Deine Tränen auf meiner Wange von Stiffy (Meine einzige Freiheit) ================================================================================ Kapitel 13: Mit dir am Ende im Dunkeln -------------------------------------- Lucius schätzte seine Eltern tatsächlich grausamer ein, als sie es in Wirklichkeit waren. Freilich hatten sie eine Weile über das Schicksal des Dienerjungen beraten, doch an dessen Tod hatten sie nur sehr kurz gedacht. Verbannung war es, worauf es hinaus lief; dabei war es egal, was er ihnen sagen würde. Und Xaves, zu allem Überfluss, kooperierte. Er sagte, was er zuvor Lucius eingetrichtert hatte. Alles seine Schuld, er habe den Prinzen verführt, dieser könne nichts dafür. Der Junge wirkte sehr gefasst in diesem Moment, das fand Liz, die nur schwer an sich halten konnte, nicht loszuweinen, wie schon zuvor, als sie dem Verhör Lucius’ beigewohnt hatte. Sie wusste um die Liebe der beiden und wusste, wie schrecklich es für sie sein würde, getrennt zu sein. Selbst wenn sie sich in den letzten Monaten voneinander entfernt hatten, so waren sie im Herzen verbunden geblieben. Was würde geschehen, wenn man dies Band nun endgültig durchtrennte? Und so reifte ein Plan in der jungen Frau, während das Königspaar noch von Verbannung sprach. Sobald sie es konnte, verließ sie die Richterstätte und ging zu Calia hinüber, denn sie war sich sicher, die gutherzige Köchin würde alles tun, um die beiden Jungen glücklich zu wissen. Der junge, verzweifelte Prinz verbrachte Ewigkeiten auf dem Boden an die Tür gelehnt. Er konnte sich nicht davon wegbewegen, in der Hoffnung, er möge Xaves Schritte draußen hören, obwohl er wusste, dass dies nie wieder der Fall sein würde. Waren sie nicht am Morgen noch zusammen in seinem Bett aufgewacht? Es hatte Distanz zwischen ihnen geherrscht, dieser merkwürdigen Art, wie sie in den letzten Monaten schleichend entstanden war, aber sie hatten einander doch berührt und waren sich nahe gewesen. Tag für Tag hatten sie es geschafft, die Finsternis zumindest auf Abstand zu halten, doch dann war sie nun doch über ihnen zusammengebrochen. Ausgerechnet in dem Moment, als sie einander endlich wieder verstanden hatten. Lucius vergrub das Gesicht tiefer in den Händen und verfluchte sein Leben. Warum musste er als Prinz geboren worden sein? Warum konnte er nicht ein ganz normaler Junge sein? Stattdessen hatte er nun ein Leben vor sich, dass er nie hatte führen wollen. Früher war ihm egal gewesen, wozu er bestimmt war; vielleicht war er damals auch zu jung, um sich darüber Gedanken zu machen. Doch seit Xaves in sein Leben getreten war, hatte sich alles verändert. Er hatte sich verändert und er konnte sich nicht vorstellen, wie aus ihm je wieder der gleichgültige Junge von früher werden sollte. Er wollte schreien, doch mittlerweile war alle Kraft verschwunden. Er sah in die Dunkelheit seiner Hände und wollte sich nicht fragen, was wohl gerade mit Xaves geschah. Dennoch konnte er im Grunde an nichts anderes mehr denken. Ob sein Freund überhaupt noch atmete? Würde er je erfahren, was mit ihm geschehen war? Irgendwann nickte er dort am Boden ein, frierend und erschöpft. Er glitt in wirre Träume hinein und erst ein Flüstern weckte ihn, eine leise Stimme durch die Tür hindurch. Er erkannte Liz’ Stimme sofort und fuhr herum. „Was ist mit Xaves?“, wollte er wissen. „Ist er…“ Er konnte nicht mal die Frage zu Ende aussprechen. „Ihm geht es gut“, beruhigte Liz ihn. „Er ist im Keller.“ „Was passiert mit ihm?“ Die Erleichterung raubte ihm fast die Stimme. „Sie bringen ihn fort. Morgen.“ Lucius sprang augenblicklich auf. „Bring mich zu ihm“, bat er durch das Holz hindurch. „Ich muss ihn sehen!“ Liz zögerte nicht, als sie dies hörte. Sie hatte bereits damit gerechnet, der Schlüssel war schon lange in der Tasche ihrer Schürze gewesen. Sie schloss also die Tür auf und ließ den Prinzen aus seinem goldenen Gefängnis. Anschließend öffnete sie noch ein Fenster und schloss die Tür von außen wieder ab. Lucius war noch nicht oft in den Keller hinab gestiegen. Er wusste, dass es hier viele kleine Räume gab; sie alle waren dunkel, düster und hatten ihn immer geängstigt. Heute jedoch fürchtete er sich vor anderen Dingen mehr, suchte die Schwärze mit den Augen ab und war verwundert, dass jede Wache, die sie passierten, den Kopf zu Boden neigte, ohne ihn sehen zu wollen. Am Ende eines Ganges schloss Liz eine Tür auf zu einem winzigen, aber durch Kerzenlicht gewärmten Raum. Ein kleines Strohbett stand darin und darauf kauerte ein Junge, welcher erschrocken die Augen aufriss, als er den Prinzen sah. „Was machst du denn hier?“, zischte er und wich an die Wand zurück; Lucius Hände fanden ihn dennoch und er war so froh, als Xaves die Berührung sofort erwiderte. Sie klammerten sich aneinander wie Ertrinkende. „Ich komm dich holen“, sagte Lucius und war fast selbst überrascht über seine Worte. Sie kamen aus ihm wie selbstverständlich, er hatte sie nicht geplant oder durchdacht. „Aber das geht nicht! Ich-“ „Nein!“, unterbrach Lucius ihn und befahl dann barsch: „Jetzt hörst du mir zu! Ich liebe dich, verstehst du?“ Er lehnte dann doch sanft seine Stirn gegen die andere. „Und deshalb werde ich nicht zusehen, wie sie dich fortbringen. Ich kann nicht ohne dich sein!“ „Aber auch nicht mit mir“, drängte Xaves schmerzvoll hervor. „Doch. Doch das geht, irgendwie geht es.“ Langsam verstand er, was ihr letzter Ausweg war. „Weit weg von hier. Irgendwie wird es funktionieren. Nicht wahr?“ Dabei sah er nun Liz an, die im Türrahmen stand und die beiden traurig beobachtete. „Nicht wahr, Liz? Wir können fort von hier?“ Die junge Frau war auch darauf vorbereitet gewesen. In den letzten Stunden, seit Xaves hier hinunter gebracht worden war, hatte sie etwas getan, dass sie gut und gerne ihren Job kosten könnte, käme es je heraus, wenn nicht noch mehr als das. Doch sie hatte es dennoch getan, mit der Hilfe und dem Wissen vieler anderer, da sie sich schuldig fühlte. Schuldig, weil sie schon Jahre zuvor erkannt hatte, worauf die Jungen hinsteuerten. Sie hatte es geschehen lassen, obwohl sie wusste, dass es nicht so sein durfte. Sie hatte die Augen verschlossen und versucht, es zu ignorieren, und somit die beiden nur weiter in ihr Unglück laufen lassen. Sie hätte schon damals, als sie sie zum ersten Mal gemeinsam im Bett liegen sah, etwas tun müssen. Wenn sie mit der Information zum Königspaar gegangen wäre, hätte man die Jungen damals schon getrennt. Lucius hätte es vielleicht schade gefunden, aber schnell vergessen. Und Xaves wäre vermutlich an einen befreundeten Hof gebracht worden, um dort zu arbeiten. Es wäre okay gewesen, die Jungen wären daran nicht zerbrochen und die paar gemeinsamen Tage hätte ihr Leben kaum verändert… doch jetzt, Jahre später, war es einfach undenkbar, dass sie nicht zusammensein sollten. Sie hatte Calia wie immer in der Küche vorgefunden, doch nie war die alte Frau, ihre Mentorin, so bleich gewesen wie an diesem Tag. Sie hatte geweint, das sah man deutlich, und verzweifelt fragte sie nach Xaves. Liz hatte sie mit sich gezogen in die Speisekammer und ihr dort ihren Plan verraten, der eintreten würde, wenn der Prinz danach fragte. Und beide waren sich einig, dass er es definitiv tun würde. Deshalb war sie nun nicht überrascht sondern erleichtert, dass sie einen Ausweg bieten konnte. Und so zog sie den anderen Schlüssel hervor, den sie bei sich trug, und führte die Jungen hinaus. Hinaus aus dem kleinen Raum und hinaus aus dem Keller, durch eine unscheinbare Tür, die im Dunkeln lag und seit Jahren nicht benutzt worden war. Den Wachen nickte sie im Vorbeigehen zu; jeder von ihnen wusste, was es später zu tun galt. Xaves fuhr das Quietschen der eisernen Tür in Mark und Bein und er war sich sicher, dass die Wachen sofort kommen und sie aufhalten würden. Er klammerte sich an Lucius Hand und blieb wie angewurzelt stehen, nun überzeugt davon, dass er bald seine Eltern wiedersehen würde. Zu seiner Überraschung aber blieb es still hinter ihnen und dann merkte er, wie Liz ihn sanft am Arm berührte. „Keine Angst“, flüsterte sie. „Aber wir sollten uns beeilen. Für euch zählt jede Minute.“ Kaum hatte sie ausgesprochen, wurde er mitgezogen. Lucius ging entschlossen die Treppe hinauf und Xaves konnte nur folgen, zu überrumpelt von der ganzen Situation. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Minuten zuvor noch hatte seine Welt in Scherben gelegen und er hatte keine Zukunft für sich gesehen… und jetzt? Jetzt tat sich eine Möglichkeit auf, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Genau genommen nicht mehr, seit er zum ersten Mal im Arm des Prinzen eingeschlafen war. Er klammerte sich fester an dessen Hand und wagte kaum, die Freude in seinem Herzen zuzulassen. Sollte es etwa noch eine andere Zukunft für ihn geben? Eine Zukunft zusammen mit dem Menschen, den er mehr als alles auf der Welt liebte? Als sie bei Calvaro und Filena ankamen, war der Stall in die nächtliche Dunkelheit getaucht, wie Lucius es erwartet hatte. Anders als erwartet, waren aber beide Tiere gesattelt und neben Filena wartete jemand, der sofort die Arme ausstreckte. Doch dies war nicht für ihn bestimmt, wusste er schon bevor Xaves seine Hand losließ. Sein Freund versank in den Armen der Köchin und trotz seiner angespannten Stimmung konnte Lucius ein Lächeln nicht unterdrücken. Er wusste, wie wichtig Calia für Xaves war, und auch wenn er immer insgeheim etwas neidisch gewesen war, dass er selbst nie so eine fast mütterliche Zuneigung hatte kennenlernen dürfen, erfüllte es ihn nun mit einem warme Gefühl, die beiden in ihrer letzten Umarmung zu sehen. Er drehte sich um und ging zurück zu Calvaros Box. Schritte folgten ihm. „Danke“, sprach er leise, während er Liz nicht ansehen konnte und stattdessen in die Taschen schaute, welche dem Tier umgebunden waren. Als sie jedoch nichts erwiderte, sah er sich doch zu ihr um. Im wenigen Mondlicht, das in den Stall fiel, konnte er ihr Gesicht kaum erkennen. Umso mehr überraschten ihn die Worte. „Es tut mir leid“, sagte die junge Frau, welche für ihn vor Xaves immer die wichtigste von allen Personen an der Residenz gewesen war. Zwar waren ihm Gefühle der Zuneigung damals fremd gewesen, doch Liz war seit er denken konnte an seiner Seite gewesen und hatte ihn immer unterstützt. Wie hätte er sie nicht in sein Herz schließen können? „Was tut dir leid?“, fragte er, da er es nicht verstand. „Alles“, sprach sie vorsichtig. „Ich habe nichts getan, um das alles zu verhindern.“ „Was für ein Quatsch!“, sagte er da und musste an sich halten, nicht laut zu werden. „Nichts muss dir leid tun, denn genau das hier ist es, was ich will!“ „Bist du dir sicher?“ Es war nicht Liz, die diese Frage stellte, sondern Xaves, der nun ebenfalls in die Box trat. Auf dem Gang hinter ihm sah man das helle Fell von Filena schimmern. „Verschwinden? In Ungnade fallen? Ein Niemand sein? Nie wieder die Möglichkeit haben, zurückzukehren?“ Die Worte ließen Lucius lächeln, denn die Fragen machten ihm keine Angst. Viel mehr noch, er merkte, wie überaus bereit er sich fühlte. „Ja“, sagte er aus tiefster Überzeugung. „Du hast mir früher oft erzählt, wie das Leben außerhalb dieses Hauses aussieht. Ich fand es immer spannend und ich möchte es kennenlernen.“ „Es ist nicht spannend“, widersprach Xaves energisch. „Es ist meistens nicht einfach und wir werden es besonders schwer haben, weil wir noch so jung sind. Das Leben da draußen kann sehr hart sein und grausam. Es-“ „Grausamer als hier weiter ein Leben zu leben, das meine Eltern bestimmen, ohne dich an meiner Seite?“, fiel Lucius ihm ins Wort. Daraufhin wusste Xaves nichts zu erwidern, denn nur ein leises „Lucius…“ verließ seine Lippen. „Willst du nicht bei mir sein?“, fragte der Prinz also und hatte einen kurzen Augenblick lang tatsächlich Angst vor der Antwort. „Doch!“, kam es jedoch sogleich, vollkommen erschrocken. „Aber-“ „Liebst du mich?“, unterbrach er sofort den Protest. „Natürlich!“ „Na siehst du!“ Er drehte er sich um und griff nach Calvaros Zügeln. Der Hengst schnaubte, als habe er nur darauf gewartet. „Das ist das Wichtigste, alles andere wird sich finden.“ Er führte Calvaro zum Ausgang der Box und lächelte Liz dabei zu, die es sogleich erwiderte. Xaves musste zur Seite weichen, um dem großen Tier Platz zu machen, und als die Jungen sich gegenüber standen, konnte Lucius die geliebten Augen glänzten sehen. Er streckte die Hand aus und Xaves’ Wange schmiegte sich sogleich dagegen. Lucius wusste, dass die Zeit drängte, aber er hatte noch eine wichtige Frage. „Du hast dir von mir nie etwas zum Geburtstag gewünscht oder sonst irgendwann…“, sprach er nun sanft. „Dabei musst du doch Wünsche haben?“ Xaves schien die Frage deutlich zu überraschen. Er senkte den Blick, Lucius konnte nicht ausmachen, wohin der Junge sah. „Habe ich auch… einen einzigen“, sprach sein Freund dann langsam und griff nun Lucius’ freie Hand. „Aber das hast du mir immer schon gegeben …“ „Was ist es?“ Lucius tat der Druck der Berührung gut. Überhaupt ging es ihm gerade irgendwie gut, denn er sah schon sein neues, freies Leben vor sich. „Freiheit“, kam es dann ganz leise und Xaves sprach damit das Wort aus, das Lucius soeben selbst im Sinn hatte. Der Blick wurde wieder gehoben, der Griff nun klammernd. „Die habe ich mir immer gewünscht… Aber schnell habe ich gemerkt, dass es für mich nur noch eine Freiheit gibt, die ich will: mit dir zusammen sein zu dürfen. Dann ist es egal wo ich bin.“ Lucius spürte das Lächeln auf den eigenen Lippen und als er sich vorbeugte und Xaves küsste, merkte er auch dessen Lächeln. „Auch du bist meine einzige Freiheit“, sprach er, als der Kuss endete. „Und deshalb lass uns endlich hier verschwinden!“ „Und dann?“ „Dann…“ Lucius drückte noch einmal die geliebte Hand, bevor er sich umdrehte und auf Calvaros Rücken kletterte. „Dann werde ich nur noch ein einfacher Junge sein. Du zeigst mir, wie das wirkliche Leben funktioniert, mit allen Stolpersteinen und Herausforderungen...“ Er musste grinsen bei diesem spannenden Gedanken, während er Xaves beobachtete, wie dieser in den Sattel stieg. „Wir reiten immer vorwärts und schauen nie mehr zurück!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)