Ruf in der Nacht von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Derek hatte bereits die gesamte Welt gesehen, jeden Kontinent bereist, doch am Ende zog es ihn doch stets zurück zum Ursprung. Der Mensch mochte diesen Ort verabscheuen, doch der Wolf führte ihn immer wieder mit untrüglichem Sinn hierher nach Beacon Hills. Seine Familie gehörte damals in der alten Zeit zu den ersten Siedlern in dieser Gegend Kaliforniens. Sie hatten sich hier niedergelassen, weil sie sich sicher wähnten. Die hiesigen Ureinwohner ehrten die Gestaltwandler und einige von ihnen waren gar selbst welche. Doch diese Ureinwohner waren längst verschwunden. Sie waren von hier vertrieben worden, denn das Land welches sie genährt hatte, hatte man ihnen geraubt. Sie waren an den Krankheiten der alten Welt, gegen welche sie keine Abwehrkräfte besaßen erbärmlich eingegangen, oder sie waren ganz einfach durch die kranken Lebensweisen der Fremden verführt und zugrunde gerichtet worden. Und die Werwölfe? Sie waren nicht die einzigen, welche aus dem alten Europa hierher in die neue Welt gekommen waren. Nein, ihre Jäger waren ebenfalls hier gelandet, hatten ihren Krieg gegen alle Andersgearteten mit in dieses Land gebracht und im Laufe der Zeit hatten sie jedes Wesen ausgelöscht, welches Derek ähnlich gewesen war. Er hatte nach seinesgleichen gesucht, dabei jeden Stein umgedreht, war Mythen und Legenden auf den Grund gegangen, doch in vierhundert Jahren war Derek keinem einzigen seiner eigenen Art mehr begegnet, zumindest keinem, der noch am Leben gewesen wäre. Die Jäger waren ihm stets zuvorgekommen mit ihren teuflischen Waffen und ihrer Skrupellosigkeit. Und sie waren immer noch da! Die Nachkommen der Argents, jener Familie, welche seinerzeit Dereks gesamte Familie im Feuer ausgelöscht hatte, lebten noch immer in Beacon Hills und sie handelten nach wie vor nach den Lehren ihrer Ahnen, vernichteten bis zum heutigen Tag jedes Leben, welches nicht vollständig menschlich war. Derek war seinen Häschern damals entgangen und lebte im Verborgenen. Er ging den Menschen aus dem Weg. Allen Menschen. Der einzige, der so etwas wie ein Freund für ihn war, war der Druide; das einzige Lebewesen, welches noch älter war, als Derek selbst. Wie auch er, verstand es Alan Deaton sich zu verbergen, sich anzupassen, unterzutauchen und immer wieder in neue Identitäten zu schlüpfen, um in dieser, sich stetig wandelnden Welt zu überleben. Anders als Derek hatte Deaton sich jedoch dann und wann eine Gefährtin genommen, geheiratet, hatte sogar Kinder gehabt. Und während er selbst jung, stark und gesund geblieben war, waren diese gealtert und schließlich gestorben. Oft hatte Alan den Werwolf zu überzeugen versucht, er solle es ebenso machen, weil diese Einsamkeit ihn noch zerstören würde, doch Derek hatte bereits einmal alles verloren. Es verlangte ihn mit Sicherheit nicht danach, diese Erfahrung ein weiteres Mal zu machen. Und wozu auch? Er war sich selbst doch genug. Außerdem zog er die Gesellschaft der Tiere seit jeher jener der Menschen vor. Wann immer er konnte verwandelte er sich daher und streifte als Wolf umher, lebte als einer von ihnen und folgte ihrer Lebensweise. Leider zwang seine menschliche Hälfte ihn früher oder später immer wieder in seine ursprüngliche Gestalt zurück und mit der Rückverwandlung kehrten auch die Erinnerungen mit Wucht zurück. Er hasste es, wenn das geschah! Derek hatte schon jede Art von Bleibe gehabt; ein altes, verrottetes Herrenhaus, eine Hütte im Wald, einen Wohnwagen, eine Fabriketage, einen verlassenen Güterbahnhof und aktuell bewohnte er ein leerstehendes Industriegebäude am Rande des Naturschutzgebiets von Beacon Hills. Er brauchte keinen besonderen Komfort. Es musste einfach nur abgelegen und sicher sein. Fließend Wasser und Strom, wie er es zur Zeit hatte, waren nette Extras, doch er brauchte sie nicht unbedingt. Es war ein ganz gewöhnlicher Abend wie schon unzählige zuvor. Nichts deutete darauf hin, dass heute noch etwas geschehen könnte, was Dereks Leben, ja seine gesamte Existenz schlagartig komplett auf den Kopf stellen würde. Er hatte soeben seine Abendmahlzeit eingenommen, als er den Ruf vernahm. Es war ein menschlicher Schmerzensschrei und er kam tief, tief aus dem nächtlichen Wald. `Nicht sein Problem!´ dachte Derek verächtlich. Menschen hatten nach Anbruch der Dunkelheit nichts im Naturschutzgebiet verloren. Überall standen immerhin die Verbotsschilder. Wer sie nicht beachtete, war schließlich selbst Schuld! Doch es folgten weitere Schreie, Weinen, Rufe nach Hilfe, die ungehört bleiben würden, denn niemand, der nicht über Dereks feines Gehör verfügte, würde sie vernehmen. Irgendwann waren diese Klagelaute das einzige, was Derek noch wahrnehmen konnte. Sie waren so durchdringend und herzzerreißend, dass der Werwolf sich die Ohren zuhielt, doch es half einfach nichts. Diese Rufe waren an ihn gerichtet, an ihn allein; er war gemeint, auch wenn das überhaupt nicht möglich war, wie ihm der rationale Teil seines Hirns versicherte. Es ging über eine halbe Stunde so und die Schreie verloren bereits an Kraft, als Derek sich endlich dazu entschied, ihnen zu nachzugehen. Doch zur Sicherheit verwandelte er sich, denn als Wolf war er schneller, wendiger und konnte sich leichter verstecken, falls das alles lediglich eine Falle der Jäger wäre. Es dauerte eine ganze Weile, ehe der Wolf den Verletzten entdeckte. Es war ein Junge von etwa sechzehn, oder siebzehn Jahren. Er lag am Boden, schwitzend, verkrampft, mit schmerzverzerrter Miene. Der Wolf konnte den schweren, metallischen Geruch von Blut deutlich wahrnehmen. Wilderer trieben bereits seit geraumer Zeit hier im Naturschutzgebiet ihr Unwesen und der Fremde war in eine ihrer Fallen getreten. Es war eine Bärenfalle, dabei gab es in dieser Gegend schon seit einer Ewigkeit keine Bären mehr. Die Läufe jedes Luchses, Koyoten, Hirsches, Fuchses oder Waschbären jedoch, welcher in diese Falle getappt wäre, hätte die Wucht ihrer Stahlzähne mit Sicherheit ganz einfach abgetrennt, doch in den Fuß des Jungen hatten sie durch die halbhohen Stoffturnschuhe hindurch lediglich tiefe Wunden gebissen und ihn dann nicht mehr losgelassen. Derek überkam einmal mehr sein Hass auf die Menschheit, mit ihrer Gier, ihrer Gewissenlosigkeit und Kaltblütigkeit. Sie waren die einzige Spezies, die ohne Not jagte und tötete, nur so zum Spaß, es eine Freizeitbeschäftigung nannte und die sich dann die ausgestopften Köpfe ihrer Beute zur Zier an die Wand hängte. Das war doch einfach nur krank! Und IHN nannten sie ein Monster? Der Junge war kaum noch bei Bewusstsein, doch beim Eintreffen des Wolfes hob er schwach den Kopf: „Da bist du ja. Du bist gekommen.“ murmelte er schwach und streckte vage seine Hand in seine Richtung aus: „Bitte friss´ mich nicht, Wolf.“ Dann verdrehte er die Augen und sein Gesicht sank zurück in den weichen Waldboden. Gnädige Ohnmacht hatte den Jugendlichen endlich von seinen Schmerzen erlöst. Der Wolf betrachtete unschlüssig das magere, junge Menschlein an der Erde, beschnupperte es ein wenig, seufzte dann und verwandelte sich zurück in den Mann. Derek öffnete mühelos die Metallfalle; etwas das der Junge sicherlich lange erfolglos selbst versucht hatte und nahm dann den bewusstlosen Körper hoch. Es war gegen die Natur eines jeden Wolfes, Menschen in seinem Unterschlupf zu dulden, dennoch nahm Derek den Jungen mit in sein Heim und legte ihn in sein Bett. Er entfernte den Schuh vom verletzten Fuß und fuhr seine Krallen aus, um das Hosenbein der Jeans aufzuschlitzen, damit er sich den Unterschenkel anschauen und ein Bild vom Ausmaß des entstandenen Schadens machen konnte. Die Bärenfalle hatte Haut und Muskeln ohne Probleme durchbohrt und war bis zum Knochen durchgedrungen. Gut war nur, dass es nicht sehr stark blutete, was wohl bedeutete, dass keine großen Blutgefäße verletzt worden waren. Der Junge hatte also noch eine Chance. Menschen konnten Infektionen bekommen wusste Derek, also musste er die Wunde reinigen und desinfizieren und zwar am besten bevor der Junge das Bewusstsein wiedererlangte, weil es ihm sonst zu große Schmerzen verursachen würde. Derek trank keinen Alkohol, denn er schmeckte ihm nicht und er hatte bei seiner Spezies auch nicht die berauschende Wirkung wie bei einem Menschen, doch als er in dieses Gebäude eingezogen war, hatte er in einer Kammer einige halbvolle Flaschen Hochprozentiges vorgefunden, die Jugendliche oder Vagabunden hier zurückgelassen haben mussten. Derek reinigte das Bein zunächst mit einem feuchten Lappen und holte dann den Schnaps, welchen er großzügig über die Wunde goss. Dann zerriss er ein sauberes Handtuch und legte dem Jungen damit einen festen Verband an. Nun hatte Derek seinen Patienten für´s Erste versorgt. Die Frage war, was er jetzt mit ihm anstellen sollte? Am besten würde er ihn nachhause bringen. Sollten sich doch seine eigenen Leute um ihn kümmern. Er hatte doch wohl bereits genug getan, oder vielleicht nicht? Derek wühlte in den Taschen des Jungen auf der Suche nach einem Ausweis, einem Führerschein, nach irgendetwas mit einer Adresse darauf, doch er fand nichts. Und was nun? Er könnte den Jungen auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus, oder der Sheriffstation ablegen und dann wieder verschwinden, doch es konnte Stunden dauern, bis ihn dort jemand fand. Bis dahin war der Verletzte vielleicht schon an Unterkühlung gestorben. Und eines dieser beiden Gebäude tatsächlich zu betreten, um den Burschen direkt an jemanden zu übergeben, kam überhaupt nicht infrage. Viel zu riskant! Man würde ihm dann Fragen stellen, die er nicht beantworten wollte und am Ende würde womöglich gar seine wahre Natur entlarvt. Nein, Derek vermied den direkten Kontakt zu Menschen wann immer möglich und damit war er in seinem bisherigen Leben auch sehr gut gefahren. Aus der Bewusstlosigkeit des Jungen war inzwischen ein tiefer Schlaf geworden, wie Derek mit seinen außergewöhnlichen Sinnen wahrnehmen konnte und auch er selbst verspürte mittlerweile eine große Müdigkeit. In seinem Heim gab es nur dieses eine Bett, doch es war groß genug, also legte der Werwolf sich kurzerhand neben den schlafenden Menschen. Er würde merken, wenn dieser erwachte und dann könnte er ihn fragen, wo er herkam und wo er ihn hinbringen sollte. Sicherlich hatte er Eltern, welche ihn bereits vermissten? Derek wollte gerade das Licht löschen, doch etwas ließ ihn innehalten. Erstmals nahm er sich die Zeit, den Jungen neben sich einmal richtig zu betrachten. Die Augen waren geschlossen und ein Kranz aus ungewöhnlich dichten, langen, dunklen Wimpern lag auf den rosigen Wangen. Das hellbraune, kurze Haar war durcheinander geraten, die Haut des Verletzten war hell, empfindlich und hier und da geziert von netten, kleinen Leberflecken. Seine Lippen waren weich, rosig und geschwunden und er hatte eine freche Himmelfahrtsnase. Sein Gesicht wirkte sehr jung. Lediglich der Wuchs seines restlichen Körpers verriet, dass der Junge bereits beinahe erwachsen war. Ehe Derek noch selbst ganz begriff was er tat, berührten seine Fingerspitzen sacht die weichen Wangen und zog sanft die kräftigen Augenbrauen seines Gastes nach. Über sich selbst erschrocken zog er seine Hand wieder zurück, schlug dann energisch auf den Knopf seiner Nachttischlampe, wandte sich entschlossen von dem Jungen ab und richtete sich auf seiner Bettseite für die Nacht ein. Ehe er einschlief wurde er sich einer Sache bewusst: Etwas war anders als sonst! Es war, als ob der Wolf in Derek endlich Frieden gefunden hatte, auch wenn seiner menschlichen Hälfte dessen Rastlosigkeit bis zu diesem Augenblick überhaupt nicht klar gewesen war. Was hatte der Junge gesagt, bevor er das Bewusstsein verloren hatte? `Da bist du ja. Du bist gekommen.´? Das klang ja fast so, als habe er ihn erwartet? Derek hatte das im ersten Moment für das wirre Gerede eines Verletzten im Schockzustand gehalten, doch was, wenn es mehr als das war? `Nein, Moment mal!´ schalt er sich innerlich selbst. Das war doch vollkommen verrückt! Er schloss die Augen und zwang sich selbst dazu einzuschlafen. Mitten in der Nacht erwachte Derek jedoch wieder von einem Stöhnen und Murmeln, welches sein Gast im Schlaf von sich gab. Der Junge würde jeden Moment erwachen und Derek musste ihn nicht einmal berühren, um wahrzunehmen, dass er ein hohes Fieber bekommen hatte, welches den schmalen Körper beinahe verbrannte. Im selben Moment, als Derek das Licht wieder anknipste, öffnete der Junge die Augen, blinzelte in der unerwarteten Helligkeit und mühte sich, sich zu orientieren. Kaum kehrte das volle Bewusstsein wieder, stellten sich auch die Schmerzen, welche vom verletzten Fuß ausgingen mit Wucht ein. Der Junge jaulte auf und verzweifelte Tränen liefen ihm über das Gesicht. Dem Werwolf fiel nur eine Sache ein, die er nun für seinen Patienten tun konnte, doch dies hatte er so lange nicht mehr gemacht, dass er nicht wusste, ob er es überhaupt noch konnte: „Nimm´ meine Hand!“ forderte er von dem Jungen: „Ich will dir helfen.“ Kaum hatten sich die Finger des Verletzten in die Hand des Werwolf gelegt, funktionierte es vollkommen mühelos. Der Schmerz des Jungen strömte in dunklen Linien hinüber in den Körper Dereks, welcher sehr viel leichter damit fertig werden konnte, als jeder Mensch dies vermochte. Der vom Fieber aufgeladene Körper des Verletzten entspannte sich ein wenig und der Werwolf atmete auf. Die Augen des Jungen waren blank vom Fieber, die Farbe der Iris hatte in diesem Moment einen hellen Karamellton: „Ich kenne dich. Ich habe von dir geträumt.“ erklärte er mit belegter Stimme. Derek schüttelte den Kopf: „Das ist kein Traum gewesen. Das ist eine Erinnerung.“ widersprach er: „Ich war es, der dich im Wald gefunden hat, weißt du noch?“ „Nein, von früher!“ gab der Junge zurück: „Ich habe von dir geträumt! Immer wieder habe ich von dir geträumt, seit ich ein kleines Kind war. Ich wusste immer, dass du mich eines Tages finden würdest. Wo ist der Wolf? Er lebt bei dir, oder nicht? Ist er hier irgendwo?“ Der erschöpfte Verletzte hob den Kopf und blickte sich suchend im Raum um. Derek erschrak ein wenig. Er setzte sich auf und protestierte heftig: „Du täuschst dich. Du fantasierst. Es ist bloß das Fieber.“ Der Junge blickte ihn ratlos an: „Aber das Feuer... ich habe das Feuer gesehen.“ „Was für ein Feuer?“ herrschte Derek ihn an: „Woher weißt du davon?“ Der Junge zuckte ein wenig zusammen: „Ich... ich sage doch, ich habe davon geträumt.“ stammelte er: „Du hast nach mir gesucht. Du hast immer schon nach mir gesucht. Und nun willst du mich gar nicht?“ Er sackte in sich zusammen und weinte ein wenig. Seine Lider begannen zu flattern und ehe Derek noch etwas erwidern konnten, hatte der Junge ein weiteres Mal das Bewusstsein verloren. Bislang hatte der Werwolf es nicht bemerkt, weil er von den Worten des Jungen abgelenkt gewesen war, doch nun nahm er diesen neuen Geruch wahr. Die Wunde des Jungen hatte sich, seinen Bemühungen zum Trotz offenbar dennoch entzündet und die Infektion war bereits deutlich fortgeschritten. Sein Patient würde aus dieser Bewusstlosigkeit womöglich nicht noch einmal erwachen, wenn er nichts unternahm. Die Zeit drängte! Derek nahm sein komisches, neumodisches Telefon zur Hand, welches er im Grunde immer noch nicht richtig bedienen konnte und rief die einzige Nummer an, welche in seinem Telefonbuch gespeichert war. Sein Freund Deaton war zwanzig Minuten später bei ihm – übernächtigt und mit seiner Arzttasche in der Hand, denn er war der örtliche Veterinärmediziner. Alan ließ sich alles berichten was geschehen war, während er die Wunde des Verletzten eingehend untersuchte. Dann erklärte er: „Du hast großen Mist gebaut, Derek! Du hättest dieses eine Mal deine Scheu vor den Menschen überwinden und den Jungen ins Krankenhaus bringen sollen. Der Kleine wird sterben, wenn du nicht ganz schnell etwas unternimmst. Im Hospital können sie sein Leben vielleicht noch retten, auch wenn er sein Bein in jedem Fall verlieren wird.“ Der Werwolf blickte seinen Freund mit vor Schreck geweiteten Augen an: „Das kannst du gar nicht wissen!“ rief er aus: „Der Junge schafft das schon! Ein bisschen Schlaf, ein wenig Medizin und dann wird das schon wieder.“ Deaton seufzte: „Deine Art kann diese Dinge mit ihren Sinnen doch viel besser wahrnehmen, als irgendwer sonst, mein Freund. Was verrät dir denn deine Nase?“ Derek konzentrierte sich einen Moment und bekannte dann geschlagen: „Er stirbt.“ Alan Deaton betrachtete seinen Freund eingehend und schließlich fragte er: „Wieso hast du den Jungen überhaupt gerettet? Wieso hast du ihn nicht einfach sich selbst überlassen? Du machst dir doch sonst nichts aus den Menschen. Was war dieses Mal anders?“ Derek zuckte die Schultern und entgegnete gereizt: „Woher soll ich das denn wissen? Er hat eben um Hilfe gerufen. Außer mir gab es niemanden, der ihn hören konnte. Was sollte ich denn machen? Er ist doch noch ein halbes Kind.“ Deaton blickte ihn mysteriös an, denn das war etwas, was er sehr gut konnte: „Nein mein Bester, ich denke, es ist sehr viel mehr als das. Was genau hat dich zu dem Jungen eilen lassen? Sag´ es mir! Sei ehrlich! Ich vermute, es ist wichtig.“ „Was weiß ich?“ fuhr der Werwolf seinen Freund an: „Es hat mich eben einfach zu ihm gezogen. Es war keine bewusste Entscheidung.“ Der Druide nickte wissend: „Ich denke ich weiß, was das bedeutet. Weißt du es auch?“ „Musst du immer in Rätseln sprechen?“ murrte Derek unzufrieden: „Komm´ schon Derek. Du weißt, was es bedeutet. Deine Instinkte mögen nach all den Jahrhunderten des Alleinseins ein wenig eingerostet sein, doch du bist immer noch ein Wolf. Denk´ nach! Streng dich an!“ forderte Deaton: „Du denkst doch nicht...“ stammelte Derek: „Das kann nicht dein Ernst sein! Er ist noch nicht einmal erwachsen. Er hat irgendwo da draußen Eltern, die ihn lieben. Er ist ein Mensch. Und er... er ist doch EIN JUNGE!“ Der Tierarzt lächelte nachsichtig: „Das spielt alles keine Rolle und das weißt du auch ganz genau, Derek. Und du weißt auch, dass eine solche Gelegenheit für die meisten deiner Art nur einmal im Leben kommt. Was wirst du also tun? Willst du sie verschenken und für immer allein bleiben? Wirst du ihn sterben lassen?“ Derek massierte sich angestrengt die Stirn: „Er könnte so oder so sterben. Es könnte zu einer Abstoßungsreaktion kommen.“ gab er matt zurück: „Nein, das glaube ich nicht.“ erwiderte Deaton: „Wenn es so ist wie ich annehme, dann ist es Schicksal.“ „Und was, wenn ich dazu nicht mehr fähig bin? Was wenn ich bereits zu lange allein war? Was wenn er mich wahnsinnig macht? Was wenn es doch ein Fehler sein sollte? Dann wäre es das für immer! Und was wenn der Bursche es überhaupt nicht will? Das wäre doch möglich?“ ratterte Derek die Fragen herunter, die ihm durch den Kopf schossen. „Sei nicht so ein erbärmlicher Feigling!“ forderte der Druide ohne großes Mitgefühl. Derek knurrte leise. Dann gestand er ein: „Als der Junge wach war, hat er behauptet, er würde mich aus seinen Träumen kennen. Er wusste von dem Wolf und dem Feuer.“ Deaton rollte mit den Augen: „Na bitte! Welche Gewissheiten brauchst du denn noch? Gott, der durch einen brennenden Dornenbusch zu dir spricht? Tu es einfach!“ Derek schloss mit einem tiefen Seufzer die Augen: „Also gut, dann geh´ jetzt, Alan. Ich muss eine wichtige Entscheidung treffen und dazu muss ich allein sein.“ forderte er. Alan Deaton nickte: „Aber denk´ nicht zu lange darüber nach. Ich fürchte, der Kleine hat nicht mehr viel Zeit.“ sagte er noch, ehe er seine Tasche nahm und wieder verschwand. Derek blieb zurück, setzte sich neben den Jungen auf das Bett und betrachtete ihn. Draußen ging soeben die Sonne auf und im roten Licht des anbrechenden Tages schien das fiebrige Gesicht noch mehr zu glühen. Es war ein sehr schönes Gesicht. Derek fragte sich wie es wohl wäre, bis zum Ende seiner Tage in dieses Antlitz zu blicken? Er strich zärtlich eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn des Jungen. Der Mensch mochte große Zweifel haben, doch der Wolf hatte sich längst entschieden, bereits in jenem Moment, als er dem Ruf des Jungen am Abend zuvor gefolgt war. Derek schob das Shirt des Verletzten seitlich an und fuhr seine Fänge aus. Seine Augen glommen rot auf und er setzte den Biss zur Verwandlung direkt oberhalb des Hüftknochens. Es war eine mächtige Erfahrung, einen Menschen in seinesgleichen zu verwandeln und Derek machte sie in diesem Moment zum ersten Mal. Beinahe überwältigte es ihn. Doch dieser Junge würde sehr viel mehr als nur ein einfacher Beta für ihn sein, wenn Deaton mit seiner Annahme Recht hatte. Die nächsten Stunden würden darüber entscheiden, wie es mit dem Verletzten weitergehen würde. Derek wich nicht von der Seite des Schlafenden, ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Wie würde er wohl reagieren, wenn er erwachte? Würde er verstehen, was mit ihm geschehen war? Würde er Derek hassen, weil er ihn zu diesem Leben verdammt hatte? Bald stellte der Werwolf fest, dass sich kein Zeichen einer Abstoßungsreaktion zeigte. Stattdessen heilte die Wunde des Jungen vollständig. Er würde es schaffen! Es dauerte dennoch viele Stunden, ehe er endlich die Augen öffnete. Jedoch schloss er sie sogleich wieder, hielt sich zusätzlich die Ohren zu und stöhnte: „Zu hell! Zu... zu laut! Diese Vögel... sie sind direkt in meinem Kopf!“ Derek verstand, was der Junge meinte, erhob sich und schloss sowohl sein Fenster um das Gezwitscher der Vögel draußen ein wenig zu dämpfen, als auch die Vorhänge, um das Licht der herein scheinenden Mittagssonne zu dämpfen: „Es ist okay!“ versicherte er mit sanfter Stimme und kehrte zu seinem Beta zurück: „Entspann´ dich und konzentrier´ dich nur auf meine Worte. Du musst dich erst daran gewöhnen, wie es jetzt ist. Keine Sorge, das wird schon!“ Derek hoffte, dass er Recht behalten würde. Er hatte noch nie jemanden gekannt, der nicht bereits als Wolf geboren worden war. Der Junge nahm die Hände herunter, öffnete vorsichtig wieder die Augen und blinzelte den Werwolf an: „Du...?“ stammelte er ratlos: „Ich kenne dich! Also... also waren es doch nicht nur Träume?“ Dann hielt er nachdenklich inne: „Moment mal? Ich bin jetzt anders..! Ich fühle mich... stark! Du! Was hast du mit mir gemacht?“ Derek schluckte schwer: „Ich musste es tun! Du wärst doch sonst gestorben.“ rechtfertigte er sich unbehaglich. Der Junge runzelte die Stirn, schien in sich hinein zu spüren und wollte dann wissen: „Was bist du? Was... was bin ich?“ „Werwölfe. Das ist es was wir sind. Was... uhm... was sagst du dazu?“ erwiderte Derek unsicher: Die Augen des Jungen wurden riesig und rund. Dann lachte er: „Du verarschst mich doch?“ „Wie bitte?“ fragte der Ältere irritiert: „Zeig´ es mir!“ forderte der junge Beta: „Wie bitte?“ wiederholte Derek, wie eine Schallplatte, die einen Sprung hatte: „Was soll ich dir zeigen?“ „Na den Werwolf. Zeig´ mir, wie das aussieht!“ verlangte der Junge. Derek seufzte theatralisch. Was hatte er sich da denn nur eingehandelt. Er war selbst überrascht, dass er der dreisten Forderung dieses Grünschnabels einfach so widerspruchslos Folge leistete. Derek Stirn und seine Wangenknochen wölbten sich vor, ihm spross Fell an den Kiefern, seine Augen glommen rot auf und seine Fänge und Krallen zeigten sich: „SCHEIßE, DAS IST SO COOL!“ rief der Junge aus und streckte seine Hände aus, um Dereks Wolfsgesicht zu berühren. „Es ist unhöflich, mich einfach so anzugrabschen!“ protestierte der Alpha und entzog sich. Der Junge lachte: „Du musst gerade reden! Du hast ohne zu fragen einen Werwolf aus mir gemacht. Das ist auch ziemlich unhöflich, findest du nicht?“ „Hätte ich es nicht getan, dann wärst du jetzt tot.“ rechtfertigte sich Derek: „Heißt das denn jetzt, du willst nicht so sein, wie ich?“ Der Jüngere ließ ihn ein wenig zappeln, ehe er mit einem frechen kleinen Grinsen antwortete: „Machst du Witze? Ich finde es super! Ich kann es nicht erklären und konnte es bislang auch nicht genau benennen, doch im Grunde habe ich es immer schon gewusst, dass mit mir eines Tages etwas ganz besonderes geschehen würde. Mein ganzes Leben bis zu diesem Tag war nichts weiter als ein Warten. Ein Warten auf... auf dich.“ Der Junge senkte errötend das Haupt: „Ich gehöre nun dir, oder nicht? Ich bin dein?“ Derek schluckte erneut und erwiderte verlegen: „Ich bin dein Alpha. Das bedeutet, du gehörst zu meinem Rudel. Alles andere... also... das ist deine Entscheidung.“ Er schwieg eine Weile und auch der Junge schien die Bedeutung dieser Worte abzuwägen. Schließlich stellte Derek fest: „Es ist so verrückt. Ich kenne noch nicht einmal deinen Namen.“ „Ich bin Stiles.“ gab der Junge zurück: „Das ist ein Name?“ fragte der Ältere irritiert. „Ja, und glaub´ mir einfach, der ist besser als der Name, den meine Eltern mir gegeben haben. Den kann nämlich kein Mensch aussprechen!“ gab Stiles zurück: „Ich heiße Derek.“ murmelte Derek und kam sich schlagartig jung und dumm vor, ein Gefühl an welches ein uraltes Geschöpf wie er sich beinahe gar nicht mehr erinnerte. Stiles grinste. Offenbar gefiel es ihm, den Älteren in Verlegenheit zu bringen: „Hallo Derek.“ sagte er förmlich. Dann fragte er: „Du sagtest, ich gehöre nun zu deinem Rudel. Heißt das, es gibt noch mehr von uns?“ Derek senkte das Haupt, als sei es urplötzlich zu schwer für ihn. Ein Blick in sein Gesicht reichte Stiles vollkommen, um zu verstehen. Er nahm die Hand des Älteren in seine und versicherte sanft: „Es ist in Ordnung, Derek. Nun bin ich bei dir und alles ist so wie es sein soll.“ „Ist es denn nicht irgendwie merkwürdig und überwältigend für dich, was gerade geschehen ist?“ erkundigte sich Derek unsicher: „Wie fühlst du dich?“ Stiles lächelte: „Ich fühle mich gut. Ich fühle mich stark. Ich fühle mich... als sei ich endlich angekommen.“ Dann verdüsterte sich seine Miene kurz: „Ich habe bloß keine Ahnung, wie ich das alles meinem Dad erklären soll?“ Er schüttelte sich, wie um diesen Gedanken rasch wieder loszuwerden. Dann sprang er vom Bett auf und begann ohne zu fragen ob es erlaubt sei, in Dereks Schränken und Schubladen zu kramen. Er holte eine Dose gebackene Bohnen und einen trockenen Kanten Brot hervor: „Ist das etwa alles, was du im Haus hast? Ich habe Hunger wie ein Wolf!“ Derek sollte eigentlich ärgerlich sein über diese Frechheit, doch gegen seinen Willen musste er grinsen, wie ein Idiot. Es war, als habe man einen Welpen im Haus. Und in gewisser Weise war es ja auch so. „Na was, dann esse ich wohl zuhause.“ stellte Stiles fest: „Dad wird sich ohnehin schon große Sorgen um mich machen. Wie spät ist es eigentlich?“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr: „OH FUCK! Eigentlich sollte ich bereits seit vier Stunden in der Schule sitzen!“ „Du kannst ab jetzt nicht mehr in die Schule gehen. Es ist zu gefährlich. Es gibt Gefahren. Es gibt Jäger!“ widersprach Derek alarmiert. Stiles lachte und schüttelte den Kopf: „Was redest du denn da? Natürlich werde ich weiter zur Schule gehen. Mir passiert schon nichts. Du wirst mir alles beibringen, was ich wissen muss und du wirst mich beschützen. Ich habe keine Angst.“ Derek seufzte schwer: „Ich bin dein Alpha. Und wenn ich dir sage, du kannst nicht mehr in die Schule gehen, dann musst du mir gehorchen.“ Stiles schüttelte den Kopf: „Nein, so machen wir das nicht.“ stellte er klar: „Das ist doch total altmodisch. Wir führen einen gleichberechtigte Alpha-Beta-Beziehung. Und nun bring mich nachhause! Hast du überhaupt ein Auto? Weil weißt du... ich habe ja nicht einmal mehr Schuhe, die ich anziehen kann. Meine sind total ruiniert.“ Derek wurde in dieser Minute eines vollkommen klar: Mit seinem beschaulichen Leben war es nun endgültig vorbei und er hatte einen Haufen Arbeit vor sich. Er griff sich seinen Autoschlüssel und sagte geschlagen: „Also gut, Cinderella. Fahren wir!“ „Eine Sache noch!“ gab Stiles zurück, stellte sich vor Derek auf die Zehenspitzen und küsste ihn zart: „ Ich habe meinem Retter ja noch gar nicht gedankt.“ Kurz erstarrte der Alpha überrumpelt. Dann übernahm sein Wolf die die Kontrolle und er schlang fest die Arme um den Jüngeren. Endlich! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)