Die Lüge von April_Jones ================================================================================ Kapitel 1: Jemand der sah ------------------------- "When humans want something really really bad... we lie." Dean zu Castiel   Ein Mann betrat die Bar, dunkelblond, auffallend attraktiv, so ein Ken-Verschnitt, dem sicher jede Frau zu Füßen lag. Selbst im schummrigen Licht der alten Tischleuchten konnte man erkennen, dass seine Augen grün waren. Er sah traurig aus. Nicht offensichtlich traurig, sondern eher dieses unterschwellig Traurig, das ein jeder zu verstecken suchte, sobald es einen erfasst hatte. Es machte schwach. Doch dieser Mann wirkte nicht schwach, ganz und gar nicht. Gebrochen, aber nicht schwach. Seine Präsenz füllte den gesamten Raum von dem Moment an, als er durch die Tür getreten war, begleitet von verstohlenen Blicken die Bar durchquert hatte und nun Platz nahm. Entweder nahm er die Blicke der anderen, das verzückte Lächeln der Frauen und das stumme Grollen der Männer, nicht wahr oder er ignorierte sie. Trinken und schweigen, das war alles, was er tat. Nach einer Weile jedoch kam ein Mann herüber und deutete auf den Platz neben ihm. „Würde es dir was ausmachen, wenn ich mich setze?“ Und er ließ ihn dort sitzen. Sie tauschten Blicke aus, musternd, tastend. Dann sah der Blonde zu der Bedienung herüber und bestellte zwei Bier für sich und diesen Mann.   °*° „Dean, wo warst du?“ Selbiger hatte gerade erst einen Fuß durch die schwere Eisentür gesetzt und betrat nun den Bunker. „Du warst die ganze Nacht weg!“ Wut und Sorge zu gleichen Teilen vibrierten in der vertrauten Stimme seines Bruders, die von unten zu ihm hinauf klang. „Was hast du gemacht, irgendwelche Frauen aufgerissen?“ „Nicht wirklich“, war die knappe Antwort. „Nicht wirklich? Was hast du … Weißt du was? Egal. Ich will’s nicht wissen.“ Eine peinliche Stille entstand, die der Größere der beiden schließlich unterbrach. „Wie auch immer. Ich bin da auf etwas gestoßen, das musst du dir ansehen“, sagte er und ergänzte dann, „Cas ist auch schon hier.“ „Cas?“ Ohne ihn noch einmal zu Wort kommen zu lassen, ließ Dean seinen Bruder stehen und verschwand übereilt im Badezimmer.   °*° Der Duschhahn fühlte sich kühl und glatt unter seinen bebenden Fingern an, bis Tropfen von oben herabfielen und das Salz aus seinem Gesicht wuschen. Dean ließ sie, streckte sich ihnen entgegen wie ein Kind dem warmen Sommerregen, hieß sie willkommen wie Lungen den Sauerstoff. Ihm wurde schlecht. Er musste sich an der Duschwand abstützen, um nicht erneut zu taumeln. Erschöpft lehnt er seine pochende Stirn an die kühlenden Fliesen und spürte dem Nass nach, das auf seinen Rücken fiel. Was für eine Nacht… Eine Bar irgendwo in Kansas, der Geruch von abgestandenem Zigarettenrauch, der Geschmack des letzten Drinks noch auf der Zunge, das Klicken von Billardkugeln. Eindeutige Blicke aus neugierigen Augen, ein Lächeln hier, ein Kompliment dort, Dean in seinem Element. Eines hatte zum anderen geführt. Und nun stand er hier unter der Dusche und schrubbte sich die Haut rot und wund in dem Versuch alles abzuwaschen, sich weniger schmutzig und verdorben zu fühlen. Wieso konnte er nicht einfach hier bleiben? Geschützt vor der Welt da draußen, hier in der Dusche bei laufendem Wasser, abgeschirmt durch einen Vorhang aus Tropfen. Das Wasser lief und lief, sollte alles abspülen, Tränen, Schweiß und Blut, die Angst, die Verzweiflung und all die Schuld. Alles sollte es abwaschen, hinfort tragen in klaren Strömen. Aber es funktionierte nicht, hatte es noch nie. Was wenn er jedes Mal einen Teil von sich selbst verlor? Dean fühlte sich wie ausgehöhlt. Wo vorher Schmerz gewesen war, war jetzt Leere, nicht nur in seinem Körper. . Dean war aus der Dusche gestiegen. Er wusste nicht, wie lange er unter dem regengleichen Schauer gestanden hatte. Vielleicht nur Minuten. Vielleicht Stunden. Wasserdampf durchzog das Bad wie dichter Nebel, der sogar die Zeit zu verschleiern vermochte. Tropfen perlten über seine Haut und zeichneten verschlungene Muster auf seinen Körper. Der Jäger sah an sich herab, überall die Narben und Wunden, die seine Feinde und seine Freunde auf ihm hinterlassen hatten, und er selbst. Es war nicht zu übersehen, wie kaputt er war. Beschädigte Ware. Er bemerkte nicht, dass er fror, bis er zu zittern begann. Feuchte, dunkle Flecken hatten sich auf der Frotteematte unter seinen Füßen gebildet. Zögernd streckte er eine Hand aus, nahm sich eines der Handtücher aus dem alten Eichenschrank und trocknete seinen wunden Körper. Der zerborstene Spiegel zeigte sein Gesicht nur bruchstückhaft, seine Faust hatte deutliche Spuren hinterlassen. Dean konnte seinen eigenen Anblick nicht länger ertragen, und so blickte er hinab auf seine zitternde Hand. Die Haut über den Fingerknöcheln war aufgeplatzt, das Blut verschmiert über dem Handrücken. Der äußerliche Schmerz fühlte sich gut an, er verdrängte für einen Moment den in seinem Inneren. Als er wieder hoch sah in den Spiegel, war da ein weiteres Gesicht neben seinem eigenen. Erschrocken fuhr der Jäger herum und fand sich Auge in Auge mit Castiel wieder. Sein Blick war blau wie der Himmel. Sie standen so dicht, dass Dean seinen Atem auf seinem Gesicht fühlen konnte. Er wollte einen Schritt zurücktreten, doch das Waschbecken presste sich hart und kühl gegen sein Gesäß. „Cas…“ Wir haben darüber geredet, persönlicher Freiraum, wolle er sagen, doch er brachte keinen Ton heraus. Zu nah, er war viel zu nah. „Du hast mich gerufen.“ Mehr Feststellung als Frage. „Nein!“, kam viel zu schnell, viel zu heftig aus seinem Mund. In seiner Hast bemerkte Dean nicht, dass sein eigener Körper ihn Lügen strafte, wie sehr er auf die Nähe des anderen reagierte, wie gut sie tat und gleichzeitig so schmerzte, wie sehr er sie brauchte. Seine Seele hörte nicht auf zu schreien. Er hatte versucht ihr Linderung zu verschaffen, zu substituieren, einen Ersatz zu finden und wenn es auch nur für eine Nacht war, aber danach… Er konnte Cas nicht in die Augen sehen. Castiels Blick glitt hinunter, tiefer, bis zu seinen Fingerknöcheln. Zielstrebig streckte der Engel die Hand aus, griff nach seiner und schloss sanft die Finger um die seinen, um ihn zu heilen. Doch der Jäger riss sich erschrocken los. „Fass mich nicht an!“ Fluchtartig wich Dean zur Seite, taumelte zurück und hob abwehrend die Hände. „Dean… Was ist los?“ Verwirrung zeichnete sich auf den Zügen des Dunkelhaarigen ab, die Sorge jedoch überwog. Was Castiel in seinem Gesicht sah, war keine Angst, sondern Scham. „Fass mich nicht an…“, wiederholte er, leiser diesmal. Obwohl er selbst sich der Wärme des Engels entzogen hatte, vermisste er sie. Seine Hand fühlte sich so leer an, wo er gerade noch Castiels Haut gespürt hatte, und seine Haut so kalt. Er fröstelte. Viel zu schnell verließ die angenehme Wärme, die Castiels Hand hinterlassen hatte, seinen Körper und machte einer Kälte Platz, die sich tief in ihn grub. Denn alles, was lediglich wahrscheinlich war, war wahrscheinlich falsch.   °*° Natürlich kam Sam nicht umhin es zu bemerken, den verkrampften Gang als hätte er Schmerzen und Blessuren an der Hand seines Bruders, die ihm vorher noch gar nicht aufgefallen waren. „Dean, du warst doch nicht etwa allein jagen, oder?“ „Nein.“ Mühsam hielt der Ältere ein gequältes Seufzen zurück. So viel zu Ich will’s nicht wissen. Aber wer konnte es ihm verübeln? Sammy sah zu viel, hatte es schon immer getan. „Also, was hast du gefunden?“, lenkte Dean ab, eine effektive Strategie wie sich herausstellte. Sam reichte ihm ein mit Brandspuren übersätes Stück Pergament. Im Bunker versteckt und eingemauert hatte er es bei Reparaturarbeiten entdeckt. Darauf war in fleckiger Tinte ein mächtiger Zauber geschrieben, der einzig und allein dazu diente alles Böse ein für allemal von der Erde zu tilgen, berichtete Castiel. Recherchen in der Bibliothek der Männer der Schriften und auf einschlägigen Seiten im Internet hatten keine weiteren Informationen zu dieser Art von Magie ergeben. Kopfschüttelnd betrachtete Dean den Jüngeren. Warum auch immer Sam spät abends alte Leitungen reparierte und mitten in der Nacht Nachforschungen zu einer vergilbten Pergamentseite anstellte… Erst jetzt bemerkte Dean die tiefen Augenringe, die Übermüdung und Erschöpfung im Gesicht seines Bruders. Er war doch sein Bruder, er hätte das sofort sehen müssen. Er hätte es sehen müssen, bevor Sam selbst es gewusst hätte. Er hätte da sein müssen. Manche Menschen mussten vor sich selbst beschützt werden. Sam war so ein Mensch, jemand der sah.   "I guess I'm not the man either of our dads wanted me to be. I'm not a hero. I'm not strong enough." Dean zu Castiel 4x16 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)