Rescue von Phoenix-of-Darkness (hier kann Ihnen keiner helfen) ================================================================================ Kapitel 3: Dämonen der Vergangenheit ------------------------------------ - 31. August 2012 – Es war gerade mal halb 8 und dennoch brannte die Sonne bereits auf der Haut. Der Sommer lag in seinen letzten Zügen, doch die Urlaubssaison war noch im vollen Gange. Beinahe täglich hagelte es Dienstplan Updates. Zwar gab es einen festen Jahresdienstplan und die Urlaubsplanung war bis Dezember des Vorjahres abgeschlossen, doch es gab ja neben den ganz normalen Krankmeldungen auch noch die Schönwetterkranken. Sämtliche Mitarbeiter aus der Ausfallreserve waren aufgebraucht. Wenn sich jetzt noch jemand krank meldete, dann musste irgendein armer Tropf auf sein Frei verzichten und auf Arbeit antanzen. Doch der Silberhaarige hatte weder frei, noch besagte Ausfallreserve. Nein - sein Dienst stand schon seit Mitte Juli fest. Er hatte Tagschicht auf dem RTW der Wache Blade. An sich nichts Neues. Er machte seit einen halben Jahr, im Kreisverband Beyblade, Schichten auf dieser Wache. Doch es gab da einen kleinen, aber feinen Unterschied zu sonst. Heute musste er sich mit dem Beifahrersitz begnügen. Wie er zu dieser – in seinen Augen – zweifelhaften Ehre kam? Nun sein eigentlicher Teampartner Yuuya hatte regulär, wie im Schichtrhythmus vorgesehen, Tagschicht auf dem NEF – RK Blade 82-1. Dies bedeute für den Halbrussen wiederrum, dass er als eingestellter Rettungssanitäter sich im Innendienst befand und somit von seinem Chef eingetaktet werden konnte, wie es diesem beliebte. Ein Glücksfall für Daitenji. Denn so konnte er Kai, welcher ja eigentlich Rettungsassistent war, auch als diesen einsetzen. Das dieser eben jene Position hasste, blendete der alte Mann gerne aus. Zudem, und auch das war dem Rettungsdienstleiter bewusst, war Kai erst seit knapp 9 Monaten im Kreisverband Beyblade tätig. Der Silberhaarige würde daher die Schicht nicht mit einem anderen Kollegen tauschen, was wiederrum die erschwerte Dienstplan-Planung nicht noch mehr belastete. „Hey, Hiwatari!“ Kai, welcher gerade auf der kleinen Holzbank vor der Waschgarage seinen Kaffee genoss, sah auf. „Wir beide wieder, heh?“ Er nickte stumm. „Kommt in letzter Zeit öfters vor, dass wir zusammen Dienst schieben.“ Grübelte sein Gegenüber. „Das liegt daran, dass Sergej den halben Sommer im Urlaub ist.“ „Ja, das ist jedes Jahr so. Kannst dich schon mal dran gewöhnen.“ //Na klasse!// dachte der Silberhaarige. „Fahrzeug schon gecheckt?“ ermittelte der Grauhaarige und sah auf Kai herab. „Nein noch nicht. Gib mir noch 5 Minuten für meinen Kaffee.“ Der Größere schnalzte mit der Zunge. „Na schön. Ich fang schon mal an.“ Damit wandte sich Boris ab und begab sich in die Fahrzeughalle des RTWs. Kai sah ihm hinterher und seufzte. Das konnte ja heiter werden. Dabei hatte er eigentlich nichts gegen den Sanitäter. Aber ihn beschlich das Gefühl, dass Boris ihn nicht leiden konnte. So auf der Wache und wenn es nicht um die Arbeit ging, kamen sie miteinander aus. Doch im Einsatz hatte der Silberhaarige den Eindruck, dass der Andere nicht damit klar kam, dass Kai a) der höher Qualifizierte und somit weisungsberechtigt und b) dann auch noch jünger war. Ständig fuhr der Grünäugige ihm über den Mund oder spielte sich selbst als Chef auf. Das war bis jetzt immer so und würde sich wohl auch nicht ändern. Daher machte Kai sich Letzteres auch zu Nutzen und überließ dem Älteren die Kommunikation mit den Patienten. Solange der Silberhaarige es mit der Situation vereinbaren konnte, war es ihm gleich, dass er nicht die Anamnese durchführte. ‚Maulfaul‘ war er schon immer. Rechts an seinem Gürtel begann es zu vibrieren und der Silberhaarige warf einen Blick auf den Funkmeldeempfänger. Blade – 83 – 1 es geht zum Einsatz nach Blade, Kreiselstraße 26! Patient gestürzt - Kopfplatzwunde „Tja…so viel zum Thema Kaffee genießen…“ Der Silberhaarige stellte seine Tasse neben sich, band sich die Arbeitsschuhe zu und stieg schließlich zu Boris in den Rettungswagen. Genau wie erwartet, verlief der Vormittag ziemlich stressig. Es hagelte Einsätze, Boris zeigte sich von seiner besten Seite – nicht. Denn er spielte sich wahrlich als Rettungsgott vor den Patienten auf und belehrte Kai nach Abschluss der jeweiligen Einsätze. Doch dieser schwieg sich darüber aus. Der Silberhaarige seufzte und das mulmige Gefühl in seinem Magen wurde auch nicht weniger. Wenn das so weiter ginge, würde er wohl noch ein Magengeschwür von dem psychischen Druck bekommen, welchen er sich zugegebenermaßen selbst machte. //Genau aus dem Grund will ich nur als Sanitäter fahren.// Doch er konnte einfach nicht aus seiner Haut und so hoffte er inständig, dass er bei den Patienten alles richtig gemacht hatte und machen würde. Allerdings erhoffte er sich insgeheim jetzt eine kleine Pause. Es war gerade mal 10 nach 10 und sie hatten schon 4 Einsätze. Er konnte immerhin von Glück reden, dass Boris sich jedes Mal um die Wiederauffüllung des RTWs kümmerte und er selbst Zeit hatte die Datenerfassung im ‚Tamagotchi‘ zu beenden. „Hier dein kalter Kaffee.“ Der Ältere hielt dem Silberhaarigen seine Tasse von der Holzbank entgegen. „Kalter Kaffee soll zwar schön machen...“ Kai glitt aus dem Sonderfahrzeug. „…aber nein danke.“ Damit nahm er die Tasse entgegen und goss den Inhalt in das Waschbecken neben dem Rettungswagen. „Ich hoffe, dass wir heute keinen Rekord aufstellen, was die Anzahl an Einsätzen angeht.“ Boris verschränkte die Arme vor seiner muskulösen Brust. Schwach lächelnd massierte Kai sich den Nacken. „Wirklich scharf auf einen Rekord bin ich ja auch nicht. Wenn es nach mir ginge, könnte jetzt ruhig die Ablösung kommen, aber es sind noch 8 Stunden und bei meinem Glück...“ Blade – 82 – 1 und 83 – 1 es geht zum Einsatz nach Metal 22, 63jährige Patientin, vermutliche Hypoglykämie. Kai stöhnte und beendete seinen Satz. „…geht das heute den ganzen Tag so weiter.“ Boris lächelte gequält. „Aber hey…immerhin mal mit NEF! Die faulen Säcke können ja auch mal was machen.“ Damit schwangen sie sich wieder in den RTW. Kai betätigte die Ziffer 3 – Einsatz – auf dem Funkhörer, schnallte sich an und öffnete einen neuen Transportbericht im ‚Tamagotchi‘. Per Fernbedienung öffnete sich das Rolltor und Boris fuhr aus der Garage. Er lehnte sich vor und betätigte die Fernbedienung erneut, damit sich das Tor wieder schloss. Mit Zeige- und Mittelfinger schaltete er das Blaulicht samt Martinshorn an und fuhr aus der Einfahrt. „Wer ist eigentlich heute NEF Fahrer?“ erkundigte sich der Ältere bei seinem Kollegen. „Yuuya und Doc ist, zumindest laut Plan, Romero.“ „Ah ok. Na dann sollten wir den Einsatz ja ziemlich zügig abgehakt haben.“ „Denk ich auch und da es sich um eine Unterzuckerung handelt, ist dem ja schnell entgegen gewirkt.“ Kai schrieb die Alarmzeit für beide Fahrzeuge aufs Protokoll, sowie ihre eigene Ausfahrtszeit. „Ja und wenn wir zuerst da sind, kannst du ja ‘ne Flexüle legen und schon mal Glukose spritzen.“ Der Silberhaarige hielt kurz inne. Ihm gefiel Boris Betonung des du nicht und zur Bestätigung seines Verdachtes knirschte sein Sanitäter auch leicht mit den Zähnen. Innerlich seufzte Kai erneut. Es war genau dieses Verhalten, was ihn daran hinderte super gern mit dem Anderen zu arbeiten. //Ich kann auch nichts dafür, dass du kein Rettungsassistent bist…// Doch er verkniff sich einen Kommentar und ließ Boris Aussage so stehen. Er schrieb stumm weiter. Sie würden schätzungsweise 10 Minuten bis zum Einsatzort benötigen. Da konnte er getrost schon mal die Daten wie Arztnummer, Statistik und Diagnose ins MDV eingeben. Derweil manövrierte der Grauhaarige das Sonderfahrzeug sicher durch die Mal mehr und mal weniger haltenden Fahrzeuge. Er fuhr in den Kreisverkehr ein, setzte den Blinker und fuhr an der dritten Ausfahrt wieder heraus. Boris kannte den Weg nach Metal auswendig. Die Hausnummer würden sie, seiner Meinung nach, auch ohne Navi finden. Die vor ihnen liegende Straße war weites gehend gerade. Boris beschleunigte den RTW auf 70km/h, obwohl sie noch Innerorts waren. Kai fügte gerade die Diagnose ‚Diabetes‘ in die Statistik ein. „SCHEIßE, WAS MACHT DENN-“ Doch er kam nicht einmal dazu, den Satz zu Ende zu sprechen. Der Silberhaarige wollte gerade aufsehen um den Auslöser für Boris Ausbruch zu erspähen, als ein heftiger Knall an seinem Trommelfell riss. Gewaltige Kräfte wirkten auf Kais Körper ein und er ließ das MDV fallen. Er kniff die Augen zusammen und reflexartig legte der Silberhaarige seine Hände um seinen Nacken. Keuchend schreckte der Silberhaarige hoch. Ein schmerzhafter Stich durchfuhr seine linke Schulter und reflexartig schloss seine rechte Hand sich schützend um diese. Neben ihm raschelte es, doch Kai nahm es gar nicht wahr. Sein Atem ging Stoßweise und seine Gedanken rasten wirr. „Kai?“ Der Angesprochene zuckte zusammen. Sein Partner hatte sich aufgesetzt und sah ihn besorgt an. „Kai, was ist los?“ „Ni..nichts…nur ein schlechter Traum…“ murmelte dieser sich die Schulter reibend. Der stechende Schmerz wollte nicht nachlassen. „Oh bitte…ich seh‘ genau, dass es nicht nur ein schlechter Traum war.“ Der Silberhaarige konnte es zwar aufgrund der Dunkelheit nicht sehen, doch er war sich sicher, dass der Rothaarige dabei mit den Augen rollte. Kai atmete hörbar aus. „Ich hab von dem Unfall geträumt.“ Yuriys Gesichtszüge wurden ernst. „Von dem Unfall zusammen mit Boris?“ Der Halbrusse nickte, während zwei starke Arme ihn an sich zogen. Yuriy löste Kais rechte Hand von dessen Schulter und begann diese sanft zu massieren. Eine Weile schwiegen sie und mit der Zeit löste sich die muskuläre Anspannung in Kais Schulter – der Schmerz ließ nach. „Willst du mir nicht davon erzählen?“ „Du kennst doch die Story…“ „Ich kenne die Erzählungen von der Wache. Aber dieser Unfall war vor meiner Zeit.“ Der Halbrusse seufzte. „Vielleicht hilft es dir darüber zu reden.“ „Traumabewältigung oder wie!?“ „Wenn du es so nennen willst.“ „Wir sind nicht im Dienst.“ „DAS ist mir durchaus bewusst. Immerhin liegen wir halb nackt nebeneinander in unserem Bett.“ Kai schnaubte. „DU liegst nur in Boxershorts im Bett. Ich hab `ne lange Hose und ein ärmelloses Shirt an.“ „Was ich – wie gestern Abend bereits erwähnt – definitiv too much finde, aber dir war ja nicht nach ficken.“ „Was zum Fick!?“ entrüstet drehte der Silberhaarige den Kopf zu den Umrissen, die ihn weiterhin umarmten. „Ja eben nicht…aber lenk nicht ab.“ Kai boxte seinem Partner halbherzig in die Seite. „Urh…argh…getroffen…“ Yuriy ließ sich zurück ins Kissen fallen und entlockte dem Jüngeren ein sanftes Lächeln. Er legte sich zu seinem Mann. „Also was willst du wissen?“ Kai bettete seinen Kopf in der Armbeuge des Rotschopfes und dieser zog ihn an sich. Der Silberhaarige genoss die Körperwärme des anderen, welche so viel Geborgenheit ausstrahlte. „Alles!“ raunte Yuriy und konnte sich einen lockenden Unterton nicht verkneifen. „Hör auf! Du bekommst meine Seele nicht.“ Der Rothaarige lachte und eben jenes Lachen liebte der Halbrusse über alles. „Na schön…“ ergab Kai sich und begann Yuriy von seinem Tag mit Boris zu erzählen, welcher die beiden verändert hatte. „Ich war damals knapp 9 Monate auf der Wache. Boris und ich waren jetzt kein sonderlich gutes Team…“ „Manchmal glaub ich, dass du nicht sehr gesellschaftsfähig bist.“ Sanft strichen Yuriys Finger über Kais Unterarm, der ihn aufgrund der Aussage leicht angrummelte. „Das weiß ich selbst, aber ich glaube Boris hatte damals echt ein Hierarchie Problem.“ „Gut…das wiederrum könnte stimmen.“ Kai nickte mit Nachdruck. „Jedenfalls war dieser Unfall ziemlich heftig. Ich war gerade mit dem Tamagotchi beschäftigt, als Boris brüllte und ich deswegen aufsah. Doch wirklich etwas sehen konnte ich nicht. Denn wie ich aufsah, knallte es. Das Geräusch von berstendem Metall werde ich nie wieder vergessen. Ich muss das MDV dabei fallen gelassen haben, denn ich legte meine Hände um meinen Hals.“ „Warum?“ „Ich glaube ich wollte meine Halswirbelsäule schützen. Es passierte ganz instinktiv.“ Kai zuckte leicht mit den Schultern. „Das Unfallgeschehen zog sich eine gefühlte Ewigkeit. Es knallte mehrfach. Wir wurden richtig durchgeschüttelt und irgendwann…irgendwann war dann einfach Stille. Ich öffnete die Augen und überall war ‚Nebel‘ in der Fahrerkabine. Zudem stank es, als würde etwas schmoren. Boris stöhnte neben mir und sprach mich dann an, ob alles in Ordnung sei. Erst da nahm ich meine Arme wieder runter. Ich sah nach unten zu meinen Beinen und bewegte erst einmal vorsichtig meine Zehen im Schuh. Als das schließlich reibungslos funktionierte, bejahte ich Boris Frage und sah ihn an. Ich fragte ihn, ob bei ihm alles ok sei. Er nickte ebenfalls, rieb sich aber kurz über die Rippen. Rückblickend betrachtet kann ich aber sagen, dass ich durchaus einen leichten Piepton auf den Ohren hatte. Ich vermute, dass dieser kurzzeitiger Tinitus auf den ausgelösten Airbag zurückzuführen ist.“ „Das ist echt heftig.“ Wisperte Yuriy und hielt seinen Mann weiterhin im Arm. „Ja und ich muss zugeben, dass ich völlig hilflos in der Situation war. Boris hingegen war echt souverän. Er nahm damals den Funkhörer und funkte die Leitstelle an. Als diese unseren Funk annahm, sagte Boris wortwörtlich ‚Wir brauchen Hilfe. Wir hatten einen Unfall‘. Kurz darauf, hatte unser Doc – Romero gefunkt, dass er gleich bei uns wäre.“ „Du weißt das noch ziemlich gut, hm?“ Kai nickte. Natürlich wusste er das noch so genau. Dieser Unfall hatte sich eingebrannt und er konnte ihn wie einen Film vor seinem geistigen Auge abrufen. „Boris und ich lehnten in unseren Sitzen, als auf meiner Seite plötzlich die Türe aufgerissen wurde. Das Stimmengewirr von den Passanten und anderen Verkehrsteilnehmern brach auf uns herein. Sie fragten uns ob wir in Ordnung wären. Ich glaube ich habe damals genickt. Eine der Passantinnen gab mir eine kleine 0,5l Flasche Mineralwasser, welche ich auch dankend annahm. Blöderweise muss sie die beim Laufen zu uns geschüttelt haben und die ersten 100ml verteilten sich über meiner Hose.“ „Autsch…“ „Genau. Ich war auch total begeistert. Dennoch hatte ich nicht den Elan mich in irgendeiner Weise darüber aufzuregen. Ich habe einen Schluck getrunken – du glaubst gar nicht wie trocken mein Mund unbewusster Weise war - und danach nahm ich meine Umgebung wieder ein Stück mehr wahr. Draußen schrie eine Frau die ganze Zeit ‚Mein Auto! Mein Auto!‘. Boris murmelte damals leise, dass sie die Klappe halten solle und ich stimmte ihm gedanklich zu. Er beugte sich dann zu unserem Diensthandy und rief Daitenji an. Wäre es eine andere Situation, dann hätte ich damals sicher gelacht. Er sagte, dass der RTW – damals gerade mal 3 Monate alt - Schrott wäre und legte ohne weitere Info auf. Das Gesicht von unserem Rettungsdienstleiter hätte ich zu gern gesehen.“ „Wow! Ich könnte mir vorstellen, dass er total geschockt das Handy sinken ließ und vor sich hin gestarrt hat.“ „So in etwa habe ich mir das auch vorgestellt.“ Kai rieb sich die Nasenwurzel. „Was passierte dann?“ „Ich reichte Boris die kleine Flasche und er trank auch etwas. Dann übertönte die Sirene von unserem NEF den Lärm der Frau. Yuuya kam mit dem Rettungsrucksack auf der Schulter zu mir und unser Notarzt öffnete die Türe bei Boris. Sie waren beide echt blass und wir fragten sie, ob mit ihnen alles in Ordnung ist, aber-“ „Moment!“ Yuriy richtete sich etwas auf und sah den Silberhaarigen irritiert an. „Ihr beide hattet den Unfall und fragt eure ankommenden Kollegen, ob bei denen alles ok ist?“ „Ähm, ja.“ Kai schmunzelte. Denn tatsächlich klang es ziemlich verrückt. „Wir hatten ja das Ausmaß des Crashs noch nicht gesehen. Romero ließ uns auch erst einmal nicht aussteigen. Er untersuchte uns, machte den Bodycheck - ob wir alles bewegen konnten, nirgends Schmerzen hatten und als Yuuya dann noch unseren Blutdruck und Puls gemessen hatte und diese dann auch soweit im Rahmen waren, durften wir auch endlich aussteigen. Ich kann dir sagen, dass ich mega weiche Knie hatte. Daher habe ich mich dann gleich auf die Bordsteinkante gesetzt und die Füße ausgestreckt. Ich glaube das Zusammenspiel zwischen meinem Kreislauf und dem abflauenden Adrenalin war nicht das Beste. Übrigens war in der Zwischenzeit auch die Polizei angekommen. Der Beamte sperrte die Straße ab und wollte mich dann zum Geschehen befragen. Aber wirklich eine Auskunft konnte ich ihm nicht geben. Ich hatte ja auf das MDV gesehen, daher habe ich ihn an Boris verwiesen. Zeitgleich mit der Polizei muss auch die Feuerwehr angekommen sein. Ich sah den Kameraden der Feuerwehr eine Weile zu, ehe ich mich aufrichtete. Ich lief an der Beifahrerseite des RTW vorbei, umrundete ihn und erblickte dann den kleinen Skoda Fabia.“ Yuriy schluckte. „Wie war denn das Ausmaß des Schadens? Du meintest ja, dass selbst Yuuya und Romero blass ausgesehen hatten.“ Der Halbrusse sah seinen Partner eine Weile schweigend an, ehe er sich einen Ruck gab. „Ein Trümmerfeld auf einer Länge von ca. 100m.“ Geräuschvoll zog der Rothaarige die Luft ein. „Frontalcrash - die Unfallgeschwindigkeit betrug ca. 120km/h. Wir hatten ja ca. 70km/h auf dem Tacho und wenn die Frau vorschriftsmäßig 50 drauf hatte, dann sind wir so gesehen mit den 120km/h gegen die Wand gekracht.“ „Scheiße…umso beachtlicher, dass du hier neben mir sitzt. Aber jetzt mal von der Berechnung zur Realität. Weißt du was genau passiert ist?“ Knapp nickte der Silberhaarige. „Als Boris schrie, hatte der Beifahrer der Skodafahrerin ins Lenkrad gegriffen und sie kamen auf unsere Fahrbahn. Der Skoda traf unseren RTW am linken Kotflügel. Dabei hatte dieses ‘Miniauto‘ so dermaßen viel Wucht, dass es unser Fahrzeug aushebelte. Die linke Radaufhängung verschob sich und mit dem Reifen der rechten Seite prallten wir gegen den Bordstein. Die Fahrzeuge verkeilten sich und durch die jeweiligen Geschwindigkeiten wirkten rabiate Kräfte. Der rechte, vordere Reifen riss ab und wir schrammten an einem Baum vorbei. Zum Glück rasierte dieser nur etwas Lack auf der Beifahrerseite ab. Nichts desto trotz, diese kleinere Kollision reichte aus, um den RTW wieder auf die Straße zu drücken, sodass wir dann wenigstens wieder auf unserer Fahrbahn waren. Allerdings habe ich das bei dem Aufprall nicht so wirklich mitbekommen. Wir haben das danach eher ermittelt. Denn ich hatte die Augen beim Unfall geschlossen und ich kann dir sagen, dass sich die Sekunden wie in einer Zeitlupe anfühlten.“ Der Rothaarige vergrub sein Gesicht in Kais Haaren und hielt ihn weiter fest. „Ihr solltet nach Metal?“ murmelte er in die silberne Haarpracht. „Ja.“ „Kommt da nicht etwas weiter diese Senke? Die, welche einer Achterbahn gleicht und es im Magen kribbelt bei 100km/h?“ „Wäre der Crash dort gewesen…“ „Sprich nicht weiter.“ Yuriy schloss die Augen und versuchte das Bild eines zerstörten Rettungswagens mitsamt blutüberströmten Insassen zu verdrängen. Er atmete Kais Duft ein. „Was war mit der Frau und dem Typ, der ihr ins Lenkrad gegriffen hat?“ „Romero hatte sich um die Frau gekümmert. Sie wollte keine medizinische Behandlung und es schien ihr gut zu gehen. Ich glaube ihr Hauptproblem drehte sich um ihr Fahrzeug. Freilich wird sie auch eine Prellmarke auf dem Brustkorb gehabt haben. Die wird nun mal vom Gurt hinterlassen, aber ihr Adrenalin war wohl hoch genug.“ „Und der Typ? Was war mit dem? Wieso hat der eigentlich der Frau ins Lenkrad gegriffen?“ Kai schnaubte abfällig. „Der Wichser hatte sich verpisst. Zagart – so sein Name, war Romero bekannt. Der Typ hatte wohl psychische Probleme und die Frau wollte ihn nach Dynasty ins PPB bringen. Tja, und als er unser Blaulicht gesehen hat sind wohl ein paar Sicherungen durchgebrannt.“ „Oh, man…“ „Ja.“ „Erzähl bitte weiter.“ „Romero hatte die Leitstelle informiert. Somit übernahm die Besatzung von Borg unseren Einsatz.“ „Ach stimmt…ich hatte schon völlig vergessen, dass ihr ja zu einer Hypoglykämie unterwegs wart.“ „Keine Sorge, laut Rei war das dort auch kein Unterzucker. Sondern einfach nur `ne Omi, die zu schnell aufgestanden war und dadurch war ihr schwindlig.“ Yuriy verzog das Gesicht. „Also hätte dieser ganze Einsatz gar nicht sein müssen?“ Kai antwortete jedoch nicht. Er konnte nicht beurteilen, ob dieser Einsatz sinnlos war im Bezug auf die ältere Dame. „Romero hatte dann den RTW aus Saint Shields bestellt. Die haben nicht schlecht geschaut. Kollegen fährt man in der Regel ja eher selten. Wir hätten sogar jeder einen RTW bekommen können. Doch Boris und ich wollten gar nicht so einen großen Aufriss machen. Daher stiegen wir beide in den anderen Rettungswagen und ließen uns BBA fahren. Die Leitstelle hatte uns natürlich telefonisch dort angemeldet und dementsprechend kamen die Schwestern auf uns zu gestürmt. Boris kam ins 2. Sprechzimmer und ich ins 1. Der dortige Unfallchirurg untersuchte mich – auf meinem Brustbein begann sich ein hübscher Bluterguss vom Gurt auszubreiten - und stellte mir natürlich einen Haufen Fragen. Ich wurde zum Röntgen geschickt und durfte noch eine Urinprobe abgeben.“ „Wieso das?“ „Die Urinprobe?“ „Ja.“ „Um zu testen, ob Blut im Urin ist.“ „Achso, bezüglich innere Verletzungen.“ „Genau. Ach und einen Ultraschall vom Bauch wurde auch noch gemacht. Soweit war bei mir aber alles in Ordnung. Im Anschluss sahen Boris und ich uns wieder auf dem Flur der Notaufnahme. Wir gingen in das kleine Aufnahmezimmer und warteten auf unsere Befunde.“ „War mit Boris alles in Ordnung?“ „Er hatte ähnliche Diagnosen wie ich. Hochrasantstrauma, HWS Distorsion, Prellung durch den Gurt am Sternum. Einziger Unterschied war, dass er sich noch die Rippen geprellt hatte.“ „Durchs Lenkrad?“ „Vermutlich.“ „Und was ist mit deiner Schulter?“ „Das hat sich erst die nächsten Tage entwickelt bzw. gezeigt. Der Unfallchirurg war irritiert, dass ich Schmerzen in der linken Schulter hatte. Da ich Beifahrer war, ist er davon ausgegangen, dass mir die Rechte schmerzen müsste. Denn der Gurt hat diese ruckartig nach hinten gezogen. Doch ich vermute, dass genau dieser Halt durch den Gurt mir links gefehlt hat und da ich die Arme um meinen Nacken gelegt hatte…“ „…hat dieser Zusammenstoß sich stärker auf die linke Schulter ausgewirkt.“ „Du sagst es.“ Behutsam strich Yuriy über die linke Schulter seines Partners. Seine Fingerspitzen berührten zaghaft die 3 kleinen Narben. „Wann wurde sie dann operiert?“ „Am 11. September 2013.“ Verwirrt sahen die eisblauen Augen zu Kai. „Wieso erst über ein Jahr später?“ „Weil der Unfallchirurg die Schmerzen erst konservativ mit Schmerzmittel und Physiotherapie behandeln wollte. Aber nachdem ich mich über ein Jahr damit gequält habe, hatte ich die Schnauze voll.“ „Verständlich. Aber du hast doch nach wie vor immer mal wieder Schmerzen, wieso?“ „Keine Ahnung. Die OP fand ja auch nur statt, da nach dem MRT im Raum stand, dass meine Bizepssehne einen Riss hat.“ „Warum klingt das jetzt nach einem ‚aber‘?“ Der Silberhaarige holte tief Luft. „Aber als sie meine Schulter operierten, fanden sie keinen Riss. Dafür war aber der Schleimbeutel entzündet. Eigentlich ist der ja dafür da, dass das Gelenk sich geschmeidig bewegt. Tja, aber den entzündeten Schleimbeutel haben sie dann entfernt.“ „Ja aber, wenn der raus ist…was ist dann mit der ‚Geschmeidigkeit‘!?“ „Frag mich nicht. Ich bin kein Arzt. Ich vermute, dass ich einfach deswegen öfters mal Schmerzen habe, weil eben dieser Beutel fehlt…keine Ahnung…ob sich neuer bildet…vermutlich nicht.“ Der Ältere überlegte einen Moment. Nein er konnte darauf auch keine Antwort geben. Dies waren Fachfragen, die ihr gemeinsames Wissen überstieg. „Jedenfalls musste ich auch zum Gutachten.“ „Wieso?“ „Na, die Berufsgenossenschaft, welche die Behandlungen finanziell tragen musste, wollte einen abschließenden Bericht.“ Kais Tonlage wurde schneidend kalt und Yuriy sah ihn abwartend an. „Hast du gewusst, das Schmerzen subjektiv sind und somit nicht genau eingestuft werden können!?“ Den Rotschopf schien der Blitz zu treffen. Seine Augen weiteten sich und er sah seinen Partner sprachlos an. „Heißt das…“ „…es gibt keine abschließende Diagnose. Ich muss also mehr oder weniger damit leben. Ich versuche es also als Wetterfühligkeit oder Überanstrengung abzuharken.“ „Das ist doch Schwachsinn.“ Knurrte Yuriy. In ihm stieg das Gefühl auf, diesem Rindvieh den Kopf abzureißen. Nur weil dieser Idiot der Frau ins Lenkrad gegriffen hatte. „Hat dieser Spinner wenigstens eine satte Strafe bekommen?“ Anders als erwartet, begann Kai zu lachen. Doch es war ein erzwungenes Lachen. „Boris und ich haben dafür gesorgt, dass der überhaupt so schnell in Polizeigewahrsam gelandet ist.“ „Wie das?“ überrascht lagen die eisblauen Augen auf dem Silberhaarigen. „Na ja, wir waren doch in dem Aufnahmezimmer und mein Blick fiel auf die dort liegenden Versicherungskarten. Auf einer davon, stand: ‚Zagart‘. Ich schob sie Boris zu und ich schwöre, dass ich ihn noch nie so schnell aufstehen habe sehen. Er pfiff nach einer der Schwestern und fragte sie, was dieser Patient für Symptome hätte. Das konnte sie uns nicht sagen, denn der Patient saß noch im Wartebereich. Daraufhin sahen Boris und ich uns nur an. Ich kann dir sagen, dass wir definitiv die gleichen Gedanken hatten. Ich klärte die Schwester über unseren Verdacht auf und Boris nahm das Stationstelefon der Notaufnahme und rief bei unserer Leitstelle an. Diese schickten einen Streifenwagen zu uns. Unterdessen bat ich die Schwester, sofern möglich, eines der Behandlungszimmer frei zu machen und den Typ dorthin zu bringen und ihn zu beschäftigen bis die Polizei eintreffen würde.“ „Hat es denn geklappt?“ „Noch während wir halfen ein Zimmer frei zu räumen, klingelte es an der Tür zur Notaufnahme. Ein weiterer Patient berichtete, dass ein Mann im Wartezimmer sei und sich stöhnend die Brust halten würde.“ „Zagart…“ wieder glich Yuriys Stimme einem Knurren. „Bingo! Nur hatte der keinen Herzinfarkt, wie er dem anderen Patient und dann der Krankenschwester weiß machen wollte. Er hatte, wie wir, eine ordentliche Prellmarke am Brustbein und da jeder anders auf Schmerzen reagierte und er definitiv zur Weichei-Sorte gehörte…na ja.. Die Schwester nahm ihn rein und brachte ihn ins Behandlungszimmer. Kurz darauf marschierten auch 4 Polizisten durch den Flur der Notaufnahme. Ich muss gestehen, dass ich so etwas wie Genugtuung empfand.“ „Berechtigter Weise. Ich hätte dem was antun können.“ „Selbstjustiz ist nicht so gern gesehen.“ „Ja, ja…schon klar.“ „Jedenfalls hatte der so dermaßen einen an der Klatsche, dass er sicher unzurechnungsfähig war.“ „Ernsthaft?“ „Ich denke schon. Daitenji holte uns gerade von der Notaufnahme ab, als Zagart – mit Handschellen am Bett fixiert und unter Polizeibegleitung – im Bett zum Röntgen gefahren wurde. Er sah uns an und ich bin mir sicher, dass er eins und eins zusammen gezählt hat, und grinste uns dreckig an.“ Der Rotschopf sah seinen Mann geschockt an. „Ist nicht wahr!?“ „Doch.“ Das war etwas zu viel für Yuriy. Eiskalte Wut brannte in seinem Magen. Er musste aufstehen. Am liebsten würde er etwas zerstören. Aber er musste sich beherrschen. Ihr kleiner Sohn schlief nebenan und das sollte auch so bleiben. Kai setzte sich auf und seine Augen lagen auf seinem Partner, welcher weiterhin unruhig vor ihrem Bett auf und ab lief. „Beruhig dich wieder.“ „Das kann ich nicht! Dieses Arschloch!!!! Wie kannst du da nur so ruhig bleiben?“ Lauter als beabsichtigt kamen Yuriy die Worte über die Lippen. „Ssshh! Gou schläft nebenan und ich bin auch nur äußerlich ruhig. Mich beschäftigt das Ganze auch nach über 7 Jahren noch.“ „Ich könnte den Typen umbringen…“ Yuriy blieb stehen und stemmte die Hände in die Seiten. Er legte den Kopf in den Nacken. „Glaub mir…dasselbe hat Boris damals auch gesagt. Aber er war klug genug, das erst zu sagen, als Zagart samt Polizei weg war.“ Der Rothaarige schloss seine Augen und blies in einem langen Atemzug die Luft aus seinen Lungen. Seine Körperspannung ließ etwas nach und schließlich hatte er sich wieder soweit im Griff, dass er zurück zu Kai unter die Bettdecke glitt. Dankbar schmiegte sich der Jüngere wieder an ihn. Dem Silberhaarigen war nach seiner Erzählung kalt. Die Erinnerung daran, breitete sich wie eine Lawine in seinem Körper aus. Einzig Yuriys angenehme Körperwärme verschaffte ihm Linderung. „Danke, dass du es mir erzählt hast.“ Wisperte Yuriy nach einer Weile. „Danke, dass du dir die Geschichte mitten in der Nacht angehört hast.“ „Gern.“ "Immerhin hatte dieser Unfall etwas positives." seufzte Kai ins Kissen. "Ach ja? Na, da bin ich jetzt aber gespannt." Der Silberhaarige lächelte amüsiert. "Boris und ich...wir verstehen uns blendend. Kein Hierarchie Problem mehr und ich schieb unglaublich gern mit ihm Dienste." Der Rothaarige schmunzelte. Es freute ihn aufrichtig, dass sein partner dem Ganzen etwas positives abgewinnen konnte. "Dann hatte die 'Geschichte' ja noch ein glückliches Ende." „Aber komm nicht auf den Gedanken, dass ich dir jetzt jede Nacht Horrorgeschichten erzähle.“ In Momenten wie diesen fragte der Rothaarige sich, wie es Kai nur schaffte, so etwas raus zu hauen. Dieser trockene Humor mit einer Spur von Selbstironie. Gott er liebte diesen Mann in seinen Armen über alles und er war froh, dass dieser diesen Unfall überlebt hatte. Immerhin wären sie sich sonst nie begegnet. Den kurzen Stich - bei diesem Gedanken – ignorierend, schmiegte sich der Ältere an seinen Partner und atmete erneut dessen Geruch ein. „Ich liebe dich, Kai.“ „Ich dich auch…ich dich auch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)