Schattensaphir von tears-girl ================================================================================ Kapitel 6: Menschen, Fallen, Nachtschatten ... Hilfe! ----------------------------------------------------- Der Mond steht hoch am Himmel und ein paar Sterne funkeln neben der silbernen Sichelscheibe. Wolken ziehen am Nachthimmel entlang und verdecken an manchen Stellen die Sicht auf die Sterne. Ein kühler Wind weht durch den Wald und lässt die Blätter rascheln. Die nächtliche Stille ist seltsam. Sie klingt viel zu friedlich im Vergleich zu den letzten Tagen, den letzten Jahren. Ich bin es nicht gewohnt, dass alles ruhig ist und friedlich. Es wirkt bedrohlicher. So, als würde hinter dem nächsten Baum der Skrill lauern. Ich verdränge den Gedanken und humpele weiter durch den Wald. Ich bin gerade auf den Weg zum Dorf, um meinen Mitternachtsimbiss zu holen. Den Tag habe ich in der kleinen Höhle verbracht, geschlafen und mich etwas ausgeruht, damit mein Flügel verheilen kann. Aber ich glaube es hat nichts gebracht. Er tut noch genauso weh wie zuvor. Und mein Magen knurrt wieder. Da ich den Tag über aber nichts Anstrengendes erledigt habe, habe ich nicht so viel Hunger wie nach ein paar Tagen auf der Flucht zu sein. Also habe ich es nicht so eilig zum Menschendorf zu kommen. Wenn ich Glück habe, dann kann ich wieder ein paar Fische fressen und unbemerkt abhauen bevor die Menschen etwas davon mitbekommen. Doch da ich gestern schon einmal dort war, bin ich dieses Mal noch vorsichtiger. Ich weiß, dass es nicht klug ist an einem Ort zweimal zu gehen, wenn man vor allem und jedem flüchtet. Doch der Hunger und die Tatsache, dass ich nicht fliegen kann, zieht mich zurück zu der Scheune. Am Rande des Waldes bleibe ich wieder stehen und sehe eine Weile auf das Dorf. Heute liegt es wieder ruhig da. Die Feuerstellen flackern genau wie gestern und die Drachen sitzen an den Schlafplätzen. Ich glaube immer noch, dass es nicht sein kann, dass die Drachen hier friedlich und frei leben können. Es kann einfach nicht sein. Menschen sind nicht so. Nachdem mein Magen mich daran erinnert, dass ich hungrig bin, hebe ich eine Pfote und schleiche geduckt durch das Gras den Hang hinab. Die Grashalme rascheln unter meinen Pfoten und streichen an meinen Flügeln entlang. Dank des Windes ist das Geräusch des Grases nicht zu hören. Aber dafür kitzelt es meine Nase und ich muss mich konzentrieren nicht zu niesen. Wie gestern halte ich hinter dem Haus neben der Scheune an und spähe auf den Marktplatz. Langsam lasse ich meinen Blick über die freie Fläche schweifen, die mir keinen Schutz vor den Drachen der Verfolger bietet oder den Bewohnern dieses Dorfes. Auf dem Zentrum des Dorfes ist alles ruhig. Also sehe ich weiter. Die Drachen scheinen alle zu schlafen. Alle außer einem. Angespannt spanne ich die Muskeln an und halte den Atem an. Der blaue Tödliche Nadder in dem hölzernen Stall hebt den Kopf, gähnt einmal und legt sich dann wieder hin. Allmählich entspanne ich mich wieder. Ich schüttele mich einmal kurz, um mich etwas aufzuwärmen, und erreiche dann die Scheune. Wie gestern steht ein Spalt offen. Ich hab Glück. Wie in Zeitlupe hebe ich die rechte Vorderpfote und gleichzeitig das linke Hinterbein, damit die Kette nicht über den steinernen Boden klirrt. Die Flügel noch weiter an den Körper gepresst, wobei eine erneute Schmerzwelle durch meine Muskeln zuckt und das Pochen wiederkommt, nähere ich mich der Tür. So gut es geht ignoriere ich das gleichmäßige Hämmern in meinem Flügel und schleiche geduckt, mit aufmerksam gespitzten Ohren und geweiteten Augen, auf das Tor des Schuppens zu, aus dem ein köstlicher Fischgeruch herausströmt. Vor dem Tor bleibe ich stehen. Irgendetwas stimmt nicht. Ich kann es fühlen. Meine Ohren zucken und meine Nase filtert einen eigenartigen Geruch heraus. Irgendwoher kommt mir der Duft bekannt vor, bekannt und doch fremd. Mit einem Auge spähe ich in die Scheune hinein, ohne die Tür zu berühren. Ich kann ein paar Fässer mit silbrigen Fischen erkennen. Heute scheint kein Mondlicht herein. Eine Wolke muss sich vor den Mond geschoben haben. Jetzt ist das Innere in komplette Dunkelheit gehüllt. Aber dank meiner guten Sehkraft kann ich trotzdem etwas erkennen. Alles bleibt ruhig. Bin ich umsonst so skeptisch? Der Duft der Fische lässt meinen Magen seinen eigenen Kommentar abgeben. Und das ist mehr als deutlich. Er hat Hunger und will diese Fische. Ohne mich von der Stelle zu rühren strecke ich den Kopf nach vorne und stecke die Schnauze in den Spalt. Ich öffne die Tür soweit, dass mein Kopf hindurchpasst und sehe wieder hinein. Es ist immer noch alles ruhig. Aber trotzdem sagt mir mein Instinkt, dass ich wegrennen soll. Nur mein Magen ist da anderer Meinung. Unschlüssig was ich tun soll bleibe ich erst einmal stehen und atme den salzigen Geruch der Fische ein. Sie riechen immer noch nach Meer. Ich würde mir meine eigenen Fische fangen, wenn ich fliegen könnte. Und ich weiß nicht, wie lange das noch dauern wird. Also, je schneller ich fertig bin, desto schneller komme ich zurück zu meiner Höhle. Langsam setze ich eine Pfote in den Schuppen hinein. Meine Ohren sind aufmerksam gespitzt und meine Muskeln angespannt. Gestern war ich nicht so vorsichtig. Aber gestern hatte ich auch nicht diesen Drang zu flüchten. Meine Instinkte sagen mir, dass etwas nicht stimmt. Und meine Instinkte haben mich noch nie im Stich gelassen. Also, was hält mich davon ab von hier zu verschwinden? Vielleicht der verlockende Anblick eines Fasses, gefüllt mit frischgefangenen Fischen, die nur einen Meter von mir entfernt stehen? Warte! Ich glaube, dass ich gerade eine kurze, kaum wahrnehmbare Bewegung gesehen habe. Ich gehe noch einen Schritt weiter hinein und starre angestrengt in diese Richtung. Meine Sinne sind geschärft und meine Muskeln bereit um zu flüchten. Ich prüfe so leise wie möglich die Luft und versuche jeden Geruch darin herauszufinden. Hinter mir kommt etwas Licht von den Feuerstellen herein. Mein Schatten zeichnet sich vor mir auf den Boden ab, aber das Licht reicht nicht aus, um die komplette Scheune zu erhellen. „Los! Jetzt!“ Plötzlich schreit jemand vor mir. Drei Menschen springen hinter den Fässern an der Wand hervor. Panisch kreische ich auf und mache reflexartig einen Sprung rückwärts. Dabei schlage ich mir den Kopf an der Holztür an, die Stelle beginnt daraufhin schmerzhaft zu pochen. Ich beiße die Zähne zusammen und unterdrücke die aufkommenden Kopfschmerzen. Mein Herzschlag beschleunigt sich, ich höre mein eigenes Blut in den Ohren rauschen. Und dann springen aus dem Schatten neben der Scheune drei weitere Menschen. Ich knurre panisch mit gefletschten Zähnen. Ohne lange zu überlegen springe ich einen weiteren Satz rückwärts. Dabei lande ich auf meinem verletzten Fuß. Für den Bruchteil einer Sekunde kneife ich die Augen zusammen. Für Schmerzen ist jetzt keine Zeit! Schnell drehe ich mich um und sprinte los. Humpelnd überquere ich die freie Fläche auf dem Marktplatz, geradewegs durch die Mitte des Menschendorfes. Es ist mir egal, wer mich sehen könnte. Ich bin schon aufgeflogen. Meine Krallen kratzen über den Boden. Die Kette reibt an meinem Bein und trägt nicht gerade dazu bei, dass ich schneller laufen kann. Die Häuser verschwimmen um mich herum. Alles was jetzt noch in meinem Kopf ist, ist ein einziges Wort: Lauf! Ohne den Kopf zu drehen weiß ich, dass die Menschen mich verfolgen. Ich kann die Schritte und Stimmen hören. Aufgeregt und irgendetwas rufend, ich kann es nicht verstehen da meine Sinne zu sehr auf die Flucht konzentriert sind, folgen sie mir. *Lasst mich doch einfach in Ruhe!* Ich richte meine Augen fest auf den Rand des Waldes. Vielleicht kann ich sie zwischen den Bäumen abhängen. Ich kann die Wiese, die das Dorf vom Wald trennt, sehen. Die langen Grashalme tanzen im Wind. Ein Nadder fliegt erschrocken von dem Lärm davon und ein Gronckel versteckt sich hinter einem Haus. Aber das ist mir egal. Was habe ich den Menschen nur getan? Ich kann nicht darüber nachdenken. Die Schmerzen scheinen mit jedem Schritt größer zu werden. Die Kette klirrt. Mein Kopf pocht. Meine Krallen kratzen über die Erde, die die Steine auf dem Marktplatz ablösen. „Schnell! Wenn er wegfliegt finden wir ihn nie wieder!“, ruft ein Menschenmädchen hinter mir. Endlich erreiche ich den Rand der Wiese. Das Gras streift an meinen Beinen entlang und kitzelt mich am Bauch. Instinktiv breite ich die Flügel aus, stelle die Schwanzflosse richtig, um mich in die Luft zu bringen, und mache einen Satz nach oben. Aber soweit komme ich gar nicht. Bereits beim Ausbreiten der Flügel durchzuckt mich eine gewaltige Schmerzwelle. Ich schreie vor Schmerzen und Frustration auf. Dann bleibt mir wohl nichts Anderes übrig als zu laufen, oder zu humpeln. Die Schwingen wieder an den Körper gepresst, um wenig Widerstand zu bieten, versuche ich meine Beine dazu zu zwingen, schneller zu laufen. „Ich glaube er kann nicht fliegen.“, bemerkt einer der Menschen. „Er ist bestimmt verletzt!“ Panik steigt in mir auf und bringt mein Herz dazu, gegen meine Rippen zu hämmern. Jetzt haben sie auch noch bemerkt, dass ich nicht fliegen kann! Ich bin ihnen hilflos ausgeliefert. Was soll ich tun? Ich kann nicht fliegen und wenn sie mich erst einmal eingeholt haben, dann töten sie mich. Vielleicht ist es aber auch besser so. Besser als zurück in den Käfig zu müssen. Ich werde immer langsamer. Mein Bein knickt jedes Mal ein, wenn ich damit aufkomme. Ich werde jetzt sterben! Dieser Gedanke lässt mich einfach nicht los. „Los, Ohnezahn! Versuch ihn einzuholen!“, höre ich eine weitere Stimme. Wie viele sind jetzt eigentlich hinter mir? Ich glaube, es ist besser es nicht zu wissen. Plötzlich schießt rechts an mir ein schwarzer Schatten vorbei. Erschrocken kreische ich auf und mache einen Satz nach links. Mein Kopf schwenkt wie von selbst in die Richtung und für einen Moment stockt mir der Atem. Ich starre in die Richtung des Schattens und vergesse völlig, dass ich auf der Flucht bin. Aber das kann nicht wahr sein. Das ist bestimmt nur eine Halluzination. Der Mann hat doch immer gesagt, dass er alle Nachtschatten getötet hat. Und doch überholt mich gerade einer von der ausgestorbenen Drachenart. Er ist schnell und hat mich in wenigen Sekunden überholt. Ich schüttele kurz den Kopf und kehre zur jetzigen Situation zurück. Nachtschatten oder nicht, ich muss hier weg. Ich bin noch weiter zurückgefallen. Die Menschen sind schon ganz nah. Und vor mir, etwas versetzt, läuft der Nachtschatten. Wird er auch von ihnen gejagt? Vielleicht kann er mir helfen zu fliehen. Oder zu kämpfen. Zu zweit haben wir eine bessere Chance gegen die Menschen. Aber dann bleibt der Nachtschatten plötzlich stehen. Ohne Vorwarnung bremst er ab und hält direkt vor meiner Schnauze an. Erneut kreische ich erschrocken und überrascht auf. Ich stemme meine Krallen in die Erde und versuche abzubremsen. Schlitternd werde ich langsamer, reiße Erde und Gras aus und lande nur wenige Zentimeter vor dem Drachen auf dem Boden. Meine Beine verheddern sich in dem langen Gras. Mit einem Ruck reiße ich mich los und rapple mich auf die Pfoten. Es hängt immer noch Erde und Gras zwischen den Krallen. Verwirrt und empört schnaube ich und richte dann meinen Blick auf den anderen Nachtschatten. Er ist größer als ich und hat keine blauen, sondern grüne Augen, die freundlich in meine sehen. Der Drache hat sich auf die Hinterbeine aufgerichtet und die Flügel ausgebreitet, sodass er eine lebendige Barriere zwischen mir und meinem Fluchtweg bildet. (Was soll das?!), fauche ich ihn an. Meine Zähne sind schon seit dem Auftauchen der Menschen aus ihrem Versteck gekommen. (Wir müssen hier weg! Oder willst du von ihnen getötet werden?) Aber der Nachtschatten sieht mich einfach nur weiter an. Er sieht weder ängstlich noch panisch oder wütend aus. (Beruhige dich erst einmal. Sie wollen dir nichts tun.) *Warte mal. Steht er etwa auf der Seite der Menschen?* Fassungslos starre ich zu ihm hinauf. (Wir müssen hier weg!), versuche ich es noch einmal. Auch dieses Mal schüttelt er leicht den Kopf. (Sie wollen dir nur helfen. Du bist verletzt.) „Gut gemacht, Ohnezahn!“, ruft der Junge. Ich drehe meinen Kopf in die Richtung der Menschen und erkenne zu meinem Entsetzen, dass sie schon gefährlich nahe sind. Viel zu nah für mich! Ich knurre einmal kurz in ihre Richtung und wende mich dann wieder dem Nachtschatten zu. Dieses Mal sehe ich ihn flehend an. (Bitte, lass mich vorbei.) (Du brauchst keine Angst zu haben. Vertrau mir. Sie werden dir nichts tun.) Vertrauen? Ich soll ihm vertrauen? Man muss sich Vertrauen erst verdienen, bevor man das sagen kann! Also bleibt die Panik. Ein Knacken hinter mir lässt mich zusammenzucken und mein Kopf schnellt instinktiv in die Richtung. Die Menschen haben uns inzwischen erreicht und stellen sich jetzt in einem Halbkreis, mit mir als Mittelpunkt, auf. Na toll. Jetzt bin ich wirklich in eine Falle getappt. Ich kann nicht wegfliegen und komme auch nicht an diesem Nachtschatten vorbei. Was soll ich tun? Ein dünner Wikinger braunen Haaren hebt die Hände und bringt die anderen dazu stehen zu bleiben. Misstrauisch drehe ich ihm meine unverletzte Seite entgegen und mustere ihn mit zusammengekniffenen Augen, wobei ich einen Schritt auf den Nachtschatten zugehe. Der Drache wirkt weniger bedrohlich als die Menschen. Menschen töten ohne Grund und haben Spaß daran Drachen zu foltern. Also, wieso scheint dieser Nachtschatten auf der Seite der Menschen zu stehen? Sie müssen ihn irgendwie hypnotisiert haben oder so. Anders kann ich es mir nicht erklären. „Hab keine Angst, Kleiner.“, beginnt er mit ruhiger Stimme. Dabei hebt er die Hände etwas an und kommt langsam auf mich zu, die Anderen bleiben im Halbkreis stehen. „Ich will dir wirklich nur helfen.“ Ich ziehe die Lippen hoch und knurre ihn bedrohlich an. Er soll wegbleiben. Er soll mich in Ruhe lassen. Aber es scheint nicht annähernd so wirksam zu sein, wie ich erhofft habe. Der Junge bleibt zwar stehen, aber scheint nicht aufzugeben. „Hey, beruhige dich. Du bist verletzt, nicht wahr? Wir tun dir nichts. Wir wollen dir nur helfen.“, versucht er es weiter. Als würde ich ihm das glauben. Ich senke den Kopf etwas, funkle ihn drohend an und knurre erneut. Und dann wagt es der Mensch tatsächlich noch weiter auf mich zu zugehen! Schnell sammle ich Plasma in meinem Maul und feuere einen Warnschuss vor seine Füße ab, sodass dort jetzt eine Mulde in der Erde ist. Erschrocken weicht er zurück. Der Nachtschatten hinter mir knurrt plötzlich ebenfalls. Aber nicht wegen des Jungen, er knurrt mich an! Mit schlitzförmigen Pupillen sieht er mich warnend an und zeigt mir seine Zähne. (Lass ihn in Ruhe!) (Wieso hilfst du ihnen?), verlange ich zu wissen. (Sie werden dich irgendwann verraten und töten!) *Du wurdest manipuliert! Sie haben irgendetwas mit dir gemacht!* Plötzlich fühle ich eine Berührung an meiner Schwanzflosse. Panik steigt in mir auf. Mein Herz schlägt noch schneller, vermutlich bekomme ich jetzt einen Herzinfarkt. Ich drehe meinen Kopt zur Schwanzflosse und noch bevor ich etwas erkennen kann schnappe ich in die Richtung. Meine Zähne klappen in der Luft wieder zusammen. Vor meiner Schnauze steht ein weiterer Wikinger mit langen blonden Haaren. Sein Gesichtsausdruck ist nicht wie erwartet erschrocken und verängstigt, sondern eher begeistert und fasziniert. Und erneut bekomme ich ein warnendes Knurren seitens des Nachtschattens. „Wow. Den muss ich haben! Hicks, ich beanspruche ihn hiermit für mich.“, behauptet er. *Vergiss es! Niemand wird mich jemals besitzen!* Dann erscheint ein weiterer Mensch in meinem Blickfeld und drängt den ersten aus dem Weg. Beide sehen sich sehr ähnlich, man könnte sie für die gleiche Person halten, wenn es dunkel ist und man keine Nachtschattenaugen hätte. „Warum sollst du ihn bekommen? Es heißt doch Ladies first.“, meint diese. Verwirrt sehe ich von einem zu anderen und wieder zurück. Die Beiden fangen jetzt an sich zu streiten und zu schupsen. Nervös sehe ich zwischen ihnen hin und her und weiche überfordert zurück. Nur leider steht dort immer noch der Nachtschatten. Ich stoße mit meiner Flanke an ihn und springe erschrocken in die Luft. „Leute!“, unterbricht der Junge mit den braunen Haaren das Gezanke. „Schluss jetzt. Das ist nicht hilfreich!“ Jetzt richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Menschen. Auch er wendet sich nun mir zu. Unbewusst senke ich den Kopf etwas, hebe die Flügel leicht an und lasse ihn keine Sekunde aus den Augen. Ängstlich lege ich die Ohren flach an und knurre erneut. Ich habe das Gefühl, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern lassen, wie die Wachen, die meinen Käfig bewachen sollten. Auch wenn der Junge gesagt hat, dass die Zwillinge ruhig sein sollen, sind sie genau das Gegenteil. Sie werden immer lauter. Und gleichzeitig steigt meine Panik an und ich beginne schneller zu Atmen. Noch einmal hebt er den Arm und wagt es erneut einen Schritt näher zu kommen. Dieses Mal knurre ich nicht, sondern weiche lieber zurück. Wenn ich ihn angeknurrt hätte, wäre der Nachtschatten nur wieder dazwischen gegangen. Aus irgendeinem Grund beschützt er diesen Menschen. Ich will einfach nur hier weg. Wieso bin ich eigentlich hierhergekommen? Die paar Fische waren es nicht wert jetzt zu sterben. Oder schlimmeres. „Ganz ruhig.“ Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen kommt er tatsächlich noch näher und streckt seine Hand langsam nach mir aus! Panisch sehe ich mich um. Natürlich nicht, ohne ihn im Augenwinkel zu behalten. Aber es scheint nirgendwo eine Lücke zwischen den Menschen zu geben. Sie bilden einen geschlossenen Halbkreis. Der einfachste Weg wäre der Fluchtweg in die Luft, aber ich kann nicht fliegen. Ich fühle, wie die Panik in mir größer und größer wird. Auch wenn ich eigentlich keine Hoffnung darauf habe, dass der Nachtschatten seine Meinung geändert hat, drehe ich mich noch ein letztes Mal zu dem Drachen um. Flehend blicke ich zu ihm hinauf. (Bitte, lass mich gehen.) (Es geschieht dir nichts. Sie helfen dir nur.) Wieder diese Antwort. Was haben sie nur mit dir gemacht? Inzwischen ist der Junge nur noch einen Meter von mir entfernt. Und dort bleibt er stehen. Etwas verwirrt beobachte ich ihn misstrauisch. Aber ich beruhige mich nicht im geringsten, eher werde ich noch verängstigter. Mein Gehirn sucht einen Ausweg, findet aber keinen. Der Menschenjunge dreht seinen Kopf weg und streckt mir gleichzeitig seine Handfläche entgegen. Mit so einer Geste habe ich jetzt nicht gerechnet. Verunsichert starre ich ihn an. Um mich herum beginnt aufgeregtes Getuschel. Alle scheinen auf etwas zu warten, etwas von mir zu erwarten. Überfordert mit der ganzen Situation ziehe ich meinen Kopf zurück. Und jetzt melden sich auch meine Schmerzen wieder. Es fühlt sich so an, als würde ein kleines Männchen von innen gegen meinen Schädel schlagen. Außerdem pocht mein Flügel wieder und die Haut unter der Eisenkette brennt höllisch. Mein Herzschlag steigt an, bestimmt explodiert es gleich. Aber wenigstens bin ich dann von den Menschen weg. Doch der Wille zu überleben ist stärker. Ich drehe meinen Kopf immer wieder in die unterschiedlichsten Richtungen, in der verzweifelten Hoffnung doch noch einen Fluchtweg zu finden. *Es muss einen Ausweg geben!* Plötzlich verschwimmt alles vor meinen Augen. Mein Sichtfeld wird unscharf und beginnt sich zu drehen. Die Geräusche klingen gedämpfter, so als würde jemand in ein Erdloch reden. Meine Beine geben unter mir nach. Ich kippe um und lande unsanft auf der kalten, harten Erde. Ich fühle noch irgendetwas unter meinem Kinn und sehe schemenhafte Gestalten auf mich zulaufen, gemischt mit aufgebrachtem Stimmengewirr. Dann wird alles schwarz. *Bleibt weg.* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)