Deine Tränen auf meiner Wange von Stiffy (Meine einzige Freiheit) ================================================================================ Kapitel 5: Deine Distanz zu mir ------------------------------- Der Prinz traute seinen Ohren nicht, als er von den bereits beschlossenen Plänen erfuhr, und als sie ihm ein zweites Mal dargelegt wurden, explodierte er. Zwar war das Zimmer, welches nun Xaves’ werden sollte, gerade einmal durch den Flur von seinem eigenen getrennt, aber trotzdem wollte Lucius von so einer räumlichen Trennung einfach nichts hören. Von seinem Protest allerdings wollten die Eltern nichts hören, denn das Thema war schon besiegelt; alle Sachen, welche man irgendwie Xaves zusprach, wurden bereits im Augenblick des Gesprächs in das entsprechende Zimmer hinübergebracht. Lucius schäumte vor Wut, während er hinauf stürmte und die Bediensteten zwischen den Räumen vorfand; einem schlug er ein Bündel Kleider aus den Händen und schrie ihn an, bis Xaves dazu kam und ihn mit sich zog. „Lass es sein!“, sagte der junge Diener energisch. „Es hat keinen Zweck!“ „Aber sie können doch nicht einfach-“ „Doch, sie können.“ Die Freude des Vortages war aus Xaves’ Gesicht bereits vollends gewichen. Lucius wollte weiter protestieren, doch Xaves hielt ihn davon ab, schüttelte sanft den Kopf und nahm ihn bei der Hand, dort, wo sie keiner sehen konnte. „Es ist doch nur der Gang dazwischen“, lächelte er sanftmütig. „Und am Tag sind wir doch immer zusammen.“ „Am Tag?“ Lucius horchte auf. „Willst du etwa…“ Er machte große Augen und sprach nicht zu Ende. Verwirrt schüttelte er Xaves‘ Hand ab. Er sah seinem Freund in die Augen und spürte mit einem Mal eine riesige Enttäuschung; keine Wut mehr wie zuvor, sondern ein namenloser Schmerz. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, dreht er sich um und lief davon. Erst bei Calvaro angekommen blieb er wieder stehen, öffnete die Box und führte den Hengst hinaus. Noch während er auf das sattellose Pferd aufstieg, hörte er Xaves rufen, doch es war ihm gleich und er trieb Calvaro zum Galopp. Schnell schon hörte er keine Stimmen mehr. Lucius ritt nicht zur Wiese und auch sonst an keinen der üblichen Orte, da er nicht gefunden werden wollte. Irgendwo weit weg ließ er sich aus dem Sattel hinunter, zog seine Schuhe aus und vergrub seine Zehen im Sand. Er hatte das Bedürfnis, wie am Vortrag laut zu schreien, doch er fürchtete, dass Xaves in der Nähe sein könnte, ihn dann hörte und finden würde. Also biss er sich auf die Lippe und versuchte, das Gefühl zu verschlucken, den Ärger, die Wut, die Enttäuschung. Letzteres konnte er noch nicht mal genau benennen, auch wenn er tief in sich wusste, was der Grund dafür war: Selbst noch als er wütend das Zimmer der Eltern verlassen oder dem Bediensteten das Kleiderbündel aus der Hand geschlagen hatte, war er davon überzeugt gewesen, dass Xaves auch weiterhin nachts neben ihm liegen würde. Zwar machte es ihn rasend, dass seine Eltern dem Jungen ein eigenes Zimmer zusprachen, nur um Distanz zwischen ihnen zu schaffen, doch er hatte nicht geglaubt, dass Xaves sich an die räumliche Trennung hätte halten wollen. Nicht einen Augenblick hatte er selbst dies auch nur in Erwägung gezogen; Xaves hingegen schien es nicht sonderlich zu stören. Lucius brüllte nun doch laut in die Bäume, da ihn seine Wut aufzufressen drohte. Vielleicht hoffte er sogar, Xaves würde ihn hören, doch wenn dem so war, dann kam er nicht zu ihm, denn bis zum Abend, bis es dunkel wurde und Lucius unerträglichen Hunger verspürte, blieb er mit Calvaro allein. Dann erst ritt er langsam zurück, keine Lust darauf, irgendwem unter die Augen zu treten, doch natürlich sah er schon von weiten Leuten, die nach ihm suchten. Auch sie entdeckten ihn schnell und Liz schloss ihn erleichtert in die Arme, als er in Calvaros Box endlich hinabstieg. Nur Xaves war nirgends zu sehen, was Lucius sehr schmerzte. Heimlich hatte er gehofft, der Junge würde in der leeren Box warten. Traurig und noch enttäuschter als zuvor folgte er Liz hinein, welche ihm etwas zu essen warm machte. Trotz des Hungers hatte er nun keinen Appetit mehr und trieb sich nur ein paar Bissen hinunter. Nach Xaves fragt er nicht und der Junge tauchte auch nicht auf, selbst nicht, als Lucius vor seiner eigenen Zimmertüre stand und zu der anderen, geschlossenen hinübersah. Einen winzigen Moment lang verspürte er das unerträgliche Bedürfnis, hinüberzugehen, doch er zwang sich, es nicht zu tun. Er verkrampfte seinen Körper und unterdrückte die bittere Enttäuschung, auch wenn sie in schweren Worten dennoch aus ihm hervordrangen. „Ich hasse dich!“, sprach hier der kindliche Trotz aus ihm und dann schlug er die eigene Tür hinter sich zu, nicht ahnend, dass die Worte zu laut gesprochen waren, um vom Holz der Tür aufgesogen zu werden. Dies gab sie gedämpft weiter und sie fanden Ohren, für welche sie nicht wirklich bestimmt gewesen waren. Hier hinterließen sie Schmerz und Trauer, Kälte und Einsamkeit, während es dem Prinzen indes die Tränen aus den Augen trieb und er sich alleine in seinem Bett vergrub. In dieser Nacht hatte er zum ersten Mal seit über einem Jahr wieder einen Albtraum. Wie der gute Diener, der er sein sollte, klopfte Xaves am nächsten Morgen an die Tür des Prinzen. Er hatte minutenlang davorgestanden und das Holz betrachtet, mit sich gehadert, da er nicht glaubte, dass er es über sich bringen würde, Lucius zu sehen. Er hatte kaum geschlafen in der Nacht und sich schon lange nicht mehr so sehr nach seinen Eltern gesehnt. Er weinte viel und verfluchte sich dabei für jede einzelne Träne. Er wusste, was seine Pflichten waren, was er durfte und was er lassen sollte; er wusste, dass er nicht fühlen durfte, wie er es tat, und er wusste auch, dass er dennoch nichts daran ändern könnte. Zudem durchdrangen die drei Worte der Bitterkeit seinen Geist immer wieder, er hatte sie die ganze Nacht in ihrer Kälte nicht abschütteln können, wie sehr er sich auch sagte, dass sie nicht so gemeint gewesen waren. Er hatte sich nicht davon überzeugen können, zu genau sah er noch den Blick vor sich, der sie meilenweit trennte, bevor Lucius weggerannt und den ganzen Tag nicht wieder aufgetaucht war. Xaves hatte ewig in Calvaros Box gewartet, bin ihn Liz überredet hatte, endlich reinzugehen. Nun bereute er dies sehr, obwohl er nicht wusste, ob es einen Unterschied gemacht hätte. Noch immer sah er vor sich, was in den sonst so liebevollen Augen geblitzt hatte und was es ihm jetzt so schwer machte, die Hand gegen das Holz zu erheben. Und dennoch tat er es, da er sich seiner Pflichten und den Befehlen besann. Drinnen war der Prinz schon lange wach, als das leise, gar schüchterne Klopfen erklang. Er hatte seit geraumer Zeit durch das Fenster in den Himmel gestarrt, hatte sich gefragt, was nun wohl mit ihnen passieren würde. Er wusste keine Antwort, da er sich bisher sicher gewesen war, dass sie nichts trennen würde. Nun war es doch geschehen, durch eine winzige Kleinigkeit, die er doch nicht von sich schütteln konnte. Als es klopfte, schloss der Prinz fix die Augen und stellte sich schlafend; er war noch zu keiner Entscheidung gekommen und wusste nicht, wie er diesen Tag beginnen sollte. Lucius hörte die zaghaften Schritte, welche zu seinem Bett kamen; er spürte auch, wie sich die Matratze ein wenig bewegte und dann spürte er unerwartet die warme Hand auf seiner Schulter. Sein Zucken verriet deutlich, dass er schon wach gewesen war; Xaves wich sofort zurück. „Guten Morgen“, flüsterte er und als Lucius ihn ansah, hatte der Junge den Kopf tief gesenkt. Nicht einmal seine Wimpern waren erkennbar. Dem Prinzen blieb der Mund offenstehen; er brachte einfach keine Antwort zu Stande, zu sehr verletzte ihn dieser ergebene Anblick des Freundes. Noch schlimmer war allerdings, dass Xaves schon wieder die Robe der Bediensteten trug, ein Anblick, der Lucius einfach nur zuwider war. Als keine Erwiderung kam, drehte Xaves sich um und ging zum Schrank. Er verbot sich selbst, sich traurig zu fühlen, holte Kleider heraus und half Lucius, der nur widerwillig aufstand, in sie hinein. Dabei sahen die beiden einander nicht an, doch kurz bevor Xaves sich wegdrehte, konnte Lucius erkennen, dass die blauen Augen gerötet waren. Auch etwas, das er seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen hatte; auch etwas, das ihn schmerzte. Instinktiv streckte er die Hand aus und wollte nach der des anderen greifen, doch bevor sie ihn berühren konnte, zog er sie auch schon wieder zurück. Er war doch sauer, fiel ihm ein, er war enttäuscht. Also stampfte der trotzige Junge ins Bad und schlug laut die Tür hinter sich zu. Er hinterließ einen bleichen Xaves, der sich seit einem Jahr nicht mehr so einsam gefühlt hatte. Die beiden Jungen gingen einander den ganzen Tag über mehr oder minder aus dem Weg, obwohl sie doch die meiste Zeit beieinander waren. Sie sahen sich nicht an, berührten sich nicht, und lediglich der Prinz sagte dann und wann ein paar Worte, um seinem Diener Anweisungen zu geben; eine weitere Sache, welche seit so langer Zeit nicht mehr vorgekommen war. Xaves, natürlich, tat all das, was von ihm verlangt wurde, ohne sich ein einziges Mal dazu zu äußern. Welchen Ausdruck er dabei auf dem Gesicht trug, konnte Lucius nie erkennen, da der Junge ihm seinen Rücken bei jeder Gelegenheit zudrehte. Dies führte nur dazu, dass er ihm etwas Neues auftrug, immer in der Hoffnung, irgendwelche Reaktionen zu erhalten; doch sie blieben aus, stur, den ganzen Tag lang. Am Abend hatte Lucius das Bedürfnis, Calia zu fragen, wie es Xaves wohl ginge, doch als er vor ihre stand, war er zu stolz; ebenso wie er zu stolz war, den Jungen selbst zu fragen. Er war an einen Punkt gelangt, an dem er es nicht einsah, weshalb er den ersten Schritt gehen sollte. Also ließ er sich zum ersten Mal seit einer langen Zeit wieder alleine ins Badewasser nieder und befahl Xaves, für ihn zu singen, da er die Stille nicht ertragen konnte. Die Stimme aber, die er hörte, machte es nur noch schwerer; sie war emotionslos und Lucius schloss die Augen, denn er wollte weinen; es kostete ihn alle Mühe, es nicht zu tun. Hätte er bloß den Kopf gedreht und Xaves in diesem Augenblick ins Gesicht gesehen, so hätte er dort dieselben Tränen wiederfinden können. Das Bad beendet, stieg Lucius nur zögernd ins Bett hinein. Mehr als eine Sekunde lang hatte er das Bedürfnis, die Decke zu heben, so dass der andere Junge darunter kriechen könnte, doch da war Xaves schon an der Tür, wünschte eine gute Nacht und ließ ihn allein. Und so war die Not nur noch größer, nicht in Tränen auszubrechen, und Lucius verfluchte seine Eltern, Xaves, sich selbst. Der Schlaf übermannte ihn irgendwann zwischendrin, während eine Türe weiter verbotene Tränen ins Kissen flossen. ~ * ~ Es ging weiter, so, auf diese Weise, jeden Tag von da an. Morgens schlich Xaves sich in des Prinzen Zimmer hinein und fast jedes Mal war Lucius schon wach, wenn die Tür sich leise öffnete. Mit der Zeit lernte er, nicht mehr zusammenzuzucken, wenn die Hand des Jungen ihn zärtlich berührte. Dann streichelte sie sanft seine Wange oder fand seine Haare; meist war sie warm und die Berührung war unglaublich angenehm. Und so sehnte Lucius jeden Morgen den Moment herbei, in dem die Matratze sich senken würde und Xaves ihm sanft über die Schulter strich, oder über die Stirn dann und wann, manchmal das Ohr und selten eine Augenbraue. Jedes Mal hatte er dann das Bedürfnis, diese Hand zu ergreifen, festzuhalten, den Jungen zu sich unter die Decke zu holen; doch er widerstand dem Drang mit jedem Tag erneut, denn sein Stolz wuchs, mit jedem Tag mehr. Abgesehen von dieser morgendlichen Begegnung, welche sie beide als eine Art Rettungsanker nutzten, um nicht vollends verrückt zu werden, berührten sich die beiden Jungen nur dann noch, wenn es um das An- und Auskleiden ging. Eigentlich wollte Lucius sich hier gar nicht helfen lassen, doch gleichzeitig konnte er Xaves auf diese Weise nahe sein; das wollte er doch noch immer so sehr. Irgendwann wurde Lucius bewusst, dass er wieder ebenso einsam war wie vor seinem 13. Geburtstag, vor Xaves‘ Ankunft. Wie hatte er es damals bloß ertragen, so alleine zu sein? Das, was in ihm vorging, sprach der Prinz natürlich nie aus, sondern versuchte stattdessen in den winzigen Momenten einen Blick zu erhaschen aus den blauen Augen, denn auch dies war selten geworden, sehr, sehr selten. Wenn der Junge ihn aber ansah, waren die Augen gerötet, übermüdet, traurig. Aus ihnen sprach das, was er selbst spürte, und dennoch schlang sich Stolz und Trotz immer weiter um ihn herum. Sie ritten immer noch gemeinsam aus, wenn auch nicht so oft wie zuvor und oft weit auseinander. Schweigend im Stall alleine striegelten sie ihre Pferde oder misteten die Boxen aus. Lucius versuchte dann immer der Stimme zu lauschen, welche sanft mit Filena sprach, doch selten verstand er auch nur ein Wort. Alleine aber das unverkennbare Flüstern zu hören, tat ihm irgendwo ganz innen gut, denn er vermisste die Stimme, die er kaum noch hörte; morgens beim Wecken vielleicht oder im kurzen Gespräch mit einem anderen Bediensteten, doch vergleichbar mit früher war dies nichts; es gab so viele Tonfälle, welche er bereits wieder vollkommen vergessen hatte, egal wie sehr er sich daran zu klammern versuchte. Mehr aber noch vermisste er das Lachen, welches ihm immer weiter entglitt. Er kannte den Klang kaum noch und es schmerzte ihn, wenn er daran dachte, dass Xaves nun wohl nur noch mit seinesgleichen in der Küche lachte. Es fehlte ihm so sehr, doch er wagte nicht, dies auszusprechen. Mit jedem neuen Tag, der anbrach, quälte Lucius die Frage mehr, weshalb Xaves nicht einfach zu ihm kam, mit ihm sprach wie früher. Wieso sagte der Junge nicht einfach, dass es ihm leid tat? Dann würde Lucius ihn umarmen und festhalten und vielleicht nie wieder loslassen. Natürlich würde er ihm verzeihen und er würde ihm sagen, wie sehr er ihn vermisst hatte. So sehr wünschte er es sich; dass es aber vielleicht gar nichts gab, wofür Xaves sich hätte entschuldigen können, darüber dachte er in seiner Jugend nicht nach. Auch nicht darüber, dass seine unbedachten, trotzigen Worte, welche nie für das Ohr des Jungen bestimmt gewesen waren, dieses wohlmöglich dennoch erreicht hatten. Seinen kindlichen Ausspruch, welchen er doch nicht einen Augenblick lang so gemeint und mittlerweile bereits vollkommen vergessen hatte; niemals hätte er gedacht, dass gerade er der Grund dafür war, dass Xaves eben das tat, was er tat: nichts. Es wurde Winter und die eisige Stimmung zwischen den Kindern hielt an. An den besonders eisigen Tagen übertrug sie sich auf die meisten Gestalten der Residenz; sie alle konnten den jungen Prinzen nicht leiden sehen, wussten jedoch auch, dass sie nichts daran hätten ändern können. Besonders Liz und Calia machte die Situation zu schaffen; beide Frauen hatten das Bedürfnis, zu helfen, zu vermitteln, doch jeglicher Versuch, den sie starteten, wurde sofort im Keim erstickt, war er nun an Lucius oder an Xaves gewandt. Auch das Königspaar bemerkte natürlich die gereizte, traurige Stimmung zwischen den Jungen, doch ihnen war sie nur rechtens. Das Band, welches sie nicht hatten sehen wollen, schien zerrissen und statt ihm zu helfen, verschlossen sie die Augen davor, wie sehr ihr Sohn litt. Dieser quälte sich Nacht um Nacht im Bett damit, dass er nicht einschlafen konnte. Erst hatte er gedacht, dass es irgendwann einmal vergehen würde, doch dem war nicht so; er fand einfach keinen Schlaf, wünschte sich den warmen Körper herbei, an den er sich schmiegen konnte, und fror schließlich in wirren Träumen die ganze Nacht hindurch. Irgendwann, ein paar Tage nach Anbruch des neuen Jahres, war wieder eine dieser Nächte, die endlos zu dauern schienen. Nur die Sterne schenkten ihm eine gewisse Beruhigung, doch nicht genug, um ihn in den Schlaf zu wiegen. Also stand er auf, irgendwann, schlüpfte nur in ein Hemd hinein und verließ sein Zimmer leise. Die Treppen hinab fand er im Dunkeln und als er ins Freie trat, empfing ihn der leuchtende Schnee. Lucius glitt mit den nackten Füßen hinein und erschauderte sogleich; nicht aber so arg, um zurück zu weichen, sondern nur so sehr, dass er seinen Körper genau spüren konnte; etwas, dass er seit Wochen vermisste. Bereits bitterlich zitternd setzte er nun die Füße voreinander und trieb sie durch den Schnee. Erst spürte er noch, wie dieser unter seinen Zehen schmolz, doch bald funktionierte dies nicht mehr. Dann hob er etwas Schnee mit den Händen auf und ließ ihn in den Fingern zu Wasser werden. Sein Blick glitt zum klaren Sternenhimmel hinauf und er fragte sich, noch irgendwo bei Sinnen, was er hier eigentlich tat. Doch es brachte ihn nicht dazu, umzukehren, sondern er ging weiter, bis zum Stall hin. Der kalte Stein unter seinen Füßen fühlte sich wärmer an als der Schnee und war fast ein Genuss. Langsam schlich er, mit der Hand an der Wand entlang, durch den dunklen Gang und wusste nur zu gut, dass er bereits die Box Calvaros hinter sich gelassen hatte. Er öffnete stattdessen die Verriegelung von Filenas Box und trat hier auf das Stroh, das unter seinen Füßen warm knisterte. Die Stute empfing ihn mit einem fragenden Schnauben, er griff vorsichtig nach ihrer Schnauze und drückte dann seinen Kopf gegen ihre Blesse. Ihre Wärme drang sofort in ihn hinein und das Pferd musste spüren, wie kalt dem Kind war, denn es sank hinab auf den Boden und ließ zu, dass der Prinz sich gegen den warmen Bauch kauerte, den Hals unentwegt streichelte und hier zu weinen begann. Im Gegensatz zu Xaves hatte er bereits seit langer Zeit keine Tränen mehr vergossen; sie hätten alles nur so viel wahrer gemacht. Obwohl Filena warm war, gar heiß, fror Lucius noch immer und zitterte stark, denn durch die offene Stalltür trat der nächtliche Winterwind auch hier an ihn heran. Die Tränen brannten auf seiner Haut und er blies seinen eigenen heißen Atem gegen das geduldige Tier. Zärtlich begann er, die Mähne zu kraulen und dann sprach er auf die Stute ein. „Was erzählt er dir?“, fragte er traurig. „Schimpft er über mich? Sagt er, dass er weg will?... Hm?“ Er drückte sein Gesicht gegen das des Tieres und wünschte, es könne ihm diese Fragen beantworten; und auch wenn er wusste, dass dies nicht ging, so stellte er doch weitere. Ob Xaves böse auf ihn sei, ob er ihn nun hassen würde, bereute, hier zu sein. Ob es vielleicht besser wäre, wenn er einfach verschwände, damit seine Eltern für den Jungen nichts mehr zu tun hätten und ihn in die Freiheit schicken würden. „Wäre das besser?“, fragte er traurig und die Kälte griff einmal mehr nach ihm. „Soll ich verschwinden?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)