Nur Ein Kuss von -Krone- ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Mit untergeschlagenen Beinen, den Blick starr auf seine Handheld-Konsole gerichtet und die leichte Decke um die Schultern geschlungen, saß Kozume Kenma im Schlafsaal und vertrieb sich die Zeit. Er war alleine und hoffte, das auch noch eine Weile zu bleiben. Er konnte darauf verzichten, dass das Lachen und Schreien der Anderen allzu bald wieder um ihn herum tobte. Es war ja nicht so, dass er es nicht mochte, sie um sich zu haben oder dass er sie nicht mochte, es war nur einfach anstrengend. Kenma mochte Anstrengung nicht und er mochte andere Menschen im Allgemeinen einfach nicht. Nicht besonders zumindest. Was er mochte, war Apfelkuchen, seine Ruhe, Videospiele und Tetsurou Kuroo, den er schon so lange kannte, dass er in seinem Leben einfach zur Einrichtung gehörte. Er war einer der wenigen Menschen, dessen Anwesenheit Kenma nicht überwältigte und das wahrscheinlich auch nur, weil er lange genug Zeit gehabt hatte, sich an sie zu gewöhnen. Aber seit Neuestem konnte er der kurzen Liste von "Dingen-die-Kozume-Kenma-mochte" vielleicht auch noch Hinata Shouyou hinzufügen. Shouyou war einfach zu verstehen und löste irgendwie ein behagliches Gefühl in einem aus. So wie Apfelkuchen eben. Kenma war direkt nach dem Abendessen hierher gekommen, während die anderen Spieler von Nekoma sich mit Karasunos Team in den Gemeinschaftsraum verzogen hatten. Kuro hatte ihm während des Essens erzählt, dass auch die süße Managerin von Karasuno kurz vorbei schauen wollte und dass irgendjemand ein Kartenspiel dabei hatte, aber aus seiner Stimme war schon herauszuhören gewesen, dass er nicht damit rechnete, dass Kenma sich beteiligen wollte. "Ich wollte noch dieses eine Level schaffte", hatte er sich entschuldigt und gewusst, wie lahm es klang, aber auch, dass Kuro es ihm nicht übel nehmen würde. "Hey, kann ich reinkommen?" Kenma sah verwundert von seinem Spiel auf. Shouyou hatte seinen Kopf ins Zimmer gesteckt und schien tatsächlich auf eine Einladung zu warten, bevor er Nekomas Schlafsaal betrat. Was machte er hier, warum war er nicht bei den anderen? Im Gegensatz zu ihm schien Shouyou kein Problem damit zu haben, Anschluss in Gruppen zu finden. "Von mir aus." Shouyou ließ sich quer über die Futons auf den Rücken fallen, faltete die Hände im Nacken und überstreckte den Kopf, so dass er Kenma direkt angucken konnte. Seine Augen waren wach und funkelten neugierig. "Was machst du?" "Spielen", war Kenmas knappe Antwort. Er bemerkte, dass sie wahrscheinlich ein wenig harscher rüberkam, als er es beabsichtigt hatte. Das passierte häufig. Er wusste einfach nicht, was er sonst sagen sollte. Shouyou schien es nicht zu stören. "Was spielst du denn?", fragte er mit ehrlichem Interesse. Kenma sagte es ihm, doch Shouyou schien noch nie von diesem Spiel gehört zu haben. (Spielte er überhaupt? Und wenn nicht, warum interessierte es ihn dann, worum es in Kenmas Spiel ging? Oder machte man so Small Talk?) "Danke übrigens, dass du uns vorhin noch beim Aufräumen geholfen hast, wenn du nicht gewesen wärst, hätten wir wahrscheinlich doch nichts mehr zu Essen bekommen. Unmöglich von Tanaka, dass er sich einfach aus dem Staub gemacht hat. Aber mit seinen Kouhai kann man es ja machen", entrüstete sich Shouyou . "Kein Problem, zu dritt ging es ja schneller." Tatsächlich hatte er ganz genau gesehen wann Tanaka, die Gelegenheit zu verschwinden, am Schopf gegriffen hatte. Nach dem Sturz von Shouyou und Kageyama hatte er kurz besorgt ausgesehen, doch als er bemerkt hatte, dass sich keiner von beiden etwas getan hatte und sie von ihrer Umwelt gerade nicht viel mitzubekommen schienen, hatte er sich sein Tshirt und seine Sporttasche gegriffen und war grinsend aus der Sporthalle getürmt. Nachdem Kenma den nächsten Speicherpunkt erreicht hatte, hatte er dann seine Hilfe angeboten. "Warum bist du nicht bei den Anderen?" Kenma zuckte die Achseln. "Ich könnte dich das gleiche fragen:" "Ich dachte einfach, ich schau mal nach, wie es dir so geht." Ein strahlendes Grinsen breitete sich auf Shouyous Gesicht aus, doch dann schien ihm ein Gedanke zu kommen, der es sofort wieder schrumpeln ließ. "Und ich wollte Kageyama aus dem Weg gehen", fügte er in vertraulichem Ton hinzu, "Ich habe Angst, dass er mich umbringt. Seitdem wir vorhin gestürzt sind, sieht er noch gruseliger aus als sonst." Ein leichtes Frösteln gefolgt von einem Kichern folgte auf diese Bemerkung. So etwas hatte sich Kenma schon gedacht. So schlecht er auch im Umgang mit Menschen war, umso besser konnte er in ihnen lesen. Es war ein notwendiger Skill, wenn man nicht sein Leben lang anderen auf die Füße treten wollte. Metaphorisch gesprochen. Wenn er spielte, dachten die Leute immer, er würde sie eh nicht wahrnehmen und dann blendeten sie ihn auch aus. Das war gut, es war hilfreich. Er wollte meistens nicht wahrgenommen werden, aber manchmal wollte er unbemerkt beobachten. Das hatte er nach dem Training getan. Nicht unbedingt, um gegen Karasuno vorbereitet zu sein, aber vielleicht auch ein bisschen. Vor allem, weil Shouyou ihn interessierte. Wenn er ein Wort aussuchen müsste, um Shouyou zu beschreiben (warum sollte er das müssen?), wäre es wahrscheinlich 'aufrichtig'. Viele andere hätten wohl 'energiegeladen' genutzt. Oder auch 'strunzdumm' oder 'entschlossen', je nachdem, wen man fragte und keiner hätte damit unrecht gehabt. Aber für Kenma war Shouyous Aufrichtigkeit seine wichtigste Eigenschaft. Er trug das Herz auf der Zunge, man musste sich keine Sorgen über Doppeldeutigkeiten oder zweifelhafte Komplimente machen. Ihm war Kenmas Unbeholfenheit, wenn es im soziale Kontake ging, egal, er nahm die Menschen einfach so wie sie waren. Das mochte Kenma an ihm. Er entschloss sich sein Spiel zu pausieren und für einen Moment die Konsole beiseite zu legen und eine Frage zu stellen, die ihm seit vorhin auf der Zunge brannte. "Du und Kageyama, ihr mögt euch, oder?" Shouyou schien aus alles Wolken zu fallen. Er drehte sich ruckartig auf den Bauch und stemmte sich auf die Unterarme, damit der Kenma direkt ins Gesicht schauen konnte. Er wirkte überrascht aber nicht ablehnend. "Wie kommst du denn darauf?" Kenma zuckte mit den Schultern. "Ich habe euch gesehen. Es ist mir eben einfach aufgefallen." Für ihn waren die Zeichen nicht zu übersehen gewesen, aber er wusste auch, dass sonst keiner aus der Gruppe es bemerkt hatte. Normalerweise neigten die Leute dazu, die Hinweise nur zu entdecken, wenn sie nach ihnen Ausschau hielten. "Ich... aber... ich meine...", stammelte Shouyou und blickte Kenma immernoch erstaunt an. "Du musst mir auch nicht antworten, war nur so ein Gedanke." Shouyou legte den Kopf schräg und grinste wieder leicht. "Nein, du hast recht, ich mag ihn. Irgendwie. Ich habe gemerkt, dass er mich angestarrt hat, also denke ich er mag mich vielleicht auch. Irgendwie. Vielleicht plant er aber auch nur meine Ermordung." Kenma lächelte wissend. Ein Lächeln, nach dem man auf seinen Lippen suchen musste. "Und wie ist das so?", fragte er. Es war wie vorhin, als Shouyou nach seinem Spiel gefragt hatte. Er wusste nichts vom verliebt sein und er glaubte nicht, dass es ihn jemals betreffen würde, aber es interessierte ihn einfach. Shouyou stützte den Kopf in die Hände und sein Grinsen verwandelte sich in etwas anderes, während er angestrengt nachzudenken schien. "Es ist wie vor einem Volleyballspiel", sagte er schließlich. Kenma musste glucksen. "Ehrlich! Man ist ganz aufgeregt und nervös, aber auch gespannt, was passieren wird und man kann es kaum abwarten und dann wird einem ganz heiß und dann wieder kalt und dann wird einem schlecht." Er vergrub das Gesicht in den Händen. "Du weißt, dass es mir vor einem Spiel nicht so geht, oder?" "Jaaaah", antwortete Shouyou gedehnt, "Aber vielleicht, bevor ein Game rauskommt, auf das du lange gewartet hast?" Kenma zuckte nochmal mit den Achseln. Er war eigentlich nie besonders aufgeregt. Er verstand die Worte, die Shouyou benutzte, aber konnte mit ihnen kein Gefühl verbinden. Er war noch nie verliebt gewesen. Wie gesagt, die meisten Menschen mochte er nicht einmal besonders. Oder besser: mit den meisten Menschen konnte er einfach nicht viel anfangen und die einzigen Ausnahmen bis jetzt bildeten Kuro und Shouyou. Aber Liebe? Eher nicht. Natürlich liebte er seine Eltern, aber das war etwas anderes. Keine Liebe, die ein Flattern im Magen oder einen Hitzeschwall auslöste. "Habt ihr euch schon geküsst?" Shouyou lief augenblicklich rot an, schüttelte den Kopf und versteckte sein Gesicht wieder. "Ah-ah!!" "Willst du es ausprobieren?" Langsam kam Shouyous Gesicht wieder hinter seinen Fingern hervor und sah Kenma mit großen ungläubigen Augen an. Der Gedanke war wie aus dem Nichts in Kenmas Kopf aufgetaucht und bevor er ihn hatte abwägen können, war er ihm schon über die Lippen gekommen. Das war wohl eine neue Seite an ihm selbst. Aber warum eigentlich nicht? Sie hatten beide noch nie jemanden geküsst, was konnte es schaden, es zu versuchen? Shouyou schob sich hoch und kam auf seinen Knien zu sitzen. Der physische Abstand zwischen ihnen beiden wurde auf ein sittsameres Maß vergrößert, doch Shouyou sah ihm immer noch mit erstauntem Ausdruck in die Augen. Kenma konnte seine Anspannung beinahe selbst spüren. "Okay", hauchte Shouyou, bewegte sich aber keinen Zentimeter. Kenma lehnte sich etwas vor und streckte seinen Arm aus, fasste Shouyou am Kinn und führte ihn langsam näher. Er spürte seinen warmen Atem auf der Haut, der vor Aufregung ein bisschen schneller ging als vorher. Shouyous Wangen waren rosa, seine Augen senkten sich und die Lippen öffneten sich leicht. Kenma hatte keine Armee von Schmetterlingen erwartet, keinen Endorphinrausch und keine plötzliche Erleuchtung. Aber das Gefühl, als sich ihre Lippen trafen, war trotzdem unerwartet banal. Es war warm und weich und als er seine Lippen öffnete, um sich mit seiner Zunge in Shouyous Mund vorzutasten (machte er das überhaupt richtig?), war es auch ein bisschen feucht. Sie kosteten sich gegenseitig, ihre Zungenspitzen tippten leicht aneinander, erkundeten unsicher den Mund des anderen. Dann lösten sie sich voneinander und Kenma ließ sich wieder gegen die Wand sinken. "Das war seltsam", stellte er gleichmütig fest und griff wieder nach seiner Konsole. "Stimmt", lachte Shouyou und rollte sich wieder auf den Rücken. Eine Weile lang sagten sie gar nichts und Kenma hatte schon fast vergessen, dass er nicht alleine Im Raum war, als die Tür aufschwang und Kuroo hereinpolterte. Hinter ihm und weniger Lärm veranstaltend stand Kageyama und versuchte so zu wirken, als wäre er nur zufällig hier. "Hier seid ihr also, wir haben und schon gefragt, was ihr so treibt", grinste Kuroo, schob Shouyou mit dem Fuß ein wenig an, damit er sich zur Seite rollte und ließ sich neben Kenma auf seinen Futon nieder. Kageyama trottete langsam hinterher und Kenma kam nicht umhin, den Sicherheitsabstand zwischen dem Sitzplatz, den er schließlich wählte und Shouyou zu bemerken. "Ach nichts eigentlich. Wir haben nur ein bisschen geredet." Kuroo neigte seinen Kopf so, dass er sich zwischen Kenma und den Bildschirm schob. Nervig. "Muss ich etwa neidisch sein, Kenma-kun?" Er hätte es nicht für möglich gehalten, aber Kuroos Grinsen wurde noch breiter. Kenma zog nur eine Augenbraue leicht nach oben und entschloss sich, nicht weiter auf Kuroo einzugehen. Manchmal war ignorieren einfach die einzige Möglichkeiten, dem Gestichel zu entgehen. Kenma nahm es ihm nicht übel. Das weitere Gespräch drehte sich um Volleyball und das morgige Training und Kenma entschloss, sich nicht mehr weiter zu beteiligen. Seine Batterien für soziale Interaktion schienen erstmal erschöpft und er wusste jetzt schon, dass er sich schlafend stellen würde, sobald der Rest des Teams ins Zimmer zurückkehrte. Doch statt sich voll und ganz auf sein Videospiel zu konzentrieren, ließ er wie vorher beim Training auch seinen Blick ab und an hochwandern, hörte mit halbem Ohr der Konversation zu. Natürlich bemerkte er, wie Shouyou nach und nach näher an Kageyama heranrückte, bemerkte auch, wie sich ihre Knie berührten und wie beide wie zufällig die Nähe des Anderen zu suchen schienen. Kenma lächelte wieder sein winziges Lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)