Memories von Pragoma ================================================================================ Kapitel 17: Raus aus dem Kopf ----------------------------- Einiges an Gras wurde konsumiert, vernebelte die Sinne, ließ vergessen und nicht mehr klar denken. Andre war es egal, ebenso der ganze Alkohol, der in ihn floss, als sei es pures Wasser. Nivek ließ ihn machen, wusste ganz genau, was der Andere durchmachte und fühlte den Schmerz. Es war kein Geheimnis, was Andre empfand und für wen. Oft genug hatte er damals am Set mitbekommen, wie heimliche Blicke folgten, nervöses Lächeln und doch hatte Kevin keine Ahnung, dass alles ihm galt. Wie sollte er das auch merken? Ihm klebten sämtliche Kollegen buchstäblich am Arsch und Nivek wusste leider auch, dass es dabei nicht geblieben war. Jack musste nur mit dem Finger schnippen und schon sprangen die beiden ins nächstgelegene Bett oder hinter den Baum. Freudlos lachend kippte der braunhaarige Mann ein weiteres Bier herunter und ärgerte sich, dass ihn das noch immer störte. Er sollte glücklich sein, Radka zu haben, die wirklich alles hinnahm und akzeptiert hatte. Nicht oft kam es vor, dass eine Frau oder generell jemand seinen Job akzeptierte. Im Gegensatz zu Andre war er nämlich noch immer in diesem aktiv und verdiente damit sein Geld. Ferne Reisen unternahm er keine mehr, Radka erwartete ein Kind und die Geburt wollte er auf gar keinen Fall verpassen. Er pendelte also zwischen Domažlice und Prag und war zufrieden, wie es war. Er sollte jedoch aufhören über sich und sein Leben nachzudenken, es ging um Andre, seinen Nachbarn und guten Freund. "Willst du reden?", wandte sich Nivek an seinen Freund, blickte ihn von der Seite an und stellte fest, dass er bereits ziemlich benebelt war. Ob nun vom Gras konsumieren oder Alkohol war völlig egal. Eine Antwort würde also eher nicht mehr kommen. Auch gut, dann würden sie einfach dasitzen, schweigen und den Tag ausklingen lassen. Tage verstrichen so, dann Wochen und irgendwann hatte Radka genug davon. Andre war kaum noch ansprechbar, wirkte immer wieder abwesend oder so, als wäre er ganz weit weg. Die Werkstatt lief zwar, aber das war mehr der Verdienst seiner Angestellten und nicht seiner. Sogar Anrufe seitens Adam wurden hartnäckig blockiert, ebenso jene, die von seinem Bruder stammten. Jiri war jedoch ganz anders, er ließ sich nicht abspeisen oder gar ignorieren. Im Gegensatz zu Adam war er verbissen darauf, seinem großen Bruder zu helfen und verschaffte sich schließlich mit seinem Notschlüssel Zugang zu dessen Haus. Bevor er es aber betreten konnte, hielt Nivek ihn davon ab. "Lass es lieber, dein Bruder lässt sich derzeit nicht helfen." Die wenigen Worte machten Jiri sauer. "Ach, was du nicht sagst. Mir ist es jedoch nicht egal, dass er sich nicht helfen lässt." Nivek seufzte und hielt den Jüngeren an der Schulter fest. "Es wird nichts bringen." Zornig riss Jiri sich los und drehte sich um. "Er ist mein Bruder. Ich werde ihn nicht, wie deine Freundin, im Stich lassen!" Unterstreichend ballte er die Fäuste, wollte bereits auf Nivek losgehen und wurde hastig von seinem eigenen Vater zurückgehalten. "Er hat recht. Andre muss sehen, dass keiner mehr da ist. Entweder wacht er von selber auf, oder er geht den Bach runter." Und solch eine verletzende Aussage aus dem Munde seines Vaters. Jiri war fassungslos, schluckte die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, herunter und stapfte enttäuscht ins Haus. Die Haustür schlug er absichtlich laut hinter sich zu, ehe er langsam das Wohnzimmer betrat, in dem er seinen Bruder vermutete. Zuvor musste er sich durch eine Berg an Müll kämpfen, hielt sich dabei die Nase zu und stieg, bevor er das Sofa erreichte über mehrere Pizzakartons. Kurzum, es herrschte nicht nur Chaos im Kopf seines Bruders, sondern auch in dessen Haus. Jiri seufzte. Hier würde ein ganzes Stück Arbeit auf ihn warten. Sein Bruder wäre derzeit nicht in der Lage hier aufzuräumen und Jiri alleine würde es nicht schaffen. "Fuck", stieß er leise aus, sah sich nochmals um und hielt es für besser, Adam zu involvieren. Er war nicht nur Andres bester Freund, er kannte ihn auch am besten. Er würde nicht urteilen. Auch dann nicht, wenn andere bereits aufgegeben hatten. Hilf mir bitte. Andre geht es mehr als beschissen. Worte, die er schnell getippt und letztendlich abgeschickt hatte. Nun konnte Jiri nur hoffen und abwarten, dass Adam sich bereiterklärte, ihn zu unterstützen. Ungeduldig blickte er auf sein Handy, dann zur Uhr, die über der Wohnzimmertür hing. Minuten verstrichen ohne besondere Vorkommnisse. Es war, als würde die Welt kurz anhalten, nur um sich gleich darauf noch schneller zu drehen. Nervös knetete Jiri seine Hände, dann hörte er ihn. Adam war tatsächlich gekommen, stand auf dem Hof und legte sich verbal mit seinem Vater an. Mutig, das musste er ihm lassen und angespannt verfolgte Jiri das Schauspiel, welches nicht lange dauerte. Adam hatte bald genug, ließ Vladimir einfach stehen und schritt wie ein wild gewordener Gorilla auf das Haus zu. Kurz darauf klingelte er auch schon Sturm und hämmerte unterstreichen mit der Faust an die Tür. Adam schien mehr als sauer zu sein, was Jiri verstehen konnte und doch lief er schwer schluckend durch den Flur und öffnete ihm. "Hey, schön, dass du gekommen bist", murmelte er leise, doch er bekam nur ein lautes Brummen zur Antwort. Jiri beließ es dabei, Adam konnte man nur so nehmen, wie er sich gab und jetzt einen Streit vom Zaun brechen, würde seinem Bruder auch nicht helfen. Im Gegenteil. Adam war immer noch eine wichtige Stütze, sein bester Freund und würde dieser gehen ... Jiri wollte sich das nicht ausmalen. Nochmals seufzte er, setzte seinen Weg fort und betrat das Wohnzimmer erneut. Adam hatte zumindest schon angefangen, die Pizzakartons auf die Seite zu schieben und saß bereits bei Andre auf dem Sofa. "Wo sind die Hunde?", wollte der in die Breite gewachsene Mann wissen und sah sich um. "Bei unserer Mutter", erwiderte Jiri, während er den Sessel gegenüber der Couch leerräumte und sich setzte. "Gut, gut", nuschelte Adam, zog ganz langsam die Decke weg und sah Andre mit weit aufgerissenen Augen an. Er schien zu schlafen, sah aber ungesund blass aus und eingefallen. "Wann hat er das letzte Mal etwas gegessen?" "Ich weiß es nicht. Er hat mich ganze sieben Tage nicht an sich gelassen." Bedrückt sah Jiri zu Boden. Er hatte versagt, hätte sich eher kümmern müssen und nicht erst dann, als seine Mutter Alarm geschlagen hatte. Blanka war zuvor hier gewesen, hatte Andre seine beiden Hunde zu sich geholt und ihn dann sich selbst überlassen. Eine harte Maßnahme, aber nur auf den ersten Blick. Sie hatten das einmal schon durchgemacht und es hatte geholfen, seinen Bruder aus dieser Sucht zu befreien. Jedoch nur kurz. Jiri erinnerte sich. Andre war zwei Wochen ohne Gras ausgekommen und dann trafen sie Jack und diesen Kevin. Den beiden wollte er keinen Vorwurf machen, sie wussten es nicht besser, sie ahnten nicht, was in Andre vor sich ging. Damals nicht und heute erst recht nicht. "Seit wann nimmt er das Zeug wieder?", wollte Adam wissen. "Seit einigen Wochen und das mehrmals täglich. Radka hat es mir gesagt, bevor sie Andre aufgeben hat." Verstehend nickte Adam, blickte auf den kleinen Tisch vor sich und erhob sich. "Bleib du bei ihm, ich räume die Scheiße hier weg." Kurzerhand griff er sich die Bong, alles andere und packte es in einen großen Müllsack. Pizzakartons gesellten sich dazu und ebenso Essensreste aus der Küche, die bereits Schimmel angesetzt hatten. Dann öffnete er die Fenster, ließ frische Luft hinein und brachte den Müll gleich raus. Dabei wurde er komisch von Nivek angesehen, aber auch von Andres Vater. Keiner machte Anstalten ihm zu helfen und das ärgerte Adam enorm. "Dass ihr euch ..." Adam hielt inne, hörte plötzlich den verzweifelten Schrei Jiris, der direkt durch Mark und Bein ging. Sofort rannte er zurück ins Haus, stürzte ins Wohnzimmer und erkannte den Ernst der Lage. Geschockt sah er auf Jiri, der Andre in seinen Armen hatte, ihn rüttelte und weinte. "Halt seinen Kopf hoch, räum ihm den Mund leer, verdammt!" Adam griff zu seinem Handy, rief den Notarzt und half Jiri dabei, Andre auf die Seite zu rollen, damit er nicht ersticken konnte. "Andre", wisperte er, strich durch die mit Erbrochenem bedeckten Haare und sah immer wieder aus dem Fenster. "Wo bleibt der scheiß Arzt? Er stirbt!" Verzweifelt mussten Jiri und Adam zusehen, wie Andre nach Luft rang, wie Minuten verstrichen und sein Leben am seidenen Faden hing. Jiri weinte, Adam brüllte laut, wirkte verzweifelt und machtlos. Andre war zu jung, er durfte nicht sterben. Nicht jetzt, nicht heute. Dann endlich hörten sie die Sirene des Krankenwagens, der bereits auf den Hof fuhr. Jiri sprang auf, rannte zur Tür und öffnete diese. Zwei Sanitäter drängen sich sofort an ihm vorbei und betraten das Wohnzimmer. Jiri blieb im Flur zurück und weinte. Er konnte nicht mehr. Andre war sein Bruder, er durfte nicht sterben und ihn alleine zurücklassen. Bitterlich weinte er, zitterte am ganzen Körper und war nicht gewillt sich zu bewegen. Er sackte stattdessen zusammen und blieb auf dem Boden sitzen, währen die Rettungskräfte um das Leben von seinem Bruder kämpften. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)