Die Lüge von April_Jones ================================================================================ Kapitel 2: Drei Dinge --------------------- "It doesn't matter what you are. It only matters what you do." Sam     Lang überlegten sie, ob sie den Zauber anwenden sollten, hatten sie doch im Laufe der Zeit gelernt, dass es nicht nur schwarz und weiß gab. Crowley, Meg, Benny, Garth, Jack, ja sogar Rowena, sie alle hatten ihnen bewiesen, dass sie sich ändern konnten, dass sie gut sein konnten. Es zählte nicht, wie sie geboren waren oder das zu dem sie geworden waren, sondern das was sie taten. Dämonen konnten menschlich sein, Mitgefühl empfinden, Freundschaft, Liebe, und sogar bereit sein dafür ihr Leben zu geben, sich selbst zu opfern. Sie konnten geheilt werden. Es gab ‘vegetarische‘ Vampire, friedliche Werwölfe, Formwandler, die ihre Kräfte für therapeutische Zwecke einsetzten, und Geister, die Erlösung fanden. Wenn Monster menschlich sein konnten, wieso gab es monströse Menschen? Wenn sie sich gegen das Töten entscheiden konnten, wieso sollten es Jäger nicht können? Machten Monster schlimme Dinge oder machten schlimme Dinge Monster? Es hieß, wenn du lang genug in den Abgrund schaust, schaut er zurück in dich. Gegen das Böse zu sein machte einen nicht gut. In dem Versuch es zu stoppen riskierte man dasselbe Böse in einem selbst zu wecken. Nur zu gut erinnerte Sam sich daran, genug um ihr Handeln zu hinterfragen. „Was gibt uns das Recht zu entscheiden wer lebt und wer stirbt?“ Dean leerte das Whiskyglas, das er sich soeben gefüllt hatte. Weitere würden folgen. Die raue Flüssigkeit brannte, während sie seine Kehle hinab lief. Ein vertrautes Gefühl. Genau das, was er jetzt brauchte. Wie sonst sollte er ausgerechnet heute Castiels Anwesenheit und Sams Philosophien noch vor dem Frühstück ertragen? „Wir sind Jäger. Ist es nicht das was wir tun?“ Entweder man starb als Held oder lebte lang genug, um zu sehen, wie man selbst zum Bösen wurde. Wer wusste das besser als Dean Winchester? „Und war das etwa immer gut? Wir wissen nicht, wen oder was der Zauber als böse betrachtet. Wir selbst haben Dinge getan, die… die…“, Sam brach ab. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte Sam mit den Monstern, die sie jagten, sympathisiert, weil er gefürchtet hatte selbst eines zu sein und glauben wollte gerettet werden zu können. Dean dagegen wusste schon immer, dass er selbst eines war, ein Monster, und Monster verdienten es nicht gerettet zu werden. Er war kein Held, war es nie gewesen, er war nicht stark genug. „Ich glaube nicht, dass ausgerechnet wir uns anmaßen dürfen über andere zu urteilen“, fuhr der Jüngere fort, „Wir sollten diese Entscheidung nicht allein treffen.“ „Wen sollten wir fragen? Den internationalen Rat der Männer der Schriften? Den Verein der tüchtigen Jäger? Die Abgesandten des Übernatürlichen, einen von jeder Art?“, Zynismus tropfte aus jeder Silbe, „Himmel und Hölle, Fegefeuer und Avalon? Das Schicksal, den Tod, die Leere und Gott?“, Dean schüttelte den Kopf, „Der Mistkerl hat uns allein gelassen, also werden wir jetzt auch allein entscheiden.“ Und das machte ihm eine Heidenangst. „Aber auch du hast Zweifel“, stellte Castiel fest. Manchmal war es, als ob der Engel direkt in seine Seele sehen könnte. Anfangs hatte Dean das Angst gemacht und er hatte nichts als Scham gefühlt, aber mit der Zeit hatte er gelernt sich auf diese Vertrautheit zu verlassen. Castiel hörte ihn, wenn er schwieg, verstand ihn, auch wenn er nichts sagte, und brauchte keine Worte um mit ihm zu sprechen. Bei ihm bröckelte sein Schutzpanzer aus Sarkasmus und scheinbarer Abgeklärtheit, denn was würde es ihm auch nützen? Castiel schaute einfach durch seine Maske hindurch. Bei ihm fühlte Dean sich sicher, er vertraue ihm. Bei ihm musste er nicht stark sein. Für ihn musste er kein Held sein. Paradox. Und doch war er um so vieles stärker, wenn Cas bei ihm war. Er sah ihn wie er wirklich war, er kannte seine dunkelsten Seiten, und Dean konnte nicht verstehen, wieso der Engel trotzdem blieb. Kurz blinzelte Dean, etwas perplex von dieser unverhofften Verlautbarung. „Ja“, gab er zu und war selbst überrascht von seinem Eingeständnis, „Du etwa nicht?“ „Nein. Wenn wir die Gelegenheit haben die Welt zu einem besseren Ort zu machen, sollten wir sie nutzen, weil es sonst niemand tun wird. Niemand wird uns diese Bürde abnehmen.“ Die Andeutung von Resignation und Trauer in den Worten des Engels war so schnell verflogen wie sie gekommen war. Dean bemerkte sie trotzdem. An den Größeren gerichtet sprach Castiel: „Du selbst, Sam, hast gesagt, hast gesehen, wie viel Unrecht wir angerichtet haben. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen es wiedergutzumachen.“   °*° Der Preis war hoch. Die Zeichen auf dem Pergament waren dieselben wie auf den Steintafeln, die das Wort Gottes trugen. Leviathantafel, Dämonentafel, Engelstafel, jede von ihnen hatte Castiel zerstört. Vielleicht hatte es vor langer Zeit eine vierte gegeben. Mit Hilfe von Kevins Aufzeichnungen war es Sam und Castiel in dieser Nacht gelungen den Zauber zu übersetzen. Dort war die Rede von der einen Nacht. Nur zu einem Moment ihm Jahr konnte solch mächtige Magie gelingen. In der Nacht, in der der Schleier zwischen den Welten am dünnsten war. „Samhain, All Hallows’ Eve“, beendete Sam seine Ausführungen. „Bis dahin sind es nur noch fünf Tage“, bemerkte Dean, „Was verlangt der Zauber?“ „Drei Dinge, die Hand Gottes, die Gnade eines gefallenen Engels und… und der Grund für dessen Fall.“ Es war Sam anzusehen, wie unangenehm ihm die Rolle des Überbringers schlechter Nachrichten war. Castiel kompensierte die aufkommende Stille durch überflüssige Erklärungen: „Eine Hand Gottes ist ein Gegenstand, der von Gott berührt wurde. Dadurch hat sich ein Teil seiner Kräfte übertragen. Die Bundeslade, Aarons Stab und das Horn von Joshua enthielten danach Spuren seiner Macht. Die Macht der Hand Gottes ist sehr stark, aber auch instabil. Kein menschliches Wesen kann lang damit in Kontakt bleiben, ohne selbst vernichtet zu werden.“ „Ich weiß, ich war dabei.“ Ungern dachte Dean an seine Zeit auf dem U-Boot und Delphine zurück, obwohl er es ihr sicher schuldete. Sie war eine mutige Frau gewesen. „Der andere Nachteil ist, dass ein solches Objekt nur einmal genutzt werden kann. Wir haben also nur einen einzigen Versuch“, fuhr der Engel fort, „Die meisten dieser Gegenstände wurden nach der Sintflut zerstört. Ein letztes Bruchstück der Bundeslade befindet sich allerdings im Himmel... Es wird nicht leicht, aber ich kann es beschaffen. Der Rest dürfte kein Problem sein. Sam wird dir etwas Blut abnehmen, Dean.“ „Cas, nein“, versuchte Dean ihn von seinem Vorhaben abzubringen. „Ohne meine Kräfte werde ich euch nicht mehr von Nutzen sein können, ich weiß, aber das müssen wir wohl in Kauf nehmen.“ „Darum geht es nicht. Es ist mir nie um deine Kräfte gegangen, sondern… sondern um dich!“ Der Alkohol seines mittlerweile fünften Drinks an diesem Tag hatte seine Zunge gelockert. Die Worte waren aus seinem Mund gestolpert, bevor er sie hatte aufhalten können. Dean schluckte, als er realisierte, was sie bedeuteten, wie viel sie ihm bedeuteten. In dem Versuch sich selbst zu überzeugen, tat er sein Bestes all das auf die Oberfläche zu reduzieren. Er mochte Cas doch nicht, weil er als Engel nützlich war, sondern weil er… weil er Cas war. Cas war sein bester Freund, Cas war Familie, also natürlich bedeutete der Engel ihm etwas, das war doch ganz normal. Und was dieser nun vorhatte… „Anna hat damals gesagt, es sei gewesen wie sich eigenhändig die Nieren mit einem Buttermesser herauszuschneiden!“ „Ich weiß. Ich schaffe das schon.“ „Nein, wir finden einen anderen Weg, einen anderen gefallenen Engel. Du wirst nicht das Opferlamm spielen!“ Allein bei dem Gedanken, was Cas sich selbst antun würde, drehte sich dem Jäger der sonst so robuste Magen um. „Einen anderen gefallenen Engel?“ Castiel lächelte schwach. „Nachdem Metatron dich betrogen hat, sind doch praktisch alle Engel gefallen.“ Sofort als die Worte verklungen waren, bereute Dean sie. Wieder einmal hatte er gesprochen ohne vorher darüber nachzudenken. Wütend auf sich selbst biss er sich auf die Unterlippe. Castiel gab sich noch immer die Schuld am Fall seiner Geschwister und er musst ihn daran erinnern und auch noch auf eine so unsensible Art. „Aber nicht so wie ich“, riss sein Gegenüber ihn aus den vorwurfsvollen Gedanken. „Das, was der Zauber verlangt, wird niemand sonst geben können. Und das weißt du.“ Castiel war nicht unfreiwillig durch einen Trick aus dem Paradies ausgeschlossen worden, sondern hatte sich in vollem Bewusstsein was er tat gegen den Himmel gewendet, hatte aus freien Stücken das aufgegeben, woran er Jahrtausenden lang geglaubt hatte. Er hatte begonnen zu zweifeln, den großen Plan zu hinterfragen. Schlussendlich hatte es sich gegen sie gestellt, seine Familie, hatte sein Zuhause verlassen, hatte seine Bestimmung und alles was er je gekannt hatte aufgegeben. Er hatte sich widersetzt, rebelliert. Nicht für das höhere Wohl, sondern für einen einzigen Menschen. „Ich muss es sein und ich werde es tun.“ Ergeben schloss Dean die Augen. Es hatte keinen Sinn weiter zu diskutieren. Castiel hatte recht und er hasste es. Der Engel war entschlossen und würde das durchziehen mit oder ohne seine Zustimmung. „Aber nicht allein. Ich werde bei dir sein.“ „Nein, das wirst du nicht. Ich will nicht… ich will nicht, dass du mich so siehst.“ Castiels Stimme wankte kaum merklich. Er wendete sich ab. „Wohin gehst du?“, wollte Dean ihn zurückhalten. „In den Himmel.“ „Um ganz allein einer Armee von Engeln die mächtigste Waffe ihres Arsenals zu stehlen?!“ Das war Selbstmord! Er würde dabei draufgehen! Wäre Dean in diesem Moment im Stande gewesen sich selbst zu beobachten, hätte er sicher festgestellt, dass seine Bedenken und Sorgen zwar verhältnismäßig, aber für ihn doch eher unüblich waren. Aber das tat er nicht. Seine Augen ruhten auf Castiel, seine Aufmerksamkeit galt allein dem Engel. „Ja“, bestätigte Castiel und mit einem Flügelrauschen war er fort. Dean stieß einen unterdrückten Zorneslaut aus und schleuderte das Whiskyglas gegen die steinerne Wand des Bunkers. Dort zersprang es in tausend Scherben, die unter seinen schweren Schuhen knirschten, als er sich auf den Weg in sein Zimmer machte um sich einzuschließen. Vielleicht konnte er all das außerhalb aussperren, aber er vermochte sich nicht vor dem zu verschließen, was in ihm war. Nicht mehr.   °*° Niemand sprach über die dritte Zutat. Sam war zu gut im Schweigen und Dean zu gut darin zu verleugnen und zu verdrängen. Es war so viel einfacher unangenehme Wahrheiten wegzuschieben und zu ignorieren, um sich nicht damit befassen zu müssen, was sie in einem auslösten. Nur dann und wann war da diese Traurigkeit, unterschwellig und kaum zu greifen. Dean hatte sich die meiste Zeit in seinem Zimmer aufgehalten oder war allein unterwegs gewesen, Gott weiß wo er hingefahren war. Sam hatte versucht mit ihm zu reden, doch Dean war ihm jedes Mal ausgewichen. Castiels Stimme hallte laut genug in seinen Gedanken wider: Ich habe zwei Engel getötet diese Woche. Sie waren meine Brüder. Ich werde gejagt, ich habe rebelliert und ich habe das, all das, nur für dich getan. Ich tue das für dich, Dean. Ich tue das wegen dir. Ich habe alles für dich gegeben! Noch 48 Stunden. Dean wirkte zunehmend beunruhigt, nun gut, das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Sie hatten noch immer nichts von Castiel gehört. Selbst das Orten seines Mobiltelefons war fehlgeschlagen und Sam hätte schwören können, er hätte seinen Bruder kurze Gebete murmeln hören, ergebnislos. Trotzdem hatten sie beschlossen alles soweit vorzubereiten. Sobald der Ältere allein im Raum war, zückte er ein Messer. „Hey, hey, hey! Was tust du da?“ Gerade war Sam mit Desinfektionsspray, Stauriemen, Kanüle und Pflaster zurückgekehrt. Doch Dean ignorierte seinen Bruder und führte die Klinge zu seiner Handfläche. Langsam zog er sie über seine Haut und schnitt sie auf. Die brennenden Schmerzen ließen ihn nach Luft ringen. Er sah zu wie das Blut dickflüssig aus der Wunde sickerte, fühlte wie es warm über seinen Arm lief. Der Lebenssaft, der durch seine Adern floss, quoll nun aus seiner Haut hervor. Cas würde sich die Gnade herausschneiden und alles, was er selbst tun konnte, war ein bisschen Blut zu geben. Dean schluckte schwer, schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären, und ließ die dunkelrote Flüssigkeit in ein Glasfläschchen tropfen. Ich bin immer gern bereit für die Winchesters zu bluten. Sam seufzte resigniert ob des brachialen Vorgehens seines Bruders. „Das war nun wirklich nicht notwendig.“ „Doch, das war es.“ Es war unumgänglich gewesen, er hatte das tun müssen. Dean wusste das und schloss doch die Augen vor der Wahrheit. Mutwillig hatte er sich selbst verletzt. Sam sah ihm zu wie er die Wunde mit der Mullbinde verband, die er dem Älteren gebracht hatte. „Du musst es ihm sagen.“ Es machte ihn kaputt. Es in sich einzuschließen machte Dean kaputt. „Ich weiß nicht, was du meinst“, erwiderte dieser. Was wollte Sam da andeuten? Dass Sam ihm überlegen war, dass er Zusammenhänge begriff, die er selbst gar nicht erst zu verstehen suchte, beschäftigte Dean weniger als die Blicke, die der manches Mal in die Ferne richtete. Dann verschwand Sam vor seinen Augen, obwohl dessen Körper bei ihm blieb, und wenn Sam zurückkehrte, dann konnte Dean sich sicher sein, dass sein Bruder einen neuen Weg entdeckt hatte, eine neue Möglichkeit, die Realität, die sie lebten, zu hinterfragen. Dean wagte nicht zu mutmaßen, zu welcher Erkenntnis er diesmal gekommen war. „Doch, das weißt du genau.“ Dean warf dem Größeren einen Seitenblick zu, betrachtete ihn, während dieser kurz nicht hinsah, und auch noch, als dieser ihn wieder ansah. Sie schauten sich in die Augen und da wusste er, dass Sam es wusste. Wie lange schon? Vielleicht schon immer. Vielleicht noch bevor er selbst es gewusst hatte. Vielleicht war Sam längst aufgefallen, was er so lang vor sich verborgen hatte. „Nein.“ Wenn die Seele hungert, isst der Verstand Lügen. Eine Lüge hat viele Variationen, die Wahrheit keine. Doch die Wahrheit ist selten makellos und niemals einfach. Alles, was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch.   "It kind of hurts. Try cutting your kidney out with a butter knife, that kind of hurt. I ripped out my grace." Anna 4x10 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)