach seine Handfläche an. „Gibt’s hier Mücken, oder was?“ Dann blieb er plötzlich stehen, wandte den Kopf nach rechts, streckte seinen Arm aus und zeigte in eine Gasse. „Da!“

 

Die anderen drei blieben ebenfalls stehen und warfen einen Blick in die Gasse, die zwischen den Häusern zu einer angrenzenden Straße führte. Durch die kleine Öffnung waren mehrere Imbissstände zu erkennen und Sakura glaubte augenblicklich einen leckeren Duft erschnuppern zu können. Ihr Magen knurrte leise.

 

„Na endlich“, seufzte Naruto und setzte sich sofort in Bewegung. Der Rest von Team 7 folgte ihm. Sasuke ging nun auf gleicher Höhe wie Kakashi und Sakura. Offenbar hatte er mehr Interesse an dem, was sein Sensei für Gedanken hatte, als daran Naruto bei seiner Restaurantsuche Gesellschaft zu leisten.

 

Kakashi rieb sich mit einem Zeigefinger die Nase. „Naja, all die Verletzten wurden im Dorf angegriffen. Die einzigen Toten im Dorf waren Ōnoki und seine Wachen, sowie die Zivilisten, die in der gleichen Nacht verstorben sind. Die anderen Angriffe mit tödlichem Ausgang spielten sich alle außerhalb des Dorfes ab. So haben es zumindest die Medic-Nins berichtet.“

 

„Was könnte das bedeuten?“, fragte Sakura.

 

„Vermutlich, dass der Feind sich größtenteils außerhalb des Dorfes aufhält. Nach wie vor wissen wir nicht, wer oder was dafür verantwortlich ist. Außerdem frage ich mich, was das Motiv ist. Aus welchem Grund greift man nicht nur den Kage, sondern auch Zivilisten an?“

 

„Vielleicht will jemand seine Macht demonstrieren“, überlegte Sasuke.

 

„Vielleicht“, erwiderte Kakashi. Er wechselte einen langen Blick mit seinem Schüler.

 

„Vertraust du ihm?“, fragte Sasuke.

 

Für einen Moment überlegte Kakashi und Sakura kamen wieder ihre Überlegungen in den Sinn, die sie während des Treffens gehabt hatte. Vertraute er Ryō Yagami? Vertraute sie ihm?

 

„Ich bin noch zu keiner Entscheidung gekommen“, offenbarte Kakashi.

 

„Ich finde ihn ein wenig frauenfeindlich“, gestand Sakura leise. Bei der Besprechung war zwar seine Ehefrau dabei gewesen, aber ihr war nicht entgangen, dass seine Berater allesamt männlich waren.

 

Kakashi sah sie an. „Ja, seine Aussage ist mir auch aufgefallen. Und seine Frau hat uns definitiv nicht die Wahrheit erzählt.“

 

Sasuke nickte, als wäre ihm das ebenfalls klar. Währenddessen betraten sie die Imbissmeile, die momentan noch wenige Gäste verzeichnen konnte, da zu dieser Uhrzeit die meisten Bewohner arbeiteten und die Kinder zur Schule gingen. Nur vereinzelt saßen Männer oder Frauen an den Tresen, um in ihrer Mittagspause einen kurzen Snack zu sich zu nehmen. Die Luft war voll von Gerüchen verschiedenster Speisen, einer verlockender als der andere.

 

Naruto blickte sich in alle Himmelsrichtungen um, überfordert, eine Wahl zu treffen. Fragend sah Sakura ihren Sensei an. „Was meinst du damit, sie hat nicht die Wahrheit erzählt?“ Er und Sasuke wechselten wieder einen Blick.

 

„Sie hat definitiv etwas gesehen“, meinte Kakashi mysteriös.

 

Aber Sakura verstand nicht. „Und wieso hat sie das dann nicht gesagt?“

 

„Weil das, was sie gesehen hat, vielleicht genau in dem Moment neben ihr saß.“

 

Erschrocken keuchte sie. „Was? Du meinst …“

 

Kakashi nickte. „Einige berichteten auch von menschlichen Angreifern. Eine Patientin erzählte von einem Einbrecher, ein anderer von seinem Arbeitgeber. Es ist also durchaus möglich–“

 

„Ey, Leute!“, fuhr Naruto nun aufgebracht dazwischen. „Es ist ja nett, was ihr alle so für Ideen habt, aber ich sterbe gleich vor Hunger! Können wir jetzt endlich mal etwas essen?“

 

Sakura ballte die Hand zur Faust und hielt sie bedrohlich in seine Richtung. „Und kannst du mal an etwas anderes denken, als ans Essen? Wie wäre es, wenn du dich mal mit einbringst, statt uns zu ignorieren?“

 

„Du weißt genauso gut wie ich, dass ich mit leeren Bauch nicht denken kann“, hielt Naruto energisch dagegen. „Ein Feuer brennt auch nicht ohne Holz.“

 

„Ein – Was?“ Sakura sah ihn an und überlegte, ob sie ihn schlagen oder ignorieren sollte.

 

Sasuke schnaubte missbilligend und Kakashi kniff lächelnd die Augen zusammen. „Wo er recht hat, hat er recht. Kommt, lasst uns endlich etwas essen.“

 

Grimmig nickte Naruto. Mit verschränkten Armen vor der Brust hob er trotzig das Kinn. „Geht doch.“ Schwungvoll drehte er sich um und marschierte los.

 

Sasuke blickte ihm finster hinterher. „Wieder einmal behindert er uns.“

 

Sakura seufzte und gab ihm in Gedanken recht. Es schien, als habe sich der Chaosninja in den letzten drei Jahren kein Stückchen weiterentwickelt. „Ich frage mich nur, ob er als Teamführer genau so ist. Stell dir nur mal vor, wie er mit drei unerfahrenen Ge-Nin bei Ichiraku sitzt und ihnen das Sexy no Jutsu erklärt.“

 

Daraufhin wechselten sie und Sasuke einen Blick. Sie schmunzelte und er zog fragend eine Augenbraue hoch, sein rechter Mundwinkel zuckte leicht amüsiert, was bei ihr ein leichtes Flattern im Bauch auslöste. Dieser kurze Moment brachte sie so sehr aus dem Konzept, dass sie sich verlegen umdrehte und Naruto hinterher marschierte. Es hatte sich so angefühlt, als hätten sie einen kleinen Moment geteilt, und sich gemeinsam gegen Naruto verschworen, so wie früher, und in diesem einen Moment hatte er sie direkt angesehen, ohne diesen genervten oder eiskalten Blick. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus und das Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht ausbreite, konnte sie nicht verhindern, egal wie sehr sie es versuchte.

 

Sie war so in Gedanken, dass sie nicht aufpasste und plötzlich in Naruto hineinlief, der offensichtlich aus unerklärlichem Grund vor ihr stehengeblieben war. Durch den Aufprall stolperte sie zwei Schritte zurück und brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen. Der Zusammenstoß hatte sie immerhin aus ihren Träumereien ins Hier und Jetzt zurückgeholt.

 

„Ey, pass doch auf“, murmelte sie halbherzig anklagend, während sie sich ihre schmerzende Nase rieb. Aber Naruto rührte sich nicht, weshalb sie zu ihm aufschloss und sich neben ihn stellte. „Naruto?“

 

Sein Anblick ließ sie erstarren. Sein Gesicht war voller Schrecken. Die sonst so gebräunte Haut war weiß wie Schnee, sein Mund stand leicht offen und seine geweiteten blauen Augen fixierten einen Punkt in der Ferne. Etwas bereite ihm offenbar entsetzliche Angst.

 

„Naruto! Was ist los?“

 

Kakashi und Sasuke hatten nun ebenfalls zu ihnen aufgeholt. Sakura drehte sich alarmiert um. Ihre Augen suchten hektisch die Umgebung ab auf der Suche nach dem, was Naruto entdeckt hatte. Irgendetwas musste hier sein. Doch sie sah nichts. Ihre Augen musterten die rechte Straßenseite, sowie die linke, besahen sich jeden Imbissstand und jeden Gast, der am Tresen saß, aber sie konnte nichts Verdächtiges erkennen.

 

„Naruto, das ist nicht witzig!“, wollte sie ihn maßregeln, denn das war nicht die richtige Zeit für einen blöden Scherz.

 

„Was ist mit ihm?“ fragte Kakashi besorgt, der sich in Narutos Blickfeld schob, doch der bewegte seinen Kopf nur zur Seite und sah weiterhin an ihm vorbei.

 

„Seht ihr es denn nicht?“, fragte Naruto mit zitternder Stimme. Langsam hob er eine Hand und zeigte geradeaus. Sakura, Kakashi und Sasuke wandten sich um und blickten in die Richtung, in die er deutete …

 

Aber da war nichts.

 

Sakura drehte sich wieder zu ihm um und ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen bei seinem verstörten Anblick. Er hatte Angst, panische Angst. Und das war alles andere als gewöhnlich für den Uzumaki, der sich sonst immer todesmutig ins Gefecht stürzte.

 

Aber was bereitete ihm gerade solch eine Angst?

 

Was zur Hölle ging hier vor?

Narutos Angst

Narutos Magen knurrte laut und klang dabei wie ein winselnder Hund. Wenn er gewusst hätte, dass sie in diesem Krankenhaus eine gefühlte Ewigkeit verbringen würden, hätte er sich nie darauf eingelassen. Wer war überhaupt auf die Idee gekommen ohne Frühstück zum Tsuchikage zu gehen? Dabei war Kakashi doch sonst immer so clever. Und gastfreundlich von Iwagakure war das auch nicht unbedingt. Die köstlichen Gerüche der Imbissbuden brachten ihn beinahe um den Verstand. Die Reizüberflutung war kaum zu ertragen. Sein leerer Magen sehnte sich nach einem leckeren Happen Essen. Während er seinen Blick über die einzelnen Yatai* gleiten ließ, lief ihm das Wasser im Munde zusammen.

 

Rechts von ihm sah er einen älteren Mann, der in seinem Yatai gegrillte Hähnchenspieße zu überteuerten Preisen anbot. Der Stand daneben war stattdessen auf Süßspeisen spezialisiert und wäre auf dem Rückweg durchaus einen Abstecher wert. Narutos Blick huschte ungeduldig weiter auf der Suche nach dem glücklichen Gewinner, dem er am heutigen Tage einen Besuch abstatten würde.

 

Nach etlichen weiteren Yatai blieb sein Blick endlich an einem Ramenstand hängen, an dem sogar noch alle Plätze frei waren. Super! Sein Gang beschleunigte sich unwillkürlich. Jetzt würde er erst einmal testen, ob Iwagakure mit den leckeren Nudelsuppen vom Ichiraku-Imbiss mithalten konnte. Er glaubte die Antwort bereits zu kennen.

 

Ein lautes Krachen und Poltern ließ ihn jedoch abrupt stehenbleiben. Zuerst dachte er an ein Erdbeben, da der Boden unter seinen Füßen plötzlich vibrierte, und er sah, wie einige Straßen weiter mehrere Gebäude zusammenstürzten. Dicke Staubwolken erhoben sich gen Himmel und verdeckten somit das Chaos, das angerichtet worden war. Völlig überrumpelt starrte Naruto auf das Geschehen. Was war denn jetzt auf einmal passiert? War das etwa ein Angriff? Oder doch eine Naturkatastrophe? Sein Körper spannte sich an, bereit, jeden Moment loszustürmen und nach Überlebenden zu suchen.

 

Doch ehe er reagieren konnte, sah er, wie der Staub sich langsam lichtete und das, was seine Augen daraufhin erblickten, ließ ihn augenblicklich erstarren. Neun rostbraune Schwänze entfalteten sich. Mehrere von ihnen holten aus und stürzten auf die Wohnhäuser herab, zerstörten sie beinahe mühelos, als wären sie nichts weiter, als einfache Kartenhäuser. Ein wütendes Brüllen ertönte, das Naruto durch Mark und Bein ging und die Nackenhaare zu Berge stehen ließen.

 

Das Fuchsungeheuer wütete zornig und zerstörte kompromisslos alles um sich herum. Menschen liefen in Panik schreiend an ihm vorbei. Naruto wollte sich bewegen und ihnen zur Hilfe eilen, aber er konnte sich nicht rühren.

 

Fassungslos starrte er auf das Kyūbi. War es etwa ausgebrochen? Aber– Das konnte nicht sein! Das hätte er doch wohl bemerkt, oder etwa nicht? Naruto war sein Jinchūriki, sein Gefäß, und es war seine Aufgabe dafür zu sorgen, dass der Bijū keinen Schaden anrichtete. Wo kam es also so plötzlich her?

 

Aus Erzählungen wusste er, wie das Kyūbi aussah, doch sein Anblick war schrecklicher, als jede Vorstellung. Seine Größe war gewaltig und sein Gesicht eine wutverzerrte Fratze. Die langen Klauen zerschlugen alles, was ihm im Weg stand. Die neun Schwänze hinterließen eine Spur der Zerstörung und sein Brüllen war so grauenvoll, dass er dem Drang wiederstehen musste sich die Ohren zuzuhalten.

 

Plötzlich stand Kakashi vor ihm und seine Unerschrockenheit machte ihn abermals sprachlos. Der Angriff des Kyūbi ließ den Kopierninja offenbar kalt. Naruto bemerkte die Anwesenheit von Sakura und Sasuke ebenfalls neben sich und fragte sich, wieso sie nichts unternahmen, wieso sie nicht längst angriffen. Stattdessen stellten sie ihm bloß blöde Fragen. Sie wollten wissen was mit ihm los war? Echt jetzt?

 

„Seht ihr es denn nicht?“, fragte er ungläubig, wobei er bemerkte, dass seine Stimme zitterte. Dabei deutete er mit einer Hand auf das Offensichtliche. Selbst wenn sie es nicht sehen würden, so konnte man es ebenso gut hören. Wie gebannt starrte er auf das Fuchsungeheuer. Irgendetwas stimmte hier doch nicht. Es verwirrte ihn dermaßen, wieso es auf einmal hier war. Denn es war schlichtweg nicht möglich! Oder gab es vielleicht noch ein weiteres Fuchsungeheuer? Nein, das war ausgeschlossen. Es gab nur dieses eine, und zwar das, das in ihm versiegelt war. Und wenn es hier war bedeutete das nur eins, nämlich dass er versagt hatte. Wenn es frei war und unschuldige Menschen tötete, dann war das seine Schuld.

 

Meine Schuld …

 

Dabei hatte er den Dämon in sich doch so gut unter Kontrolle gehabt. Seit Jahren hatte es keine Auseinandersetzung mehr zwischen ihnen beiden gegeben und auch auf das Chakra des Kyūbi griff er nicht mehr zurück, um nicht die Gefahr einzugehen, dass es die Macht über ihn erlangte. Er war so stolz gewesen, auf diesen Fortschritt …

 

Naruto schluckte schuldbewusst. Er wollte etwas unternehmen, nach vorne stürmen und es aufhalten, doch seine Füße waren so schwer, als hätte jemand sie in Beton gegossen. Sein ganzer Körper zitterte. Verdammt, er wollte doch die Menschen beschützen und sie nicht in Gefahr bringen! Das bedeutete, dass die Dorfbewohner von Konoha all die Jahre über Recht gehabt hatten. Es war richtig von ihnen gewesen, ihn zu meiden, denn er war eine Gefahr und trug ein Ungeheuer in sich, das nur Hass und Vernichtung kannte.

 

Und er war schuld …

 

Er hatte versagt …

 

Versagt …

 

Zwischen all den fliehenden Menschen tauchten plötzlich Bewohner aus Konoha auf. Mit den Rücken zum Kyūbi sahen sie ihn mit wütenden Gesichtern an, deuteten anklagend mit den Fingern auf ihn, die Abscheu in ihren Augen schien grenzenlos …

 

„Du Monster!“

 

„Verschwinde!“

 

„Ungeheuer!“

 

Die längst vergessenen Gefühle der Ausgrenzung und Einsamkeit ergriffen ihn, erinnerten ihn an damals, an seine traurige Kindheit, in der er nicht verstanden hatte, weshalb ihn niemand leiden konnte und weshalb ihn alle mieden. Er war allein gewesen, solange er sich erinnern konnte, einsam und allein … Es hatte so weh getan … Sein Herz verkrampfte sich schmerzhaft, als die Gefühle ihn überwältigten.

 

Die Leute hassten und verabscheuten ihn und er konnte es ihnen nicht verdenken. Die drohende Gefahr in ihm war nun ausgebrochen und zerstörte alles, was sie mühevoll aufgebaut hatten. Vor kurzem erst hatten die beiden Dörfer ihre Feindschaft überwunden. Dabei war das Bündnis zwischen Konoha- und Iwagakure nur zweitrangig. Hier standen zahlreiche Menschenleben auf dem Spiel.

 

Naruto wollte Frieden und Gerechtigkeit bringen, stattdessen brachte er Tod und Zerstörung. Eine traurige Gewissheit machte sich in ihm breit. So jemand wie er konnte niemals Hokage werden …

 
 

* * *

 

„Naruto!“ Sakura griff ihren Freund an den Schultern und schüttelte ihn leicht, damit er wieder zur Besinnung kam. „Was hast du?

 

Sasuke aktivierte sein Sharingan. Seine schwarzen Augen leuchteten blutrot auf und er suchte die Straße ab, nach irgendeinem Hinweis, was Naruto in solchen Schrecken versetzte.

 

„Siehst du etwas?“, fragte Kakashi ihn, während Sakura weiterhin auf Naruto einredete.

 

Sasukes Augen bewegten sich schnell hin und her, doch schließlich verneinte er. Inzwischen wurden sie von einigen Imbissbudenbesitzern neugierig beobachtet.

 

Besorgt sah Sakura Naruto an. So wie er sich benahm wirkte es, als stünde er unter einem Genjutsu, schließlich sah er etwas, das außer ihm niemand sonst sehen konnte, deshalb aktivierte sie ihr Chakra in ihren Händen und ließ es in seinen Körper fließen, um seinen Chakrafluss zu unterbrechen, der einzigen Methode, um ein Genjutsu aufzulösen.

 

Aber es half nicht.

 

Allmählich ergriff sie ebenfalls Panik, da sie sich in dieser Situation völlig machtlos und ausgeliefert fühlte. Ihre Hände griffen nun nach seinem Gesicht und packten fest seine Wangen, während sie seinen Kopf nah zu sich herunter zog und ihn somit zwang ihr in die Augen zu sehen.

 

„Was siehst du?“, fragte Sakura eindringlich.

 

Endlich trafen sich ihre Blicke. „D-das Kyūbi.“

 

„Hier ist kein Kyūbi“, versicherte sie ihm. Er wollte wieder an ihr vorbeisehen, doch sie hielt sein Gesicht fest. Nun blieben die ersten Schaulustigen in ihrer Nähe stehen und betrachteten interessiert das Geschehen. „Egal was du siehst, es ist nicht real!“, versprach sie. „Wir können es nicht sehen, es ist nur in deinem Kopf!“ Naruto wirkte völlig verstört und schien mit sich zu hadern ihren Worten glauben zu wollen. Seine sonst so strahlenden himmelblauen Augen hatten ihren Glanz verloren. Entschlossen erwiderte sie seinen Blick. „Vertrau mir, Naruto.“

 

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr und als sie ihren Kopf leicht nach links drehte bemerkte sie, dass Sasuke nun neben ihnen stand. Seine roten Augen fixierten ihre Hände an seinen Wangen und sie sah, wie sein Blick sich verdunkelte.

 

„Da stimmt was nicht“, sagte er schließlich und trat noch näher heran. Sakura blieb wie erstarrt stehen, als sein Gesicht ihrem ganz nah kam, um Naruto genauer betrachten zu können. Seine Augen wanderten von dessen Kopf hinab über den Körper des Blonden. „In ihm ist etwas.“

 

Auf ihrer rechten Seite erschien nun auch Kakashis Gesicht. „Was?“

 

Sasuke kniff die Augen leicht zusammen. „Etwas bringt sein Chakra durcheinander. Es sieht … anders aus. Es verläuft anders als normal.“ Er wandte den Kopf zu Sakura. Sein Blick ging ihr unter die Haut. Einen Moment sahen seine blutroten Iriden sie direkt an, bis sie dann prüfend über ihren Körper wanderten. „Bei dir ist alles in Ordnung“, meinte er dann, woraufhin er seine Aufmerksamkeit Kakashi widmete und kurz darauf ergänzte: „Bei dir auch.“ Anschließend betrachtete er seinen eigenen Körper, um sich selbst zu kontrollieren, schien aber ebenfalls nicht das zu finden, was Naruto zu schaffen machte.

 

„Sakura“, riss Kakashi sie aus ihren Gedanken, da sie die ganze Zeit über Sasuke beobachtet hatte. „Schau dir Naruto mal genauer an.“

 

Naruto schien sich ein wenig beruhigt zu haben, aber er sagte immer noch kein Wort und atmete zittrig ein und aus. Sakura ließ sein Gesicht los und bewegte ihre Hände hinab zu seinem Brustkorb. Grünes Chakra leuchtete auf und sie begann seinen Körper zu untersuchen. Schnell wurde sie fündig. „Da ist etwas in seinem Blut.“ Sie bewegte ihre Hände und konzentrierte sich, formte eine Chakrakugel und während sie ihre Hand von seinem Oberkörper wegbewegte folgte die Kugel ihren Fingern. In ihr schwammen ein paar Tropfen einer dunklen Flüssigkeit. Sie hielt die schwebende Kugel vor sich in der Luft. „Was ist das?“

 

„Gift?“, fragte Sasuke.

 

„Was immer es auch ist, hol es raus“, entschied Kakashi sofort. „Analysieren können wir es später noch.“

 

Sakuras Hände wanderten wieder nach oben zu Narutos Gesicht. „Gleich geht es dir besser“, versprach sie sanft. Er schloss die Augen, während sie seinen Kopf untersuchte und tatsächlich – in seinem Gehirn fand sie ebenfalls diese seltsame Substanz und entfernte mithilfe ihres Chakras alles davon, was sie finden konnte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie alles aus seinem Körper beseitigt hatte. Nach der anstrengenden Prozedur und dem soeben Erlebtem sackte Naruto in sich zusammen und setzte sich erschöpft und schwer atmend auf den Boden. Kakashi tat es ihm gleich, hockte sich vor ihm hin und tätschelte ihm aufmunternd das Knie.

 

„Heftig“, keuchte Naruto. Langsam kehrte wieder Farbe in sein Gesicht.

 

„Geht’s wieder?“, fragte Kakashi mitfühlend, woraufhin Naruto knapp nickte. Seine Lippen waren fest aufeinander gepresst.

 

„Was zur Hölle ist das?“, fragte Sasuke, der wie Sakura auf die letzte Chakrakugel in ihrer Hand starrte. Sein Sharingan war mittlerweile deaktiviert.

 

„Das werden wir hoffentlich bald erfahren.“ Mit der freien Hand griff Sakura in eine ihrer Westentaschen und holte ein leeres, längliches Glasgefäß hervor, in das sie die Substanz vorsichtig gleiten ließ und es anschließend verkorkte. Mit zwei Fingern hielt sie die Probe vor sich. Hatte er recht? War das ein Gift, das Halluzinationen hervorrief? Was immer es auch war, sie musste es schnellstmöglich untersuchen.

 

Aber es blieb noch eine weitere Frage offen. „Wie ist es in sein Blut gelangt?“, sprach sie ihre Gedanken laut aus, während sie die Probe in ihrer Westentasche verstaute. Denn schließlich war es nur in seinem Körper gewesen. Sasuke hatte bei niemandem sonst den unregelmäßigen Chakrafluss erkannt. Ihre grünen Augen wanderten zu Naruto, der nun mit einem verlegenen Lächeln versuchte die unangenehme Situation zu überspielen. Mit seiner rechten Hand rieb er sich den Nacken.

 

„Die Mücke“, vermutete Kakashi, woraufhin Naruto verdutzt in seiner Bewegung innehielt. Offenbar hatte er den Stich ganz vergessen. „Du wurdest vorhin gestochen, richtig?“

 

„Ehm, ja, jetzt wo du’s sagst …“

 

Sakura eilte sofort auf Naruto zu und trat hinter ihn, während sie mit einer Hand seine blonden Haarsträhnen beiseiteschob und seinen Nacken inspizierte. „Ich kann nichts erkennen.“

 

Mittlerweile standen fast ein Dutzend Menschen um sie herum. „Verschwindet!“, rief Sasuke, dem allmählich der Geduldsfaden riss. „Hier gibt es nichts mehr zu sehen!“

 

Die Schaulustigen erschraken ob des kalten Tonfalls und nahmen schnell die Beine in die Hand. Kakashi sah seinen Schüler tadelnd an. „Sasuke!“ Sein Blick schien zu sagen: Sei gefälligst nicht so unhöflich!

 

Sakura musste schlucken. So aufgebracht erlebte man Sasuke selten, da er sich immer gut unter Kontrolle hatte. Einerseits konnte sie Kakashi verstehen, dass Sasuke sich zusammenreißen sollte, schließlich waren sie Gäste aus einem anderen Land, andererseits konnte sie auch Sasukes Anspannung nachvollziehen. Das Starren der Leute war alles andere als angenehm und dazu auch noch höhst respektlos Naruto gegenüber.

 

„Was?“ Sasuke schien sich von Kakashi nicht beeindruckt zu fühlen. „Ich hasse es, wenn die Leute gaffen.“ Er ging auf Naruto zu und hockte sich, so wie Kakashi, vor den Blonden, der den Blick des Schwarzhaarigen dankbar erwiderte. Und Sakura begriff, dass Sasuke es in erster Linie für seinen Teamkameraden getan hatte. Naruto war als Kind oft Mittelpunkt der negativen Aufmerksamkeit gewesen und hatte bestimmt keine schönen Erinnerungen daran. Sasuke ging es vermutlich ähnlich, wenn sie daran dachte, was ihm damals widerfahren war.

 

„Das ist mal wieder typisch für dich, Dobe“, meinte Sasuke, doch sein Ton war nicht anklagend, sondern eher aufmunternd. „Erst behinderst du uns und dann löst du ungewollt das Rätsel.“

 

„Irgendeiner muss es ja tun“, konterte Naruto mit einem schwachen Lächeln.

 

„Bleibt nur noch die Frage, was ihn gestochen hat“, sagte Kakashi mit einem Blick zu Sasuke. „Entweder war es ein Insekt oder eine Waffe. Ein Senbon wäre dazu vielleicht ebenfalls in der Lage.“
 

Sasuke verstand den stummen Auftrag sofort. Er erhob sich und aktivierte mit einem Blinzeln sein Kekkei Genkai. Erneut scannte er die Umgebung, diesmal aber wusste er, wonach er Ausschau halten musste. „Käfer“, sagte er schließlich. „Sie sind … überall in der Luft.“

 

Gerade als er zum Sprung ansetzen wollte hielt Sakura ihn auf. „Warte, nimm das!“ Aus ihrer Westentasche zog sie ein weiteres leeres Gläschen und reichte es ihm, damit er mit den Käfern nicht in Berührung kam. Man wusste ja nicht, wie schnell sie zubeißen oder -stechen konnten. Und alles was sie vermeiden wollten war ein weiterer Horrortrip. Er nickte ihr kurz zu, während er ihr das Gläschen abnahm, wobei sie spürte, wie sich ihre Finger kurz berührten, dann nahm er ein paar Schritte Anlauf und sprang einige Meter in die Luft, wobei er mit dem Gefäß mehrere Käfer blitzschnell einfing. Als seine Füße den Boden berührten verschloss er es mit dem Korken, damit sie nicht entwischen konnten. Augenblicklich versammelten sich die anderen drei um ihn herum und alle Augen starrten auf die Käfer, die Sasuke eingefangen hatte. Sie waren so klein, dass man sie mit dem bloßen Auge kaum erkennen konnte.

 

„Und ihr denkt tatsächlich, dass diese Dinge dafür verantwortlich sind?“, fragte Naruto misstrauisch, als würde er nicht glauben können, dass so etwas Kleines für ein so großes Chaos sorgen konnte.

 

„Wieso denn nicht?“, fragte Kakashi. „Vielleicht beißen oder stechen sie und verteilen dadurch ein Gift oder eine Substanz, die Angst freisetzt, sodass man Dinge sieht, die nicht wirklich da sind.“

 

„Halluzinationen“, stimmte Sakura zu.

 

„Das würde auch erklären, weshalb jeder etwas anderes gesehen hat“, schlussfolgerte Sasuke. „Weil jeder vor etwas anderem Angst hat.“

 

Naruto verzog leidend das Gesicht, bei dem Gedanken an das, was er gesehen hatte. Sakura sah ihn mitfühlend an und unterdrückte den Impuls ihn tröstend in den Arm zu nehmen. Dass das Fuchsungeheuer ihm solch eine Angst bereitete hatte sie gar nicht gewusst. Wahrscheinlich gab es viele Dinge, die sie nicht über ihn wusste, stellte sie betrübt fest.

 

„Vermutlich kommen daher auch die Alpträume“, überlegte Kakashi, der daraufhin von seinen Schülern verdutzte Blicke erntete. „Ihr hattet alle heute Nacht einen. Nicht wahr?“ Keiner antwortete darauf, aber ihre Gesichter sprachen Bände. Kakashi war wie immer ein guter Beobachter. „Wahrscheinlich stechen sie einen im Schlaf, wodurch man einen Alptraum erlebt und tagsüber, wenn man wach ist, bekommt man Halluzinationen. Man wird mit seiner eigenen Angst konfrontiert.“

 

„Kein Wunder, dass niemand sie entdeckt hat“, meinte Naruto mit einem ernsten Blick auf die winzigen Insekten. „Niemand würde einen Käfer verdächtigen.“

 

Sakura sah zu Sasuke und musterte seine schwarzen Augen. Womöglich hätten sie das ohne sein Sharingan nie herausgefunden. Er hatte nicht nur die Störung des Chakraflusses, sondern auch die Insekten in der Luft bemerkt. Die Ninja aus Iwagakure hatten sicher ihr Bestes gegeben, um dem Täter auf die Spur zu kommen, dabei war die Antwort die ganze Zeit über zum Greifen nah gewesen. Obwohl sie in ihren Ermittlungen einen großen Schritt weitergekommen waren gab es noch viele offene Fragen, die es zu klären galt. „Fragt sich nun, woher diese Käfer kommen und ob sie von jemandem gesteuert werden. Und wenn ja, von wem.“

 

Kakashi nickte. „Wir müssen sofort den Tsuchikage informieren.“

 

Wenig später befanden sie sich erneut im Kagepalast. Diesmal waren sie nicht im Konferenzzimmer, sondern im Büro des Tsuchikage, der sie nicht so schnell zurück erwartet hatte. Er stand vor seinem Schreibtisch und hielt das gläserne Gefäß mit den Käfern nah vor sein Gesicht, um sie schweigend zu betrachten. Neben ihm stand Toka, sein Berater. Kakashi hatte den beiden alles berichtet, was sich auf der Straße zugetragen hatte – abgesehen von dem, was Naruto gesehen hatte.

 

„Käfer?“, fragte Ryō, der seinen Blick immer noch auf die Insekten gerichtet hielt. Der Tsuchikage klang äußerst skeptisch.

 

Kakashi nickte. „Sie müssen natürlich erst noch untersucht werden, aber wir gehen davon aus, dass sie dafür verantwortlich sind.“

 

Ryōs schwarze Augen lösten sich von den Käfern. Wortlos reichte er sie seinem Berater, der das Gefäß behutsam an sich nahm und es daraufhin ebenfalls neugierig musterte. „Ihr wisst schon, wie das aussieht?“

 

Kakashi wirkte verunsichert. „Ich verstehe nicht …“

 

Ryō verschränkte die Arme vor der Brust und hob das Kinn, sodass er Kakashi nun von oben herab betrachtete. „Stammt nicht der Aburame-Clan aus eurem Dorf?“

 

Kakashis Auge verengte sich. „Was wollt Ihr damit andeuten?“

 

Sakura sah den Rothaarigen ungläubig an. Das konnte er doch nicht wirklich ernst meinen! Er vermutete tatsächlich Konoha hinter diesem Angriff? Beinahe hätte sie aufgelacht, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre. Die Atmosphäre im Raum spannte sich deutlich an.

 

Die beiden Kage lieferten sich ein Blickduell, das keiner verlieren wollte. Schließlich sagte Ryō: „Die Antwort liegt ja wohl auf der Hand.“

 

Naruto entfuhr ein Laut der Frustration. Anklagend deutete er auf den Tsuchikage. „Verstehe ich das gerade richtig? Wollt Ihr damit andeuten, dass wir–“

 

„Naruto!“, versuchte Kakashi den Blonden zu unterbrechen, bevor der vielleicht noch etwas Dummes tat. Bisher hatten seine Schüler sich zurückgehalten und das Reden stets ihrem Sensei überlassen, schließlich waren sie in erster Linie seine Begleiter.

 

Aber Naruto ließ sich nicht so einfach aufhalten. Sein wütender Blick richtete sich nun auf den Grauhaarigen. „Er glaubt, dass wir damit etwas zu tun haben! Verstehe ich doch richtig, oder etwa nicht?“ Der impulsive Chaosninja war vielleicht manchmal etwas schwer von Begriff, doch diesmal lag er goldrichtig.

 

„Was erlaubst du dir so mit einem Kage zu sprechen, du Bengel?“, wies Toka ihn zurecht. „Vergiss nicht, wer vor dir steht!“

 

„Das ist mir egal!“, konterte Naruto unerschrocken. Sakura betrachtete die Szene. Es war wie ein Unfall – man wollte nicht hinsehen, aber man konnte nicht anders. Ihr Verstand sagte ihr, sie sollte Naruto aufhalten, aber eine ungesunde Portion Neugier in ihr wollte einfach nur abwarten und sehen, was geschah. Naruto wandte sich wieder zum Dorfoberhaupt und sah ihn anklagend an. „Der tickt ja wohl nicht mehr ganz richtig! Wir sind extra hierhergekommen, um zu helfen, und finden tatsächlich heraus, was hier abgeht – wobei mich eins dieser Dinger selbst erwischt hat! – und ihm fällt nichts besseres ein, als uns zu verdächtigen? Ha!“ Wütend ballte er die Hand zur Faust und holte tief Luft für seinen nächsten verbalen Faustschlag. „Als wenn es nur in Konoha Käfer gibt! Das ist doch lächerlich! Wir haben nichts damit zu tun!“

 

Kakashi, Sakura und Sasuke sahen ihn gleichermaßen bestürzt und beeindruckt an. Er hatte ihnen allen aus der Seele gesprochen, wenn auch vielleicht ein wenig zu temperamentvoll. Dennoch hätte es keiner von ihnen gewagt so mit dem Dorfoberhaupt zu sprechen. Auch Ryōs Berater schien es die Sprache verschlagen zu haben. Mit offenem Mund starrte er Naruto mehr entsetzt als wütend an. Anscheinend wurde ihm oder dem Tsuchikage nicht oft Paroli geboten.

 

Ryō wirkte über den Gefühlsausbruch keineswegs aus dem Konzept gebracht. Er betrachtete Naruto genau, vielleicht nahm er ihn das erste Mal richtig bewusst wahr, denn vorher hatte er weder ihn noch Sakura kaum eines Blickes gewürdigt. Nur der Sharinganträger schien ihn ein wenig zu interessieren. Obwohl er ihm bereits vorgestellt worden war, fragte Ryō, mit ruhiger, aber ernster Stimme: „Wie heißt du?“ Anscheinend hatte er es vorher nicht für nötig gehalten sich die unbedeutenden Namen von Kakashis Begleitern zu merken.

 

Der Blonde straffte sich und antwortete stolz: „Naruto Uzumaki.“ Und Sakura fragte sich mal wieder, ob ihr Freund mehr Mut als Verstand besaß. Kakashi beobachtete die Szene weiterhin ganz genau, bereit, jederzeit zu intervenieren.

 

„Na dann hör mal gut zu, Na-ru-to“, zog er seinen Namen in die Länge. „In Konoha hält man wohl nicht viel von Respekt, was? Du bist ganz schön frech, Kleiner. Wärst du aus meinen Dorf hätte ich dir schon längst den Schädel zertrümmert.“ Zur Überraschung aller Anwesenden verzogen sich seine Mundwinkel zu einem leichten, sadistischen Grinsen. „Dein Temperament gefällt mir, deshalb gebe ich dir einen Rat: Du solltest vorsichtig sein. Deine Impulsivität wird dir irgendwann zum Verhängnis werden und dir in einem Kampf sicher den Kopf kosten.“ Sein Grinsen erstarb und seine dunklen Augen wanderten zu Kakashi. Sein Blick wirkte anklagend, als würde er den Lehrer für die schlechten Gepflogenheiten seines Schülers tadeln.

 

„Das reicht jetzt“, durchschnitt Kakashis kühle Stimme den Raum. Unschuldig hob Ryō beide Hände in die Luft, grinste dabei süffisant, als würde er Kakashis Drohung nicht ernst nehmen. „Mein Schüler mag ein Hitzkopf sein, aber ich teile seine Meinung. Weder der Aburame-Clan noch sonst irgendjemand aus Konoha ist für den Angriff auf Euer Dorf oder Euren Vorgänger verantwortlich.“

 

„Unschuldig bis zum Beweis der Schuld“, meinte Ryō mit guter Miene zum bösen Spiel, wofür er einen fassungslosen Blick von seinem Berater erhielt. Dieser schien sein Urteil bereits gefällt zu haben.

 

„Wie Ihr schon erwähnt habt“, fuhr Kakashi bemüht freundlich fort, „stammt der Aburame-Clan aus Konoha. Ich werde sofort nach ihnen schicken lassen, damit sie uns bei der Aufklärung des Falls helfen können. Vorausgesetzt, die Zusammenarbeit mit Konoha ist weiterhin erwünscht.“

 

Ryō legte den Kopf von einer Seite auf die andere, als würde er überlegen. „Natürlich“, sagte er mit einem Lächeln, das eher einschüchternd als freundlich wirkte. Seine dunklen Augen waren eisigkalt. „Aber nehmt es uns nicht übel, wenn wir euch ab jetzt etwas genauer im Auge behalten.“

 

Unter seiner Maske lächelte Kakashi gefährlich. „Meister Tsuchikage, nehmt es uns nicht übel, aber wir werden euch ebenfalls im Auge behalten. Immerhin habt ihr das größte Motiv bezüglich des Mordes an Ōnoki.“

 

Ryō schnaubte belustigt, dann gab er das Zeichen, dass sie entlassen waren.

 

Sakura war heilfroh, als sie sein Büro endlich wieder verließen. Diese Auseinandersetzung war mehr als unangenehm gewesen. Die Anspannung fiel langsam von ihr ab. Sie war hin- und hergerissen von dem, was Naruto gesagt hatte, denn dadurch hatte er das Misstrauen von Ryō Yagami nur noch verstärkt, aber andererseits hatte er sich die Anschuldigung auch nicht gefallen lassen, wofür sie ihn durchaus bewunderte.

 

„Wieso helfen wir diesem Mistkerl überhaupt noch?“, regte Naruto sich auf, als sie den Kagepalast verließen und die Straße erreichten.

 

Kakashi seufzte. „Weil Iwagakure nicht nur aus ihm besteht. Deshalb.“

 

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Sakura.

 

Einen Moment lang überlegte Kakashi. Schon fast gelangweilt, als wäre die Diskussion mit Ryō Yagami überhaupt nicht aus dem Ruder gelaufen, steckte er die Hände in die Hosentaschen. „Als Erstes sollten wir den Aburame-Clan informieren. Sie kennen sich am besten mit Käfern aus. Vielleicht erkennen sie die Art oder können helfen sie aufzuspüren und zu beseitigen. Zufällig ist das Team von Kurenai in Takigakure. Eigentlich hatte ich vor Shibi und Muta zu informieren, aber da Team 8 näher an Iwagakure dran ist, sparen wir Zeit, wenn Shino zu uns kommt. Ich werde sofort einen Ninken schicken. Er braucht einen halben Tag zu ihnen und für sie wäre es ebenfalls ein halber Tag, um zu uns zu stoßen, sodass sie bereits morgen Mittag hier sein sollten.“

 

„Ich wette, dass er dahintersteckt!“ Naruto war immer noch sauer. Er schien seinem Teamführer gar nicht richtig zuzuhören. Mit verschränkten Armen starrte er hinauf zum Kagepalast, wo sich das Büro des Tsuchikage befand.

 

„Wir haben keine Beweise“, entgegnete Kakashi. „Nur weil er ein arroganter Mistkerl ist heißt das nicht, dass er seine eigenen Landsmänner opfern würde.“

 

„Vielleicht sollten wir uns mal umhören, was die Dorfbewohner von ihrem neuen Oberhaupt halten“, meinte Sasuke. „Vielleicht haben sie etwas Interessantes zu erzählen, das nicht in Yamatos Akte steht.“

 

Kakashi nickte. „Gute Idee. Ich werde erst einmal Haru suchen. Vielleicht kann man mit ihm vernünftiger reden, als mit Yagami. Schließlich müssen die Käfer untersucht werden. Wir müssen außerdem die Shinobi informieren, damit sie etwas gegen sie unternehmen, sodass vorerst niemand mehr gestochen wird.“

 

„Ich würde gerne ins Krankenhaus gehen“, sagte Sakura, „und mit den Medic-Nins sprechen, damit sie die Patienten behandeln können. Sie müssen das Gift aus ihren Körpern herauskriegen, damit die Halluzinationen aufhören.“

 

„In Ordnung. Aber du solltest nicht alleine gehen“, entschied Kakashi. Sein Blick wanderte zu Naruto. „Du bleibst erst einmal bei mir, bis du dich wieder beruhigt hast.“ Naruto verzog das Gesicht und rollte mit den Augen, was Kakashi gekonnt ignorierte. Dann blickte er zu Sasuke und nickte ihm zu. Der erwiderte kommentarlos die Geste und sah wiederum zu Sakura.

 

„Na dann los“, meinte Sasuke tonlos.

 

Ehe Sakura begreifen konnte, was soeben entschieden worden war, marschierte Sasuke auch schon los. Als sie ihm folgen wollte stolperte sie unbeholfen über ihre eigenen Füße und schloss schnell zu ihm auf. Sie drehte sich noch einmal zu Naruto und Kakashi um, die ihr beide hinterher blickten. Dann sah sie, wie Kakashi Fingerzeichen formte und einen vertrauten Geist heraufbeschwor. Sie erkannte noch Pakkun, ehe sie sich wieder umdrehte und mit Sasuke gemeinsam die Straße in Richtung Krankenhaus entlangging.

 

Schweigend gingen sie nebeneinander her. Seine Sharingan behielten dabei die Umgebung im Auge, damit die Käfer ihnen nicht zu nahe kamen. Auch wenn er nur eine Armeslänge von ihr entfernt war kam es ihr so vor, als wären sie meilenweit voneinander entfernt. Sakura spürte, wie er sie auf Abstand hielt. Auch wenn er sich Kakashis Befehl sie zu begleiten nicht widersetzt hatte, konnte sie spüren, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn nicht er sondern Naruto sie begleitet hätte.

 

Betroffen starrte sie auf ihre Schuhspitzen. Anscheinend war er tatsächlich noch sauer auf sie, auch noch nach all der langen Zeit. Weshalb sonst sollte er sich ihr gegenüber so kalt verhalten? Aber wer konnte es ihm schon verübeln, schließlich hatte sie ihn damals nicht gerade nett behandelt. Sakura dachte nicht gerne an früher zurück, wünschte sich, das alles wäre nie passiert. Vielleicht war das jetzt der Moment, um mit ihm zu reden, um sich für alles zu entschuldigen und dieses Etwas, das zwischen ihnen stand, ein für alle mal aus der Welt zu schaffen. Ehe ihre Gedanken weiter abdriften konnten riss sie sich zusammen und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Was jetzt wichtig war, war den Patienten zu helfen. Ihr persönliches Gefühlschaos war nur zweitrangig.

 

Nach einer viertel Stunde erreichten sie das Krankenhaus. Gemeinsam schritten sie die lange, breite Treppe empor und traten durch das Eingangsportal. Im Wartebereich saßen einige Personen, die darauf warteten aufgenommen zu werden. Am Informationsschalter saß eine blonde Medic-Nin, die Sakura sofort wiedererkannte. Mit ihr hatten sie am Morgen noch über die Vorfälle gesprochen. Sie war diejenige, die von der bärengroßen Spinne erzählt hatte.

 

„Ah, da seid ihr ja wieder“, meinte die Medic-Nin verdutzt, als sie von ihren Unterlagen aufschaute. Gleich würden sie ihr erzählen, was sie in der Zwischenzeit alles in Erfahrung gebracht hatten. Dass sich die lauernde Gefahr in der Luft befand.

 

Sakura sah zu Sasuke. „Sind hier … auch welche?“, erkundigte sie sich vorsichtig nach den Käfern. Seine Sharingan, die sich vorher im Eingangsbereich umgesehen hatten, fanden nun den Weg zu ihr. Seine blutroten Augen sahen sie durchdringend an, machten es ihr schwer, sich von seinem Anblick zu lösen. Schon immer hatten diese Augen sie fasziniert. Seine normalen, onyxfarbenen Augen sorgten schon dafür, dass ihr Herz einige Takte höher schlug, doch wenn sie sich blutrot verfärbten war sein Blick einfach unwiderstehlich. Sie schmolz geradezu dahin. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Das Gefühl von damals, das sie immer in seiner Nähe empfunden hatte, das glückliche Gefühl des Verliebtseins erfüllte sie bis in jede Zelle ihres Körpers. Die altbekannten Schmetterlinge im Bauch, die längst vergessen hatten, wie es war zu fliegen, erhoben sich wieder in die Lüfte und zogen aufgeregte Kreise.

 

„Ja“, meinte er, ohne den Blick von ihr zu lösen. Seine Augen hielten sie immer noch gefangen. Seine Stimme war tief und ruhig. „Geh ruhig. Ich passe auf.“

 

Die Schmetterlinge verschwanden. Die letzten drei Worte sorgten dafür, dass sich ihre Welt kippte und sie das Gefühl hatte zu fallen. Während ihrer Ausbildung von Tsunade hatte sie gelernt, dass das ein sogenannter Trigger war. Sie fühlte sich nicht mehr wohl in ihrer Haut. Die Erinnerungen an jene Nacht stürzten wieder auf sie ein. Sie könnte Sasukes Anblick nicht länger ertragen und wandte sich von ihm ab, ging wie in Trance auf die Medic-Nin zu, um das zu erledigen, wofür sie hergekommen war. Ein Übelkeit erregendes Gefühl kroch ihre Speiseröhre empor und schnürte ihre Kehle zusammen. Auf einmal fiel es ihr schwer zu atmen.

 

Bittere Enttäuschung sowie tiefste Schuldgefühle übermannten sie. Grauenvolle Bilder jener Nacht festigten sich vor ihrem inneren Auge. Sie zwang sich zu einem Lächeln, um die Medic-Nin zu begrüßen, während sie versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Dabei spürte sie seinen Blick in ihrem Rücken.

 

Kakashi hatte gehofft, dass diese Mission ihr half, alte Wunden zu schließen, aber Sakura glaubte nicht, dass diese Wunden jemals heilen würden…

Unterstützung von Team 8

Frisch geduscht trat Sakura aus dem Badezimmer. Unter dem großen dunkelgrauen Badetuch trug sie lediglich ihre Unterwäsche. Ihr Haar war noch nicht ganz trocken. Als ihr Blick zu Narutos Bett glitt entdeckte sie das gleiche Bild, das sich ihr bereits geboten hatte, als sie vor einer halben Stunde aufgestanden war: Naruto lag bäuchlings auf seinem Bett, beide Arme ausgestreckt, sodass seine Hände weit über die Matratze hinaus reichten. Aus dem Wirrwarr an Kissen und Decke lugte nur blondes verstrubbeltes Haar hervor. Sakura schloss die Tür zu dem Badezimmer, in dem noch der Duft von Shampoo und Duschgel in der Luft hing, und ging zu ihrem bereits gemachten Bett, auf dem ihre Uniform ordentlich ausgebreitet für sie bereitlag.

 

„Du hast noch zehn Minuten“, mahnte sie ihren Kameraden, der einfach nicht aufstehen wollte. Daraufhin ertönte ein verschlafenes Brummen, das von den Daunen seines Kissens gedämpft wurde. Kopfschüttelnd schlüpfte sie erst in ihre Hose, anschließend in ihren Pullover und zum Schluss in die Sandalen. Naruto würde noch zu spät kommen. Manchmal verhielt er sich noch wie der zwölfjährige Chaot, an den sie sich gerne zurückerinnerte. Inzwischen war er zu einem ansehnlichen jungen Mann herangereift, der nicht nur extreme Willensstärke, sondern nach jahrelangem Training auch unbestreitbares Talent im Umgang mit Nin-Jutsu vorweisen konnte. Seine Schnelligkeit wurde nur von seinem Verhandlungsgeschick übertroffen. Dennoch würde er immer ein Morgenmuffel bleiben. Alte Gewohnheiten konnte man eben schlecht ablegen.

 

Sakura zog sich ihre Weste über und griff zuletzt nach ihrem Stirnband, das auf ihrem Nachtschrank lag. Während sie es sich um den Kopf band, ging sie zu Narutos Bett. Sein gleichmäßiges sanftes Atmen war trotz des Kissens zu hören. Er schlief tief und fest.

 

Den Abend zuvor waren sie erst spät ins Bett gekommen. Sakura hatte mehrere Stunden im Krankenhaus ausgeholfen. Gemeinsam mit den anderen Medic-Nins hatte sie die Patienten von dem Gift der Käfer befreit und den Bewohnern von Iwagakure berichtet, dass sich ihre dramatischen und angsteinflößenden Begegnungen nur in ihren Köpfen abspielten. Die meisten von ihnen waren mehr als skeptisch gewesen, schließlich hatten sie die Erlebnisse mit eigenen Augen gesehen. Angst war etwas Mächtiges. Wenn sie einen erst einmal erfasste ließ sie einen nicht mehr so schnell los. Durch sie hörte man auf logisch zu denken und mutierte zu einem von Instinkten gesteuerten Höhlenmenschen. Bei Angst gab es nur zwei Optionen: Angriff oder Flucht. Nur die wenigsten überwanden ihre Angst. Die Shinobi waren vielleicht diszipliniert genug, um gegen diese gewaltige Emotion anzukämpfen, die gewöhnlichen Bewohner des Dorfes, die über keinerlei Kampferfahrung verfügten, waren hilflos und auf sich allein gestellt.

 

Während sich Pakkun auf den Weg machte um Team 8 zu kontaktieren setzten sich Kakashi und Naruto mit einigen Chū-Nin und Jō-Nin zusammen. Die ersten Berichte aus dem Labor ergaben, dass das Gift tatsächlich von den Käfern stammte. Sakura wollte noch weitere Proben entnehmen, um sie mit nach Konoha zu nehmen, damit sie dort ebenfalls erforscht werden konnten. Wer wusste schon, ob es diese mysteriösen Käfer eines Tages schafften die Landesgrenzen zu überwinden und sich im Feuerreich auszubreiten? Nach stundenlangen Besprechungen, Ermittlungen und Vermutungen hatte der Tag sich schließlich dem Ende geneigt. Inzwischen waren sie der Sache auf die Spur gekommen, doch es gab immer noch eine wichtige offene Frage zu klären: Handelten die Käfer eigenwillig oder wurden sie von jemandem gesteuert? Denn eins stand fest: Die Halluzinationen konnten nicht für den Tod des Tsuchikage verantwortlich sein.

 

In wenigen Minuten würde sich Team 7 treffen und während Sakura bereits umgezogen war schlief der Blondschopf noch seelenruhig. „Naruto, steh auf!“ Mit dem Zeigefinger piekte sie gegen seinen Unterarm. Die gebräunte Haut hob sich von den weißen Laken deutlich ab. „Wach endlich auf, du Schlafmütze!“

 

Langsam hob er den Kopf und sah sie aus verschlafenen Augen an. „Bin ja schon wach. Schrei nicht so rum.“ Sein Kopf fiel wieder kraftlos auf das Kissen.

 

„Ich schreie nicht“, meinte Sakura in bemüht ruhiger Lautstärke. Am liebsten würde sie ihm einen Eimer voll eiskaltes Wasser über den Kopf schütten, damit er endlich aufstand, oder einen nassen Waschlappen ins Gesicht klatschen, so wie ihre Mutter es früher manchmal getan hatte, wenn Sakura zu Akademiezeiten einfach nicht aus dem Bett wollte.

 

Sie könnte ihn auch einfach weiterschlafen lassen. Er hätte selbst schuld, wenn er zu spät kam. Allerdings musste sie dann wieder auf ihn warten und ihr Zeitplan würde sich verzögern und das wollte sie wiederum auch nicht. Ohne groß weiter zu überlegen zog sie ihm einfach mit einem kräftigen Ruck die Bettdecke weg. Beruhigt stellte sie fest, dass Naruto kein Nacktschläfer war.

 

„Steh endlich auf!“

 

Ein frustriertes Seufzen erklang im Raum. „Man, Sakura, das war völlig unnötig! Echt jetzt!“ Eingeschnappt rappelte er sich unbeholfen im Bett auf und fixierte sie aus müden blauen Augen, die er mit seinem rechten Handballen rieb, um sich den Schlaf aus den Augen zu wischen. „Du könntest echt etwas feinfühliger sein. Deine späteren Kinder tun mir jetzt schon leid“, murmelte er.

 

Sakura schüttelte missbilligend den Kopf. „Halt die Klappe“, knurrte sie. „Und jetzt mach dich endlich fertig.“

 

Naruto stöhnte. „Is‘ ja gut.“ Langsam erhob er sich aus seinem Bett und kratzte sich gähnend den Rücken. Sie beobachtete, wie er ins Badezimmer schlürfte und Sakura fragte sich, wie es sich wohl morgens im Zimmer nebenan abspielte. Ob sich Sasuke und Kakashi auch gegenseitig auf die Nerven gingen? Oder ob sie bestens miteinander zurecht kamen? Vermutlich lag ihr Sensei nachts noch stundenlang im Bett und las in seinem Lieblingsroman, während Sasuke vor sich hin fluchte, dass er endlich das Licht löschen sollte, damit er schlafen konnte. Bei dem Gedanken musste sie leicht schmunzeln.

 

Sakura griff nach ihrer Waffentasche, die sie sich um ihren rechten Oberschenkel band, und warf noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. „Ich geh schon mal vor“, rief sie in Richtung Badezimmer, aus dem sie hören konnte, wie sich Naruto geräuschvoll die Zähne putzte. Ihr Magen knurrte bereits. Das Abendessen war nur dürftig ausgefallen und hastig zwischen den Besprechungen verspeist worden. Dieses Mal würden sie sich für ihr Frühstück Zeit nehmen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das Team von Kurenai in Iwagakure eintraf. Sakura war schon sehr gespannt darauf, ob Shino die Käfer kannte. Vielleicht hatte der schweigsame Jō-Nin etwas Interessantes zu erzählen.

 

Sakura verließ das Zimmer und schloss die Tür. Als sie sich umsah, bemerkte sie, dass sie nicht allein war. Jedoch war es niemand aus ihrem Team, den sie im Flur antraf. Die Tür zu dem Nebenzimmer, in dem Sasuke und Kakashi schliefen, stand offen. Sie erwartete, dass einer von ihnen beiden herauskam, doch stattdessen trat eine junge Frau in den Flur. Das erste, was Sakura erkannte, war das viel zu große, dunkelblaue Shirt, das sie trug. Zwischen den Schulterblättern hob sich der Fächer in Rot und Weiß deutlich vom dunklen Untergrund ab. Es reichte ihr bis knapp über den Po. Es schien das einzige Kleidungsstück zu sein, das sie trug. Ihre langen Beine waren nackt und die Füße glitten barfuß und geräuschlos über den Boden. Die Frau ging einige Schritte und schien dann Sakura zu bemerken. Sie drehte sich um und Sakura starrte in das Gesicht der Medic-Nin, mit der sie gestern noch im Krankenhaus gesprochen hatte. Ihr langes blondes Haar war zu einem unordentlichen Haarknoten zusammen gebunden, ihre Wangen waren leicht gerötet und auf der blassen Haut ihres Halses hob sich ein dunkelroter Fleck hervor. Verwundert sah sie Sakura an. Ihr Mund formte sich zu einem stummen „O“. Sakura war wie zur Salzsäule erstarrt. Ihr Verstand versuchte noch das Bild, das sich ihr bot, zu verarbeiten. Sie fühlte sich seltsam fremd in ihrem Körper, als betrachte sie die Szene aus weiter Ferne, unfähig zu reagieren.

 

„Willst du wirklich schon gehen?“

 

Die dunkle Stimme erkannte sie, noch ehe er aus dem Zimmer kam. Oberkörperfrei und ebenfalls barfuß trat er in den Flur, umfasste die Hüften der Medic-Nin und zog sie verrucht grinsend an sich. Es war offensichtlich, dass es sein Shirt war, das sie trug. Sie kicherte, als Sasuke sie widerstandslos in sein Zimmer zog und die Tür sich mit einem endgültigen Klicken hinter ihnen schloss. Sakuras Magen zog sich so schmerzhaft zusammen, sodass sie dachte, sich jeden Moment übergeben zu müssen. Plötzlich glaubte sie nicht mehr stehen zu können. Ihre Beine drohten nachzugeben. Sie stolperte zurück zu ihrem Zimmer, versuchte mit zittrigen Fingern die Tür zu öffnen. Ihre Atmung beschleunigte sich, während sich ihre Kiefer so fest aufeinander pressten, dass ihre Zähne knirschten. Schnell schlüpfte sie zurück ins Zimmer und schloss die Tür. Was hatte sie da gerade gesehen? Ihre Finger fuhren zittrig über ihr Gesicht und durch ihr Haar. Wie durch einem Tunnelblick schien sie nichts mehr wahrzunehmen, sah nur noch dieses Bild vor Augen. Ihre Gedanken waren wirr, unkonzentriert und unfokussiert. Sie lehnte sich gegen die Tür, spürte, wie ihr Herz kräftig in ihrer Brust schlug. Sie schnappte mehrmals nach Luft. Was sollte das? Was machte diese Frau in Sasukes Zimmer? Vor ihrem inneren Auge festigten sich Bilder, die sie nicht sehen wollte. Sakura schüttelte den Kopf, ballte die Hände zu Fäusten. Langsam sackte sie in sich zusammen, rutschte an der Tür herunter, bis sie auf dem Boden ankam. Ihre Beine hatten nun endgültig nachgegeben.

 

Ein Schluchzen entfuhr ihr. Hatten die beiden etwa …? Vehement schüttelte sie den Kopf. Nein! Auf keinen Fall! Sie konnte es nicht verhindern, sich vorzustellen, wie Sasuke eine andere küsste, wie er– Sakura unterdrückte ein Würgen, hielt sich beide Hände vor den Mund. Die Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie fühlte sich so erschöpft und im nächsten Moment so voller Energie, dass sie auf etwas einschlagen wollte. Eine Wut erfüllte sie, eine unglaubliche Macht, die sich entfalten wollte, die raus aus ihr wollte, gemeinsam mit all dem Schmerz den sie empfand. Sie schluchzte erneut. Sie zog die Knie an ihren Körper, umschlang sie mit beiden Armen und lehnte ihre Stirn gegen ihre Beine.

 

Sie konnte nicht wieder raus gehen! Davor hatte sie viel zu viel Angst. Was, wenn sie die beiden noch einmal sehen würde? Sie schluchzte lauter, bitterer. Wie konnte er ihr das nur antun? Nie wieder würde sie ihm in die Augen schauen können. Der Gedanke, er könnte eine andere lieben, war nicht länger zu ertragen. Der Schmerz in ihrer Brust war kaum auszuhalten.

 

Sakura schluchzte so laut, dass sie Naruto erst bemerkte, als er sie an den Schultern griff und kräftig rüttelte. Langsam hob sie ihren Kopf, sah durch die vielen Tränen verschwommen sein besorgtes Gesicht.

 

„Was ist passiert?“, wollte er mit einen Anflug an Panik in der Stimme wissen. Ihre Augen wanderten über sein Gesicht, über die Streifen auf seinen Wangen und den Zahnpastaresten an seinen Mundwinkeln. Gequält wandte sie den Blick ab. Sie konnte es ihm nicht sagen, sie wollte nicht aussprechen, was sie gerade gesehen hatte. Allein der Gedanke bescherte ihr unaussprechliche, seelische Schmerzen.

 

Naruto schob sie beiseite, um die Tür öffnen zu können, und lief auf den Flur. Sakura hörte das Geräusch seiner nackten Füße auf dem Steinboden. Gleich würde er sie sehen. Oder vielleicht sogar hören. Sakura würgte erneut. Schnell legte sie ihre Hände über den Mund und versuchte die Übelkeit zu unterdrücken, während ihr Magen heftig rumorte.

 

Plötzlich war Naruto wieder bei ihr. Mit sanfter Gewalt nahm er ihre Hände, zog sie von ihrem Gesicht runter und sah sie eindringlich an. Dabei hielt er ihren Kopf mit beiden Händen fest, damit sie ihn ansehen musste. Heiße Tränen rannen ihr immer noch über die Wangen und seine Finger. Ihre Nase war inzwischen so dicht, dass sie durch den Mund atmen musste und heftig ein- und ausatmete, wobei sie sich verschluckte und husten musste.

 

„War etwas auf dem Flur?“, fragte er ernst.

 

Gequält verzog sie das Gesicht und nickte heftig, schluchzte dabei erneut. Wie gern würde sie es ihm beschreiben können, ihm sagen, wie Sasuke ihr das Herz gebrochen hatte, aber sie brachte immer noch kein Wort hervor.

 

Narutos Blick war besorgt, aber entschlossen. „Auf dem Flur ist niemand. Meinst du … Sakura, vielleicht war da gar nichts. Womöglich hast du nur halluziniert.“

 

Energisch schüttelte sie den Kopf. Das was sie gesehen hatte war echt gewesen. Sie hatte es mit eigenen Augen gesehen und das, was sie gespürt hatte, war ebenso echt gewesen. Sie kam sich so dämlich vor. Und so verraten. Er hätte wenigstens etwas diskreter sein können. Selbst wenn er ihr gegenüber zu nichts verpflichtet war, so wusste er doch, dass sie … dass damals …

 

„Soll ich Kakashi und Sasuke holen?“, fragte Naruto. Im gleichen Moment wollte er schon aufstehen, doch Sakura packte ihn am Arm und hielt ihn mit eisernem Griff fest.

 

„Nein!“, schrie sie schon fast. Sasuke war der letzte, den sie jetzt sehen wollte.

 

Naruto schien mit sich zu hadern. Unschlüssig sah er sie an. Hin- und hergerissen. Er wollte seiner Freundin helfen, wusste aber nicht wie. Letztendlich schien er aber eine Entscheidung zu fällen. Seine Hände packten ihre Schultern. „Sakura!“ Seine Stimme klang so bedrohlich, dass sie zusammenzuckte. „Schau nach, ob du das Gift in dir hast. Sofort!“

 

Das Widersprechen fiel ihr schwer, da ihre Unterlippe so sehr zitterte. „Aber–“

 

„Kein Aber!“, fuhr er dazwischen. Seine blauen Augen starrten sie so eindringlich an, dass es ihr beinahe die Sprache verschlug. So ernst sah man Naruto selten. „Sieh nach. Bitte!“

 

Einige Sekunden lang starrten sie einander an. Sein Blick war so bestimmend, dass sie schließlich kapitulierte. Langsam nickte sie. Zittrig atmete sie mehrmals ein und aus und schloss die Augen, um sich zu beruhigen. In ihren Händen leuchtete grünes Chakra auf. Sie legte ihre Finger mit gekreuzten Armen auf ihren Brustkorb und versuchte sich zu konzentrieren. Das war leichter gesagt als getan. Es dauerte einen Moment, bis sie ihre Gedanken dazu bringen konnte, sich auf ihr Chakra zu konzentrieren und in ihren Körper hineinzuschauen. Was für ein erbärmliches Bild sie gerade abgeben musste. Aber Naruto war ihr bester Freund. Wenn sie sich vor jemanden gehen lassen konnte, dann vor ihm. Er kannte ihre Gefühle für Sasuke. Er würde es verstehen, wenn sie ihm sagen würde, was sie gesehen hatte.

 

Mehrere Momente vergingen, in denen sie sich auf ihre Atmung und ihren Herzschlag konzentrierte. Dabei wurde sie immer ruhiger. Die vielen Tränen hatten schwere Augenlider und eine nasse, klebrige Spur auf ihren Wangen hinterlassen. Sie fühlte sich so erschöpft, als hätte sie einen schweren Kampf hinter sich. Dabei spürte sie die ganze Zeit über Narutos warmen, festen Griff auf den Schultern. Dieser Körperkontakt war wie eine stützende Geste, ein kleines bisschen Trost.

 

Als sie das Gift in ihrem Körper fand, kam sie sich vor, wie die größte Närrin aller Zeiten. Mithilfe ihres Chakras lokalisierte sie es, konzentrierte es und schloss es ein. Mit einer präzisen Bewegung entfernten ihre Finger die fremde Substanz aus ihrem Körper. Langsam öffnete sie die Augen und blickte schuldbewusst auf die in der Chakrakugel schwebende Flüssigkeit. Erleichtert atmete Naruto aus.

 

„Siehst du“, meinte er zaghaft lächelnd. Seine Finger drückten noch einmal aufmunternd zu, ehe er sie losließ. „Es war nicht real“, erklärte er leise.

 

Ihre grünen Augen fanden seine blauen, die sie verstehend ansahen. Naruto hatte bereits die gleiche Erfahrung gemacht wie sie und wusste, was sie durchlebt hatte. Die Angst und Verzweiflung sowie die grenzenlose Hilflosigkeit. Sakura kam sich dumm vor. Wieso war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass es nur eine Halluzination sein könnte? Vermutlich hatte sie sich bereits so sicher gefühlt, dass ihr nichts passieren konnte. Immerhin hatte Sasuke am Abend zuvor noch beide Zimmer kontrolliert und alle Käfer beseitigt. Sie bezweifelte, dass ihm einer entgangen war, weshalb es einer irgendwie in der Nacht unbemerkt geschafft haben musste in ihr Zimmer zu gelangen.

 

Naruto stand auf und hastete in das Badezimmer. Aus dem Raum ertönte ein lautes Klappern. Anschließend kam er, nach wie vor nur in Shirt und Boxershorts gekleidet, zurückgelaufen, hockte sich vor ihr hin und hielt ihr einen leeren Zahnputzbecher entgegen. „Hier.“

 

Sakura ließ die Flüssigkeit in den Becher gleiten und begann weiter die fremde Substanz aus ihrem Körper zu entfernen. Umso mehr Gift sie mit ihrem Chakra herausholte, desto mehr schwand ihre Angst. Als sie die letzte Chakrakugel aus ihrem Kopf zog, fühlte sie sich schon besser. Der Gedanke, dass Sasuke sich mit einer anderen Frau einließ, hatte sie derart traumatisiert, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Dabei hätte sie gleich darauf kommen können, dass das, was sie gesehen hatte, nicht real war. Sasuke Uchiha würde vermutlich deutlich diskreter mit weiblichem Besuch umgehen, vor allem, wenn er sich mit Kakashi ein Zimmer teilte. Und ein Teil in ihr hoffte, dass er, sollte er wirklich eines Tages eine Romanze mit einer anderen Kunoichi eingehen, zumindest den Anstand hätte ihr gegenüber Rücksicht zu nehmen.

 

Jemand klopfte von außen gegen ihre Tür. „Naruto? Sakura? Seid ihr da drin?“ Kakashi stand vor ihrem Zimmer. Sakura und Naruto warfen sich einen Blick zu. Bei all dem Aufruhr hatten sie glatt vergessen, dass sie verabredet waren.

 

„Ehm, ja!“, rief Naruto hastig in Richtung Tür, ohne Sakura dabei aus den Augen zu lassen. „Einen Moment noch.“

 

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Kakashi, dem in Narutos Stimme etwas aufgefallen sein musste, das ihn beunruhigte.

 

Sakura warf ihm einen flehenden Blick zu. Dieser Vorfall musste unter ihnen bleiben. Sie wollte nicht, dass einer von den beiden erfuhr, was für ein kümmerliches Häufchen Elend sie noch vor einem Moment gewesen war. Vor allem Sasuke sollte nichts davon erfahren.

 

„Klar!“, rief Naruto. „Hab verschlafen! Bin gleich soweit! Sorry!“

 

Man konnte Kakashi hinter der Tür resigniert seufzen hören. „Na dann beeil dich mal lieber.“

 

Naruto beugte sich zu Sakura und flüsterte: „Geht’s wieder?“ Sie nickte, wollte ihm zuversichtlich zulächeln, doch es gelang ihr nicht. Sein mitfühlender Blick bereitete ihr jedoch ein angenehmes Gefühl. Wäre er nicht dagewesen hätte sie vielleicht den Verstand verloren.

 

„Danke“, flüsterte sie. Kurz darauf fand sie sich in seiner Umarmung wieder. Seine starken Arme schlangen sich schützend um sie und für einen Moment genoss sie den Halt ihres besten Freundes.

 

Naruto ließ sie los, musterte sie noch einmal prüfend. Diesmal schaffte sie es, ihn anzulächeln. Er nickte zufrieden, stand auf und ging mit schnellen Schritten ins Bad, um sich fertig zu machen. Sakura atmete noch einmal tief durch und stand dann ebenfalls auf. Nach wenigen Schritten stand sie vor dem runden Spiegel, der sie in ihr eigenes gerötetes und verheultes Antlitz blicken ließ. Automatisch verzog sie das Gesicht. Dabei hatte sie nicht gedacht, dass sie so etwas dermaßen aus der Fassung bringen konnte. Schon oft hatte sie sich gefragt, was geschehen sollte, wenn Sasuke eines Tages eine Freundin hätte. Eine Zeit lang hatte es in Konoha tatsächlich mal Gerüchte diesbezüglich gegeben, die sich jedoch – glücklicherweise – schnell als falsch bewahrheitet hatten. Natürlich hatte sie damit gerechnet, dass es schmerzhaft werden würde, doch dass es sie so sehr umhauen würde, hätte sie nicht erwartet.

 

Sakura blickte in ihre eigenen traurigen, grünen Augen. Ihre größte Angst war Sasuke. Damit war zu rechnen gewesen, doch es hatte sie dennoch wie eine Lawine überrannt und umgerissen. Ihre Gefühle für ihn hatte sie immer noch nicht im Griff. Aber sie würde nicht zulassen, dass so etwas noch einmal geschah. Irgendwann würde dieses Bild Realität werden und dann würde sie auch irgendwie damit klar kommen müssen. Denn ein gemeinsames Wir würde es für sie beide nicht mehr geben.

 

Ihr erster Schritt wäre sich zusammenzureißen und das Gesicht zu waschen, um sich ihm entgegenstellen zu können. Er sollte nicht wissen, dass sie schwach gewesen war und dass er solch eine Macht über sie besaß. Sie war nach wie vor eine Kunoichi und würde sich auch diesem Feind stellen.

 

Kurz darauf kam Naruto aus dem Bad und während er sich seine Jō-Nin-Uniform überzog nutzte sie die Gelegenheit, um sich im Bad am Waschbecken noch etwas kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Das würde vielleicht gegen die geröteten Augen und Wangen helfen. Einige Minuten später verließen sie gemeinsam das Zimmer, wobei sie Naruto den Vortritt ließ.

 

„Sorry“, meinte Naruto mit einem entschuldigenden Lächeln. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Kakashi hielt das Icha-Icha-Buch in der einen Hand, während die andere in seiner Hosentasche steckte. Sein Auge huschte von dem Buch zu Naruto. Sasuke stand mit verschränkten Armen gegen die Wand gelehnt und warf beiden einen missbilligenden Blick zu, weil sie zu spät kamen. Sakura konnte ihm nicht lange in die Augen sehen. Sie fühlte sich immer noch von ihm verraten, obwohl er in Wirklichkeit nichts Verwerfliches getan hatte.

 

An dieser seltsamen Situation änderte sich auch nichts, als sie wenig später in einem Restaurant saßen. Im Gegensatz zum Vortag entschieden sie sich in einem Lokal zu gastieren, da sie dort anders als in einem Yatai mehr Privatsphäre besaßen. Zu viert saßen sie an einem Tisch in einem rustikalen Restaurant, das mit seiner Außenreklame für ein fabelhaftes Frühstück warb. Die Tische standen so weit auseinander, dass man sich in Ruhe unterhalten konnte, ohne von anderen Gästen belauscht zu werden. Die Hälfte der Tische war zu dieser frühen Stunde noch unbesetzt. Ihr Tisch wurde üppig mit allerhand Speisen gedeckt, doch Sakura hatte einfach keinen Appetit, weshalb sie nur an ihrem grünen Tee nippte. In ihrem Magen herrschten immer noch Chaos und leichte Übelkeit.

 

Ihr gegenüber saß Kakashi. Jedesmal, wenn sie den Blick hob, traf sie seinen observierenden Blick. Glücklicherweise war er so taktvoll keine Fragen zu stellen und es gelang ihr ihn ebenso zu ignorieren, wie ihren schwarzhaarigen Teamkameraden, der neben ihrem Sensei saß. Die ganze Zeit über starrte sie nur in ihre Teetasse oder stocherte mit den Essstäbchen lustlos in ihrem Essen herum. Dem Gespräch folgte sie nur mit einem halben Ohr. Es bestand hauptsächlich aus einer Zusammenfassung der gestrigen Ereignisse, sowie dem anstehenden Aufeinandertreffen mit Team 8. Ihre Gedanken drifteten weiter ab, zu dem Bild der blonden Medic-Nin, die Sasukes T-Shirt trug. Auch wenn sie jetzt wusste, dass es sich dabei bloß um ein Trugbild handelte, machte es sie traurig. Es zeigte ihr das, was sie haben wollte, aber nicht haben konnte.

 

Nach dem Frühstück machten sie sich auf den Weg zum Palast des Tsuchikages. Zuerst ging Sakura auf einer Höhe mit Kakashi, doch nachdem sie mehrmals einigen entgegenkommenden Personen auf der Straße ausweichen musste, geriet sie einige Schritte hinter ihn. Während sie auf das rote Wirbelzeichen auf seinem Rücken starrte folgte sie ihm, immer noch tief in Gedanken versunken. Das anstehende Treffen mit Ryō Yagami spannte sie merklich an. Sie befürchtete, dass Naruto wieder aus der Haut fahren könnte. Es brachte sie nicht weiter, wenn sie miteinander stritten, statt zusammenzuarbeiten. Ein weiterer Gedanke beunruhigte sie. Hoffentlich würde man sie nicht noch einmal ins Krankenhaus schicken. Die blonde Medic-Nin war die letzte Person, die Sakura im Moment sehen wollte. Lächerlich, wenn man bedachte, dass sie gar nichts getan hatte.

 

Hinter sich konnte sie Sasuke und Naruto miteinander reden hören, jedoch so leise, dass sie nichts von ihren Worten verstand. Sie schien ihre Augen in ihrem Rücken zu spüren. Verdammt, wie gerne würde sie ebenfalls über das Sharingan verfügen? Sasuke schien stets so unerreichbar mit seinem legendären Dōjutsu. Sie hingegen war lediglich eine Medic-Nin, nicht unbedingt talentiert in Nin- oder Tai-Jutsu, geschweige denn Gen-Jutsu. Allein ihre Stärke verschaffte ihr in einem Kampf einen Vorteil. Tsunade hatte ihr damals beigebracht, dass eine Medic-Nin sich auch verteidigen können musste. Sasuke hingegen wirkte unbesiegbar. Seine Augen waren seine Stärke. Sie sahen jeden Angriff voraus, konnten die Jutsu der Gegner kopieren und in die Köpfe der Feinde eindringen, Gedanken lesen und manipulieren. Manchmal musste er nicht einmal einen Finger rühren, um einen Kampf zu gewinnen. Sakura kannte nur den Bruchteil seiner Fähigkeiten, doch manchmal fragte sie sich, wie es wäre, wenn er sie mit einem Genjutsu vergessen lassen könnte. Er würde damit einen Teil ihres Schmerzes nehmen. Es wäre nur fair, immerhin war er für diesen Schmerz verantwortlich.

 

„Was ist los?“

 

Die dunkle Stimme riss sie aus ihren Überlegungen. Sakuras Kopf ruckte zur Seite und sie starrte in die Augen, die sie in ihren Gedanken beschäftigten. Dass Sasuke plötzlich neben ihr ging hatte sie gar nicht bemerkt. Sein Kopf war leicht zu ihr geneigt und seine Hände steckten in seinen Hosentaschen, wodurch sein linker Ellenbogen sie kaum merklich am Oberarm berührte.

 

Seine plötzliche Nähe war in diesem Moment alles andere als angenehm. Unweigerlich manifestierte sich das Bild von ihm und der anderen Frau vor ihrem inneren Auge. „Nichts, was dich etwas anginge“, entgegnete sie schnippischer, als sie eigentlich wollte. Für einen Moment trat ein gekränkter Ausdruck auf sein Gesicht, aber er war so schnell wieder verschwunden, dass sie glaubte, es sich bloß eingebildet zu haben. Dennoch überkam sie ein schlechtes Gewissen und sie wandte den Blick reuevoll von ihm ab.

 

„Was auch immer es ist“, meinte er gepresst, „reiß dich gefälligst zusammen. Mit deiner schlechten Laune ziehst du das ganze Team runter.“ Nach diesen Worten beschleunigte er seinen Schritt und schloss zu Kakashi auf. Sakura ging einige Schritte hinter den beiden her. In ihr tobten die unterschiedlichsten Emotionen. Zuerst war da Wut, weil er so unhöflich mit ihr sprach, auch wenn es nur eine Reaktion auf ihre Abweisung gewesen war. Außerdem war es einfacher auf ihn sauer zu sein, als auf sich selbst. Denn unweigerlich kam das schlechte Gewissen, da sie immerhin zuerst schnippisch gewesen war und ihn grundlos vor den Kopf gestoßen hatte. Am mächtigsten war allerdings die Trauer. Es schien, als würde die Kluft zwischen ihnen immer größer werden. Verzweifelt wünschte sie sich, dass alles wieder so normal wäre, wie früher, dass sie wieder zwölf Jahre alt wäre, verliebt und glücklich.

 

Naruto erschien plötzlich neben ihr. „Das war nicht nett von dir“, meinte er monoton, als würde er lediglich eine Tatsache feststellen. Schuldbewusst starrte sie auf ihre Schuhspitzen, während ihre Füße weiterhin einen Schritt vor den anderen setzten. „Sakura, denk dran, das was du gesehen hast war nicht die Realität.“

 

Sie sah ihn an, doch er wich ihrem Blick aus, indem er sein Gesicht geradeaus gerichtet hielt. Sie betrachtete ihn und versuchte zu erkennen, wie viel er wusste. Sakura hatte ihm nicht erzählt, was sie während der Halluzination gesehen hatte. Aber Naruto war nicht dumm und konnte anscheinend eins und eins zusammenzählen. Jetzt wurde ihr schlechtes Gewissen nur noch größer. Beschämt verzog sie den Mund, wie ein kleines Kind, dass von seinen Eltern bestraft wurde, weil es etwas Dummes angestellt hatte. Wenn sie genauer darüber nachdachte war es sogar nett von Sasuke gewesen, sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen. Eine sehr seltene Geste von dem Uchiha. Vielleicht machte er sich tatsächlich Sorgen um sie. Und sie? Ihr fiel nichts Besseres ein, als ihn anzuschnauzen. In ihr keimte der Wunsch sich entschuldigen zu wollen.

 

„Hör mal, Sakura“, begann Naruto langsam. Kurz zögerte er, bevor er weitersprach. „Das was damals–“

 

Im nächsten Moment trat er einen großen Schritt zur Seite und ein riesiger Hund stürmte ungebremst zwischen ihnen beiden hindurch. Er lief einige Schritte, stoppte abrupt und drehte dann um, wobei er etwas Staub von der Straße aufwirbelte. Akamaru hechelte aufgeregt. Auf seinem Rücken saß Kiba mit einem breiten Grinsen, das seine spitzen Zähne entblößte. Ein ein-Zentimeter-breiter Bartstreifen umrahmte seinen markanten Kiefer. Sein dunkelbraunes Haar stand ähnlich wie das von Naruto in alle Himmelsrichtungen von seinem Kopf ab. Über seiner Chū-Nin-Weste trug er eine hellgraue Jacke mit einem dunklen, buschigen Fellkragen. Akamaru lief auf Naruto zu, der wiederum versuchte mit einigen Schritten rückwärts auszuweichen. Ohne Erfolg. Im nächsten Moment schleckte Akamaru ihm auch schon mit seiner riesigen Zunge übers Gesicht.

 

„Akamaru mag deinen Geruch“, erklärte Kiba, der belustigt zusah, wie Naruto der Liebkosung des Hundes auszuweichen versuchte, indem er sein Gesicht hektisch von der einen zur anderen Seite drehte.

 

„Hä? Wie rieche ich denn?“ Hilfesuchend hielt Naruto die Hände in die Luft und versuchte mit den Handflächen den riesigen Hundekopf wegzudrängen. Pikiert verzog er das Gesicht. „Aus, Akamaru! Böser Hund!“

 

„Da seid ihr ja“, begrüßte Kakashi seine langjährige Freundin. Beide streckten die Hände aus, doch statt sie zu schütteln griffen sie nach dem Unterarm des jeweils anderen.

 

Kurenai – inzwischen Sarutobi – war immer noch so schön, wie Sakura sie in Erinnerung hatte. Mittlerweile übte die Jō-Nin nicht mehr viele Missionen aus. Inzwischen war sie mehr Mutter als Kunoichi. Vor einigen Jahren hatten sie und Asuma sich das Ja-Wort gegeben und kurz darauf eine kleine Familie gegründet. Die beiden waren das beste Beispiel dafür, dass auch Ninja ein normales Leben jenseits der Shinobiwelt führen konnten. Hin und wieder rief die Pflicht und während Asuma auf ihre Tochter Mirai aufpasste erfüllte Kurenai mit ihrem alten Team gemeinsame Aufträge des Hokage. Neben ihr standen Hinata und Shino. Sakura schloss zu Sasuke und Kakashi auf, um die Mitglieder von Team 8 zu begrüßen, während Naruto weiterhin von Akamaru abgeschleckt wurde.

 

„Wir haben uns beeilt, nachdem wir Pakkuns Nachricht erhalten haben“, erwiderte die Schwarzhaarige. Sie reichte Kakashi eine Schriftrolle, die er in der Gürteltasche an seiner Hüfte verschwinden ließ. „Die Mission in Takigakure war bereits erfüllt und wir wollten uns gerade auf den Rückweg nach Konoha machen.“

 

Kakashi kniff sein eines Auge zusammen. „Nun ja, tut mir leid, dass ihr noch nicht nach Hause könnt. Asuma wird noch etwas länger ohne dich auskommen müssen. Aber wir brauchen jemanden aus dem Aburame-Clan und dass ihr in der Nähe wart, war nun einmal glücklicher Zufall.

 

„Befehl ist Befehl, Hokage“, meinte Kurenai. Ihre roten Augen, die so sehr an das Sharingan erinnerten, glitten zu Shino. Durch den hohen Kragen und die Kapuze seiner beigen Jacke, die er über seiner Weste trug, sowie der schwarzen Sonnenbrille konnte man von seinem Gesicht kaum etwas erkennen und es war schwer zu sagen, ob er jemanden ansah oder an einem vorbei blickte. Jederlei Mimik blieb verborgen. Hinata, die ihr dunkelblaues Haar inzwischen wieder etwas kürzer trug, ging währenddessen zu Akamaru und versuchte ihn dazu zu bringen von Naruto abzulassen. Sanft tätschelte sie den Kopf des Ninken und zog ihn von Naruto weg. Hinata war nach wie vor schüchtern und nicht gerade gesprächig, wobei ihr Shino und Kurenai in nichts nachstanden, doch sie hatte es geschafft ein wenig aufzutauen. Vor allem Naruto gegenüber.

 

„Danke, Hinata“, sagte Naruto atemlos, während er sich den Speichel des Hundes mit dem Ärmel seines Pullovers aus dem Gesicht wischte. Hinatas Wangen färbten sich augenblicklich rosa, aber sie lächelte leicht. Kiba sprang indes von dem Rücken seines Hundes hinunter und schloss nun ebenfalls zu den beiden Teams auf. Akamaru bellte einmal laut und folgte dann seinem Herrchen, nicht ohne Naruto noch einmal mit der Schnauze gegen den Hintern zu stupsen. Naruto grummelte leise und Hinata kicherte vergnügt.

 

„Ihr kommt genau richtig“, meinte Kakashi. „Wir waren gerade auf dem Weg zum Tsuchikage.“

 

„Mit der Auflösung des Mordes am ehemaligen Tsuchikage beauftragt zu sein, klingt nach einem hohen Maß an Verantwortung“, meinte Shino. „Ich hoffe, ich werde Eure Erwartungen erfüllen können, Meister Hokage.“

 

„Ja, ehm, wir werden sehen.“ Kakashi hob den Arm, als würde er Shino auf die Schulter klopfen wollen, überlegte es sich aber auf halbem Wege anders und kratzte sich stattdessen am Hinterkopf.

 

„Die Anwesenheit der Käfer konnte ich bereits als wir das Dorf passierten spüren.“ Sein Kopf hob sich leicht und er schien in den Himmel zu blicken. Die Käfer waren so klein, dass sie mit dem bloßen Auge kaum sichtbar waren, aber Shino mochte sie vielleicht dennoch sehen. „Die Frage, die ich mir stelle, ist, weshalb sie Unruhe stiften. Im Allgemeinen sind Käfer sehr friedliebende Insekten.“

 

Kakashi sah zu Sakura. „Hast du ihn dabei?“

 

Sie nickte und griff in ihre Westentasche, aus der sie ein verkorktes Reagenzglas hervorholte. Sie reichte es Shino und kam ihm dabei so nahe, dass sie einen dunklen Käfer auf seiner Stirn herumkrabbeln sehen konnte. Schnell trat sie wieder einige Schritte zurück. Shino hielt das Gefäß hoch, in dem sich der Käfer befand, den Sasuke am Tag zuvor eingefangen hatte, und entkorkte es mit dem Daumen. Aus seinem Ärmel krabbelten drei Käfer, die den Weg über seine Hand ins Gefäß fanden. Die Mitglieder aus Team 7 und Team 8 sahen dabei zu, wie kurz darauf die Käfer erst aus dem Glas und dann in Shinos Richtung flogen, wo sie schließlich unter seiner weiten Kapuze verschwanden. Mit dem Daumen verschloss er die Probe und reichte sie wortlos Sakura, die sie wieder in ihrer Westentasche verstaute. Ihr Blick lag angeekelt und fasziniert zugleich auf Shino, der anscheinend gerade wortlos mit seinen Insekten kommunizierte.

 

„Und?“, fragte Kurenai, während die Anspannung unter ihnen deutlich wuchs. Alle acht Augenpaare beobachteten nun den Aburame.

 

Shino schwieg noch einen Moment, ehe er ernst sagte: „Das ist durchaus ungewöhnlich.“

 
 

* * *

 

„Welch ein Anblick“, raunte Ryō, während die Ninja aus Konoha am runden Tisch im Besprechungszimmer ihre Plätze einnahmen. Drei weitere Stühle waren seit dem letzten Besuch von Team 7 dazugestellt worden. Die Frau des Kages war diesmal nicht anwesend, lediglich seine drei Berater. Akamaru lag zusammengerollt in einer Ecke des Zimmers und schien vor sich hin zu dösen. Ryōs dunkle Augen wanderten fasziniert zwischen Sasuke und Hinata hin und her, die am Tisch nebeneinander saßen. „Die beiden legendären Dōjutsu, Sharingan und Byakugan, in einem Raum vereint.“ Mit einem begeisterten Funkeln in den Augen beugte er sich nach vorne über den Tisch. „Habt ihr zwei euch schon einmal überlegt euch zusammen zu tun? Eure Kinder wären sicher unbesiegbar.“

 

Hinata schrumpfte daraufhin mit einem erstickten Laut in ihrem Stuhl zusammen und wurde so rot wie eine Tomate. Sasuke sah den Tsuchikage gleichgültig an und gab keinen Kommentar von sich, als wäre dieses Gespräch unter seiner Würde. Neben sich bemerkte Sakura wie Naruto sich anspannte und nach einem Blick in sein Gesicht nach zu urteilen fand er diesen Gedanken genauso erschütternd wie sie.

 

Ob so etwas überhaupt möglich war? Eins von beiden Kekkei Genkais würde vermutlich dominieren und sich am Ende durchsetzen. Oder würde vielleicht sogar ein völlig neues Bluterbe entstehen? Eine kombinierte Augenmacht aus beiden Dōjutsu klang durchaus beeindruckend und überaus einschüchternd. Aber sollte jemand nur aus diesem Grund heiraten wollen? Eheschließungen, die einen Zweck erfüllten, waren in der Ninjawelt nichts Ungewöhnliches. In einigen Familien war es immer noch üblich, dass innerhalb des Clans geheiratet wurde, um die Blutlinie rein zu halten und die Fähigkeiten nicht durch fremdes Blut zu schwächen. Sakura fragte sich unweigerlich, wie Sasuke zu diesen Regelungen stand. Er und Hinata waren wirklich ein ungleiches Paar, vor allem, wenn man bedachte, dass die Erbin aus dem Hyūga-Clan ihr Herz bereits an einen gewissen Blondschopf verloren hatte.

 

Sakura überlegte, was Ryō Yagami mit dieser Aussage bezweckte. War es reines Interesse an den Fähigkeiten dieser beiden mächtigen Clans oder versuchte er nur wieder zu provozieren? Sein leicht arrogantes Grinsen deutete auf Letzteres.

 

Glücklicherweise unterbrach Kakashi ihren Gedankengang. „Überspringen wir den Smalltalk“, meinte Kakashi ruhig, „und kommen wir zum Wesentlichen. Wir haben Neuigkeiten.“

 

Ryō lehnte sich mit einem leichten Schmunzeln wieder in seinem imposanten Stuhl zurück und kreuzte die Arme vor der Brust. „Ich bin schon ganz gespannt.“

 

„Heute kam die angeforderte Verstärkung aus Konoha an. Das ist Shino aus dem Aburame-Clan.“ Mit einer lässigen Handbewegung deutete er auf den schweigsamen Sonnenbrillenträger, auf dem nun die vier Augenpaare der Iwa-Nins ruhten. „Wie Ihr bereits wisst, kämpft der Aburame-Clan mit Käfern. Shino ist somit ein Experte, was Insekten betrifft. Glücklicherweise befand sich sein Team in der Nähe, wodurch es ihnen möglich war bereits heute zu uns zu stoßen. Die Anreise aus Konoha hätte weitaus mehr Zeit in Anspruch genommen.“

 

Ryō und seine Berater musterten die Neuankömmlinge. Tetsuya nickte ihnen anerkennend zu, auch wenn diese Geste etwas zögerlich wirkte. Eigentlich wäre es taktvoll gewesen sie willkommen zu heißen, doch sie schienen noch unschlüssig zu sein, ob sie nun einem Verbündeten oder einem Feind gegenüber saßen. Der Tsuchikage hatte bereits im Vorfeld seine Gedanken bezüglich eines Komplotts von Seiten Konohas geäußert.

 

„Und was kann uns dieser Experte Interessantes mitteilen?“, fragte Ryō herausfordernd mit einer gewissen Portion Skepsis in der Stimme.

 

Kakashi nickte Shino kaum merklich zu und gab ihm somit das Zeichen, dass er nun das Wort hatte.

 

„Es ist davon auszugehen, dass die Käfer in Eurem Dorf gezüchtet worden sind. Im Regelfall gibt es keine Art, die derartige Halluzinationen hervorrufen kann“, erklärte Shino sachlich. „Der Torpor Scarabeus kann durch einen Biss ein Betäubungsmittel freisetzen. Die Größe eines Menschen im Vergleich zu der des Käfers würde allerdings dafür sorgen, dass die Betäubung kaum merklich ist. Bei kleineren Tieren zeigt sie durchaus mehr Wirkung.“ Shino streckte seine rechte Hand aus und hielt die geöffnete Handfläche nach oben. Aus seinem Ärmel flogen dutzende kleine Käfer, die sich wie Rauschwaden um seine Hand herum ausbreiteten. „Meine Käfer sind keine gewöhnlichen Insekten. Sie ernähren sich von meinem Chakra und haben eine Verbindung zu mir. Bei gewöhnlichen Käfern, wie dem Torpor Scaraberus, ist dies nicht der Fall. Bei demjenigen, den ich vorhin untersucht habe, konnten allerdings Chakrareste nachgewiesen werden, was darauf hinweist, dass sie von einem Shinobi gesteuert werden.“

 

„Das bedeutet jemand hat diese Käfer gezüchtet, sodass sie nicht mehr betäuben, sondern durch ein Gift Angst verbreiten. Und mithilfe eines Jutsus werden sie gelenkt“, fasste Kakashi zusammen.

 

„Ist so etwas möglich?“, fragte Toka.

 

Shino nickte kaum merklich. „Alles ist möglich.“

 

„Das heißt, wenn wir den Anwender des Jutsus ausschalten, verlieren die Käfer ihre Macht?“, fragte Tetsuya hoffnungsvoll.

 

„Nein.“ Shinos Käfer zogen sich langsam wieder in das Innere seine Jacke zurück. „Das würde bedeuten, dass sie von dem Moment an unkontrolliert sind. Sie könnten sich überallhin ausbreiten und sich weiter vermehren. Sie sind keine Schattendoppelgänger, die sich auflösen, sobald das Original besiegt wurde.“ Daraufhin zischte Toka verärgert und Kazuko schüttelte erschüttert den Kopf.

 

„Käfer!“, stieß Ryō verächtlich aus, als würde es ihn persönlich beleidigen, dass er, im wahrsten Sinne des Wortes, vor etwas so winzigem wie einem Käfer Angst haben musste. Mit einer schnellen Bewegung fuhr er sich frustriert erst über das Gesicht und dann über das rote Haar. Innerhalb einer Sekunde hatte er sich wieder im Griff und sagte mit ernstem Gesicht: „Nun gut, wer auch immer dahinter steckt hat es schon einmal geschafft ungesehen in den Palast einzubrechen. Er ist durchaus in der Lage, jemanden unbemerkt zu töten. Dass er momentan nur Angst verbreitet, bedeutet, dass er mit uns spielt und vermutlich unsere Unwissenheit genießt.“

 

„Die Shinobi beginnen bereits damit die Situation im Dorf zu entschärfen, indem sie alle Käfer aufspüren“, erklärte Toka. „Diese Aufgabe erweist sich als schwierig, da Iwagakure recht groß und diese Käfer recht klein sind. Sie verstecken sich in den kleinsten Ritzen. Bis wir alle gefunden haben wird es sehr lange dauern. Und selbst wenn wir es schaffen alle zu finden, wer sagt uns, dass derjenige nicht wieder neue Käfer losschickt?“

 

„Wir müssen also die Person finden, die die Käfer steuert“, erwiderte Ryō.

 

Tetsuya nickte. „Ganz genau.“

 

„Bleibt nur die Frage, ob sich der Feind innerhalb oder außerhalb des Dorfes befindet“, warf Kakashi ein, woraufhin die vier Iwa-Nins ihm böse Blicke zuwarfen. „Es ist durchaus möglich, dass es sich um einen Hinterhalt in den eigenen Reihen handelt. Vielleicht um jemanden, der es ebenfalls auf das Amt des Kages abgesehen hat.“

 

Die beiden anwesenden Kage blickten einander an. Ryō war die versteckte Botschaft in dieser Aussage nicht entgangen. Nach einigen Momenten des Schweigens sagte er: „Ja … Vielleicht …“

 

Kurenai warf erst ihrem Schüler und dann Kakashi einen Blick zu. Kakashi nickte ihr zu, zeigte damit sein Einverständnis.

 

„Meine Käfer sind in der Lage sie aufzuspüren“, sagte Shino daraufhin. „Ich habe tausende. Sie finden jedes kleinste Versteck, vor allem, da sie auf Chakra reagieren.“

 

„Kurenai wird mit ihrem Team im Dorf bleiben und euch bei der Beseitigung der Käfer helfen“, sagte Kakashi. „Ihr Team ist dafür mehr als geeignet. Abgesehen von Shino, der die Käfer aufspüren kann, gibt es auch noch Kiba aus dem Inuzuka-Clan, der Gerüchen folgen kann. Vielleicht findet er mithilfe des Geruchs der Käfer eine Spur, die zu dem Täter führt. Und Hinata kann mit ihrem Byakugan weiter schauen, als jeder andere von uns.“

 

„Und sie?“ Ryōs Augen wanderten ungeniert über Kurenais Körper und Kakashi war heilfroh, dass Asuma in diesem Moment nicht anwesend war. Oder Ryōs Ehefrau.

 

Die hübsche Jō-Nin blieb unbeeindruckt. „Meine Spezialität sind Genjutsu.“

 

„So?“ Er betrachtete weiterhin Kurenai, während er ihr ein laszives Lächeln schenkte. Daraufhin brach sie den Blickkontakt und betrachtete stattdessen die Tischplatte vor sich. Die Ninja aus Konoha empfanden diese öffentliche Zuschaustellung des Interesses ziemlich unpassend, doch Ryōs Berater schienen sich nicht daran zu stören. Vielleicht war der Tsuchikage ja ein Frauenheld. Letztendlich konnte er sich aber von den roten Augen losreißen und sah stattdessen in das Auge von Kakashi, das nicht von seinem Stirnband verdeckt wurde. „Hokage, Euer Team verfügt über das Sharingan. Ihr habt damit ebenfalls hohe Chancen, den Verantwortlichen zu finden. Ich würde ja meine eigenen Männer schicken, aber ich fürchte, ich muss euch erneut um einen Gefallen bitten. Während wir im Dorf die Stellung halten müsst ihr außerhalb nach dem Ursprung suchen.“

 

„Umso größer der Raum ist, in dem wir suchen“, fügte Tetsuya hinzu, „desto höher sind unsere Chancen fündig zu werden.“

 

Kakashi nickte. „Wir werden noch heute aufbrechen.“

Sekikawa

Vor ihnen erstreckte sich eine trostlose Landschaft. Zahlreiche Steine, Schluchten und Felsen umringten Iwagakure und erweckten den Eindruck einer toten Einöde. Kein bisschen Grün war zu erkennen. Keine wehenden Blätter im Wind. Keine bunten Blumen. Für die Ninja, die aus dem Dorf versteckt unter den Blättern kamen, wirkte diese Szenerie genauso trostlos wie die Sandwüste aus Sunagakure. Im Gegensatz zu Suna gab es hingegen genügend Versteckmöglichkeiten. Die Wüste bestand aus einer Fläche voll Sand, in der man Kilometerweit geradeaus schauen konnte. In Iwa gab es zwar keine Bäume, auf die man klettern konnte, aber dafür genügend Felsvorsprünge und Höhlen, in denen man sich verstecken konnte. Diese Landschaft hatte viele Nachteile: Es gab keinen Schutz aus den Baumkronen, sodass die Sonne unerbittlich auf sie herunter schien. Noch dazu verursachten die Felsen keine Geräusche; es gab weder raschelnde Blätter im Wind oder zwitschernde Vögel, noch die leisen Laute von Tierpfoten. Hier konnte sich ein Feind nicht durch knackende Äste verraten, auf die er trat. Ein weiterer Nachteil waren die kaum vorhandenen Wasserquellen.

 

Wer sollte sich hier schon verstecken?

 

Vielleicht war es doch wahrscheinlicher, dass der Angreifer aus dem Dorf kam; wenn nicht aus Iwagakure selbst, dann aus einem der umliegenden Orte. Laut der Aussage des Tsuchikages gab es mindestens ein Dorf, das sich weigerte, mit Iwagakure zusammenzuarbeiten. Vielleicht hielt er sich dort auf.

 

Die Ninja aus Konoha hatten das Eingangstor Iwagakures bereits hinter sich gelassen. Nach dem Gespräch im Kagepalast hatten sie sich mit Team 8 besprochen und anschließend das Dorf verlassen. Nun bahnten sie sich ihren Weg durch die Felsen.

 

Naruto kickte frustriert einen kleinen Stein vor seinen Füßen weg, der mehrere Meter über den Boden klackerte und dabei seinen Vordermann nur um wenige Zentimeter verfehlte. „Mir gefällt es gar nicht, dass Hinata in Iwagakure bleibt. Was ist, wenn dieser Fatzke es auf sie abgesehen hat? Er war für meinen Geschmack zu sehr an ihrem Byakugan interessiert.“ Mit verschränkten Armen vor der Brust und einem grimmig-besorgten Gesichtsausdruck verzog er gequält das Gesicht. Seine Augenbrauen waren so sehr zusammen gezogen, dass sie sich beinahe berührten.

 

Vor ihm ging Kakashi. Sein Sensei drehte sich nicht einmal zu ihm um, als er ihm antwortete. „Hinata kann gut auf sich selbst aufpassen.“

 

Naruto schnaubte, was sich entweder auf Kakashis Desinteresse im Bezug auf die Ängste seines Schülers bezog oder aber auf die Unterstellung, dass er glaubte, Naruto würde Hinatas Fähigkeiten sich selbst beschützen zu können unterschätzen. „Wieso mussten wir uns trennen?“, fing Naruto an zu diskutieren. „Zusammen wären wir stärker gewesen. Von Team Achts Fähigkeiten hätten wir profitieren könnten.“

 

Irgendwie ließ Sakura das Gefühl nicht los, dass es ihm weniger um Team 8 ging, als um eine bestimmte Person im Einzelnen. Seine Schwärmerei für Hinata war unbestreitbar, auch wenn er weiterhin darauf beharrte, dass die beiden lediglich nur Freunde waren. Sakura verfügte über weibliche Intuition und die schrie sie geradezu an, dass der Uzumaki bis über beide Ohren in die Hyūga verknallt war. Sakura, die neben Kakashi ging, warf einen Blick über ihre Schulter und betrachtete Naruto mit einem leichten Lächeln im Gesicht. Sie fragte sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis er sich endlich über seine Gefühle klar werden würde und die beiden zusammen kamen. Lange genug hatte Hinata darauf gewartet.

 

„Team Acht erfüllt seine Mission innerhalb des Dorfes“, erklärte Kakashi gelassen, schon beinahe monoton, „und wir außerhalb. Außerdem ist Pakkun bei ihnen.“

 

Daraufhin schnalzte Naruto nur missbilligend mit der Zunge, beschwerte sich aber nicht weiter. Dass Kakashis vertrauter Geist bei Team 8 geblieben war, war für ihn anscheinend nur ein schwacher Trost. Schließlich diente der sprechende Ninken nicht als Beschützer, sondern als Informationsaustausch für den Fall, dass Kurenais Team etwas herausfand.

 

Kakashi hob die Hand und gab das Zeichen stehenzubleiben. Die vier Konoha-Nins standen sich nun in einem Kreis gegenüber. Bisher bewegten sie sich noch auf dem offiziellen Weg, der durch das Erdreich führte.

 

„Ich schlage vor, wir teilen uns nun auf“, begann Kakashi mit der Erläuterung seines Plans. „Dadurch sparen wir Zeit. Unser Ziel ist es den Mörder des Tsuchikages zu finden. Die beste Sicht erhalten wir aus der Luft, auch wenn wir uns dadurch zu erkennen geben. Sasuke, du und dein Falke werden vom Himmel aus suchen. Du übernimmst Norden und Osten.“ Er nickte dem Schwarzhaarigen kurz zu und wandte sich anschließend an den Blondschopf. „Naruto, mithilfe deiner Schattendoppelgänger können wir einen großen Radius absuchen. Zwei Dutzend sollten erst einmal genügen. Ihr werdet euch um Süden und Westen kümmern. In diesen Bereich fällt auch Yugawa. Bei Sonnenuntergang treffen wir vier uns wieder hier.“

 

Naruto stieß mit der rechten Faust in die linke Handfläche. „Geht klar!“

 

„Wir müssen auf die Käfer achten“, sagte Kakashi ernst. „Laut Zeugenberichten sind sie auch außerhalb Iwagakures anzufinden. Sie werden uns vielleicht zum Anwender des Jutsus führen. Außerdem sollten wir in den Dörfern mit den Bewohnern sprechen. Vielleicht haben sie Hinweise, wer es auf den Tsuchikage abgesehen haben könnte. Da Sasuke und ich beide über das Sharingan verfügen gehen wir in getrennten Gruppen. Das erste Team bilden demnach ich und Naruto und das zweite Team Sasuke und Sakura.“

 

Für einen kurzen Moment antwortete niemand. Sakura wagte es nicht jemandem, vor allem nicht Sasuke, in die Augen zu sehen, und starrte deshalb auf ihre Sandalen. Kakashi wusste doch, dass sie und Sasuke im Moment nicht das beste Verhältnis zueinander hatten. Wieso also entschied er so?

 

Sasuke schien ähnlich zu denken. „Kakashi–“

 

„Meine Entscheidung steht fest.“ Nicht nur sein Ton sondern auch sein Blick duldeten keine Widerrede. „Kommt endlich klar mit euren Differenzen. Wir sind ein Team und ich erwarte von euch Teamwork. Das habe ich euch bereits bei eurer ersten Trainingsaufgabe beigebracht. Erinnert ihr euch?“

 

Sakura fühlte sich wie ein kleines Kind, das von seinen Eltern zurechtgewiesen wurde, weil es etwas angestellt hatte. Aber Kakashi hatte recht. Teamwork stand bei Team 7 an oberster Stelle. Ihr Verhalten war unprofessionell und das würde sie nicht länger zulassen. Sie war inzwischen erwachsen, eine Jō-Nin und Schülerin der fünften sowie des sechsten Hokage. Sasuke Uchiha würde nicht noch einmal dafür verantwortlich sein, dass sie ihre Pflichten vergaß!

 

Entschlossen hob sie den Kopf und blickte ihren Sensei an, nickte ihm entschieden zu. Dann wanderten ihre Augen herausfordernd zu Sasuke, der Kakashi gegenüber stand. Er sah sie an, die Lippen fest aufeinander gepresst. Sein Blick war anklagend, als wäre alles ihre schuld, als würde sie sein sonst so tadelloses Ansehen beschmutzen. Sie sah schnell wieder weg.

 

„Noch etwas.“ Kakashi räusperte sich und die folgenden Worte schienen ihm Überwindung zu kosten. „Auch wenn wir den Käfern ausweichen können kann es durchaus vorkommen, dass wir von einem gebissen werden. Außerdem wissen wir nicht, ob der gesuchte Shinobi nicht noch über weitere Jutsus verfügt, die Halluzinationen verursachen oder ob er vielleicht mit vergifteten Waffen kämpft. Achtet deshalb immer auf eure Umgebung und hinterfragt alles, was ihr seht.“ Kakashi schwieg, sah alle drei der Reihe nach an. Als sein Blick an Sakura hängen blieb sprach er weiter. „Da wir uns aufteilen werden muss ich es ansprechen. Euch muss bewusst sein, dass ihr in den Halluzinationen jemanden sehen könnt, den ihr kennt, vielleicht sogar jemandem aus unserem Team.“

 

Bei diesen Worten spürte Sakura, wie ihr das Herz in den Magen rutschte. Sie konnte nicht anders, als sich persönlich angesprochen zu fühlen. War sie so durchschaubar? Kakashi war ihr Sensei und jahrelanger Vertrauter. Er kannte seine Schüler so gut wie niemanden sonst. Er kannte nicht nur ihre Stärken, sondern auch ihre Schwächen. Dadurch leuchtete ihr auch ein, weshalb sie mit Sasuke gehen sollte – damit das Original an ihrer Seite war und sie nicht auf ein Trugbild hereinfiel.

 

„Deshalb habe ich mir etwas überlegt“, meinte Kakashi, der sich nun an der Nase kratzte. Der Ernst in seiner Stimme war wieder einer monotonen Langeweile gewichen. „Nur zur Sicherheit. Wir vereinbaren ein Zeichen, das nur wir kennen, für den Fall, dass unsere Identität fraglich ist und wir uns zu erkennen geben müssen.“ Kakashi hielt die rechte Hand hoch, hielt Zeige-, Mittelfinger sowie den kleinen Finger ausgestreckt und der Daumen und der Ringfinger berührten sich.

 

Sakura und Naruto machten das Zeichen nach und betrachteten nachdenklich ihre Finger.

 

„Was bedeutet das?“, fragte Sakura, die dieses Handzeichen noch nie zuvor gesehen hatte. Es ähnelte auch keinem ihr bekannten Fingerzeichen.

 

„Vermutlich ist das irgendetwas Perverses aus seinem Schundroman“, mutmaßte Naruto mit einem missbilligenden Blick zu seinem Sensei, woraufhin Sakura angewidert das Gesicht verzog.

 

Der Hokage erwiderte unbeeindruckt den anklagenden Blick aus den blauen Augen. „Ich bin jetzt mal so nett und überhöre diese Anschuldigung.“ Und nach einem kurzen Zögern fügte er kleinlaut hinzu: „Und ich verzichte darauf dich zu fragen, woher du das weißt.“

 

Sakura starrte ihn entsetzt an. Sasuke wirkte genervt und Naruto grinste dreckig. „Wir sind inzwischen erwachsen geworden, Kakashi.“

 

Sakura wurde rot. Beschämt wandte sie sich ab. Natürlich hatte er recht. Sie waren keine kleinen, naiven Kinder mehr und sie alle hatten ihre ersten Erfahrungen im Erwachsenenleben sammeln können. Allerdings sprach Naruto ein Thema an, das sie nur ungerne vor ihrem Sensei besprechen wollte. Die leise Explosion der Beschwörung eines vertrauten Geistes war daher eine willkommene Ablenkung.

 

Neben Sasuke erschien Garuda, sein Falke. Anmutig reckte er seinen Kopf gen Himmel. Die Farbe seines Gefieders ähnelte der der umliegenden Felsen. Ebenso anmutig schwang Sasuke sich auf den Rücken des riesigen Tieres. Auffordernd sah er Sakura mit nun rot glühenden Augen an. Sie warf noch einen Blick zurück zu Kakashi, der ihr zunickte.

 

„Viel Erfolg.“

 

Mit klopfendem Herzen ging sie auf den Falken zu und kletterte weitaus weniger anmutig auf den Rücken des riesigen Vogels. Während sie hinter Sasuke Platz nahm hörte sie noch, wie Naruto mit einem Jutsu seine Schattendoppelgänger heraufbeschwor. Garuda breitete seine Schwingen aus und mit einem Ruck erhoben sie sich in die Luft. Diese Bewegung kam heftiger, als erwartet, sodass sie sich instinktiv an Sasuke festkrallte. Mit einem erschrockenen Keuchen umklammerte sie ihn mit beiden Armen und drängte sich an seinen Rücken. Der Wind zerrte an ihr und zerzauste ihr rosa Haar. Sie öffnete die Augen und sah hinab. Der Erdboden entfernte sich immer weiter, bis die dutzenden Blondschöpfe nur noch so groß waren wie Stecknadelköpfe.

 

Garuda flog über die felsige Landschaft und wie Kakashi gesagt hatte, hatten sie aus der Luft eine gute Sicht über die Umgebung. Links von ihnen erstreckte sich eine riesige Schlucht, in der ein dunkler See mündete. Rechts von ihnen konnte man bereits das nächste Dorf erkennen. Vom Himmel aus waren die Wege und Straßen, die durch das Erdreich führten, sehr gut zu erkennen. Wie Kakashi allerdings bereits erwähnt hatte, würden sie am blauen und wolkenlosen Himmel nicht lange unentdeckt bleiben, denn sie konnten nicht sehr hoch fliegen, da sie sonst am Boden nichts mehr erkennen würden.

 

Nachdem sie ihre Höhe erreicht hatten wollte Sakura ihre Arme wieder zurückziehen, doch dann änderte Garuda abrupt die Richtung und statt sich von Sasuke zu lösen umklammerte sie ihn nur noch fester. Zuerst war es ihr peinlich, doch dann mahnte sie sich, dass sie sich nicht so anstellen sollte. Säßen Naruto oder Kakashi vor ihr würde sie sich auch an ihnen festhalten, um nicht in die Tiefe hinabzustürzen. Und sollte sie ihn nicht ebenso behandeln wie die anderen auch? Sasuke hatte die Ärmel seines Pullovers hochgekrempelt und sie spürte, wie die warme Haut seiner Unterarme ihre Hände berührte. Und sie fragte sich, ob es ihm unangenehm war, dass sie sich in diesem Moment so nahe waren. Aber sie kannte Sasuke. Würde er mehr Abstand benötigen würde er dafür sorgen.

 

Sakura beobachtete die Landschaft und versuchte so ganz ohne mächtiges Kekkei Genkai irgendetwas Auffälliges zu entdecken, doch alles, was sie sah, waren regungslose Felsbrocken. Sie überflogen eine Straße, auf der ein Mann mit einem Karren voller Fässer entlangfuhr, das von einem Pferd gezogen wurde. Garuda verlangsamte zwar sein Tempo, doch schien Sasuke diesen Mann, der offensichtlich Waren bei sich führte, nicht verdächtig zu finden, und sie flogen weiter. Vielleicht waren in diesen Fässern Wein oder eingelegte Gurken. Vielleicht auch Waffen. Sakura bemerkte, dass Garuda in der Nähe des semi-verdächtigen Karrens blieb.

 

Bisher hatten sie nicht weiter miteinander gesprochen, aber Sakura fand, dass die Stille zwischen ihnen nicht unangenehm war. Sie brauchte ihre innere Stimme nicht, um sich einzugestehen, dass sie es sogar ein wenig genoss, ihm so nahe zu sein. Nachdem was am Morgen geschehen war fühlte sie sich immer noch verletzlich und suchte Trost. Vor ihr saß der echte Sasuke, der keine Ahnung hatte, was in ihr vorging und mit welchen Gedanken sie sich auseinandersetzte. Wieder dachte sie an das Bild aus ihrer Halluzination und sie konnte nicht anders als diese Erinnerung zurückzuspulen, erneut abzuspielen, jedoch ein wenig zu verändern. Plötzlich war sie dieses Mädchen, das sein großes, dunkelblaues T-Shirt trug, sie war es, die er anzüglich anlächelte und sie war es, die er in sein Zimmer zog.

 

Sakura schloss die Augen und schmiegte sich an seinen Rücken, drückte ihre Wange gegen das rote Wirbelzeichen auf seiner Weste und glaubte, trotz des dicken Materials seine Körperwärme spüren zu können. Ob es jemandem in seinem Herzen gab? Für sie hatte es nie einen anderen gegeben und eine Zeit lang hatte sie gedacht, dass sie tatsächlich diejenige sein könnte, die sich in sein Herz schlich. Doch letztendlich war alles anders gekommen. Und aus dem kurzzeitigen Höhenflug war ein tiefer Fall geworden.

 

Sie dachte über das nach, was Kakashi gesagt hatte, dass sie durch die Halluzinationen eine Angst durchleben könnten, in der jemand aus ihrem Team die Hauptrolle spielte. Sie hielt es für unwahrscheinlich, dass es den anderen ebenso wie ihr ergehen könnte. Naruto hatte das Kyūbi gesehen und sie nun einmal Sasuke. Doch was würden Kakashi und Sasuke sehen? Gab es etwas, wovor jemand wie Sasuke Uchiha Angst haben könnte? Er wirkte immer so furchtlos und unerschrocken. Es gab keinen Gegner, keine Situation, die ihm Probleme bereitete. Er war durch und durch Shinobi. Aber am Ende war auch er nur ein Mensch. Niemand war perfekt. Und es musste auch für ihn etwas geben, das ihm Angst bereitete. Vielleicht war es genau das – seine Macht zu verlieren und auf jemanden zu treffen, der ihm überlegen war.

 

Sakura öffnete die Augen und konzentrierte sich erneut auf ihre Umgebung. Sie rückte wieder ein wenig von ihm ab. Garuda änderte abermals die Richtung. Eine Zeit lang schaffte sie es sich auf die Landschaft zu konzentrieren.

 

„Kannst du die Käfer noch sehen?“, fragte sie irgendwann.

 

„Schon eine Weile nicht mehr“, antwortete er ihr ohne sich zu ihr umzudrehen. „Um Iwagakure herum waren sie am stärksten verbreitet. Von da an wurden es immer weniger.“ Er sah zur Seite, sodass sie nun sein Profil sehen konnte. Seine roten Augen fixierten dabei die kaum zu erkennenden Häuser in der Ferne. „Wir werden uns dieses Dorf mal genauer ansehen.“

 

Sakura nickte, obwohl sie wusste, dass er diese Geste nicht sehen konnte. Gerade als sie zu einer verbalen Antwort ansetzen wollte beschleunigte der Falke sein Tempo und setzte zum Sturzflug an, sodass Sakura sich wieder hektisch an ihn klammerte. „Sag mal, machst du das mit Absicht?“, beschwerte sie sich empört, da sie sich wieder einmal seinetwegen erschrocken hatte. Sasuke antwortete nicht.

 

Kurz nach der Landung unweit des überschaubaren Dorfes löste sich der vertraute Geist auf und Sakura und Sasuke waren nur noch zu zweit. Zu Fuß machten sie sich auf den Weg in das Dorf, das nicht sehr einladend aussah. Ebenso wie Iwagakure gab es nur Häuser aus Stein, da ihnen die Bäume fehlten, um Holzhäuser zu bauen. Kein Grün weit und breit. Im Erdreich war der Handel demnach sehr wichtig, da sie unter diesen Bedingungen wenig anbauen konnten. Der Mann, den sie gesehen hatten, war vermutlich ein Händler gewesen.

 

„Welches Dorf ist das?“, fragte Sasuke neben ihr, die Hände in den Hosentaschen, die Ärmel immer noch hochgekrempelt. Sein Sharingan hielt er weiterhin aktiviert. Aufmerksam sah er sich um.

 

Sakura musste nicht lange überlegen. Damals in der Akademie hatte sie bereits immer alles auswendig gelernt, woran er sich wohl auch erinnern konnte, und auch auf diese Reise hatte sie sich vorbildlich vorbereitet. „Das ist Sekikawa.“ Von der Seite sah sie ihn an, musterte seine Augen, bis er ihr den Kopf zuwandte.

 

„Was?“

 

„Solltest du dein Sharingan nicht lieber deaktivieren? Um nicht aufzufallen?“

 

„Anhand unserer Uniform wird man uns ohnehin als Shinobi erkennen.“ Er sah wieder nach vorne und Sakura glaubte für einen Moment etwas in seinen Augen aufblitzen zu sehen. War es Vorfreude?

 

„Du hoffst darauf“, sprach sie ihre Vermutung aus. „Du hoffst, dass sie sich zu erkennen zeigen, hoffst, dass sie uns angreifen werden.“

 

Sein Blick wanderte wieder zu ihr. Er antwortete nicht darauf, aber in seinen Augen sah sie die Bestätigung.

 

Sekikawa gehörte zu den kleineren Dörfern im Erdreich. Sakura schätzte, dass in etwa eintausend Seelen hier lebten. Ihr war bewusst, dass sie und Sasuke hier momentan die einzigen Ninja sein mussten, denn für gewöhnlich lebten alle Shinobi im Ninjadorf, und das war in Tsuchi no Kuni Iwagakure. Wie zu erwarten passierten sie einen großen Marktplatz, auf dem Handel getrieben und Waren angeboten wurden. Auch so spät am Nachmittag war der Markt sehr gut besucht. Die beiden Ninja aus Konoha mischten sich unter die Leute. Hin und wieder ernteten sie neugierige, manchmal aber auch skeptische Blicke. Nicht jeder stand den Shinobi freundlich gesinnt gegenüber. In Dörfern wie Konoha oder Iwa gehörte der Anblick von Shinobi zum täglichen Geschehen dazu, doch hier befanden sie sich in einem reinen Zivilistendorf.

 

Augenscheinlich gemütlich schlenderten sie durch die belebten Wege zwischen den einzelnen Ständen und lauschten hin und wider den Gesprächen der Bewohner. Sakura wusste, dass sie den Part übernehmen musste, wenn es ums Reden ging. Sasuke war der stille Beobachter, der aufmerksame Zuhörer, dem nichts entging, sie hingegen war die offene und freundliche junge Frau, die mit jemandem ein Gespräch anfangen und unauffällig die richtigen Fragen stellen konnte. Sie wollten erfahren, was die Dorfbewohner über ihren neuen Kage dachten, deshalb überlegte sie sich bereits eine Strategie und legte sich die richtigen Worte zurecht.

 

„Mein Herr!“, riss sie eine dunkle Männerstimme aus ihren Gedanken. „Ein Strauß Blumen, für Eure hübsche Begleitung?“

 

Sakura und Sasuke blieben beide stehen und besahen sich den Mann, dessen Blumenstand dem Laden der Familie Yamanaka Konkurrenz machen konnte. Unwillkürlich tauchte das Gesicht von Ino vor ihrem inneren Auge auf. Der Mann war groß und braungebrannt. Mit einem weißen Kopftuch schützte er sich gegen die strahlende Sonne, da sein Stand nicht überdacht war. In seinen großen Händen hielt er einen wunderschönen Blumenstrauß, mit Blumen, die Sakura noch nie zuvor gesehen hatte. Sie leuchteten in den buntesten Farben. Ihre Augen weiteten sich voller Ehrfurcht.

 

„Die können wir auf unserer Reise nicht gebrauchen“, erklärte Sasuke, nicht unhöflich, aber sachlich. Er wandte sich bereits zum Gehen, als der Mann zwei Schritte auf sie zutrat und Sakura die Blumen unter die Nase hielt.

 

„Sie sollen auch nicht praktisch sein, sondern Freude bereiten“, hielt der Verkäufer dagegen, ohne dass sein Lächeln einknickte. „Sehen sie doch, wie meine Zinnien ihre Augen zum Leuchten bringen.“

 

Sasuke sah von den aufdringlichen Blumen zu seiner Teamkameradin. Sie erwiderte seinen Blick und versuchte in seinen Augen zu lesen, was er in diesem Moment wohl dachte. Man konnte es ihm wie immer nicht ansehen. War er genervt? War es ihm egal? Oder überlegte er wirklich, ob er ihr mit diesen Blumen eine Freude machen könnte?

 

„Er hat Recht“, sagte Sakura mit einem höflichen und entschuldigenden Lächeln in Richtung des Verkäufers. „Aber sie sind wirklich wunderschön. Ehrlich.“ Der Mann deutete eine Verbeugung an, um seinen Dank über das Lob mitzuteilen. Und Sakura entschied die Gelegenheit beim Schopfe zu packen. „Woher stammen diese Blumen?“

 

„Oh, die sind nicht importiert!“ Der Mann ging zurück zu seinem Stand und steckte den Strauß in eine gläserne Vase. Es überraschte sie immer noch, wie solch ein Hüne es schaffte sich für so etwas Sensibles wie Floristik zu begeistern. Wenn sie seine muskulösen Oberarme betrachtete würde ein Handwerk eher zu ihm passen. Holzfäller, zum Beispiel, oder Schmied. Früher hatte sie so oberflächlich gedacht, doch als Kunoichi hatte sie inzwischen dazu gelernt. Der erste Schein konnte bekanntlich trügen und man sollte nie voreilige Schlüsse ziehen. Der Verkäufer breitete seine Arme aus und deutete auf seine Blumenarrangements. „Das ist alles eigene Züchtung!“

 

„Wow!“, hauchte Sakura begeistert, da sie wusste, dass sie mehr Informationen aus ihm herausbekam, wenn er sie sympathisch fand. Währenddessen sah sich Sasuke auf der Straße um, und täuschte Desinteresse vor, doch dabei wusste sie, dass er genau zuhörte, während er weiterhin die Umgebung im Auge behielt.

 

„Ja, ja, ich weiß, kaum zu glauben, nicht wahr? Euch Konohanins muss das Erdreich wie totes Land vorkommen, aber es gibt auch einige Plätzchen, an denen was wächst, und in meinem Garten wachsen diese wunderschönen Geschöpfe.“ Liebevoll strich er über die Blätter einer lavendelfarbenen Blüte. Sein Lächeln knickte ein wenig ein. „Um ehrlich zu sein kann ich froh sein. Der Handel ist alles andere als sicher. Viele Händler werden überfallen.“

 

Verstehend nickte Sakura. Ihre erste Mission hatte genau daraus bestanden: jemanden sicher bei der Überreise zu eskortieren. Es war ihre erste richtige Mission als Team 7 gewesen. Es sollte eine gewöhnliche C-Rang-Mission werden, in der sie den Brückenbauer Tazuna ins Land der Wellen begleiteten, doch durch die Angriffe der Nukenin und Zabuza Momochi hatten sie nicht nur um Tazunas, sondern auch um ihr eigenes Leben kämpfen müssen. Sakura schluckte bei der Erinnerung. Das Reich der Wellen hinterließ bei ihr immer noch einen bitteren Beigeschmack.

 

„Seid Ihr deshalb hier? Hat Euch jemand angeheuert?“

 

Sakura versuchte es mit Halbwahrheiten. „Wir sind zu Ehren des neuen Tsuchikage hier.“

 

Sein Lächeln verblasste immer mehr. „Ach. Wie schön.“

 

„Ich hoffe er schickt genügend seiner Männer, um Euch zu schützen?“, fragte sie mit einem freundlichen Lächeln, um am Thema dran zu bleiben.

 

Der Mann zuckte mit den Schultern. Er sah sich um, als wollte er sichergehen, ob er offen reden konnte. „Nun, das Angebot besteht, wenn man es sich leisten kann.“ Sakura verstand, was er damit sagen wollte. Sie lehnte sich noch ein wenig zu ihm rüber und er tat es ihr gleich, als wolle er ihr ein Geheimnis zuflüstern. Er machte auf sie den Eindruck, als würde er schon lange loswerden wollen, was er zu sagen hatte. Vielleicht sagte er ihr diese Sachen, weil sie Ninja aus einem anderen Dorf waren. Das Zeichen auf ihrem Stirnband war vielleicht doch von Vorteil. „Es ist schlimm“, hauchte er, „wirklich schlimm. Erst letztens hat es meinen Nachbarn erwischt. Jemand hat seinen Karren mitsamt Vieh gestohlen und er war die Ware für einen gesamten Monat los. Das bedeutet wiederum einen Monat lang kein Geld. Und das wiederum bedeutet …“

 

„Einen Monat kein Essen“, beendete Sakura mitfühlend den Satz. Der Mann nickte traurig.

 

„Der neue Tsuchikage hat nicht nur die Steuern erhöht sondern auch die Preise der Ninjadienste. Sie sind doppelt so hoch wie vorher! Kaum jemand kann sich noch eine Eskorte leisten!“, meinte er hitzig. „Der lebt in seinem schicken Palast und braucht sich keine Sorgen um Geld zu machen und wir versuchen nur irgendwie über die Runden zu kommen. Ein Skandal, sag ich Euch, ein Skandal!“ Fassungslos schüttelte er den Kopf. Er hatte sich offenbar in Rage geredet. „Einige überlegen schon die Zusammenarbeit zu stoppen, so wie Yugawa. Aber die meisten sind Feiglinge und kneifen!“

 

Seine dunklen Augen wanderten über ihr Stirnband. „Wie würdet Ihr solche Angelegenheiten in Konoha handhaben? Die Bedürfnisse des gemeinen Volkes?“

 

„Wir–“ Sakura wusste nicht einmal, was sie sagen wollte. Das Gesicht von Kakashi blitze in ihren Gedanken auf. Ja, Kakashi und Ryō waren schlichtweg Gegensätze. Ihr Sensei würde niemals Menschen so im Stich lassen. „Ist er denn wirklich so schrecklich? Der Tsuchikage? Ich konnte mir bisher noch keinen Eindruck machen“, schwindelte sie und versuchte das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

 

Der Verkäufer starrte sie einen Moment lang an und sie war sich nicht sicher, ob er diese Frage beantworten würde. Er wandte das Gesicht ab und blickte in die Ferne, betrachtete mit nun verschränkten Armen etwas, das sie nicht sehen konnte. „Wir hatten alle gehofft, dass sich mit Ōnokis Nachfolger etwas ändert, aber wir haben uns anscheinend getäuscht. Es ist noch schlimmer als vorher.“

 

Eine ältere Dame, die sich auf einen Gehstock stützte und bei der bereits ein Jutebeutel voll Gemüse an ihrem knochigen Handgelenk baumelte, gesellte sich neben Sakura. „Guten Tag“, krächzte sie. Der ernste Blick des Verkäufers glättete sich und er begrüßte seine potenzielle Kundin mit der gleichen überschwänglichen Freude, wie zuvor Sakura.

 

„Guten Tag, meine Hübsche.“

 

Die Frau gluckste leise, wirkte aber nicht abgeneigt, was Sakura schlussfolgern ließ, dass diese beiden sich nicht zum ersten Mal begegneten. „Mein Lieber, ich sag’s dir jede Woche. Du könntest mein Sohn sein. Gib mir ein paar von denen da.“

 

„Ausgezeichnete Wahl.“

 

Die beiden fingen an vertraut zu plaudern. Sakura sah indes zu Sasuke. Seine roten Augen sahen sie an. Und sie konnte es sehen. Er wollte weiter. Die Informationen waren gut, aber noch waren sie lange nicht am Ziel. Sie näherten sich bereits dem Abend und bevor die Sonne unterging, mussten sie ihre Zeit noch nutzen. Sie nickte ihm kurz zu, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte.

 

Schnell griff sie in ihre Gürteltasche und fischte ein paar Münzen heraus. „Ich nehme den Strauß doch“, sagte sie und deutete auf die Blumen, die er ihr zuvor angeboten hatte. Sakura war dankbar für seinen Hinweis und wollte sich revanchieren, in dem sie ihm etwas abkaufte. Immerhin klang es so, als könne er das Geld gut gebrauchen. Vielleicht fand sie ihn nett, vielleicht hatte sie auch nur Mitleid mit ihm, wie dem auch sei, sie wollte ihm eine Freude bereiten.

 

Die ältere Frau, die ihren Blumentopf inzwischen in der Hand hielt, die sich nicht auf den Gehstock stützte, machte nicht den Anschein als hätte sie es eilig wieder zu gehen. Womöglich nutzte sie die Gelegenheit, um auf dem Markt mit anderen Leuten ins Gespräch zu kommen. Vielleicht war sie, ähnlich wie Sakura, auf der Suche nach dem neuesten Klatsch und Tratsch des Dorfes. Die faltigen, blauen Augen der Frau wanderten zwischen Sakura und Sasuke hin und her. „Kleiner, als ich noch jung war hat der Mann für die Frau Blumen gekauft. Nicht umgekehrt.“

 

Daraufhin schenkte Sasuke ihr einen mörderischen Blick. Seine Augenbraue zuckte gefährlich.

 

„Oh, wunder Punkt?“

 

Sakura konnte nicht anders, als Respekt für diese alte Frau, deren Haare bereits grau wurden, zu empfinden, da sie sich weder von Sasuke, noch von seinem Sharingan einschüchtern ließ. „Wir sind nur K-Kameraden!“, warf Sakura mit roten Wangen ein. Sie bezahlte hastig und wollte sich dann zwischen Sasuke und die Frau drängen, bevor es eskalieren konnte, denn ihr herausfordernder Blick sowie sein gereizter Gesichtsausdruck waren nicht die beste Kombination. Dabei rempelte sie jemanden an, sodass sie kurzerhand gegen Sasuke geschubst wurde.

 

„Hoppala!“, murmelte die ältere Dame mit großen Augen.

 

Krampfhaft hielt Sakura den Blumenstrauß in ihren Händen. Sie lehnte gegen Sasuke, der sie reflexartig aufgefangen hat. Sie spürte, wie seine Hände ihre Oberarme festhielten. „Pass doch auf“, murmelte er genervt und drückte sie nachdem das Überraschungsmoment vorbei war wieder von sich weg.

 

„Tschuldigung“, erklang eine neue Stimme. Jemand tätschelte entschuldigend ihre Hand. Sakura lugte über den Blumenstrauß und blickte in das Gesicht eines Mannes, der sich verlegen am Hinterkopf kratzte. „Hab dich nicht gesehen.“ Er war bereits dabei weiter zu gehen.

 

„Schon gut“, sagte Sakura noch leicht verwirrt. Kurz darauf verschwand der Typ in der Menschenmenge.

 

Sasuke sah ihm mit ernstem Blick hinterher. „Wir gehen.“ Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Deshalb verabschiedete Sakura sich von dem Verkäufer und der älteren Dame und eilte Sasuke hinterher, der bereits voraus gegangen war. Dabei hielt sie den Blumenstrauß in den Händen und blickte immer wieder auf die orangen, roten und violetten Blüten.

 

„Musste das sein?“, fragte er mit genervtem Blick auf die Blumen.

 

Trotzig reckte sie ihr Kinn. „Sie sind schön.“

 

Er schnaubte. „Sie sind unnötig.“

 

Mit liebevollem Blick betrachtete sie erneut die bunten Blütenblätter. „Sie erinnern mich an Ino.“ Zuvor war es ihr nicht wirklich bewusst gewesen. Erst als sie es aussprach, wurde es ihr klar. Blumen würden sie immer an ihre beste Freundin erinnern. Vor allem so schöne, wie die, die sie gerade in ihren Händen hielt. Ino hätte diese Blumen sicher gemocht.

 

Sasukes Blick verlor ein wenig seiner Schärfe. Kurz darauf hob er die Hand und griff nach etwas Unsichtbarem in der Luft. Anschließend hielt er ihr die geöffnete Handfläche hin. Sakura sah noch den kleinen schwarzen Punkt, bevor er in Flammen aufging. Sasuke beherrschte sein Feuerelement inzwischen so gut, dass er für solch kleine Flammen kein Fingerzeichen mehr bilden musste.

 

Eine halbe Stunde später verließen sie Sekikawa. Bisher hatten sie noch nicht genügend Informationen sammeln, geschweige denn den Attentäter ausfindig machen können. Von daher war es noch zu früh, um sich wieder auf dem Weg zu Kakashi und Naruto zu machen. Spätestens bei Sonnenuntergang würden sie sich treffen. Ihre Suche würde weitergehen. Schließlich erreichten sie die Stelle, an der sie zuvor mit Garuda gelandet waren und Sakura vermutete, dass er wieder seinen vertrauten Geist heraufbeschwören würde, damit sie wieder fliegen konnten. Aber Sasuke ging einfach weiter. Wollte er zu Fuß gehen? Statt zu fliegen? Aber so wären sie viel langsamer. Neugierig musterte sie ihren Teamkameraden von der Seite, der stur geradeaus sah.

 

„Sasuke?“

 

„Geh weiter“, sagte er leise. Er wirkte angespannt. Und dann bemerkte sie es. Sie musste sich zwingen, dagegen anzukämpfen, sich nicht umzudrehen.

 

Jemand folgte ihnen.

Sakuras Angst

Sakura drückte den Blumenstrauß fester an ihre Brust. Sollte es zu einem Kampf kommen würde sie sich von den Zinnien verabschieden müssen, da sie dann nur im Weg wären. Jetzt, da sie sich darauf konzentrierte, konnte sie das schwache, fremde Chakra spüren, das ihnen folgte. Vielleicht handelte es sich nur um einen reisenden Iwa-Nin, der ebenso wie sie den Weg durch die Felsen nutzte, um zum nächsten Dorf zu gelangen. Andererseits könnte es sich auch um einen Nuke-Nin handeln, der sie in Sekikawa entdeckt hatte, und nun auf einen geeigneten Moment wartete, um sie anzugreifen. Dann war er entweder sehr mutig oder aber sehr dumm, da sie zu zweit waren und er augenscheinlich allein. Möglicherweise war Sasukes Plan aufgegangen und der Feind kam von selbst auf sie zu. So würden sie nicht länger suchen müssen.

 

Nun erreichten sie die Felsen, die die Umgebung beherrschten. Sakura drehte sich noch einmal um und warf einen Blick zurück. Sekikawa war inzwischen kaum noch zu erkennen. Weit und breit konnte sie niemanden sehen. Wer auch immer in ihrer Nähe war, war nicht zu erkennen. Sie folgte Sasuke durch die Felsen und machte sich bereit, rief sich in Erinnerung, in welchen Taschen ihre Waffen steckten. Die Aufregung kitzelte an ihren Nervenenden, so wie immer, kurz vor einem Kampf.

 

Sasuke wirkte angespannt, aber nicht beunruhigt. Er schien fokussiert auf sein Umfeld, allzeit bereit sich zu verteidigen. Ihm war das fremde Chakra viel eher aufgefallen, als ihr.

 

„Seit wann?“, fragte sie leise, während sie sich unangenehm beobachtet fühlte. Ihre Augen suchten nach etwas Verdächtigem. Die riesigen Gesteinsbrocken machten es schier unmöglich die Umgebung im Auge zu behalten. Hinter jedem Felsen könnte eine Gefahr lauern.

 

„Ich habe ihn bereits im Dorf gesehen“, antwortete Sasuke ruhig. Mit seinem Sharingan konnte er Chakra erkennen, sodass er den Shinobi inmitten der Zivilisten sofort identifiziert haben musste. Für einen Moment fragte sich Sakura, wieso er diesbezüglich nichts zu ihr gesagt hatte. Doch nach wie vor wussten sie nicht, ob derjenige, der offenbar über Chakra verfügte, Feind oder Freund war.

 

Plötzlich drehte sich Sasuke um und das nächste, was sie sah, war eine mächtige Feuerflamme, die er mithilfe von Fingerzeichen heraufbeschwor. Auch wenn sie sich von ihr wegbewegte konnte Sakura die Hitze in ihrem Gesicht spüren. Sasukes Kopf wirbelte herum, die roten Augen zuckten hin und her. „Käfer“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Sie sind überall.“

 

Keuchend sah Sakura sich um und tatsächlich: Sie waren schon so nahe, dass sie die winzigen Punkte, die auf den Felsen und Steinen herumkrabbelten, auch ohne Sharingan erkennen konnte. Jetzt sah sie auch welche in der Luft herumfliegen und wie sie ihr immer näher kamen. Hektisch schlug sie mit dem Blumenstrauß nach ihnen. Wenn sie jetzt gebissen wurde würde das Gift sie wieder halluzinieren lassen und das wollte sie nicht noch einmal erleben.

 

„Geh in Deckung“, sagte Sasuke, bevor er einmal tief Luft holte, Fingerzeichen formte und weitere Flammen ausspuckte, um die unzähligen Käfer zu verbrennen. Das war die schnellste und sicherste Methode, so viele wie möglich von ihnen auf einmal zu erwischen. Sakura wich zurück, schlug einige Käfer mit den zerfledderten Blumen beiseite, ließ sie letztendlich fallen und stürmte dann auf einen der Felsen zu. Sie konzentrierte ihr Chakra in ihren Fußsohlen und lief an der steilen Wand senkrecht nach oben. Im Gegensatz zu Sasuke beherrschte sie kein mächtiges Jutsu, mit dem sie gegen die Käfer ankommen konnte. Er hatte sein Feuerelement und konnte sich damit gut verteidigen. Ihr blieb in diesem Moment nur die Flucht.

 

Oben über den Felsen angekommen konzentrierte sie sich auf das fremde Chakra und versuchte es zu lokalisieren. Der Anwender des Jutsus war in unmittelbarer Nähe. Sie würde ihn fangen und ausschalten, denn ohne ihn würden die Käfer vermutlich nicht mehr angreifen. Eine gewaltige Feuerflamme schoss plötzlich nur wenige Meter neben ihr gen Himmel. Kurz darauf landete Sasuke beinahe lautlos neben ihr.

 

„Es sind zu viele. Gegen sie zu kämpfen vergeudet nur unnötiges Chakra.“

 

Genau in diesem Moment erschien ein Schwarm wie aus dem Nichts. Wie eine dunkle Wolke rasten die Käfer auf die beiden zu, sodass sie in unterschiedliche Richtungen davonsprangen, um auszuweichen. Diese Viecher sind schnell, schoss es Sakura durch den Kopf. Sie landete auf einem Felsen und sah, wie der Schwarm ihr folgte. In Iwagakure hatten sich die Käfer an ihre Opfer unbemerkt angeschlichen und einen günstigen Moment abgepasst, um zuzubeißen. Doch nun griffen sie an. Rasend schnell. Sie sprang weiter, auf den nächsten Felsen. Der Schwarm drohte sie einzuholen, als er plötzlich von einer weiteren Flamme von Sasuke vernichtet wurde.

 

Sie erkannte den Schwarzhaarigen östlich von sich und sprang in seine Richtung, bis sie auf dem gleichen Felsen stand wie er. Seine roten Augen folgten immer noch den Käfern. „Wir müssen ihn finden!“, rief Sakura, die sich hastig umsah, aus Angst, von ihnen jederzeit gebissen zu werden. Das Summen um sie herum schien immer lauter zu werden. „Wo ist er?“

 

Sasuke sah sich um, suchte mit seinem Sharingan die Umgebung ab. Da die Käfer ebenfalls Chakra in sich trugen war es schwierig für ihn eine Person in all dem auszumachen. Doch letztendlich wurde er fündig. Seine Augen fokussierten eine Stelle. „Hab ihn.“ Im nächsten Moment stürmte er auch schon los. Sakura sprang ihm hinterher. Er war so schnell, dass sie für einen Moment glaubte, sie würde ihn verlieren. Einmal sah sie sich um, um zu sehen, ob die Käfer ihnen weiterhin folgten. Sie glaubte sie bereits unter ihrer Kleidung krabbeln spüren zu können. Sie schüttelte den Kopf, fokussierte sich wieder auf Sasuke. Jetzt durfte sie ihn bloß nicht aus den Augen verlieren.

 

Bei einem der Felsen machte er Halt und sprang hinab in die Tiefe. Sakura tat es ihm gleich und landete zielsicher neben ihm auf dem Boden, wobei Staub und Dreck unter ihren Sandalen aufwirbelten. Als sie sich aus der Hocke erhob und sich aufrichtete, standen sie beide jemandem gegenüber. Bei seinem Anblick entglitten ihr beinahe die Gesichtszüge.

 

„Du?“, fragte sie leise, die Augenbrauen irritiert zusammengezogen.

 

Er grinste. Das Gesicht war ihr vertraut, da sie es erst kurz zuvor noch gesehen hatte, auch wenn der Moment nur flüchtig gewesen war. Verständnislos starrte sie ihn an, während Sasukes Sharingan immer wieder von ihm zum Himmel wanderten, um nach den Käfern Ausschau zu halten. Sie beide standen nun dem Mann gegenüber, den Sakura auf dem Markt angerempelt hatte.

 

„Sasuke Uchiha, was für eine Ehre“, sagte der Mann spöttisch, der etwa in ihrem Alter war, vielleicht ein paar Jahre älter. Im Gegensatz zu den meisten Menschen aus dem Erdreich war er ziemlich blass. Auf dem Markt hatte er noch völlig unauffällig gewirkt, normal und unscheinbar, doch nun umhüllte ihn die typische Aura eines Ninja, sich seiner Stärke durchaus bewusst und allzeit bereit für den Kampf. Er trug einen langen, ärmellosen, offenen Ledermantel, der darunter eine blanke, durchtrainierte Brust offenbarte. Die weite Kapuze hing an seinem Rücken herab. Weder Uniform noch Stirnband ließen erkennen, welchem Dorf er angehörte. Seine dunklen Augen musterten Sasuke interessiert. „Ich konnte es kaum glauben, als ich euch vorhin begegnet bin. Sagt bloß ihr habt meinetwegen die lange Reise aus Konoha auf euch genommen?“ Sein überhebliches Lächeln verwandelte sich in ein süffisantes Grinsen. Sakura fühlte sich unweigerlich an die Arroganz von Ryō Yagami erinnert. Sie hätten Zwillinge sein können. Während sie ihn musterte versuchte sie weitere Vergleiche zu erkennen, doch optisch waren die beiden grundverschieden. Der Mann, der vor ihr stand, wirkte nicht wie der typische Iwa-Nin. Die Blässe und die Käfer deuteten eher auf Konoha hin. Ihr kam ein Gedanke: Stand sie jemandem aus dem Aburame-Clan gegenüber? Eventuell einem Abtrünnigen?

 

„Dann sind das also deine Dreckskäfer.“ Sasuke ließ sich von diesem Kerl nicht beeindrucken. Er strahlte eine Ruhe aus, die Sakura bewunderte. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ihr letzter Kampf war viel zu lange her, um so selbstbewusst zu sein, und dieser Kerl hatte etwas Irres an sich, das sie frösteln ließ. Sasuke hielt sein Kunai immer noch griffbereit in seiner rechten Hand. Ihre eigene wanderte nun ebenfalls zu ihrer Waffentasche. „Bist du verantwortlich für den Mord am Tsuchikage?“, fragte Sasuke.

 

Der Mann täuschte Verblüffung vor. „Was ich?“ Mit einem Finger deutete er auf seine blanke Brust und verzog mitleidig die Mundwinkel. „Ich würde keiner Fliege etwas zuleide tun.“ Er schnaubte, was auch genauso gut ein herablassendes Lachen hätte sein können.

 

Dann wanderten seine dunklen Augen zum ersten Mal zu Sakura.

 

„Jedenfalls nicht physisch.“

 

Ein Ruck ging durch Sakura. Sie keuchte, als ihr die Kehle wie von einer unsichtbaren Klinge schmerzhaft aufgeschlitzt wurde. Panisch griffen ihre Hände an ihren Hals und versuchten die Blutung zu stillen. Keuchend und kreidebleich vor Angst sank sie auf die Knie, versuchte verzweifelt zu atmen, doch sie hustete und röchelte nur, da sie an ihrem eigenen Blut erstickte. Ihre Gedanken überschlugen sich. Angst und Entsetzen dominerten, während sich irgendwo entfernt in ihrem Kopf eine leise Stimme fragte, wie er sie so schnell hatte angreifen können. Verzweifelt rang sie nach Luft, spürte, wie das warme Blut über ihre Finger sickerte. Ihre Hände versuchten weiterhin die Blutung zu stoppen, doch selbst wenn sie keine Medic-Nin gewesen wäre, hätte sie gewusst, dass dieser Kampf aussichtslos war, denn die Wunde war viel zu tief. Und die Erkenntnis, dass man nichts weiter tun konnte, als abzuwarten, verwandelte das Gefühl von Angst in Resignation. So fühlt es sich also an zu sterben, schoss es ihr durch den Kopf. Wie in Watte gehüllt hörte sie wie Sasuke ihren Namen rief.

 

Im nächsten Moment sackte sie erschöpft nach vorne. Das Blut und die Wunde an ihrem Hals waren verschwunden. Fassungslos befühlten ihre Finger die nun makellose Haut. Das Adrenalin ebbte langsam ab, wodurch sie spürte, wie ihr Herz heftig gegen ihren Brustkorb donnerte und ihre Sinne wieder anfingen zu arbeiten. Erleichtert zog sie die Luft ein, die nun ungehindert ihre Lungen füllte. Sie kämpfte gegen die Tränen in ihren Augen an und gegen die Verwirrung in ihrem Verstand. Mit den Händen stütze sie sich auf dem Boden ab. Ihre Finger krampften sich in den staubtrockenen Boden. Ihre Augen wanderten von Sasuke, der sie ungläubig ansah, zurück zu ihren Händen, um sich zu vergewissern, dass kein Blut mehr daran klebte.

 

Was zur Hölle war gerade geschehen?

 

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Sasuke. Abwesend registrierte sie Sorge und Verwirrung in seiner Stimme. Hektisch nickte sie. Langsam beruhigte sich ihre Atmung wieder. Es war ihr so real erschienen, doch anscheinend war es nicht die Wirklichkeit gewesen. War das eine Halluzination gewesen? War sie etwa von einem Käfer gebissen worden? Doch wieso war es dann jetzt auf einmal wieder vorbei? Immerhin hatte sie das Gift nicht aus ihrem Körper entfernt.

 

Ihre Stimme klang brüchig. „War das … ein Genjutsu?“ Etwas anderes machte keinen Sinn.

 

„Nein. Dein Chakra ist durcheinander gewesen, aber es war kein Genjutsu.“ Sasukes Kopf ruckte in die Richtung des Mannes, der die Szene stumm und zufrieden betrachtet hatte. Anklagend blickte er ihn an. „Was hast du mit ihr gemacht?“

 

Seine dunklen Augen lagen immer noch auf Sakura, mit denen er sie schon beinahe liebevoll betrachtete. Sein rechter Mundwinkel verzog sich zu einem irren Grinsen. „Du meinst … das?“

 

Als nächstes hörte sie ein Schluchzen. Ihr Instinkt riet ihr davon ab, doch sie konnte sich nicht dagegen wehren und hob den Kopf. Voller Schrecken weiteten sich ihre Augen. Da lag er. Blutüberströmt mit unzähligen Senbon im Körper. Regungslos lag er auf dem Boden, den Kopf gen Himmel geneigt und die Augen geschlossen. Und das Schluchzen, das sie hörte, war ihr eigenes. Mit einem Mal fühlte sie sich so unglaublich leer und ein Schmerz, wie sie ihn noch nie zuvor empfunden hatte, ein Schmerz, der ganz und gar nicht körperlich zugefügt wurde, lähmte und quälte sie, fraß sich durch ihr Fleisch, durch ihre Venen und alle Organe, bis sie nichts anderes spüren konnte als unvorstellbare Angst.

 

„Nein …“, wimmerte sie und kroch zitternd auf allen Vieren auf ihn zu, während die Tränen heiße Linien über ihre Wangen zogen. Er konnte nicht tot sein, er durfte nicht … „Nein“, murmelte sie immer wieder, ihre Stimme wurde immer hysterischer, verzweifelter. Reglos lag Sasuke auf dem Boden. Als sie ihn berührte war seine Hand kalt. Der letzte Funken Hoffnung erlosch. Dabei bemerkte sie nicht einmal, dass er viel jünger aussah, als er eigentlich sein dürfte. Jemand packte ihre Schultern, wollte sie von ihm wegzerren, doch sie wehrte sich. „Nein!“, schrie sie jetzt. Und ihr Schreien vermischte sich mit anderen Stimmen, ihrem besorgten Namen und einem grausamen Lachen. Hände griffen nach ihr, doch sie schlug sie weg, sie wollte bei Sasuke bleiben. Sie wollte ihn nicht verlassen.

 

Dann starrte sie in blutrote Augen und für einen Moment war alles still. Nichts nahm sie mehr wahr, außer diesen faszinierenden und wunderschönen Augen. Sasukes Hände hielten ihr Gesicht umklammert und zwangen sie dazu sie anzusehen. Ihr Verstand arbeitete so langsam wie zähflüssiger Honig. Verwirrung und Erleichterung ergriffen sie zu gleichen Teilen. Sie starrte zurück zum Boden, ohne den Kopf zu bewegen. Die Leiche war weg. Sasuke war weg. Nein, er war nicht weg. Er war hier, bei ihr, kniete direkt vor ihr, lebte. Hastig schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und fing an seiner Schulter an bitter zu schluchzen. Das Gefühl, ihn für immer verloren zu haben, war das schlimmste, was sie jemals erlebt hatte, und es noch einmal durchleben zu müssen war einfach zu viel. Sie war so froh, so froh, dass es ihm gut ging. Niemals wieder würde sie ihn loslassen. Es war nur eine Halluzination gewesen, vermutlich die schlimmste von allen. Sie hatte sich so real angefühlt, so echt … War das wirklich das Werk eines winzigen Käfers?

 

„Wie machst du das?“ Sasukes rote Augen bohrten sich hasserfüllt in die seines Gegners. Er hockte neben ihr, mit einem Arm hielt er Sakura weiterhin an sich gedrückt, die sich immer noch wie eine Ertrinkende an ihn klammerte.

 

Der Blick des Mannes hatte sich verdunkelt, das Grinsen auf seinem Gesicht wirkte nun unheilvoll. „Offenbar ist sie ein intelligentes Mädchen. Sie wird von selbst drauf kommen.“

 

Wütend biss Sasuke die Zähne zusammen. Das Kunai in seiner Hand zitterte. „Sakura, was ist passiert? Sag mir, was er mit dir gemacht hat.“

 

Zittrig atmete sie ein und aus und bemühte sich um einen gefassten Tonfall, was ihr angesichts des gerade Erlebtem nicht recht gelingen wollte. Sie konnte ihm schlecht sagen, dass sein vermeintlicher Tod sie so sehr erschüttert hatte. Mit der rechten Hand wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ich hab … Ich habe Dinge gesehen.“ Anscheinend hatte nur sie diese Szenen gesehen. Es mussten also wirklich Halluzinationen gewesen sein.

 

„Hier sind keine Käfer“, zischte Sasuke ungeduldig. Sein Kopf ruckte wieder zu dem Kerl. „Ich mache diesen Bastard fertig.“ Seine Finger bohrten sich in ihren Rücken und drückten sie noch näher an sich heran.

 

„Hm.“ Ihr Gegner wirkte immer noch unerschrocken. Er breitete beide Arme aus, als würde er Sasuke nur zu gern willkommen heißen. „Du klingst ganz schön selbstsicher, aber ich schätze, das ist nachvollziehbar für jemanden aus solch einem berühmten Clan. Allerdings solltest du mich nicht unterschätzen, Uchiha. Bist du sicher, dass du gegen mich kämpfen willst? Im Gegensatz zu euch brauche ich noch nicht einmal Waffen, um euch weh zu tun.“

 

Sakuras Augen wanderten zu Sasuke und sie betrachtete sein Gesicht. Sein Ausdruck erschrak sie ein wenig. Er sah unheimlich wütend aus – und das war ein Anblick, den man wirklich selten zu sehen bekam, da er sich meist nicht provozieren ließ und gut unter Kontrolle hatte. Doch statt seinen Gegner anzugreifen, wie er es ohne Zweifel nur zu gerne tun würde, verharrte er an Ort und Stelle. Er schien zu überlegen. Und mit einem Mal wurde Sakura klar, worüber er nachdachte.

 

Er überlegte, ob sie sich zurückziehen sollten.

 

„Nein“, hauchte Sakura entschieden. Nur ihretwegen waren sie im Nachteil. Der Feind hatte irgendeine Macht über sie, die sie noch nicht verstehen konnte. Wieder einmal war sie ein Klotz am Bein. Sasuke würde recht behalten, denn von Anfang an hatte er daran gezweifelt, dass sie die Richtige für diese Mission war. So kurz vorm Ziel wollte sie aber nicht aufgeben. Endlich hatten sie den Verantwortlichen gefunden und sie würden es – egal wie – schaffen, ihn zu bezwingen. Deshalb löste sie sich von ihm und sah ihn eindringlich an. „Wir ziehen uns nicht zurück!“

 

Sasuke sah sie an. Unsicher. Sakura stand auf, drehte sich zu ihrem Gegner und versuchte ihn zu analysieren. „Ich werde schon noch herausfinden, wie er das macht.“ Anscheinend konnte er in jemandem Halluzinationen freisetzen. Doch wie machte er das? Er hatte sie weder mit einer vergifteten Waffe verletzt, noch hatte er sie berührt. Benötigte er für dieses Jutsu, wenn es denn eins war, lediglich Augenkontakt?

 

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie Sasuke ebenfalls aufstand. „Bisher hat er das nur mit mir gemacht und dich verschont. Wieso?“, fragte sie, mehr sich selbst. Konnte er das auch mit Sasuke anstellen? Würde er auch jeden Moment zusammenbrechen und anfangen zu schreien, weil er grausame Bilder in seinem Kopf sah? Sie betrachtete den unheilvollen, mysteriösen Mann ganz genau, angefangen von seinem dunkelbraunen, zurückgekämmten Haar, der blassen Haut und den dunklen, fast schwarzen Augen. Sie musterte seine Kleidung, rief sich seine Stimme in Erinnerung, was er sagte, wie er sprach … Und verglich ihn mit dem Mann, den sie angerempelt hatte: eine kurze Entschuldigung, das verlegende Kratzen am Hinterkopf … War das nur Zufall gewesen oder hatte er es darauf abgesehen, in ihre Nähe zu kommen?

 

Er quälte nur sie mit diesen schrecklichen Bildern …

 

Er hatte sie auf dem Markt angerempelt …

 

Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Langsam hob sie ihre linke Hand, in der sie bei ihrer ersten Begegnung mit ihm den Blumenstrauß gehalten hatte. „Er hat mich berührt“, erinnerte sie sich. „Auf dem Markt hat er meine Hand berührt. Er braucht Körperkontakt.“

 

Spielerisch hob der Braunhaarige beide Hände und wackelte mit den Fingern. „Gut gemacht. Ich wusste, du würdest es rauskriegen.“ In seiner Stimme klang so etwas wie Stolz mit. Anscheinend schien es ihm keineswegs etwas auszumachen, dass sie es herausgefunden hatte. Oder bluffte er vielleicht nur? Sollte sie nur annehmen, dass er Körperkontakt brauchte, damit sie sich für kurze Zeit in Sicherheit wogen?

 

Was sie zudem verunsicherte war, was diese Berührung noch alles ausgelöst haben könnte. Auch die Art, wie er über sie und mit ihr sprach, beunruhigte sie. Er klang, als würde er sie kennen. Als hätte er in diesem kurzen Moment in ihr Innerstes gesehen und nicht nur ihre Ängste zu Gesicht bekommen. Was wusste er noch alles über sie? Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

 

Sakura wandte sich an Sasuke. „Er darf dich auf keinen Fall berühren. Hörst du?“

 

Seine roten Augen fokussierten seinen Gegner. Die Finger schlossen sich fester um sein Kunai. „Kinderspiel.“

 

„Ich habe viel von dir gehört, Uchiha“, sagte der unbekannte Ninja. „Dich kennenzulernen wird mir ein Vergnügen sein. Ich frage mich, wovor jemand wie du Angst haben könnte.“

 

„Wie machst du das?“, fragte Sakura ihn anklagend. Was hatte sie schon zu verlieren? Während ihrer Missionen war sie vielen Ninja begegnet, die gerne mit ihren Fähigkeiten prahlten. Auch dieser Kerl erschien ihr sehr redefreudig. „Ist das ein Jutsu? Ich habe dich keine Fingerzeichen formen sehen.“

 

Für einen Moment schloss er die Augen, lächelte leicht. „Nein, das ist kein Jutsu.“ Er öffnete seine Augen, streckte beide Arme vor sich aus und hielt die Handflächen nach oben. „Das ist mein Kekkei Genkai.“

 

„Und wie funktioniert es?“ Sakura fühlte sich mutiger, als sie in Wahrheit war. Wie schon auf dem Markt in Sekikawa wollte sie ihn, ebenso wie den Blumenverkäufer, zum Reden bringen, um an wichtige Informationen heranzukommen. Denn umso mehr sie über ihren Feind und seine Fähigkeiten wussten, desto besser. Vielleicht würde ihnen ein wichtiges Detail dabei helfen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

 

Der Mann senkte den Kopf und seine ausgestreckten Hände ballten sich zu Fäusten. Dann legte er den Kopf leicht schief. „Wenn ich jemanden berühre kann ich in sein Herz sehen und sein Innerstes lesen.“

 

Sakura keuchte. Fühlte sich plötzlich nackt. Wenn das wirklich stimmte …

 

Wissend nickte er. Leise säuselte er: „Ich weiß jetzt alles über dich, Sakura Haruno.“ Seine dunklen Augen wanderten zu Sasuke. „Und dadurch weiß ich auch eine Menge über ihn.“ Nun sah er wieder sie an. „Und über euch.“ Sakura erstarrte. Seiner Stimme war es anzuhören, wie sehr er die Situation genoss und wie gerne er das Wissen über andere einsetzte, um sie zu quälen. „Tragisch, tragisch“, täuschte er laienhafte Anteilnahme vor. „Ich bin nur gespannt, ob er–“

 

Weiter kam er nicht, da er Sasukes Angriff ausweichen musste. Er ließ sich rückwärts fallen. Das Kunai verfehlte ihn dabei nur haarscharf.

 

„Du redest zu viel“, sagte Sasuke kalt und setzte zum nächsten Angriff an. Er holte weit aus und zielte mit der Klinge direkt auf die Brust seines Gegners. Stahl krachte auf Stahl. Der Gegner hatte nun ebenfalls ein Kunai gezogen. Sasuke trat zu, bemüht ihn nur mit der Schuhsohle zu treffen, und landete einen Treffer. Einige Meter rollte sein Feind über den Boden. Sasuke zögerte keinen Moment und versuchte es erneut, sprang mit gezücktem Kunai auf ihn zu. Unzählige Käfer schossen aus seinem Mantel hervor, sodass Sasuke sich sofort wieder zurückzog. Der Schwarm flog auf ihn zu. Sasuke formte Fingerzeichen, atmete tief ein und vernichtete mit seinem Gōkakyū no Jutsu jeden einzelnen von ihnen. Die Flamme erlosch nicht, sondern stürmte auf den unbekannten Ninja zu, der allerdings auswich und hinter einem Felsen in Deckung ging. Doch Sasuke ließ ihm keine Zeit zum Verschnaufen. Erneut griff er an, sein Kunai verfehlte ihn immer nur haarscharf. Dann sprang er einige Meter zurück, bildete erneut Fingerzeichen und griff in seine Waffentasche.

 

„Katon! Hōsenka no Jutsu!“

 

Mehrere kleine Feuerbälle rasten nun auf seinen Gegner zu, folgten ihm, während er versuchte ihnen zu entkommen. Letztendlich erwischten sie ihn und die Shuriken, die in den Flammen versteckt waren, blieben in seinem Oberkörper stecken. Einen Moment stand er mit schmerzverzerrtem Gesicht reglos da, dann fing sein Körper an sich zu verformen. Sein Fleisch verwandelte sich in Erde, wurde immer bröckeliger und verfiel schließlich vollkommen. Ein Erddoppelgänger, dachte Sakura. Das Element von Iwagakure. Also doch nicht Konoha.

 

Sasukes Sharingan suchten bereits nach ihm und auch Sakura suchte die Umgebung ab. Dann bemerkten sie beide zeitgleich eine Bewegung. Einige Meter westlich stand er auf einem Felsen und starrte auf sie herab.

 

„Nicht schlecht, Uchiha. Und jetzt zeig ich dir, was ich kann.“ Mit einer Hand griff er hinter seinen Rücken und holte unter dem Mantel ein Kusarigama hervor. Er hielt den hölzernen Schacht mit der gebogenen sichelförmigen Klinge auf Armeslänge vor sich und fing an die Metalkette, die mitsamt Gewicht an dem Ende der Klinge befestigt war, zu schwingen und über seinem Kopf zu kreisen, wodurch es schwierig werden würde, sich ihm zu nähern. Diese Ninjawaffe sowie seine Käfer deuteten darauf hin, dass er ein Fernkämpfer war.

 

Er sprang vom Felsen, direkt auf Sasuke zu, während er seine Metallkette weiterhin rotieren ließ. Sasuke wich aus, sodass das Gewicht der Kette statt ihn einen Felsen traf und ein klaffendes Loch hinterließ. Mit einem festen Ruck zog er die Kette aus dem Stein und wandte sich zu den Konoha-Nins, die nun wieder nebeneinander standen. Mit einer fließenden Bewegung ließ er den Mantel von den Schultern fallen, sodass er nun oberkörperfrei vor ihnen stand, wodurch es noch schwieriger werden würde, ihn anzugreifen ohne seine Haut zu berühren. Mit einem dumpfen Geräusch fiel der schwere Stoff auf den Boden.

 

„So ein schönes Paar“, säuselte ihr Gegner gefährlich. „Endlich wieder vereint. Leider muss ich euch wieder trennen.“

 

Im nächsten Moment erschienen vier Erddoppelgänger auf einmal. Drei davon griffen gleichzeitig aus drei verschiedenen Himmelsrichtungen Sasuke an und der vierte stürzte sich auf Sakura. Als er sie packte wurde ihr die Luft aus den Lungen gepresst und ruckartig wurde sie mehrere Meter nach hinten geschleudert. Es ging so schnell, dass sie noch nicht einmal vor Schreck aufschreien konnte. Schmerzhaft landete sie auf dem harten Boden und sie riss gerade noch rechtzeitig die Augen auf, um ihn erneut angreifen zu sehen.

 

Schnell sprang sie zurück, während er mit seinem Kusarigama austeilte. Zähneknirschend stellte sie fest, wie er sie weiter von Sasuke forttrieb. Was sollte sie jetzt tun? Ein Medic-Nin hielt sich meist aus dem Geschehen raus, da er bis zum Schluss am Leben bleiben musste, um die Verletzten zu heilen. Sakura verfügte weder über nennenswerte Nin- noch Genjutsu. Ihr blieb also nur eins: Taijutsu. Und ihre Stärke war ihre mächtigste Waffe. Da sie ihn bereits berührt hatte musste sie sich also auch nicht mehr zurückhalten.

 

Sakura machte sich bereit für den Kampf und ballte die Fäuste. Sie sammelte Chakra darin. Diesem arroganten Arschloch würde sie es zeigen! Dieser Kampf würde nicht so leicht werden, wie er ihn vielleicht erwartete. Einzig und allein sein Kusarigama sorgte dafür, dass sie ihm nicht so einfach nahe kommen würde. Deshalb lief sie nun auf ihn zu. Sie griff in ihre Waffentasche, zog einige Shuriken hervor und warf sie in seine Richtung, zielte dabei auf seine rechte Hand, die das Kusarigama hielt. Er wich aus, holte aus und schlug mit seiner Waffe nach ihr. Mit einer leichten Drehung wich sie aus, während er an ihr vorbeiflog. Sie hob ein Knie, um es ihm in die Seite zu rammen, doch er blockte mit seinem Ellenbogen ab. Schlitternd blieb er stehen, drehte sich um und stach mit der Sichel nach ihr. Sakura wich aus.

 

Gerade als er seine Waffe wieder schwingen wollte rammte sie ihre Faust in den Boden, der daraufhin erzitterte und in einem Radius von mehreren Metern in sich zusammenbrach. Ihr Feind taumelte und stürzte zu Boden. Sakura rannte sofort auf ihn zu und holte aus, um zuzuschlagen. Aber ihr Gegner war schnell. Er wollte sich gegen den Angriff wehren und stieß mit seiner Sichel zu. Doch statt ihm auszuweichen blockte Sakura die Waffe mit ihrer linken Hand ab, nahm die blutige und schmerzhafte Wunde in Kauf.

 

Damit hatte er nicht gerechnet. Vor Schreck weiteten sich seine Augen.

 

„Shanaroooo!“

 

Sakura konzentrierte eine enorme Menge Chakra in ihrer rechten Faust, holte aus und ließ sie auf ihren Gegner herabsausen, zielte direkt auf seine dämlich dreinschauende Visage, doch bevor sie ihn treffen konnte, tauchten die Käfer wie aus dem Nichts auf und drängten sich zwischen sie beide, wie eine schwarze, schützende Wand, wodurch er auch sein Kusarigama zurückziehen musste. In diesem Moment scherte es sie nicht, ob sie gebissen werden konnte. Sakura wollte diesen Kampf gewinnen. Deshalb schlug sie erneut zu, mit all ihrer Kraft, um die Käferwand zu zerschlagen. Und tatsächlich stieß ihre rechte Faust durch sie hindurch und sie landete einen Treffer. Es knackte, als sie sein Gesicht traf. Mehrere Meter flog er zurück und krachte gegen einen Felsen.

 

Sakura setzte bereits an für den nächsten Schlag, als erneut unzählige Käfer aus seinem Körper hervor schwärmten. Wie eine dunkle Wolke rasten sie auf sie zu. Entschlossen machte sich Sakura bereit, doch bevor sie sie erreichen konnte erschien eine Feuerflamme wie aus dem Nichts und verbrannte die Käfer. Hitze schlug ihr ins Gesicht, sodass sie schützend die Arme vor das Gesicht hielt. Als sie sie wieder sinken ließ erkannte sie, das Sasuke neben dem unbekannten Ninja auf dem Boden kniete. Seine Hände griffen immer noch um das Kunai, das in dessen Brust steckte.

 

Er hatte ihn besiegt. Erleichterung erfasste sie und sie konnte es nicht verhindern einmal tief auszuatmen. Sasuke hatte den Kampf wieder einmal für sich entschieden.

 

Sie ging auf ihn zu, während er das Kunai losließ und sich aufrichtete. Seine roten Augen fanden sie und wurden langsam wieder schwarz. „Du bist verletzt“, stellte er ruhig fest. Sie gingen nun aufeinander zu, bis sie schließlich voreinander standen. Dann streckte er seine rechte Hand nach ihrer aus. „Zeig her.“

 

Für einen Moment stutzte sie. Zögerlich streckte sie ihm ihre blutende Hand entgegen. Sanft nahm er sie in seine, betrachtete sie, wobei seine Augenbrauen sich sorgenvoll zusammenzogen.

 

„Kein Problem, ich kann das heilen“, meinte sie mit einem Lächeln, das überspielen sollte, wie überfordert sie sich mit dieser sanften Berührung fühlte. Sie wollte ihre Hand zurückziehen, aber er ließ sie nicht los. Seine dunklen Augen sahen sie durchdringend an. So intensiv, dass ihre Wangen rot wurden. „Ähm“, stotterte sie verlegen. „Wir sollten …“

 

Sasuke trat einen Schritt auf sie zu. „Was sollten wir tun? Hm, Sakura?“ Er streckte eine Hand nach ihr aus, griff nach einer ihrer Haarsträhnen und wickelte sie sich um den Finger. „Ich weiß, was du am liebsten mit mir tun würdest.“

 

Sakura erstarrte, als er sich langsam zu ihr vorbeugte. Alle Alarmglocken schrillten. Hier stimmte etwas nicht. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Das war nicht Sasuke! Er würde sich niemals so benehmen!

 

Er kam ihr immer näher. „Küss mich ruhig“, hauchte er nur wenige Zentimeter von ihren Lippen entfernt, sodass sie seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Allmählich bekam sie Angst. Das war eindeutig eine Halluzination! Sakura wollte ihm ausweichen und trat einen Schritt zurück, stoppte aber im nächsten Moment, als sie mit dem Rücken gegen etwas stieß. Arme schlangen sich von hinten um ihren Oberkörper und zogen sie fest gegen sich.

 

„Na los, küss ihn“, flüsterte Inos Stimme in ihr Ohr, so kalt und anklagend, dass sich all ihre Nackenhaare aufstellten. „Küss ihn und sie zu, wie du wieder ein Leben zerstörst.“

 

Sakura wimmerte gequält. Auf einmal fühlte sie sich elendig. Panisch fragte sie sich, was Ino hier machte, musste sich dann aber dazu zwingen sich einzugestehen, dass dies alles nur in ihrem Kopf und nicht wirklich geschah. Sie war nun eingeengt zwischen zwei Körpern. Aus dem Augenwinkel konnte sie blondes Haar sehen. Verzweifelt versuchte sie sich aus dem Griff der beiden zu befreien. Das ist nicht echt!, schrie ihre innere Stimme.

 

Dann lachte ihre beste Freundin schrill auf. „Sie kann es nicht. Sie ist so ein Feigling.“

 

„Sie ist ein Klotz am Bein.“

 

„Sie war schon immer eine Versagerin. Kein Wunder bei dieser breiten Stirn.“

 

„Sie ist so oberflächlich. Und das nervt.“

 

Diese Worte waren wie Stiche, mitten ins Herz. Wie brennende Säure breiteten sie sich in ihrer Brust aus und ließen nichts weiter zurück als Schmerz. Denn sie wusste, dass sie recht hatten, mit dem, was sie sagten. Tränen drohten überzulaufen. Sakura schloss die Augen und presste die Hände auf die Ohren, da sie kein weiteres Wort mehr ertrug, dabei beschmierte sie ihre linke Gesichtshälfte mit dem Blut ihrer verletzten Hand. „Hört auf“, wimmerte sie gequält.

 

„Du sagst es, oberflächlich, naiv und dumm.“

 

„Ich kann ihr nie wieder vertrauen, nachdem was sie mir angetan hat.“

 

„Sie hat mich im Stich gelassen, als ich sie am meisten brauchte.“

 

„Hört auf!“, schrie Sakura, die das Gerede nicht länger ertragen konnte. Die beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben so über sich reden zu hören zerriss ihr das Herz in der Brust. Mit all der Kraft, die sie aufbringen konnte, rammte sie Ino beide Ellenbogen gegen die Rippen, sodass sie von ihr abließ. Ruckartig drehte Sakura sich um und erkannte – niemanden. Ino war nicht da. Diese Situation war nicht echt. Sie drehte sich wieder zum nicht-realen-Sasuke, ballte die Fäuste, bleckte bereits die Zähne.

 

Doch er grinste nur. Und dadurch wurde ihr nur bewusst, dass er es wirklich nicht sein konnte, denn der Sasuke, den sie kannte – ihr Sasuke – grinste nie.

 

„Du beschissenes Arschloch!“, schrie sie die Erscheinung an. Anscheinend war ihr Gegner nicht tot, wie sie vor einem Moment noch angenommen hatte. Dieser Mistkerl spielte mit ihr. Er wusste genau, welche Knöpfe er zu drücken hatte, um sie zu zerbrechen. Sie setzte zum Sprung an und holte aus. Er bewegte sich nicht.

 

„Bist du dir wirklich sicher, Sakura?“

 

Ihre Faust hielt nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht. Sie zitterte, starrte ihn mit wütenden, aufgerissenen Augen an.

 

„Was ist wenn ich doch der echte bin?“

 

Und Sakura fing an zu zweifeln. Ja, was wäre wenn? Vielleicht war das wirklich der echte Sasuke, der sich nicht mehr verstellte und sein wahres Ich zeigte, der offen und ehrlich sagte, was er von ihr hielt. Sie starrte ihn an, wusste nicht was sie tun sollte. Niemals würde sie es sich verzeihen, wenn sie den echten Sasuke schlagen und verletzen sollte. Die Zweifel wurden größer. Was wäre wenn –

 

„Sakura!“

 

Ihr Kopf ruckte zur Seite und ihre Augen weiteten sich überrascht, als sie den schwarzhaarigen Uchiha erkannte. Er trat zwischen den Felsen hervor. Die Augen rot, ebenso wie sein linker Arm, der blutgetränkt schlaff an seiner Seite herabhing. Aus dem Augenwinkel sah sie noch, wie der Sasuke, der vor ihr stand ebenfalls den Kopf in diese Richtung drehte. Und im Bruchteil einer Sekunde musste sie sich entscheiden. Welcher von beiden war real? Welcher war echt?

 

Langsam hob der Sasuke zwischen den Felsen die rechte Hand, spreizte die Finger und führte Daumen und Ringfinger zusammen. Und sie begriff.

 

Das Zeichen!

 

Mehr brauchte sie nicht.

 

Im nächsten Moment rammte sie dem Möchtegern-Sasuke vor ihr ihre geballte Faust gegen den hübschen Schädel. Enorme Wut flammte in ihr auf. Der Körper krachte ungebremst gegen mehrere Felsen und sie hörte nicht nur Stein zerbrechen, sondern auch Knochen. Sakura setzte ihm nach, hechtete hinterher und zog bereits ein Kunai. Sie sprang in die Luft und stürzte auf ihn hinab, zielte und wollte ihm die Klinge mit beiden Händen gewaltsam in den Brustkorb rammen.

 

Im letzten Moment hielt Sasuke sie davon ab, indem er ihre Hände packte. Beide knieten nun auf dem Boden. Sakura hockte über der Hüfte ihres Feindes und Sasuke befand sich ihr direkt gegenüber, beugte sich über den reglosen Kopf mit den inzwischen wieder dunkelbraunen Haaren. Der Körper unter ihnen begann sich langsam aber sichtbar zu verändern.

 

Ihre Hände zitterten so sehr, dass die Spitze der Klinge hektisch über der blassen Haut hin und her zitterte. Sasuke musste sich anstrengen, um sie davon abzuhalten, ihn aufzuschlitzen. Seine verwundete, linke Hand beschmierte ihre mit seinem warmen Blut. Die Verletzung in ihrer linken Hand nahm sie kaum noch wahr.

 

Seine Stimme war ruhig, aber bestimmend. „Warte, Sakura.“

 

Hasserfüllt starrte sie auf das Gesicht hinab, dass sich weiterhin veränderte. Es nahm immer mehr die Züge an von dem Mann, den sie auf dem Markt angerempelt hatte. Dieser Kerl war verdammt gefährlich. Er war nicht nur verantwortlich für den Tod des Tsuchikage, sondern auch für all das Leid, das er nicht nur über Iwagakure brachte, sondern auch über sie und Naruto. Er hatte sie leiden lassen und sie wollte, dass auch er litt. Dieser Gedanke war egoistisch und gehörte sich nicht für einen Shinobi. Aber er war eine Gefahr, ein Feind. Die schmerzhaften Gefühle der Begegnung mit Fake-Sasuke und Fake-Ino und dem, was sie gesagt hatten wollten nicht so schnell abklingen.

 

„Warum sollte ich?“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, den hasserfüllten Blick weiterhin auf den bewusstlosen Ninja unter ihr gerichtet.

 

„Damit wir ihn befragen und weitere Informationen erhalten können.“

 

Sie knirschte mit den Zähnen. Sie wollte ihn nicht befragen. Sie wollte nichts weiter wissen. Nie wieder sollte er die Gelegenheit bekommen, sie solche Dinge sehen und hören zu lassen. Er kannte ihr Innerstes, ihre schlimmsten Geheimnisse und er benutzte dieses Wissen gegen sie, quälte sie damit und hatte auch noch seinen Spaß dabei.

 

„Nein“, hörte sie sich selber sagen. Sie strengte sich weiter an, drückte das Kunai immer weiter herab. Inzwischen berührte es seine blanke Brust. Rote Bluttropfen quellten aus der zarten Wunde hervor. Weitere Tropfen landeten auf seiner Haut, doch waren sie nicht rot.

 

Es wurden immer mehr.

 

In ihrem Kopf hörte sie immer noch Sasukes und Inos Stimmen, wie sie ihr gehässig zuflüsterten. Tropfen für Tropfen trafen auf die entblößte Brust und zerplatzten auf der blassen Haut, liefen hinab und vermischten sich mit seinem Blut, das zwischen Klinge und Fleisch hervor sickerte. Ihr Griff um das Kunai fing an sich zu lockern. Erst als sie ihr Schluchzen hörte, bemerkte, sie dass die Tropfen ihre Tränen waren und sie bitterlich weinte.

Tenchi und Toshio

Mit einem grässlichen Knacken landete Sasukes Ellenbogen in dem Gesicht des gegnerischen Ninja. Dessen Nase stand nun in einem ungesunden Winkel ab und deutete somit darauf hin, dass sie gebrochen war. Dunkelrotes Blut spritzte daraus hervor und verteilte sich auf seiner Schulter, da sein Kopf unsanft zur Seite gerissen worden war.

 

„Sasuke!“ Kakashi sah seinen Schüler strafend an, doch Sasukes eiskalter Blick galt nur dem nun hustenden Mann vor ihm. Seine geballte Faust zitterte vor unterdrückter Wut. Sakura und Naruto sahen ihren Teamkameraden erschrocken an.

 

Nachdem Sakura und Sasuke den Gegner außer Gefecht gesetzt und sie ihre Wunden geheilt hatte, hatten sie sich mithilfe von Garuda auf den Rückweg zu ihrem Treffpunkt gemacht, wo sie wenig später auf den Rest von Team 7 gestoßen waren. Den bewusstlosen Ninja hatten sie mit Seilen um einen schmalen Felsen gefesselt, streng darauf achtend, seine Haut dabei nicht zu berühren. Um sich ein wenig mehr Berührungsfläche zu verschaffen, hatte Sasuke ihm seinen Ledermantel übergezogen. Kurz nachdem der noch unbekannte Mann wieder zu sich gekommen war, hatte Sasuke auch schon zugeschlagen – mit dem Ellenbogen wohlgemerkt, sodass ihn der Stoff seiner Uniform vor ungewolltem Körperkontakt schützte. Seine Verletzung war zwar inzwischen geheilt, doch die dunklen Flecken waren auf dem blauen Ärmel immer noch gut zu erkennen. Säubern würden sie ihre Kleidung erst wieder in Iwagakure. Das wenige Wasser, das sie dabei hatten, wollten sie dafür nicht verschwenden. Auch in Sakuras Gesicht konnte man noch die verwischten Blutspuren ihrer verletzten Hand sehen.

 

Sasuke wandte sich abrupt ab und entfernte sich von ihm, wollte dabei an Kakashi vorbeigehen. Sein Sensei legte ihm eine Hand auf die Schulter, hinderte ihn somit am Weitergehen. „Was sollte das? Das war vollkommen unnötig.“

 

Unberührt erwiderte Sasuke den mahnenden Blick seines Senseis. „Doch, das war sogar bitter nötig.“ Dann riss er sich von Kakashi los.

 

Der Grauhaarige seufzte, trat einige Schritte auf den Gefangenen zu und hockte sich vor ihm hin, sodass sie nun auf Augenhöhe waren. „Weißt du wer ich bin?“

 

Der Mann spuckte einen Klumpen Blut aus und grinste dann, zeigte dabei seine rotverschmierten Zähne. „Meister Hokage. Holt sich der Bastard jetzt schon Hilfe aus einem verfeindeten Land, weil er es selbst nicht geschissen kriegt sein mickriges Dorf zu beschützen?“

 

„Konoha und Iwa sind nicht mehr verfeindet“, entgegnete Kakashi ungerührt. Seine Stimme hatte den gewohnten ruhigen, beinahe schon gelangweilten Klang. „Da ich mich nicht mehr vorzustellen brauche wärst du nun an der Reihe, mir deinen Namen zu nennen.“

 

Sein Grinsen wurde noch breiter „Fass mich an, dann sag ich ihn dir.“

 

Kakashi verzog keine Miene. „Das geht leider nicht.“

 

„Feigling.“ Sein Grinsen knickte ein wenig ein. Er hustete erneut und verzog dabei schmerzhaft das Gesicht. Das waren nicht seine einzigen Verletzungen. Von dem Kampf gegen Sakura hatte er sich ebenfalls einige Wunden zugezogen. Vermutlich war die ein oder andere Rippe gebrochen. Die Wunde auf seiner Brust, die ihr Kunai hinterlassen hatte, blutete nicht mehr, doch der Anblick des verschmierten, getrockneten Blutes blieb. Sakura hatte nur sich und Sasuke geheilt, ihn allerdings nicht. Schließlich besaß er keine lebensbedrohlichen Verletzungen.

 

Während Sasuke die meiste Zeit über still geblieben war hatte Sakura Naruto und Kakashi in kurzen Sätzen geschildert, was vorgefallen war und welche neuen Informationen sie erhalten hatten. „Wie du bereits weißt ist Sakura eine Medic-Nin“, sagte Kakashi vielversprechend. „Sie könnte deine Wunden innerhalb kürzester Zeit heilen.“

 

Der Mann sackte kraftlos und nur noch von seinen Fesseln gehalten nach vorne und keuchte schwer. Seine dunklen Augen fixierten dabei Sakura. „Eine Medic-Nin“, wiederholte er leise. „Der einzige Grund, weshalb ihr sie mitgenommen habt.“

 

Sakura erwiderte seinen Blick. Die dunklen Augen schienen sie zu verschlingen. Sie wollte sich seinem Bann entziehen, doch sie konnte nicht. Mit einem Blinzeln stand sie wieder im Büro des Hokage, mit den anderen drei Mitgliedern ihres Teams. Kakashi verkündete, dass sie auf Mission gehen sollten und sie spürte erneut die Angst, die sie in diesem Moment empfunden hatte – die Angst zu versagen, die Angst in Sasukes Nähe zu sein, die Angst, dass jemandem aus ihrem Team etwas geschah, Angst, dass jemand starb …

 

„Er macht es schon wieder!“, zischte Sasuke, womit er Sakura aus ihrer Starre riss. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sie zitternd einige Schritte von ihm zurückgewichen war. Der Schreck stand ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben. Wütend ging Sasuke auf den Gefangenen zu und holte bereits mit seiner rechten Faust zum Schlag aus. Seine Augen wurden blutrot.

 

„Sasuke!“, rief Naruto dazwischen. Blitzschnell erreichte er den Schwarzhaarigen und umklammerte seinen Arm, hielt ihn davon ab etwas Unüberlegtes zu tun. „Bist du wahnsinnig? Wenn du ihm jetzt ins Gesicht schlägst wird er mit dir das gleiche anstellen, wie mit ihr!“ Für einen kurzen Moment versuchte Sasuke sich aus Narutos Griff zu befreien, doch er kam gegen die sanfte Gewalt des Blondschopfes nicht an.

 

„Er hat Recht.“ Jetzt stand auch Kakashi neben ihm, der den Gefangenen mit einem missbilligenden Blick betrachtete. „Er provoziert dich nur.“ Sprachlos beobachtete Sakura das Geschehen, völlig überrumpelt davon, weshalb Sasuke so die Beherrschung verlor. War das etwa ihretwegen?

 

„Ist mir egal!“, zischte Sasuke zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Soll er doch machen. Bei mir wird er nichts finden“, behauptete er arrogant. „Ich habe vor nichts Angst.“

 

„Jeder hat vor etwas Angst“, entgegnete der angeschlagene Ninja mit schwacher Stimme. „Auch wenn ein Shinobi darauf trainiert wird seine Gefühle zu unterdrücken. Letztendlich reagieren bei jedem die Instinkte.“ Höhnisch verzog er das Gesicht und kicherte leise. „Und bei dir ist es so einfach zu erraten, so einfach zu durchschauen … Selbst ohne Handauflegen.“

 

Sasuke schien kurz davor die Beherrschung zu verlieren. Alarmiert blickte Kakashi zwischen den beiden hin und her, jederzeit bereit einzuschreiten. Besorgt betrachtete Sakura die Szene. Wie auch schon zuvor bei ihr schaffte ihr Gegner es sein Gegenüber in den Wahnsinn zu treiben und die unangenehmsten Emotionen hervorzurufen.

 

Der Ninja hustete erneut, ehe er furchtlos sein Kinn hob und Sasuke einen herausfordernden Blick zuwarf. „Wie geht es denn deinem Bruder?“, wollte er heiser wissen. „Wie heißt der Kerl nochmal?“, tat er, als würde er überlegen. Zufrieden beobachtete er Sasukes Reaktion. „Itachi.“

 

Sasuke erstarrte und wurde kreidebleich.

 

„Ach ja“, lachte der Shinobi, „ich vergaß, ihr zwei habt nicht das beste Verhältnis zueinander.“

 

Innerhalb eines Wimpernschlags zückte Sasuke mit beiden Händen jeweils ein Kunai und es benötigte sowohl Naruto als auch Kakashi, um ihn festzuhalten, damit er sich nicht auf ihn stürzte. Jeder von ihnen umklammerte einen seiner Arme. Der Ninja lachte schallend auf, verstummte aber im nächsten Moment, da Sasuke ihm mit dem Fuß mit voller Kraft ins Gesicht trat. Sein Kopf schlug dabei heftig gegen den Felsen, an dem er festgebunden war.

 

Das Geräusch bescherte ihr Gänsehaut. Erschrocken keuchte Sakura auf und hielt sich die Hand vor den Mund. Sein Kopf hing nun nur noch schlaff herab. Offensichtlich war er bewusstlos. Hoffentlich. Schnell hastete sie auf ihn zu und prüfte, ob er noch atmete.

 

„Du hast ihm den Kiefer gebrochen“, stellte sie teils erleichtert und teils anklagend fest. Allerdings konnte sie nicht wirklich streng mit dem Schwarzhaarigen sein. Jeder von ihnen wusste, dass Sasukes Familie sein wundester Punkt war.

 

Sasuke riss sich von Naruto und Kakashi los, drehte sich heftig atmend um und entfernte sich einige Schritte, um Abstand zwischen sich und dem Typen zu bringen, der ihn zu solchen Taten verleitete. „Er kann froh sein, dass er noch lebt“, behauptete er ausweichend, während er die Kunais wieder wegsteckte. Sakura sah ihm nach, hätte am liebsten den Kopf geschüttelt. Vorher noch hatte er sie davon abhalten wollen diesen Mistkerl umzubringen und nun wollte er am liebsten das gleiche mit ihm tun. Die Erwähnung seines Bruders schien ihn wirklich verletzt zu haben.

 

„Mit einem gebrochenen Kiefer wird er uns aber nicht viel verraten können“, entgegnete Naruto vorwurfsvoll.

 

Sasuke fuhr sich mit einer Hand durchs schwarze Haar und Sakura glaubte, seine Finger zittern zu sehen. „Er muss nicht sprechen können, um mir die Informationen zu geben, die wir brauchen.“

 

Naruto ging nun auf seinen besten Freund zu, legte einen Arm um seine Schultern und sprach leise auf ihn ein. Sakura war zu weit entfernt, um etwas davon verstehen zu können, deshalb betrachtete sie nur stillschweigend und besorgt die beiden ihr zugewandten Rücken. Sie vertraute darauf, dass Naruto die richtigen Worte fand, um Sasuke zu beruhigen. Dafür hatte der Uzumaki schließlich ein Talent. Erst als Sakura eine Hand auf ihrer Schulter spürte, wandte sie den Blick von den beiden ab. Als sie den Kopf zur Seite neigte blickte sie in Kakashis Gesicht.

 

„Alles okay?“

 

Sakura nickte, auch wenn sie das Gefühl hatte, dass gar nichts okay war. Sie machte sich Sorgen um Sasuke. Solche Gefühlsausbrüche waren untypisch für ihn. Zu sehen, wie er litt, bereitete ihr ebenfalls Schmerzen.

 

„Der beruhigt sich schon wieder“, versprach Kakashi sanft, der mal wieder in ihr lesen konnte, wie in einem offenen Buch. „Sobald wir herausgefunden haben, womit genau wir es zu tun haben und wie sein Kekkei Genkai funktioniert, wird dieser Albtraum ein Ende haben. Dann wird sich der Tsuchikage um alles Weitere kümmern und wir machen uns auf den Heimweg.“

 

Unter seiner Maske lächelte er aufmunternd und unwillkürlich musste sie diese Geste, die sie sehr zu schätzen wusste, erwidern.
 

„Du kannst stolz auf dich sein, Sakura. Ohne dich hätten wir ihn nicht gefangen nehmen können. Ich weiß, wie schwer es dir gefallen sein muss, an dieser Mission teilzunehmen. Aber du hast deine Sache gut gemacht.“ Solch ehrliche und lobende Worte von Kakashi hatte sie schon lange nicht mehr gehört, weshalb sie ein wenig rot wurde. „Und ohne dich“, fügte er schmunzelnd hinzu, „wäre Team Sieben nicht vollständig.“

 

Sakura spürte, wie diese Worte etwas in ihr bewegten. Nach all den Zweifeln – ob real oder aus den Halluzinationen – schmeichelten sie ihrer Seele und schenkten ihr die Anerkennung, die sie so sehr brauchte. Glücksgefühle überströmten sie und am liebsten hätte sie ihren Sensei aus einem Impuls heraus umarmt. Doch sie hielt sich zurück, da sie wusste, wie unangenehm ihm solch körperliche Nähe war. Von daher nickte sie ihm nur dankbar zu.

 

Kurz darauf trat Naruto, dicht gefolgt von Sasuke, wieder auf sie zu. „Teme hat sich wieder beruhigt“, verkündete er grimmig, wobei er wirkte, als hätte es ihn ziemlich viel Überredungskunst gekostet, diesen Zustand zu bewirken. Sasuke schien immer noch angespannt, aber nicht mehr so stark, dass er jeden Moment zu explodieren drohte. Er vermied es auch nur einen von ihnen anzusehen. Sein Sharingan war nach wie vor aktiviert.

 

„Da Gespräche bei ihm offenbar nichts erreichen“, seufzte Kakashi mit einem Blick auf den bewusstlosen Gefangenen, „werden wir es nun mit Genjutsu probieren. Sasuke, das überlasse ich dir. Aber dieses Mal bitte ohne ihm irgendwelche Körperteile zu brechen.“

 

Sasuke schnaubte bloß, ging aber ohne Widerworte auf den Bewusstlosen zu. Langsam hockte er sich mit einer Armeslänge Abstand vor ihm hin und betrachtete sein deformiertes Gesicht. „Sakura, du musst ihn aufwecken“, sagte er leise, ohne den Blick von ihm abzuwenden. „Er muss dafür bei Bewusstsein sein.“

 

Sakura ging auf die beiden zu und stellte sich neben den Gefangenen. Mit beiden Händen umfasste sie vorsichtig seinen schlaffen Kopf und hob ihn leicht an, sodass seine und Sasukes Augen auf einer Höhe waren. Dann aktivierte sie ihr heilendes Chakra in ihren Händen und ließ es langsam in seinen Kopf fließen, regte sanft die Bereiche im Gehirn an, die für das Bewusstsein zuständig waren.

 

Der Ninja stöhnte leise und seine Lider begannen zu flattern. In dem Moment, in dem er seine Augen öffnete und in Sasukes Kekkei Genkai blickte, befand er sich auch schon in seinem Genjutsu. Mehrere Sekunden lang sahen sie sich schweigend an. Sakura, Naruto und Kakashi beobachteten dabei Sasuke, der mithilfe seines Genjutsus allein durch Blickkontakt die Informationen aus dem Shinobi herausbekam, die er ihnen freiwillig nicht verraten wollte. Schließlich rollten seine Augen in seinem Kopf zurück und Sakura spürte, wie er erneut das Bewusstsein verlor. Sasuke stand auf, ohne dem Feind einen weiteren Blick zu würdigen. Sie ließ den Ninja vorsichtig los und stellte sich zu ihrem Teamkameraden. Auch Naruto und Kakashi traten nun näher.

 

„Sein Name ist Tenchi“, verkündete Sasuke nun den Namen des Unbekannten. Sein Sharingan deaktivierte sich und er wirkte wieder ruhiger, als noch Momente zuvor. Mit verschränkten Armen begann er zu erzählen, was er herausgefunden hatte. „Er stammt vom Aburame-Clan ab. Seine Mutter kam von Konoha nach Iwagakure, um seinen Vater zu heiraten. Organisiert wurde diese Ehe vom damaligen Tsuchikage, um die Beziehung zwischen unseren beiden damals noch verfeindeten Dörfern zu verbessern.“

 

„Deshalb kann er also die Insekten beherrschen“, sagte Kakashi. „So etwas in der Art habe ich mir schon gedacht.“ Sakura nickte zustimmend. Ihr war ebenfalls der Gedanke gekommen, dass dieser Ninja aus Konoha stammen könnte, da er optisch nicht dem typischen Iwa-Nin entsprach. Jedoch handelte es sich bei ihm um keinen Nuke-Nin, wie sie zuerst vermutet hatte. Er trug also das Erbe seiner Mutter in sich, einer Kunoichi aus Konoha.

 

„Sein Kekkei Genkai hat er allerdings von seinem Vater“, fuhr Sasuke fort. „Er stammt aus dem Shinpai-Clan. Die Mitglieder dieser Familie haben die Fähigkeit Gedanken und Gefühle von anderen zu lesen, allerdings benötigt es, wie wir schon wissen, Körperkontakt. Sie sind außerdem dazu in der Lage, den Gegner Angst empfinden zu lassen. Diese Fähigkeit ähnelt einem Genjutsu, ist aber allein auf den Bereich im Gehirn konzentriert, der für die Angst zuständig ist.“ Sasuke wandte den Blick zu dem bewusstlosen Tenchi. „Bei ihm scheint diese Fähigkeit besonders stark ausgeprägt zu sein. Er kann sogar die Gestalt wechseln und sich transformieren.“

 

„Dann hat er den Tsuchikage umgebracht?“, fragte Kakashi.

 

Sasukes schwarze Augen wanderten zurück zu seinem Sensei. „Nein“, antwortete er ruhig. „Aber sein Bruder.“

 

Für einen Moment war es still.

 

„Was?“, verbalisierte Naruto das, was alle dachten. Fassungslos ging sein Blick zu ihrem Gefangenen. Sie wussten, was das bedeutete: die Mission war noch nicht vorbei und der Schuldige noch nicht gefunden. „Und wir dachten …“

 

„Was weißt du über seinen Bruder?“, wollte Kakashi wissen.

 

„Er heißt Toshio und ist der ältere von beiden. Die beiden hatten – sagen wir es mal so – keine schöne Kindheit. Die Details erspare ich euch. Ihre Eltern starben – sie bei einem Unfall und er einige Jahre später während einer Mission. Kurz darauf haben die beiden Brüder Iwa verlassen und streifen seitdem durchs Erdreich. Den beiden ist es gelungen, die Fähigkeiten von beiden Clans zu kombinieren. Mithilfe ihres Chakras haben sie Käfer gezüchtet, die Angst in Form von Gift durch einen Biss bei einem Menschen hervorrufen können.“

 

„Und wie kann man dieses Kekkei Genkai bezwingen?“, stellte Naruto die alles entscheidende Frage.

 

„Ich konnte keine Schwachstellen erkennen“, sagte Sasuke monoton. „Wie bei allen Kekkei Genkais bleiben somit nur die Optionen Chakraverlust oder der Tod des Anwenders. Solange wir keinen Körperkontakt zu ihm herstellen oder von einem Käfer gebissen werden, haben wir nichts zu befürchten.“ Seine Augen wanderten zu Sakura. Sie glaubte so etwas wie Bedauern in seinem Blick erkennen zu können. „Wenn er aber jemanden berührt hat, muss er in der Nähe sein, um die Halluzinationen auszulösen. Aus der Entfernung funktioniert es nicht.“

 

Sakura spürte, wie ihre Mundwinkel nach unten wanderten. „Das heißt … diese Verbindung besteht …. für immer?“ Sie fühlte sich elendig und Sasukes Nicken daraufhin machte es nicht viel besser. Wenn sie wieder in Konoha war hatte sie nichts mehr zu befürchten. Doch nun wäre sie ihm rund um die Uhr ausgeliefert, solange er in ihrer Nähe war – zumindest wenn er bei Bewusstsein war.

 

Kakashi fuhr sich mit einer Hand über das verwuschelte Haar und rieb sich nachdenklich den Nacken. „Das heißt also, wir müssen diesen Toshio finden. Was weißt du noch über ihn?“

 

Sasukes Augen musterten erneut den bewusstlosen Tenchi. Sein Blick schien in der Ferne zu liegen, in der Vergangenheit der beiden Brüder, die er durchleuchtet hatte. „Er ist der stärkere und gefährlichere von beiden.“

 

„Und wieso hatten sie es auf den Tsuchikage abgesehen?“, fragte Naruto.

 

Regungslos sah Sasuke ihn an. „Was glaubst du wohl?“

 

„Rache“, antwortete Kakashi für ihn, den Blick auf den Schwarzhaarigen gerichtet.

 

Sasuke nickte. „Ihr Vater hat seine Frau gehasst, da er sie gegen seinen Willen heiraten musste. Beide waren dazu gezwungen worden und hatten kein Wort mitzureden. So wie es in alten Clans nun einmal der Brauch war. Während sie sich der Rolle annahm und ihr Schicksal pflichtbewusst akzeptierte, ließ er seinen Frust an ihr aus. Hinter verschlossenen Türen wurde er oft gewalttätig und die beiden Kinder bekamen alles mit.“ Sein Blick veränderte sich leicht. Es musste nicht leicht für ihn gewesen sein, diese Erinnerungen mitzuerleben. „Schließlich kam es zu dem Unfall. Der Vater schlug einmal zu oft zu. Deshalb hassten die beiden von diesem Zeitpunkt an ihren Vater nur umso mehr, der verantwortlich war für den Tod ihrer Mutter. Zusätzlich machten sie den Tsuchikage dafür verantwortlich, da er diese Ehe arrangiert hatte. Noch dazu wurden die Umstände ihres Todes vertuscht. Dem Aburame-Clan gegenüber wurde behauptet, sie habe ihr Leben bei einer Mission verloren, damit sie niemandem aus Iwa die Schuld geben konnten, denn das Verhältnis der beiden Dörfer war nach wie vor angespannt. Von daher war der Tsuchikage nicht ihr einziges Ziel. Konoha gaben sie ebenso die Schuld. Der Sandaime, der damals als Hokage die Vereinbarung mit Iwa geschlossen hatte, lebt allerdings nicht mehr, deshalb–“

 

„–wollen sie sich am amtierenden Kage rächen“, ergänzte Kakashi ohne mit der Wimper zu zucken. „Verstehe.“

 

Sakura musterte Tenchi und verspürte so etwas wie Bedauern. Auch wenn er ihr Feind war und sie ihm am liebsten noch ein paar weitere Knochen brechen würde, für das, was er getan hatte und das, was er noch vor hatte, so konnte sie es nicht verhindern so etwas wie Mitgefühl für ihn zu empfinden. Wieder einmal zeigte sich, dass die Menschen nicht von Grund auf böse waren. Er wurde nicht als Monster geboren, sondern wurde erst zu einem gemacht, von anderen Menschen, die ihm Leid zufügten. Hätte er eine normale Kindheit und keinen gewalttätigen Vater gehabt, wäre er vermutlich zu einem ganz anderen Menschen herangewachsen. Doch das Schicksal meinte es nun einmal nicht mit jedem gut.

 

Sakura rief sich immer wieder in Erinnerung, wie glücklich sie sich mit ihren Eltern schätzen konnte. Nicht nur die Tatsache, dass sie sich so gut mit ihnen verstand, sondern auch, dass sie überhaupt noch lebten. Denn in Team 7 war sie die einzige, die nicht als Waise groß geworden war. Sasuke, Naruto und Kakashi hatten ihre Familien schon sehr früh verloren und jeder von ihnen hätte einen Grund gehabt sich ebenfalls der Rache hinzugeben und einen anderen Weg einzuschlagen. Vielleicht war das Band von Team 7 deshalb so stark, weil sie sich gegenseitig nicht als Team, sondern als Familie betrachteten.

 

Tenchi und Toshio waren ganz alleine und hatten nur noch einander. Als Kinder mussten sie unendliche Angst vor ihrem Vater gehabt haben und nun gaben sie einen Teil dieser Angst zurück und ließen sie andere mithilfe ihrer Käfer und ihres Kekkei Genkai spüren. Letztendlich würde die Rache aber weder die erwartete Befriedigung verschaffen, noch das damals erlittene Leid beseitigen.

 

„Nun gut“, sagte Kakashi, der sein Team der Reihe nach ansah. „Wir werden mit dem Gefangenen nach Iwagakure zurückkehren und dem Tsuchikage mitteilen, was wir herausgefunden haben. Er soll dann entscheiden, wie es weitergeht. Wir machen eine halbe Stunde Pause, dann brechen wir auf.“

 

Mit diesen Worten löste sich ihre kleine Gruppe auf. Kakashi zog sich in den Schatten eines Felsen zurück, von dem aus er Tenchi im Blick behalten konnte. Es dauerte nicht lange, da hielt er bereits sein Buch in der Hand und gab vor zu lesen. Sakura vermutete allerdings, dass der Kopierninja insgeheim an einem Plan tüftelte, wie es weitergehen sollte. Immerhin war nach Sasukes Informationen Konoha nun ebenfalls direkt betroffen, wenn die beiden Brüder es sich als Ziel gesetzt hatten, den Hokage umbringen zu wollen.

 

Naruto bediente sich an seinem Rucksack und holte eine Wasserflasche hervor, die er gierig leerte. Sasuke zog sich auf einen hohen Felsen zurück und Sakura suchte sich ebenfalls ein schattiges Plätzchen, lehnte sich gegen eine halbwegs bequeme Felswand und schloss die Augen. Einen Moment lang war jeder für sich und hing seinen Gedanken nach, verarbeitete die neuen Informationen und schöpfte Ruhe, bevor die Mission weiterging. Die Sonne näherte sich immer weiter dem Horizont. Schon bald würde sie untergehen und die Nacht hereinbrechen.

 

Auch im Schatten des Felsen war es noch angenehm warm. Die Temperaturen im Erdreich ähnelten denen im Feuerreich. Es war ständig Sommer. Sakura konnte sehen, wie Naruto sich seine Weste auszog und ein wenig Wasser ins Gesicht spritzte, kurz darauf sein blondes Haar schüttelte und sie mit diesem Anblick an einen Ninken erinnerte. Sie schmunzelte leicht.

 

Dann wanderte ihr Blick wieder höher und sie fand Sasuke etwa zwanzig Meter entfernt auf einem Felsvorspring sitzen. Sie konnte nur seinen Rücken sehen. Auch er hatte die Weste ausgezogen. Sein schwarzes Haar wehte leicht im Wind. So wie er da saß und in die Ferne blickte wirkte er verletzlich. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie es sein musste, die Erinnerungen von Tenchi mitzuerleben, die Gewalt in der Kindheit und der grausame Tod der Mutter. Sasuke hatte nicht erwähnt, ob die Gewalt sich nur gegen sie oder auch gegen die Kinder gerichtet hatte. Alleine der Gedanke ließ sie frösteln. Unweigerlich formten sich Bilder in ihrem Kopf, die sie sofort versuchte zu verdrängen. Ob die beiden Kinder dabei gewesen waren, als der Vater ihre Mutter umgebracht hatte?

 

Wenn diese Vorstellung für sie schon so schrecklich war, wie musste es dann erst für Sasuke gewesen sein? Soweit sie wusste hatte er als Kind das Massaker seines Clans miterlebt. Sie kannte nicht viele Details, nur dass sein eigener Bruder dafür verantwortlich war. Sasuke redete nie darüber. Im Dorf gab es natürlich viel Gerede, von dem sie annahm, dass mindestens die Hälfte davon nicht der Wahrheit entsprach. Sasuke war damals noch so jung gewesen, gerade einmal sieben Jahre alt. Wie schrecklich musste das für ein Kind sein? Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie konnte sich an den Sasuke vor jenem Ereignis nicht mehr genau erinnern, viel mehr an den schweigsamen, zurückgezogenen Jungen, der er nachdem geworden war.

 

An dem Tag, als sie sich als Team 7 vorstellen sollten, hatte er erwähnt, dass er sich an jemandem rächen wollte. Jahrelang hatte sie gegrübelt, wen er meinen könnte, bis sie zu dem Schluss gekommen war, dass es sich dabei nur um seinen Bruder handeln konnte. Die Provokation von Tenchi deutete darauf hin, dass die Wunde immer noch frisch war und Sakura fragte sich, was aus Sasukes damaligen Rachegedanken geworden sein mochten.

 

Schritte rissen sie aus ihren Grübeleien und als sie ihren Blick vom Schwarzhaarigen abwandte, den sie die ganze Zeit über beobachtet hatte, bemerkte sie wie Naruto auf sie zukam. Gemütlich ließ er sich neben ihr nieder und lehnte sich ebenfalls an den Felsen. Er zog die Beine an und legte seine Unterarme auf seine Knie. Die Ärmel seines Pullovers hatte er hochgekrempelt und sie konnte die gebräunte Haut betrachten, die ihre eigene unnatürlich blass erschienen ließ.

 

Naruto sagte nichts, saß einfach nur da und starrte in die Ferne. Sakura rutschte zu ihm herüber und legte ihren Kopf gegen seine Schulter. Sie schloss ihre Augen und spürte wenig später, wie auch er den Kopf neigte und ihn gegen ihren lehnte. In seiner Gegenwart fühlte sie sich so sicher, dass sie auf der Stelle einschlafen könnte.

 

In den letzten Jahren waren sich Sakura und Naruto näher gekommen und solche vertrauten Momente wie diese waren nichts Seltenes. Ihre Beziehung war rein freundschaftlicher Natur. Ihr Verhältnis zueinander pendelte zwischen beste Freunde und Bruder und Schwester. Sie waren sich nahe, vertrauten einander und mochten einander – aber eben nur als Freunde. Auch wenn es bei Naruto am Anfang anders gewesen war. Damals in der Akademie und zu Beginn von Team 7 war der Blondschopf in die Rosahaarige hoffnungsvoll verknallt gewesen, doch nach einiger Zeit hatte sich diese Schwärmerei zu einer Freundschaft entwickelt. Und so, wie es jetzt war, war es genau richtig.

 

„Sakura, du schnarchst.“

 

Träge öffnete sie ihr rechtes Auge. „Red‘ keinen Stuss.“

 

„Ich sag’s dir. Du schnarchst lauter als Kiba.“

 

Grummelnd löste sie sich von Narutos bequemer Schulter und rieb sich mit der einen Hand die müden Augen. Mit der anderen boxte sie ihm halbherzig gegen den Oberarm. „Ich hab gar nicht geschlafen“, behauptete sie wie ein trotziges, kleines Kind.

 

Naruto rollte mit den Augen. „Wenn du das sagst.“

 

Sofort wanderte ihr Blick zu dem Felsen, auf dem Sasuke gesessen hatte. Er war nun nicht mehr zu sehen. Bei dieser Erkenntnis verspürte sie Enttäuschung. „Geht es ihm gut?“, murmelte sie schlaftrunken, während sie sich noch einmal müde die Augen rieb.

 

„Sasuke ist zäh“, antwortete Naruto, der sofort wusste, von wem sie sprach. „Jeder tickt mal aus. Sogar er. Das wird schon wieder.“ So unbeschwert wie er das sagte klang es, als wäre es keine große Sache. Aber irgendwie wollten sie diese Worte nicht beruhigen. Trauer zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab und ihre Mundwinkel wanderten weit nach unten. Naruto entging auch das nicht. Sanft stupste er sie mit dem Ellenbogen an. „Jetzt guck nicht so. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“

 

Aber das war leichter gesagt als getan. Der Uchiha war ein ausgezeichneter Shinobi, doch ihn so brutal vorgehen und die Kontrolle verlieren zu sehen machte ihr schlichtweg Angst.

 

Die nächsten Worte sprach Naruto nur leise aus. „Er macht sich auch Sorgen um dich. Weißt du?“

 

Langsam drehte Sakura ihren Kopf in Narutos Richtung, während sie versuchte seine Worte zu verstehen. Mit großen Augen sah sie ihn an. Ungläubig … und irgendwie auch … hoffnungsvoll? Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen – oder zu fragen … Sie wusste es selbst nicht. Kein Wort kam heraus.

 

Liebevoll sah Naruto die Kunoichi an. „Was glaubst du, weswegen er so ausgetickt ist? Es hat ihn beinahe wahnsinnig gemacht mit anzusehen wie dieser Tenchi dich quält.“

 

Ihr Kopf war plötzlich leer. Sie hatte diese Worte gehört, aber sie wollte sie nicht so recht verstehen. Für einen Moment fragte sie sich, ob Naruto einen Scherz machte. Der Gedanke, dass sie Sasuke so wichtig war, fühlte sich merkwürdig fremd an. So unrealistisch. Sie sollte der Grund sein, weshalb er Tenchi die Nase gebrochen hatte? Die Zweifel blieben, doch ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. Es fühlte sich gut an.

 

Plötzlich sah sich Naruto ertappt um und verzog das Gesicht. „Öhm, verrat ihm aber nicht, dass ich dir das gesagt habe, okay?“ Nervös lächelnd kratzte er sich am Hinterkopf. Sakura sah sich um, auf der Suche nach Sasuke, doch sie konnte ihn nirgendwo entdecken. In diesem Moment sehnte sie sich danach in seiner Nähe zu sein.

 

„Sakura, ich weiß, was damals zwischen euch vorgefallen ist.“

 

Erschrocken sah sie Naruto an. „Was?“ Mit dieser Information überrumpelte er sie total und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Bisher hatte sie angenommen, dass abgesehen von ihr und Sasuke niemand davon wusste. Und da sie es ihm nicht gesagt hatte blieb nur eine logische Erklärung. „Er hat es dir erzählt?“

 

Naruto nickte. Sein Blick wurde ernst, was zu dem blonden Chaosninja nicht so recht passen wollte. „Nicht sofort. Aber später. Er wusste nicht, wie er damit umgehen soll.“

 

Mit einem Mal fühlte sie sich gejagt. Alles in ihr schrie nach Flucht. Naruto würde darüber reden wollen, aber – war sie schon bereit dafür? In ihrem Magen breite sich ein unangenehmes Ziehen aus, als würde sich eine riesige Schlange darin winden. Ihr Mund wurde trocken. Den Blick hielt sie starr auf eine Felswand vor ihr gerichtet, da sie sich nicht traute Naruto anzusehen. Eine Frage wiederholte sich immer wieder in ihrem Kopf: Was genau hatte Sasuke ihm erzählt? Etwa alles? Die ganze, erschreckende Wahrheit?

 

Gequält verzog sie das Gesicht. Was musste Naruto nun von ihr halten? Ihr Körper drängte geradezu danach einfach aufzustehen und zu gehen. Noch dazu kam das schlechte Gewissen Sasuke gegenüber. Jahrelang hatte sie sich gewünscht sie hätte sich ihm damals gegenüber anders verhalten und sie wäre stärker gewesen, aber Sakura Haruno war nun einmal schwach. Zumindest psychisch. Die Gefühle hatten sie beherrscht, obwohl sie es eigentlich besser wissen müsste.

 

„Sakura.“ Naruto wandte sich mit dem Oberkörper in ihre Richtung und legte ihr aufmunternd eine Hand auf die Schulter. „Du solltest mit ihm darüber reden. Du hättest schon vor drei Jahren mit ihm darüber reden sollen. Ihr leidet beide immer noch darunter.“

 

Mit zusammengepressten Zähnen schüttelte sie den Kopf. Er verstand es einfach nicht. Darüber zu reden würde nicht nur weh tun, sondern auch an der Situation nichts ändern. Allein diese Mission hatte doch gezeigt, dass sie sich beide zu sehr voneinander entfernt hatten. Wieso es also nicht dabei belassen? So waren sie beide besser dran. Das mühsam aufgebaute Vertrauen war erschüttert und würde sich niemals wieder festigen.

 

„Sakura …“

 

„Ich kann nicht“, presste sie mit brüchiger Stimme hervor.

 

„Du musst aber, sonst wirst du das niemals verarbeiten können.“

 

Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. Das war ihr doch auch klar. Aber sich zurückzuziehen und sich vor der grausamen Wahrheit zu verstecken war nun einmal leichter, als sich der harten Realität zu stellen. Tsunade hatte ihr vielleicht geholfen stark zu werden, doch hierbei handelte es sich um einen Gegner, den sie niemals bezwingen konnte.

 

Lange sagte keiner von beiden ein Wort. Naruto seufzte. Es klang nach Resignation. „Weißt du, wir beide sind vor kurzem unseren größten Ängsten begegnet. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe seit diesem Moment oft darüber nachgedacht. Mir war es wohl vorher nie so wirklich bewusst.“ Er lächelte vor sich hin, während er weitererzählte. „Du kennst mich ja, ich bin ziemlich furchtlos und stelle mich unerschrocken jedem Gegner.“ Dann verblasste sein Lächeln wieder. „Eines Tages will ich Hokage werden und das Dorf beschützen. Doch der Gedanke, ich könnte irgendwann die Kontrolle über das Kyūbi verlieren und vielleicht unwillentlich das Dorf zerstören …“ Schmerzhaft verzog er bei dieser Vorstellung das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Das könnte ich nicht ertragen. Den Leuten zu schaden, die ich versuche zu beschützen, das ist meine größte Angst.“ Langsam drehte er den Kopf, sah sie mit seinen blauen Augen an. Sie erwiderte seinen Blick, ergriffen von seiner Ehrlichkeit, die ihn irgendwie verletzbar, aber auch unheimlich sympathisch machte. „Was ist deine größte Angst?“, fragte er geradeheraus.

 

Sakura brauchte nicht lange nachzudenken. Schon im Vorfeld hatte sie sich mit dieser Frage beschäftigt, als sie erfahren hatten, dass diese mysteriösen Käfer Ängste hervorrufen können. Es war auch keine große Überraschung gewesen, dass Sasuke ein großer Teil dieser Ängste war. „Mir geht es ähnlich“, gab sie leise zu. „Ich weiß, dass irgendwann dieser Tag kommen wird, aber ich fürchte mich davor, jemanden zu verlieren, der mir etwas bedeutet.“

 

Bei diesem Geständnis tauchten Bilder in ihrem Kopf auf – die Gesichter ihrer Freunde. Ihre Eltern, Tsunade, Naruto und Kakashi, alles Personen, mit denen sie stark verbunden war. Weitere Gesichter tauchten auf … Ino … und natürlich … Sasuke. Sie schloss die Augen, rief sich die Szene in Erinnerung, die sie immer noch in ihren Alpträumen heimsuchte. Sasuke zu verlieren war das Schlimmste, das sie jemals hatte durchleben müssen. Und nun tat sie nichts anderes als ihn aus ihrem Leben zu stoßen.

 

Wo war da der Sinn?

 

Ganz einfach. Sie konnte nicht mit ihm, aber auch nicht ohne ihn.

 

„Heute Morgen, als du etwas auf dem Flur gesehen hast“, fing Naruto vorsichtig an. Sakura schloss die Augen, wartete darauf, dass er weitersprach, auch wenn sie schon wusste, was er sagen wollte. Nachdem sie Sasuke so unhöflich abgewiesen hatte, hatte Naruto bereits eine Andeutung gemacht, dass sie Halluzination und Realität nicht verwechseln sollte. „Ich habe lediglich eine Vermutung. Aber was genau hast du da gesehen?“

 

Die Augen immer noch geschlossen haltend stieß sie den Atem, den sie unbewusst angehalten hatte, zwischen den Lippen aus. Naruto konnte es sich eh schon denken. Weshalb also lügen? „Es war … Sasuke … mit einer anderen.“ Diese Worte auszusprechen tat weh. Dabei war es doch lächerlich. Denn inzwischen hatte sie sich damit abgefunden, dass aus ihnen niemals etwas werden würde. Sie hatte sich geschworen, über ihn hinwegzukommen, hatte das vielleicht auch eine Zeit lang geglaubt, als es ihr gelungen war, ihm erfolgreich aus dem Weg zu gehen. Doch diese Mission hatte ihr die Augen geöffnet. Und genau in diesem Moment, wurde es ihr klar.

 

„Wieso macht dir dieser Gedanke solche Angst?“, fragte Naruto sanft. Er klang, als wüsste er bereits die Antwort, wollte sie aber aus ihrem Mund hören.

 

Langsam öffnete sie die Augen, versuchte sich der Realität zu stellen. „Ich schätze …“ Diesen Schritt zu gehen fiel ihr nicht leicht, doch wie immer half Naruto ihr dabei.

 

„Liebst du ihn noch?“

 

Sakura zögerte, dann nickte sie und versuchte den dicken Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken, damit sie sprechen konnte. „Die erste große Liebe vergisst man nicht so schnell.“

 

Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie Naruto sie betrachtete. „Also für mich war das ein Ja“, sagte er und Sakura fand, dass er merkwürdig zufrieden klang.

 

Vielleicht lag es daran, dass er im Gegensatz zu ihr wusste, dass Sasuke nur einige Meter entfernt in Hörweite stand und ihre letzten Worte mitgehört hatte.

 
 

* * *

 

Wenig später war die kurze Verschnaufpause auch schon wieder vorbei und Sakura und Naruto machten sich auf den Weg zu ihrem restlichen Team. Schon von Weitem konnte Sakura sehen, dass Sasuke und Kakashi einander gegenüberstanden und sich unterhielten. Als sie sich ihnen näherten sahen sie zeitgleich in ihre Richtung. Der Gefangene schien immer noch bewusstlos und hing schlaff in seinen Fesseln. Es wurde Zeit, dass Sakura ihm zumindest den Kiefer heilte. Die Schmerzen wären sonst, sobald er aufwachte, kaum auszuhalten.

 

Sasuke wandte sich von Kakashi ab und kam auf die beiden zu. Für einen Moment stutzte sie bei seinem ernsten Gesichtsausdruck. Statt vor ihnen stehen zu bleiben, wie sie vielleicht erwartet hatte, ging er einfach weiter, packte sie am Oberarm und zog sie mit sich mit. Naruto ging einfach weiter, als wäre nichts geschehen.

 

Das einzige, was Sasuke in einem barschen Befehlston zu ihr sagte, war: „Komm mit.“

 

Völlig überrumpelt ließ Sakura sich mitziehen. „Was soll das?“

 

„Wir müssen uns unterhalten.“

 

„Jetzt?“ Über ihre Schulter schaute sie zurück zu Kakashi und Naruto, die ihnen beide hinterher sahen. Aus der Ferne konnte sie ihre Mimik nicht deuten. „Aber ich dachte wir kehren jetzt nach Iwagakure zurück.“

 

„Nein.“ Sasuke ging einfach weiter, ohne sie auch nur anzusehen. „Ich habe Kakashi gesagt, dass ich ungestört mit dir reden will. Sie werden uns für eine Weile in Ruhe lassen. Die Mission kann warten.“

 

Das verschlug ihr glatt die Sprache. Ohne Widerworte ließ sie sich mitziehen, bis Sasuke genug Distanz zwischen sich und die anderen gebracht zu haben schien, sodass sie ungestört waren. Die riesigen Felsen versperrten ihnen nun die Sicht. Sakuras Herz schlug vor Aufregung augenblicklich höher. Sie wusste nicht, was sie erwarten sollte. Weshalb wollte Sasuke ungestört mit ihr reden? Ging es vielleicht um die Mission? Hatten er und Kakashi etwas besprochen, was er ihr nun mitteilen wollte?

 

Ein Blick in sein Gesicht genügte um sicher zu sein, dass es sich keineswegs um die Mission handelte. Ihr rutschte das Herz in die Hose. Eine Vorahnung beschlich sie. Seine dunklen Augen sahen sie durchdringend an und sie wusste, dass es aus dieser Situation kein Entkommen gab.

 

Sie beide waren allein. Dafür hatte er gesorgt. Denn er wollte reden. Mit ihr.

 

Er wollte Antworten.

 

Er hatte den Mut, den sie nicht aufbringen konnte.

 

Sein Blick war entwaffnend, er schien sie zu durchbohren und willenlos zu machen, weshalb sie ihm auswich und stattdessen die spitze Kante eines Felsen fixierte.

 

Diese Situation machte sie unheimlich nervös. „Wo-worüber willst du denn mit mir reden?“

 

Erst als ihre Augen wieder unsicher auf seine trafen, ließ er sich zu einer Antwort herab. Und sein Anblick verschlug ihr die Sprache. So durchdringend hatte er sie schon einmal angesehen, in jener Nacht.

 

„Über uns.“

Helle, anklagende Augen

„Ey Stirni, mach mal Platz.“

 

Ino wartete gar nicht erst ab, bis Sakura reagierte, sondern ließ sich sofort neben ihr auf dem Erdboden nieder. Mit dem Rücken lehnten sie beide gegen einen umgestürzten Baumstamm. Das Lagerfeuer knisterte leise vor sich hin und warf tanzende Schatten auf die vier ausgebreiteten Schlafsäcke, die darum platziert lagen.

 

Momentan befanden sie sich auf dem Weg nach Tanzakugai. Das kleine Dorf war vor zwei Tagen von einem Erdrutsch überrascht worden und hatte Konoha um Hilfe gebeten. Teile des Krankenhauses waren beschädigt worden und deren Medic-Nins mit den Verwundeten heillos überfordert, sodass Kakashi, der gerade erst zum Hokage ernannt worden war, sich dazu entschlossen hatte Unterstützung zu schicken. Da Tsunade in Konohas Krankenhaus unentbehrlich war entschied er sich dazu Sakura und Ino zu schicken, die beide gerade in ihrer medizinischen Ausbildung steckten. Dieser Einsatz wäre eine gute Möglichkeit für sie, um das bereits Erlernte auszuprobieren und neue Erfahrungen zu sammeln.

 

„Wir beide waren vorher noch nie zusammen auf einer Mission. Ich dachte ja, du würdest mir nur auf die Nerven gehen“, grinste Ino, „aber ich muss zugeben, so sehr nervst du gar nicht.“

 

Sakura schnitt ihr eine Grimasse. „Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, Ino-Pig.“

 

Die Blonde legte schmunzelnd den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. Er war wolkenklar und der helle Vollmond zeigte sich doppelt so groß wie sonst am Firmament und tauchte ihr hübsches Gesicht in ein silbernes Licht.

 

„Ist das nicht romantisch?“, fragte Ino mit leiser, verträumter Stimme, als wäre sie in Gedanken ganz weit weg. „Die perfekte Kulisse für ein Doppeldate.“

 

„Ino!“ Sakura sah ihre Freundin erschrocken an. Sie warf einen Blick zu den anderen zwei Mitgliedern ihres Teams. In einigen Metern Entfernung standen Sasuke und Shikamaru, die sich leise miteinander unterhielten. Sie komplettierten ihr Team, um in Tanzakugai beim Wiederaufbau zu helfen und nach Überlebenden zu suchen. Hoffentlich hörten die beiden ihr verrücktes Gefasel nicht. Schließlich befanden sie sich auf einer ernst zunehmenden Mission und nicht auf einem Date. „Hör auf so einen Quatsch zu reden! Du bist doch echt verrückt!“

 

Aber Ino kicherte nur leise. „Ja, aber gib zu, genau das liebst du an mir.“

 

Resignierend schüttelte Sakura den Kopf. Doch dann dachte sie genauer darüber nach, was ihre Freundin soeben gesagt hatte. „Moment mal, heißt das … Du und Shikamaru?“

 

Mit hochgezogenen Augenbrauen sahen Inos helle Augen sie an. Unschuldig legte sie den Kopf schief. „Wer sagt denn, dass ich von Shikamaru rede?“

 

Geschockt zog Sakura die Luft ein, als sie verstand. „Was? Aber du– Da heißt– Was?“

 

Sofort brach Ino in schallendes Gelächter aus, was ihr auch einen irritierten Blick von Sasuke und Shikamaru einbrachte. „Beruhig dich, Stirni. Ich mache nur Spaß. Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen.“ Belustigt stupste sie ihr mit dem manikürten Zeigefinger in die Wange, doch Sakura wischte ihre Hand mit einer schnellen Bewegung barsch beiseite.

 

Sie knurrte leise. „Das ist nicht lustig!“

 

Ino grinste immer noch. Sie betrachtete Sakura interessiert und richtete dann ihren Blick zu den beiden Jō-Nin. „Als wenn ich bei Sasuke eine Chance hätte“, sagte sie leise und Sakura entging nicht der leicht traurige Unterton. Schon seit ihrer Kindheit hatten sie beide um die Aufmerksamkeit des Uchihas gebuhlt, waren unerbittliche Konkurrentinnen gewesen. Sakura hatte ihr damals sogar wegen ihm die Freundschaft gekündigt. Eine Entscheidung, die sie mittlerweile bereute. Doch wie es das Schicksal wollte hatten die beiden kurz nach den Chū-Nin-Prüfungen wieder zueinander gefunden und ihre Freundschaft war seitdem stärker denn je. Ino Yamanaka, die hübsche Kunoichi aus Team 10, war ihre beste Freundin, diejenige, der sie ihre Geheimnisse anvertrauen, mit der sie lachen, aber auch weinen konnte. Gemeinsam nahmen sie Unterricht bei Tsunade Senju, um sich zu Medic-Nins ausbilden zu lassen. Als Sakura erfahren hatte, dass sie gemeinsam auf eine Mission gehen würden, war sie vor Freude in die Luft gesprungen.

 

„Was läuft da zwischen euch?“, fragte Ino ehrlich interessiert.

 

„Was meinst du?“

 

„Komm schon, Sakura. Spiel nicht die Blöde. Ich sehe doch die Blicke, die ihr euch gegenseitig zuwerft.“

 

Überrascht weiteten sich ihre grünen Augen. Sie sah in Sasukes Richtung, der nach wie vor mit Shikamaru sprach.

 

„Deine schmachtenden Blicke sind wir ja alle gewohnt“, fuhr Ino seufzend fort, „aber dass er auch Interesse hat ist neu für mich.“

 

Vor Verblüffung klappte ihr der Mund auf. Sakura war sprachlos. Hierbei konnte es sich doch nur um ein Missverständnis handeln. Sasuke Uchiha hatte Interesse an ihr? Beinahe hätte sie laut losgelacht. Natürlich wünschte sie sich, dass diese Behauptung der Wahrheit entspräche, aber sie konnte es sich einfach nicht vorstellen. Auch wenn ihr schon aufgefallen war, dass sich ihre Freundschaft in letzter Zeit leicht verändert hatte. In den vier Jahren, in denen sie nun schon ein Team bildeten, waren sie sich nie so nahe gestanden wie jetzt. Sie verstanden sich gut, das stimmte, aber konnte sie es wirklich wagen mehr hineinzuinterpretieren, als bloße Kameradschaft?

 

„Sakura, es ist offensichtlich, dass er dich mag.“

 

„Meinst du wirklich?“, fragte sie von Zweifeln geplagt. Sakura überlegte, versuchte sich an etwas zu erinnern, was Ino aufgefallen sein mochte. Umso länger sie suchte, desto mehr Zeichen fielen ihr auf – eine zufällige Berührung, ein leichtes Lächeln, die Wärme in seinen Augen, wenn er mit ihr sprach. Sie wurde leicht rot um die Nase bei der Vorstellung, er könnte wirklich ihre Gefühle erwidern. Ihr Herz schlug automatisch schneller.

 

Ino nickte. „Vertrau mir und meinem scharfen Beobachtungssinn.“ Da musste Sakura ihr zustimmen. Die Blonde hatte wirklich ein Talent für so etwas. Schließlich war sie auch die erste gewesen, die bemerkt hatte, dass sich etwas zwischen Tenten und Neji entwickelte.

 

„Na los, schnapp ihn dir.“ Ino stieß ihr leicht mit dem Ellenbogen in die Seite. „Du hast meinen Segen. Aber ich sage dir eins, Stirni. Vermassel es bloß nicht. Versprich mir nur mir im Anschluss alles zu erzählen. Und zwar alle Details! Wir sind doch beste Freundinnen.“ Mit einem verschmitzten Lächeln zwinkerte sie ihr zu.

 

Verlegen lächelte Sakura. Verliebt betrachtete sie ihre große Liebe. Wenn es etwas zu erzählen gab, dann wäre Ino die erste, der sie es erzählen würde. Das stand fest.

 

„Versprochen.“

 

Drei Stunden später saß Sakura in den Bäumen. Sie hatte es sich auf einem breiten Ast einer Pinie gemütlich gemacht, denn sie hielt die erste Wache. Während die anderen am bereits gelöschten Feuer schliefen überwachte sie die Umgebung. Der helle Vollmond machte es ihr leicht die weite Landschaft zu überblicken. Es war beinahe so hell, als wäre es Tag. Falls sich jemand anschleichen würde, würde sie das bemerken.

 

Sie gähnte herzhaft. Noch eine Stunde, dann würde Sasuke sie ablösen, und sie würde sich in ihren gemütlichen Schlafsack kuscheln können, um auch ein wenig Schlaf zu bekommen. Am nächsten Tag würden sie Tanzakugai erreichen und sie rechnete damit, dass es ein langer und anstrengender Tag werden würde. Sie hoffte nur, dass es die Bewohner dieses Dorfes nicht allzu schlimm erwischt hatte. Vor allem um die Kinder machte sie sich Sorgen, die nun ihr Zuhause oder gar Familienangehörige verloren hatten. Mit ihren medizinischen Fähigkeiten würde sie nur die körperlichen Verletzungen heilen können, aber leider nicht die seelischen.

 

Plötzlich spürte sie eine Präsenz hinter sich. Blitzschnell griff sie nach ihrem Kunai, drehte sich um und hielt es ihrem vermeintlichen Angreifer gegen die Kehle. Statt sich jedoch einem Feind gegenüberzusehen starrte sie in zwei bekannte schwarze Augen, die ihren Blick unerschrocken erwiderten.

 

Die Waffe an seinem Hals ließ ihn unbeeindruckt. „Störe ich?“

 

Sie schnaubte bloß, um ihre Überraschung zu überspielen, und ließ das Kunai sinken, dass sie daraufhin wieder in ihrer Waffentasche am Bein verstaute. „Bilde dir bloß nichts ein. Ich hab dich schon vor zehn Sekunden bemerkt.“

 

Sasuke musterte ihr Gesicht. „Wenn du das sagst.“ Sein Blick schien leicht spöttisch, was ihr offenbarte, dass er ihr nicht glaubte.

 

„Was machst du hier?“, fragte sie ausweichend, während sich ihr Herzschlag von dem Schock langsam erholte. „Du musst mich erst in einer Stunde ablösen.“

 

Sasuke setzte sich neben sie auf den Ast. Der Stamm war breit genug, dass sie beide mit dem Rücken dagegen lehnen konnten. Ihre Oberarme berührten sich dabei. Früher hätte sie so etwas nervös gemacht, doch inzwischen war ihr seine Nähe vertraut.

 

„Ich konnte nicht schlafen“, antwortete er leise. „Von daher dachte ich mir, ich leiste dir ein wenig Gesellschaft.“

 

Sakura verkniff sich ein verliebtes Lächeln. Suchte er womöglich ihre Nähe? Hatte Ino vielleicht doch Recht gehabt?

 

„Hast du etwas Auffälliges bemerkt?“

 

„Nein“, antwortete sie. Erneut ließ sie den Blick über die Landschaft schweifen. „Es ist alles ruhig. Und es ist so hell, dass ein Angriff nicht unentdeckt bleiben würde. Nicht unbedingt die besten Bedingungen, um sich anzuschleichen.“

 

Minutenlang saßen sie schweigend nebeneinander und blickten hinaus in die Ferne, achteten dabei auf jedes verdächtige Geräusch, doch das einzige, was sie hörten, war das entfernte Krächzen eines Uhus sowie das Knacken der Äste im Wind. Die Stille zwischen ihnen war alles andere als unangenehm. Sie hatte eher etwas von Verbundenheit.

 

„Wie kommst du mit deiner Ausbildung voran?“, fragte Sasuke irgendwann.

 

Augenblicklich hellten sich ihre Gesichtszüge auf. „Wirklich gut! Tsunade ist zwar streng, aber sie bringt mir sehr viel bei. Ich könnte mir keine bessere Lehrmeisterin vorstellen. Ich hoffe, dass ich eines Tages auch so talentiert bin wie sie.“

 

Dass Tsunade nach Konoha zurückgekehrt war, war wirklich ein Segen für das Dorf. Vorher hatte sie sich in Tanzakugai aufgehalten, eben jenem Dorf, das sie morgen erreichen würden. Noch dazu war Sakura stolz, dass Tsunade als erste Frau das Amt des Hokage ausgeübt hatte. Die Kunoichi hatten es in der von Männern angeführten Ninjawelt nicht leicht. Viele sahen auf das schwache Geschlecht herab, dabei war Tsunade die stärkste Person, die Sakura kannte. Noch dazu war sie eine außergewöhnliche Iryōnin. Von ihr lernen zu dürfen war ein hohes Privileg.

 

„Vor ein paar Tagen durfte ich bei einer Geburt helfen.“ Sakura lächelte bei der Erinnerung. Im Kreissaal hatte viel Aufregung geherrscht. Die Patientin hatte stundenlang in den Wehen gelegen, sich vor Schmerzen gekrümmt und sich die Seele aus dem Leib geschrien. Und doch war es für sie eine schöne Erinnerung. „Allein dabei zu sein, wie ein Mensch auf die Welt kommt, war unbeschreiblich. Aber weißt du, was noch schöner war? Der Moment, in dem die Frau ihr Kind das erste Mal in den Armen gehalten hat. Obwohl die Geburt ihr alles abverlangt hatte sah sie in diesem Moment so unendlich glücklich aus.“

 

Sie sah ihn lächelnd an und musterte sein Gesicht. Er hörte ihr interessiert zu, weshalb sie fortfuhr. „Natürlich gibt es im Krankenhaus nicht nur positive Geschichten sondern auch unheilbare Krankheiten und tragische Ereignisse. Noch vor einigen Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich psychisch dazu in der Lage wäre, aber anscheinend bin ich doch stärker, als ich dachte. Das wird wohl an meiner Ausbildung als Kunoichi liegen. Wir haben schließlich schon sehr früh die ersten Kampferfahrungen gesammelt.“

 

Sasuke nickte zustimmend. „Das stimmt wohl.“

 

Eine Weile hing sie ihren Gedanken nach, angefangen mit ihrer Reise ins Reich der Wellen, über ihre Kämpfe im Wald des Schreckens, bis hin zu ihren Missionen, die sich über alle Nationen erstreckten. Vieles war in den letzten Jahren geschehen und sie hatten Erfahrungen gesammelt, auf die sie kein Lehrbuch der Welt in der Akademie hätte vorbereiten können. Im Gegensatz zu ihm entsprang Sakura keinem bedeutenden Clan, in dem das mächtige Erbe an die nächste Generation weitergegeben wurde. Ihre Eltern waren keine nennenswerten Shinobi. Sie hatten sie auch nie dazu gedrängt sich für den Weg des Ninja zu entscheiden. Dieser Wunsch war immer ganz von ihr allein gekommen. Auch wenn sie zugeben musste, dass der Schwarzhaarige, der momentan neben ihr saß, an diesem Wunsch nicht ganz unbeteiligt gewesen war.

 

Sakura wurde wieder einmal bewusst, wie lange sie schon in ihn verliebt war. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie es gewesen war, bevor sie ihn kennengelernt hatte. Der Tag, an dem sie in sein Team eingeteilt wurde, war einer der glücklichsten ihres Lebens gewesen.

 

In einem Anflug von plötzlichem Mut lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und schaute verträumt in den Himmel, an dem unzählige Sterne funkelten. Ino hatte recht gehabt, die Aussicht war wirklich romantisch. Er erwiderte die Geste zwar nicht, tolerierte ihre Nähe allerdings, was schon viel über ihn aussagte und ihr ein ungeheures Glücksgefühl bescherte. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. Leise sagte sie: „Schau mal wie groß der Mond ist.“

 

„Mhm“, murmelte er direkt neben ihr. „Die perfekte Kulisse für ein Doppeldate.“

 

Augenblick entglitten ihr sämtliche Gesichtszüge, als sie seine Worte verstand. „Grundgütiger!“ Sie rückte wieder von ihm weg und starrte ihn geschockt an. „Du hast uns gehört?“

 

„Jedes Wort.“

 

Beschämt verbarg sie ihr Gesicht in den Händen und stöhnte gequält gegen ihre Finger. Wie peinlich! Wieso hatte Ino auch nicht einfach ihre verdammte Klappe halten können? Was dachte er denn nun über sie? Argh!

 

„Ino war schon immer alles andere als leise“, meinte er bloß, als sprächen sie über nichts anderes als das Wetter.

 

„D-d-das … kann ich erklären“, stammelte sie, während sie vorsichtig durch ihre Finger zu ihm lugte. Abwartend sah er sie an, während ihr Gehirn auf Hochtouren arbeitete und versuchte eine plausible Erklärung zu finden. Aber was sollte sie sagen?

 

Schnell rief sie sich in Erinnerung, was sie und Ino alles gesagt hatten, um abzuschätzen, wie groß der Schaden war. Wenn sie genauer darüber nachdachte, war es ja eigentlich kein großes Geheimnis, dass sie ihn mochte. Schon als Kind hatte sie ihm stets ihre Gefühle um die Ohren gehauen und sich in ihren Zeiten als Ge-Nin ständig an ihn rangeschmissen. Ein Verhalten, wofür sie sich heute schämte. Rückblickend betrachtet hatte sie in dem jungen Alter noch gar nicht gewusst, was Liebe war und für ihn höchstens stark geschwärmt. Im Laufe der Jahre hatten sich ihre Gefühle weiterentwickelt. Erst als sie ihn richtig kennengelernt hatte, hatte sie sich neu in ihn verliebt. Nicht nur in den attraktiven Schönling, sondern auch in seinen Charakter. Nun, im Alter von sechzehn Jahren, war sie ruhiger geworden und versuchte ihn nicht durch ihre Aufdringlichkeit, sondern durch sich selbst für sich zu gewinnen.

 

Sasuke beugte sich zu ihr, hob seine beiden Hände, legte sie auf ihre und zog ihre Finger sanft von ihrem Gesicht, damit sie sich nicht weiter vor ihm verstecken konnte. In seinen Augen suchte sie nach einem Anzeichen, das ihr offenbarte, was in ihm vorging. Sie erwartete Spott oder Mitleid, vielleicht sogar Wut, aber stattdessen fand sie … fand sie …

 

„Ino hat Recht“, gestand er ruhig, aber bestimmt.

 

Sie blinzelte verwirrt. „W-Womit?“

 

Seine schwarzen Augen sahen sie durchdringend an, während er ihre Hände immer noch in seinen hielt. „Mit allem.“

 

Es dauerte eine Weile, bis diese Worte bei ihr Sinn ergaben. Seine Nähe führte dazu, dass sie sich kaum noch konzentrieren konnte. Sie überlegte, was Ino gesagt hatte … Sie überlegte, überlegte fieberhaft, bis –

 

„Es ist offensichtlich, dass er dich mag.“

 

Ihre Augen weiteten sich bei der Erkenntnis. Ihr Mund öffnete sich zu einer stummen Frage. Er nickte langsam. Alles um sie herum geriet in Vergessenheit, was nur noch zählte, war dieser eine Moment. Ihr Herz begann aufgeregt in ihrer Brust zu schlagen. Es kam ihr vor wie ein Traum, vollkommen unwirklich.

 

Er mochte sie?

 

Sie hatte das Gefühl etwas sagen zu müssen. Sie wollte unbedingt erwidern, dass sie ihn auch mochte. War das nicht die perfekte Gelegenheit? Ihr Herz schlug immer schneller, arbeitete in einem rasanten Tempo, während sich ihr Verstand vollkommen verabschiedete. Ihr Kopf war leer, unfähig einen klaren Gedanken zu verfassen. Alles, was sie nur noch wahrnahm, war, wie er sie ansah und wie sie sich mehr und mehr vor Nervosität anspannte. Seine Augen studierten sie, wanderten über ihr Gesicht, bis sie an ihrem leicht geöffneten Mund hängen blieben. Dann lehnte er sich langsam nach vorne und während er die letzte Distanz überwand schloss sie die Augen, nur um kurz darauf seine Lippen auf ihren zu spüren. Eine federleichte Berührung, die sie dahinschmelzen ließ und jegliche Anspannung aus ihrem Körper vertrieb. Ihre Muskeln entspannten sich und sie öffnete ihren Mund, um ihn zurück zu küssen.

 

Bei Kami, dieses Gefühl war einfach unbeschreiblich. Seine Lippen fühlten sich unglaublich an und jagten ein Kribbeln durch ihren gesamten Körper. Diese sinnlichen Berührungen seines Mundes waren äußerst erregend und erschufen in ihr eine ungeahnte Sehnsucht. Sie lehnte sich weiter vor, seufzte gegen seine Lippen, drückte ihren Mund immer und immer wieder gegen seinen. Wie lange schon hatte sie sich das gewünscht?

 

Doch auch wenn sich gerade ihr sehnlichster Wunsch erfüllte, gab es etwas, dass sich in ihr sträubte, etwas, das sie von ihm wegzog. Deshalb löste sie sich von ihm, äußerst widerwillig. Ihre Atmung ging beschleunigt und sie spürte eindeutig die Hitze in ihren Wangen. Fragend sah er sie an. Es kostete sie enorme Anstrengung und Selbstbeherrschung die folgenden Worte auszusprechen. „Wir … wir sollten das nicht tun“, murmelte sie so leise, dass es sie überraschte, dass er sie überhaupt verstand. „Wir müssen doch Wache halten. Was ist, wenn jemand angreift?“

 

Ihre grünen Augen fixierten dabei seine Lippen, Lippen, die sie so sehr auf ihren eigenen vermisste. Sie biss sich auf die Unterlippe, was ihren Widerwillen mehr als verriet.

 

Als sie wieder in seine Augen blickte sah sie seinen intensiven, verlangenden Blick. „Vertrau mir“, wisperte er, während er ihr Gesicht in beide Hände nahm und sie wieder zu sich zog. Seine Lippen pressten sich fordernd auf ihre. „Ich passe auf.“

 

Ein Keuchen entfuhr ihr, als sie seine Zunge in ihrem Mund spürte. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken, weil sie befürchtete, sonst den Halt unter dem Boden zu verlieren. Dass sie immer noch in einem Baum saßen war weit in Vergessenheit geraten. Er küsste ihren Widerwillen in Sekunden fort, drückte sie gegen den Baumstamm und beugte sich über sie. Wellen des Glücks durchströmten sie, Wellen der Liebe, des Verlangens und der Sehnsucht. Er küsste sie beinahe um den Verstand.

 

Unerwartet löste sich Sasuke abrupt von ihr und drehte den Kopf, als hätte er etwas gehört. Sakura sah noch wie seine Augen in der Dunkelheit rot aufleuchten, während sie das erstickte Geräusch hörte. Im nächsten Moment war er verschwunden. Sie schnappte nach Luft, um wieder zu Atem zu kommen und versuchte ihren beschleunigten Herzschlag zu beruhigen. Sie fühlte sich wie berauscht.

 

Dann erst merkte sie, dass etwas nicht stimmte. Ihr Herz, das eben noch vor Glückseligkeit beinahe geplatzt wäre, rutschte ihr nun in den Magen, als sie erkannte, dass sie nicht länger allein waren. So schnell sie konnte sprang sie vom Baum, landete auf dem Boden und sah noch wie unmittelbar vor ihr jemand mit einem Kunai in der Brust zu Boden ging. Auf seinem Stirnband erkannte sie das Zeichen von Otogakure. Sie wurden angegriffen. Und sie hatte es nicht bemerkt. Erst als es zu spät war.

 

Das erstickte Geräusch drang wieder an ihre Ohren, diesmal lauter, verzweifelter.

 

„Ino!“ Sie rannte in Richtung Lagerfeuer. Innerhalb von Sekunden war sie bei Ino und ihr Herz blieb für einen Moment stehen, als sie ihre Freundin erblickte. Die Blonde lag noch in ihrem Schlafsack, sah sie mit schreckgeweiteten Augen an und hielt sich mit beiden Händen verzweifelt den Hals zu, aus dem viel zu viel Blut sickerte. Sofort presste Sakura ihre Hände auf die von Ino, die rot und glitschig vom Blut waren und versuchte, die Blutung zu stillen. Das Blut lief weiter und weiter, verließ viel zu schnell ihren zitternden Körper, nässte den Schlafsack und färbte ihre blonden Haare im hellen Mondeslicht schwarz.

 

Sakura aktivierte ihr Chakra, um die Wunde zu verschließen. Ino röchelte und zappelte. Ihr Gesicht war inzwischen unnatürlich blass. Nur nebenbei bemerkte Sakura die Kampfgeräusche um sich herum. Sie hatte nicht aufgepasst! Verdammt, wieso hatte sie nicht aufgepasst?! Der blanke Horror stand ihr ins Gesicht geschrieben.

 

„Halte durch, Ino!“ Sie redete sich ein, dass sie Ino noch retten konnte. Ihr Verstand realisierte, dass sie inzwischen viel zu viel Blut verloren hatte, dass der Schnitt an ihrer Kehle viel zu tief war, aber sie schob diese Gedanken einfach beiseite, da sie viel zu grausam waren, um der Realität zu entsprechen

 

Das ist alles meine Schuld!, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hat mir vertraut und ich war abgelenkt ...

 

Aufgeben war keine Option. Sie verstärkte ihr Chakra, während die ersten Tränen anfingen über ihre Wangen zu laufen. Inos Gesicht war vor Schmerz und Angst verzerrt. Ihre hellen Augen starrten sie weit aufgerissen und panisch an. Ein anklagender Ausdruck lag in ihnen, als würde sie sagen wollen:

 

Wo warst du?“

 

„Wieso hast du uns nicht gewarnt?“

 

„Deinetwegen sterbe ich!“

 

Sakura entfuhr ein Wimmern. Vielleicht, wenn sie schnell handelte, vielleicht konnte sie mit einer Bluttransfusion … Doch auch dieser Gedanke erstarb, als sie mit Schrecken beobachtete, wie Inos Augen immer leerer, ihre Bewegungen immer langsamer und ihr verzerrtes Gesicht immer entspannter wurde. Sakura vergaß zu atmen, während sie zusah, wie das Leben aus ihrer besten Freundin wich. Ihr entfuhr ein verzweifeltes Schluchzen. Mit ihren blutigen Händen berührte sie Inos Gesicht, fuhr mehrmals mit ihren Fingern über ihre Wangen. „Nein, Ino, bitte nicht …“

 

Sie bemerkte nicht, wie die Kampfgeräusche um sie erstarben und sich Sasuke und Shikamaru neben sie stellten, bemerkte nicht, dass die feindlichen Ninja, denen der Überraschungsangriff gelungen war, besiegt waren. In diesem Moment kümmerte es sie nicht, selbst wenn sie noch da wären, und sie angriffen, sie hätte sich keinen Millimeter von Ino fortbewegt. Schluchzend sah sie in das ausdruckslose Gesicht ihrer besten Freundin, während weiterhin Blut aus der tiefen Wunde lief. Ino war tot und alles was blieb, war der anklagende Blick aus ihren hellen Augen.

Aller guten Dinge sind drei

Sakura lag träge auf ihrem Bett. Bereits seit drei Tagen hatte sie es nicht verlassen, höchstens einmal für den Toilettengang. Allmählich fing sie an zu stinken und die Haare waren vermutlich widerlich fettig. Ihr Aussehen spiegelte ihr Innerstes wider. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so beschissen gefühlt. Die Versuche ihrer Eltern sie aus ihrem Bett herauszulocken wurden immer seltener. Hin und wieder kamen sie, um ihr Bescheid zu sagen, dass das Essen fertig war, doch Sakura murmelte nur jedesmal, sie habe keinen Hunger. Weder das unsichere Bitten ihrer Mutter, noch das verständnislose Drängen ihres Vaters konnten Sakura aus ihrer Lethargie herausholen. Diese Mission war der Horror gewesen und der Horror suchte sie nach wie vor jeden Moment heim. Still lag sie in ihrem Bett, eingewickelt in ihre Bettdecke, mit geschlossenen Augen und hoffte einzuschlafen, nur um nicht zu denken, um nicht zu fühlen, um zu vergessen. Doch auch im Schlaf verfolgten sie diese schrecklichen Bilder.

 

Ihretwegen war Ino tot. Ihre beste Freundin. Nur ihretwegen.

 

Sakura quälte sich und versuchte sich den Dämonen halbwegs zu stellen, versank in einem dunklen Loch und der Hoffnung, dieses grässliche Szenario sei lediglich ein böser Traum gewesen. Sie hatte keinen Hunger, hatte keinen Durst, war einfach nur müde und wollte schlafen. Hier liegen bleiben, für immer. Sie konnte nicht einmal mehr weinen.

 

Der Schmerz war kaum zu ertragen, nicht nur, weil sie ihre beste Freundin verloren hatte, sondern auch, weil sie schuld daran war. Sie hätte es verhindern können, doch statt auf Ino zu achten hatte sie wieder einmal die Person an oberste Stelle gesetzt, die ihr gesamtes Leben dominierte. Und dafür hasste sie sich. Und ihn. Weil er versprochen hatte, dass er aufpassen würde. Wie feige von ihr, ihm die Schuld zu geben, denn es war schließlich ihre Aufgabe gewesen Wache zu halten, nicht seine. Eine weitere Welle des psychischen Schmerzes durchzuckte ihren Körper. Allein die Erinnerung an diesen Kuss bereitete ihr Magenschmerzen und Übelkeit. Es hätte der schönste Moment ihres Lebens sein können, doch sie verband damit nur noch Furchtbares. Tod und Verderben. Denn wäre er nicht gewesen, hätte sie die feindlichen Ninja aus Otogakure bemerkt. Ganz sicher.

 

Wie sollte es jetzt weitergehen? Wie sollte sie Inos Eltern je wieder in die Augen schauen? Wie sollte sie jemals wieder eine Mission annehmen und Verantwortung übernehmen, wenn sie wusste, dass sie nicht in der Lage war, ihre Teamkameraden zu beschützen. Das war die einzige, verdammte Aufgabe einer Medic-Nin – dafür zu sorgen, dass die Mitglieder ihres Teams am Leben blieben. Und sie hatte versagt. Und zwar kläglich.

 

In ein paar Tagen wäre die Anhörung beim Hokage. Eine Standardprozedur, die jedes Mal durchgeführt wurde, wenn ein Shinobi während einer Mission verstarb. Und Sakura graute es bereits davor. Was würden sie mit ihr machen, wenn sie zu dem Entschluss kamen, dass es ihre Schuld war? Sie ins Gefängnis werfen? Verdient hätte sie es. Ja, Sakura würde ihr gesamtes Leben liebend gerne im Gefängnis verbringen, wenn Ino dafür wieder leben würde. Sie würde alles dafür geben.

 

Schmerzhaft verzog sie das Gesicht und krallte die Finger fester in ihr Kissen. Während in ihr die Emotionen alles andere dominierten war ihr Körper seltsam taub. Sie sah in Gedanken Ino, wie sie ihr herausfordernd die Zunge herausstreckte und wie sie talentiert einen Shuriken mit einem gezielten Wurf in den roten Punkt in der Mitte einer Zielscheibe warf. Schon damals hatte Sakura Ino immer beneidet. Sie war nicht nur wunderschön, sondern auch begabt, konnte nicht nur mit Waffen besser umgehen als sie, sondern auch mit Worten. Bei jedem Streit behielt sie die Oberhand, hatte immer das letzte Wort. Sie war so vieles, was Sakura immer sein wollte. Sie war hübsch, selbstbewusst, unerschrocken, fürsorglich und pflichtbewusst. Eine wahre Kunoichi.

 

Sie war noch so vieles mehr: Konkurrentin, Freundin, Schwester, Vertraute, Verbündete … Sie war eine Konstante in ihrem Leben gewesen. Doch jetzt war sie weg. Für immer.

 

Es klopfte an ihrer Tür. Regungslos blieb Sakura in ihrem Bett liegen, in der Hoffnung, ihre Mutter oder ihr Vater würden wieder verschwinden. Sie wollte niemanden sehen, wollte mit niemandem reden. Es kostete viel zu viel Kraft und sie hätte auch nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen. Leise öffnete sich die Tür, jemand trat ein und schloss sie wieder. Sakura öffnete die Augen und starrte an die Wand. Wer auch immer in ihrem Zimmer stand konnte nur ihren Rücken sehen.

 

„Sakura?“

 

Ihr Magen schmerzte so sehr, als hätte sie Säure geschluckt. Nein, nein, nein … Bitte alle, nur nicht er … Sie hoffte, er würde wieder verschwinden und gleichzeitig verabscheute sie sich für diesen schrecklichen Gedanken. Es war so unfair ihm gegenüber, er konnte nichts dafür. Und doch …

 

„Deine Eltern haben mich rein gelassen.“

 

Seine Stimme klang unsicher. Und das schmerzte nur noch mehr. Viel lieber wäre es ihr, er würde sie anschreien, sie schütteln oder schlagen, damit könnte sie viel besser umgehen. Nach dem Angriff der Oto-Nins hatte sie kein Wort mehr mit Sasuke gewechselt, geschweige denn ihn überhaupt angesehen. Sie hatte ihm einfach nicht mehr in die Augen blicken können. Wäre er nicht gewesen, dann wäre Ino …

 

„Sakura, rede mit mir.“

 

Ihr Gesicht verzog sich zu einer gequälten Grimasse. Es ging nicht, es ging einfach nicht. Alles hätte ganz anders laufen sollen. Sasuke Uchiha, Liebe ihres Lebens, stand in ihrem Zimmer, kam sogar von sich aus zu ihr, doch in diesem Moment wollte sie nichts anderes, als dass er wieder verschwand. „Geh weg“, krächzte sie heiser, da sie ihre Stimme in den letzten Tagen kaum benutzt hatte. Ihre Augen brannten, aber es kamen keine Tränen mehr. Wie gerne würde sie sich umdrehen, die Arme ausbreiten und sich von ihm trösten lassen. Er würde ihr versprechen, dass alles wieder gut werden würde und sie würde ihm glauben …

 

Die bittere Erkenntnis traf sie: Er hatte ihr auch versprochen, er würde aufpassen … Und jetzt war Ino tot.

 

„Willst du den Rest deines Lebens in Selbstmitleid versinken?“

 

Gut, jetzt klang er gereizt, das gefiel ihr schon viel besser. Sollte er ihr wieder die kalte Schulter zeigen und seine Mauern aufbauen. Lieber sollte er sie verletzten, als sie ihn. Damit konnte sie leben. Da sie nicht antwortete schnaubte er genervt. Dann hörte sie, wie er einige Schritte auf das Bett zuging. Ihr gesamter Körper spannte sich an, wartend auf das, was als nächstes geschah. Neben ihrem Bett blieb er stehen.

 

Leise seufzte er. „Glaub mir, wenn einer verstehen kann, wie du dich fühlst, dann bin ich das.“

 

Seine liebevollen Worte waren unerträglich. Sie presste die Lippen aufeinander, um sie vom Zittern abzuhalten. Jahrelang hatte sie sich gewünscht, dass er sie so fürsorglich behandelte, doch nicht jetzt. Dies war der unpassendste Zeitpunkt. Sasuke hatte als Kind ebenfalls einen schweren Verlust erlitten und im Gegensatz zu ihr nicht nur eine Person, sondern seine komplette Familie verloren. Wenn jemand das Recht hatte, zu klagen, dann ja wohl er. Beschämt schloss sie die Augen. Sie war so egoistisch.

 

Ihr Bett sank ein, als Sasuke sich neben sie setzte. Wieso konnte er nicht einfach wieder gehen? Erneut dachte sie an den Kuss. Was erwartete er jetzt von ihr? Fühlte er sich betrogen, weil sie ihn nun von sich stieß? Wollte er da weitermachen, wo sie aufgehört hatten oder sah auch er ein, dass das zwischen ihnen ein Fehler war? Sie sehnte sich danach sich umzudrehen und ihm ins Gesicht zu sehen und zu erfahren, was er dachte, was er fühlte, doch sie traute sich nicht. Sie hatte zu große Angst ihn anzusehen.

 

„Bei der Anhörung werde ich sagen, dass ich zuständig für die Wache war.“

 

Bei diesen Worten kam Regung in sie. Langsam bewegte sie sich. Dieser Gedanke gefiel ihr nicht. Außerdem würde zumindest Shikamaru wissen, dass er log. „Du musst nicht für mich lügen.“

 

Ein weiteres Seufzen. „Sakura …“ Er legte eine Hand auf die Decke, dort, wo ihre Schulter lag. Selbst durch den dicken Stoff konnte sie seine Wärme spüren. Es tat gut und war gleichzeitig unerträglich. „Du gibst mir die Schuld, richtig?“

 

Ja!, schrie sie in Gedanken. Ja, verdammt! Wie konnte er auch nur eine Sekunde kein schlechtes Gewissen haben? Ihretwegen war jemand gestorben. Und nicht irgendwer, nein, sondern Ino, die früher ebenfalls in Sasuke verliebt gewesen war. Machte ihm ihr Tod denn gar nichts aus?

 

Vielleicht ist er zu sehr Shinobi, dachte sie bitter. Vielleicht ist ihm ein Menschenleben nichts wert.

 

Seine Hand zog sich zurück. „Verstehe.“ Er stand auf und das Gewicht auf ihrem Bett verschwand. In wenigen Schritten hatte er die Tür erreicht, doch bevor er sie öffnete, verharrte er noch einen Moment. Seine nächsten Worte waren kühl und beherrscht. Distanziert. „Du hast zwei Tage bis zur Anhörung. Solltest du nicht erscheinen wird ein Disziplinarverfahren gegen dich eingeleitet.“ Er öffnete die Tür. „Reiß dich zusammen. Eine Menge Leute machen sich Sorgen um dich.“

 

Dann trat er durch die Tür und schloss sie hinter sich. Die erwartete Erleichterung blieb jedoch aus. Zurück blieb nur noch mehr Schmerz.

 

Bis zu ihrem nächsten Wiedersehen dauerte es zwei Tage, doch bis zu ihrem nächsten Gespräch drei Jahre.

 
 

* * *

 
 

„Wo-worüber willst du denn mit mir reden?“

 
 

„Über uns.“

 
 

* * *

 

Sakura fühlte sich wie ein verschrecktes Reh im Angesicht eines Jägers mit erhobener Waffe: vollkommen paralysiert. Sie konnte ihm nicht lange in die Augen schauen, fixierte stattdessen seine verschränkten Arme vor der Brust. Instinktiv scannten ihre Augen seinen blutigen, linken Unterarm, erkannten aber keine Wunde, denn sie hatte sie bereits geheilt. Doch der Anblick des verbliebenen und bereits getrockneten Blutes auf seiner blassen Haut beunruhigte sie nach wie vor und rief das Gefühl in ihr hervor ihm helfen zu wollen. Sasuke schien immer so unantastbar, unverletzbar. Jedem Gegner überhaben. Doch Tenchi war es gelungen bei ihm einen beachtlichen Treffer zu landen. Bei seiner Verletzung hatte es sich um einen langen Schnitt gehandelt, den er durch Tenchis Kusarigama erhalten hatte. Nichts Dramatisches, aber auch nichts, was man ignorieren sollte. Diese Wunde war nun verheilt und es würde nicht einmal eine Narbe zurückbleiben.

 

Die Atmosphäre spannte sich deutlich an. Sakura nickte bloß, als Zeichen, dass sie seine Worte verstanden hatte, und versuchte den Kloß herunterzuschlucken, der sich in ihrer Kehle bildete. Ihr Mund war plötzlich ganz trocken. Sie wusste nicht, was sie erwarten würde. Egal was kommen würde, es würde weh tun.

 

Die ganze Zeit über fühlte sie seinen Blick auf sich ruhen und sie spürte, wie sie darunter zu schrumpfen schien. Er holte einmal tief Luft, atmete ein und langsam wieder aus. „Ich habe gehört, worüber ihr zwei gerade gesprochen habt.“

 

Sofort hob sie den Kopf, sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Sie konnte es nicht fassen. „Du hast uns belauscht?!“ Sie war geschockt, verletzt und wütend. Alles in einem.

 

Sasuke bewegte den Kopf zur Seite, wich ihrem anklagenden Blick aus. „Das war nicht geplant.“ Wenigstens hatte er den Anstand schuldbewusst auszusehen. Verärgert kniff er die Augen zusammen. „Aber darum geht es jetzt nicht. Es ließ mich nur zu einer Erkenntnis kommen. Es wird Zeit, dass wir uns aussprechen. Dieses Gespräch ist längst überfällig.“ Nun war er es, der sie anklagend ansah. „Wenigstens scheinst du jetzt in der Lage zu sein, mit mir zu reden.“

 

Beschämt richtete sie den Kopf gen Boden. Natürlich hatte er Recht. Ihr damaliges Benehmen war unreif und unfair ihm gegenüber gewesen. Aber sie hatte sich nicht anders zu helfen gewusst. Nie in ihrem Leben hatte sie sich so schlecht gefühlt, wie zu der Zeit nach Inos Tod. Sie war in einem tiefen Loch versunken, hatte alles und jeden von sich weggeschoben, nicht nur ihre Freunde und Familie, auch das Leben als Kunoichi hatte sie aufgegeben, indem sie Kakashi gebeten hatte ihr keine weiteren Missionen zu erteilen, sodass sie von da an nur noch als Medic-Nin im Krankenhaus gearbeitet hatte. Sie hätte sich gewünscht sie hätte damals die Kraft für dieses Gespräch gehabt, aber es war ihr vergönnt gewesen.

 

Sakura öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie wusste einfach nicht was …

 

„Weißt du, Sakura.“ Sasuke atmete noch einmal tief ein und wieder aus, schüttelte dann langsam den Kopf, als stünde er der damaligen Situation gegenüber. „Dass du mich damals so abgewiesen hast hat verdammt weh getan. Weißt du überhaupt, wie schwer es mir gefallen ist mich dir gegenüber zu öffnen?“

 

Gekränkt schloss sie die Augen. Ja, das wusste sie. Sasuke war schon als Kind verschlossen gewesen. Es hatte viel Zeit und Mühe gekostet ihn in Team 7 zu integrieren und ihn dazu zu bringen vom Einzelkämpfer zum Teamplayer zu werden. Dem Uchiha fiel es nicht leicht, jemandem zu vertrauen oder Gefühle zu zeigen. Dieses Gespräch verlangte ihm mit Sicherheit ebenfalls sehr viel ab.

 

Langsam hob sie den Kopf, konnte ihn aber immer noch nicht ansehen und fixierte stattdessen einen Felsen hinter ihm. „Ich weiß“, murmelte sie. „Aber–“

 

„Meinst du etwa, mir wäre Inos Tod vollkommen egal gewesen?“, fragte er und der Schmerz in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er löste seine verschränkten Arme, hielt sie in einer hilflosen Geste vor sich in der Luft. „Auch ich habe mir Vorwürfe gemacht. Das hätte nicht geschehen dürfen. Sowas … ist mir noch nie passiert. Aber …“ Sasuke trat einen Schritt auf sie zu. Er verstummte für einen Moment, fuhr dann etwas ruhiger fort. „Ich weiß nicht, was du von mir hören willst. Eine Entschuldigung? Bitte: Es tut mir leid.“ Sie fühlte immer noch seinen bohrenden Blick auf sich ruhen, spürte geradezu, wie er stumm darum bettelte, dass sie ihn ansah.

 

Ihre Blicke trafen sich. Sie hätte am liebsten sofort wieder weggesehen, als sie den Schmerz in seinem Gesicht entdeckte.

 

Seine schwarzen Augen fixierten sie. „Glaub mir, hätte ich gewusst, was in dieser Nacht geschehen würde, dann wäre ich niemals auf diesen verdammten Baum geklettert. Dann würde Ino jetzt noch leben und du würdest mich nicht hassen.“

 

Dieses offene Bedauern traf sie unvorbereitet. Ihr Gesicht verzog sich zu einer traurigen Miene. Auch er würde diesen Kuss am liebsten rückgängig machen. Ebenso wie sie. Diese Erkenntnis tat weh, auch wenn sie sich wünschte, sie hätten die Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen.

 

Aber Sasuke war noch lange nicht fertig. Sein Blick wurde ausdrucksloser. „Ich habe dich auch gehasst“, gab er nüchtern zu. „Dafür, wie du mich behandelt hast. Du hast mir nicht einmal mehr in die Augen gesehen und wenn wir uns im Dorf begegnet sind bist du mir aus dem Weg gegangen. Du hast mich behandelt wie einen Fremden. Und dass, nachdem …“

 

Er musste es nicht aussprechen. Er sprach von dem Kuss und dem Geständnis der Erwiderung ihrer Gefühle. Das Schamgefühl breitete sich in ihr aus und ließ sie sich unendlich klein und schwach fühlen. Gewissensbisse plagten sie. Schmerz vibrierte in ihrer Brust, griff nach ihrem Herzen und drückte fest zu. Schuldbewusst senkte sie den Blick. „Es tut mir leid“, wisperte sie.

 

Er schüttelte den Kopf. Was das behaupten sollte konnte sie nur vermuten. Nahm er ihre Entschuldigung nicht an oder war er einfach noch zu fassungslos über ihr damaliges Verhalten?

 

„Gerade damals“, fuhr er fort, kam dabei noch einen Schritt auf sie zu, sodass sie nur noch eine Armeslänge voneinander entfernt waren, „hätte ich dich gebraucht.“ Der Schmerz in seiner Stimme bewegte sie. Sie hatte nicht gewusst, dass er ebenso gelitten hatte, hatte vermutlich auch nie einen Gedanken daran verschwendet und egoistisch wie sie war gedacht, sie wäre die einzige, die leidet.

 

Sie wollte sich entschuldigen, aber sie hatte das Gefühl, dass kein Wort der Welt wieder gut machen konnte, was sie getan hatte. Sie hatte ihn im Stich gelassen und ihm bewiesen, dass es falsch gewesen war, ihr zu vertrauen.

 

Tränen stiegen ihr in die Augen. Mehrmals blinzelte sie, um sie daran zu hindern überzulaufen. „Ich konnte einfach nicht“, hauchte sie atemlos. „Es ging nicht.“ Wie sollte sie ihm ihre Beweggründe erklären, ohne ihn dabei zu verletzen? Allein seinen Namen zu denken hatte sie sich verboten und es nicht ertragen können ihn zu sehen. Sie hatte ihn so sehr geliebt, wie ein Mensch einen anderen Menschen lieben konnte, doch nachdem was mit Ino geschehen war erlaubte sie sich diese Liebe nicht mehr. Wie egoistisch wäre es von ihr gewesen, wenn sie mit Sasuke einfach da weitergemacht hätte, wo sie aufgehört hatten, als wäre nichts geschehen? Damit würde sie Inos Andenken beschmutzen und das hatte ihre Freundin nicht verdient. Sich von Sasuke fernzuhalten war eine der Strafen, die sie sich selbst auferlegt hatte.

 

„Es ist nicht fair von dir mir allein die Schuld zu geben“, sagte Sasuke. „Du bist ebenso verantwortlich. Wir beide hätten die Oto-Nins bemerken müssen.“

 

Damals hatte er ihr sogar angeboten die Schuld auf sich zu nehmen und ihr wurde wieder einmal schmerzlich bewusst, aus welchen Gründen er für sie lügen würde: Nur um sie zu schützen. Letztendlich hatten sie während der Anhörung zu Protokoll gegeben, dass der Angriff während der Wachablösung erfolgt war, was erklärte, weshalb sie beide nicht in ihrem Lager anwesend waren, als die Ninja aus Otogakure angegriffen hatten. Shikamaru hatte dem nicht widersprochen, doch Sakura hatte die leichte Skepsis in seinen Augen gesehen. Er war nicht dumm. Allein das Wissen darüber, zu welcher Uhrzeit Sasuke die Wache übernehmen sollte, gab ihm die Antwort auf seine unausgesprochene Frage.

 

„Ich weiß“, stimmte sie ihm leise zu. „Das ist mir bewusst. Und glaub mir, ich mache mir selbst große Vorwürfe.“ Gequält schloss sie die Augen, als sie Inos angstgeweitete Augen vor ihrem inneren Auge sah und wie sie panisch nach Luft schnappte. „Aber ich habe versucht …“ Sie suchte nach den richtigen Worten, fuhr dann noch leiser und anklagend fort: „Ich hatte den Einwand, dass wir Wache halten müssen. Ich hatte meine Pflicht nicht vergessen.“

 

Die ungesagten Worte hingen in der Luft: Ich wollte dich eigentlich gar nicht küssen …

 

Es war eine lahme Ausrede, das wussten sie beide. Es war der einfache Weg ihm allein die Schuld zu geben, die Wahrheit sah allerdings anders aus. Sie hatte diesen Kuss genau so sehr gewollt, wie er. Sasuke sah sie an, als hätte sie ihn geschlagen, als würde sie ihn beschuldigen, sie gegen ihren Willen dazu gedrängt zu haben. Beschämt ging ihr Blick gen Boden, sodass es ihr leichter fiel, die nächsten Worte auszusprechen. „Du hast versprochen, du würdest aufpassen.“

 

Daraufhin folgte langes Schweigen. Sie wagte es nicht ihm in die Augen zu schauen. Als er sprach klang es kühl, als versuche er seinen Schmerz zu unterdrücken. „Wie schon gesagt. Es tut mir leid.“

 

Daraufhin folgte noch längeres Schweigen. Jeder Sekunde, die verstrich, ließ sie sich unwohler fühlen und sie betete zu Kami, dass dieses Gespräch nun endlich vorbei sein möge. Allerdings wagte sie es nicht den ersten Schritt zu gehen, als hätte nur er die Macht darüber zu entscheiden, wann diese Aussprache vorbei war.

 

Womöglich gab es aber noch mehr zu sagen.

 

„Ich kann verstehen, wie du dich gefühlt haben musst“, fuhr er ruhiger fort. Sakura fragte sich wieso er immer noch diese Geduld mit ihr hatte. Er hätte schließlich jedes Recht ihr die kalte Schulter zu zeigen und sie stehenzulassen. „Wenn in einem ähnlichen Szenario Naruto derjenige gewesen wäre, dann …“

 

Sasuke brauchte sich nicht zu erklären. Naruto war sein bester Freund. Auch wenn die beiden sich während der Akademie gehasst hatten. Aus Hass war irgendwann Rivalität geworden, die sich später zu einer Freundschaft entwickelt hatte. Auch wenn die beiden sich manchmal noch gegenseitig verspotteten oder herausforderten wusste jeder in Konoha, dass die beiden ein enges Band miteinander verband. Noch dazu wusste Sasuke bereits wie es war, wenn man jemanden verlor, der einem nahestand.

 

„Dass du nicht länger als Kunoichi leben wolltest fand ich ehrlich gesagt ziemlich feige von dir“, sprach er offen und ehrlich aus, so wie man es von Sasuke kannte. „Noch dazu wurde Kakashi Hokage, weshalb Team 7 ohnehin kurz vor der Auflösung stand.“ Er zuckte mit den Schultern, was Gleichgültigkeit vortäuschen sollte. Somit wurde Sakura noch einmal vor Augen geführt, dass ihre Entscheidung nicht nur ihr Leben beeinflusst hatte. Sie hatte auch ihr Team im Stich gelassen. „Du kannst dir also vorstellen, was ich gedacht habe, als uns diese Mission verkündet wurde.“

 

Sakura lächelte ein trauriges Lächeln. „Ich war genauso geschockt.“

 

Sasuke nickte geistesabwesend, den Blick in die Ferne gerichtet und die Arme nun wieder vor der Brust verschränkt. „Nicht nur, dass du seit drei Jahren aus dem Dienst und untrainiert warst, sondern auch, dass wir beide gezwungenermaßen wieder zusammenarbeiten mussten.“

 

Die ganze Sache erklärte natürlich, weshalb er ihr am Anfang gegenüber so distanziert und kühl gewesen war. Kein Wunder, sie hatte ihn verletzt und sein Vertrauen missbraucht, ihn im Stich gelassen, gerade als er ihr seine Gefühle offenbart hatte. Sie hatte ebenso versucht ihn zu ignorieren, was leichter gesagt war als getan, wenn man in einem Team zusammenarbeiten musste.

 

„Bei dieser Mission hast du dann so getan als wäre nie etwas vorgefallen und ich habe es auch versucht“, sagte Sasuke bar jeder Emotion. „Ehrlich gesagt hatte ich mich inzwischen damit abgefunden. Für mich war die Sache mit uns erledigt gewesen.“

 

In diesem Moment schlug ihr Herz einen Takt höher. Sie konnte es geradezu hören, dieses kleine unausgesprochene Wörtchen:

 

Aber …

 

Die Worte von Naruto kamen ihr wieder in den Sinn:

 

„Er macht sich auch Sorgen um dich.“

 

„Was glaubst du, weswegen er so ausgetickt ist? Es hat ihn beinahe wahnsinnig gemacht mit anzusehen wie dieser Tenchi dich quält.“

 

Sie hatte es gespürt, während dieser Mission. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war immer noch da. Sie sah es in seinen dunklen Augen, in seinem Lächeln oder wenn sie ohne Worte miteinander kommunizierten. Diese kleinen Momente, die sie immer wieder hatten. Sie fühlte sich nach wie vor zu ihm hingezogen, wollte in seiner Nähe sein und allein der Gedanke, dass er eine andere anziehend finden könnte machte sie wahnsinnig.

 

Auch wenn sie immer noch nicht vergessen konnte, was damals geschehen war, hegte sie aufrichtige Gefühle für ihn. Sie liebte ihn. Immer noch.

 

Mit der rechten Hand fuhr er sich durch das schwarze Haar, seufzte dabei lang und erschöpft. „Was du zu Naruto gesagt hast … Wie kann das sein? Ich meine … Ich verstehe es nicht.“

 

Auch für sie war diese Sache zwischen ihnen erledigt gewesen, nicht nur, weil sie sich von ihm bewusst zurückgezogen hatte, sondern auch, weil sie nicht erwartet hätte, dass er sie nach dem, wie sie ihn behandelt hatte, noch mögen würde.

 

„Ich schätze, es ging mir ähnlich wie dir“, fing sie an ihre Gedanken zusammenzufassen. „Ich wollte das alles am liebsten vergessen. Ich wollte dich vergessen. Weil ich dachte, es wäre besser so. Aber diese Mission …“ Sie stutzte, fühlte sich bei dieser Offenbarung verwundbar. Doch er war auch mit ihr ehrlich gewesen, sollte sie dann nicht eben so ehrlich zu ihm sein? Sie schluckte, sammelte Mut für die nächsten Worte. „Diese Mission … hat mir gezeigt … dass … ich …“

 

Wie lächerlich. Tsunade Senju hatte ihre legendäre Stärke an sie weitergegeben, doch nun war sie zu schwach um diese wenigen Worte auszusprechen. Sie wollte nicht mehr schwach sein.

 

Ja, der Beginn dieser Mission war hart für sie gewesen und sie hatte sich nicht nur einmal gewünscht einfach umzudrehen und wieder nach Konoha zurückzukehren. Doch dann musste sie daran denken, wie oft sie es genossen hatte mit ihm zusammen zu sein. Mit ihm gemeinsam auf seinem Falken zu fliegen oder unbeschwert über den Markt eines noch unbekanntes Dorfes zu schlendern. Gemeinsam mit ihm zu kämpfen, Seite an Seite, so wie früher.

 

Sie lächelte leicht. „Es tut immer noch weh, aber es gibt auch Momente mit dir … die sind … einfach nur schön …“

 

Zaghaft sah sie zu ihm auf, begegnete seinem Blick, betrachtete den jungen Mann, den sie schon als Kind geliebt hatte und den sie immer noch liebte, vermutlich für immer lieben würde.

 

Sein Blick war undefinierbar. Sie sah so vieles darin, konnte sich aber nicht sicher sein, ob sie zu viel hineininterpretierte. Er trat einen weiteren, letzten Schritt auf sie zu und umgriff, nun bei ihr angekommen, sanft ihre Oberarme. Sie versteifte sich, als er ihr so nahe kam.

 

„Wieso wehrst du dich dann dagegen?“, fragte er leise. Seine dunklen Augen sahen sie so durchdringend an, als würde er ihr in die Seele schauen können. Sie würde ihn lassen, den Blickkontakt nicht brechen, damit er die Antwort auf seine Frage fand.

 

Er nahm ihr Gesicht sanft in beide Hände. „Hast du Angst, dass wieder etwas passiert?“, sprach er genau das aus, was sie so sehr quälte. Für einen Moment sahen seine schwarzen Iriden sie an, dann schloss er die Augen und drückte seine Lippen federleicht gegen ihre, küsste sie. Nur für einen Moment, dann löste er sich wieder von ihr, lehnte seine Stirn gegen ihre. „Es passiert nichts. Siehst du?“ Diese intime Berührung hatte sie sich anspannen und die Luft anhalten lassen. Viel zu überrumpelt hatte sie diesen Kuss nicht einmal erwidert. Sasuke musterte ihr Gesicht, studierte sie, betrachtete ihre Lippen, ihre Wangen, ihre Nase und blieb letztendlich an ihren Augen hängen.

 

Sekundenlang war sie vollkommen sprachlos. Starrte ihn einfach nur an.

 

„Hör auf dich weiterhin selbst zu bestrafen“, murmelte er leise. Seine Hände lagen immer noch auf ihren Wangen, während sein rechter Daumen zärtlich über ihre blasse Haut fuhr und sie sanft streichelte.

 

Sie dachte an Ino. An ihre geliebte beste Freundin. Durfte sie Sasuke wirklich lieben, wenn ihretwegen Ino gestorben war? In ihr tobten die Gefühle. Sehnsucht und Verlangen zogen sie in Sasukes Nähe, doch das schlechte Gewissen und die Angst zerrten sie von ihm weg. Ein Tauziehen in ihrem Inneren, von dem noch unklar war, welche Seite den Sieg erlangen würde.

 

„Aber ich sage dir eins, Stirni. Vermassel es bloß nicht“, tadelte Inos Stimme.

 

Sie liebte Sasuke und er liebte sie. Auch noch nach all den langen Jahren. War es nicht immer ihr Traum gewesen, mit ihm zusammen zu sein? Ihr Traum hatte schon einmal davor gestanden wahr zu werden, bis sich das grausame Schicksal bei ihnen eingemischt hatte. Nun befanden sie sich in der gleichen Situation.

 

„Na los, schnapp ihn dir.“

 

So oft hatte sie sich gewünscht, ihr erster Kuss wäre anders verlaufen und er hätte zu einem Happy End nach dem langen Weg des Wartens geführt. Nun hatte Sasuke sie ein zweites Mal geküsst, auch wenn er nur kurz und unerwidert gewesen war.

 

Sakura neigte leicht den Kopf, lehnte sich nach vorne und schloss die Augen, ehe sie seine Lippen mit ihren verschloss.

 

Wie sagte man so schön: Aller guten Dinge sind drei …

 
 

* * *

 

Sakura wusste nicht was schlimmer war: Narutos wissendes Schmunzeln oder Kakashis vorgetäuschtes Desinteresse. Sie hatten ihre beiden Teamgefährten vermutlich ziemlich lange warten lassen, jedoch sagte keiner von ihnen ein Wort, als Sakura und Sasuke zu ihnen zurückkehrten. Naruto trug bereits wieder seine Weste sowie seinen Rucksack auf seinem Rücken, ebenso wie Kakashi. Die beiden waren aufbruchbereit. Der Rückweg nach Iwagakure stand nun an. Während Sasuke sich ebenfalls seine Weste überzog näherte sich Sakura dem Gefangenen.

 

„Ich werde einen Teil seiner Verletzungen heilen“, informierte sie ihr Team. „Ansonsten wird er zu große Schmerzen haben, wenn er wieder wach ist.“  Das würde den Weg erleichtern, denn mit einem verletzten und vor Schmerzen wimmernden Gefangenen würden sie spätestens bei Betreten des Dorfes unnötiges Aufsehen erregen. Außerdem hatten sie ihn bereits in ihrer Gewalt. Es widerstrebte ihr ihn noch unnötig leiden zu lassen. Er konnte auch gut mit gesunden Knochen im Gesicht dem Tsuchikage ausgeliefert werden.

 

Sakura kniete sich vor Tenchi, der immer noch bewusstlos in seinen Fesseln hing. Sie hielt beide Handflächen neben seinem Gesicht und konzentrierte ihr Chakra in ihren Händen, ließ langsam ihre heilenden Kräfte in seinen Kopf fließen, konzentrierte sich dabei auf die gebrochenen Knochen in seinem Schädel. Während sie die Nase und den Kiefer heilte, kam langsam Regung in ihn. Seine Augenlider flatterten leicht, dann öffneten sich seine Augen. Mehrere Sekunden lang betrachtete er Sakura vor sich, die ihn weiterhin behandelte. Wäre er einer ihrer Patienten hätte sie ihn vermutlich aufmunternd und tröstend angelächelt. Doch er war nicht ihr Patient. Er war ihr Feind. Er hatte mit ihnen gekämpft und sie verletzten, womöglich sogar töten wollen. Dass sie ihn heilte war nicht aus Freundlichkeit sondern nur, weil sie kein Unmensch war.

 

Sie erwiderte seinen Blick, studierte sein Gesicht. Sie rief sich in Erinnerung, was ihn dazu gebracht hatte all diese schrecklichen Dinge zu tun und verspürte tiefstes Bedauern. Nichtsdestotrotz würden sie ihn schnellstmöglich dem Tsuchikage ausliefern und er würde seine gerechte Strafe erhalten.

 

Als die Knochen gerichtet waren, ließ sie ihre Hände wieder sinken.

 

Mehrmals öffnete und schloss er seinen Mund, um die Beweglichkeit seines nun wieder tadellosen Kiefers zu testen. „Da…“, setzte Tenchi heiser an.

 

Sakura erhob sich, blickte auf ihn herab. Danke, wollte er vermutlich sagen, und dieses eine Wort bewegte etwas in ihr. Vielleicht gab es in ihm doch noch etwas Gutes. Ihre Lippen trennten sich bereits, um etwas zu erwidern, als eine Bewegung über ihr ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Noch rechtzeitig sah sie hinauf, um das Kunai auf sich zufliegen zu sehen.

 

Sakura sprang zwei Meter zurück und das Kunai landete neben Tenchi im Boden, hatte dabei die Fesseln durchtrennt, die nun um seinen Körper herum schlaff zu Boden fielen. Mit vor Schock geweiteten Augen beobachtete Sakura, wie er aufstand, seinen Kopf in den Nacken legte und nach oben schaute. Sie folgte seinem Blick zu der Person, die auf dem Felsen stand, an dem er eben noch angebunden gewesen war, und die das Kunai geworfen hatte, um Tenchi zu befreien.

 

„Da bist du ja endlich …“, hauchte Tenchi mit einem boshaften Grinsen im Gesicht. „… Bruder.“

Kakashis Angst

Irgendetwas stimmte nicht. Eine seltsame Vorahnung beschlich Kakashi. Vielleicht war es nur ein banales Bauchgefühl oder womöglich jahrelang antrainierter Instinkt. Der Hokage klappte seinen Lieblingsroman zu, steckte ihn in seine Gürteltasche und sah sich angespannt um. Ein prüfender Blick über die Umgebung zeigte ihm nichts Ungewöhnliches. Doch das unsichere Gefühl blieb. Mit dem Handballen schob er sein Stirnband noch oben, wodurch er darunter sein Sharingan offenbarte. Das schwarze Auge kniff er zu. Und das Rote ging auf die Suche.

 

Es begann mit winzigen, dunklen Punkten, die sich rasch vermehrten. In wenigen Sekunden war es ein ganzer Schwarm. Es ging also wieder los. In dem Moment, in dem Kakashi sein Team informieren wollte, hörte er ein Geräusch. Er wandte sich um und sah gerade noch, wie Tenchi aus seinen Fesseln verschwand, die jemand durchgeschnitten haben musste. Ein Kunai steckte im Erdboden und die Seile lagen schlaff um den Felsen herum, an dem er zuvor festgebunden war. Sakura stand wenige Meter davor und starrte den Felsen hinauf. Kakashi folgte ihrem Blick.

 

Dort oben standen zwei Männer. Einer von ihnen war Tenchi. Und Kakashi ahnte sofort, wer der Mann neben ihm war. Die Ähnlichkeit war unübersehbar.

 

„Toshio“, sprach Kakashi seine Vermutung aus. Er war seinem kleinen Bruder anscheinend zu Hilfe geeilt. Für einen kleinen Moment kam ihm der Gedanke, ob Tenchi jemals ihr Gefangener gewesen war, oder aber ob es von Anfang an sein perfider Plan gewesen war, sich von ihnen schnappen zu lassen, um dadurch näher an den Hokage heranzukommen.

 

„Sagtest du nicht du wolltest lediglich ein paar Besorgungen erledigen?“, sprach Toshio leise und aus der Entfernung kaum vernehmlich zu seinem Bruder. Sein Ton erinnerte beinahe an Shikamarus ruhige, fast gelangweilte Stimme, würde da nicht diese unbarmherzige Härte mitschwingen. Er wirkte weder besorgt noch überrascht, obwohl er gerade Tenchi aus der Gefangenschaft feindlicher Shinobi befreit hatte.

 

„Hn. Der Uchiha und das Mädchen sind mir in Sekikawa über den Weg gelaufen. Diese Chance konnte ich mir doch nicht entgehen lassen. Sie haben mich direkt“ – und jetzt zeigte er mit dem Indexfinger auf Kakashi – „zu ihm geführt.“

 

Die Brüder sahen ihn aus den gleichen dunklen Augen an. Nur ihre Mimik hätte nicht unterschiedlicher sein können. Selbst in seinen Fesseln hatte Tenchi überheblich gewirkt, doch nun wirkte er noch selbstsicherer, arroganter und das boshafte Grinsen in seinem Gesicht nahm beinahe sadistische Züge an. Sein Bruder hingegen starrte Kakashi an, wandte den Blick für keine Sekunde ab, das Gesicht reglos und kalt, nur in den Augen erkannte er den Zorn und den Kampfeswillen, den er empfand.

 

Dann ging alles ganz schnell. Die Käfer griffen ihn an und aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie Sakura zu Boden ging und hysterisch anfing um sich zu schlagen. Offenbar quälte Tenchi sie wieder mit seinen Halluzinationen. Kakashi musste den Drang bekämpfen ihr zu Hilfe zu eilen. Sie war nicht wirklich in Gefahr, deshalb musste er erst einmal die Käfer bekämpfen und sich den beiden Brüdern stellen, denn wenn er sie besiegte würden auch Sakuras Halluzinationen aufhören. In diesem Moment konnte er nichts anderes für sie tun und hoffte, dass ihre Psyche nicht zur sehr unter diesem Angriff litt.

 

Kakashi wich mit einem Sprung den Käfern aus und krempelte sich dabei die Ärmel seines Pullovers runter. Insgesamt bot sein Körper wenig Angriffsfläche für Berührungen – allein durch seinen Mundschutz und sein Stirnband war sein Gesicht sehr gut bedeckt. Noch dazu kamen die Ninja-Uniform sowie seine Handschuhe. Sollte er gegen einen der Brüder kämpfen mussten sie sich schon anstrengen, ein Stück freie Haut von ihm zu fassen zu bekommen. Kakashi formte Fingerzeichen und kopierte mithilfe seines Sharingans eins von Sasukes Feuerjutsus. Die gewaltige Stichflamme, die aus seinem Mund schoss, setzte die Käfer augenblicklich in Brand.

 

Hinter ihm erschien bereits der nächste Schwarm.

 

Während er auch diesen Angriff mit Katon abwehrte analysierte er mit seinem Sharingan schnell das Geschehen. Tenchi und Toshio hatten sich aufgeteilt und kämpften, beide mit entblößten Oberkörpern, die nicht nur Muskeln und Stärke offenbarten, sondern es auch schwieriger machen würden mit Taijutsu gegen sie vorzugehen. Sasuke widmete sich Toshio, den er nach dem Eindringen in Tenchis Bewusstsein selbst als den stärkeren von beiden beschrieben hatte. Währenddessen setzte sich Tenchi gegen Naruto sowie zwei seiner Doppelgänger zur Wehr. Trotz seiner Verletzungen aus dem vorigen Kampf gegen Sasuke und Sakura schlug er sich gut und Kakashi fragte sich erneut, wie viel davon zuvor von ihm gespielt gewesen war. Der gebrochene Kiefer und die Nase waren zwar geheilt, doch die Rippen waren weiterhin verletzt. Vielleicht war es reines Adrenalin, das ihn derzeit auf den Beinen hielt. Ein weiterer Doppelgänger von Naruto stand neben Sakura, die auf dem Boden kniete und sich nun mit zusammengekniffenen Augen die Ohren zuhielt.

 

Mit einem weiteren Feuerjutsu setzte Kakashi den nächsten Schwarm in Brand. Sein Sharingan bemerkte eine Bewegung. Weitere Käfer verteilten sich, flogen auf Sakura, Naruto und Sasuke zu, sodass sie nun nicht nur gegen die beiden Ninja, sondern auch gegen die Käfer kämpfen mussten.

 

Tenchis Kusarigama erwischte mit dem schweren Gewicht an der Kette einen Naruto-Doppelgänger direkt an der Schläfe, woraufhin der verpuffte. Der Kage Bunshin bei Sakura versuchte mit seinem Rasengan die angreifenden Käfer abzublocken, die auf ihn und die Medic-Nin zuflogen. Mit wackeligen Beinen versuchte sie aufzustehen und ebenfalls zu kämpfen, doch ihr Kopf täuschte ihr immer noch Bilder vor, die nicht wirklich existierten. Selbst aus der Entfernung konnte Kakashi die Tränenspuren auf ihrem Gesicht sehen. Solange Tenchi in ihrer Nähe war würde er Sakura weiterhin quälen.

 

Deshalb fällte er eine Entscheidung. Kakashi sprang auf die Felsen und eilte dem Naruto-Duo zu Hilfe. Schnell holte er zu ihnen auf. Ein Naruto schlug und trat auf seinen Gegner ein, zielte dabei immer auf die Beine, da der Stoff der Hose ihn vor dem ungewollten Körperkontakt schützte. Der zweite Naruto griff mit Rasengan an und kämpfte abwechselnd gegen Tenchi und die Käfer. Ein kurzer Blick zu Sasuke zeigte ihm, dass er ebenfalls Schwierigkeiten hatte sich mit Taijutsu einen Vorteil zu verschaffen, weshalb er es aus der Ferne mit Feuerjutsu versuchte.

 

Als Tenchi Kakashi bemerkte wich er sofort zurück und sprang auf einen nahegelegenen Felsen. Kakashi landete im gleichen Augenblick bei Naruto. Tenchi schwang sein Kusarigama, sprang den Felsen herunter und warf es gleichzeitig in ihre Richtung. Noch während Kakashi der rotierenden Waffe auswich erkannte er Tenchis eigentliches Ziel: Er hatte es gar nicht auf ihn abgesehen, sondern auf Sakura!

 

Schnell sprang der Kopierninja ebenfalls den Felsen herunter und versuchte seinen Gegner einzuholen. Tenchi zückte aus seinem dunklen Stiefel ein Kunai und wollte sich auf Sakura und den Doppelgänger stürzen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Naruto ihm ebenfalls nachsetzte. Noch während Kakashi fiel formte er Fingerzeichen und in dem Moment, in dem er kniend auf dem Boden landete, stemmte er seine beiden Handflächen auf den Boden.

 

„Doton! Doryū Heki“

 

Vier schützende Mauern aus Erde stießen aus dem Boden hervor und schlossen Sakura und den Naruto-Doppelgänger in sich ein, sodass Tenchi nicht an sie heran kam. Verärgert starrte er mit dem Kunai in der Hand auf die meterhohe Wand vor sich.

 

Naruto landete neben ihm und stieß sein eigenes Kunai genau in sein Genick. „Ha!“, rief Naruto triumphierend. „Das war’s mit dir, Drecksack!“

 

Eine Sekunde verharrte Tenchi regungslos, dann löste sich sein Körper auf und verwandelte sich in eine menschliche Form aus wimmelnden Käfern, die sich aus ihrer Starre lösten und summend davonflogen, sodass Naruto einen erschrockenen Satz zurückmachte, um ihnen nicht zu nahe zu kommen. Ein Käfer-Doppelgänger! Kakashi suchte mit seinem Sharingan nach dem Original. Eine Bewegung ließ ihn herumwirbeln. Wie in Zeitlupe sah er Tenchi, der mit seiner geballten Faust erst ausholte und dann zuschlug, dabei direkt auf sein Gesicht zielte. Kakashi wich zurück, sah die Hand quälend langsam auf sich zukommen. Die Faust löste sich und Tenchi streckte die Finger. Kakashi zog seinen Kopf weiter zurück und ganz langsam bewegte sich die Hand vor seinem Gesicht, auf Höhe seiner Augen. Sein geweitetes Sharingan sah alles ganz genau.

 

Der Mittelfinger streifte leicht die freie Haut seines Nasenrückens, direkt zwischen seinen Augen.

 

Sofort zog Tenchi sich zurück und Kakashi sah alles wieder in normalem Tempo. Er atmete einmal tief ein und wieder aus. Verdammt, jetzt war es also geschehen. Dieser Mistkerl hatte ihn tatsächlich berührt.

 

Das bedeutete aber auch, dass er sich nun nicht mehr zurückhalten musste.

 

Sofort griff Kakashi an. In seiner rechten Hand blitzte bereits sein Raikiri auf. Tenchi sprang auf einen der Felsen hinauf, mit einem siegessicheren Grinsen auf dem angeschlagenen Gesicht.

 

Egal was er sehen würde, Kakashi machte sich bereit, auf das, was kommen würde. Es wäre nicht real – er würde Realität und Halluzination voneinander unterscheiden können. Seitdem sie herausgefunden hatten, was es mit diesen Käfern auf sich hatte, hatte er sich mental darauf eingestellt. Kakashi kannte seine tiefsten Ängste. Er wusste, er würde jemandem begegnen, den er kannte. Nicht ohne Grund hatte er seinem Team zu dem vereinbarten Zeichen geraten.

 

Tenchi stand regungslos auf dem Felsen und schien seinen Gegner freudig zu erwarten. Kakashi musste sich beeilen, solange er noch bei Verstand war – schließlich hatte er gesehen, was die Halluzinationen mit Naruto und Sakura anstellen konnten. Er holte mit der Hand aus und schlug mit seinem Raikiri zu.

 

Er traf.

 

Doch er traf nicht Tenchi.

 

Erschrocken riss er beide Augen auf und starrte auf die Person vor sich. Rin sah ihn mit ebenso geweiteten Augen an.

 

Das ist nicht real!

 

Sein Arm steckte in ihrem Brustkorb, genau dort, wo sich ihr Herz befand. Aus ihrem leicht geöffneten Mund lief dunkles Blut. Ihre Unterlippe zitterte und in ihren braunen Augen sammelten sich Tränen.

 

Das ist nicht real!

 

Sein Sharingan konnte kein Chakra in ihr erkennen. Sie war bloß eine Erinnerung. Und diese Erinnerung tat weh.

 

Mit einem Ruck zog Kakashi seinen Arm zurück, woraufhin ihr toter Körper schlaff zu Boden fiel, und drehte sich um, auf der Suche nach Tenchi, der sich hier irgendwo verstecken musste. Hinter sich hörte er ein Schluchzen. Er ignorierte es, wollte sich nicht nach diesem Trugbild umdrehen. Er suchte weiter.

 

„Kakashi …“

 

Bei dem Klang dieser Stimme spannte er sich an. Niemals würde er diese Stimme oder die Person, zu der sie gehörte, vergessen.

 

Das ist nicht real!

 

Dort drüben kämpften Naruto und Sasuke gegen Toshio. Sakura befand sich weiterhin innerhalb seiner Mauern. Doch wo war Tenchi?

 

„Kakashi, wieso?“

 

Das schmerzerfüllte Schluchzen war kaum auszuhalten. Sein ganzer Körper drängte danach sich umzudrehen und der Wille, der sich dagegen wehrte, wurde immer schwächer. Er war nicht real, konnte es nicht sein. Tote gehörten nicht hier her. Und doch war der Drang ihn sehen zu wollen stärker, als die Selbstbeherrschung.

 

Langsam drehte sich Kakashi um. Der Pulsschlag in seinen Ohren war erstaunlich laut. Er hatte gedacht, er wäre auf diesen Anblick gefasst gewesen, doch es zerriss ihm trotzdem das Herz. Rin lag tot auf dem Boden, mit der klaffenden, blutenden Wunde in ihrer Brust, die sein Raikiri ihr zugefügt hatte, so wie damals vor neunzehn Jahren. Was an dieser Erinnerung, die er nun erneut durchlebte, neu war, war Obito, der neben ihr kniete und halb auf ihr lag, mit tränenüberströmtem Gesicht.

 

„Wieso hast du sie umgebracht?“, schluchzte sein bester Freund vorwurfsvoll. Der Schmerz in seiner zitternden Stimme war kaum zu ertragen. Der Uchiha hob seinen Kopf, drehte sein Gesicht und wandte seinen Blick von Rin zu Kakashi. Das linke Auge fehlte und zeigte nur eine schwarze, leere Höhle, wo sich einst das Sharingan befunden hatte, welches er damals Kakashi vermacht hatte.

 

„Ich …“ Kakashi wollte es ihm erklären, wollte ihm sagen, dass er das nicht gewollt hatte, dass Rin diese Entscheidung selbst und gegen seinen Willen gefällt hatte – auch wenn er wusste, dass dieser Obito, den er gerade vor sich sah, nicht wirklich existierte. Obito war noch vor Rin gestorben und hatte ihren Tod somit nicht einmal miterlebt. Das schlechte Gewissen plagte Kakashi seit jenem Tag dafür umso mehr. Er hatte sein Versprechen Rin zu schützen seinem Freund gegenüber nicht halten können.

 

Das ist nicht real!

 

„Sie hat dich geliebt!“, schrie Obito, das Gesicht vor Wut und Schmerz verzerrt.

 

Diese Worte drangen tiefer, als jeder Messerstich. Augenblicklich wurde Kakashi kreidebleich. Ja, das wusste er. Und er hatte sie auch geliebt. Doch nachdem, was Obito widerfahren war, hatte er es sich nicht gestattet sich dieser Liebe hinzugeben. Das schlechte Gewissen wegen Obitos Tod und das Wissen darüber, dass sein bester Freund Rin ebenfalls geliebt hatte, hatten ihn daran gehindert, ihre Gefühle zu erwidern.

 

Hinter Obito erschien ihr Sensei. Minato sagte nichts, schaute Kakashi nur direkt in die Augen. Die Lippen zu einer harten Linie aufeinander gepresst schüttelte er langsam und enttäuscht den Kopf.

 

Kakashi riss sich von dem Anblick seiner toten Teamkameraden los und ging einige Schritte zurück, bis er mit dem Hacken seines rechten Fußes gegen etwas stieß. Er hielt inne, drehte sich langsam um und erstarrte. Vor ihm lag sein toter Vater.

 

Ein ersticktes Keuchen entfuhr ihm und ein kaum aushaltbares Ziehen breitete sich in seinem Brustkorb aus. Mehrmals blinzelte er, fühlte sich benommen, als hätte man ihm mit voller Wucht gegen den Schädel geschlagen.

 

Leise, wie weit entfernt, hörte er ein gehässiges Lachen. „Oh, armer Hokage“, spottete die Stimme schadenfroh. „Ganz allein auf dieser Welt?“

 

Das ist nicht real!

 

Kakashi kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Jetzt bloß nicht den Verstand verlieren. Er versuchte seine zitternden Finger unter Kontrolle zu bringen, indem er mehrmals eine Faust ballte und sie wieder öffnete, und sah sich erneut nach seinem Gegner um. Und dort drüben stand er. Nur etwa fünfzehn Meter entfernt auf einem Felsen. Belustigt betrachtete Tenchi ihn. Kakashi zückte ein Kunai und machte sich bereit für den Angriff.

 

Eine Kinderstimme ließ ihn unerwartet innehalten. „Wieso hast du das getan?“, fragte sie anklagend und verzweifelt. „Wieso wolltest du nicht mehr weiterleben? Nicht einmal für mich?“

 

Die Realisierung, wem diese Stimme gehörte, machte ihn wütend. Es schien, als würde er den gleichen Zorn in sich verspüren wie damals. Kakashi nahm Anlauf und sprang auf den nächsten Felsen, in Tenchis Richtung, der nun wieder sein Kusarigama in der Hand hielt. Noch während er über die Felsen lief hörte Kakashi weiter seine eigenen Gedanken in seinem Kopf. Er hatte sie damals nie ausgesprochen, immer nur gedacht. Unverständnis, Vorwurf und Enttäuschung spiegelten sich darin wieder.

 

„Ha, du bist ganz schön zäh“, sagte Tenchi mit einem anerkennenden Schmunzeln. Ihre Waffen trafen aufeinander und sie starrten sich darüber hinweg feindselig in die Augen. „Du hast dich gut unter Kontrolle, Hokage. Aber glaub mir, irgendwann knickt jeder ein.“

 

„So leicht wie mit Ōnoki wirst du es mit mir nicht haben“, entgegnete Kakashi, der sich nun auf seinen Gegner konzentrierte, um die Halluzinationen auszublenden. Er verspürte eine Angst, wie schon lange nicht mehr und er fürchtete die Gesichter seiner verstorbenen Freunde und Familie noch einmal sehen zu müssen. Er spürte ihre Anwesenheit immer noch um sich. „Einen alten Mann im Schlaf umzubringen ist nichts, worauf man stolz sein könnte.“

 

„Pfft, mir egal“, hielt Tenchi verärgert dagegen. „Ich brauche keinen Stolz. Nur Gerechtigkeit.“

 

Kakashi hätte am liebsten mit dem Kopf geschüttelt. Hinter diesen Gedanken steckte zu viel Sinnlosigkeit. „Weshalb kämpfst du dann gegen mich?“, fragte er. „Ich war es nicht, der eure Eltern miteinander vermählt hat. Und der dritte Hokage ist schon lange tot. Außerdem hat deine Mutter nur ihre Pflicht erfüllt. Sie wusste, was sie tat. Die Aufgabe eines Shinobi ist sich seinem Dorf zu verpflichten und die Missionen zu erfüllen, die ihm auferlegt werden.“

 

Tenchis Miene verzog sich zu einer wütenden Grimasse. „Ich scheiße auf Pflichten!“, schrie er ihm entgegen. Der Druck seiner Klinge gegen seine eigene nahm zu. Nur mit Mühe konnte Kakashi noch dagegen halten. „Und ich scheiße auf die Shinobi! Und die Kage! Wer gibt ihnen das Recht über uns alle zu bestimmen? Das ist nichts weiter als grausame Diktatur! Und wir haben es satt!“

 

Diese Aussage brachte einen Gedankengang bei Kakashi ins Rollen. Das Dorf, das die Zusammenarbeit verweigerte. Die Aussage des Blumenhändlers in Sekikawa, von dem Sakura berichtet hatte. Vielleicht gab es einen Zusammenhang. Doch eine Sache gab es noch, die ihn wunderte.

 

„Weshalb greifen eure Käfer dann auch Zivilisten an?“

 

Die Antwort sprudelte ohne jegliche Schuldgefühle aus ihm heraus. „Kollateralschaden. Abgesehen von den Halluzinationen geschieht ihnen ja nichts. Wir greifen nur die an, die ein Stirnband tragen. Und unser Plan hat gut funktioniert. Wir mussten nicht einmal das Land verlassen. Du bist uns direkt in die Arme– argh!“ Er keuchte, das Gesicht schmerzverzerrt. Er knickte seitlich ein wenig ein. Vermutlich schickte die gebrochene Rippe Wellen des Schmerzes durch seinen Körper.

 

Kakashi nutzte diesen kurzen Moment. Er holte mit dem rechten Bein aus und versuchte seinem Gegner die Beine wegzutreten, doch Tenchi wich durch einen Sprung in die Höhe aus. Kakashi griff nach der Kette des Kusarigama und zog ruckartig daran, wodurch er Tenchi zu sich heran zog. Mit der anderen Hand holte er aus und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, sodass sein Gegner zu Boden ging. Im nächsten Moment formte Kakashi die Fingerzeichen für Ochse, Hase und Affe und erweckte erneut Raikiri.

 

Blitzschnell stürmte er auf seinen Gegner zu, holte aus und schlug zu, doch Tenchi wich mit einer Rolle zur Seite aus und ließ sich schließlich vom Felsen fallen, wodurch seine von Blitzen umhüllte Hand lediglich ein klaffendes Loch im Gestein hinterließ. Kakashi setzte ihm hinterher und sprang ebenfalls zu Boden. Als er sich dort umsah befand er sich auf einem blutigen Schlachtfeld. Entsetzt entdeckte er die Leichen seiner Teamkameraden.

 

Vor ihm lag Sakura, auf dem Rücken liegend, die Augen geschlossen. Man könnte glauben sie würde friedlich schlafen, wäre da nicht der zerfetzte Brustkorb und die riesige dunkle Blutlache um sie herum. Beinahe hätte er sie für Rin gehalten, wären da nicht ihre rosa Haare gewesen. Zu seiner Rechten erkannte er Sasuke, der auf mittlerer Höhe eines Felsen über einem kleinen Felsvorsprung hing. Strähnen seines schwarzen Haares verdeckten sein Gesicht, doch die lange Blutspur, die von seinem Körper den Fels hinab zum Boden lief, deutete darauf hin, dass auch er unmöglich noch am Leben sein konnte. Auf der gegenüberliegenden Seite hing Naruto rücklings schlaff über einem mittelgroßen Felsbrocken, der Rücken so stark durchgebogen, dass das Rückgrat offensichtlich gebrochen war. Aus seinem Körper ragten unzählige Kunai und Shuriken. Von der Hand, die vom Stein herabhing, tropfte unentwegt Blut.

 

Entsetzt weiteten sich Kakashis Augen.

 

Das ist nicht real!

 

Das war nur eine Ablenkung. Eine Einbildung. Eine Halluzination.

 

Und dennoch …

 

Angst. Alles was er spürte, waren Angst und Schmerz. Er wusste, dass dies nicht die Wirklichkeit sein konnte, doch konnte er wirklich sicher sein? Im Gegensatz zu seinem Vater, Obito, Rin und Minato, die längst tot und keinesfalls hier sein konnten, war der Tod seiner Teamgefährten ein Szenario, das durchaus im Bereich des Möglichen war.

 

Nachdem Kakashi damals jeden verloren hatte, der ihm etwas bedeutete, hatte er jahrelang versucht, niemanden mehr an sich heranzulassen. Es hatte zwar weiterhin Bindungen gegeben, wie seine ewige Rivalität mit Maito Guy oder seine Freundschaft zu Asuma und Kurenai, doch erst Team 7 hatte es geschafft wieder einen Platz in seinem Herzen zu finden.

 

Team 7. Sein erstes und einziges Team. Die einzigen Schüler, die er jemals anerkannt hatte. Vermutlich lag es vor allem daran, dass Naruto, der Sohn seines ehemaligen Senseis, in diesem Team war, und Kakashi es als seine Pflicht angesehen hatte, sich um ihn und seine Shinobi-Ausbildung zu kümmern. Durch ihn fühlte er sich Minato immer ein wenig nah. Naruto, Sasuke und Sakura hatten es geschafft, die Leere in seinem Herzen, die Obito, Rin und Minato hinterlassen hatten, zu füllen.

 

Und er würde es nicht ertragen, sie ebenfalls sterben zu sehen.

 

Er würde sie mit seinem Leben beschützen. Nicht nur, weil er der Hokage war und sich dazu verpflichtet fühlte, jeden aus Konoha zu beschützen, sondern weil sie sein Team waren.

 

Seine Freunde.
 

Seine Familie.

 

Kakashi holte einmal tief Luft, sammelte sich und konzentrierte sich auf seine Umgebung. Da! Er konnte die Chakren seiner Teamkameraden spüren. Sie waren in der Nähe, lediglich außer Sichtweite. Er verspürte enorme Erleichterung.

 

Jetzt hieß es nur noch den Feind zu finden und ihn auszuschalten. Die beiden Brüder hatten es vor allem auf ihn abgesehen. Doch sie würden ihn mit ihren Halluzinationen nicht brechen. Sie würden es noch erleben, was es bedeutete, Kakashi Hatake herauszufordern. Er war nicht umsonst Hokage.

 

Dies würde mit Sicherheit nicht sein letzter Kampf werden.

 
 

* * *

 

Mit einem Mal verschwanden die schrecklichen Bilder in ihrem Kopf. Schwer keuchend schlug Sakura die Augen auf. Sie brauchte einige Momente, um sich zu orientieren. Sie kniete auf dem staubigen Erdboden und war eingeschlossen von Mauern aus getrocknetem Schlamm – das Jutsu der sich erhebenden Wand.

 

„Alles in Ordnung?“, fragte Naruto, der ihr die rechte Hand reichte und ihr dabei half aufzustehen.

 

Sakura nickte, obwohl sie die noch feuchten Tränenspuren auf ihren Wangen spüren konnte. Tenchi hatte sie mithilfe seines Kekkei Genkai wieder einmal die schlimmsten Halluzinationen durchleben lassen. Der Schrecken steckte ihr noch tief in den Knochen. Aber das Erlebte, ein wilder Mix aus Erinnerungen und Befürchtungen, war zum Glück nicht real gewesen.

 

„Was ist passiert?“, fragte sie, da das letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, dass jemand Tenchi aus seinen Fesseln befreit hatte. „Und wieso sind wir hier drin?“

 

Narutos Miene verdüsterte sich. „Du wolltest gerade den Gefangenen heilen, als plötzlich dieser Kerl aufgetaucht ist und ihn befreit hat. Kakashi meinte, er sei Tenchis Bruder. Dann haben die beiden uns angegriffen. Mein Original kämpfte gerade zusammen mit Kakashi gegen Tenchi, als er dich angreifen wollte. Da du dich nicht wehren konntest hat Kakashi uns hiermit“ – er klopfte zweimal mit dem Fingerknöchel gegen die nächstgelegene Mauer – „geschützt.“

 

Naruto legte den Kopf in den Nacken und blickte die Mauern hinauf nach oben. Sakura tat es ihm gleich. Dann war das hier also kein Gefängnis, sondern ein Bunker. Die Steinmauern reichten mit Sicherheit vier Meter hoch. Über ihren Köpfen konnte sie den Himmel erkennen, der sich langsam verdunkelte. Die ersten Sterne waren bereits zu erkennen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde die Nacht hereinbrechen, was den Kampf noch weiter erschweren würde.

 

„Jetzt wo du wieder kämpfen kannst sollten wir schleunigst hier raus“, sagte Naruto nun, der sich wieder in den Kampf stürzen wollte. Da sie wieder klar denken konnte, wollte Sakura ebenfalls ihr Team unterstützen, statt wieder einmal eine Last zu sein. Auch wenn sich ein Medic-Nin aus dem Kampf weitestgehend heraushalten sollte, gab es vielleicht doch etwas, das sie tun konnte.

 

Aber eine Frage ließ sie einfach nicht los: Wieso hatten die Halluzinationen so plötzlich aufgehört? Oder würden sie jeden Moment wieder beginnen? Sakura wartete einige Sekunden, aber nichts geschah. Der Spuk war anscheinend vorerst vorbei. Aber wieso? Sie ging die möglichen Optionen durch: War Tenchi bereits besiegt? Nein. Das hielt sie für unwahrscheinlich, denn außerhalb der Mauern konnte sie weiterhin die Kampfgeräusche hören. Demnach gab es nur noch folgende Möglichkeiten: Entweder waren Opfer und Anwender zu weit von einander entfernt – denn Sasuke hatte erwähnt, dass Tenchi in der Nähe seines Opfers sein musste – oder aber – und diese Theorie hielt sie für wahrscheinlicher – er konnte nicht mehrere Personen gleichzeitig quälen, was bedeutete, dass es ihm gelungen sein musste jemand anderen aus ihrem Team zu berühren.

 

Für einen Moment verspürte sie Gewissensbisse, weil ihr zuerst Sasuke in den Sinn kam.

 

„Die anderen brauchen unsere Hilfe. Es sieht so aus, dass–“ Mitten im Satz löste sich der Schattendoppelgänger mit einem Puff in einer Rauchwolke auf. Und Sakura wurde eines klar: Narutos Original steckte offenbar in Schwierigkeiten.

 

Dieser sowie der Gedanke, dass Tenchi jemanden aus ihrem Team quälte, machte sie wütend. Sie musste helfen, sofort! Medic-Nin hin oder her – sie würde mit Sicherheit nicht nur herumstehen und zusehen. Ihre Wut entlud sie indem sie ihre rechte Hand zur Faust ballte und mit voller Wucht gegen die Steinwand schlug, die daraufhin aufbrach, sodass sie sich aus ihrem Bunker befreien konnte.

 

Als Staub und Gesteinsbrocken die Sicht freigaben und Sakura das Geschehen um sich herum erfasste, stockte ihr der Atem.

 

Auf einem der Felsen befand sich Naruto, der gerade auf die Knie sackte. Die Sichel von Tenchis Kusarigama steckte tief in seinem Bauch. Dieser Anblick schockte sie geradezu, denn selbst aus der Entfernung konnte sie erkennen, dass er es auf die Bauchschlagader abgesehen hatte. Der Ninja aus dem Aburame-Clan richtete sich aus seiner gebückten Haltung auf, zog währenddessen ruckartig an seiner Waffe, wodurch die Klinge mit Gewalt aus dem Körper herausgezerrt wurde, was die Wunde zweifelsohne noch größer und tödlicher machte. Sakura glaubte, Narutos schmerzerfülltes Keuchen selbst aus der Distanz hören zu können. Ein Laut, der ihr durch Mark und Bein ging.

 

Oh, nein, bitte nicht!

 

Für einen Moment war sie wie erstarrt und vergaß, wie man atmete. Das Gefühl der Hilflosigkeit überkam sie; das gleiche Gefühl, wie damals bei Ino.

 

Ino …

 

Nein, sie würde nicht zulassen, dass Naruto starb! Sie würde alles tun, um ihn zu retten. Sakura rannte los, um ihm zur Hilfe zu eilen, da hob Tenchi auch schon des Sieges sicher sein Bein, stieß mit der Sohle seines Stiefels hart gegen Narutos Brustkorb und trat ihn somit vom Felsen.

 

„Naruto!“ Sakura rannte so schnell sie konnte, obwohl ihre innere Stimme ihr zuflüsterte, dass sie es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde, seinen Sturz abzufangen. Aber sie würde lieber sterben, als es nicht zu versuchen.

 

Ihr blonder Kamerad fiel wie ein Stein gen Boden und ihre Verzweiflung wurde immer größer. Dieser Sturz war vielleicht nicht tödlich, aber gemeinsam mit der Wunde sah das schon ganz anders aus. Sollte die Blutung nicht gestoppt werden würde er innerhalb kürzester Zeit verbluten. Sie rannte, rannte weiter.

 

Zwei Meter, ehe er auf dem Erdboden aufprallte, wurde Naruto aufgefangen. Sakura sah zuerst lediglich nur eine Silhouette. Doch dann kam die Person auf sie zu, brachte Naruto aus der Gefahrenzone, und Sakura erkannte das vertraute Gesicht. Tenchi indes musste zurückweichen, da er im selben Augenblick angegriffen wurde, von einem Wirbelwind, der auf ihn zuschoss.

 

„Gatsūga!“

 

Vorsichtig legte Hinata Naruto auf den Boden, wobei sie seinen Kopf in ihren Schoß bettete. Ihre weißen Augen mit dem aktivierten Byakugan blickten den halb bewusstlosen Blondschopf besorgt an. Bei ihnen angekommen fiel Sakura neben ihnen sofort auf die Knie, legte ihre beiden Handflächen auf Narutos Verletzung am Bauch und aktivierte ihr heilendes Chakra, um die Wunde zu schließen. Dabei spürte sie das warme Blut, das aus seiner Wunde quoll und durch ihre Finger sickerte. Ihr wurde auf einmal ganz schlecht, als ihr auch der Geruch in die Nase stieg. Das lag nicht an dem Blut per se, denn daran, sowie an noch schlimmere Bilder von Verletzungen war sie durch die Arbeit im Krankenhaus gewohnt. Doch dies war wie ein Déjà-vu, beinahe so wie bei Ino. Mit aller Kraft drückte sie die Wunde zu, damit Naruto nicht verblutete. Sie traute sich nicht einmal ihn anzusehen, aus Angst, sie würde nicht ihn, sondern ihre verstorbene Freundin vor sich liegen sehen.

 

„Hinata“, keuchte sie erleichtert, um sich von den Erinnerungen jener Nacht abzulenken. „Du kommst gerade rechtzeitig.“ Sie schenkte der Blauhaarigen einen kurzen, dankbaren Blick, ehe sie sich wieder Narutos Heilung widmete. Die Verletzung war schlimm. Er hatte bereits viel Blut verloren. Aber er würde es überleben, wenn sie schnell handelte. Zuerst stoppte sie die inneren Blutungen und regte die Blutbildung an, da sie für eine Transfusion keine Zeit hatten. Ihre Heilkräfte flickten Stück für Stück die Aorta, die inneren Organe und das Muskelgewebe zusammen. Die Prozedur war anstrengend und Sakura spürte, wie sich auf ihrer Stirn bereits feine Schweißperlen bildeten. Doch dafür war sie da: um Leben zu retten. Noch einmal würde sie einen Freund nicht sterben lassen.

 

„Hi… Hinata …?“ Narutos schwere Augenlider flatterten leicht und seine hellblauen Augen suchten nach seiner Retterin. Hinata beugte sich zu ihm herab, um seinem Blick entgegenzukommen. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln während sie mit ihrer Hand immer wieder langsam, beinahe zärtlich, durch sein blondes Haar strich.

 

„Es wird alles gut“, versicherte sie ihm. Es klang so überzeugend, dass selbst Sakura ihr Glauben schenkte. „Sakura kümmert sich um dich.“

 

Narutos benommene Augen wanderten langsam zu seiner Teamgefährtin. „Ist nicht … das erste Mal … dass sie mich … zusammenflickt …“ Er versuchte sich an einem Lächeln. Sein rechter Mundwinkel hob sich. In seinem Blick lag reine Zuversicht, als würde er Sakura und ihrem Können voll und ganz vertrauen. Eigentlich sollte sie sich darüber freuen. Aber sie tat es nicht.

 

„Sei still“, entgegnete Sakura mit einem Kloß im Hals. „Ich muss mich konzentrieren.“

 

Das war leichter gesagt, als getan, denn der Lärm des Kampfes um sie herum nahm zu. Hin und wieder hob sie den Blick, um sich umzuschauen. Team 8 hatte sich ihnen angeschlossen. Sie sah, wie eine Wolke von Käfern auf eine andere prallte und sie sich wie in einem tosenden Strudel miteinander verschmolzen, sodass man nicht mehr ausmachen konnte, welche Käfer zu welchem Ninja gehörten. Links von ihr kämpften nun Sasuke und Kakashi gegen Tenchi, während es rechts von ihr Kurenai und Kiba gegen Toshio aufnahmen.

 

„Was machst du hier?“, fragte Naruto leise, in dessen Gesicht inzwischen wieder etwas mehr Farbe kam. Sakura stieß die Luft aus, von der sie gar nicht mitbekommen hatte, dass sie sie angehalten hatte. Gut, die Blutbildung mithilfe ihres Chakras zeigte Wirkung.

 

Hinata wandte ihre Augen nicht ein einziges Mal von ihm ab, als gäbe es in diesem Moment nichts Wichtigeres als ihn. Sakura verspürte einen Hauch von Eifersucht, bei dem Anblick der beiden. Es lag so viel Zuneigung in ihren Blicken. Sie kam sich vor, wie ein Eindringling in einen privaten Moment. Aber so merkte Hinata wenigstens nicht, wie sehr ihre Finger immer noch zitterten. Das würde die Hyūga mit Sicherheit verunsichern.

 

„Als Pakkun sich aufgelöst hat wussten wir, dass etwas schief gegangen sein musste“, erklärte Hinata. „Deshalb hat Akamaru eure Fährte aufgenommen. Wir sind so schnell gekommen wie wir konnten.“

 

Naruto lächelte leicht. „Das war schlau … von Kakashi.“

 

Bei der Erwähnung ihres Senseis blickte Sakura auf. Er kämpfte immer noch. Das bedeutete, dass es sich bei Tenchi um einen starken Gegner handeln musste, wenn selbst der Hokage nicht gegen ihn ankam. Noch dazu kämpfte er gemeinsam mit Sasuke.

 

Sakura war hin- und hergerissen. Einerseits wollte sie ihr verbliebenes Team im Kampf unterstützen, aber andererseits war es ihre Aufgabe sich um Narutos Verletzung zu kümmern. Und das hatte oberste Priorität. Auch wenn sie den gröbsten Schaden beseitigen konnte und er nun nicht mehr in Lebensgefahr war, würde er im Anschluss medizinische Versorgung brauchen. Seine Genesung würde Tage, wenn nicht sogar Wochen in Anspruch nehmen.

 

Angespannt wischte sie sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, bemerkte dabei aus den Augenwinkeln ihre blutverschmierte Hand. Ihr blieb nichts anderes, als zuzusehen und auf Team 7 und 8 zu vertrauen.

 
 

* * *

 

„Doton! Ganchūsō!“

 

Spitze Speere aus Gestein kamen blitzschnell aus dem Boden hervor und brachten die beiden Ninja aus Konoha sowie deren Ninken dazu, auszuweichen. Gegen drei Gegner zu kämpfen war gar nicht so einfach, vor allem, wenn man noch dazu die Käfer lenkte, die gegen den Aburame kämpfen. Toshio warf einen Blick über seine Schulter zu dem Mann, der aus dem gleichen Clan stammte, wie einst seine Mutter. Viel konnte er von ihm nicht erkennen, da die Kapuze seiner Jacke, der hohe Kragen sowie die dunkle Sonnenbrille beinahe sein komplettes Gesicht verdeckten. Eigentlich sollte er sich mit diesem Mann verbunden fühlen, schließlich floss in ihnen das gleiche Blut. Doch Toshio verspürte nichts weiter als sinnesvernebelnden Zorn.

 

Diese Sonnenbrille …

 

Für einen Moment sah er das Gesicht seiner Mutter vor sich, wie sie ihn beruhigend anlächelte, mit einem Veilchen im Gesicht und einer aufgeplatzten Lippe … Wie sie ihm versicherte, es würde alles wieder gut werden … Ihre dunkle Sonnenbrille lag mit zerbrochenen Scheiben auf dem Fußboden neben ihr … Wie oft war sie in all den Jahren bereits kaputt gegangen?

 

Er sieht noch jung aus, dachte Toshio. Nur einige Jahre jünger, als ich.

 

Ob er ihren Namen überhaupt kennt?

 

Chie Aburame?

 

Toshio wandte den Blick von seinem Verwandten ab. Niemals würde er jemanden als Seinesgleichen bezeichnen, der die Taten eines Diktators hinnahm, diese auch noch unterstütze und für so jemanden arbeitete. Dabei Menschen opferte, wie Spielsteine beim Shōgi.

 

Der Konoha-Nin und sein Ninken griffen im Doppelpack an, doch Toshio wich schon beinahe mühelos aus. Seine dunklen Augen suchten die Umgebung nach der rotäugigen Kunoichi ab. Sie schien für den Moment verschwunden. Doch als er eine Präsenz hinter sich spürte und sich rasch umdrehte, erkannte er, wie sie aus einem Baum herausglitt, von dem er schwor, dass er in dieser kargen Erdlandschaft zuvor noch nicht gewesen war. Dessen dicke Äste griffen bereits nach ihm, doch er wich mit einem Rückwärtssalto aus. Die Augen der Kunoichi waren ebenso rot, wie das Sharingan, aber sie war keine Uchiha. Auch wenn man von ihrem Genjutsu darauf hätte schließen können. Die schwarzen Haare sprachen ebenfalls dafür. Doch alle Welt wusste, dass es nur noch zwei Uchihas auf dieser Welt gab. Und die waren beide männlich.

 

Schnell warf Toshio einen Blick zu seinem Bruder – und biss verärgert die Zähne zusammen. Tenchi hatte Schwierigkeiten. Er war verletzt. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht den Anschein machte, dennoch sah Toshio es in seinem angespannten Blick und seinen hektischen Bewegungen. Natürlich überraschte ihn dies nicht. Wie sonst hätten sie ihn schnappen können? Tenchi hätte sich niemals ohne Gegenwehr gefangen nehmen lassen. Außerdem musste es doch überzeugend aussehen. Da nahmen sie einige Verletzungen in Kauf. Er musste zugeben, dass Tenchi wirklich gut reagiert hatte, nachdem er auf die Konoha-Nins getroffen war. Schließlich war dieses Aufeinandertreffen alles andere als geplant gewesen. Dennoch ließ es ihn nicht kalt, seinen kleinen Bruder in so einem Zustand zu sehen, auch wenn die Medic-Nin ihm einige seiner Wunden geheilt hatte – was ihn zugegebenermaßen ein wenig überrascht hatte. Nur gut, dass Tenchi ihm einen Käfer geschickt hatte, sodass er zur Unterstützung eilen konnte, sonst wären sie in einer völlig anderen Situation.

 

Doch selbst wenn er Dankbarkeit empfand, für diese glückliche Wendung des Schicksals, die aufgetretene Verstärkung der Konoha-Nins war eindeutig ein Problem. Gegen vier hatten sie bereits Schwierigkeiten gehabt, aber gegen acht?

 

Toshio sah kurz zu der Rosahaarigen und den anderen beiden in sicherer Entfernung. Der Blonde am Boden würde zumindest in nächster Zeit kein Problem mehr für sie darstellen, aber er würde überleben. Auch wenn die drei dort nicht am Kampfesgeschehen teilnahmen hieß es momentan immer noch zwei gegen fünf.

 

Sie mussten sich zurückziehen.

 

Das schmeckte ihm gar nicht.

 

Nicht nur, dass sie ihr Ziel, den Hokage ebenfalls umzubringen, nicht erreicht hatten, sondern auch, dass sie nun aufgeflogen waren. Man kannte nun ihre Identität und das Geheimnis um die Käfer, die Halluzination der Dorfbewohner und den Tod des Tsuchikage.

 

Aber viel wichtiger war erst einmal, dass er seinen kleinen Bruder hier rausbekam.

 

Er wandte sich von seinem Gegner ab und wollte sich Tenchi nähern. Die Kunoichi stellte sich ihm schnell in den Weg. „Wo willst du denn hin?“, fragte sie. Ihr entschlossener Blick teilte ihm mit, dass sie ihn nicht entkommen lassen würde.

 

„Tenchi!“, rief er über sie hinweg. „Wir ziehen uns zurück.“

 

Nicht nur in seiner Stimme, sondern auch im Gesicht seines Bruders war der Unmut über diesen Befehl schwer zu überhören. „Nein! Einen habe ich schon erwischt. Die anderen sind auch gleich dran.“ Dabei hielt er sich die schmerzende Seite und keuchte schwer. Toshio kannte seinen kleinen Bruder. So stur wie er war – und vor allem stolz – würde er sich niemals freiwillig zurückziehen.

 

Die Kunoichi griff ihn an. Sie warf zwei Shuriken, denen er mühelos auswich. Doch dann traf ihn etwas unerwartet von hinten in den Rücken. Ein stechender Schmerz ließ ihn fluchen. Waren das die Shuriken? Hatte sie sie mit einer Technik dazu gebracht umzukehren, wie bei einem Bumerang? Er blickte über die Schulter und erkannte in wenigen Metern Entfernung die Frau aus Konoha. Die Gestalt vor ihm löste sich auf. Ah, ein Genjutsu. Er zog die Waffen aus seinem Rücken, spürte wie das Blut seinen Rücken hinab lief, und warf die Shuriken achtlos auf den Boden. Die Verletzung war nicht weiter tragisch. Er würde es aushalten, bis–

 

Unter ihm brach der Boden auf und der Ninken stürzte sich zähnefletschend auf ihn. Instinktiv streckte er seine rechte Hand aus und wehrte damit die nach ihm beißende Schnauze ab. Im Bruchteil einer Sekunde drang er dank des Hautkontakts in den Verstand des riesigen Hundes ein.

 

Akamaru …

 

Er aktivierte sein Kekkei Genkai und der Ninken brach winselnd zusammen. Jaulend zog er sich zurück, woraufhin Toshio einen Schwall wüster Beschimpfungen von seinem Herrchen – Kiba – an den Kopf geschmissen bekam, der seinem treuen Gefährten sofort zur Hilfe eilte. Als nächstes drehte sich Toshio um und sprintete auf die Kunoichi zu. Er war schon gespannt, was er in ihrem Herzen sehen würde, welche Ängste sich in ihrem Innersten verbargen. Er griff sie an und zielte dabei bewusst auf ihre entblößte Haut.

 

Sie war schnell, das musste Toshio zugeben. Doch nicht schnell genug.

 

In dem Moment, in dem sie Fingerzeichen formte, packte er sie am Hals.

 

Mit dem rechten Arm hob er sie hoch. Sie zerrte mit ihren Fingern und Nägeln an seiner Hand, doch sein Griff um ihre schlanke Kehle war hart wie Stein. In ihren roten Augen blitzte etwas auf. Die Entschlossenheit nicht aufzugeben. Verachtung. Aber auch … Angst.

 

Er hielt ihrem Blick stand, während er alle Information aus ihr herausfilterte, die er benötigte. Es ging so schnell, dass sie keine Zeit hatte ihn mit einem Genjutsu zu belegen. Innerhalb eines Wimpernschlags wusste er alles über diese dunkelhaarige Schönheit. Kurenai Sarutobi. Aufgewachsen im Yūhi-Clan in Konoha. Still, liebevoll, sensibel, intelligent. Tochter, Kunoichi, Teamleiterin, Ehefrau, Mutter

 

Es war so einfach …

 

Sie griff in ihren roten Ärmel und holte ein Kunai hervor, doch bevor sie es gegen ihn richten konnte ließ er sie Bilder sehen – vom Willen des Feuers

 

Alles verzehrende Flammen, versenge Hitze, qualvolle Schmerzen … und ihre dreijährige Tochter mittendrin, wie sie nach ihrer Mutter um Hilfe schrie, während sie lebendig verbrannte.

 

„Mirai!“

 

Kurenai schlug wie wild um sich, versuchte sich so heftig aus dem Griff zu befreien, dass er beinahe beide Hände benötigte, um sie zu bändigen. Dabei schrie sie panisch den Namen ihrer Tochter. Er würde ihre seelischen Qualen schnell beenden. Mit der linken Hand entriss er ihr mühelos das Kunai, packte den bandagierten Griff der Waffe und stach mit einer gezielten Bewegung zu.

 

In einiger Entfernung spielte sich das gleiche Szenario ab.

 

Ein Kunai bohrte sich in Kurenai.

 

Zwei in Tenchi.


Nachwort zu diesem Kapitel:
*Ryōkan = traditionell japanisch eingerichtetes Reisegasthaus Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Yatai = kleine Imbissbuden, Mini-Restaurants



Hallo liebe Leser,

hiermit ist leider mein Vorrat an fertigen Kapiteln aufgebraucht. Das heißt, dass ich noch nicht weiß, wann das nächste Kapitel kommen wird. Die nächsten Updates werden also unregelmäßig kommen. :/

Liebe Grüße und frohe Ostern! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,

das ist mein bisheriges Lieblingschap in dieser Geschichte. Das Schreiben hat mir unheimlich gut gefallen, da es so schön creepy war ... Noch dazu gibt es jetzt immer mehr SasuxSaku-Szenen. Ich weiß, dass einiges noch sehr verwirrend für euch sein muss, aber der "Vorfall", der sich damals zwischen Sakura und Sasuke zugetragen hat, wird schon bald aufgeklärt (vermutlich im übernächsten Kapitel) und dann wird alles einen Sinn ergeben. In diesem Kapitel gab es ja einige neue Informationsfitzelchen. Hat vielleicht schon jemand eine Vermutung?

Nun haben wir auch den potenziellen Bösewicht dieser Geschichte kennengelernt. Ebenso die Angst von Sakura. Die Ängste von Kakashi und Sasuke werden ebenfalls noch thematisiert.

Ich wünsche euch frohe Pfingsten!
Eure stone Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
A/N: Aufgrund einer ziemlich fiesen Schreibblockade hat dieses Kapitel sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Momentan fällt mir das Schreiben sehr schwer und ich kann nicht garantieren, dass das nächste Kapitel von TWTF zügig kommen wird. Auch meine anderen Projekte sind momentan pausiert :*(

Dieses Kapitel hat mir ziemlich viel abverlangt und ich habe es so oft bearbeitet, wie ich schon gar nicht mehr zählen kann. Aber letztendlich bin ich halbwegs zufrieden damit. Die Geschichte ist aus Sakuras Sicht (abgesehen von den Ängsten), doch da sie an dem aktuellen Kampf nicht aktiv teilnimmt habe ich überlegt, aus welcher Sicht ich ihn schildern könnte ... und mich für Toshio entschieden. Einerseits mag ich es aus der Sicht von "Bösewichten" zu schreiben und andererseits bekommt man dadurch einen guten Einblick in die Hintergründe der beiden Hauptgegner und wie ihr Kekkei Genkai in etwa funktioniert.

Noch etwas: Im Vorwort wurde erwähnt, dass Naruto nicht mit Jiraiya trainiert hat. Aber er kann das Rasengan. Das hat ihm dann wohl Kakashi beigebracht ^^

Liebe Grüße
stone
Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (29)
[1] [2] [3]
/ 3

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sonni
2022-03-23T02:49:47+00:00 23.03.2022 03:49
Hi Stone,
Deine FF hat mich wirklich sehr gefesselt
Die Geschichte ist sehr spannend und hat viel Drama

Ich bin sehr gespannt wie es weiter geht

Liebe Grüße
Sonni
Antwort von:  stone0902
23.03.2022 12:05
Vielen Dank für dein Feedback. Ich habe mich sehr darüber gefreut :)
Leider kann ich noch nicht sagen, wann es bei dieser Story weitergeht :(

Liebe Grüße
stone
Von:  Talyia92
2022-03-08T11:56:01+00:00 08.03.2022 12:56
Oh krass, so mega spannend. War den Vormittag völlig vertieft. Du schreibst echt super, und an Spannung fehlt es auf jedenfall auch nicht. Freu mich auf die nächsten Kapitel :)
Antwort von:  stone0902
08.03.2022 14:56
Vielen Dank! :)
Von:  SasuSaku1
2022-03-02T15:47:55+00:00 02.03.2022 16:47
Hey Stone,
ich habe heute deine Geschichte gelesen und war vom 1. Kapitel bis jetzt, ich bin echt gespannt wie sie weiter geht denn ich habe nicht viele Geschichten gelesen und die innerhalb eines Tages durchgelesen. Also schreibe weiter und ich freue mich auf die nächsten Kapitels.
Lg SasuSaku (Korinna)
Antwort von:  stone0902
03.03.2022 17:00
Vielen lieben Dank für dein Kommi! Das freut mich sehr, dass du die Geschichte so spannend fandest, dass du sie in einem Rutsch durchgelesen hast :)

Wann es weitergeht weiß ich leider noch nicht. Die Geschichte ist auf jeden Fall noch nicht zu Ende und es wird noch einiges passieren ;)

LG
stone
Von:  Lisann
2022-02-20T01:39:39+00:00 20.02.2022 02:39
Wow. Ich habe wirklich seit langen nicht mehr so ein gutes Fanfic gelesen! Ich liebe deinen Schreibstil und es ist echt wahnsinnig spannend.
Ich bin wirklich neugierig was noch passiert! 😍
Antwort von:  stone0902
20.02.2022 11:05
Vielen Dank für dein Feedback! :)
Von:  Kitty_cat
2022-02-02T07:20:00+00:00 02.02.2022 08:20
Also für dass, das du mit einer schreibblockade gekämpft hast, finde ich, dass dir das Kapitel sehr gut gelungen ist. Mir hat es sehr gut gefallen und auch die drei Sichtweisen hast du super beschrieben. Selbst die vom Toshio hat mir gefallen, obwohl ich eigentlich nicht der Fan davon bin in OC-sichtweise zu lesen...

Ich hab mich total gefreut mal wieder was von dir zu lesen und ich hoffe, du findest deine muse wieder, um auch weiter zu schreiben. Ich aufjedenfall, freu mich schon auf das nächste Kapitel, egal wie lang du dafür brauchst^^

Lg Kitty_cat
Antwort von:  stone0902
06.02.2022 12:12
Hallo Kitty_cat,

vielen Dank für dein Kommi und dein Feedback. Es freut mich, dass dir das Kapitel gefallen hat und auch dass Toshio dich überzeugen konnte. OCs sind auch nicht unbedingt meine Favoriten, aber wenn man versucht etwas Neues zu schreiben, ohne auf die bisher bekannten Charaktere (Orochimaru, Pain, Tobi, Madara, ...) zurückzugreifen bleibt einem zwangsläufig nichts anderes übrig. Das ist einerseits nicht leicht, mancht aber auch anderersetis sehr viel Spaß. Vor allem, da sie sehr unterschiedlich sind (Tenchi ist eher überheblich und angriffslustig, wohingegen sein Bruder eher besonnen ist). Mir gefällt Ryu ehrlich gesagt auch sehr gut ^^ Irgendwie haben die drei alle etwas gemeinsam ^^

Der erste Teil (Kakashis POV) war schon sehr früh fertig, aber ich hatte Probleme mit dem weiteren Kampf. Es hat lange gedauert bis ich einen Weg gefunden habe, mit dem ich zufrieden war. Die Geschichte soll nicht schon so früh enden.

Ich hoffe auch, dass die Schreibblockade bald vorbei ist. Ich schreibe immer ein wenig, bin aber nie zufrieden >_<
Momentan schreibe ich an einem anderen Projekt. Mal sehen, wann es bei TWTF weitergeht. Im nächsten Kapitel kommt dann auch wieder mehr SasuSaku ;)

Liebe Grüße und einen schönen Sonntag noch :)
stone
Von:  ChilliSchote
2021-11-19T14:07:37+00:00 19.11.2021 15:07
Boah ey, ist das eine Klasse Geschichte!!!! Ich kann es kaum erwarten wie es weiter geht
Antwort von:  stone0902
20.11.2021 17:10
Vielen Dank! :)
Von:  Mohnstreusel
2021-06-13T20:29:47+00:00 13.06.2021 22:29
Huhu,
Ein tolles Kapitel! Bin gespannt wie es jetzt weiter geht :)

Gruuuß cherry
Antwort von:  stone0902
19.06.2021 12:26
Vielen Dank :)
Von: RuffysKreationen
2021-06-13T10:14:29+00:00 13.06.2021 12:14
Es wurde wirklich Zeit, dass sie sich aussprechen...schön, dass du auch Sasukes Gefühle eingebracht hast :)

Antwort von:  stone0902
19.06.2021 12:26
Huhu,

ja, Sasukes Gefühle fand ich in diesem Zusammenhang auch sehr wichtig. Sakura hat ihm mit ihrem Verhalten ja ziemlich weh getan und so erfährt man auch, weshalb er sich ihr gegenüber so abweisend verhalten hat, obwohl es ja mal eine Zeit gegeben hat, in der sie sich nahe standen ...

LG
Von: RuffysKreationen
2021-06-07T13:37:33+00:00 07.06.2021 15:37
Uff...okay, das ging recht zügig O.o
Hatte ja eher erwartet, das mehr zwischen Sakura und Sasuke lief? Kommt da noch mehr? D:
Umso gespannter bin ich nun auf das Gespräch zwischen den Beiden X3
Antwort von:  stone0902
07.06.2021 20:27
Hallo Ruffy,

was genau ging dir denn zu schnell? Wenn du den Kuss meinst, dann musst du bedenken, dass es dazu ebenso eine Vorgeschichte gibt, die ich aber nicht ausführlich erläutert habe. Sakura und Sasuke sind sich in ihrem Team mit der Zeit immer näher gekommen ... (An einer Stelle habe ich geschrieben, dass sie sich noch nie so nahe standen, wie zu diesem Zeitpunkt und es schon einige Anzeichen von Annäherung seinerseits gab) Es hat sozusagen vier Jahre gedauert, bis es zu diesem Kuss gekommen ist. Sakura war sich ihrer Gefühle ja sehr früh bewusst, aber Sasuke brauchte eben seine Zeit.
Du hattest also mehr erwartet? Bezüglich der Vergangenheit? Dann muss ich dich enttäuschen: da gab es "nur" den Kuss. ;)

Vielen Dank für dein Kommi :)
Antwort von: RuffysKreationen
08.06.2021 16:53
Dass die Gefühle sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, ist ja klar :D
es war nur so schnell vorbei mit allem ^^°
Und vor allem so tragisch...
Antwort von:  stone0902
08.06.2021 18:29
Achso meinst du das ... Ja das stimmt schon, ich hätte den beiden ruhig etwas mehr Zweisamkeit gönnen können ^^ Aber was nicht ist kann ja noch werden ;)
Antwort von: RuffysKreationen
09.06.2021 16:42
Das hoffe ich doch ~
Von:  Studio
2021-06-06T11:31:39+00:00 06.06.2021 13:31
Dramatisch Kapi!!!
Endlich ist es raus, also das da kurz was zwischen Sakura und Sasuke gelaufen ist, hätte ich tatsächlich nicht erwartet! Das du Ino dabei drauf gehen lässt, hab ich schon vermutet, als Sakura mal von ihr in der Vergangenheitsform geredet hat... find ich trotzdem echt traurig...
Aber der Cliffhänger vom letzten Kapi ist immer noch da!? Bei der Spannung wird man ja verrückt! xD xD xD
Ich freu mich schon mega aufs nächste Kapi!!! Ich hoffe, dass dich die Muse zu dieser Story schnell weider packt und wir bald ein neues Kapi lesen dürfen!
VG Studio
Antwort von:  stone0902
07.06.2021 20:29
Hallo Studio,

es freut mich, dass ich dich überraschen konnte :D Und es freut mich, dass du das mit Ino rausbekommen hast. Ich habe versucht es anzudeuten, ohne dabei zu viel zu verraten.

Und danke für das Lob! Ich versuche die Geschichte auch weiterhin spannend zu gestalten, wobei ich schon denke, dass wir uns gerade auf dem Höhepunkt befinden, bzw. ihn gerade erreichen.

Vielen Dank fürs Lesen! :)

LG


Zurück