Fremder Feind von Varlet ================================================================================ Kapitel 1: Erwachen ------------------- Shuichi öffnete die Wagentür und stieg ein. Als Jodie neben ihm Platz nahm, fuhr er mit quietschenden Reifen los. Er sah zu ihr. „Alles in Ordnung? Bist du getroffen?“ „Nur ein Streifschuss“, murmelte Jodie und schnallte sich an. „Wo fahren wir hin?“ „Weg“, antwortete der Agent, aber die Schüsse ertönten immer noch. „Verdammt…die werden nicht Ruhe geben, bis sie uns haben“, murmelte er. „Fahr an den Hafen“, gab Jodie von sich. „Sie haben dort…zwei Lagerräume, die unbewacht sind. Den Code…kennen nur höhere Mitglieder, aber ich hab ihn…mal mitbekommen. Wir können dort den Wagen wechseln und…bestimmt finden wir auch etwas, um unsere Identität zu verschleiern.“ Akai nickte. „Und sie werden nicht auf die Idee kommen, dass wir direkt in ihre Arme fahren“, sprach er. „Du musst deinem Boss Bescheid geben“, kam es von Jodie. „Er muss ebenfalls verschwinden und vorsichtig sein.“ „Das mach ich gleich“, sagte Shuichi ruhig. „Seit zehn Minuten gaben sie keine Schüsse mehr auf uns ab.“ „Vielleicht haben sie uns verloren?“ Jodie sah nach hinten. „Niemand hinter uns.“ „Wir sollten trotzdem aufmerksam bleiben. Sie könnten uns trotzdem hier vermuten.“ Akai bog auf das Hafengelände. „Wo geht’s lang?“ „Du musst erst einmal gerade aus, dann an der zweiten Lagerhalle rechts und an der dritten Halle schließlich links.“ „In Ordnung.“ Akai sah besorgt zu ihr rüber. „Hältst du durch?“ „Klar“, antwortete Jodie. Gerade als Shuichi abbiegen wollte, wurde er von einem Wagen gerammt. Er driftete nach hinten und nahm den Weg geradeaus. Es fielen weitere Schüsse. Einer traf den hinteren Reifen. Shuichi krallte seine Hände ans Lenkrad und versuchte das Auto unter seiner Kontrolle zu halten. Als der zweite Schuss in den Reifen abgefeuert wurde, wurde es immer schwerer für den Agenten. Irgendwann verlor er doch die Kontrolle. Wie in einem schlimmen Traum drehte sich der Wagen auf dem Asphalt und landete letzten Endes auf dem Dach. Der Airbag hatte die Beiden auf ihren Sitz gepresst und fiel Sekunden später in sich zusammen. Allein durch den Sicherheitsgurt hingen sie kopfüber auf ihren Plätzen. Shuichi stöhnte leise auf. „Jodie…?“, fragte er und öffnete seine Augen. Sie reagierte nicht. Akai sah zu Jodie. Ihr Gesicht war kreidebleich. Ein Rinnsal von Blut lief aus ihrem Mund, ihre Augen waren geweitet – schmerzerfüllt. Sofort achtete er auf ihre Atmung. Ihr Brustkorb bewegte sich nicht. Die Angst erfasste ihn. „Jodie“, flüsterte er. „Tu mir…das nicht an…“, flehte er. Unruhig wälzte sich Shuichi in dem Bett des Krankenhauses hin und her. „Mhm…“, gab er murmelnd von sich. „Jo…die…“, wisperte er leise und öffnete seine Augen. Er atmete schnell und sah nach oben an die Decke. Wo war er? Was war geschehen? Wo war Jodie? Langsam vernahm er das Piepen der Maschine, blickte dorthin und sah den Linien seines Herzens zu. Ein EKG. Er war im Krankenhaus! Aber wer hatte ihn hingebracht? Freund oder Feind? Shuichi sah zur Infusion. Kochsalz oder was anderes? Schmerzmittel? Schlafmittel? Dennoch hatte das monotone Tropfen der Flüssigkeit in dem Beutel eine beruhigende Wirkung auf ihn, sodass er wieder in den Dämmerzustand driftete. Als der erste Schuss fiel, blieb Akai stehen. Der Schuss hallte in seinem Kopf nach und seine Augen waren geweitet. Er machte sich sofort auf den Weg zurück. Als er dem Unfallort immer näher kam, wurde er langsamer. Auch wenn seine Sorge um Jodie groß war, musste er sich an den Feind heranpirschen und nicht überstürzt handeln. Akai zog seine Waffe heraus. Der Lauf war durch den Unfall etwas gebogen, doch es stellte kein Problem dar, wenn er den neuen Flugwinkel der Kugel miteinkalkulierte. Dann würde seine Waffe ihren Dienst nicht versagen. Für Shuichi verging eine gefühlte Ewigkeit, ehe er am Unfallort wieder ankam. Er drückte sich gegen die Wand des Lagerhauses und sah den beiden Frauen zu. Der erste Schuss hatte Jodie verfehlt, dennoch verlor sie beinahe das Gleichgewicht und taumelte. Shuichi machte einen Schritt nach vorne, stoppte dann aber und hielt nach Calvados Ausschau. Dann sah er den roten Punkt auf Jodies Brust. Calvados. Akai biss sich auf die Unterlippe. Gerade als er seine letzten Reserven mobilisierte, fiel der zweite Schuss und Jodie ging zu Boden. Shuichi sah dem Szenario geschockt zu. Es lief wie in Zeitlupe ab und er hatte das Gefühl, sich nicht bewegen zu können. Akai atmete schwer. Im nächsten Moment spürte er eine Hand auf seinem Mund und jemand schlug ihm in den Nacken. Er fühlte die Benommenheit, hielt sich aber noch auf den Beinen. Doch je mehr Zeit verstrich, desto schwerer wurde es für ihn und schließlich hatte er keine andere Wahl als nachzugeben. Shuichi spürte, wie er vom Ort des Geschehens weggeschleift wurde. „N…nein…“, murmelte er. Er wurde auf die Rückbank eines fremden Wagens gelegt und realisierte erst dann, wer ihn soeben aus der misslichen Lage befreit hatte. Ihn - nicht sie. Sie kümmerten sich nicht um Jodie. Sofort ergriff ihn die Angst, doch sein Körper hatte nicht mehr die Kraft um darauf zu reagieren. Er bewegte sich nicht. „Jo…jo…die…?“ James Black sah betroffen drein. Er schüttelte den Kopf. „Wir kamen zeitgleich mit Ihnen am Unfallort an und haben nur gesehen, wie Miss Sta…Saintemillion niedergeschossen wurde“, fing James an. „Ein Eingreifen in dieser Lage wäre für uns kein Vorteil“, fügte Camel hinzu. „Wir…wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen.“ Black sah auf den Boden. „Wir können leider nichts mehr für sie tun. Ich glaube nicht, dass sie…dass sie…“ Seine Stimme versagte, aber Akai wusste genau, wie der Satz enden sollte: …dass sie den Schusswechsel überlebt hat… Shuichi schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Jo…die…“, sagte er noch ein letztes Mal, ehe er bewusstlos wurde. Akai schreckte hoch. Er schwitzte, atmete schnell und unruhig. Sein Gesicht war kreidebleich. Albtraum. Es musste ein Albtraum gewesen sein. Das war die einzige Erklärung! Shuichi wischte sich den Schweiß weg und sah sich im Raum um: Vier weiße Wände, ein Nachttisch, zwei Stühle in der Ecke und ein Fenster. Mehr gab der Raum nicht her. Er war nicht in seinem Schlafzimmer und er war auch nicht bei Jodie. Aber wo…? Krankenhaus! Er erinnerte sich an sein letztes Aufwachen und sah nach rechts. Die Maschine und die Infusion waren weg. Wie lange hatte er geschlafen? Stunden? Tage? Oder gar Wochen? War jemand Zimmer? Und wenn ja, wer? Die Tür ging auf und Agent Black kam hinein. „Guten Morgen“, sagte er und schob einen Stuhl an das Krankenbett. Er setzte sich. „Wie geht es Ihnen?“ Shuichi krallte seine Hände in die Bettdecke. Es war kein Albtraum. Sein Körper bebte. Sie hatten ihn gerettet und Jodie der Organisation zum Fraße vorgeworfen. Es war ihre Schuld. Nein. Es war deine Schuld. Akai sah nach unten. Du hättest sie mitnehmen sollen. Tragen, wenn sie nicht selbst laufen konnte. Du hättest sie dort nie allein lassen dürfen. Er machte sich Vorwürfe. Du hättest schneller zurück kommen müssen. Du hättest eingreifen müssen, das Feuer eröffnen…handeln… Er schämte sich, weil er entkommen war. Er schämte sich, weil sie sie zurück gelassen hatten. Er schämte sich, weil er sein Versprechen gebrochen hatte. „Warum?“, fragte Akai leise. „Warum haben Sie mich…?“ Agent Black sah betroffen drein. „Agent Akai“, begann er ruhig. „Wir haben getan, was wir konnten. Die Situation ist außer Kontrolle geraten. Hätten wir versucht Miss Saintemillion zu retten…wären wir alle jetzt nicht hier. Ich weiß, dies ist kein Trost für Sie, aber…“ Akai verengte die Augen. „Stattdessen haben Sie mich gerettet“, murmelte er. „Woher wussten Sie eigentlich wo wir sind? Und woher weiß ich, dass Sie der echte Agent Black sind?“ Black atmete tief durch. „Sie werden mir schon vertrauen müssen, Junge“, fing er an. „Falls nicht, haben wir ein großes Problem. Sie können selbstverständlich an meinem Gesicht herumzerren und prüfen, ob ich eine Maske trage.“ Black räusperte sich. „Aber ich denke, dass das nicht nötig sind wird. Ich werde Ihnen jetzt alle Fragen beantworten. Wie Sie ja wissen, wurde Agent Camel nicht nur als Ihr Kontaktmann hierher geschickt, sondern auch als Beobachter. Er sollte immer ein Auge auf Sie und Miss Saintemillion haben. Nun ja, auch an jenem verhängnisvollen Tag hat er Sie zwei nicht aus den Augen gelassen. Er ist Ihnen gefolgt und hatte mich in das Restaurant kommen sehen. Agent Camel wusste natürlich, dass das Treffen verschoben wurde, weswegen er mich geistesgegenwärtig kontaktierte. Unverzüglich wussten wir, dass Sie in eine Falle gelockt wurden. Ich machte mich sofort auf den Weg, aber in der Zwischenzeit flohen Sie mit Miss Saintemillion. Agent Camel fuhr Ihnen und der Organisation nach. Nachdem er mich einsammelte, sind wir jedes erdenkliche Szenario durchgegangen und schmiedeten Pläne, wie wir Sie aus der Situation herausholen würden. Selbstverständlich achteten wir darauf, nicht bemerkt zu werden. Als wir allerdings am Hafen ankamen, war es fast zu spät. Sie kamen auf uns zugelaufen, aber als der erste Schuss fiel, kehrten Sie wieder um. Um Schlimmeres zu verhindern, liefen wir Ihnen nach.“ Shuichi schluckte. „Sie waren nicht schnell genug“, schlussfolgerte er. „Das hätte in dieser Situation niemand sein können. Sie waren verletzt und wir mussten Sie in Sicherheit bringen. Es tut mir wirklich leid, aber hätten wir zugelassen, dass Sie zum Tatort laufen, wäre es auch Ihr Ende gewesen. Der Scharfschütze hatte sich auf dem Dach verschanzt und nur auf eine solche Gelegenheit gewartet.“ Akai schluckte. Seine Hände zitterten. „Also haben Sie mich niedergeschlagen…und in Ihren Wagen gelegt. Sind Sie…zurück gefahren?“ „Wir haben Sie zunächst ins Krankenhaus gebracht und sowohl die Ärzte als auch die Schwestern um Stillschweigen gebeten. Als wir Sie in Sicherheit wussten, fuhren wir zurück an den Hafen. Die Organisation hat alle Spuren des Unfalls beseitigt. Ihr Wagen ist weg, es gibt kein Blut auf dem Boden…und wir haben keine Möglichkeit den Unfall…nein, den Anschlag zu beweisen. Nichts weist auf das Geschehen von vor einigen Tagen mehr hin. Da es relativ spät war, gibt es auch keine Zeugen.“ „Ich verstehe“, wisperte der Agent. Shuichi wusste, dass die Organisation Jodie nicht ein weiteres Mal am Leben lassen würde. „Moment!“ Er wurde hellhörig. „Sagten Sie, vor einigen Tagen?“ Agent Black nickte. „Seit dem Anschlag sind drei Tage vergangen“, erklärte er. „Ihre Genesung hatte höchste Priorität. Sie hatten wirklich viel Glück gehabt, ein paar Schürfwunden im Gesicht und an den Armen, sowie eine Platzwunde am Hinterkopf und eine leichte Gehirnerschütterung. Es war ein Wunder, dass Sie nach dem Unfall überhaupt so schnell laufen konnten. Allerdings ist unter dem Einfluss von Adrenalin alles möglich. Sie haben im Wagen sehr schnell das Bewusstsein verloren und mussten sich erst erholen.“ „Was…was haben Sie mir gegeben, damit ich so lange schlafe?“ James seufzte leise auf. „Agent Akai, Sie waren sehr unruhig und haben immer wieder nach Miss Saintemillion gefragt. Damit Sie überhaupt behandelt werden konnten, wurde Ihnen ein leichtes Schlafmittel gegeben. Wir hatten vor allem nachts Sorge, dass Sie sich auf den Weg zum Hafen machen könnten und ließen Ihnen das Schlafmittel durch die Infusion zu kommen. Sie waren erschöpft und Ihr Körper brauchte die Ruhe um sich zu erholen. Ich kann verstehen, dass Sie wütend auf uns sind, aber wenn Sie darüber nachdenken, kommen Sie zu dem Schluss, dass es keine andere Möglichkeit gab. Sie hätten genau so gehandelt, wenn Sie nicht persönlich involviert gewesen wären. Denken Sie darüber nach“, bat er. „Verstehe“, sagte Akai. „Wann kann ich aufstehen?“, wollte er wissen. „Wenn Sie sich fit fühlen, können Sie jetzt erste Schritte machen. Wahrscheinlich wird Ihnen noch etwas schwindlig werden. Sie sollten sich aber nicht überanstrengen.“ „Geht schon.“ „Agent Akai“, fing Black an. Akai schüttelte den Kopf. „Ich weiß, was ich mir zutrauen kann und was nicht“, sagte er und schwang seine Beine über das Bett. „Wann werde ich entlassen?“, wollte er wissen. „Mindestens noch eine Woche. Der Arzt hält es für ratsam, Ihren Zustand weiterhin zu beobachten.“ „Eine Woche?“, wiederholte Akai. „Das geht nicht.“ „Darüber möchte ich keine Diskussion hören, Agent Akai.“ Shuichi sah seinen Vorgesetzten an. „Ich möchte zum Hafen.“ „Agent Akai“, sagte Black erneut. „Bitte, ich muss mir den Ort ansehen. Wenn Sie wollen, dass ich meinen Frieden finde, müssen Sie mir diesen Wunsch gewähren. Danach kehre ich ins Krankenhaus zurück.“ James seufzte. „In Ordnung. Ich rufe Agent Camel an. Er wird Sie fahren.“ Shuichi nickte und blickte zum Fenster. Es tut mir leid, Jodie. Kapitel 2: Am Hafen ------------------- James beobachtete den FBI Agenten und zog sein Handy aus der Jackentasche. „Sind Sie sicher, dass Sie das machen wollen?“ Akai seufzte. „Ja, das habe ich doch bereits gesagt. Ich kenne meinen Körper besser als die Ärzte und ich weiß, was ich mir zumuten kann und was nicht. Also bitte organisieren Sie die Fahrt, ansonsten sehe ich mich gezwungen, das Krankenhaus auf eigene Verantwortung zu verlassen.“ Black verengte die Augen. Die Drohung hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Er räusperte sich. „Ich sehe dennoch ein Problem darin, dass Sie heute an den Hafen fahren. Sie sind gerade erst wieder wach geworden und brauchen noch einige Zeit. Es würde mich beruhigen, wenn Sie heute noch im Bett bleiben und wir Sie erst morgen an den Hafen fahren würden.“ Akai ballte die Hände zu einer Faust. Er hatte bereits genug Zeit verschwendet und sollte jetzt noch einen weiteren Tag warten. Der FBI Agent biss sich auf die Unterlippe. „Und bevor Sie gleich damit argumentieren wollen, dass wir einen Tag verschwenden, denken Sie doch bitte an Ihre Gesundheit. Außerdem haben Sie bereits ein paar Tage hier gelegen. Ob Sie nun einen Tag später an den Hafen kommen oder nicht, ändert nichts an dem, was Geschehen ist“, fügte Black hinzu. „Denken Sie das nicht auch?“ Akai fühlte sich in die Ecke gedrängt und ihm wollte partout nichts als Erwiderung einfallen, was hilfreich gewesen wäre. Sein Kopf war leer. „Von mir aus“, versuchte er relativ anteilnahmslos zu entgegnen. James nickte erleichtert. „Also gut, dann bestelle ich Agent Camel für morgen dreizehn Uhr hierher.“ Akai sah ihn mürrisch an. „Morgens werden Sie noch untersucht und Sie müssen zeitig das Mittagessen einnehmen um auch bei Kräften zu sein. Deswegen können wir erst am Nachmittag fahren.“ „Von mir aus“, gab Akai von sich. Er blieb ruhig, auch wenn er geradewegs in eine Falle seines Bosses lief. Dreizehn Uhr – Nachmittag. Er würde nicht wieder nachgeben. Shuichi zog sich in dem kleinen Badezimmer seines Krankenzimmers um und betrachtete sein Äußeres im Spiegel. Sein Gesicht zeigte bereits die Anzeichen eines drei-Tage-Barts - etwas das ihm, in seinen Augen, nicht stand. Akai öffnete den Kulturbeutel, welchen er von seinem Vorgesetzten bekam und rasierte sich die Haare ab. Er wusch sich das Gesicht und schaute seinem Spiegelbild ein weiteres Mal zu. „Ich hab überlebt“, sagte er leise zu sich selbst und seufzte. Aber warum hatte er das? Warum hatte er sie alleine gelassen und nicht dafür gesorgt, dass sie zuerst in Sicherheit war? Er hatte doch bemerkt, dass es ihr nicht gut ging, dass sie verletzt war und in ihr Verderben lief. Und doch hatte er so gehandelt. Aber hätte er jetzt die Möglichkeit etwas anders zu machen, er hätte es getan. Akai lehnte seinen Kopf gegen den Spiegel und schlug mit der Faust ganz leicht gegen diesen. Passte er nicht auf, zersprang der Spiegel und das Glas grub sich in seine Hand. Was danach passieren würde, wusste er: Die Ärzte sowie Black würden ihm Selbstmordgedanken unterstellen und an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln. Warum hatte er auch nur diesen Fehler gemacht? Er hatte sie in sein Herz gelassen und nun dafür bezahlt. Jeder Blick von ihr hatte ihn insgeheim verzaubert und zum Nachdenken gebracht. Er hatte viel zu sehr auf sein Herz gehört und seine Arbeit vernachlässigt. Ihre traurigen Blicke und die Art und Weise wie sie sich nach ihren gemeinsamen Nächten an ihn gekuschelte hatte, trugen dazu bei, dass er die Regeln des FBIs verletzte. Sich während eines verdeckten Einsatzes auf den Feind einzulassen oder sich gar in diesen zu verlieben, war strengstens untersagt. Shuichi seufzte. Aber jetzt war alles zu spät. Jodie war nicht mehr am Leben – sie konnte es nach der Begegnung mit Vermouth nicht mehr sein – und er musste nach vorne sehen. Er musste leben und gegen die Organisation kämpfen. Wenn nicht er, wer dann? Nur er konnte sie jetzt noch vernichten. Der Ansporn reichte, aber er hatte die Rechnung nicht mit seinen Vorgesetzten gemacht. Wie würde Black jetzt entscheiden? Würde er überhaupt weiter in Japan bleiben dürfen? Oder würde er seinen Dienst quittieren und auf eigene Faust gegen die Organisation ermitteln? Wenn er so darüber nachdachte, wäre dies seine letzte Option – und das nur um Jodies Tod zu rächen. Akai blickte ein weiteres Mal in den Spiegel, drehte anschließend den Wasserhahn auf und wusch sich das Gesicht ein weiteres Mal. Er würde seine Arbeit schon bald wieder aufnehmen. In wenigen Stunden war es endlich so weit. Er würde am Hafen Spuren und Indizien suchen, er würde das Lager der Organisation finden und sie mit diversen Verbrechen in Verbindung bringen. Sein Gesicht wäre das letzte, was die Organisation sehen würde, wenn er erst mit ihnen fertig war. Shuichi kniff die Augen zusammen. Er durfte nicht jetzt schon an das Ende der Organisation denken, wenn sie noch ganz am Anfang standen. Doch der Grundstein war bereits gelegt und mit Jodies Tod hatten sie sich einen starken Feind erschaffen. Akai atmete tief durch und verließ das Badezimmer. Er nickte seinem Vorgesetzten zu. „Camel noch nicht da?“, wollte er wissen. „Agent Camel ist bereits auf dem Weg. Es dauert sicher nicht mehr lange.“ Akai setzte sich wieder auf das Bett und sah auf die Tür. „Ich hoffe, Sie wollen damit keine Zeit schinden. Falls doch, seien Sie gewiss, dass es mich nicht aufhalten kann. Ich habe mich bereits gestern darauf eingelassen, dass wir erst heute an den Hafen fahren“, fing er an. „Und sollten Sie mir diesen Wunsch nicht erfüllen, werde ich mich eigenständig auf den Weg dorthin machen. Wie gestern bereits gesagt, ich habe keine Probleme damit mich aus dem Krankenhaus zu entlassen.“ Agent Black seufzte auf. „Ich kann verstehen, was in Ihnen vorgeht. Auch ich war vor Jahren als verdeckter Ermittler tätig und habe Menschen kennen gelernt, die mir ans Herz gewachsen sind. Und auch ich musste den Schmerz des Verlustes durchleben, deswegen glauben Sie meiner Erfahrung und überstürzen Sie es nicht.“ Black zog sein Handy hervor und sah auf die Uhr. „Agent Camel hat soeben auf dem Krankenhausparkplatz seinen Wagen abgestellt. Er wird in wenigen Sekunden hier oben sein.“ Shuichi stand auf. „Wir können ihm entgegen gehen“, sagte er. Black beobachtete ihn. „Ich möchte trotzdem meinen Unmut darüber ausdrücken, dass wir gleich an den Hafen fahren werden. Aber ich werde Sie dennoch darin unterstützen.“ „Jaja…ich weiß…eine Woche nur rumliegen…“, gab Akai von sich. „Ich bin der Schrecken eines jeden Arztes…“ „Agent Akai“, begann James. „Schon gut. Ich weiß, was Sie sagen wollen. Ich soll auf das hören, was der Arzt sagt.“ Es klopfte an der Tür und Camel betrat unverzüglich den Raum. „Guten Tag“, grüßte er und sah zu Akai. „Agent Akai, ich bin froh, dass Sie wieder aufgewacht sind und dass es Ihnen in der kurzen Zeit so gut geht.“ Gut? Es ging ihm nicht gut, aber er verbarg seine wahren Gedanken und Gefühle. „Das bin ich auch“, sprach Shuichi. „Lassen Sie uns keine Zeit vergeuden und losfahren.“ Camel sah zu Black. „Sir?“ Black nickte. „Ich komme auch mit.“ „Sind Sie sicher, dass Sie das Krankenhaus so schnell verlassen wollen, Agent Akai?“, wollte Camel wissen. Akai verdrehte die Augen. Nicht er auch noch. „Selbstverständlich bin ich das“, gab der Agent von sich. „Und ehe Sie fragen, mein Zustand ist stabil. Ich bin mir bewusst, was ich meinem Körper zumuten kann und was nicht. Und wenn wir am Hafen waren, kehre ich wieder zurück ins Krankenhaus.“ Agent Camel nickte. „J…ja… Dann wollen…wir mal…“ Shuichi nahm seine Jacke und zog sie an. Er verließ sein Krankenzimmer und ging in Richtung Ausgang. James und Camel folgten ihm widerwillig. „Wo steht Ihr Wagen?“, wollte der Agent wissen. „Auf dem Besucherparkplatz C-23“, antwortete Camel. „Es war gar nicht so einfach um diese Uhrzeit noch einen leeren Platz zu finden. Ich musste dreimal eine Runde fahren.“ „Verstehe.“ Shuichi orientierte sich durch die Schilder und kam am Wagen an. „Bitte schließen Sie auf.“ Camel nickte und öffnete die Wagentür. „Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Das musste man dem Agenten nicht zweimal sagen. Ohne auf seinen Vorgesetzten zu achten, nahm Akai auf dem Beifahrersitz Platz. „Ich hoffe, dass macht Ihnen nichts aus, Sir.“ „Schon gut“, antwortete Black und setzte sich nach hinten, während Camel auf dem Fahrersitz Platz nahm. Er schnallte sich an und startete den Motor. Sogleich parkte er aus und fuhr in Richtung Hafen. Je näher sie dem Hafen kamen, desto unwohler fühlte sich Shuichi. Zum ersten Mal verspürte er während seiner Arbeit ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Was würde er am Hafen vorfinden? Würde die Erinnerung auf ihn niederprasseln? Würden ihm seine Erinnerungen einen Streich spielen oder würde alles wie immer sein? Eine posttraumatische Belastungsstörung durfte er auf gar keinen Fall zulassen. Deswegen half nur die Konfrontation. „Haben Sie sich die anderen Lagerräume genauer angesehen oder waren sie in den letzten Tagen hier und haben Beobachtungen angestellt?“, wollte Akai wissen. James wirkte überrascht. „Nein, das haben wir nicht“, antwortete er. „Wir waren zwar am nächsten Tag am Hafen, aber nachdem wir sahen, dass alle Spuren beseitigt waren, haben wir diesen Ort wieder verlassen und sind nicht erneut hergekommen.“ Akai schnaubte. Das FBI hatte ihre Chance vermasselt und jetzt war es zu spät. „Die Organisation hat dort ein Lager. Vermutlich hatten sie aber Sorge, dass Jodie es mir erzählt haben muss und haben alles verschwinden lassen.“ Black sah ihn überrascht an. „Sie hat es mir erst während der Flucht erzählt, deswegen konnte ich Sie nicht vorher informieren“, kam es von Akai. „Aber Sie hätten auch selbst darauf kommen können. Warum hätten wir sonst die Flucht in Richtung Hafen angetreten…“ Camel schwieg und fuhr bis zum Ort des Geschehens. Er stellte den Motor aus und schnallte sich ab. „Wir sind da.“ Akai sah aus dem Fenster. Hier war es also passiert. Hier hatte er Jodie ihrem Schicksal überlassen. Shuichi schluckte und sah in die Vergangenheit. Als der erste Schuss fiel, blieb er stehen. Kurz danach machte er sich sofort auf den Weg zurück. Akai zog seine Waffe heraus. Er war bereit. Jodie taumelte nach dem ersten Schuss. Shuichi machte einen Schritt nach vorne, stoppte dann aber und hielt nach Calvados Ausschau. Dann sah er den roten Punkt auf Jodies Brust. Gerade als er seine letzten Reserven mobilisierte, fiel der zweite Schuss und Jodie ging zu Boden. Akai atmete schwer. Er fühlte die Benommenheit, hielt sich aber noch auf den Beinen. Doch je mehr Zeit verstrich, desto schwerer wurde es für ihn und schließlich hatte er keine andere Wahl als nachzugeben. Shuichi spürte, wie er vom Ort des Geschehens weggeschleift wurde. „N…nein…“, murmelte er. Langsam öffnete Shuichi die Wagentür und stieg aus. Seine Beine fühlten sich schwer an und er machte nur langsam Schritte nach vorne. Camel und Black stiegen ebenfalls aus. „Agent Ak…ai…“, murmelte Camel, als Black ihm die Hand auf die Schulter legte und den Kopf schüttelte. Camel nickte verstehend. Shuichi ging zu der Stelle an der sich der Wagen überschlug. Er sah auf den Boden. Tatsächlich waren alle möglichen Spuren verschwunden und es gab nichts, was auf sein Auto hinwies. Langsam kniete er sich auf den Boden und berührte die Stelle. „Jodie“, sprach er leise und ballte seine Faust. „Ich bitte um Verlängerung meines Aufenthaltes hier.“ Black sah ihn irritiert an. „Agent Akai“, fing er an. „Ich muss die Organisation ein für alle Mal zur Strecke bringen. Ich bin der einzige, der das tun kann.“ „Abgelehnt“, sagte James energisch. „Ich habe bereits mit den Vorgesetzten in den Staaten gesprochen. Der Auftrag wird abgebrochen, wir kehren in einer Woche nach New York zurück.“ Akai sah zu ihm hoch. „Dann machen Sie das alleine. Ich werde hier bleiben und mich um die Organisation kümmern.“ „Agent Akai, ich kann verstehen, dass Sie hier bleiben wollen und wenn es wirklich Ihr Wunsch ist, müssen Sie Ihre Kündigung einreichen. Es tut mir wirklich leid, aber ich kann Ihnen nichts anderes sagen. Wenn Sie jetzt wegen Rache hier bleiben und unüberlegte Handlungen durchführen, helfen Sie Niemandem. Wäre dann nicht der Tod der Frau umsonst gewesen? Oder möchten Sie ihr in den Tod folgen?“, wollte Black wissen. Shuichi schluckte. „Wir werden in New York weitere Informationen sammeln und versuchen die Organisation weiterhin im Auge zu behalten. Und eines Tages wird es Ihnen sicherlich wieder möglich sein nach Japan zurück zu kehren und Ihre Rache zu nehmen. Aber bis dahin sollten Sie Ihr Leben weiterführen. Können Sie das?“ Akai biss sich auf die Unterlippe. Sein Boss hatte Recht. Was brachte es, wenn er versuchte gegen sie anzukommen und mit seinem Leben bezahlte, nur weil er unachtsam und voller Trauer war? „Ja.“ Kapitel 3: Überlebt ------------------- Es wunderte die Schauspielerin nicht, dass Jodie ihre Verkleidung nach wenigen Minuten durchschaut hatte. Immerhin war sie diejenige, die einen Teil ihres Wissens an die junge Amerikanerin weitergab. Zwar nicht alles, aber genug damit Jodie in einer brenzligen Situation schnell zwischen Freund und Feind unterscheiden konnte. Dass Jodie dies tatsächlich musste, bewiesen ihre ersten Aufträge und hin und wieder auch Aufträge, die für sie viel zu groß waren. Und auch wenn Jodie derzeit ihr Feind war, war es umso erstaunlicher wie ruhig sie blieb und Antworten auf ihre zahlreichen Fragen forderte. Alleine daran konnte das geübte Auge erkennen, dass Jodie ihre gesamte Kindheit bei der Organisation verbrachte und auch jetzt noch dieser angehörte. In zahlreichen Trainings, Missionen und eigenen Angriffen hatten sie ihr abgewöhnt Angst zu empfinden und bereiteten sie darauf vor, auch in kritischen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Jetzt zeigte sich, dass die Erziehung Früchte trug. Mit dem Wissen, dass Jodie die Nacht eh nicht überleben würde, hatte Vermouth ihr bereitwillig alle Fragen beantwortet. Sie hatte sogar ihren eigenen Schmerz von damals kurzfristig zugegeben und sich wieder an die schlimmen Begebenheiten erinnert. Dennoch tat sie es, als wäre bereits viel Gras über die Sache gewachsen und als hätte sie keine Empfindungen mehr. Umso wichtig war es, Jodies Reaktion auf die Wahrheit zu sehen. Genau wie die Tatsache, dass sie wahrheitsgemäße Antworten gab und ihre Fassade für einen kurzen Augenblick fallen ließ. Im Restaurant hätte sie alles machen können, was sie nur wollte, aber sie musste wieder zum Wesentlichen kommen. Selbstverständlich hatte sie von Anfang an eine Begleitung gedacht. Calvados. Er himmelte sie an, druckste herum, wenn sie mit ihm sprach und wurde immer rot, sobald sie seinen Arm berührte. Er wäre das perfekte Bauernopfer, wenn ihr Plan zum Scheitern verurteilt war. Außerdem war er ihre Absicherung, falls es im Restaurant bereits zur Auseinandersetzung kam, sowie das Druckmittel um Jodie und ihren Agenten in Gewahrsam nehmen zu können. Allerdings hatte sie eine Sache nicht einkalkuliert: Dais schnelle Reaktion. Selbstverständlich hatte sie von seinen Fähigkeiten gehört, aber sie direkt zu erleben, hatte einen bitten Beigeschmack. Er hatte die Situation blitzschnell analysiert und ohne Umschweife gehandelt. Er hatte ihr sogar in ihr wunderschönes Gesicht geschlagen, was auch trotz der Maske ordentlich Schmerzen verursachte. Er würde nie klein beigeben. Dennoch hatte die Jagd auch gewisse Vorzüge. Sie fühlte sich wieder so jung, wie schon lange nicht mehr. Aber Vermouth wäre nicht Vermouth, wenn sie die Situation nicht wieder unter Kontrolle brächte. Sofort hatte sie das Feuer auf Jodie eröffnet und sich von Calvados abholen lassen. Am Ende war es eh eine Frage der Zeit bis das Schicksal ihr in die Hände spielte. Was machten dann schon zehn Minuten mehr aus? Mit dem Peilsender in Dais Jackentasche würden sie sowieso nicht entkommen können. Der Peilsender war zu offensichtlich, als das sie ihn sofort finden würden. Aber Jodie war immer noch für eine Überraschung gut. Mit dem Hafen hatte die Schauspielerin nicht gerechnet, aber sie stellte sich schnell auf die neue Situation ein. Zum Glück war Vermouth auch eine gute Schützin und brachte den Wagen auf ihre eigene Art und Weise zum Stillstand. Dass er sich überschlug war ein Kollateralschaden, den sie nur gerne in Kauf nahm. Langsam kam sie am Unfallort an. Das Scheinwerferlicht erhellte den anderen Wagen und war direkt auf Jodie gerichtet. Sie humpelte von der Unglücksstelle fort. Vermouth legte ihre Maske ab und lud ihre Waffe neu. In der Zwischenzeit stieg auch Calvados aus dem Wagen und marschierte los. Vermouth schmunzelte. „Jetzt geht es zu Ende“, sagte sie zu sich selbst und stieg aus dem Wagen. „Du bist hier ja ganz allein.“ Vermouth sah sich um. Jodie schluckte. „Wenn…wenn du mich erschießen willst, dann tu es. Ich hab keine Angst.“ „Natürlich hast du keine Angst. Du bist schließlich bei uns aufgewachsen“, gab die Schauspielerin von sich. „Und wenn ich einen falschen Schritt mache, erschießt mich dann dein FBI Agent oder hat er dich hier allein gelassen?“ „Er wird…die Organisation vernichten. Du und die anderen…ihr werdet eure gerechte Strafe erhalten.“ Vermouth lachte. „Das hat bisher keiner geschafft. Warum glaubst du, dass ausgerechnet er es schaffen kann?“ Dass Calvados ganz in der Nähe war, spürte sie und als auf einmal der rote Punkt auf Jodies Brustbereich auftauchte, war ihr klar wo er sich verschanzte. Calvados war zwar ein guter Scharfschütze, aber der Laserpunkt verriet sein wahres Können. Jodie machte einen Schritt nach hinten. Calvados drückte ab. Der Schuss peitschte gegen den Wind. Kurz darauf fiel der zweite Schuss und Jodie ging zu Boden. „Sayonara.“ Vermouth sah nach oben. „Thank you, Calvados“, rief sie ihm zu. „Du kannst dich jetzt auf die Suche nach dem FBI Agenten machen. Wenn er den Schuss gehört hat, wird er sich schon bald auf den Weg hierher machen.“ Die Schauspielerin sah wieder zu Jodie. Sie stockte. Jodies Brustkorb bewegte sich. Ist sie gar nicht…?, ging es ihr durch den Kopf. Sofort verstärkte sie den Griff um ihre eigene Waffe und lief zu Jodie. Jodies Augen waren geöffnet und sie atmete schwer. Bitte…sie dürfen…ihn nicht…finden…, sprach sie zu sich selbst. Irgendwann hatten ihre Beine einfach nachgegeben und sie war auf dem Boden gelandet. Und jetzt hatte sie keine Kraft mehr um aufzustehen oder um zu kämpfen. Jodie wartete auf ihr Ende und wie sie Vermouth kannte, würde diese es in die Länge ziehen und genießen. Jodie keuchte leise auf, als sie einen Druck an ihrem Bein spürte. Sie wandte den Blick zu Vermouth. „Du bist ja noch tatsächlich am Leben…wer hätte das gedacht“, sagte die Schauspielerin ruhig und kniete sich hin. „Oh, tschuldige, hab ich dich etwa versehentlich getreten?“ Sie musterte die Verräterin. Jodie hatte eine Bauchwunde durch den Schusswechsel, mehrere Kratzer und Schrammen durch den Autounfall, aber es befand sich kein Blut auf der Stelle wo gezielt wurde. Sie hatte es tatsächlich überlebt. „Das….das…“, wisperte sie. „Das werde ich bereuen?“ Vermouth verdrehte die Augen. „Das haben schon so viele gesagt“, fügte sie hinzu. „Aber ich bin neugierig. Bist du den Schüssen ausgewichen oder hattest du keine Kraft mehr um zu stehen?“ Jodie hustete Blut. Die Schauspielerin sah auf den Wagen. „Verstehe…der Unfall ist nicht spurlos an dir vorbei gegangen. Wahrscheinlich hast du innere Blutungen und bist eh auf dem Weg dahin zu scheiden. Wie schade aber auch.“ Vermouth überlegte. „Das wird Calvados sicherlich nicht freuen. Du weißt doch wie Scharfschützen sind. Die geben sich immer so viel Mühe und wollen alles perfekt machen.“ „Fahr…fahr…zur…Hölle…“ „Danke, aber kein Interesse“, gab die Schauspielerin von sich. „Weißt du…ich bin gar nicht so böse, wie du jetzt denkst. Erinner dich doch mal zurück, ich war immer nett zu dir und wir waren so etwas wie Freundinnen.“ „Freundinnen“, wisperte sie. „Freundinnen…würden einander…das nicht antun…“, fügte sie hinzu. „Du hattest…Angst um dein Leben…und hast mich ausspioniert. Wenn wir…Freundinnen gewesen…wären, hättest du…mit mir darüber…gesprochen. Wir sind…keine Freundinnen…“ „Dann sind wir halte keine Freundinnen“, kam es theatralisch von ihr. „Spar dir deine Kräfte oder auch nicht. Ich hatte eigentlich alles anders geplant, aber dein FBI Agent musste mir ja in die Quere kommen.“ „Was…wolltest du…“, wisperte sie leise. „Was ich tun wollte?“ Vermouth schmunzelte. „Ach, ich kann es dir ja sagen, du überlebst die Nacht so oder so nicht“, fügte sie hinzu. „Und falls du mich zum Reden bringen willst, damit er aus dem Hinterhalt agieren kann, vergiss es. Eigentlich warte ich nur darauf, dass Calvados ihn erwischt und du seinen Tod mitbekommst. Daher erzählte ich dir jetzt, einfach die Wahrheit. Mein eigentlicher Plan sah vor, dass ich euch beide in eine von deinen Wohnungen bringe und zuerst dich und dann ihn umbringe. Es sollte so aussehen, als seist du hinter seine wahre Identität gekommen, weswegen du ihn überführen wolltest. Daraufhin hat er sich gewehrt und dich tödlich verwundet. Schließlich hast du mich mit deiner letzten Kraft kontaktiert, aber ich konnte das Schlimmste nicht mehr verhindern.“ Vermouth schluchzte gespielt. „Weil er auch mich erschießen wollte, habe ich ihn erschossen. Du siehst, du wärst als Heldin gestorben.“ „N…nein…“, sagte Jodie. „Wann…wann hast du…“ „Wann ich entschieden habe, dass ich dich töte?“ Sie überlegte. „Das ist ein paar Tage her.“ Sie erinnerte sich noch gut daran. Vermouth saß an ihrem Küchentisch und aß einen Keks. Sie legte ihre Kopfhörer vor sich hin und schrieb eine Notiz auf einen Zettel. Die Schauspielerin schmunzelte. „Jetzt bin ich gespannt was du als Nächstes tust, Jodie“, sagte sie ruhig und schloss die Augen. Sie dachte an die Vergangenheit. Minuten später leckte sich Vermouth über die Lippen, als ihr Telefon klingelte. Sie nahm das Gespräch entgegen. „Chris hier“, sprach sie. „Hast du Neuigkeiten für mich?“ Der Boss. „Alles wie immer“, entgegnete Vermouth. „Sie haben Jodie noch immer nicht gefunden“, log sie. „Sehr gut“, entgegnete der Boss ruhig. „Behalte sie trotzdem im Auge. Ich möchte kein Risiko eingehen. Mein Informant in den Staaten hat bestätigt, dass das FBI auch in diesem Jahr nach ihr gesucht hat. Dieser Black lässt einfach nicht locker.“ „Das dachte ich mir“, sagte Chris ruhig. „Durch die Pressekonferenz und meiner Ankündigung mit der Schauspielerei aufzuhören, habe ich sie überrascht. Ein paar Agenten stehen immer noch vor dem Haus, wo ich angeblich wohne“, fügte sie an. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe alles unter Kontrolle. Wenn sie Jodie hier finden, werde ich mich höchstpersönlich darum kümmern.“ „Ich möchte dieses Mal, dass du keine Fehler machst.“ Vermouth verdrehte die Augen. „Du weißt was ich meine“, gab er von sich. „Du hättest das Kind damals nicht mitnehmen dürfen. Sie ist ein Risikofaktor.“ „Und doch hat sie einige Aufträge für uns erledigt.“ „Sollte etwas schief gehen, bin ich bereit ihr Leben ohne mit der Wimper zu zucken, zu opfern.“ „Natürlich“, entgegnete Chris. „Wir sprechen uns ein anderes Mal.“ Er beendete das Gespräch. „Ich habe für meinen Plan sogar den Boss angelogen. Das FBI lässt regelmäßig nach dir suchen und selbstverständlich haben wir unsere Informanten in den Staaten. Du wurdest langsam zu einem größeren Risiko als zunächst gedacht. Und als ich hörte, dass Dai ein FBI Agent ist, war mir klar, dass die Anderen auch schon sehr bald hier einfallen würden. Ich konnte nicht zulassen, dass es eine solche Wendung gibt. Dai hatte Black bereits kontaktiert und ihm von dir erzählt. Damit war alles was wir uns in den letzten Jahren aufgebaut hatten, für die Katz gewesen. Du verstehst doch sicher, dass ich das nicht so einfach zu lassen konnte. Außerdem ist mir mein Leben noch lieb.“ „Er ist weg.“ Vermouth sah nach hinten zu Calvados. „Hast du auch alles gründlich durchsucht?“ „Selbstverständlich“, stammelte das Mitglied. „In Anbetracht an den Unfall und die Zeit, die er weg ist, habe ich den Suchradius berechnet. Entweder er verschanzt sich in einem der Lagerhäuser oder er ist tatsächlich abgehauen. Die quietschenden Reifen die ich gehört habe, passen zur Flucht. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass er noch in der Lage war zu fahren.“ „Ich verstehe. Dai hat Jodie ihrem Schicksal überlassen?“ Jodie lief eine Träne über die Wange. „Jetzt wein doch nicht. Du hast noch Glück und erkannt, dass es die Männer einfach nicht Wert sind. Sie lassen dich immer im Stich.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Nein? Und wo ist dein geliebter Dai jetzt?“, sagte die Schauspielerin. „Tja…dann lasse ich dich nicht länger leiden, meine Kleine.“ Jodie schluckte. Shuichi…hoffentlich…bist du entkommen…es tut mir so leid… Sie schloss ihre Augen und wartete. Vermouths Handy klingelte und unterbrach die Stille. „Ich glaube, das nennt man Pech. Weißt du wer das ist?“, wollte sie wissen. „Der Boss. Ich muss also ran gehen und gebe dir noch ein paar Minuten Zeit um weiterzuleben.“ Jodie hustete erneut Blut. Vermouth zog ihr Handy aus der Jackentasche und sah auf das Display. Sie hatte den Klingelton bereits vorab erkannt und verengte die Augen. Warum rief er ausgerechnet jetzt an? Hatte er irgendwas erfahren? Die Schauspielerin atmete tief durch. „Am besten du bist jetzt still“, sprach sie zu Jodie und nahm den Anruf entgegen. „Ja?“ „Wie es scheint, habe ich dir zu freie Hand gelassen“, begann er. Vermouth biss sich auf die Unterlippe. Woher wusste der Boss davon? Sie sah zu Calvados. Hatte er ihre Pläne verraten? „Ich versteh nicht ganz…“, begann sie. „Erzähl mir ganz genau was passiert ist.“ Kapitel 4: Gespräch mit dem Boss -------------------------------- Vermouth warf erneut einen Blick auf Jodie, anschließend auf Calvados. Er hielt sein Scharfschützengewehr in der rechten Hand und beobachtete kritisch die Umgebung. Einige Laternen erhellten den Bereich am Hafen, reichten aber nicht aus, um alles gänzlich zu überblicken. Solange die Schauspielerin nicht wusste, ob Calvados mit dem Boss oder mit anderen Mitgliedern der Organisation über ihre Pläne sprach, konnte sie sich keine Lügen leisten. Zumindest keine Großen. Hatte sie sich tatsächlich in Calvados geirrt? War er zum Verräter geworden und nur auf seinen eigenen Aufstieg erpicht? Dabei hatte sie doch im Gefühl, dass auch er sich an Dai rächen wollte. Dai war viel besser als die drei Scharfschützen der Organisation, sodass diese immer an dessen Fähigkeiten gemessen und dazu aufgefordert wurden immer härter zu trainieren. Die Freizeit der drei Anderen ging nahezu gegen Null, während Dai immer weitere Privilegien genoss. Außerdem hatte sie Calvados ein Date mit ihr versprochen. „Selbstverständlich“, begann die Schauspielerin ruhig, als wäre ein Gespräch mit dem Boss das leichteste auf der Welt. „Nachdem Dai Mitglied der Organisation wurde, hegte unsere kleine Jodie starke Zweifel an seiner Aufrichtigkeit.“ „In wie fern?“, unterbrach er sie. „Dai war für den Anfang viel zu gut in allem, was er tat. Wir haben seinen Lebenslauf mehrfach geprüft und uns Auskünfte der entsprechenden Stellen besorgt. Es passte zwar alles und war auch erklärbar, aber manche Gefühle lassen sich nicht abschalten. Daraufhin haben wir Dai während mehrerer Aufträge getestet. Wir wollten sehen, ob er sie tatsächlich alleine hinbekommt, oder ob jemand im Hintergrund die Strippen zieht. Selbst als die Polizei einschritt, zeigte er keine Gefühlsregung. Daher schlossen wir aus, dass es zwischen ihm und der Polizei oder zum Büro für Sicherheit der nationalen Polizeibehörde eine Verbindung gab.“ Die japanische Sicherheitsbehörde setzte sich aus zwei Behörden zusammen: das Büro für Sicherheit, eine Abteilung innerhalb der nationalen Polizeibehörde und das Büro für öffentliche Sicherheit des Polizeihauptquartiers von Tokyo. Die Wahrscheinlichkeit das beide Behörden von der Existenz der Organisation wussten, war groß. Die Polizei hatten sie einfach infiltrieren können, aber die Sicherheitsbehörden legten äußerst viel Wert auf Diskretion – sogar innerhalb ihrer eigenen Abteilungen. Verdeckte Ermittler auf beiden Seiten konnten eben nicht immer ausgeschlossen werden. „Natürlich habe ich ihr von der Möglichkeit, dass Dai zum FBI gehört nicht erzählt und meine eigenen Prüfungen an seinem Lebenslauf durchgeführt.“ Vermouth seufzte gespielt theatralisch. „Ich hätte nie für möglich gehalten, dass sie es tatsächlich schaffen würden uns einen verdeckten Ermittler unterzujubeln. Ich muss mich entschuldigen, Boss, ich habe Jodie einst in die Organisation gebracht und geschworen, dass das FBI sie nicht findet. Allerdings ist jetzt der Tag gekommen, an dem das unausweichliche passiert ist. Dai Moroboshi ist ein FBI Agent und hat ein paar Kollegen mitgebracht.“ Vermouth sah ein weiteres Mal auf Jodie. „Von der ganzen Verkettung haben wir nur zufällig erfahren. Nun ja, eigentlich hat Jodie es herausgefunden und es vor uns verschwiegen. Tja…was soll ich sagen…“, murmelte sie. „Jodie fiel auf ihn herein und glaubte seinen Worten. Ich habe leider erst davon erfahren, als es fast zu spät war. Es gab ein Treffen mit Black, welches ich erfolgreich sabotiert habe. Unglücklicherweise konnten sie fliehen.“ „Du hast sie entkommen lassen, Vermouth.“ „Nein, so war das nicht, Boss ich…“ „Widersprichst du mir etwa?“ Vermouth zischte leise. „Das muss ich an dieser Stelle, Boss. Auf ihrer Flucht gelang es mir Jodie zu verletzen. Wir haben sie mit dem Wagen bis zum Hafen verfolgen können. Den Wagen haben wir erfolgreich gestoppt. Es ist nicht spurlos an Jodie vorbei gegangen. Was Dai angeht…“ Sie sah zu Calvados. „Er ist entkommen. Ich habe sofort Calvados auf die Suche geschickt, aber er konnte ihn nicht finden. Aber weit kann Dai – sofern das sein richtiger Name ist – nicht gekommen sein.“ „Das FBI hat uns jetzt im Visier“, gab der Boss von sich. „Wenn sie bereits in Japan sind, können sie dir gefolgt sein und wissen jetzt, wo unser Lagerhaus steht.“ „Das kann sein“, antwortete die Schauspielerin. „Ich werde unverzüglich damit beginnen alle Spuren zu beseitigen. Wir fangen am Lagerhaus an und werden parallel den Unglückswagen wegschaffen. Spätestens wenn die Sonne auf geht, wird hier nichts mehr auf den Unfall hinweisen.“ „Ist das alles was du tun willst?“, fragte er. „Ich…nein, natürlich nicht“, fing sie an. „Ich nehme an, dass das FBI versuchen wird Dai so schnell wie möglich außer Landes zu schaffen. Das werde ich verhindern. Er muss auch verletzt sein. Wir werden sofort alle Krankenhäuser, Hotels, Bahnhöfe, alle Herbergen, Ärzte… absuchen und ihn finden.“ „Du darfst nicht zu lassen, dass er wohlbehalten aus der Organisation verschwinden kann. Wenn das passiert, werden die Anderen Fragen stellen. Und ich hoffe, du weißt, was dann passiert.“ Sie schluckte. „Ich werde die Schuld auf mich nehmen“, murmelte sie leise. „Natürlich wirst du das, Vermouth“, zischte der Boss. Er ist sauer, ging der Schauspielerin durch den Kopf. Das kann ja noch heiter werden. Und wer durfte alles ausbaden? Sie selbst. Und das nur weil sich Jodie unbedingt verlieben musste. Sie schnalzte mit der Zunge. „Was glaubst du eigentlich, was ich den ganzen Tag mache, Vermouth?“ „Sie arbeiten“, sagte sie leise. „Und überwachen das Geschehen.“ „Ganz genau. Ich überwache euch. Glaubst du tatsächlich, dass ihr die Einzigen wart, die Dai für einen Verräter hielten?“ Er schmunzelte. „Ein junger Mann mit so viel Talent ist kein Zufall. Er wurde auf unserem Weg positioniert, sodass wir nicht anders konnten als zuzuschlagen.“ „Sie hatten…“ Vermouth schluckte. Aber warum hatte er ihr nichts davon erzählte? Vertraute er ihr nicht mehr? Oder hatte er gewusst, dass sie insgeheim eigene Interessen vertrat? „Das war mir nicht bekannt.“ „Natürlich war es dir nicht bekannt. Ich habe meine Vermutungen nur sehr gezielt eingesetzt und wollte nicht, dass zu publik wird.“ Gezielt eingesetzt?, fragte sich die Schauspielerin. Hatte ihr Boss von Anfang an einen anderen Plan verfolgt? Hatte er sie absichtlich ins offene Messer laufen lassen? Hatte sie einen Fehler gemacht, weswegen er ihr nicht mehr vertraute? „Oh“, stieß sie unbewusst aus. Der Boss lächelte. „Ich habe schon länger den Verdacht, dass wir Ungeziefer in unseren Reihen haben“, erklärte er. „Aus diesem Grund habe ich alle möglichen Verdächtigen durch unsere Mitglieder mit den gleichen Informationen versorgt. Jeder hatte erfahren, dass es einen Maulwurf gibt und dass dieser noch unbekannt ist. Verstehst du jetzt, was mein Plan war?“ Vermouth schluckte. „J…ja…Sie wollten, dass sich die Mitglieder gegenseitig misstrauen, damit einer einen Fehler macht. Außerdem wollten Sie, dass sich die Verräter gegenseitig aufhalten und eliminieren.“ „Menschen suchen sich immer einen Sündenbock oder versuchen schnell in ihren Positionen aufzusteigen. Und wenn sie einen anderen Verräter enttarnen können, nur um selbst aufzusteigen, minimiert das dennoch ihre Anzahl. Irgendwann kriegt jeder das, was er verdient hat. Es ist wirklich schade, dass Dai entkommen ist.“ „Wir…wir werden uns schleunigst auf die Suche nach ihm machen.“ „Ach Vermouth…hast du dir mal selbst zugehört? Du hast mir heute Nacht so viel versprochen. Wann willst du das alles tun?“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Sie haben Recht. Ich kann nur eine Sache zur gleichen Zeit machen. Aber ich kann dafür sorgen, dass ich Unterstützung bekomme. Ich bin mir sicher, dass wir dann die Arbeit schnell erledigt haben.“ Vermouth sah zu Jodie. „Und was Jodie angeht…“ „Was hast du mit ihr vor?“, wollte der Boss wissen. Sie sah ihr in die Augen. „Zuerst wollte ich ja, dass sie zusieht, wie ihr Geliebter stirbt. Aber jetzt sieht mein Plan vor, sie sofort zu erschießen.“ „Mhm…“, gab der Boss nachdenklich von sich. „Ich habe da eine bessere Idee.“ Vermouth verengte die Augen. Eine bessere Idee als der Tod? „Was genau meinen Sie?“, fragte die Schauspielerin. „Hast du mal wieder in unseren Laboren vorbeigeschaut und dich nach dem aktuellen Stand der Forschungen erkundigt?“ Sie schluckte. Konnte das sein? Sollte die Organisation ein neues Mittel entwickelt haben? Und wenn ja, wollten sie es Jodie geben? Chris erinnerte sich nur zu gut an jenen Tag. Ihr Boss hatte die Organisation vor mehreren Jahren gegründet und eigentlich ganz noble Ziele gehabt. Aber dann… Er veränderte sich und warf alles über den Haufen. Dennoch tat sie alles um ihm zu gefallen. Sie, die blonde Frau in Schwarz. Ein Engel der Dunkelheit. Sie war sein Aushängeschild, sein Liebling und mit der Zeit konnte sie tun und lassen was sie wollte. Fast alles. Auf eine Familie und Kontakt zu Freunden musste sie verzichten. Stattdessen lebte sie in der Einsamkeit. Nach Jahren fühlte sie sich nicht mehr attraktiv und entgegnete den optischen Veränderungen mit Schminke. Sie gab sich selbst das jugendliche Gesicht wieder zurück. Aber im Inneren war sie bereits verrottet. Und dann hielt sie es nicht mehr aus. Ihr Leben war bereits zerstört, aber ihre Seele sollte nicht mehr der Organisation gehören. Es gab nur eine Möglichkeit um allen ein Ende zu machen. Heimlich schlich sie sich damals in eines der Laboratorien, flirtete mit einem der Forscher und durfte sich in Ruhe – und was am wichtigsten war: alleine – im Labor umsehen. Der Wissenschaftler machte in der Zwischenzeit seine Pause und würde abstreiten, sie je gesehen zu haben. Nur das ruhige Rotieren der Zentrifugen ertönte monoton. Sharon hatte nicht viel Zeit gehabt und ging sofort zu dem Trockenschrank. Er war noch heiß, aber das war kein Problem. Sie öffnete den Schrank und blickte hinein. Mit einer Zange – die immer rechts davon lag - zog sie das kleine Becherglas heraus und stellte es auf den Tisch. „APTX-RV“, las sie auf dem Becherglas. Es war die Rohversion des jetzigen APTX4869 und das letzte, was von Atsushi Miyanos Forschungen übrig geblieben war. Sie betrachtete die vielen Pillen und nahm eine beiseite. Den restlichen Inhalt kippte sie in den Ausguss und spülte mit viel Wasser nach. Anschließend nahm sie die letzte Pille selbst ein und brach unter der Hitze ihres Körpers zusammen. Leider blieb die Wirkung von APTX-RV aus – ein todbringendes Gift, das immer noch im menschlichen Körper nachweisbar war und noch zwei mögliche Ausgänge mit sich brachte: Man starb oder man überlebte. Als Vermouth wieder zu sich kam, lag sie in einem Bett und sah in die Gesichter mehrere Ärzte. Ihr Boss stand daneben und lächelte glücklich. Vermouth konnte nicht fassen, dass sie zu den wenigen zählte, die überlebten. Aber sie wurde schon bald eines besseren belehrt. Anstatt nur zu überleben, hatte sie ihre jugendliche Schönheit zurück erlangt und musste mehrere Tests über sich ergehen lassen. Ihr Blut diente schließlich zur Erschaffung des neuen APTX-4869. Offiziell sollte diese Pille töten und im Organismus nicht nachweisbar sein. „Ich war lange nicht mehr dort“, antwortete Vermouth gefasst. „Das ist sehr schade, meine Liebe“, gab der Boss von sich. „Wir haben in den letzten Jahren ein paar Fortschritte gemacht. Sherry wurde deswegen auch versetzt und kann sich wieder den wichtigen Arbeiten widmen“, erzählte er. „Sie wollen, dass Jodie als Versuchskaninchen fungiert.“ „Vorher musst du sie aber zu einem Arzt bringen und ihre Wunden versorgen. Schwer verletzt, könnte die neue Pille nicht wirken oder sie umbringen.“ „APTX…“, fing die Schauspielerin an. „Ich bitte dich, Vermouth. Wenn wir sie töten wollen, würden wir das hier und jetzt machen. Dann könnten wir sie gleich als Präsent dem FBI schicken. Unser neues Produkt trägt den Namen Myosotis – Vergissmeinnicht. Ich weiß, der Name ist noch unausgereift, aber wichtig ist das, was die Pille bewirkt. Kannst du dir das schon denken?“ „Vergessen“, murmelte Vermouth. „Schlaues Mädchen. Wir möchten mit der Pille gezielt auf das Erinnerungsvermögen eines Menschen einwirken und bestimmte Ereignisse auslöschen.“ „Das heißt…“ Vermouth sah zu Jodie. „Ich verstehe.“ „Wenn der Test klappt, löschen wir ihre Erinnerungen und können mit ihrer Hilfe Dai anlocken. Wenn er kommt um sie zu retten, statuieren wir ein Exempel an ihm. Und wenn es nicht klappt, bringst du sie um. Hast du das verstanden?“ „Verstanden.“ „Ich zähl auf dich, Vermouth. Mach keinen weiteren Fehler.“ „Natürlich nicht. Sie können sich auf mich verlassen“, antwortete sie und beendete das Gespräch. Vermouth sah zu Jodie. „Sorry, Darling, kleine Planänderung. Ich werde dich hier und jetzt noch nicht töten.“ Jodie weitete die Augen. „Was…was habt…“ Sie hustete. „Hast du versucht uns zu belauschen? Das bringt dir aber leider gar nichts.“ Sie kniete sich zu ihr. „Ich sag dir, was wir jetzt mit dir machen werden. Der Boss will, dass deine Wunden versorgt werden. Und wenn das passiert ist, wirst du wieder schön brav für uns arbeiten.“ „Nie…niemals…“, wisperte Jodie leise. Vermouth drückte mit der Hand gegen ihren Bauch. „Ahh…“, stieß Jodie aus. „Upps“, antwortete die Schauspielerin und sah zu Calvados. „Ich halt die Augen auf, falls sich Dai doch noch in der Nähe befindet. Nimm du Jodie und bring sie in den Wagen. Ich werde sie zu einem Arzt fahren und du räumst das Chaos hier auf.“ „Verstanden“, stammelte Calvados. Kapitel 5: Ein Jahr später -------------------------- Leicht gelangweilt blickte Shuichi Akai aus einem der Fenster seines Büros. Die Büroräume waren einfach gehalten – zwei große Schreibtische, passende Stühle und für jeden Agenten ein Laptop sowie zwei Gästestühle für notwendige Befragungen. Meistens war das Büro durch ein Agententeam besetzt. Selten agierten sie alleine oder blieben für sich. Mit seinem neuen Partner kam Akai relativ gut zurecht. Er war ebenfalls schweigsam und verrichtete seine Arbeit ordnungsgemäß. Wenn er mal später kam oder sich doch etwas Unvorhergesehenes ergab, meldete er sich über das Handy. Wenn es sein musste, arbeiteten sie zusammen, aber Shuichi blieb lieber für sich alleine. Alleine. Shuichi hatte sich wieder an die Einsamkeit gewöhnt. Sein gesamter Alltag war auf Gleichgültigkeit aufgebaut und jeder Tag hielt das gleiche für ihn bereit. Er stand morgens auf, fuhr zur Arbeit, arbeitete, fuhr wieder nach Hause und legte sich irgendwann schlafen. Am Samstag tätigte er seinen Wocheneinkauf und fuhr danach ins Büro. Selbst an den Sonntagen lenkte er sich mit Arbeit ab. Viele würden sagen, dass er kein Leben mehr hatte, aber für ihn war es das Richtige. Der FBI Agent hasste Nachmittag wie diese. Tage, an denen er fast nichts zu tun hatte, sodass sich seine Gedanken selbstständig machen konnten. Er hatte bereits alles getan, was er konnte: Akten bearbeitet, Berichte geschrieben, Berichte korrigiert oder vom Schreibtisch aus recherchiert. Handlungen die er eigentlich nicht mochte, die aber notwendig waren. Doch jetzt wo mit allem fertig war, bekam wieder das drückende Gefühl in der Brust. Nicht einmal die Organisation ließ sich blicken. Shuichi verengte die Augen. Die Organisation. Sie waren skrupellose Monster, die jeden benutzten den sie in die Finger bekamen. Er erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen. Er, dem die ganze Welt offen zu stehen schien. Eigentlich hatte es seinen Anfang wegen seinem Vater genommen… Vor etwa 17 Jahren wurde dieser in einen Mordfall verwickelt und danach nie wieder gesehen. Lediglich seine Mutter erhielt eine Abschiedsnachricht und die Bitte ins Ausland zu fliehen. Kurz darauf hatte die Familie England verlassen und sich in Japan ein neues Leben aufgebaut. Aber Japan konnte ihn nicht lange halten und schon bald begann er sein Studium in den Staaten. Aber insgeheim hatte er schon immer den Plan verfolgt beim FBI aufgenommen zu werden und das Verschwinden seines Vaters aufzuklären. Egal wie – selbst wenn es mit dem Fund seiner Leiche enden würde. Selbst den Kontakt zu seiner Familie hatte er fast gänzlich abgebrochen. Das letzte Mal hatte er sie vor einigen Jahren bei einem gemeinsamen Urlaub in Japan getroffen: Seinen kleinen Bruder Shukichi, der noch immer zu ihm aufsah und seine kleine Schwester Masumi – das Mädchen, das er erst dort kennen lernte und das ihn die ganze Zeit über nur zum Lächeln bringen wollte. Und dann war da noch seine Mutter Mary. Sie war von seinen Plänen alles andere als begeistert und hatte mit schlagfertigen Argumenten gekontert. Sie hätte ihn lieber zu Hause bei der Familie gesehen – als eine Art Ersatzvater für ihre anderen beiden Kinder. Aber alles was sie sagte, hatte nichts gebracht. Wäre er ihrem Wunsch gefolgt, hätte dies sein Unglück bedeutet – zumindest damals. Dennoch ließ er sie auch nach all der Zeit nicht aus den Augen. Seine Mutter und seine Schwester lebten wieder in England. Sein Bruder Shukichi hingegen war in Japan geblieben und wurde Shogi-Spieler. Und seine anderen Verwandten? Das letzte Mal, dass er von Akemi und Shiho hörte, war lange her. Shiho hatte er selbst nie kennen gelernt, aber er wusste, dass sie eine große Rolle für die Organisation spielte. Sie war Wissenschaftlerin und bekam aufgrund eines Durchbruches mehr Forschungsgelder und ihr Arbeitsstandort wurde nach Aomori verlegt. Akemi hatte damals nicht lange gezögert und war mit ihrer jüngeren Schwester mitgegangen. Seitdem er die Organisation fluchtartig hatte verlassen müssen, hatte er nichts mehr von den Beiden gehört. Und das war auch gut so. Niemand sollte auf die Idee kommen, dass die Schwestern wissentlich etwas mit seinem Einstieg in der Organisation zu tun hatten. Sein Leben hatte mit seinem ersten großen Auftrag eine ordentliche Wendung bekommen. Die Männer in Schwarz wie sie die Operation damals noch nannten. Aber schon bald wurde ihm bewusst, dass er gegen eine große Organisation ermittelte – im Ausland. Unglücklicherweise verstieß das FBI damit gegen das Gesetz, denn sie durften nur im Inland agieren. Aus diesem Grund wurde die Operation auch geheim gehalten. Akai bekam nur eine Woche um sich auf seinen neuen Auftrag vorzubereiten und lernte die Hintergründe zu seiner neuen Identität – Dai Moroboshi kennen. Mit Dai hatte der Agent einige Gemeinsamkeit. Sie hatten beinahe die gleichen Vorlieben und Abneigungen. Dai war wie er 28 Jahre alt, ein guter Schütze und trank gerne Bourbon. Aber die Unterschiede waren gravierender. Dai besaß keine Geschwister und auch keine intakten Familienverhältnisse. Er war Einzelkind – soweit er wusste und im Kinderheim aufgewachsen. Über seine leiblichen Eltern war nichts bekannt. Er hatte sich aber auch nie für diese interessiert. Zudem besaß Dai nur die japanische Staatsangehörigkeit, war aber schon mehrfach im Ausland gewesen. Dai hatte nur eine normale Schulbildung genossen – kein Studium, keine Weiterbildungen. Sein weiteres Wissen hatte er sich angelesen. Zudem hatte Dai seit er 16 Jahre alt war verschiedene Nebenjobs durchgeführt - vom Tellerwäscher bis zum Maler und noch vieles mehr. An Erfahrung mangelte es ihm somit nicht. Zudem war Dai kein Kind von Traurigkeit. Dispute regelte er gern mit seinen Fäusten. Wurde jemand auf ihn aufmerksam, verschwand er oder ließ das Opfer als Sündenbock dastehen. Später wurde Dai Moroboshi von den Selbstverteidigungsstreitkräften angeworben. Diese stellten die japanischen Streitkräfte dar, die nach Ende des zweiten Weltkrieges und nach der Besatzungszeit aufgebaut wurden. Gemäß Artikel 9 des Verfassungsgesetzes war es Japan untersagt eine Armee zu unterhalten, da diese auf Krieg als ein Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten verzichten müssen. Allerdings durften die Japaner bewaffnete Streitkräfte zur Selbstverteidigung ihres Landes rekrutieren. Dai war mehrere Jahre für die Streitkräfte tätig, ehe er sich für den Ausstieg entschied. Es war seine eigene Entscheidung und offiziell war ihm die defensive Haltung der Streitkräfte ein Dorn im Auge. Seit diesem Zeitpunkt hielt sich Dai mal hier, mal da auf. Er blieb nie lange an einem Ort und wenn es ihm langweilig wurde, verschwand er. Sein Lebenslauf war löchrig und mit weiteren Nebenjobs gespickt. Vorwiegend hielt er sich auf dem Schießübungsplatz auf und arbeitete an seiner Treffsicherheit. Es dauerte nicht lange bis er auf Akemi traf und einen Weg in die Organisation fand. Und dann wurde ihm Jodie vorgestellt. Mit ihr absolvierte er einige Aufträge um sich das Vertrauen der Organisation zu sichern. Gerade als aus ihm und Jodie langsam mehr wurde, fand sie seine wahre Identität heraus. Anstatt ihn umzubringen, hatte sie seiner Geschichte gelauscht und wollte sich mit seinem Boss treffen. Dass sie die Tochter eines FBI Agenten war und vor Jahren entführt wurde – trug ebenfalls dazu bei. Leider hatte auch Vermouth die Wahrheit erfahren und ihnen eine Falle gestellt. Jodie hatte das Treffen nicht überlebt und niemand wusste, was aus ihrer Leiche geworden war. Shuichi seufzte leise auf. Allein die Erinnerung an jenen Abend machte ihn unglaublich wütend. Er hatte auf ganzer Linie versagt und konnte nur noch die Flucht antreten. Dennoch musste er gute Miene zum bösen Spiel machen. Vor dem FBI tat er so, als würde es ihm gut gehen und als hätte er den Kampf gegen die Organisation aufgegeben. Nach seiner Rückkehr in die Staaten hatte das FBI alle Akten zur Organisation geschlossen und den Auftrag von der Agenda gestrichen. Black versuchte zwar immer wieder den alten Fall erneut aufzurollen, stieß dabei aber immer auf taube Ohren. Für Shuichi war es nicht einfach gewesen, seine Ermittlungen im Geheimen fortzuführen. Nur Agent Camel – der aufgrund der Ereignisse ein schlechtes Gewissen hatte – unterstützte ihn dabei. Auch wenn er jeden Tag das gleiche Pensum hatte, war sein Leben nicht mehr ruhig. Seit sein Einsatz bei der Organisation aufflog war er dort die Persona non grata – unerwünscht und lästig. Er wurde zur offenen Jagd ausgeschrieben und musste oftmals um sein Leben kämpfen. Aber wer auch geschickt wurde, hatte nichts auf dem Kasten. Er hatte sie alle in die Enge getrieben und immer wenn er dachte, dass es vorbei war, erschossen sie sich. Wieder gab es niemanden, der gegen die Organisation aussagen konnte. Wieder war alles umsonst gewesen. Die Organisation und ihre Mitglieder hielten sich versteckt im Schatten auf. Sie waren nicht mehr nur in Japan tätig, auch in den Staaten konnten sie mittlerweile einige Mitglieder verzeichnen. Und es waren jene, die auf ihre Chance nur so lauerten. An Orten an denen man sie nicht vermutete, schlugen sie zu – aber eines blieb immer gleich: Die Dunkelheit. Bisher hatte ihn nichts außer Gefecht setzen können. Er war immer noch am Leben, aber das Glücksgefühl war nur von kurzer Dauer. Akai hob den Kugelschreiber auf und ließ ihn in seiner linken Hand rotieren. Langsam wurde es dunkel und Zeit bald aufzubrechen. Heute würde er nicht direkt nach Hause fahren, sondern sein Schießtraining fortführen und seine Fertigkeiten verbessern. Als es an der Tür klopfte, blickte Akai dorthin. „Herein.“ Agent Black betrat den Raum und sah sich um. „Agent Akai“, fing er ruhig an. Shuichi legte den Kugelschreiber wieder hin. „Gibt es Neuigkeiten wegen dem Antrag?“, wollte er wissen. Black seufzte leise auf. „Leider ja und es sind leider keine guten Nachrichten“, sagte er. „Es tut mir leid, aber sie haben die Wiederaufnahme erneut abgelehnt.“ Shuichi ballte die Faust. „Wir können Widerspruch einlegen und es in einem Monat erneut versuchen. Wenn wir mehr Fakten auf den Tisch legen können, können wir den Fall wieder aufrollen. Allerdings…müssen wir Beide bis dahin die Füße still halten.“ Akai biss sich auf die Unterlippe. „Sie wollen neue Fakten, wenn wir nichts tun dürfen?“ Er schnaubte verächtlich. „Also sammeln Sie weiterhin nur die Anzahl der Anschläge auf mich.“ Black nickte. „Ich weiß, mir gefällt es auch nicht. Wie lange ist der letzte Anschlag auf Sie her? Eine Woche?“ „9 Tage“, antwortete Shuichi ruhig. „Also werden sie es in einigen Tagen wieder versuchen. Vielleicht lauern Sie mir auch schon heute Abend auf.“ „Sie nehmen das ganze viel zu locker“, murmelte James. Shuichi schmunzelte. „Je mehr ich von ihnen erledigen kann, umso weniger Mitglieder hat die Organisation. Irgendwann schaffe ich es noch, dass sie sich nicht selbst umbringen und einen Deal mit uns eingehen.“ Shuichi verschränkte die Arme vor der Brust. „Wahrscheinlich machen sie das, um bei der Befragung nicht wie die Vögelchen zu singen.“ „Das ist möglich. Dennoch sollten Sie die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Kaum dass wir zurück in den Staaten waren, hat es die Organisation auf Sie abgesehen.“ „Jaja…ich kenn die Leier. Ich soll vorsichtig sein, weil sie mich sonst erwischen könnten“, gab der Agent von sich und fuhr den Computer runter. „Aber wissen Sie was? Das ist mir egal. Sollen sie doch nur kommen.“ „Agent Akai.“ Black atmete tief durch. „Wenn Sie nur gekommen sind um mich zu belehren, können Sie gleich wieder gehen. Ich weiß, was ich tue und was ich mir zumuten kann.“ Black beobachtete ihn. „Manchmal vergeht die Zeit in Windeseile und wir werden gezwungen erwachsen zu werden. Manchmal landen wir auch im Hass oder geben uns auf. Aber eines bleibt gleich: Heute denken wir, dass wir alles schaffen können, aber morgen…morgen kann alles anders aussehen. Und egal was wir auch tun, die Zeit bleibt nicht stehen“, sprach der Ältere. „Der Tag jährt sich bald. Es wird der Erste von vielen sein.“ Akai verengte die Augen. In einer Woche würde Jodies Todestag sein. Und er konnte nicht einmal ein Grab besuchen. „Das müssen Sie mir nicht sagen.“ Shuichi stand auf. „Akai“, Black brach ab. Auch ihn schmerzte die Erinnerung an damals. Das FBI hatte nichts tun können. Sie waren zu spät gekommen und auf einen Trick von Vermouth reingefallen. Jetzt waren nicht nur sein damaliger Partner und dessen Frau tot, auch für ihre Tochter kam jede Hilfe zu spät. Die Organisation hatte nur zu gut aufgeräumt und keine Spuren hinterlassen. Was auch immer sie mit Jodie gemacht hatten, sie konnte es nicht überlebt haben. Shuichi kam ihm entgegen. „Bitte sorgen Sie dafür, dass ich wieder in dem Fall ermitteln kann. Es gibt nicht vieles, was ich noch für Jodie tun kann, aber…“ Er öffnete die Tür. „…ich muss die Organisation zu Fall bringen. Sie dürfen keine weiteren Leben nehmen und davon kommen.“ Er ging nach draußen. Kapitel 6: neuer Auftrag ------------------------ Vermouth hatte die Arme vor der Brust verschränkt und war stillschweigend 13 Etagen mit dem Aufzug nach oben gefahren. Mit dem rechten Zeigefinger tippte sie ungeduldig auf ihrem linken Oberarm herum. Niemand hätte für möglich gehalten, dass ausgerechnet dieses Gebäude der Organisation gehörte und noch weniger, das sich der Boss mehr als zehn Stunden täglich darin aufhielt. Als sich die Aufzugstür endlich öffnete, schien alles wie immer zu sein. Sie beobachtete jede mögliche Bewegung und schritt langsam aus dem Aufzug. Ein ungutes Gefühl beschlich die Schauspielerin, während sie auf die Bürotür am Ende des Ganges zuging. Aber was hätte sie sonst machen sollen? Flucht? Das war keine Option. Vor vielen Jahren hatte sie es das erste Mal versucht und vor einem Jahr ebenfalls. Doch sie würde der Organisation nie entkommen. Das hatte sie auf bittere Art und Weise gelernt. Mehrmals. Obwohl sie eines der Mitglieder der Organisation war, die die wahre Identität des Bosses kannte, ließ er sich nie in seine Karten schauen und war stets auf Diskretion bedacht. Er war ein furchteinflößender Mann - vor allem wenn er sein dunkles Anliegen mit einem zuckersüßen Lächeln rüber brachte. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er auch so mit seinen anderen Mitarbeitern umging, die nicht zur Organisation gehörten. Aber sie hatte sich nie wirklich dafür interessiert. Warum auch? Diese Menschen waren nicht wie sie – sie hatten Familien und noch ein Leben außerhalb. Doch was viel wichtiger war, war die Tatsache, dass der Boss jeden ihrer Schachzüge vorhersehen konnte und sich entsprechend positionierte. Er hatte genügend Spione in seinen Reihen – sogar jene, die sie selbst noch nicht kannte. Und immer noch hatte sie nicht herausgefunden, wer ihren Boss vor einem Jahr über ihre Handlungen am Hafen informierte. Calvados schien tatsächlich unschuldig gewesen zu sein. Das hatte sie vor und nach seiner Bestrafung aus ihm herausgequetscht. Und auch wenn sie versuchte die Schuld jemand Anderem zuzuschieben, wusste der Boss genau was Sache war. Als Vermouth vor der großen Tür stand, seufzte sie leise auf. Es hatte nie etwas Gutes zu bedeuten, wenn sie bei ihm antanzen musste. Doch einen anderen Weg gab es nicht. Vermouth klopfte an die Tür. „Herein.“ Sie hörte die gedämpfte Stimme und öffnete die Tür. Bis auf ihren Boss war keiner im Büro. „Da bin ich, Boss“, sagte sie untergeben. „Setz dich, Vermouth.“ Sie nickte und trat an den Schreibtisch. Direkt davor befanden sich zwei Stühle und sie nahm auf einem Platz. „Wie kann ich behilflich sein?“ Der Boss schnalzte mit der Zunge. „Wie hat sich Jodie seit unserem…nennen wir es kleinem Experiment entwickelt?“, wollte er wissen. Vermouth verengte die Augen. Er kannte doch ganz genau ihren Werdegang. War das wieder ein Test? „Ganz gut“, fing Vermouth an. „Es dauerte am Anfang bis die Pillen eine Wirkung zeigten, aber als wir endlich die richtige Medikation fanden, war der Rest nur ein Kinderspiel.“ Sie schmunzelte gespielt. „Wir haben sie mehreren Tests unterzogen und das Ergebnis ist eindeutig: Ihr fehlt jegliche Erinnerung.“ „Mhm…“, gab der Boss von sich. „Mit dem Mittel hatten wir bezweckt bestimmte Ereignisse aus den Köpfen der Menschen zu löschen, allerdings ist ein kompletter Erinnerungsverlust auch nicht gerade vom Nachteil.“ Vermouth nickte verstehend. „Dennoch ist der Zustand nicht von Dauer. Wenn sie länger als 24 Stunden keine weitere Pille genommen hat, lässt die Wirkung langsam nach. Aber das haben wir in den Griff bekommen. Ich hab ihr einfach erzählt, dass sie die einzige Überlebende des Anschlags auf ihre Familie ist und eine ziemlich starke Kopfverletzung davon getragen hat.“ Die Schauspielerin kicherte. „Daher verwundert es sie nicht, dass sie einmal täglich das Schmerzmittelchen nehmen muss. Und falls sie es doch mal vergisst, ist einer unserer Leute immer in ihrer Nähe. Was mir nur Sorgen macht, ist die Dauer der Abstände. Noch sind wir bei etwas mehr als 24 Stunden. Laut unseren Ärzten könnte irgendwann ein Gewöhnungseffekt auftreten, sodass sie die Pille pro Tag häufiger nehmen muss. Aber es besteht auch die Gefahr, dass die Pille irgendwann gar nicht mehr wirkt.“ „Das habe ich einkalkuliert“, entgegnete der Boss. „Was ist mit dem FBI?“ „Hat sich seitdem nicht mehr blicken lassen. Ich nehme an, sie halten sie für tot. Und das sollen sie ruhig auch.“ Sie lächelte. „Die Feiglinge haben sich wenige Tage nach den Ereignissen am Hafen in die Staaten zurück gezogen. Ich glaube nicht, dass sie so schnell zurück nach Japan kommen.“ „Selbst wenn das nicht ihr Plan ist, sie sind uns wieder auf die Spur gekommen“, begann er ruhig. „Dieses Mal näher als beim letzten Mal. Mein Gefühl sagt mir, dass sie es nicht auf sich beruhen lassen werden. Und der FBI Agent ist immer noch am Leben.“ Vermouth nickte. „Dieser Akai macht uns mehr Schwierigkeiten als gedacht. Da wir in den Staaten nicht einfach so zuschlagen können, sind alle Anschläge in die Hose gegangen.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ich bin mir sicher, dass sie auch nach einem Jahr mitbekommen, wenn ich wieder ins Land einreisen will und dann erst Recht auf der Hut sein werden. Also kommt es nicht infrage, dass ich mich um ihn kümmer. Ich könnte zwar mit einer Verkleidung einreisen, aber…“ „Aber das führt auch nicht zum Ziel“, fügte der Boss an. „Die Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen sind mittlerweile ziemlich verstärkt worden. Außerdem brauchen wir dich hier.“ Sie nickte ein weiteres Mal. „Dann müssen wir schauen, wie wir ihn unter die Erde bringen.“ Er lächelte verwegen. „Boss?“ „Wir wissen zwar noch nicht wann die Wirkung der Pille nachlässt und auch nicht, ob es überhaupt passiert, aber sie sollte vorher noch einen letzten Test bestehen.“ „Ein letzter Test…“, wiederholte die Schauspielerin. Sie weitete die Augen. „Sie soll…?“ „Wir schicken sie in die Staaten. Sie soll Akai erledigen.“ Er beobachtete Vermouth. „Oder passt dir das nicht?“ „Mhm? Doch, das ist kein Problem. Ich verstehe nur nicht, warum sie ausgerechnet jetzt dorthin soll.“ „Findest du nicht auch, dass es wichtig ist, herauszufinden, ob die Pille auch noch dann wirkt, wenn man einer Person aus der Vergangenheit mit enormem Einfluss auf einen selbst gegenüber steht? Sie mag hier zwar bereits auf dich getroffen sein, aber da du sie von Anfang an manipuliert hast, können wir nicht mit Sicherheit sagen wie es sich bei jemand Anderem verhält.“ Vermouth verschränkte die Arme. „Sie könnte uns wieder verraten“, warf die Schauspielerin ein. Der Boss lächelte selbstsicher. „Das ist kein Problem. Wenn sie es wieder tun will, erledigen wir sie und Akai. Und dieses Mal wird nichts schief gehen.“ Der Boss sah sie an. „Zur Sicherheit wird Bourbon sie nach New York begleiten.“ „Bourbon? Aber warum ausgerechnet er?“ „Obwohl er Japaner ist, spricht sein Aussehen eine ganz andere Sprache. Seine Anwesenheit wird keiner in den Staaten infrage stellen. Außerdem ist mir zu Ohren gekommen, dass er sich für uns nützlich machen will. Ist das ein Problem für dich, Vermouth?“ Sie schluckte. „Nein“, log sie. Ohne die Kontrolle von Jodie würde es schwer für sie werden. Jodie kannte Details, die die Geschichte vor einem Jahr in einem anderen Licht spiegelte und würde sie Bourbon die Wahrheit erzählen, gebe es nur eine Flucht: den Tod. „Und was soll mein Part in der Geschichte werden? Ich nehme an, dass ich nicht nur zum Plaudern herkommen sollte.“ „Du wirst Jodie vorbereiten“, fing er an. „Sie darf ruhig wissen wohin es geht und was ihr Auftrag ist. Sag ihr ruhig, dass er derjenige ist, der ihre Familie auf dem Gewissen hat. In zwei Tagen geht der Flur. Bourbon wurde bereits in Kenntnis gesetzt.“ Bourbon lehnte sich gegen die Mauer und verschränkte die Arme vor der Brust. Er schloss die Augen und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Es war nun knapp zwei Jahre her, dass er und sein bester Freund Scotch die verdeckten Ermittlungen gegen die Organisation aufnahmen. Sie kannten sich bereits aus ihrer Jugendzeit und waren gemeinsam den harten Weg auf der Karriereleiter bei der Polizei gegangen. Danach wurden sie zwar in verschiedenen Abteilungen der japanischen Sicherheitspolizei tätig, aber den Kontakt brachen sie nie ab. Schließlich trafen sie sich bei ihrem verdeckten Einsatz wieder. Die Situation war beinahe komisch, würde nicht eine enorme Wichtigkeit von ihr ausgehen. Der Auftrag war eindeutig: Die Organisation musste fallen, egal wie. Die Sicherheitspolizei stellte ihnen Immunität auf ihrem harten Weg in der Organisation sicher. Egal was sie taten oder tun würden, es war zum Wohle der Menschheit. Für jede noch so kleine Information hatten sie freie Handhabe in der Wahl ihrer Mittel. Es war alles erlaubt. Sie durften selbst ihre Menschlichkeit abschalten. Als schließlich die Gerüchte um einen Verräter in den eigenen Reihen auftauchten, waren sie in der Bredouille und überlegten, wer wen verraten würde. Beide hätten sich für den jeweils anderen und den gemeinsamen Auftrag geopfert. Aber es gab noch eine dritte Möglichkeit: Ein Sündenbock musste her. Ihnen war schnell klar, wer am besten dafür geeignet war: Dai Moroboshi. Er war neu in der Organisation und machte sich durch sein Handeln und seine Auffassungsgabe schnell einen Namen. Er würde die logischste Schlussfolgerung sein und nachdem sie ein einziges Mal mit ihm zusammenarbeiten konnten, ahnte sie die Wahrheit. Aber egal wie tief sie Gruben, sie stießen an ihre Grenze. Dennoch mussten sie ihn zur Strecke bringen und ihre eigene Haut retten. Doch dann lief alles aus dem Ruder. Bourbon öffnete die Augen und nieste. „Gesundheit.“ Er sah zu Scotch. „Da scheint wohl gerade jemand an dich zu denken.“ „Mhm…kann sein“, murmelte der Andere. „Du bist spät dran.“ „Ich weiß…tschuldige.“ Scotch kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ich war am Bahnhof und da war ein alter Mann, der mit seiner Musik etwas Geld verdienen wollte. Da hab ich mich mitreißen lassen.“ „Du bist und bleibst ein Gutmensch“, murmelte Bourbon. „Ich hab einen neuen Auftrag.“ „Ach ja?“, wollte Scotch wissen. „Ist er interessant? Soll ich dich wieder unterstützen?“ „Das wird dieses Mal nicht so einfach werden“, begann Bourbon. „Dieses Mal kannst du nichts machen. Vielleicht auch besser so, sonst kommst du wieder auf die Idee die Amerikanerin zu retten.“ Scotch runzelte die Stirn. „Bist du deswegen immer noch sauer?“ „Das weißt du genau“, gab Bourbon von sich. „Du warst unvorsichtig und hast die Information über Vermouth und Jodie geschickt an den Boss heran gespielt. Vermouth hat noch Wochen später nach dem Informanten gesucht. Sie hätten dich ganz schnell enttarnen können.“ „Tut mir leid…“, murmelte Scotch. „Aber als ich ihren Plan mitbekam, konnte ich nicht einfach tatenlos zusehen. Ich wollte eigentlich, dass wir diesen Akai auf seiner Flucht schnappen und dem Boss ausliefern. Aber irgendwie…ist es irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Dort wo ich ihn erwartet habe, ist er nicht aufgetaucht. Und später bekamen wir die Information, dass er wieder in den Staaten ist.“ Amuro seufzte leise auf. „Ich weiß, dein Plan war auch nicht schlecht, aber du hast zu viele Faktoren unbedacht gelassen.“ „Jaja, ich weiß…aber hör auf mit der Belehrung und sag mir lieber, was das für ein Auftrag ist.“ „Die Pille die sie Jodie immer geben und mit der sie hoffen, ihre Anhängerschaft zu vergrößern, soll nun final in den Staaten getestet werden. Sie wird dorthin geschickt um Akai zu töten.“ Scotch schluckte. „Sie soll…Wenn der Boss diesen Weg geht, dann verheißt das nichts Gutes.“ Bourbon nickte. „Es besteht dennoch die Sorge, dass das Mittel nicht mehr wirkt und sie ihn warnt. Deswegen soll ich auf sie aufpassen und im Zweifel alle Beide aus dem Weg räumen.“ „Und…wirst du das tun?“ „Befehl ist Befehl“, antwortete Bourbon. „Es hilft mir weiter aufzusteigen und in der Gunst des Bosses zu stehen.“ „Aber warum schicken sie ausgerechnet dich? Akai ist gefährlich.“ „Ich weiß“, gab Bourbon von sich. „Ich glaube nicht, dass es an meinem Können liegt. Es ist vielmehr mein Äußeres.“ Er ballte die Faust. Auch nach Jahren der Loyalität gegenüber Japan, wurde er immer noch als Ausländer betitelt und hatte es dementsprechend schwer. „Aber das ist mir jetzt egal. Sie können Vermouth nicht schicken, weil es zu auffällig wäre.“ „Mhm…das versteh ich“, entgegnete Scotch ruhig. „Ich weiß noch nicht, wie lange ich weg bin. Pass in meiner Abwesenheit auf dich auf. Ich weiß nicht, was Vermouth als nächstes im Schilde führt, aber wenn du glaubst, dass es sich gegen dich richtet…tauch ab. Du setzt dann unverzüglich unseren Notfallplan um. Hast du verstanden?“ Scotch schluckte. „J…a…“ Kapitel 7: Zeitreise -------------------- Stillschweigend blickte Shuichi auf die Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag. Einst hatte er sie aus dem Archiv geholt, stillheimlich kopiert und die Auszüge in seinem Schrank verwahrt. Nachdem er zurück in die Staaten kam, hatte er die Seiten immer und immer wieder studiert – solange, bis er alle Sätze auswendig kannte. Und trotzdem gab es etwas in ihm, das jedes Mal auf einen anderen Ausgang hoffte. Aber dem war nicht so. Die Geschichte endete immer gleich: Agent Starling und seine Frau wurden in ihrem Haus ermordet, ihre Tochter Jodie verschwand und alle Erinnerung, alle Hinweise auf die Organisation wurden im Feuer verbrannt. Nichts erinnerte mehr an das glückliche Leben der Familie. Akai ballte die Faust. Die Organisation nahm ein Leben und spielte damit. Sie hatten Jodie zu ihren eigenen Zwecken missbraucht und sie zu einer der ihren gemacht. Dennoch hatten sie das Mädchen von damals nicht gänzlich gebrochen. Sie hegte immer noch Hoffnung auf ein normales, einfaches Leben. Daran hatte sie bis zum bitteren Ende geglaubt. Hätte das FBI nur damals…und hätte Agent Starling seine Informationen mit den anderen geteilt…vielleicht wäre alles anders ausgegangen und sie hätten sofort in Japan mit der Suche begonnen. Stattdessen hatten sie alle stillschweigend zugesehen, wie Jodies Leben den Bach runter ging. Shuichi schüttelte den Kopf. Er durfte nicht dem FBI die Schuld geben. Sie taten damals, wie auch jetzt, ihr bestes. James Black hatte die Suche nach dem Mädchen nie aufgegeben und als sie sie endlich gefunden hatten, endete es in einem Desaster. Trotzdem schwelgte er noch immer in der Vergangenheit. Nicht nur, dass er immer wieder sein eigenes Handeln in Frage stellte und die Situation mehrfach durchspielte, er versuchte auch die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Jeder Satz in der Akte konnte einen neuen Anhaltspunkt liefern – irgendetwas um die Organisation zu zerschlagen. Problematisch war nur, dass keiner genau wusste, wie sich die damalige Nacht abgespielt hatte. Dennoch musste Shuichi zugeben, dass es problematischer war, als Anfangs gedacht. Das FBI hatte in Japan keine Befugnisse zum Ermitteln. Wie sollten sie dann eine so mächtige Organisation zerschlagen? Konnten sie überhaupt mit der Hilfe der Japaner rechnen oder gab es auch dort Verräter? Shuichi seufzte leise auf. Frustriert wanderte sein Blick zur Uhr. Die Zeit stand gegen ihn. Wieder einmal hatte er nichts geschafft und war keinen Schritt weiter gekommen. Der FBI Agent schloss seine Augen und lehnte sich nach hinten. Er brauchte ein paar Minuten um zur Ruhe zu kommen. Sofort sah Jodies lebloses Gesicht vor sich und öffnete unverzüglich seine Augen. Akai atmete schwer. Er sah auf die Akte und schlug sie zu. Schnaufend stand er auf und zog seine Jacke an. Wenigen Sekunden später befand er sich auf den Straßen New Yorks. Seine Beine fühlten sich bei jedem Schritt schwer wie Blei an und eigentlich hatte er keine bestimmte Richtung eingeschlagen. Dennoch zog es ihn an jenen Ort. Erst als die Dunkelheit einbrach, blieb er stehen. Er hatte die Gegend noch nie aufgesucht, aber Haus, welches direkt vor ihm lag, wirkte vertraut. Er hatte bereits so viel darüber gelesen und sich Jodies Kindheit bildlich vorgestellt. Auch das Haus kam darin vor. Aber dann passierten die schrecklichen Ereignisse und es blieb nur noch eine Ruine aus Backsteinen und Asche über. Nichts hatte mehr auf das fröhliche Familienleben hingewiesen und doch… Irgendjemand hatte das Haus wieder aufgebaut und wohnte darin. Shuichi schüttelte den Kopf. Was hatte er sich auch gedacht? Dass niemand das Grundstück kaufen würde? Dass man das Haus nicht wieder aufbaute und dass keine Familie darin einziehen würde? Melancholie übermahnte ihn. Auch Jodie hätte hier mit ihrer Familie weiterleben können, aber die Organisation hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wie in Trance ging der FBI Agent auf das Haus zu und spähte ins Wohnzimmer. Ein kleines Mädchen saß auf dem Sofa und spielte mit ihrem Teddybären. Ihr Lachen schien das Einfamilienhaus zu erhellen. Und auch wenn er nicht wusste, wer sie war oder was sie sagte, so schien sie wenigstens glücklich zu sein. Shuichi schüttelte den Kopf. Was hatte er sich nur dabei gedacht, durch das Fenster zu schauen und sich wie ein Spanner zu fühlen? Seine einzige Verbindung zu diesem Haus war seit einem Jahr abgerissen und auch wenn es neu aufgebaut wurde, gab es keinen Hinweis mehr, der zur Organisation führen würde. Shuichi drehte sich um und ging zurück zur Straße. „Kann ich Ihnen helfen?“ Akai musterte den Mann. Sein Gesicht kam ihm bekannt vor, doch er konnte ihn nicht einordnen. „Hab mich verlaufen“, gab Shuichi von sich und ging weiter. Kurz darauf blieb er stehen und drehte sich um. Konnte das sein…? Der fremde Mann öffnete die Haustür und ging rein. Shuichi blinzelte irritiert drein, dann schüttelte er erneut den Kopf. Er musste sich die Ähnlichkeit nur eingebildet haben. Akai machte ein paar Schritte und sah aus dem Augenwinkel eine schwarz gekleidete Person – eine Frau. Sie beobachtete das Haus und schien ihn nicht zu bemerken. Als sie auf die Eingangstür zuging, legte sich eine Gänsehaut auf seinen Körper. Er spürte die Dunkelheit, die von ihrer Präsenz ausging und nachdem er sich gefangen hatte, lief er zurück zum Haus. Shuichi klopfte an die Tür. „FBI“, rief er. „Ich komm jetzt rein“, fügte er an und öffnete die Tür. Ein Knistern lag in der Luft. Niemand antwortete. Akai zog seine Dienstwaffe hervor und sicherte den Flur. Danach ging er in die Küche und fand die erste Leiche. „Oh nein“, murmelte er leise. Shuichi lief in den Flur und sah zum oberen Stockwerk. Wie oft hatte er sich bereits vorgestellt, wie damals alles abgelaufen war? „Hoffentlich ist es bald vorbei“, murmelte er. „Das wird es, Ryan.“ Agent Starling sah nach oben. Seine Augen weiteten sich. „Sharon…wie kommst du…“ Er stand auf und griff nach seiner Waffe. „Das würde ich an deiner Stelle nicht tun. Du möchtest doch nicht, dass ich Jagd auf dein kleines Töchterchen machen werde.“ Der Agent knurrte. „Lass sie aus dem Spiel.“ „Unter einer Bedingung. Sag mir wo die Akten sind.“ „Im Büro“, antwortete er. „Treib keine Spielchen mit mir“, begann sie wütend. „Du weißt ganz genau, dass ich dort meine Leute habe. Du wärst dumm, wenn du dort Akten lagern würdest. Also? Wo sind sie?“ Der Agent verengte die Augen. „Wenn ich dir sage, wo ich die Informationen aufhebe, lässt du Jodie und meine Frau dann in Ruhe?“ „Bei deiner Frau kann ich es nicht mehr versprechen“, entgegnete die Schauspielerin. Agent Starling ließ sich unweigerlich in seinen Stuhl zurück fallen. „Du hast…du hast…sie…“ „Aber deinem kleinen Töchterchen muss es nicht so ergehen. Gib mir die Informationen und ich lass sie in Ruhe.“ Der Agent schluckte. „Sie sind im Keller“, murmelte er. „Der Zugangscode ist 1-6-0-5.“ Er würde ihr alles geben, wenn sie Jodie nichts antäte. Eigentlich schien Vermouth Kinder zu mögen, aber was würde sie tun, würde sie Jodie auf dem Flur oder im Haus antreffen? Starling hoffte inständig, dass seine Tochter in ihrem Zimmer bleiben und warten würde. „Danke sehr. Du bist ein schlauer Mann, du weißt, dass ich zurück komme und dein Kind jagen werde, wenn deine Informationen falsch waren“, antwortete Vermouth und drückte ab. „Jetzt brauch ich dich aber nicht mehr.“ Der Agent sackte in sich zusammen und rutschte vom Stuhl. „Sayonara“, murmelte sie. Jetzt war es vollbracht, jetzt war sie von ihm befreit. Sie ging zu ihm, nahm ihm seine Brille ab und drapierte sein Gesicht in die richtige Position. Die Brille war eine Trophäe, die sie immer an diesen Verrat erinnern sollte. Langsam öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers. Ein kleines Mädchen, mit Teddybären in der Hand, blickte mit großen Kulleraugen auf die Schauspielerin. „Wer sind Sie?“ Vermouth war überrascht, fing sich aber schnell. „Das ist ein großes Geheimnis. Ich kann es dir nicht verraten….“ „Das ist Papas Brille“, kam es von dem Mädchen. „Oh. Entschuldige“, sagte sie. „Hier, nimm sie.“ Jodie sah zu ihrem Vater. „Was ist mit ihm? Ist er eingeschlafen?“, fragte sie in ihrer kindlichen Art. „Dabei hat er mir eine Gute-Nachtgeschichte versprochen.“ „Es tut mir leid. Bleibst du an seiner Seite, bis er wieder aufwacht?“ „Ja“, nickte Jodie und lief zu ihm. Sie setzte sich neben ihren Vater. „Können wir die Tischlampe anlassen? Ich habe Angst im Dunkeln.“ „Natürlich“, antwortete Vermouth. In dem Licht würde das Mädchen die Verletzungen ihres Vaters nicht wahrnehmen. Langsam verließ die Schauspielerin den Raum und ging nach unten. Aus dem Wohnzimmer holte sie ihre Tasche und einen Kanister mit Benzin. Danach ging sie in den Keller. Wie gebannt war Akai in Deckung gegangen und hatte beobachtet, wie die Frau nach unten in den Keller ging. Dort würde sie schon bald den Brand legen, der als Ursache für das Feuer identifiziert wurde. Sie würde alle Akten über sich und die Organisation vernichte, aber das war nur nebensächlich. Jodie. War. Oben. Am. Leben. Er schluckte. Warum erlebte er ausgerechnet jetzt das Geschehen von damals? Und konnte er tatsächlich die Vergangenheit verändern? Shuichi hatte keine Zeit um darüber nachzudenken und lief sofort die Treppen nach oben. In seinem Wahn achtete er nicht einmal darauf, ob er ein Geräusch machte. Das Licht im Arbeitszimmer von Starling wies ihm seinen Weg. Er riss die Tür auf und sah das kleine Mädchen neben ihrem Vater sitzen. Es konnte nur Jodie sein. Sie war kaum älter als sieben und wirkte gar nicht verängstigt. Sie sah sofort zu ihm. „Wer bist du?“, fragte sie leise. „Jo…Jo…die…“, murmelte er ihren Namen. „Ich…“, wisperte er kaum hörbar. „Bist du ein Freund von meinem Papa? Oder kennst du meine Mama? Bist du Japaner?“, sprudelte es nur so aus ihr heraus. Shuichi biss sich auf die Unterlippe. Was machte er hier überhaupt und wie sollte er dem Mädchen alles erklären? „Ich…“, fing er erneut an. Er brach ab, als er das Knarzen auf der Treppe hörte. Sie kam wieder nach oben. Sofort positionierte er sich vor dem Mädchen. „Versteck dich unter dem Schreibtisch“, wies er sie an. Jodie sah traurig auf ihren Teddy. „Ich darf nicht mit Fremden…“, sagte sie leise. „Jodie! Bitte! Versteck dich unter dem Schreibtisch. Ich erkläre dir danach alles“, gab er ruhig von sich. „Nimm deinen Teddy mit und halte dir die Ohren zu, ok?“ Jodie blickte auf ihren Vater. „Papa…“ „Dein Papa möchte auch, dass du dich versteckst.“ Nur langsam krabbelte das Mädchen unter den Tisch. Shuichi beobachtete die Tür und auf einmal stand sie da. Sharon Vineyard. Sie sah ihn irritiert an. „Oh.“ Sie legte den Kopf schief. „Haben wir einen ungebetenen Gast hier. Gehörst du etwa auch zum FBI?“ Sofort richteten Beide ihre Waffe auf den jeweils anderen. Vermouth schoss. Shuichi schoss. Sie duckte sich. Er duckte sich und schoss erneut. „Wie kann das…“, murmelte Vermouth und hielt sich die Wunde am Bauch. „Nein…das darf…nicht…“ „Dein Spiel ist aus“, kam es von Akai. „Du wirst dem Mädchen nichts antun, dafür sorge ich.“ Dann wurde alles schwarz. Shuichi sah sich um und verengte die Augen. „Dai.“ Eine vertraute Stimme rief nach ihm. Er blickte sich erneut um. „Dai.“ Langsam nahm er ihre Silhouette wahr. „Dai.“ Sie lächelte. „Nein, Shuichi.“ „Jo…jodie…“, gab der Agent von sich. Sie war erwachsen geworden und lächelte. „Es ist lange her, Shuichi“, fing sie an. Der Agent schluckte. Seine Hand schnellte nach vorne. Er versuchte sie zu berühren, aber es funktionierte nicht. „Es ist noch nicht so weit, dass wir uns wiedersehen“, sagte sie. „Du wirst woanders gebraucht, Shuichi. Dein Kampf ist noch nicht vorbei.“ „Jodie, ich…ich hätte damals nicht gehen dürfen. Ich hätte in Japan bleiben und weiter machen sollen. Es tut mir leid…ich hätte dafür sorgen müssen, dass du entkommst, stattdessen…“ Jodie schüttelte den Kopf. „Es ist in Ordnung“, fing sie an. „Du hast nichts Falsches getan. Deine Chancen waren höher als meine und außerdem, habe ich es so gewollt.“ „Jodie“, wisperte er ihren Namen. „Es ist Zeit für dich zu gehen, Shuichi. Du gehörst hier nicht her. Du musst weitermachen. Hast du verstanden?“ Er schluckte. „Jodie, ich…“ „Jodie!“ Shuichi schreckte aus seinem Stuhl hoch. Er hatte die Augen geweitet und sein Herz klopfte schneller. Der Agent sah auf die Akte, die auf seinem Tisch lag. Es war ein Albtraum. Ein furchtbarer Albtraum. Und eine Warnung zugleich. Es war noch nicht vorbei. Kapitel 8: Erinnerungen ----------------------- Jodie saß auf dem Sofa und versuchte die Gedanken, die auf sie niederprasselten, zu ordnen. Ihre Wohnung – falls man sie als solche bezeichnen konnte – war klein und befand sich in einem Wohnkomplex, der der Organisation gehörte. Nur Mitglieder die unter Beobachtung standen, verletzt waren oder dringend eine Bleibe brauchten, wohnten dort. Sie hatte zwar einen eigenen Wohnbereich, eine Küche, Badezimmer und auch Schlafzimmer, aber hochrangige Mitglieder wie Vermouth konnten die Räumlichkeiten nach Lust und Laune betreten. Und sie konnte nichts dagegen tun. Zudem befand sich im Erdgeschoss der Pförtner, der jeden Besuch notierte und bei Bedarf an die Organisation weitergab. Er schrieb sich aber auch die Zeiten auf, wenn sie die Wohnung verließ und sobald sie zurück kam. Manchmal fragte sie sich, ob nicht sogar jemand in ihren Räumen war, wenn sie sich draußen befand. Das Leben an diesem Ort hatte eine Art Dauerüberwachung an sich, aber welche andere Möglichkeit blieb ihr? Sie war allein und von Schmerzen gepeinigt. Jodie beugte den Kopf nach unten und legte ihre Finger an die Schläfen. Sie begann mit der Massage, aber die Kopfschmerzen wurden – wie gewohnt – immer schlimmer. Sie schloss die Augen. Sofort loderte das Feuer auf. Flammen schlugen umher. Der Geruch, das etwas Brennen würde, stieg ihr in die Nase, obwohl sie eigentlich weit genug entfernt war. Die Atmosphäre war geladen. In der vollkommenen Dunkelheit rieb sich Jodie die Augen. Sie setzte sich langsam auf und blickte durch das Fenster. Es brannte. Das Haus ihrer Eltern brannte. Hell und lichterloh. Sie weitete ihre Augen. Etwas Schlimmes musste passierte sein, aber Jodie konnte sich keinen Millimeter bewegen. Dann sah sie einen Schatten auf sich zukommen und… Jodie kniff die Augen zusammen. „Nein...nicht…“, murmelte sie leise und streckte ihre Hand nach der kleinen Pillendose auf ihrem Tisch aus. Ihre Vergangenheit war zwar ausgelöscht, aber ihre Zukunft blieb noch bestehen. Jodie saß in einem Wagen. Sie hielt ihre Hand auf den Bauch gedrückt. Dennoch sickerte Blut aus der Wunde. Ihr tat alles weh. Hilfesuchend sah sie nach hinten, versuchte einen Blick durch die Scheibe zu erhaschen und merkte dann aber den Blick auf ihren Körper. Der Mann musterte sie. Er hatte langes, schwarzes Haar und blickte böse drein. Jodie hörte einen Schuss. Der Mann krallte seine Hände ans Lenkrad und versuchte den Wagen unter Kontrolle zu behalten. Kurz darauf wurde der zweite Schuss abgefeuert und das Auto überschlug sich. „Wer bist du…wer bist du?“, fragte Jodie. „Hast du mir das angetan? Bist du an meinen Schmerzen Schuld?“ Wie in einem schlimmen Traum drehte sich der Wagen auf dem Asphalt und landete letzten Endes auf dem Dach. Der Airbag hatte Jodie auf ihren Sitz gepresst und fiel Sekunden später in sich zusammen. Allein durch den Sicherheitsgurt hing sie kopfüber auf dem Platz. „Mhm…“, gab Jodie leise von sich. Sie stöhnte schmerzerfüllt auf. Langsam öffnete sie ihre Augen und brauchte einen Moment um die Situation zu erfassen. Nicht nur ihr Kopf, auch ihr gesamter Körper schmerzte. „Was…was ist…passiert?“, wollte sie leise wissen. „Der Wagen hat sich überschlagen“, erklärte der Fremde. Es war der gleiche Mann, mit dem sie vorher im Wagen fuhr. Der Japaner mit den kalten Augen. „Wer bist du…wer bist du nur?“ Jodie stöhnte schmerzerfüllt auf. „Warum hab ich das Gefühl, dass ich dich kenne?“ Jodie befand sich außerhalb des Unfallwagens, aber die Schmerzen ließen einfach nicht nach. Sie sah sich hilfesuchend um und hatte nur noch einen Gedanken: Flucht. „…schnell…wie möglich…weg“, hörte sie sich leise sagen. Der Mann hingegen war bereits weg. Jodie konnte die Tränen nicht mehr zurück halten. Sie humpelte vom Unfallort weg. Die Anstrengung war ihr ins Gesicht geschrieben und wenige Sekunden später wurde der Unfallort durch das Scheinwerferlicht eines anderen Fahrzeuges erhellt. Vermouth – Chris Vineyard – stieg aus. Endlich nahm sie ein vertrautes Gesicht wahr. Dennoch ahnte Jodie, dass Gefahr in der Luft lag. Wo war der fremde Mann? Hatte er sich nur versteckt und wartete auf seine Chance? Jodie machte einen Schritt nach hinten. Ein Schuss fiel. Sie taumelte und als der zweite Schuss fiel, ging Jodie zu Boden. Jodie sah nach oben in den Himmel. War das ihr Ende? Sie atmete schwer und hatte keine Kraft mehr um aufzustehen oder um zu kämpfen. Jodie hustete Blut. „Der Unfall ist nicht spurlos an dir vorbei gegangen. Wahrscheinlich hast du innere Blutungen…“ Jodie beobachtete Vermouth. „Er ist weg.“ Vermouth sah nach hinten zu Calvados. „Hast du auch alles gründlich durchsucht?“ „Selbstverständlich. In Anbetracht an den Unfall und die Zeit, die er weg ist, habe ich den Suchradius berechnet. Die quietschten Reifen die ich gehört habe, passen zu einer Flucht.“ „Ich verstehe. Er hat Jodie ihrem Schicksal überlassen.“ Unweigerlich lief ihr eine Träne über die Wange. „Jetzt wein doch nicht“, sagte Vermouth. Sie kniete sich zu ihr runter. „Deine Wunden werden versorgt werden.“ Jodie schluchzte. Chris hatte sie gerettet und trotzdem hatte sie das Gefühl, dass etwas mit ihren Erinnerungen nicht stimmte. Dennoch wollte sie in diesem Moment nichts weiter, als ihre Kopfschmerzen los zu werden. „Jodie, um Gottes Willen…“ Vermouth kam zu ihr gelaufen. „Hast du deine Medikamente nicht genommen?“, wollte die Schauspielerin wissen und nahm die Pillendose. Sie holte eine Pille heraus und hielt sie Jodie an. „Jodie, du musst sie nehmen.“ Jodie keuchte schwer, nahm die Pille und schluckte sie runter. Mit dem Restwasser aus ihrer Wasserflasche spülte sie nach. Langsam legte sie sich auf die Seite und bettete ihren Kopf auf Vermouths Schoss. „Geht’s wieder?“, wollte diese wissen. Jodie nickte. „Tut…tut mir leid. Ich wollte dir keine Sorgen bereiten“, murmelte sie. „Ich wollte sehen…wie lange ich es aushalte, ehe ich eine Pille nehmen muss. Irgendwann will ich…nicht mehr davon abhängig sein. Irgendwann sollen die Schmerzen verschwinden.“ „Ach Jodie.“ Vermouth strich ihr über den Kopf. „Das hatten wir doch schon. Durch den Unfall musst du mit den Schmerzen leben und nur das Medikament kann dir helfen. Du hast leider keine andere Möglichkeit. Wir haben doch schon so viel versucht.“ „Ich weiß“, antwortete Jodie leise. „Sind wieder schmerzhafte Erinnerungen hochgekommen?“ Jodie nickte abermals. „Möchtest du mir davon erzählen?“, fragte Vermouth beinahe liebevoll. „Ich war in einem Wagen“, fing Jodie an. „Zuerst habe ich mich nicht getraut, aber als ich dann aus dem Fenster sah, sah ich, dass das Haus meiner Eltern in Flammen stand. Ich war so schockiert, dass ich mich nicht bewegen konnte. Und dann kam diese Person auf mich zu. Ich spürte…diesen Schmerz an meinem Bauch. Ich glaube, ich bin angeschossen worden“, erzählte sie. „Der Mann neben mir…ein Japaner mit langen, schwarzen Haaren, fuhr den Wagen, aber ehe ich etwas Sagen konnte, hörte ich Schüsse. Der Wagen überschlug sich und mir tat alles so verdammt weh. Ich kann dir nicht genau sagen, wie ich raus gekommen bin, aber er war die ganze Zeit da. Ich habe seinen Blick auf meinem Körper gespürt.“ „Ganz ruhig, Jodie“, entgegnete die Schauspielerin. „Du bist jetzt in Sicherheit. Hab keine Angst, ich pass auf dich auf. Das hab ich dir doch damals versprochen.“ „Ja…ich weiß“, murmelte Jodie. „Du warst auch da…zum Glück. Ich weiß nicht warum der Mann gegangen ist. Vielleicht wollte er auch, dass mir jemand zu Hilfe kommt um denjenigen dann…“, sprach die Amerikanerin leise. „Kaum, dass du bei mir warst, fielen zwei Schüsse und ich lag auf dem Boden. Er hat tatsächlich in der Dunkelheit gelauert. Danach habe ich nur noch gehört, wie du über meine Wunden gesprochen hast und das der Mann wohl gegangen sei. Ich war endlich…in Sicherheit.“ Vermouth nickte verstehend. „Es ist alles wieder gut“, sagte sie. „Er kann dir nichts mehr tun.“ „Hat er...“, fragte sie leise. „Du hast…mir erzählt, dass ein Japaner meine Eltern umgebracht hat und mich auch umbringen wollte. War er…das?“, wollte sie wissen. „Ich hab das Gefühl, je mehr Zeit vergeht, desto mehr verblasst meine Erinnerung.“ „Das ist ganz normal. Du hast einen Schock erlitten, ein Träume…“, antwortete Vermouth. „Hast du sein Gesicht gesehen?“ „Hab ich.“ „Es tut mir leid, ich wünschte, du würdest dich nicht so daran erinnern. Es war damals so knapp. Als ich herausgefunden habe, was er vor hatte…“, entgegnete Vermouth und biss sich auf die Unterlippe. „Wenn wir ihn damals nur geschnappt hätten, ehe er auf dich Schießen konnte. Aber wenigstens haben wir dich jetzt wieder.“ „Das war nicht deine Schuld“, murmelte Jodie. „Hätte ich mich damals doch nur nicht von ihm fangen lassen. Ich war so starr vor Angst, nachdem er meine Eltern…wenn ich damals doch nur etwas hätte tun können.“ Die Schauspielerin schüttelte den Kopf. „Du hast überlebt, das ist alles was zählt. Ich weiß, du hast deswegen ein schlechtes Gewissen, aber mach dich nicht fertig. Damit hilfst du deinen Eltern nicht.“ „Ich fühl mich aber wegen meiner Eltern so schuldig. Manchmal…vergesse ich sogar, wie sie aussehen. Ich wünschte, ich hätte diesen Unfall nie gehabt.“ „Ich weiß, wie du dich fühlst, meine arme Kleine“, gab Vermouth von sich. „Ich…nein, vergiss es.“ „Was wolltest du sagen?“, fragte Jodie. „Wie du weißt, sind in den letzten Monaten immer wieder ein paar unserer Leute verschwunden“, begann sie. „Wir haben endlich herausgefunden, woran das liegt oder besser gesagt, wer dafür verantwortlich ist.“ Jodie schluckte. „Sag mir nicht, dass…“ „Doch“, sagte Vermouth. „Es war der gleiche Mann, der deine Eltern umbrachte. Ich wünschte, es wäre anders.“ „Oh nein“, wisperte sie. „Aber warum…warum tut er das?“ „Er hasst uns“, antwortete die Schauspielerin. „Er hasst uns, weil wir seine Machenschaften aufgedeckt haben. Deswegen bringt er unsere Leute nach und nach um und denkt nicht einmal an die Konsequenzen. Er weiß nicht, was er den vielen Familien damit antut.“ „Und was…was wollt ihr jetzt machen?“, wollte sie wissen. Vermouth seufzte gespielt. „Das ist das, was mir nicht gefällt“, fing sie an. „Egal wen er von unseren Leuten vor sich hat, er lässt keine Gnade walten. Deswegen hat sich unser Boss überlegt, dass wir versuchen ihn aus der Reserve zu locken und das geht nur…“ Sie brach ab. „Indem man mich hinschickt. Er glaubt, ich habe seinen Anschlag nicht überlebt. Also wird er überrascht sein, wenn ich auf einmal vor ihm stehe. Und wenn das passiert, soll ich mich um ihn kümmern, nicht wahr…?“ Die Schauspielerin nickte. „Ja, wenn du die Möglichkeit hast, sollst du seinem Leben ein Ende machen. Ich weiß, es ist viel verlangt, weil du einen Menschen töten sollst, aber nur so haben wir eine Chance gegen ihn. Denk an die vielen Leben, die du damit rettest.“ „Ich verstehe“, murmelte Jodie. „Ist er…in der Nähe?“ Vermouth schüttelte abermals den Kopf. „Leider nicht. Er befindet sich derzeit in New York.“ „New York“, wiederholte Jodie. „Wir fliegen also nach New York…“ „Ich kann dich leider nicht dorthin begleiten“, gab sie von sich. „Ich werde hier gebraucht und er weiß, dass wir früher zusammengearbeitet haben. Wenn er mitbekommen sollte, dass ich in New York eingereist bin…“ Vermouth schüttelte den Kopf. „Aber hab keine Angst, du wirst nicht alleine sein.“ Wie aufs Stichwort klopfte es an der Tür. „Da ist er schon“, entgegnete die Schauspielerin. „Komm rein“, rief sie. Bourbon öffnete die Tür und kam rein. „Jodie, das ist Toru Amuro.“ „Nenn mich einfach Amuro“, sprach dieser. „Wie viel hast du ihr schon erzählt?“ „Sie kennt den Auftrag“, fing Vermouth an. „Ich bin schon gespannt, wie ihr euch zusammen machen werdet.“ Jodie setzte sich auf. „Ich werde mein Bestes geben.“ Bourbon nickte. „Pack deine Sachen, wir werden so schnell wie möglich aufbrechen. Ich agiere ungern spontan, daher werden wir ihn erst ein bis zwei Tage beobachten und seinen Tagesablauf studieren. Erst danach werden wir uns ihm zeigen und sein Ende einläuten. Hast du verstanden?“ Die Amerikanerin nickte. „Ich weiß, das muss schwer für dich sein, nach allem was er getan hat.“ „Das krieg ich schon hin. Mach dir keine Sorgen, Chris.“ Vermouth lächelte und wandte sich Bourbon zu. „Du musst darauf achten, dass Jodie ihre Medikamente regelmäßig nimmt. Seit dem Unfall vor einem Jahr wird sie von fürchterlichen Kopfschmerzen heimgesucht, die sie handlungsunfähig machen. Wenn das passiert, wenn sie in seiner Nähe ist, hat er leichtes Spiel.“ Amuro sah zu der Pillendose. „Welche Medikation?“, wollte er wissen. „Einmal pro Tag, am besten zur gleichen Uhrzeit. Sie versucht die Rationen so gering wie möglich zu halten, aber meistens wird es 24 Stunden unerträglich.“ „Gut, ich kümmer mich darum“, antwortete das Organisationsmitglied und sah wieder zu Jodie. „Wir sollten keine Zeit verlieren.“ Kapitel 9: Ankunft in New York ------------------------------ Jodie saß im Flugzeug und blätterte die Dokumente durch, die sie zur Vorbereitung von Vermouth bekam. Sie beinhalteten alle möglichen Informationen zu ihrer Zielperson. Unter anderem erfuhr sie, dass Shuichi Akai seit einem Jahr für das FBI arbeitete, ehe er nach Japan kam und seine Identität wechselte. Als Dai Moroboshi nahm er Kontakt zu ihren Eltern auf, freundete sich mit ihnen an und verriet sie für seine Karriere. Dass die Organisation nicht immer Gutes tat, wusste Jodie selbst, aber Akais Handlungen waren unverzeihlich. In seinem Wahn und wegen seinem Wunsch Karriere zu machen metzelte er ihre Familie nieder und setzte das Haus in Brand. Jodie wusste nicht mehr wie sie aus dem Haus entkommen war und noch weniger wieso sie im Auto saß und sich vor Angst nicht bewegen konnte. Sie selbst war in Selbstverteidigung geübt, aber in jenem Moment konnte sie nichts machen. Dass sie selbst überlebte, grenzte schon an ein Wunder. Sie war froh, als sie erfuhr, dass der Mann, der ihr all das antat, wieder in die Staaten zurückkehrte und sie in Ruhe weiterleben konnte. Sie musste sich nunmehr keine Sorgen machen und musste lernen mit dem Verlust klar zu kommen. Sie hatte zwar überlebt, aber sie hatte keine Zeit um sich Vorwürfe zu machen. Wären da nur nicht die unerträglichen Schmerzen in ihrem Kopf, die sie andauernd an die Vergangenheit erinnerten. Als Konfrontationstherapie schlug Vermouth bereits vor, dass sie zusammen zu den Trümmern oder an den Unfallort fahren könnten. Jodie lehnte allerdings jedes Mal aus Angst ab. Auch wenn ein Jahr vergangen war, fühlte sie sich immer noch hilflos, wenn sie an den Mann dachte. Aber er machte einfach weiter und ließ keinen Moment verstreichen, um weitere Mitglieder der Organisation umzubringen. Bei einigen von ihnen handelte es sich um unschuldige Männer und Frauen, die in den Staaten lediglich ihre Familien besuchen wollten. Jetzt sahen sie alle die Radieschen von unten und das nur, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Er war eine Bestie – ein Jäger. Jetzt waren sie am Zug. Auch wenn Jodie nicht mehr wusste, wie es sich anfühlte einen Menschen zu töten, so musste sie ihre Aufgabe erfüllen und Akai endgültig in seine Schranken weisen. Nur durch das Überraschungsmoment würden sie eine Chance gegen ihn haben. Glücklicherweise hatten sie auch viel über seine Kampfsportart in Erfahrung gebracht: Shuichi Akai beherrscht Jeet Kune Do. Dabei handelt es sich um ein Selbstverteidigungskonzept, bei dem der Verteidiger versucht sich auf einfache und effektive Weise mit Schlägen, Tritten und Stößen zu verteidigen. Die Ausgangsstellung hierfür nennt sich Wachsamkeitsstellung, weil aus ihr jede Angriffs-, Abwehr- oder Kontertechnik ohne eine einleitende Bewegung schnell durchgeführt werden kann. Dabei steht der Verteidiger in Seitwärtsstellung, wobei die stärkere Seite nach vorne gerichtet ist. Die Seitwärtsstellung hat zudem die Funktion, schneller ins Ziel zu treffen und die Angriffsfläche des Gegners möglichst schnell einzugrenzen. Zum Schutz des eigenen Kinns wird der Kopf leicht geneigt, womit auch möglich ist, dass der Gegner während des gesamten Kampfes im Auge behalten wird. Zuckungen der Augenlider des Gegners lassen seine nächsten Angriffe erahnen und steigern das Potential des Jeet Kune Do-Anwenders. Die vordere Führungshand bleibt locker geöffnet um ebenso schnell und effektiv angreifen oder abwehren zu können. Sie deckt zudem die zum Gegner gewandte Körperhälfte und stellt die Hauptangriffshand darf. Die Knie sind leicht gebeugt und halten den Verteidiger im Gleichgewicht. Hierfür wird der hintere Fuß leicht angehoben um bei einem Angriff schnell ausweichen zu können. Das vordere Bein stellt dabei das stärkere Bein dar und fungiert somit als Hauptangriffswaffe. Wichtig für den Kampf ist die richtige Kampfdistanz, weil dadurch ein Angriff am wirksamsten ist. Um die Distanz richtig einschätzen zu können, ist das Wissen um den Gegner wichtig: Seine Schnelligkeit, Beweglichkeit und seine verwendeten Waffen. Die Faustregel dabei besagt, dass der Radius der Distanz zum Gegner dort beginnt, wo seine Waffe am wirksamsten und effektivsten eingesetzt wird. Zudem sollte man sich am Rande der Kampfdistanz bewegen, damit ein Angriff noch effektiver stattfindet und man selbst nicht getroffen wird. Jodie hatte den Abschnitt mehrfach gelesen und sich jede Bewegung des Agenten dabei vorgestellt. Langsam blätterte sie die Seite um und betrachtete das Foto des Mannes. In ihren Erinnerungen besaß er langes, schwarzes Haar, aber auf einem aktuellen Foto war sein Haar kurz. Und obwohl sie das Gesicht kannte, kam es ihr so befremdlich vor. „Alles in Ordnung?“ Jodie sah zu Bourbon, der neben ihr saß. „Mach dir um mich keine Sorgen“, sagte sie ruhig. Bourbon sah auf das Foto von Akai. „Kannst du dich an irgendetwas Neues erinnern?“ „Nein, alles wie immer“, antwortete die Amerikanerin. „Ich habe mir sein Profil angeschaut. Es wird nicht einfach werden.“ „Deswegen wurden auch wir geschickt“, entgegnete er. „Pack die Sachen wieder ein, wir werden gleich landen. Meine Strategie sieht es vor, dass wir erst einmal unser Hotel aufsuchen und morgen anfangen seinen Tagesablauf zu studieren. Unsere Kontaktperson hat bereits einiges über ihn herausgefunden, aber ich möchte es mit meinen eigenen Augen sehen. Und dann schlagen wir zu.“ Jodie nickte. Sie steckte die Unterlagen, die sie als Bewerbungsunterlagen getarnt hatte, in ihre Tasche zurück und schnallte sich an. Während des Landeanflugs schloss Jodie ihre Augen. „Hast du ein Problem mit Flugzeugen?“, wollte Amuro wissen. „Geht“, murmelte Jodie leise. „Bisher hatte ich nur Inlandsflüge. Immer wenn wir gestartet oder gelandet sind, gab es so ein Holpern“, fügte sie hinzu. „Ich weiß auch nicht warum, aber ich fühl jedes Mal unwohl dabei und hoffe, dass es so schnell wie möglich zu Ende geht. Wenn wir aber erst einmal aufgesetzt haben und die Landebahn entlang rollen, fühl ich mich wieder besser.“ „Mhm…verstehe…“, gab er von sich. „Ist gleich vorbei und von der Wettervorhersage ist nicht mit Wind zu rechnen.“ Jodie nickte. „Zum Glück. Am schlimmsten war es Mal für mich, als wir Turbulenzen hatten und das Flugzeug dauernd hin und her schaukelte.“ Jodie spürte wie das Flugzeug auf der Landebahn aufsetzte und langsam zum Gate rollte. Sie atmete erleichtert auf. „Wir werden warten bis alle Passagiere ausgestiegen sind und dann in Ruhe zur Kofferausgabe gehen.“ „Mhm?“, murmelte Jodie. „Von mir aus. Holen wir uns am Flughafen einen Leihwagen?“ „Hab ich kurz überlegt“, antwortete Bourbon. „Aber in New York mit dem Auto zu fahren, grenzt an Selbstmord. Zum Hotel nehmen wir ein Taxi und von dort aus, gehen wir entweder zu Fuß oder fahren mit dem Taxi weiter.“ Jodie beobachtete die Menschen beim Ausstieg. Viele versuchten direkt die ersten zu sein, andere pressten sich nach vorne und nur wenige warteten, bis genug Ruhe eingetreten war. Jetzt war Jodie froh, dass sie erst als letztes Aussteigen würden. Jodie streckte sich und sah in den blauen, klaren Himmel. „Wenigstens das Wetter ist annehmbar“, gab sie von sich. Selbstverständlich hatte sie sich bereits in Japan mit der Wettervorhersage beschäftigt und entsprechend ihre Kleidung ausgesucht. „Lass uns keine Zeit verlieren“, entgegnete Bourbon und zog seinen Koffer hinter sich her. Er suchte sofort den Taxistand auf und der erste Fahrer kam ihm entgegen. „Wir wollen in das Hudson Hotel.“ „Ich fahr Sie hin“, meinte der Taxifahrer und öffnete den Kofferraum. Ohne Anstrengung hievte er die beiden Koffer hinein und nahm wieder auf dem Fahrersitz Platz. Jodie setzte sich nach hinten und blickte aus dem Fenster. New York war viel größer als sie es sich vorgestellt hatte. Tokyo war dagegen ein Witz. „Waren Sie schon einmal in New York?“, wollte der Fahrer wissen. „Ja“, antworteten Beide zeitgleich. „Und wie war Ihr Aufenthalt?“ „Ich war beruflich hier“, fing Bourbon an. „Daher konnte ich nicht viel von der Stadt sehen. Eigentlich kam ich nur zum Schlafen ins Hotel zurück.“ „Oh weh, das sollten Sie dieses Mal ändern. Es gibt hier so viele nette Plätze. Wenn Sie möchten, können wir einen kleinen Umweg fahren und ich zeig Ihnen etwas.“ „Das ist nicht nötig“, entgegnete Amuro. Dieses Mal haben wir etwas Zeit für Sightseeing eingeplant.“ „Verstehe. Und Sie, Miss?“ „Ich war damals noch ein kleines Kind“, begann Jodie. „Aber wir sind relativ früh von hier weggezogen. Aus dem Grund habe ich auch keine Erinnerungen an meine Zeit hier.“ „Oh.“ Der Taxifahrer sah in den Rückspiegel. „Sie können ja Ihr altes zu Hause aufsuchen. Oder Sie fragen andere Verwandte.“ „Mhm…mal sehn“, murmelte Jodie. „Wie lange dauert die Fahrt noch?“, wollte Amuro wissen. „Wir sind gleich da.“ Der Taxifahrer hielt fünf Minuten später vor dem Hotel. Er stieg aus und holte die Koffer aus dem Kofferraum. „Ich wünsche einen guten Aufenthalt.“ „Danke“, sagte Amuro und sah zu Jodie. „Geh schon mal rein und check ein. Ich bezahl hier.“ „In Ordnung“, antwortete Jodie und zog ihren Koffer hinter sich her. Sie sah sich im Eingangsbereich des Hotels um und stellte sich an die Reihe wartender Gäste. Diese wurden freundlich, aber auch schnell abgefertigt und als Jodie dran war, kam Bourbon bereits zurück. „Wir haben zwei Zimmer mit Durchgangstür reserviert“, sprach er. „Auf den Namen Amuro.“ Die Rezeptionistin tippte etwas in ihren Computer ein. „Da haben wir Sie schon. Zimmer 235 und 236. Das sind die Schlüssel. Das Restaurant ist von 7 bis 24 Uhr geöffnet. Frühstück gibt es bis 11 Uhr. Wenn Sie etwas vom Zimmerservice bestellen wollen, wählen Sie am Telefon die 1. Wenn Sie nach draußen telefonieren möchten, müssen Sie vorher die 0 wählen. Die Rezeption ist den ganzen Tag und die ganze Nacht besetzt. Im Keller befinden sich der Spa- und Sport-Bereich. Diesen können Sie nach Belieben nutzen. Für die Nutzung der Sauna nehmen wir allerdings einen kleinen Aufpreis. Die Daten für die Nutzung des Internets finden Sie auf Ihren Zimmern“, erzählte sie. Amuro nickte. „Danke.“ Er sah zu Jodie. „Gehen wir nach oben.“ Jodie folgte ihm schweigend. Als sie vor dem Zimmer stand, zog sie die Schlüsselkarte durch das Schloss und betrat das Innere. Das Zimmer war mittelgroß, aber ausreichend für ihre Bedürfnisse. Bourbon folgte ihr. „Ich leg mich gleich hin. Wenn du raus gehen solltest, nimm dein Handy mit und bleib nicht zu lange weg.“ Er sah sie streng an. „Und vor allem: Such Akai nicht auf.“ Jodie verengte die Augen. „Für wie blöd hältst du mich? Selbstverständlich weiß ich, dass ich nicht zu ihm gehen soll. Ich geh höchstens einmal um den Block.“ „Gut. Wenn was ist, hast du meine Nummer“, entgegnete er und ging in sein Zimmer. Die junge Amerikanerin seufzte und suchte zuerst das Badezimmer auf. Sie wusch sich das Gesicht und beobachtete ihr Spiegelbild. Jodie schüttelte den Kopf. Jetzt war keine Zeit um sich Gedanken zu machen. Jodie kam aus dem Badezimmer und setzte sich auf das Bett. Unverzüglich zog sie die kleine Pillendose heraus und nahm das Medikament. Langsam legte sie sich nach hinten und blickte hoch an die Decke. Jodie schloss ihre Augen und döste. Als sie zwei Stunden später wach wurde, fühlte sie sich wie gerädert. Eigentlich hatten sie im Flugzeug ausreichend Maßnahmen ergreifen um nicht vom Jetlag erfasst zu werden. Dennoch schien es nicht genug gewesen zu sein. Jodie stand auf, nahm ihre Handtasche und verließ ihr Zimmer. Sie ging ins Hotelrestaurant und nahm eine Kleinigkeit zu sich. Nachdenklich blickte sie auf ihren leeren Teller und seufzte leise auf. Obwohl sie noch gar nicht lange in Amerika war, überkam sie bereits das Heimweh. Alles war fremd und sie hatte niemanden zum Reden. „Lass dich nicht unterkriegen, Jodie“, sagte sie zu sich selbst und stand auf. Sie nahm ihre Tasche und verließ das Hotel. Schlagartig war es Kühler geworden. Trotzdem tat ihr die frische Luft gut. Mit neuer Motivation schlenderte Jodie die Straße entlang und sah sich um. Auch wenn Amuro eine Sightseeing-Tour nicht ausgeschlossen hatte, glaubte Jodie nicht daran, dass sie wirklich Zeit dafür hätten. Daher würde sie sich wenigstens jetzt etwas Zeit nehmen. Nach einer halben Stunde hatte Jodie die Orientierung komplett verloren und konnte nicht einmal mehr sagen, in welcher Richtung das Hotel lag. Jodie zog ihr Handy aus der Handtasche und rief das Navigationssystem auf. Sie ließ ihren Standort vom System suchen und wählte dann eine Route zurück zum Hotel aus. Als Jodie wieder nach oben sah, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Er stand direkt vor ihr. Tiefgrüne Augen. Kurzes, schwarzes Haar. Schwarze Strickmütze. Geschockter Blick. Jodie hatte keinen Zweifel mehr. Sie stand Shuichi Akai gegenüber. Kapitel 10: Wiedersehen ----------------------- Sie stand ihm gegenüber. Ihm. Shuichi Akai. Dem FBI Agenten, der ihre Familie auf dem Gewissen hatte. Ihrer Zielperson. Und es war genau das passiert, was nie hätte passieren dürfen. Sie waren einander begegnet. Sie hatte das Überraschungsmoment vergeigt. Möglicherweise wäre er ihnen jetzt einen Schritt voraus und auch wenn Jodie wusste, dass sie jetzt handeln musste, konnte sie sich nicht bewegen. Sie war verwirrt und sofort flammten neue Bilder vor ihrem geistigen Auge auf. Akai lag auf dem Boden und sah Jodie irritiert an. „Jodie?“ Er hatte sich etwas aufgerichtet. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Sie blickte ihn an. Verletzt und wütend. Ehe sie sich versah, war ihre Fassade eingestürzt und Jodie saß rittlings auf ihm. Aus ihrem Knöchelholster zog sie die kleine Waffe – ihre Colt Model 1908 Vest Pocket – und richtete diese auf das Gesicht des Agenten. Akai schluckte. „Jodie“, begann er ruhig. „Was soll das?“, wollte er wissen. „Halt den Mund“, schrie sie. „Alles was du sagst, ist eine Lüge. Alles…“ Shuichi atmete ruhig ein und aus. Er zeigte keine Angst. „Das hier ist kein Test, Dai“, entgegnete die Amerikanerin. „Ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass du die Organisation infiltriert hast, um sie zu zerstören. Ich weiß, dass du ein Agent bist und ich weiß auch, wer dein Kontaktmann ist. Aber nicht mit mir. Du glaubst, du mir was vormachen? Nein…ganz und gar nicht. Ich werde…ich werde…“ „Was wirst du, Jodie?“, fragte der FBI Agent. Jodie schluckte. „Du fühlst dich sicher, weil mir keiner glauben wird. Aber das macht nichts“, erklärte sie. „Ich werde mich jetzt um dich kümmern und wenn ich dich erschießen muss, dann ist das kein Problem. Du vergisst wer ich bin, ich weiß, wie ich deine Leiche verschwinden lassen kann.“ „Du wirst mich nicht erschießen“, sagte der Agent wieder mit ruhiger Stimme. „Ach ja? Das glaubst auch nur du“, kam es sofort von Jodie. „Du wirst gleich sehen, dass ich das mache…ich mache es….ich mache es…“ Akai schüttelte den Kopf. „Und warum weinst du dann?“, wollte er wissen. „Ich weine nicht“, gab Jodie von sich. „Ich weine nicht…“ Shuichi legte seine Hand an ihre Wange und wischte die Tränen weg. „Lass das…“, wisperte sie. „Ich weine…nicht…ich…“ „Lass uns in Ruhe über alles reden, ja?“, fragte Akai. Jodie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht“, murmelte sie und stand langsam auf. „Ich kann…nicht…ich…“ „Jodie, das…“ Shuichi erhob sich ebenfalls. „Sei still“, schrie sie ihm entgegen. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Als sie sie wieder öffnete und in das Gesicht des Agenten blickte, machte sie einen Schritt nach hinten. „N..nein…“, fügte sie leise hinzu und lief aus dem Zimmer und aus der Wohnung. Die gebürtige Amerikanerin schluckte. Hatte sie es tatsächlich gewusst? War sie eine Mitwisserin? Hatte sie es dann ihren Eltern erzählt? Jodie konnte nicht mehr geradeaus denken. Was war damals nur passiert? Warum hatte sie gekniffen? Warum konnte sie ihn nicht erschießen und alles verhindern? Jodie weitete ihre Augen. Sie hatte Mitschuld am Tod ihrer Eltern. Das Haus ihrer Eltern brannte. Hell und lichterloh. Jodie weitete ihre Augen. Etwas Schlimmes musste passierte sein, aber sie konnte sich keinen Millimeter bewegen. Dann sah sie einen Schatten auf sich zukommen und…hielt ihre Hand auf den Bauch gedrückt. Dennoch sickerte Blut aus der Wunde. Ihr tat alles weh. Hilfesuchend sah sie nach hinten, versuchte einen Blick durch die Scheibe zu erhaschen und merkte dann aber den Blick auf ihren Körper. FBI Special Agent Shuichi Akai musterte sie mit seinen tiefgrünen Augen. An Jodies Händen klebte Blut: ihres und das ihrer Eltern. Und auch wenn sie selbst dem FBI Agenten zum Opfer fiel, fühlte sie sich nicht besser. Wie in einem schlimmen Traum drehte sich der Wagen auf dem Asphalt und landete letzten Endes auf dem Dach. Der Airbag hatte Jodie auf ihren Sitz gepresst und fiel Sekunden später in sich zusammen. Allein durch den Sicherheitsgurt hing sie kopfüber auf dem Platz. „Mhm…“, gab Jodie leise von sich. Sie stöhnte schmerzerfüllt auf. Langsam öffnete sie ihre Augen und brauchte einen Moment um die Situation zu erfassen. Nicht nur ihr Kopf, auch ihr gesamter Körper schmerzte. „Was…was ist…passiert?“, wollte sie leise wissen. „Der Wagen hat sich überschlagen“, erklärte Akai. Kurz darauf humpelte Jodie alleine vom Unfallort weg. Die Anstrengung war ihr ins Gesicht geschrieben und wenige Sekunden später wurde der Ort durch das Scheinwerferlicht eines anderen Fahrzeuges erhellt. Vermouth – Chris Vineyard – stieg aus. Endlich nahm sie ein vertrautes Gesicht wahr. Dennoch ahnte Jodie, dass Gefahr in der Luft lag. Wo war der fremde Mann? Hatte er sich nur versteckt und wartete auf seine Chance? Jodie machte einen Schritt nach hinten. Ein Schuss fiel. Sie taumelte und als der zweite Schuss fiel, ging Jodie zu Boden. Jodie sah nach oben in den Himmel. War das ihr Ende? Sie atmete schwer und hatte keine Kraft mehr um aufzustehen oder um zu kämpfen. Jodie hustete Blut. „Der Unfall ist nicht spurlos an dir vorbei gegangen. Wahrscheinlich hast du innere Blutungen…“ Jodie beobachtete Vermouth. „Er ist weg.“ Vermouth sah nach hinten zu Calvados. „Hast du auch alles gründlich durchsucht?“ „Selbstverständlich. In Anbetracht an den Unfall und die Zeit, die er weg ist, habe ich den Suchradius berechnet. Die quietschten Reifen die ich gehört habe, passen zu einer Flucht.“ „Ich verstehe. Er hat Jodie ihrem Schicksal überlassen.“ Unweigerlich lief ihr eine Träne über die Wange. „Jetzt wein doch nicht“, sagte Vermouth. Sie kniete sich zu ihr runter. „Deine Wunden werden versorgt werden.“ Jodie legte sich die Hand über den Mund. Sie zitterte. Shuichi hatte sich keinen Millimeter bewegt. „Was willst du eigentlich von mir, Dai?“, fragte die Amerikanerin etwas lauter. „Du tauchst auf dem Parkplatz auf und spielst dich als mein Retter auf. Und dann diese merkwürdigen Fragen.“ Jodie verengte die Augen und bugsierte ihn zum Sofa. Sie stieß ihn darauf und stützte sich mit dem Knie zwischen seinen Beinen ab. Sie stand über ihn gebeugt und beobachtete ihn skeptisch. „Wer bist du wirklich, Dai? Spionierst du uns aus? Arbeitest du für die Polizei? Die Sicherheitspolizei? Brauchst du belastbares Material?“, wollte sie wissen und riss in einem Ruck sein Hemd auf. Sie erwartete ein Abhörgerät, fand aber nichts vor. Akai richtete sich leicht nach vorne. Sein Gesicht kam ihrem immer näher und irgendwann spürte sie seinen warmen Atem neben ihrem Ohr. „Wenn ich ein Spion wäre, würde ich mich besser anstellen“, hauchte er ihr zu. Dann begann er sie leidenschaftlich zu küssen. Und sie erwiderte. Es hatte bereits vorher zwischen ihnen geknistert. Ein Moment hier. Einen Moment dort. Und wenn er sie aus einer anderen Perspektive beobachten konnte, wirkte sie traurig und verletzlich. Auch wenn sie sich selbst als Mitglied der Organisation sah, wollte sie nur ein normales Leben führen. Ein Leben ohne fragwürdige Dienste. Und er wollte ihr zu diesem Leben verhelfen und sie retten. Aber als es schließlich soweit war, war alles schief gegangen. Er hatte sie gehen lassen müssen. „An ihrem Lagerhaus werden sie uns…vielleicht erwarten. Am besten ist es, wenn du…wenn du die Wege zwischen den Lagerhäusern und Containern…nimmst. Geh nicht immer geradeaus…lauf Umwege, dann kommst du zur Straße.“ „Wir“, entgegnete Akai und legte seine Hände an ihre Schultern. „Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier allein zurücklasse. Ich weiß, dass unsere Chancen sehr gering sind und je länger wir hier bleiben und nichts tun, desto schneller finden sie uns“, fügte der Agent hinzu. „Also? Wohin gehen wir?“ Jodie lächelte. „Dai“, sprach sie leise. „Shuichi“, antwortete er. „Nenn mich, Shuichi.“ Sie nickte. „Ich…ich hab dich vorhin angelogen“, begann sie leise. „Die Kugel hat mich nicht nur gestreift…Ich bin dir jetzt…“ „Schh…“ Er legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen. „Das hab ich doch bemerkt“, fügte er hinzu und brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. Als er ihn wenige Sekunden später löste, strich er ihr über die Wange. „Ich lass dich sicher nicht zurück.“ „Du musst“, gab Jodie von sich. „Ansonsten überlebt keiner von uns. Dai…nein, Shuichi…du hast bessere Chancen als ich. Und…vielleicht schaffe ich es auch raus. Aber…dafür müssen wir uns für die Flucht trennen. Wenn wir unterschiedliche Richtungen einschlagen…“ Akai schluckte. „Du versprichst mir, dass du nicht hier bleibst und dich opferst, ja? Ich will, dass du ebenfalls versuchst zu entkommen.“ Jodie nickte. „Natürlich“, fing sie an. „Ich nehme einen anderen Weg. Auch wenn meine Wunde schmerzt…ich werde mich in einem der Lagerhäuser verschanzen und dort warten, bis die Luft rein ist. Wenn ich…sicher bin, dass hier keiner mehr ist, melde ich mich bei dir. Ansonsten musst du morgen früh herkommen…dann beginnen wieder die Arbeiten und…sie werden nicht zuschlagen…“ „Warum habe ich nur das Gefühl, dass du mir gerade Lebewohl sagst?“, wollte er wissen. Jodie schüttelte den Kopf. „Mach dir darum keine Sorgen…wir werden uns wiedersehen. Und jetzt geh. Sie werden bald hier sein.“ Shuichi löste sich von ihr. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, aber Jodie hatte Recht. Gingen sie zusammen, hatten sie keine Chance. „Ich tu das wirklich nicht gerne…“ „Ich weiß“, murmelte die Amerikanerin. „Geh jetzt…bitte…sonst…“ Der Agent machte ein paar Schritte nach hinten, dann lief er auf ein Lagerhaus zu. Ehe er in dem Gang zwischen den Häusern verschwand, blickte er sich zu Jodie um, lief dann aber weiter. Als der erste Schuss fiel, blieb Akai stehen. Der Schuss hallte in seinem Kopf nach und seine Augen waren geweitet. Er machte sich sofort auf den Weg zurück. Als er dem Unfallort immer näher kam, wurde er langsamer. Auch wenn seine Sorge um Jodie groß war, musste er sich an den Feind heranpirschen und nicht überstürzt handeln. Akai zog seine Waffe heraus. Der Lauf war durch den Unfall etwas gebogen, doch es stellte kein Problem dar, wenn er den neuen Flugwinkel der Kugel miteinkalkulierte. Dann würde seine Waffe ihren Dienst nicht versagen. Für Shuichi verging eine gefühlte Ewigkeit, ehe er am Unfallort wieder ankam. Er drückte sich gegen die Wand des Lagerhauses und sah den beiden Frauen zu. Akai biss sich auf die Unterlippe. Gerade als er seine letzten Reserven mobilisierte, fiel der zweite Schuss und Jodie ging zu Boden. Shuichi sah dem Szenario geschockt zu. Es lief wie in Zeitlupe ab und er hatte das Gefühl, sich nicht bewegen zu können. Shuichi schüttelte den Kopf und versuchte die Erinnerungen an seine Jodie zu verdrängen. Denn er war sich sicher, die Frau, die vor ihm stand, war jemand anderes. Jemand, der von der Organisation geschickt wurde, um ihn umzubringen. Akai biss sich auf die Unterlippe. Sie zogen sämtliche Register und schickten die Frau, die seine Schwachstelle war. Und das konnte nur heißen, dass er ihr gegenüberstand: Vermouth. „Was willst du hier?“, fragte er kühl. Doch er spürte, dass seine Stimme bei jedem Wort zitterte. Der Anblick von Jodie traf ihn tief ins Mark. Jodie kämpfte gegen ihre Tränen und machte einen Schritt nach hinten. „D…dai…“, wisperte sie. „Du bist…Dai…Shuichi…“ „Was?“ Shuichi sah sie schockiert an. „Hör auf damit“, fügte er an. Er ging auf sie zu und ballte die Faust. „Hör auf so zu tun, als wärst du Jodie. Hör auf, Chris Vineyard!“ Jodie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht…“, flüsterte sie, drehte sich um und lief los. Auch wenn sie nicht wusste, wie sie wieder zum Hotel kam, wollte sie nur noch weg. Und sie musste Amuro finden. Akai weitete seine Augen. Hatte er sich geirrt? War das gar nicht Vermouth? Konnte es sich bei der Frau tatsächlich um seine Jodie handeln? Hatte sie jenen Abend vor einem Jahr wirklich überlebt und nach ihm gesucht? Aber warum ausgerechnet jetzt? Und warum floh sie vor ihm? Ohne weiter darüber nachzudenken, setzte er sich in Bewegung. „Jodie“, rief er ihren Namen. „Bitte warte.“ Selbst wenn er in eine Falle der Organisation lief, musste er ihr einfach hinterher. Er wollte sie noch einmal berühren, sie im Arm halten und mit ihr reden. Er wollte sich bei ihr für damals entschuldigen und – wenn sie sich immer noch in den Klauen der Organisation befand – sie retten. Shuichi stoppte und sah sich um. Der Central Park im Zentrum von Manhattan war groß und bot die Möglichkeit über verschiedene Ein- und Ausgänge unbemerkt zu verschwinden. Und wenn das nicht der Fall war, konnte man sich inmitten der Menschenmenge tarnen und untertauchen. „Wo bist du?“, fragte der FBI Agent. Auf einmal drehte sich alles und sein Kopf schien zu explodieren, sodass er auf die Knie gehen musste. Kapitel 11: Schockmoment ------------------------ Shuichi kniete auf dem Boden und versuchte Herr über seinen Schwindel zu werden. Es drehte sich alles und langsam wurde ihm übel. Die Blicke der Menschen ignorierte er – wahrscheinlich hielten sie ihn sowieso für einen Drogenabhängigen, der seinen nächsten Schuss brauchte. Akai atmete schwer und schnell. Jodie hatte ihn vollkommen aus der Bahn geworfen. Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Trotzdem rief alles in ihm: Gefahr! Falle! Und doch wollte er sie wiedersehen. Er musste sie wiedersehen. So schnell wie möglich. Mit ihr sprechen und sie berühren. Er musste erfahren, was damals passiert war und warum sie ausgerechnet jetzt nach Amerika kam. War es wegen ihm? Oder wegen der Organisation? Brauchte sie Hilfe oder wollte sie einfach nur nach Hause? Und wenn es sich um Vermouth handelte, musste er ihr zuvorkommen und zum finalen Schlag ausholen. Er würde nicht aufgeben. Solange er lebte, solange würde er die Organisation jagen und jeden von ihnen zur Strecke bringen. Komme was wolle. Shuichi zählte lautlos bis zehn – etwas das er bei seinem Therapeuten gelernt hatte. Das FBI arbeitete standardmäßig mit mehreren Psychologen zusammen und setzte diese auch bei belanglosen Fällen ein. Je länger man im Dienst war, desto mehr schlimme Sachen sah und erlebte man. Nicht jeder Fall ging glimpflich aus. Manchmal verlor man einen Schützling oder fand mehr Opfer als gedacht. Wenn man nicht aufpasste, wurde man oder der eigene Partner verletzt. Schwer verletzt. Tödlich verletzt. Es gab Sachen oder Situationen, die einen zur Verzweiflung trieben, den Schlaf raubten und in die Isolation führten. In solchen Situationen durfte man erst nach psychologischer Beratung und Bestätigung wieder in den aktiven Dienst zurück kehren. Das eigene Wort zählte nicht – auch wenn man selbst glaubte, mit der Situation klar zu kommen. In den ersten Tagen fand sich Akai immer häufiger auf dem Schießübungsplatz wieder und verbesserte seine Fertigkeiten oder kümmerte sich um den ganzen Papierkram der liegen blieb. Auch wenn er es nie zugeben würde, taten ihm die gezwungenen Gespräche mit dem Therapeuten gut. Aber sobald er diensttauglich geschrieben wurde, hörten die Sitzungen auf. Jetzt aber wünschte er sich eine Person zum Reden und jemanden, der Verständnis für seine Situation hatte und nicht zum FBI gehörte oder einen Bericht dorthin senden würde. Shuichi atmete wieder besser und blickte sich um. Alles wirkte wie immer – die Menschen schienen sich nichts mehr aus seinem Anblick zu machen und spazierten vergnügt durch den Park. Einige genossen das Wetter, andere liefen neben ihrem Hund und ein paar andere waren mit ihrem Partner unterwegs. Händchen halten, Küssen, Lachen…Shuichi beneidete sie deswegen und wünschte sich in der Zeit zurück versetzt. Aber es ging nicht. Das Leben ging weiter – auch seines. Irgendwie zumindest. Und jetzt wo Jodie wieder auftauchte, hatte er einen neuen Sinn entdeckt. Eigentlich stellte er gerade ein gutes Ziel für die Organisation dar und doch verspürte er keine Angst. Er wusste, dass ihm nichts geschehen würde und trotzdem zuckte er zusammen, als er die Hand auf seiner Schulter spürte. Akai sah nach oben. Er bewegte seine Lippen und merkte das Zittern. Es brauchte einen Moment bis er sich zusammen riss. „Camel“, sagte er. „Akai“, antwortete der FBI Agent. „Was ist passiert? Hast du jemanden verfolgt und bist gestürzt?“ Als ob mir das passieren würde, dachte sich der Agent. Shuichi schüttelte den Kopf und stand langsam auf. Er hatte ein Jahr an seiner Fassade gearbeitet und durfte nicht zulassen, dass diese nun bröckelte. Wenn bekannt werden würde, wie es ihm tatsächlich ging, würde jeder an seinem Verstand zweifeln und möglicherweise musste er erneut auf therapeutische Unterstützung zurückgreifen. Aber das hieße auch, dass er erst einmal nicht weiter gegen die Organisation ermitteln durfte. Akai atmete tief durch und versuchte seine Gefühle wieder zu unterdrücken, auszuschalten und zu verdrängen – so wie immer. Aber wie sollte er das jetzt noch schaffen? Jodie hatte ihn aus dem Takt gebracht und sorgte auch im Nachgang für Verwirrung. „Hast…hast du sie gesehen?“, wollte er leise wissen. „Sie?“ Camel blickte sich irritiert um. „Wen meinst du? Ist hier jemand von…du weißt schon?“, fragte er. „Von ihnen? Ist Vermouth in der Nähe?“ Sie war eines der Mitglieder, welches Amerika seit einem Jahr mied und immer wieder erwartet wurde. „Schon gut“, gab Akai von sich. „Hab mich wohl geirrt“, fügte er hinzu und klopfte sich die Hose sauber. „Eh?“, murmelte Camel. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Du siehst etwas blass aus.“ „Es ist nichts“, antwortete Akai. „Gehen wir zurück ins Büro.“ Camel kratzte sich irritiert an der Wange. „Hast du nicht schon Feierabend gemacht?“ „Mhm? Ist doch egal“, entgegnete Shuichi. „Besorg mir doch bitte die Passagierliste der letzten Flüge von Japan nach New York.“ „Eh?“ „Am besten rückblickend bis zur letzten Woche. Und es soll kein Flughafen ausgelassen werden.“ „Hast du einen Verdacht?“, wollte Camel wissen. „Glaubst du, sie haben jemanden geschickt, den wir kennen?“ „Ich kann dir nicht viel dazu sagen“, antwortete Akai. „Ich möchte aber etwas Überprüfen. Wahrscheinlich nur Einbildung, aber mein Bauchgefühl spricht eine andere Sprache.“ „Ja…gut“, murmelte Camel, wissend, dass man Akais Bauchgefühl nicht in Frage stellen sollte. „Allerdings wird die Abfrage mindestens einen Tag in Anspruch nehmen. Ich muss jeden Flughafen informieren und begründen warum ich die Liste brauche. Wir müssen auch damit rechnen, dass sie bei unseren Vorgesetzten nachfragen.“ Shuichi nickte. „Lass dir etwas einfallen…nationale Sicherheit oder sowas“, entgegnete der Agent. „Bring mir die Liste so schnell wie möglich ins Büro“, fügte er hinzu und machte sich auf den Weg. Kaum das er oben angekommen war, startete er seinen Computer und begann die Recherche in den Datenbanken der Medien. Akai biss sich auf die Unterlippe und musste unbedingt herausfinden, ob Chris Vineyard ins Land zurück kam. Und wenn ja, wo sie sich aufhielt und welche beruflichen Pläne dahinter steckten. Doch auch nach einer dreiviertel Stunde blieb das Ergebnis das gleiche: Chris Vineyard hielt sich weiterhin in Japan auf und hatte sich vom Showbusiness zurück gezogen. Akai schnaubte und hoffte auf neue Informationen durch die Passagierlisten. Dennoch wusste er, dass er nur mit einem mäßigem Erfolg rechnen konnte. Selbst wenn sie nicht drauf stand, konnte sie durch eine Privatmaschine eingeflogen werden oder über andere Wege – wie ein Schiff – ins Land einreisen. Dieses Mal würde er ihr nicht den Sieg überlassen und mit allem rechnen, jetzt, wo er wusste, wie gefährlich die Organisation war. Jodie lief und lief solange sie ihre Beine tragen konnten. Irgendwann sah sie nach hinten und merkte, dass niemand hinter ihr her war. Sie wurde langsamer und legte die Hand an ihre Brust. Ihr Herz schlug viel schneller als sonst und auch ihr Atem ging unregelmäßig. Wieso war sie auch aus dem Hotel gegangen und hatte sich die Gegend angesehen? Warum konnte sie nicht wie jeder andere auf dem Zimmer bleiben und warten bis Amuro ihr die Stadt zeigte? Stattdessen hatte sie unbedingt an die frische Luft gewollt und das Chaos nahm seinen Lauf. Sofort als sie Akai sah, hätte sie die Flucht ergreifen sollen. Aber ihre Beine bewegten sich nicht. Sie konnte ihn nur noch anstarren und wurde mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Bilder, die sie bisher nicht kannte. Jodie wurde übel. Wie sollte sie ihren Fehler vor der Organisation erklären? Welche Rechtfertigung gab es dafür, dass sie den Auftrag in den Sand setzte? Und was sollte sie jetzt noch tun um für Schadensbegrenzung zu sorgen? Vermouth wäre enttäuscht von ihr und auch Amuro, der extra wegen dem Auftrag her kam, würde sich von ihr abwenden. Aber da war noch eine Sache, die sie sich nicht erklären konnte. Kaum das sie den FBI Agenten sah, tauchten neue Bilder vor ihrem geistigen Auge auf. Bilder und Szenen an die sie sich nicht mehr erinnern konnte. Die junge Amerikanerin schloss die Augen und rief sich diese Bilder wieder in Erinnerung. Akai lag auf dem Boden und sah Jodie irritiert an. „Jodie?“ Er hatte sich etwas aufgerichtet. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Sie blickte ihn an. Verletzt und wütend. Ehe sie sich versah, war ihre Fassade eingestürzt und Jodie saß rittlings auf ihm. Aus ihrem Knöchelholster zog sie die kleine Waffe – ihre Colt Model 1908 Vest Pocket – und richtete diese auf das Gesicht des Agenten. Akai schluckte. „Jodie“, begann er ruhig. „Was soll das?“, wollte er wissen. „Halt den Mund“, schrie sie. „Alles was du sagst, ist eine Lüge. Alles…“ Shuichi atmete ruhig ein und aus. Er zeigte keine Angst. „Das hier ist kein Test, Dai“, entgegnete die Amerikanerin. „Ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass du die Organisation infiltriert hast, um sie zu zerstören. Ich weiß, dass du ein Agent bist und ich weiß auch, wer dein Kontaktmann ist. Aber nicht mit mir. Du glaubst, du mir was vormachen? Nein…ganz und gar nicht. Ich werde…ich werde…“ „Was wirst du, Jodie?“, fragte der FBI Agent. Jodie schluckte. „Du fühlst dich sicher, weil mir keiner glauben wird. Aber das macht nichts“, erklärte sie. „Ich werde mich jetzt um dich kümmern und wenn ich dich erschießen muss, dann ist das kein Problem. Du vergisst wer ich bin, ich weiß, wie ich deine Leiche verschwinden lassen kann.“ „Du wirst mich nicht erschießen“, sagte der Agent wieder mit ruhiger Stimme. „Ach ja? Das glaubst auch nur du“, kam es sofort von Jodie. „Du wirst gleich sehen, dass ich das mache…ich mache es….ich mache es…“ Akai schüttelte den Kopf. „Und warum weinst du dann?“, wollte er wissen. „Ich weine nicht“, gab Jodie von sich. „Ich weine nicht…“ Shuichi legte seine Hand an ihre Wange und wischte die Tränen weg. „Lass das…“, wisperte sie. „Ich weine…nicht…ich…“ „Lass uns in Ruhe über alles reden, ja?“, fragte Akai. Jodie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht“, murmelte sie und stand langsam auf. „Ich kann…nicht…ich…“ „Jodie, das…“ Shuichi erhob sich ebenfalls. „Sei still“, schrie sie ihm entgegen. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Als sie sie wieder öffnete und in das Gesicht des Agenten blickte, machte sie einen Schritt nach hinten. „N..nein…“, fügte sie leise hinzu und lief aus dem Zimmer und aus der Wohnung. Jodie öffnete ihre Augen. Sie verspürte den gleichen Schmerz wie damals. Aber warum? Warum hatte es sie nur so sehr verletzt, seine wahre Identität zu erfahren? Hatte sie ihn damals geliebt und war von ihm betrogen worden? Jodie kamen die Tränen. Warum hatte Vermouth ihr nichts darüber gesagt? Oder wusste sie es gar nicht? „Was soll das?“, wisperte Jodie leise und kämpfte gegen ihre Tränen. „Warum nur? Warum?“ Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung und stieß prompt mit einer anderen Person zusammen. „Aua…“ Jodie landete unsanft auf ihrem Hintern und sah nach oben. „Oh, Entschuldigung“, begann der Mann. „Ich hab Sie gar nicht…“ Er verstummte plötzlich und starrte sie an, als hätte er einen Geist gesehen. Jodie erwiderte den Blick. „Du“, fing er an und schluckte. „Du bist…du bist hier…“, gab er bleich von sich. Er schüttelte den Kopf. „Nein, das kann nicht…das kann nicht sein…“, wiederholte er. Er schüttelte den Kopf. „Lass mich…lass mich in Ruhe…“ Er drehte sich um und lief los. Jodie blieb irritiert zurück und stand langsam auf. „Wer war das?“, fragte sie sich selbst. Kannte sie ihn auch? War er auch ein FBI Agent? Aber warum war er dann vor ihr weggelaufen? Keine Zeit um mir jetzt darüber Gedanken zu machen. Akai ist wichtiger, sagte sie zu sich selbst und machte sich wieder auf den Weg. Jodie war erleichtert, als sie wenige Minuten später ein Schild erblickte, welches zum Hotel führte. Die letzten Meter lief Jodie zum Hotel und trotzdem war sie darauf bedacht, dass ihr niemand folgte. Als sie vor dem Eingang das Gesicht von Amuro erblickte, musste sie Lächeln. Sie hob winkend die Hand und blieb vor ihm stehen. „Da bin ich wieder“, begann sie. „Das seh ich“, gab er von sich und sah sich um. „Ich hoffe, dir ist keiner gefolgt.“ „Eh?“ Jodie blickte ihn irritiert an. „Mir ist keiner gefolgt“, sagte sie dann. „Gut.“ Amuro packte sie am Arm. „Und jetzt komm rein, wir müssen unbedingt reden und dann erklärst du mir, was der Unsinn sein sollte.“ „Was…was meinst du?“, fragte Jodie leise. Wusste er was passiert war? Und wenn ja, wie hatte er davon erfahren? „Drinnen“, gab er von sich und zog sie zurück ins Hotel. „Und wehe du machst einen Aufstand oder etwas Anderes, was die Aufmerksamkeit auf uns zieht.“ Kapitel 12: Schadensbegrenzung ------------------------------ „Aua“, murmelte Jodie. „Du tust mir weh“, fügte sie leicht quengelnd hinzu. Amuro lockerte seinen Griff und betrat mit Jodie den Aufzug. Als er sie los ließ, rieb sie sich den Arm. Dabei hatte er nicht einmal richtig zugepackt. Mies gelaunt wartete er bis die Türen aufsprangen und marschierte auf seine Zimmertür zu. Er öffnete diese und schob Jodie dann unsanft rein. Wütend schloss Amuro die Tür und beobachtete die junge Amerikanerin. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“ Jodie ging in die Mitte des Raumes. Sein Zimmer ähnelte ihrem, allerdings lagen auf seinem Bett bereits ein Laptop und ein paar Unterlagen herum. „Ich weiß immer noch nicht, was du meinst“, gab sie leise von sich und sah sich im Zimmer um. Automatisch versuchte sie alle möglichen Fluchtwege in Erfahrung zu bringen. „Ach ja?“, kam es von Amuro. Er ging an Jodie vorbei und nahm den Laptop vom Bett. Einige Sekunden tippte er auf der Tastatur, ehe er ein Video startete und den Bildschirm seiner neuen Partnerin vor das Gesicht hielt. Mittlerweile kam er sich wie ein unterbezahlter Babysitter vor. Shuichi schüttelte den Kopf. „Was willst du hier?“, fragte er kühl. „D…dai…“, wisperte Jodie. „Du bist…Dai…Shuichi…“ „Was?“ Shuichi sah sie schockiert an. „Hör auf damit“, fügte er an. Er ging auf sie zu und ballte die Faust. „Hör auf so zu tun, als wärst du Jodie. Hör auf, Chris Vineyard!“ „Ich kann das nicht…“, flüsterte sie, drehte sich um und lief los. Die gesamte Strecke wurde aufgezeichnet und nachdem Jodie stehen blieb, stand sie schon bald einer zweiten Person gegenüber. Einem Mann, denn ihre Erinnerungen noch nicht zuordnen konnten. „Was soll das?“, wisperte Jodie leise und kämpfte gegen ihre Tränen. „Warum nur? Warum?“ Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung und stieß prompt mit einer anderen Person zusammen. „Aua…“ Jodie landete unsanft auf ihrem Hintern und sah nach oben. „Oh, Entschuldigung“, begann der Mann. „Ich hab Sie gar nicht…“ Er verstummte plötzlich und starrte sie an, als hätte er einen Geist gesehen. „Du“, fing er an und schluckte. „Du bist…du bist hier…“, gab er bleich von sich. Er schüttelte den Kopf. „Nein, das kann nicht…das kann nicht sein…“, wiederholte er. Er schüttelte den Kopf. „Lass mich…lass mich in Ruhe…“ Er drehte sich um und lief los. Jodie blieb zurück und stand auf. „Wer war das?“, fragte sie sich selbst. Bourbon beendete die Videoaufnahme, klappte den Laptop zu und legte ihn zurück auf das Bett. „Also? Was hast du dazu zu sagen?“ Jodie schluckte. „Ich…“, fing sie leise an und realisierte erst jetzt, dass sie von der Organisation überwacht wurde. Jodie sah runter auf ihre Handtasche. „Ihr…ihr habt mich…“, wisperte sie. „Das diente nur zu deiner eigenen Sicherheit“, entgegnete Amuro. „Es war meine Entscheidung und wie ich jetzt gesehen habe, war es auch die Richtige.“ Bourbon verschränkte die Arme vor der Brust. „Was dachtest du dir nur dabei? Wolltest du, dass uns Akai auf die Spur kommt?“ „Ich…“ Jodie wich einen Schritt nach hinten und sah sich hilfesuchend um. „Ich…ich konnte doch nicht wissen, dass er ausgerechnet dort sein würde“, begann sie. „Du weißt, dass ich mich hier nicht auskenne.“ Amuro schüttelte den Kopf. „Bevor du an einem fremden Ort nach draußen gehst, solltest du dich über die Umgebung informieren. Um Akai besser im Blick zu haben, habe ich absichtlich ein Hotel in der Nähe seiner Arbeitsstelle ausgesucht. Hättest du nur einmal auf die Karte gesehen, hättest du gewusst, dass jede andere Richtung für deinen kleinen Ausflug besser gewesen wäre. Nur deswegen war er in der Nähe und hat dich gesehen. Willst du, dass er vorbereitet ist?“ Jodie sah auf den Boden. „Jetzt schau nicht so. Es ist zu spät um sich Vorwürfe zu machen. Wir müssen uns jetzt so schnell wie möglich etwas Einfallen lassen.“ Amuro dachte nach. „Am besten bleibst du die nächsten Tage in deinem Zimmer. Lass dir das Essen nur vom Zimmerservice bringen und verlass nicht den Raum. Sollte er dich finden, kannst du über die Durchgangstür und mein Zimmer entkommen. Hast du das verstanden?“ Jodie sah wieder nach oben. „Glaubst du, er wird mich hier suchen?“, wollte sie wissen. „Akai ist nicht dumm. Wenn er dich gesehen hat, wird er auch nach dir suchen. Die logischste Schlussfolgerung ist, dass du dich in der Nähe eingemietet hast. Aber mach dir keine Sorgen, ohne einen richterlichen Beschluss oder eine Anordnung durch das FBI wird er an der Rezeption keine Informationen bekommen. Glücklicherweise hat er derzeit nichts gegen dich in der Hand. Also machen wir das Beste draus.“ „Es tut mir leid“, wisperte Jodie. „Ich hab mir wirklich nichts dabei gedacht. Ich wollte…einfach nur an die frische Luft und bin immer geradeaus gegangen. Erst als ich ihm gegenüber stand, merkte ich meinen Fehler.“ Bourbon schüttelte abermals den Kopf. „Lass gut sein. Wie gesagt, wir müssen jetzt Schadensbegrenzung betreiben. Ich werde versuchen es so aussehen zu lassen, dass er sich deine Anwesenheit nur eingebildet hat. In einigen Tagen jährt sich der Tag an dem er versucht hat…“ Bourbon brach ab. Jodie nickte und blickte wieder auf den Boden. „Ich weiß“, sagte sie leise. „Bald ist es ein Jahr her.“ „Kommst du damit klar?“, wollte das Organisationsmitglied wissen. „Geht schon“, nickte Jodie und atmete tief durch. „Das sollte für mich jetzt nicht das Problem darstellen. Wir müssen…schauen, dass Akai keinen Hinterhalt vermutet. Deswegen glaube ich auch, dass es besser wäre, wenn er glaubt, dass es nur Einbildung war. Außerdem hat er gedacht, er stünde Chris gegenüber. Vielleicht kann uns das ja auch helfen, wenn wir ihn in die Falle locken wollen.“ „Gut möglich“, entgegnete Bourbon. „Aber eine andere Sache macht mir etwas mehr Sorgen.“ Er beobachtete Jodie. „Der Mann, der dich sah. Er sah aus, als hätte er einen Geist gesehen. Wer war er? Woher kennst du ihn?“ „Ich…ich weiß es nicht“, antwortete Jodie betrübt. „Es wirkte so, als würde er mich kennen. Aber…aber ich kenne ihn nicht. Ich hatte zwar das Gefühl, dass ich ihn schon einmal gesehen habe, aber ich kann ihn einfach nicht zuordnen.“ „Mhm…“, grübelte Amuro. „Vielleicht gehört er auch zum FBI? Ich könnte doch damals auch zu ihm Kontakt gehabt haben“, sagte sie. „Tut er nicht“, kam es sofort von dem Organisationsmitglied. „Würde er es, hätte er ganz anders auf deine Erscheinung reagiert. Stattdessen sah es aber so aus, als hätte er vor dir Angst gehabt.“ „Mhm…jetzt wo du es sagst.“ „Gut, ich werde versuchen ihn zu identifizieren. Aus dem Video kann ich ein Foto extrahieren und es nach Japan schicken. Spätestens morgen werden wir mehr Wissen.“ Er beobachtete Jodie. „Und du gehst jetzt auf dein Zimmer und bleibst dort bis ich dir andere Anweisungen gebe. Hast du verstanden? Oh und versuch bitte nicht die Kamera an deiner Tasche zu entfernen. Das würde ich merken und meine Reaktion darauf möchtest du nicht sehen. Außerdem musst du dir keine Sorgen machen, ich werde dich weder im Badezimmer beobachten noch während du schläfst.“ „Das heißt, andere Gegenstände sind nicht mit einer Kamera ausgestattet oder verwanzt?“, wollte Jodie wissen. „Genau“, log Amuro. Jodie wurde etwas Rot. „Ich würde…ich würde gern noch eine Sache wissen.“ „Mhm? Und was?“, fragte Amuro. „Als ich auf Akai traf…ich hatte das Gefühl, dass zwischen ihm und mir…mehr war als nur die Arbeit. Und daher hab ich mich gefragt…“ Amuro sah sie nachdenklich an. „Das stimmt“, begann er zögerlich. „Ich war mir bisher allerdings nicht sicher, ob ich dir davon erzählen sollte. Deswegen habe ich mich dagegen entschieden. Wir können ein schlechtes Gewissen von dir nicht gebrauchen.“ Jodie schluckte. „Habe ich…habe ich ihn geliebt?“ „Das kann ich dir nicht sagen“, antwortete er ruhig. „Die einzige Person, die das mit Bestimmtheit sagen kann, bist du selbst. Ich weiß nur, dass du dich ein paar Mal mit ihm getroffen hast und die Vermutungen angestellt hast, dass er ein Verräter ist. Aber er konnte deine Zweifel geschickt aus dem Weg räumen und hat dich um den kleinen Finger gewickelt. Dabei hat er dir Gefühle vorgespielt. Aber irgendwann hast du die Wahrheit herausgefunden und gewusst, dass er dich nur für seine Zwecke benutzt hat. Allerdings…“ Jodie schluckte. „…war es bereits zu spät…“ Bourbon nickte. „Er fühlte sich in Zugzwang und musste schnell handeln. Und kurz darauf waren wir froh, dass wir dich retten konnten.“ „Ich verstehe. Ich bin also Schuld, dass meine Eltern…“, gab Jodie leise von sich und schüttelte den Kopf. Sie versuchte die Gedanken zu entfernen. „Danke, dass du es mir erzählt hast. Ich werde jetzt in mein Zimmer gehen.“ Amuro nickte. „Wenn du reden willst, solltest du lieber Vermouth anrufen. Man sagt mir nach, das ich nicht sonderlich sensibel bin.“ Jodie versuchte gezwungen zu lächeln. „Gute Nacht“, murmelte sie und verließ das Zimmer. Amuro streckte sich und sah ihr nach. Er seufzte und setzte sich auf sein Bett. Manchmal hasste er seinen Beruf, aber er hatte geschworen Japan und seine Bewohner zu beschützen. Egal wie und egal zu welchem Preis. Und aus diesem Grund musste er nun handeln, auch wenn es hieß, dass er Menschen belügen musste. Außerdem hatte er Jodie nur die halbe Wahrheit erzählt, da zu einer guten Lüge immer ein Teil Wahrheit gehörte. Amuro griff nach dem Laptop und klappte ihn auf. Er ließ das Video ein weiteres Mal abspielen und stoppte rechtzeitig um mit seinem Handy ein Foto vom Gesicht des Mannes zu machen. Unverzüglich schrieb er eine Nachricht an Vermouth. Kennst du diesen Mann? Dass sie nicht sofort Antworten würde, war ihm klar, aber nach zwei Stunden wurde er langsam nervös und spähte immer wieder aus dem Fenster um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. Als das Telefon endlich klingelte, wirkte er erleichtert. „Ich bin dran“, meldete er sich bei seinem Gesprächspartner. „Der Mann heißt Leon Ackerman“, begann Vermouth. „Er ist vor sieben Jahren zum Studieren nach Japan gegangen und hat dort seine jetzige Ehefrau kennen gelernt. Natürlich liebt er sie nicht wirklich, aber da ihre Familie Geld hat, hat er dort eingeheiratet und macht sich seitdem ein schönes Leben.“ Vermouth leckte sich über ihre Lippen. „Sein eigentliches Beuteschema sind blonde Amerikanerinnen. Aus diesem Grund haben wir Jodie damals auf ihn angesetzt. Sie hat ein paar…nennen wir es mal…verwerfliche Fotos gemacht und ihn um einiges an Geld erleichtert.“ „Verstehe“, gab Bourbon von sich. „Wusstest du, dass er mittlerweile in den Staaten ist?“ „Ja“, antwortete sie. „Er lebt in New York. Selbstverständlich behalten wir jedes Opfer im Auge und wissen, wo sich wer aufhält. Der gute Ackerman hatte so große Angst, dass Jodie seiner Frau die Wahrheit steckt, dass er ihr Heimweh vorspielte. Aus Liebe ist sie schließlich mitgegangen. Warum fragst du?“ „Und du hast es nicht für notwendig gehalten, mir vorher diese Information zu geben?“ „New York ist groß.“ „Scheinbar nicht groß genug“, gab er von sich. „Er ist Jodie begegnet.“ „Oh. Was für ein interessanter Zufall.“ „Findest du?“, wollte Bourbon wissen. „Sie hat ihn nicht erkannt, aber er wusste genau, wem er gegenüber steht. Es könnte noch zu einem Problem werden, sollte er glauben, dass sie wieder an sein Geld will.“ „Das stimmt“, antwortete die Schauspielerin. „Aber du weißt ja, was in einem solchen Fall zu tun ist. Vorsicht ist besser als Nachsicht.“ Das Organisationsmitglied schmunzelte. „Wir sollen ihn zum Schweigen bringen, verstanden.“ „Gut.“ Vermouth grinste. „Ich verlasse mich auf dich. Gab es sonst etwas Auffälliges? Wie geht es unserer Kleinen?“ „Bestens“, gab Bourbon von sich. „Es läuft alles nach Plan. Wir sind jetzt im Hotel und werden die nächsten Tage ausgiebig nutzen. Akai wird schon sehr bald Geschichte werden.“ „Ausgezeichnet. Ich wusste, dass man sich auf dich verlassen kann“, sagte sie. „Und Bourbon? Ich weiß, ich muss es dir nicht sagen, aber mach keine Fehler.“ „Hältst du mich für einen Anfänger?“, wollte er wissen. „Ich melde mich, sollte es doch noch Komplikationen geben“, fügte er hinzu und legte auf. Amuro ballte die Faust. Nicht nur, dass er sich um Shuichi Akai kümmern musste, jetzt hatte er noch das Problem mit Leon Ackerman. Akai konnte er noch vertreten, schließlich würde sein Tod den Aufstieg bedeuten. Und der Aufstieg würde heißen, dass er weitere Hintermänner kennen lernte. Und irgendwann konnte er die Organisation endgültig vernichten. Bourbon tippte über die Tastatur und suchte alle Informationen über Leon Ackerman heraus. In seinem Kopf bildete sich ein Plan. Kleine Puzzleteilchen, die langsam das große Gesamtbild ergaben. „So könnte es gehen“, sagte er zu sich selbst. Kapitel 13: Zusammenstoß mit Bourbon ------------------------------------ Shuichi saß in seinem Büro und starrte auf die Liste zu seinen Händen. Sie war über 15 Seiten lang und enthielt nur Namen von Flügen die vor mehr als fünf Tagen stattfanden. Eigentlich hatte sich der FBI Agent mehr erhofft, aber er konnte Camel keinen Vorwurf machen. An Passagierlisten zu kommen, war keine einfache Sache und es brauchte schon einen guten Grund warum ein FBI Agent diese benötigte. Glücklicherweise arbeitete ein anderer Kollege an einem Fall und brauchte die Liste von den besagten Tagen. Unter einem Vorwand hatte Camel sie ihm abgeschwatzt und kopiert. Akai blätterte die Liste durch und öffnete anschließend die Suchmaschine des FBIs. Jede Person die je auffällig geworden war, würde er dort finden. Alle anderen Personen musste er versuchen über das Internet zu identifizieren. Es war zwar wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, aber er hatte endlich eine sinnvolle Aufgabe und konnte sich ablenken. Viel schlimmer wäre es gewesen, wenn er nur da sitzen würde, auf den Computer starrte und an seine letzte Begegnung mit Jodie denken musste. Jodie legte sich die Hand über den Mund. Sie zitterte. Shuichi hatte sich keinen Millimeter bewegt. Er schüttelte den Kopf und versuchte die Erinnerungen an seine Jodie zu verdrängen. Denn er war sich sicher, die Frau, die vor ihm stand, war jemand anderes. Jemand, der von der Organisation geschickt wurde, um ihn umzubringen. Akai biss sich auf die Unterlippe. Sie zogen sämtliche Register und schickten die Frau, die seine Schwachstelle war. „Was willst du hier?“, fragte er kühl. Doch er spürte, dass seine Stimme bei jedem Wort zitterte. Der Anblick von Jodie traf ihn tief ins Mark. Jodie kämpfte gegen ihre Tränen und machte einen Schritt nach hinten. „D…dai…“, wisperte sie. „Du bist…Dai…Shuichi…“ „Was?“ Shuichi sah sie schockiert an. „Hör auf damit“, fügte er an. Er ging auf sie zu und ballte die Faust. „Hör auf so zu tun, als wärst du Jodie. Hör auf, Chris Vineyard!“ Jodie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht…“, flüsterte sie, drehte sich um und lief los. Akai weitete seine Augen. Zig Fragen schossen ihm durch den Kopf. Hatte er sich geirrt? War das gar nicht Vermouth? Konnte es sich bei der Frau tatsächlich um seine] Jodie handeln? Hatte sie jenen Abend vor einem Jahr wirklich überlebt und nach ihm gesucht? Aber warum ausgerechnet jetzt? Und warum floh sie vor ihm? Ohne weiter darüber nachzudenken, setzte er sich in Bewegung. „Jodie“, rief er ihren Namen. „Bitte warte.“ Selbst wenn er in eine Falle der Organisation lief, musste er ihr einfach hinterher. Er wollte sie noch einmal berühren, sie im Arm halten und mit ihr reden. Er wollte sich bei ihr für damals entschuldigen und – wenn sie sich immer noch in den Klauen der Organisation befand – sie retten. Shuichi stoppte und sah sich um. Der Central Park im Zentrum von Manhattan war groß und bot die Möglichkeit über verschiedene Ein- und Ausgänge unbemerkt zu verschwinden. Und wenn das nicht der Fall war, konnte man sich inmitten der Menschenmenge tarnen und untertauchen. „Wo bist du?“, fragte der FBI Agent. Auf einmal drehte sich alles und sein Kopf schien zu explodieren, sodass er auf die Knie gehen musste. Der FBI Agent schüttelte den Kopf. Kaum hatte er sich einen kurzen Moment der Melancholie gegönnt, verfiel er schon den Erinnerungen. Doch er war Bundesagent und musste seine eigenen Belange zurückstecken und für das Wohl der Allgemeinheit agieren. Zumindest redete er es sich ein. Akai tippte einen Namen nach dem anderen in die Suchmaschine und notierte sich neben den Namen in der Liste wichtige Stichpunkte. Dennoch brachte ihm die mühsame Arbeit nichts. Weder ein Name noch der Hintergrund der Person enthielt einen Zusammenhang zu Jodie, Vermouth oder der Organisation. Shuichi ballte die Faust. Wenn es so weiter ging, würde er ohne Informationen dastehen und wer wusste schon, wann die Organisation ihren nächsten Schachzug plante? Es gab nur noch eine Sache die der FBI Agent tun konnte. Er musste vermehrt die Augen offen halten, hinter jeder Ecke einen Anschlag vermuten und sich noch mehr auf seine Intuition verlassen. Und wenn er Glück hatte, würde er Jodie eines Tages wiedersehen. Allerdings wusste er noch nicht, auf welcher Seite sie dann stehen würde. Aber eines war klar, früher oder später würde er das FBI informieren und Jodie zu ihnen bringen müssen. Und je nachdem wie sie sich verhielt, konnte es für alle beteiligten Personen böse enden. Wenn sich aber seine Befürchtung bewahrheitete und Vermouth hinter dieser Farce steckte, würde sich eine Katastrophe anbahnen. Shuichi ballte bei diesem Gedanken die Hand zu einer Faust und wurde durch das Öffnen seiner Bürotür wieder in die Realität geholt. Er blickte in das wutentbrannte Gesicht seines Vorgesetzten. „Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?“ „Mhm?“ Shuichi sah ihn beinahe gefühlslos an. „Was meinen Sie?“ „Sie wissen ganz genau, was ich meine“, antwortete Black. „Sie haben die Passagierlisten der letzten Flüge aus Japan angefordert. Was haben Sie damit vor?“ „Sie wissen doch, dass mich die Organisation regelmäßig in die Mangel nimmt“, begann Shuichi. „Ich möchte dieses Mal nur vorbereitet sein.“ Black verengte die Augen. „Und warum dann ausgerechnet die Passagierlisten?“ Shuichi zuckte mit den Schultern. „Ich verstehe nicht, was das Problem ist.“ „Sie wissen selbst, dass das Anfordern von Passagierlisten beim Flughafen immer zur Sorge führt und wir unsere Kompetenzen nicht missbrauchen dürfen.“ „Selbstverständlich“, gab Akai von sich. Black blickte nach hinten. „Agent Camel wird Ihnen die fehlenden Listen nicht besorgen können.“ Besagter Agent kam in den Raum. „Entschuldigung“, sagte er leise. „Schon gut.“ Shuichi sah zu seinem Vorgesetzten. „Das wird nicht wieder passieren.“ „Gut“, gab der Agent von sich. „Gibt es sonst noch etwas, das Sie mir sagen wollen? Akai, Sie wissen, ich habe immer ein offenes Ohr für Sie und Ihre Probleme.“ „Da gibt es nichts“, antwortete Akai. Black beobachtete seinen jungen Kollegen. „Wenn das so ist…“, murmelte er und drehte sich um. „Wenn doch, Sie wissen, wo Sie mich finden“, fügte er an und ging. Camel sah ihn erneut entschuldigend an. „Es tut mir wirklich leid“, sprach er. „Agent Black hat mich erwischt, als ich mit dem Flughafen telefoniert habe und dann konnte ich nichts mehr leugnen.“ Camel schluckte. „Ich bin dir immer ein Klotz am Bein…auch damals…“ „Kann man nicht mehr ändern“, entgegnete Shuichi ruhig und sah wieder auf seine Liste. „Ich habe sowieso die Vermutung, dass ich mit den Passagierlisten nicht weiterkomme. Wenn die Organisation hier ist, werden Sie ihre eigenen Mittel und Wege haben, um ins Land einzureisen.“ Camel nickte. „Hattest du einen begründeten Verdacht?“ Shuichi beobachtete seinen Kollegen einen Moment lang. „Ja, das hatte ich“, antwortete er. „Ich habe…“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich habe Jodie vor zwei Tagen gesehen.“ Agent Camel weitete die Augen. „Du hast…aber das…das kann doch nicht…“, murmelte er. „Ich hielt sie auch zuerst für Vermouth“, gestand der FBI Agent. „Aber so wie sie sich verhalten hat…“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Es kann eigentlich nur Jodie gewesen sein.“ Er seufzte. „Ich weiß, was du jetzt denkst. Der Tag jährt sich bald und sie müsste eigentlich tot sein. Aber vielleicht hat Jodie überlebt und ist jetzt aus irgendeinem Grund in den Staaten. Ich muss versuchen, sie wieder zu finden. Ich weiß, ich handel das erste Mal irrational.“ Camel sah ihn mitleidig an. „Bist du dir sicher, dass du sie...gesehen hast?“, wollte er leise wissen. „Ja, das bin ich. Ich kann sie mir nicht einfach eingebildet haben. Das geht nicht.“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Es war keine Einbildung“, wiederholte er. „Und deswegen muss ich sie wieder finden.“ „Ich verstehe“, gab Camel von sich. „Ich werde dir dabei helfen. Aber wenn sie tatsächlich hier eingereist ist und wenn die Organisation dahinter steckt…“ „…dann wird sie es nicht unter ihrem eigenen Namen getan haben. Ich weiß. Deswegen habe ich gehofft, dass ich in den Passagierlisten einen Anhaltspunkt finde.“ „Und jetzt?“ „Jetzt müssen wir unsere Augen und Ohren weiterhin offen halten und verstärkt auf unsere Umgebung achten“, sagte Shuichi und stand auf. „Du willst raus?“ Der Agent lächelte leicht. „Ich werde nichts an meinem Tagesablauf ändern, ansonsten würde es die Organisation nur stutzig machen.“ Camel nickte verstehend. „Dann sollte ich hier bleiben.“ „Mach das.“ Shuichi nahm seine Jacke und ging an ihm vorbei. Shuichi zündete sich draußen eine Zigarette an und machte sich langsam auf den Weg an den Hafen. Wie er es sich vornahm, achtete er noch stärker auf seine Umgebung. Seit er Jodie vor zwei Tagen sah, suchte er immer in seiner Mittagspause und zum Feierabend hin den Hafen auf. Innerlich wollte er die Hoffnung nicht aufgeben, dass sie irgendwann das gleiche täte. Dort angekommen, ließ er seinen Blick über das Meer schweifen und genoss für einen kurzen Moment die Kälte. Shuichi schloss die Augen und hörte wenige Sekunden später eine vertraute Stimme. Schlagartig öffnete er seine Augen und blickte sich um. Sofort erspähte er Amuro, der aus einem Gebäude kam und gute Laune hatte. „Das ist…“, wisperte er leise und verengte die Augen. Er beobachtete ihn sorgfältig und als keine Menschenseele in der Nähe war, kam er ihm schließlich entgegen. Jetzt war er sich sicher, dass Jodie auch hier war und dass die Organisation einen bestimmten Plan verfolgte. „Es ist lange her.“ Amuro blickte auf den FBI Agenten. „Kann man wohl so sehen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich so schnell hier wiedersehen würde.“ „So geht es mir auch“, entgegnete Shuichi ruhig. „Ich möchte, dass du mich begleitest. Du musst mir ein paar Fragen beantworten.“ Bourbon schmunzelte. „Und wenn ich das nicht freiwillig mache, was machst du dann?“ „Im Notfall muss ich Gewalt anwenden“, gab Akai von sich. „Die Befugnisse dafür besitze ich.“ „Tu dir keinen Zwang an“, fing Amuro an. „Ich bin gespannt, ob du im letzten Jahr etwas dazu gelernt hast.“ Er verengte die Augen. „Ich hab schon damals gerochen, dass du ein Spitzel bist. Dennoch ist es erstaunlich wie weit du gekommen bist und wie viele Menschen du täuschen konntest. Also? Worauf wartest du noch? Schlag endlich zu.“ Das ließ sich der FBI Agent nicht zweimal sagen. Sofort stürzte er auf Amuro und versuchte ihn mit gezielten Schlägen und Tritten zu Boden zu bringen. Amuro aber wehrte sie alle ab und ging zum Gegenangriff über. Sie schenkten einander nichts und wurden von ähnlichen Blessuren gepeinigt. Keiner kam dazu richtig durchzuatmen, aber nach einer Weile tummelten sich bereits die ersten Schaulustigen in ihrer Nähe. „Ich schlage vor, wir beenden die Sache jetzt“, kam es von Amuro. Shuichi schmunzelte. „Du gibst also auf? Umso besser für mich.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ Amuro sah sich um. „Hier sind zu viele Menschen und du weißt, wie sehr ich Publikum verabscheue. Aber mach dir keine Gedanken. Früher oder später werden wir uns schon wieder sehen.“ „Das vermute ich auch. Du weißt, dass ich dich jetzt nicht einfach so gehen lassen kann, nicht bevor ich eure Pläne kenne.“ „Was für ein Pech aber auch. Du solltest wissen, dass ich nicht einfach so alles ausplaudern werde. Oh ja…mit mir wirst du schon viel zu tun haben“, gab Amuro von sich. „Allerdings vermute ich, dass du nicht auf mich schießen wirst, um dein Ziel zu erreichen“, fügte er hinzu und lief direkt durch die Menschenmenge. Der Zusammenstoß mit Akai war zwar ein Zufall, aber er musste sein Glück nicht überstrapazieren und mit der Menge an Hafenarbeitern, gab es genügend Zeugen gegen ihn. Würden sie ihn verhaften, wäre er nie und nimmer aus der Situation herausgekommen und was noch viel schlimmer gewesen wäre, er und auch Jodie wären dem FBI in die Hände gefallen. Selbstverständlich konnte er auch nicht wissen, wie die Hafenmitarbeiter reagierten, wenn es zu einem noch erbitterten Kampf gekommen wäre. Also gab es nur eine Möglichkeit: Flucht. „Warte! Du verdammter…“ Akai versuchte ihm zu folgen, aber die Hafenarbeiter stellten sich ihm in den Weg. „Verdammt“, zischte der FBI Agent. Gerade als er sich entschloss seinen Dienstausweis zu zücken, sah er auf dem Boden ein Stück Papier. Shuichi entfernte sich von den Menschen und ging näher an das Stück Papier heran. Er kniete sich hin und nahm die Einladung – wie er auf dem zweiten Blick erkannte – entgegen. Er schmunzelte. „So so, da wollt ihr als nächstes zuschlagen. Dann wollen wir mal sehen, ob ich euch nicht zuvor kommen kann.“ Kapitel 14: Auf dem Schiff -------------------------- Jodie musterte sich im Spiegel und rümpfte die Nase. Sie strich sich die blaue Bluse glatter und zog eine weiße Jacke drüber. Anschließend wanderte ihr Blick auf den blau-weiß gestreiften Rock, der ihr gerade noch bis zu den Knien ging. Auf ihrem Kopf hatte sie eine braune Perücke und auf dieser die passende Matrosenmütze platziert. Es sah aus, als würde sie zu einer Halloween-Feier oder zu einem anderen Fest gehen wollen. Dennoch hätte sie diese Kleidung weder privat noch zu einer Feier angezogen, aber für die Organisation tat sie alles – fast alles. „Was ist?“, wollte Amuro wissen. Er saß auf Jodies Bett und beobachtete sie. „Ich fühl mich in den Sachen nicht so ganz wohl“, gestand sie. „Das musst du auch nicht“, sagte der junge Mann und musterte sie. „Hättest du ihn nicht zufällig getroffen, hätten wir diesen Auftrag nicht machen müssen. Und so leid es mir für dich tut, aber anders wirst du nicht auf das Schiff kommen. Der Dresscode für die Angestellten ist fest vorgeschrieben, also Augen zu und durch.“ Jodie nickte verstehend. „Ich werde den Auftrag zur vollen Zufriedenheit erledigen.“ „Sehr gut“, gab Amuro von sich. „Gehen wir den Plan noch einmal von Anfang an durch. Erzähl“, wies er sie an. Jodie warf noch einmal einen Blick in den Spiegel. „Die Zielperson heißt Leon Ackerman. Er kam vor etwa sieben Jahren zum Studieren nach Japan und hat dort sehr schnell seine jetzige Ehefrau kennengelernt. Die Beiden waren ein halbes Jahr zusammen, als er ihr den Heiratsantrag gemacht hat. Ihr Vater ist Besitzer einer Immobilienfirma und trotzdem mit dem Geld recht zimperlich, sodass Ackerman letzten Endes einen Ehevertrag unterschreiben musste, der für ihn nicht das Beste bringt. Es wurde schnell klar, dass es Ackerman nur um das Geld der Familie ging und er im geheimen ein paar Affären am Laufen hatte. Seit wir wussten, dass sein Beuteschema blonde Amerikanerinnen sind, bin ich auf ihn angesetzt worden. Ich habe mich damals mehrfach mit ihm verabredet und belastende Fotos aufgenommen“, erzählte Jodie, auch wenn sie sich nicht daran erinnerte und nur die Fakten von Amuros Recherche aufzählte. „Für unser Schweigen wurden wir von Ackerman großzügig bezahlt, allerdings lebte er seither in ständiger Sorge, dass wir seiner Frau oder seinem Schwiegervater die Wahrheit erzählen würde. Außerdem hatte er Angst, dass wir einen zweiten Erpressungsversuch starten würden, weswegen er seiner Frau Heimweh vorspielte. Selbstverständlich fiel sie darauf rein und schlug ihrem Mann vor, dass sie gemeinsam nach New York gehen könnten. Ackerman hat den Vorschlag angenommen und hier schließlich eine Zweigstelle der Immobilienfirma eröffnet. Er scheint damit sogar relativ erfolgreich zu sein. Als er mir vor Kurzem zufällig auf der Straße begegnet ist, hat er mich erkannt und wieder Angst bekommen. Selbstverständlich wurden unverzüglich seine Sicherheitsmaßnahmen zu Hause verstärkt und er wird bestimmt noch weitere Maßnahmen initiieren. Da allerdings die Gefahr zu groß ist, dass er jetzt nicht doch plaudert oder zum FBI geht, sollen wir uns um ihn kümmern. Zu diesem Zwecke machen wir uns seinen Geburtstag heute Abend zu nutze. Da die Feier auf einem Schiff stattfindet, werden wir uns einschleichen, ich als Kellnerin und du als Gast“, erzählte Jodie weiter. „Trotzdem muss ich mich vor Ackerman in Acht nehmen. Er hat das gesamte Personal auf dem Schiff selbst ausgesucht, überprüft und wird diese vor Arbeitsbeginn noch einmal inspizieren. Das heißt, ich muss den Augenblick wo ich an Bord gehe, sehr gut abpassen. Im selben Moment wird eine andere Kellnerin runtergehen, damit die Mehrzahl der Angestellten nicht auffällt. Du selbst gehst als Gast an Bord und wirst alles genauestens beobachten. Sobald der Moment gekommen ist, verabreichst du Ackerman ein Schlafmittel und ich sorge dafür, dass er über die Reling ins Wasser fällt. Den Rest macht Mutter Natur für uns und die Polizei hat keine andere Möglichkeit, als von einem schrecklichen Unfall in Folge von zu viel Alkohol auszugehen.“ Bourbon nickte. „Gut. Dann gehen wir jetzt“, sprach er und stand auf. Amuro zog seine Jacke über den schwarzen Anzug. „Wir werden mit verschiedenen Taxen an den Hafen fahren, damit es wenig Zeugen für unsere Zusammenarbeit gibt. Und wenn du erwischt wirst…“ „…dann wirst du offiziell aussagen, dass wir uns nicht kennen. Ich weiß und ich bin damit einverstanden.“ „In Ordnung“, gab Bourbon von sich. „Sei auf jeden Fall vorsichtig. Wenn das Schiff ablegt und wir erst einmal nicht runter können, haben wir nur wenig Handlungsspielraum. Für Fehler ist kein Platz. Und vergiss nicht, dass ich aufgrund der Personenkontrolle keine Waffe mitnehmen kann. Dir würde ich ebenfalls keine raten. Die Handys lassen wir auch hier, um eine Rückverfolgung zu uns auszuschließen. Wenn etwas schief gehen sollte, treffen wir uns am nördlichen Eingang vom Central Park.“ „Ich weiß“, murmelte Jodie und sah auf die Uhr. „Lass uns gehen.“ Amuro verließ das Zimmer und machte sich auf den Weg nach unten, während Jodie noch einen kurzen Moment im Zimmer verweilte und sich erst mit einem gewissen Zeitunterschied auf den Weg zum Hafen machte. Als Amuro endlich am Hafen ankam, sah er sich um. Der Weg zum Schiff war ausgeleuchtet und die ersten Gäste standen bei der Einlasskontrolle. Nachdem er sich beobachtet fühlte, drehte er sich um. Die junge Frau nickte ihm zu und er erwiderte den Gruß. Egal wie man es drehte und wendete, junge Menschen waren immer bestechlich. In welcher Höhe war allerdings eine andere Geschichte. Er schmunzelte, da sein Plan bisher aufgegangen war. Amuro stellte sich an die Schlange und beobachtete die anderen Gäste. Ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Bauchgegend breit und als er nach seiner Einladung in die Jackentasche griff, wusste er woher es kam. Die Einladung war weg. „Was zum…“, murmelte er leise. Er tastete sich ab und prüfte jede Tasche, bis er angesprochen wurde. „Sir? Ihre Einladung bitte.“ „Einen Moment“, gab er von sich. „Die habe ich wohl zu Hause vergessen. Können Sie mich nicht auch so rein lassen?“, fragte er. „Toru Amuro. Ich stehe auf der Gästeliste.“ Der schwarz gekleidete Herr blickte auf die Liste. „Netter Versuch“, fing er an. „Mr. Amuro ist bereits an Bord gegangen.“ „Was?“ Amuro wurde bleich, als er hörte, dass jemand unter seinem Namen das Schiff betreten hatte. „Das kann nicht sein“, wisperte er. „So steht es aber hier“, entgegnete der Mann vom Sicherheitspersonal. „Wenn Sie das nicht gewesen sind, sollten wir die Polizei rufen.“ Amuro hob beschwichtigend die Hände. „Nein, nein, schon gut“, murmelte er. „Das ist bestimmt ein Missverständnis. Ich sollte dann…gehen.“ „Tun Sie das. Aber wenn Sie eine Straftat decken, dann bleibt mir keine andere Wahl.“ „Wie gesagt, es handelt sich um ein Missverständnis.“, gab der blonde Japaner von sich und stellte sich abseits. Er ballte die Faust und ging in Gedanken jeden seiner Schritte durch, um zu rekonstruieren, wo er die Einladung verloren hatte. Amuro weitete die Augen, als es ihm einfiel. Es konnte nur beim Schlagabtausch mit Akai gewesen sein. Amuro biss sich auf die Unterlippe, da dies bedeutete, dass sich der FBI Agent bereits an Bord befand. Er ärgerte sich ungemein und verstand nicht, warum er nicht direkt nach dem kurzen Kampf seine Jacke überprüft hatte. Jetzt stand er ohne ein Ticket da und hatte keine Möglichkeit um Jodie rechtzeitig zu kontaktieren. Er verfluchte sein eigenes Verhalten und wollte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn Akai auf Jodie traf. „Verdammt“, zischte Amuro wütend. „Verdammt, verdammt, verdammt….“ Jodie hielt sich einen Großteil der Zeit versteckt und beobachtete das Geschehen an Bord des Schiffes. Hin und wieder musste sie einem Gast ein Getränk servieren oder extra an die Bar um eine Serviette gehen. Dennoch achtete sie stets darauf, dass sie den Gastgeber nie direkt ansah oder in sein Sichtfeld gelang. Und auch wenn erst eine dreiviertel Stunde vergangen war, konnte Jodie sagen, warum sie nie als Kellnerin arbeiten wollte. Die Menschen waren teilweise unhöflich, erwarteten aber, dass sie immer ein Lächeln auf den Lippen hatte und ihre Gedanken lesen konnte. Außerdem wurde sie andauernd hin und her gescheucht. Kaum hatte sie eine Sache geholt, musste sie schon um die Nächste gehen. Und für viele Gäste schien es nahezu unmöglich zu sein selbst an die Bar zu gehen. Obwohl die junge Frau eigentlich relativ sportlich war, wollten ihre Füße nicht mehr und schmerzten. Jodie seufzte leise. Nachdem sie das vorerst letzte Getränk serviert hatte, verließ sie den Festsaal und kam nach draußen. Die junge Frau atmete die kühle Luft ein und blickte zum Hafen und auf das Festland. Alles wirkte friedlich, beinahe idyllisch. Wenn man nicht wusste, was der Abend noch für einen bereit hielt, hätte man ihn auch fast genießen können. Dennoch war Jodie etwas irritiert. Das Schiff war nicht allzu groß und doch hatte sie Amuro kein einziges Mal unter den Gästen gesehen. Allerdings konnte er sich auch versteckt halten und nur den richtigen Moment abwarten. Jodie hoffte, dass dieser Moment bald kam, denn lange würde sie nicht mehr durchhalten. „Ich habe gewusst, dass du heute hierher kommen würdest.“ Jodie drehte sich um und sah in das Gesicht von Leon Ackerman. Es war nicht das Gesicht, was sie vor Kurzem panisch ansah, dieses Mal wirkte er vorbereitet und unberechenbar. Außerdem bewegte er sich noch viel zu gut, weswegen sie schlussfolgerte, dass er das Schlafmittel noch nicht bekommen hatte. Während der Reise hatte Jodie schon so viele Fehler gemacht, weswegen sie jetzt vorsichtig sein musste. „Entschuldigung?“, fragte sie leise und ein wenig verschüchtert. „Ich hab dich für diese Feier nicht hier angestellt“, begann Ackerman. „Und auch wenn du deine Haarfarbe geändert hast, erkenne ich dich trotzdem wieder. Also hör mit deinen Spielchen auf.“ Jodie schluckte. „Ich glaube, Sie verwechseln mich“, sagte sie lächelnd und blickte auf die Tür. Der Plan war in Gefahr und jetzt musste Jodie improvisieren und nachdenken, wie sie am besten vom Schiff kam. „Bitte entschuldigen Sie mich, ich muss wirklich wieder rein.“ Jodie setzte sich in Bewegung und hoffte, dass Amuro sie irgendwie aus der misslichen Lage befreite. „Oh nein, vergiss es“, gab Leon von sich und packte Jodie am Arm. Sofort drückte er sie auf den Boden und setzte sich rittlings auf ihren Bauch. Er zog ihr die Perücke vom Kopf und lächelte. „Wusste ich es doch. Du kannst mir eben nichts mehr vormachen.“ Jodie zappelte und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, aber nichts funktionierte. Blitzschnell hatte er seine Hände um ihren Hals gelegt und zugedrückt. Jodie konnte kaum noch atmen und bekam immer mehr Schwierigkeiten. Gerade als sie ihre Kräfte verließen, wurde Ackerman von ihr runtergezogen. Jodie hustete und setzte sich langsam auf. Sie fuhr sich mit der Hand an ihren Hals und hustete erneut. Sie brauchte einen Moment und spürte, wie Übelkeit in ihr aufstieg. Jodie stand taumelnd auf und ging auf die Reling zu. Sie hielt sich fest und versuchte möglichst viel frische Luft einzuatmen. „Was soll das?“, zischte Ackerman und blickte in das wütende Gesicht von Shuichi Akai. „Wer sind Sie und was machen Sie auf meiner Feier? Arbeiten Sie mit der Frau zusammen?“ Akai sah ihn düster an. „Was das soll, wollen Sie wissen? Dann sollten Sie mir zuerst erklären, was Sie mit der Frau vor hatten“, entgegnete er. „Versuchter Mord ist kein Kavaliersdelikt.“ „Pah“, gab Ackerman von sich. „Sie wissen gar nicht, was diese Frau alles getan hat. Wenn einer bestraft gehört, dann ist sie es. Und Sie mit ihr, wenn Sie gemeinsame Sache machen.“ „Wenn das so ist“, fing Akai an. „Gehen Sie rein und sagen Sie dem Kapitän, dass es zurück an den Hafen geht. Dort lässt sich die Sache mit Hilfe der Polizei bestimmt schnell aufklären.“ Shuichi sah zu Jodie. „Ich bleibe hier draußen und passe auf die junge Frau auf.“ Ackerman verengte die Augen. „Ich habe schon früh gelernt, dass man Menschen nicht vertrauen kann. Aber wie Sie wollen, fahren wir zurück an Land.“ Leon machte erste Schritte in Richtung Festsaal, blieb dann stehen und sah ebenfalls auf Jodie. „Ich lasse sie dieses Mal nicht damit durchkommen“, murmelte er und lief auf Jodie zu. „Vorsicht“, hörte Jodie die Stimme des FBI Agenten. Als sie sich umdrehte, drückte Ackerman sie nach hinten und ehe sich Jodie versah, spürte sie das kalte Wasser. Akai lief an die Reling und sah geschockt in das Wasser. „Jodie“, wisperte er. Kapitel 15: Rettung ------------------- Jodie sah in das dunkle Wasser. „Vorsicht“, hörte sie die vertraute Stimme des FBI Agenten ein weiteres Mal in ihrem Kopf. Aber ehe sie reagieren konnte, fühlte sie das eiskalte Wasser, welches wie mit spitzen Nadeln auf ihre Haut einstach. Jodie merkte, wie sich ihre Lungen langsam mit Wasser füllten und gleichzeitig setzte bei ihr eine unbeschreibliche Panik ein. Als Jodie auftauchte, wollte sie Luft holen und um Hilfe rufen, aber sie konnte es nicht. Sie röchelte, krächzte und spie Wasser. Sie schlug wild um sich und sank wieder nach unten. Über sich sah sie ein Licht, ein warmes Glühen, das im Takt ihres Herzens zu pulsieren schien. Sie sehnte sich danach, es zu erreichen und doch war da ein kleiner Hauch in ihr, der ans aufgeben dachte. Jodie streckte dennoch die Hand nach vorne aus. Das Licht schien zum Greifen nahe, doch während sie versuchte sich zu bewegen, gaben ihre Kräfte nach. Sie war nicht stark genug um weiter zu machen. Jodie begann weiter zu sinken und schloss langsam ihre Augen. Als plötzlich Hände nach ihr griffen und sie hochzogen, spürte sie wieder Hoffnung. Kaum dass sich ihr Kopf wieder über Wasser befand, hustete sie und spuckte Wasser. Ihr Körper wurde an den Körper der anderen Person gedrückt und Jodie verspürte erneut ein Gefühl von Wärme, ehe alles schwarz wurde. „Stirb mir hier ja nicht weg“, zischte Shuichi aufgebracht. Er drückte sie näher an sich und schwamm zurück an den Hafen. Glücklicherweise waren sie noch nicht allzu weit weg und nachdem er Jodie auf den harten und kalten Boden gezerrt hatte, beugte er sich über sie. „Komm schon, atme“, sagte er leise. Akai wusste, dass nun jede Sekunde zählte. Er legte seine Hand auf ihren Brustkorb und schluckte. Im nächsten Moment handelte er automatisch – so wie er es in der Ausbildung und in den jährlichen Auffrischungen gelernt hatte: Er hauchte ihr seinen eigenen Atem ein. Während einer gefühlten Ewigkeit verspürte er wieder Angst, die gleiche Angst, die ihn schon vor einem Jahr heimsuchte. Und doch war er voller Hoffnung. Hoffnung, dass er dieses Mal nicht zu spät kam. Gerade als er mit der Herz-Rhythmus-Massage anfangen wollte, hustete Jodie und spuckte den nächsten Schwall Wasser aus. Shuichi machte ihr etwas Platz, während Jodie weiterhin mit ihrem Hustenanfall zu kämpfen hatte. Trotzdem beobachtete er sie genau und nachdem sie sich langsam aufsetzte, strich er ihr über den Rücken. „Geht’s?“, wollte er besorgt wissen. Die junge Amerikanerin sah ihn geschockt an. „Was…was…“, murmelte Jodie leise. „Dai…Shuichi…Dai…Shuichi…Shuichi Akai.“ Im nächsten Moment hielt sich Jodie den Kopf und kniff die Augen schmerzerfüllt zusammen. „Aua…nein…bitte nicht…nein…“ Jodie spielte auf dem Sofa im Wohnzimmer. Sie hatte immer noch das Kleidchen an, das sie in der Schule trug und hielt sich gerade noch so wach. Die junge Amerikanerin gähnte herzhaft und nahm ihren Teddy in den Arm. „Papa soll schnell nach Hause kommen“, murmelte sie leise und bedrückt. Minuten später hörte sie das Knarzen der Haustür. Langsam kletterte Jodie von dem Sofa herunter und lief aufgeregt in den Flur. Er war gekommen. Doch ihr Vater war nirgends zu sehen. Enttäuscht ging sie zur Haustür. Als sie die Schuhe ihres Vaters und seine Jacke am Garderobenständer sah, erstrahlte ihr Gesicht. „Papa ist wieder da“, sagte sie zu sich selbst. Sie war voller Freude und lief sofort in die Richtung der Küche. „Da bin ich“, sagte Agent Starling und drückte seiner Frau einen Kuss auf die Wange. „Schläft Jodie schon?“, wollte er wissen. Die Amerikanerin schüttelte mit dem Kopf. „Sie wartet im Wohnzimmer auf dich. Wollte dir unbedingt noch Gute-Nacht sagen. Du kennst ja unsere Tochter. Wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat…“ Starling lächelte. „Die Sturheit hat sie von mir.“ Jodie blieb vor dem Eingang der Küche stehen. Behutsam legte sie ihren Teddy auf den Boden und kicherte. „Gleich wird Papa überrascht sein“, sagte sie leise zu dem Bären. Sie kicherte aufgeregt. „Daddy!“ Jodie kam in die Küche gelaufen und umklammerte sofort seine Beine. „Du warst heute nicht beim Abendessen“, fing sie an. „Wir haben gewartet und gewartet, aber dann hatte ich großen Hunger und hab alles von meinem Teller aufgegessen.“ Der Agent hob sie nach oben. „Gomen nasai“, antwortete er. „Das ist japanisch und heißt: Es tut mir leid“, erklärte er. „Ich bin noch ein paar Wochen in diesen Fall eingespannt. Aber wenn er erst einmal abgeschlossen ist, muss ich nicht mehr so lange weg sein.“ „Versprochen?“, wollte die Siebenjährige wissen. Starling nickte. „Und was hör ich da, du möchtest nicht schlafen gehen?“ Jodie schüttelte sofort vehement den Kopf. „Nicht solange ich dir nicht Gute-Nacht sagen durfte.“ „Was hältst du davon, wenn du jetzt nach oben in dein Zimmer gehst, dir deine Schlafsachen anziehst und ich dann vorbei komme und dir eine Gute-Nachtgeschichte vorlese?“ „Das wäre toll!“ Die Augen des Mädchens strahlten. Der Agent lächelte. „Das habe ich von meiner Kleinen erwartet.“ Er ließ sie wieder nach unten und Jodie lief sofort aus der Küche. „Vergiss das Zähne putzen nicht“, rief er ihr nach. Jodie konnte ihre Tränen nicht mehr verbergen und ihr Kopf pochte ununterbrochen. Es waren alte Erinnerungen. Erinnerungen an ihre Familie, die sie nicht mehr kannte. Nicht einmal das Gesicht ihres Vaters konnte sie deutlich vor sich sehen. „Bitte nicht“, wisperte Jodie leise. „Es soll aufhören…bitte…“ „Jodie.“ Jodie saß in ihrem langen Nachthemd auf dem Bett und wartete. Ihr Märchenbuch lag direkt vor ihr. Die Seite war bereits aufgeschlagen und Jodie betrachtete die Bilder in der Geschichte. Sie kannte jedes ihrer Kinderbücher beinahe auswendig. Manchmal – wenn ihre Eltern dachten, sie würde schlafen – übersprangen sie beim Vorlesen ein paar Seiten. Dann schlug Jodie sofort die Augen auf und rügte ihre Eltern für dieses Verhalten. Sie lachten zusammen und die Geschichte wurde komplett vorgelesen. Jodie wippte hin und her. Heute ließ sich ihr Vater viel Zeit. „Mensch, Papa“, murmelte sie leise zu sich selbst und kletterte aus ihrem Bett. Wieder nahm sie ihren Teddybären an sich und verließ das Zimmer. Sie sah Licht im Arbeitszimmer ihres Vaters und setzte ein schmollendes Gesicht auf. Er arbeitete wieder, anstatt ihr eine Geschichte vorzulesen. Energisch ging Jodie zum Arbeitszimmer. Sie lugte langsam durch den geöffneten Türspalt. Dann blickte ihr die fremde Frau in die Augen. „Wer sind Sie?“, wollte Jodie leise wissen. „Das ist ein großes Geheimnis. Ich kann es dir nicht verraten….“ „Das ist Papas Brille“, kam es von dem Mädchen. „Oh. Entschuldige“, sagte sie. „Hier, nimm sie.“ Jodie sah zu ihrem Vater. „Was ist mit ihm? Ist er eingeschlafen?“, fragte sie in ihrer kindlichen Art. „Dabei hat er mir eine Gute-Nachtgeschichte versprochen.“ „Es tut mir leid. Bleibst du an seiner Seite, bis er wieder aufwacht?“ „Ja“, nickte Jodie und lief zu ihm. Sie setzte sich neben ihren Vater. „Können wir die Tischlampe anlassen? Ich habe Angst im Dunkeln.“ „Natürlich“, antwortete Vermouth. Langsam verließ die Schauspielerin den Raum und ging nach unten. Jodie hockte Minuten später weiterhin neben ihrem Vater und döste. „Jodie?“, fragte die Schauspielerin leise. Das Mädchen setzte sich richtig auf und rieb sich die Augen. „Mhm…wo ist meine Mama?“, wollte sie leise wissen. „Sie schläft“, antwortete Vermouth. „Was hältst du davon, wenn wir deine Eltern schlafen lassen und ihnen morgen einen Tag nur für sich allein lassen?“ „Und was ist mit mir?“, fragte das Mädchen. „Du kannst heute Nacht mit zu mir kommen. Ich hab eine große Wohnung.“ Jodie überlegte. „Papa sagt, ich darf nicht mit Fremden mit gehen.“ „Aber ich bin keine Fremde, ich bin eine Freundin deines Papas. Wollen wir ihn wecken und fragen?“, kam es von der Schauspielerin. „Au ja“, sagte Jodie sofort. Sie sah zu ihrem Vater hoch. „Papa…“, begann sie und rüttelte an seiner Hose. „Du darfst ruhig mit ihr gehen“, antwortete Vermouth mit der Stimme ihres Vaters. „Sie wird auf dich aufpassen. Sei ein braves Mädchen und tu, was sie dir sagt, ja?“ „Jaaaa“, kam es von Jodie. Sie stand auf und nahm ihren Teddybären. In der anderen Hand hielt sie immer noch die Brille ihres Vaters. „Ich komm morgen wieder. Versprochen. Dann kannst du mir die Gute-Nachtgeschichte vorlesen.“ „Das werde ich. Schlaf gut, ich hab dich lieb.“ „Ich hab dich auch lieb, Papa“, sagte das Kind und umarmte ihren Vater. Jodie schluchzte. „Papa“, murmelte sie leise. Jodie weinte bitterlich. Das kleine Mädchen hielt ihren Teddybären im Arm und schüttelte den Kopf. „Ich will zu meiner Mama und meinem Papa…“ Vermouth rollte mit den Augen. „Das geht jetzt nicht“, antwortete sie. „Ich will…zu Mama…und zu Papa…“ Die Schauspielerin seufzte. Sie kniete sich zu Jodie. „Jodie, hör mal“, fing sie an und legte ihre Hände auf die Schultern des Mädchens. „Wir hatten doch zwei gute Tage zusammen, nicht wahr?“ Jodie schniefte und nickte. „Aber jetzt…mag ich nach Hause. Bitte…bring mich zu Mama und Papa. Sie sollen mich abholen.“ „Das ist nicht so einfach“, begann Vermouth ruhig. „Weißt du, Jodie, deine Mama und dein Papa hatten dich sehr, sehr, sehr lieb, aber manchmal reicht das nicht aus. Deine Eltern möchten, dass du fortan bei mir bleibst.“ Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf und drückte ihren Teddy ganz fest an sich. „Ich mag zu Mama und Papa.“ Vermouth seufzte ein weiteres Mal. „Jodie, hast du mir zugehört?“, wollte sie mit ruhiger Stimme wissen. Jodie nickte. „Deine Eltern möchten, dass du bei mir bleibst. Du wirst leider nicht mehr zu ihnen nach Hause gehen.“ „Dann sollen sie es mir selber sagen“, gab Jodie trotzig von sich. „Das geht nicht“, fing die Schauspielerin an. „Sie wollen nicht mehr mit dir reden.“ Jodie schluckte und sah Vermouth mit geröteten Augen an. „War…war…ich böse?“, fragte sie leise. „Haben Mama und Papa mich nicht mehr lieb?“ „Das stimmt leider. Deine Eltern möchten nicht, dass du nach Hause kommst.“ Jodie schluchzte. Vermouth atmete tief durch. „Wir werden wegziehen. Ich bringe dich zu Freunden. Bei ihnen wird es dir gut gehen.“ Jodie sah sie verunsichert an. „Du willst…mich auch nicht?“, wisperte sie leise. „Darum geht es doch nicht, Jodie. Ich kann dir kein richtiges zu Hause bieten. Und meine Freunde haben bereits zwei Kinder. Du wirst dich sicher gut mit ihnen verstehen.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Nein, nein“, gab sie von sich. „So war das nicht. Nein…“ Sie schaukelte sich selbst hin und her. Jodie wusste, dass etwas nicht stimmte. Diese Erinnerungen waren falsch. Es konnte nicht so passiert sein. Sie hatte ihre Eltern zuletzt vor einigen… Jodie zuckte zusammen. Sie wusste nicht mehr, was real und was falsch war. „Jodie?“ Sie sah zu dem FBI Agenten. „Warum? Warum soll ich mit ihm reden?“ „Ich habe gehört, dass dich deine Eltern als kleines Kind bei Freunden ließen und nie wieder abholten. Ich…mein Boss glaubt, dass du das entführte Kind eines Agenten bist. Deswegen sollte er dir die ganze Geschichte erzählen.“ Jodie wurde blass. „Was? Was sagst du da?“, fragte sie leise. „Das kann nicht…“ Jodie sank zusammen. „Meine Eltern…“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab damit abgeschlossen.“ „Ich weiß, es ist lange her“, fing Akai an. „Und zum jetzigen Moment können wir uns nicht sicher sein, aber die Indizien sprechen eine deutliche Sprache.“ Jodie verkrampfte. „Ich…ich..“ „Ich kann verstehen, wenn dir das zu viel ist. Wenn du noch nicht dazu bereit bist, musst du nicht mit ihm reden.“ „Ich…ich will ihn treffen“, wisperte sie leise. „Ich will…dass er mir dabei ins Gesicht sieht…ich will seine Reaktion sehen…“ „Bist du dir sicher?“ Die Amerikanerin nickte. „Ja…ich will endlich die Wahrheit wissen.“ „Wie kann das sein?“, fragte Jodie leise sich selbst. Wurde sie als Kind tatsächlich entführt und wuchs bei der Organisation auf? Oder wuchs sie mit ihren Eltern bei der Organisationauf? Die Amerikanerin sah zum FBI Agenten, der neben ihr saß. Hatte er ihre Eltern tatsächlich umgebracht. Und wenn ja, wie passte es in ihre neuen Erinnerungen? „Jodie?“, kam es erneut von Shuichi. Sie schüttelte den Kopf. „Ich…ich kann das nicht“, wisperte sie. „Nein…das…das geht nicht. Das ist nicht wahr.“ Sie wischte sich die Tränen weg, wurde aber von einem neuen Schwall von Emotionen gepackt. „Ich muss…muss weg…“ Langsam versuchte sie wieder auf die Beine zu kommen. Shuichi hatte sich bereits wieder aufgerichtet und nahm ihre Hände. Er half ihr auf, ließ sie aber nicht los. Ein komisches Gefühl breitete sich in ihr aus. „Wie kann ich dir helfen?“, wollte er leise wissen. Abermals schüttelte sie den Kopf. „Ich…“ Jodie schluckte. „Ich will nicht mehr…“ Mit einem Mal riss sie sich von ihm los und lief weg. „Jodie.“ Shuichi weitete seine Augen. Er würde nicht erneut zulassen, dass sie verschwand und lief er ihr nach. Aber nicht nur er. Kapitel 16: Zurück zu den Wurzeln --------------------------------- Jodie lief als wäre eine Armee hinter ihr her. Ihre Beine trugen sie soweit wie es nur möglich war. Dabei wollte sie nur noch eines: Entkommen. Weg vom Hafen und weg vom FBI Agenten, der ihre ganze Welt auf den Kopf stellte. Dabei wusste die junge Amerikanerin noch nicht einmal wo sie jetzt noch hingehen sollte. Zurück ins Hotel kam nicht in Frage, dafür spuckte ihr einfach zu viel im Kopf herum. Außerdem gab es noch Amuro und dieser würde alles andere als begeistert sein. Aber welche andere Möglichkeit hatte sie noch? Jodie kannte sich nun einmal nicht in New York aus und während ihrer wenigen Erkundungen war sie nie alleine. Bei dem kurzen Aufblitzen der Erinnerungen an die Vergangenheit schüttelte Jodie den Kopf und wischte sich die Tränen nicht. Sie wollte diese schmerzlichen und widersprüchlichen Emotionen nicht zulassen. Zudem hatte Jodie keine Ahnung mehr was wahr und was falsch war. Irgendetwas stimmte bei der ganzen Geschichte nicht. Aber wem konnte sie noch trauen? Ihre Medikamente hatte sie auch regelmäßig genommen und eigentlich hätte sie von den Erinnerungen nicht gequält werden dürfen. Doch hieß das nun, dass das Mittel nicht mehr wirkte und ihr Kopf bald vor Schmerzen platzte? Oder gab es eine andere Erklärung für alles? Irgendwann fühlten sich ihre Beine bei jedem einzelnen Schritt so schwer wie Blei an. Und obwohl sie keine bestimmte Richtung eingeschlagen hatte, zog es sie an einen Ort in ihren Erinnerungen. Ein Ort, der bislang verborgen blieb und doch so viel von ihrer Vergangenheit offenbarte. Jodie atmete schwer und als sie endlich vor jenem Haus stand, ließ sie sich auf die Knie fallen. Es kam ihr vertraut vor und es stimmte mit ihren Erinnerungen überein. Aber wie war das nur möglich? Das Haus hätte nur noch eine Ruine aus Backsteinen und Asche sein sollen. Nichts durfte auf ein fröhliches Familienleben hinweisen und trotzdem existierte dieses Haus in all seiner Pracht. Natürlich gab es Unterschiede, aber der Großteil war gleich. Jodie schluckte. „Wie…wie kann das…sein“, wisperte sie leise. Wurde das Haus innerhalb von einem Jahr wieder aufgebaut und war eine neue Familie eingezogen? Waren die Ermittlungen so schnell von der Polizei abgeschlossen worden? Jodie schüttelte bei dem Gedanken den Kopf. Das konnte nicht sein. Das durfte vor allem nicht sein. Und wenn doch, dann hätte das Haus in Japan stehen müssen und nicht in New York. Aber es passte so vieles zusammen und Jodie verstand nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Sie schloss ihre Augen. Sofort loderte das Feuer auf. Flammen schlugen umher. Der Geruch, das etwas Brennen würde, stieg ihr in die Nase, obwohl sie eigentlich weit genug entfernt war. Die Atmosphäre war geladen. In der vollkommenen Dunkelheit rieb sich Jodie die Augen. Sie setzte sich langsam auf und blickte durch das Fenster. Es brannte. Das Haus ihrer Eltern brannte. Hell und lichterloh. Sie weitete ihre Augen. Etwas Schlimmes musste passierte sein, aber Jodie konnte sich keinen Millimeter bewegen. Dann sah sie einen Schatten auf sich zukommen und… Jodie wusste genau, wie diese Erinnerung weiter ging. Sie saß in einem Wagen und hielt ihre Hand auf die Schusswunde am Bauch gepresst. Sie würde Shuichi Akai ansehen und wenige Sekunden danach würde sich der Wagen überschlagen. Aber was wenn es sich dabei um falsche Erinnerungen handelte? Oder um eine falsche Abfolge ihrer Erinnerungen? Mit einem Mal schlug Jodie ihre Augen wieder auf. Ehe sie einen spitzen Schrei ausstoßen konnte, legte sie ihre Hand auf die Lippen. Jodie brauchte einen kurzen Moment um sich wieder zu fangen und als es so weit war, stand sie auf. Ihre Beine zitterten. „Nein“, murmelte sie leise zu sich selbst. „Das kann nicht…“ Sie bewegte sich langsam nach hinten. Jodie wollte weg von diesem komischen Ort. „Kann ich Ihnen helfen, Miss?“ Ein großgewachsener Mann hatte seinen Wagen vor der Einfahrt geparkt und war ausgestiegen. Irritiert, aber mit Sorge im Blick beobachtete er sie. Jodie schüttelte den Kopf. „Hab…hab mich wohl verlaufen“, murmelte sie leise. „Wo wollen Sie denn hin?“, wollte er wissen. „Ich…also ich…“ „Wissen Sie das nicht mehr?“ „Ich…“, fing sie wieder an. „Ich habe…mein Hotel gesucht“, gab sie von sich. „Äh.“ Er sah sich um. „Ich glaube, da haben Sie sich ziemlich stark verlaufen. Im Umkreis von 30 Minuten werden Sie kein Hotel finden.“ „Oh“, murmelte Jodie. „Soll ich Ihnen ein Taxi rufen? Zu dieser Uhrzeit sollten Sie wirklich nicht mehr alleine draußen herumlaufen.“ „Kein Taxi.“ Jodie sah zu dem Haus. „Wohnen Sie dort?“ Der Mann nickte. „Wir haben das Grundstück vor einigen Jahren gekauft und das Haus anhand seines Vorgängers wieder aufgebaut“, erzählte er. „Schon traurig, was damals hier passiert ist“, murmelte er. „Mhm?“ „Äh. Entschuldigung. Manchmal schwelge ich in Erinnerungen“, entgegnete er. „Ich wollte Sie nicht aufhalten.“ „Schon gut“, sprach Jodie leise. „Gehen Sie ruhig rein, Ihre Familie wartet sicher. Mein Handy…wird mir bestimmt den Weg zeigen.“ „Sind Sie sich sicher? Mein Angebot mit dem Taxi steht noch.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Auf Wiedersehen“, wisperte sie leise und setzte sich in Bewegung. „Passen Sie auf sich auf“, gab der Mann von sich und ging auf die Haustür zu. Es dauerte nur wenige Sekunden ehe diese geöffnet wurde und ein kleines, braunhaariges Mädchen nach draußen gelaufen kam. „Daddy“, rief sie freudig und umarmte ihn. Automatisch drehte sich Jodie um. „Daddy“, wiederholte sie leise. Jodie blieb vor dem Eingang der Küche stehen. Behutsam legte sie ihren Teddy auf den Boden und kicherte. „Gleich wird Papa überrascht sein“, sagte sie leise zu dem Bären. Sie kicherte aufgeregt. „Daddy!“ Jodie kam in die Küche gelaufen und umklammerte sofort seine Beine. „Daddy“, wisperte Jodie ein weiteres Mal. „Die Familie hat das Haus vor einigen Jahren gekauft.“ Shuichi stellte sich neben Jodie. „Und es wieder aufgebaut.“ Jodie sah zu ihm. „Das kann…nicht sein…“, wiederholte sie leise. „Dieses Haus, es…ist…es dürfte hier gar nicht…“ Sie wich einen Schritt nach hinten. „Es ist dein Elternhaus“, antwortete Shuichi ruhig. „Ich weiß, das muss ein Schock für dich sein“, fügte er hinzu. „Vor etwa 20 Jahren ist hier das Unglück passiert. Die Organisation für die du jetzt arbeitest, hat deine Eltern umgebracht.“ „Nein.“ „Es ist die Wahrheit, Jodie“, sagte er. „Dein Vater war ein FBI Agent und hat gegen die Organisation ermittelt. Sie haben es herausgefunden und ein Exempel an ihm statuiert. Du und deine Mutter…ihr wart auch da, als es passiert ist.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Dich haben sie damals mitgenommen und wie ihr eigenes Kind aufgezogen. Seit du dort bist, war es ihr Ziel, dass du gegen das FBI agierst. So schwer es auch gerade für dich ist, Jodie, es war keine Liebe dabei. Sie wollten dem FBI einfach nur schaden.“ „Das kann nicht…“, murmelte sie. „Selbstverständlich haben unsere Leute damals nach dir gesucht, aber du wurdest gut versteckt“, erzählte Akai. „In all den Jahren war es eine Genugtuung für sie, dass die Tochter eines Agenten jetzt solch schlimme Dinge tut und sie nicht einmal hinterfragt.“ „Sag das nicht“, bat sie. „Das darf nicht…“ „Wir hatten vor einem Jahr in etwa die gleiche Unterhaltung. Ich wurde nach Japan geschickt, um die Organisation zu infiltrieren. Und als ich auf dich traf, hatte ich sofort eine Ahnung über deine wahre Identität. Ich habe es dir vor einem Jahr bereits erklärt und du hast mir geglaubt. Außerdem…“ Shuichi räusperte sich. „…wollten wir meinen Boss treffen, doch diese Frau – Vermouth – hat ihn seiner Identität beraubt und dir die ganze Wahrheit erzählt.“ Jodie schluckte. „Nein…das kann nicht…das würde sie nicht…sie ist…“ „Es tut mir leid, Jodie. Ich wünschte, es gebe eine taktvollere Möglichkeit um dir die Wahrheit zu sagen. Aber solange du andauernd vor mir weg läufst, ist dies einfach nicht möglich. Ich weiß nicht, was in dem letzten Jahr mit dir passiert ist oder was sie mit dir gemacht haben, aber tief in deinem Inneren kennst du die Wahrheit.“ Shuichi sah nach hinten. „Willst du nicht auch etwas dazu sagen, Bourbon.“ Der junge Mann stellte sich ebenfalls zu Jodie. „Du scheinst dir ja ziemlich sicher zu sein, wenn du meinen Codenamen hier so rumposaunst.“ Jodie drehte sich zu ihm um. „Amuro“, wisperte sie leise. „Sag…dass das nicht wahr…ist…bitte…“ Amuro packte Jodies Arm. „Wir gehen und reden im Hotel.“ „Amuro…“, murmelte Jodie leise. „Dann…dann stimmt das also?“ „Jetzt verhalte dich nicht so kindisch und komm mit“, zischte das Organisationsmitglied. „Das würde ich an deiner Stelle sein lassen, Zero.“ Der Mann hielt inne und sah den FBI Agenten überrascht an. „Du hast es also heraus gefunden.“ „Ich hatte schon damals einen Verdacht“, gab Shuichi zu. „Kurz bevor meine Identität aufflog, hatte ich die letzten Beweise zusammen bekommen.“ Amuro verengte die Augen. „Keine Sorge, Bourbon“, fing er an. „Ich hätte dich nicht auffliegen lassen. Stattdessen wollte ich mir eigentlich deine Hilfe sichern. Letzten Endes ist alles anders gekommen, nicht wahr?“ Amuro zuckte mit den Schultern. „Wenn ich damals gewusst hätte, dass du für das FBI arbeitest, hätte ich nicht geschwiegen“, antwortete er. „Das unterschiedet uns.“ Jodie sah zwischen den beiden Männern hin und her. „Was…was hat das zu bedeuten?“ Amuro blickte sie griesgrämig an. „Das hat dich nicht zu interessieren. Und jetzt komm endlich!“ „Aber…“, gab Jodie leise von sich. „Ich sagte doch schon, dass du sie nicht mitnimmst“, kam es von Akai. Er befreite Jodie aus Amuros Griff und stellte sich schützend vor sie. „Ich erklär dir nachher alles“, fügte er hinzu. Jodie schluckte. Wer war nun Freund und wer Feind? Langsam wusste sie gar nichts mehr. Und so wie sich Amuro gerade ihr gegenüber verhielt, konnte es nichts Gutes heißen. „Und wie willst du das verhindern? Du weißt genau was passiert, wenn ich euch gehen lasse.“ Akai schmunzelte. „Dann lass dir etwas einfallen. Du bist doch sonst auch ein helles Köpfchen.“ „Du stellst es dir viel zu leicht vor“, zischte der blonde Mann. „Glaubst du wirklich, dass sie zulassen werden, dass du mit ihr verschwindest?“ „Ich weiß, dass es nicht einfach sein wird, sie in Sicherheit zu bringen. Aber ich bin mir sicher, dass sie dir für diesen Fall genaue Instruktionen gegeben haben. Glaubst du tatsächlich, dass ich unvorbereitet auf eine Veranstaltung auf einem Schiff gehe? Selbstverständlich wissen meine Kollegen Bescheid und haben sich entsprechend positioniert.“ Shuichi sah sich um. „Und als ich Jodie hinterher bin, war ich nicht alleine.“ Bourbon sah sich in der Dunkelheit um. „Interessanter Schachzug“, antwortete er. „In der Dunkelheit kann ich nicht erkennen, ob du nur bluffst oder ob deine Kollegen tatsächlich hier sind. Allerdings habe ich auf meinem Weg hierher keine Fahrzeuge entdeckt.“ „Natürlich hast du das nicht“, entgegnete Shuichi ruhig. „Mir war klar, dass Jodie versuchen würde instinktiv zu ihrem Elternhaus zu fliehen. Deswegen waren meine Kollegen bereits vor Ort und haben dafür gesorgt, dass nicht allzu viel auf der Straße los ist. Im Vergleich zur Organisation wollen wir keine Menschen verletzen.“ Bourbon biss sich auf die Unterlippe. „Ich habe nichts anderes von dir erwartet“, begann er. „Aber es soll mir recht sein. Deine überhebliche Art wird dich früher oder später noch zu Fall bringen. Und glaub ja nicht, dass ich es dir so leicht machen werde.“ „Das hatte ich nicht vor“, entgegnete Akai und sah ihm zu. „Ich schlage dir einen Handel vor.“ „Ach?“ Amuro verschränkte die Arme. „Was hast du mir schon zu bieten?“ „Ich lasse dich hier entkommen und werde dich während deines gesamten Aufenthaltes in New York nicht jagen, dafür kehrst du zeitnah nach Japan zurück und teilst uns regelmäßig mit, was die Organisation tut.“ „Ich werde darüber nachdenken“, sprach er und sah zu Jodie. „Du sagst kein Wort“, wies er sie an. „Mach alles wie immer. Ich hole dich so schnell wie möglich da raus.“ Jodie schluckte. „Amuro…was…“, murmelte Jodie. „Ich…was kann ich noch glauben? Ich…ich versteh das alles nicht…was ist die Wahrheit?“, wisperte sie leise. „Das kann ich dir auch nicht sagen“, entgegnete er. „Es tut mir wirklich leid, Jodie“, fügte er hinzu. „Überleg es dir, Bourbon. Es ist ein win-win-Situation für uns alle.“ „Das ist es nicht und das weißt du auch“, kam es sofort von ihm. „Das FBI hat keine Befugnisse in Japan.“ „Aber in Amerika“, konterte Akai. „Und ich weiß, dass sich hier viele Mitglieder aufhalten.“ „Du bist gut informiert“, meinte Amuro. „Wir werden sehen, wie es ausgeht“, fügte er hinzu und entfernte sich. „Nein, Amuro…“, wisperte Jodie. „Tu das nicht…“ Shuichi beobachtete die junge Frau. „Jodie?“ Sie schluckte. „Was…was hast du…jetzt mit mir vor?“ „Du musst keine Angst haben“, begann der FBI Agent. Er lächelte. „Bei mir bist du in Sicherheit.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Ich will…nach Hause…ich….das…das kann…nicht…nein…“ „Ich weiß, es war viel für dich und wenn du mit mir mitkommst, werde ich dir die ganze Wahrheit erzählen. Du hast mir schon einmal vertraut, erinnerst du dich?“ Jodie nickte zaghaft. „Dann vertrau mir auch dieses Mal." Kapitel 17: Planänderung ------------------------ Wütend schlug Amuro gegen den Schrank in seinem Hotelzimmer. Alles was er mühsam geplant hatte, war aus dem Ruder gelaufen und das nur, weil er das Ticket für die Geburtstagsfeier verloren hatte. Es ärgerte ihn zudem ungemein, dass er die Wahrscheinlichkeit für den Fehlschlag und ein vorzeitiges Treffen mit Akai als sehr gering einschätzte und sich daher keinen zweiten Plan überlegte. Ein Fehler und es war alles vorbei gewesen. Amuro ballte die Faust. Nicht nur, dass Akai über seine wahre Identität Bescheid wusste, er hatte auch Jodie an ihn verloren und sein Auftrag war gescheitert. Wenigstens würde Akai das Geheimnis für sich behalten. Zunächst. Dennoch hatte er noch keine Idee, wie er der Organisation den Verlust von Jodie glaubhaft erklären sollte. Außerdem musste er dafür sorgen, dass man nicht versuchen würde, sie umzubringen. Aber wie? Und wie sollte er sein eigenes Leben retten? Bourbon biss sich auf die Unterlippe und setzte sich auf das Bett. Er zog seinen Laptop aus der Tasche und fuhr diesen hoch. „Komm schon“, murmelte er nervös. Er wusste, dass es keine Beschattung gab und dennoch überkam ihn das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte. Amuro tippte sein Passwort in die Leiste und rief anschließend seine E-Mails auf. Glücklicherweise hatte sich die Organisation noch nicht bei ihm gemeldet, doch er ahnte, dass sie nicht lange auf sich warten ließen. Spätestens, wenn die Nachrichten nichts über Ackermans Tod schrieben, würde er ihnen Rede und Antwort stehen müssen. Es hätte alles so einfach sein können. Nachdem er es nicht mehr auf das Schiff geschafft hatte, hatte er sich am Hafen einen sicheren Stützpunkt gesucht und das Schiff beobachtet. Als der erste Körper ins Wasser fiel – ein kleiner schwarzer Fleck, den er nur durch die Beleuchtung des Schiffes erkannte – keimte für einen kurzen Moment Hoffnung in ihm auf. Aber dann sprang eine zweite Person ins Wasser. Sobald beide wieder auftauchten und in Richtung des Hafens schwammen, verließ er seinen Stützpunkt. Es wäre ein leichtes gewesen den FBI Agenten und Jodie zu erschießen, sofern er seine Waffe dabei gehabt hätte. Doch leider glaubte er die Fänden in den Händen zu halten und wurde eines Besseren belehrt. Seine Hochnäsigkeit wurde unverzüglich bestraft. Amuro seufzte und legte sich nach hinten aufs Bett. Er sah nach oben an die Decke und war über das Klingeln seines Handys überrascht. Hatte die Organisation doch…? Er runzelte die Stirn und strich über den Display. Erleichtert registrierte er die Nummer seines besten Freundes. „Hey.“ „Hey“, begann Scotch. „Ich dachte, ich frag mal nach was dein aktueller Auftrag so macht. Und ich wollte dich an mein Mitbringsel erinnern.“ Amuro lächelte. „Der Auftrag war eine reine Katastrophe“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Eigentlich ist alles schief gegangen, was nur hätte schief gehen können. Mein Plan war perfekt, aber ich habe Akai in meine Berechnungen nicht mit einbezogen. Ein Fehler der sich nicht wiederholen wird.“ „Du kannst das bestimmt wieder einrenken.“ „Ich glaube kaum“, antwortete Bourbon. „Jodie ist jetzt bei ihm. Und du kennst Akai. Er wird jetzt dafür sorgen, dass sie nicht mehr in unsere Hände gelangt. Auch er hat aus seinen Fehlern gelernt.“ „Vielleicht ist es ja auch besser so“, murmelte Scotch. Amuro verengte die Augen. „Für sie bestimmt, für mich und die Organisation nicht. Außerdem muss ich mir jetzt noch eine Erklärung einfallen lassen, warum sie bei ihm ist und warum ich nichts unternommen habe. Es wäre viel einfacher, wenn sie nicht mehr am Leben wäre.“ Er seufzte. „Ich habe die Berechtigung sie zu erschießen, aber vorher muss ich noch den anderen Auftrag abschließen und die andere Zielperson erledigen.“ „Einen Fremden zu erschießen ist oftmals einfacher, als jemanden den man kennt“, gab das Organisationsmitglied von sich. „Ich glaube ein Teil in dir will sie am Leben lassen.“ „Es wird Zeit, dass wir den Auftrag bald zu einem Ende bringen. Wenn ich wieder in Japan bin, werden wir einen Schritt weiter gehen und sie in die Enge treiben.“ „Du kannst auf mich zählen.“ „Och, wi0e süß.“ Scotch drehte sich um und blickte in das Gesicht der Schauspielerin. „Ver…mouth.“ „Ich hatte schon die ganze Zeit das Gefühl, dass Akai nicht der einzige Verräter in unseren Reihen war“, begann sie. „Ich hätte aber nicht gedacht, dass es sich ausgerechnet um dich handelt. Mich würde ja nur zu gern interessieren, wie du es angestellt hast, unsere Tests zu bestehen. Möchtest du es mir nicht erzählen?“ „Ich weiß nicht, was du meinst“, gab Scotch von sich. Schlagartig hatte sich Amuro aufgesetzt. Er lauschte dem Gespräch und fühlte sich machtlos. Seine Hand zitterte. Mach nichts unüberlegtes, Hiromitsu, betete er. „Das antwortete jede Ratte, wenn sie enttarnt wird“, antwortete Vermouth. „Aber es soll mir egal sein.“ Sie hob ihre Waffe und richtete sie auf ihn. „Aber eines musst du mir verraten. Mit wem telefonierst du da? Ist es deine Kontaktperson von der Sicherheitspolizei?“ Scotch sah aus dem Augenwinkel auf das Handy und schluckte. „Was? Du willst es mir nicht sagen?“ Vermouth schmunzelte. „Keine Sorge, wir haben schon noch Mittel und Wege, um es zu erfahren.“ „Es tut mir leid“, wisperte Scotch und zog seine Waffe aus der Jackentasche. Sofort richtete er sie auf das Handy und schoss. Vermouth feuerte parallel ebenfalls einen Schuss ab und Scotch ging zu Boden. Das Signal am anderen Ende der Leitung verstummte augenblicklich. Ungläubig sah Bourbon auf sein Handy. „Hiro…mitsu“, wisperte er und startete den Rückruf. The person you have called is temporarily not available. Er versuchte es nochmal und nochmal. Schließlich musste Bourbon der Wahrheit ins Auge sehen. „Hiromitsu“, schrie er verzweifelt. Jodie starrte wieder auf das Haus und schluckte. Konnte sie die vermeidliche Wahrheit tatsächlich akzeptieren? Und wenn ja, wann würden ihre richtigen Erinnerungen wieder zurückkommen? Langsam drehte sich die junge Frau um und suchte ihre Umgebung nach den FBI Agenten ab. Doch in der Dunkelheit konnte sie kaum etwas Erkennen. „Geht’s dir gut?“, wollte Shuichi wissen und beobachtete sie. Jodie nickte und wandte ihren Blick auf den Boden. Nach allem was in den letzten Stunden passiert war, fühlte sie sich gerädert und wollte eigentlich nur noch ins Bett. „Dann komm, wir sollten langsam los gehen. Du erkältest dich sonst noch“, sagte er und setzte sich in Bewegung. Für Jodies Wohl hätte er nahezu alles getan, auch wenn er – ihre Zielperson – ihr den Rücken zudrehen musste. Dennoch beobachtete er sie aus dem Augenwinkel und lächelte leicht, als sie ihm folgte. Was hätte Jodie auch sonst tun können? Immerhin hatte Amuro sie zurück gelassen und was würde im Hotel auf sie warten? Zudem waren sie von FBI Agenten umzingelt, was eine Flucht aussichtslos machte. Deswegen war es am besten, wenn sie sich erst einmal kooperativ zeigte. „Wir gehen…also zu dir?“, fragte sie leise. Shuichi nickte. „Bei mir sind wir sicher.“ Er musterte sie. „Dort kannst du dich aufwärmen.“ Jodie sah sich erneut um. „Und…und deine Kollegen?“, wollte sie leise wissen. „Das war nur ein Bluff“, gestand Shuichi. Er schmunzelte. Seinen Plan hatte er innerhalb weniger Stunden geschmiedet und nicht damit gerechnet seine Kollegen einzuweihen. Es hätte Fragen gegeben und möglicherweise hätte keiner geholfen, vielleicht hätten sie ihn sogar für verrückt erklärt. Deswegen entschied er sich nur eine Person einzuweihen. Und Camel war sehr loyal. Er hatte ihn am Hafen gelassen und ihn mit der Beschattung von Amuro sowie dem Schiff betraut. Selbst wenn Amuro verschwinden sollte, durfte Camel seine Position nicht verlassen. Shuichi zog das Handy aus der Jackentasche und wischte darüber. „Mhm…“, murmelte er. „Hat…hat es das Wasser…überlebt?“ „Es sollte“, begann Shuichi. „Laut meinem Boss ist es wasserdicht gemäß IP68-Standard. Ob es tatsächlich noch einsatzbereit ist, sehen wir gleich“, fügte er hinzu und schickte seinem Kollegen seine aktuellen GPS-Koordinaten. Anschließend wählte er dessen Nummer und wartet. „Ja, ich bins“, sprach er in das Telefon. „Gibt es am Hafen Auffälligkeiten?“ Camel sah durch das Fernglas. „Amuro hat vor über einer Stunde den Hafen verlassen“, erzählte der FBI Agent. „Wie du gewollt hast, bin ich geblieben und habe das Schiff weiter im Auge behalten. Es scheint nichts passiert zu sein. Es wurde zumindest keine Polizei gerufen.“ „Verstehe“, murmelte Shuichi. „Das habe ich mir bereits gedacht. Das Schiff wird erst lange nach Mitternacht wieder zurückkehren, sodass ich nicht glaube, dass wir weitere Handlungen durch die Organisation zu befürchten haben.“ „Bist du dir sicher?“ „Sicher kann man bei ihnen nie sein“, entgegnete Shuichi. „Durch einen Zwischenfall mussten Jodie und ich von Board gehen. Wir sind wohlauf, allerdings nicht mehr am Hafen. Ich hab dir unsere Koordinaten geschickt, wir kommen dir entgegen. Wenn du die Möglichkeit hast, besorg uns eine Decke.“ Er sah zu Jodie. „Und sorg dafür, dass die Heizung im Wagen an ist.“ Camel runzelte die Stirn. „Im Kofferraum müsste eine Rettungsdecke neben dem erste Hilfe Koffer liegen“, murmelte er und startete das Navigationsgerät. „Es wird ein paar Minuten dauern, aber dann bin ich bei euch.“ „Bis gleich“, sagte Akai und legte auf. Er steckte das Handy weg und sah zu Jodie. „Dann wollen wir mal.“ Jodie nickte und folgte ihm wie ein frommes Lamm. „Du musst vor Camel keine Angst haben. Er wirkt manchmal bedrohlicher als er eigentlich ist“, erklärte der FBI Agent. „Ihr habt euch letztes Jahr kurz in Japan getroffen. Mach dir also keine Gedanken, wenn er erstaunt sein wird, dich zu sehen.“ „Okay. Und du…du willst mir wirklich die Wahrheit erzählen? Keine Lügen?“ „Keine Lügen.“ Jodie versuchte zu lächeln. Beinahe apathisch saß Jodie im Wagen, hielt die Decke fest und sah aus dem Fenster. Es gab nur noch wenig Menschen die zu dieser Uhrzeit ihr Leben außerhalb der Wohnung verbrachten. Und sie gehörte zu einem von ihnen. Nachdem das Adrenalin aus ihrem Körper wich, spürte sie die Kälte und ihre nasse Kleidung machte es nicht besser. Jodie zitterte und brauchte unbedingt eine warme Dusche, Wärmflasche oder etwas Anderes. Die warme Heizung im Wagen verbesserte ihre Situation nur gering. Shuichi beobachtete sie aus dem Augenwinkel und verschränkte die Arme vor der Brust. Er selbst hatte auf die Decke verzichtet und tippte nebenbei auf dem Handy herum. „Was sollen wir jetzt machen?“, wollte Camel wissen. „Fahr uns zu mir“, antwortete Akai. „Ich kümmer mich um Jodie und werde morgen Black informieren.“ „Aber…“, murmelte Camel leise. „Ich weiß, was du sagen willst. Ich müsste ihn heute darüber in Kenntnis setzen, aber wir wissen Beide, wie das enden würde. Die Organisation hat irgendwas mit Jodies Erinnerungen angestellt, deswegen müssen wir ihr Zeit lassen. Wenn Black heute noch zu mir nach Hause kommt…“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Ja, natürlich“, gab der FBI Agent von sich. „Entschuldigung, ich wollte wieder über das Ziel hinaus schießen.“ „Schon gut.“ Shuichi warf einen Blick nach hinten. „Das ist doch auch für dich in Ordnung, nicht wahr?“ Als Jodie den Blick auf ihrem Körper bemerkte, sah sie nach vorne. „Mhm? Ja…ja, natürlich“, wisperte sie. Camel blickte leicht besorgt in den Rückspiegel. „Ich hoffe, es geht alles gut“, murmelte er leise. „Das wird es“, gab Akai von sich und sah wieder auf die Straße. Als sie nach knapp zwanzig Minuten in der Nähe seiner Wohnung anhielten, stieg er aus. „Ich melde mich morgen bei dir“, sagte er und half Jodie raus. Er legte die Rettungsdecke zusammen und ließ sie im Wagen. „Bis morgen“, antwortete Camel und sah zu Jodie. „Alles Gute.“ „Danke“, murmelte die junge Frau und begab sich mit Shuichi in dessen Wohnung. „Hier war ich noch nie, richtig?“ „Ja, das stimmt“, antwortete Akai und betrat die Eingangstür des Wohnhauses. Anschließend stieg er mit Jodie in den Fahrstuhl und fuhr nach oben. Nachdem sich der Fahrstuhl öffnete, ging er auf seine Haustür zu. Er öffnete sie und warf Jodie erneut einen Blick zu. „Hast du bedenken?“ Jodie nickte. „Aber ich weiß, dass ich das machen muss“, wisperte sie und ging rein. „Ich zeig dir erst einmal wo das Badezimmer ist und lege dir ein paar meiner Sportsachen raus“, entgegnete er. „Hast du Hunger?“ „Ein Bad oder eine Dusche reichen“, antwortete die junge Frau. „Hier entlang“, sprach Shuichi und öffnete die Tür zum Badezimmer. Sofort drehte er die Heizung auf und kniete sich zu seinem Trockner. „Du hast Glück, die Sachen sind sauber und trocken“, kam es von ihm. „Bedien dich einfach. Wenn was ist, findest du mich im Wohnzimmer oder in der Küche.“ „Danke“, murmelte Jodie. Shuichi nickte ihr zu und verließ den Raum. Er ging zuerst in die Küche und setzte Teewasser auf. Die Wartezeit verkürzte er, indem er die neusten Nachrichten auf seinem Handy las. Schon nach der zweiten Meldung, riss er die Augen auf. Leon Ackerman, Mord oder Selbstmord? Kapitel 18: Bei Shuichi ----------------------- Nur langsam kam Jodie aus dem Badezimmer heraus. Sie wirkte wie ein junges Schulmädchen, das nicht wusste, was es tun sollte. Ihre Haare waren noch nass und Shuichis Sportsachen waren ihr mindestens zwei Nummern zu groß. Dennoch sah sie atemberaubend aus, als sie in die Küche kam und das Wasser langsam von ihren Haaren auf ihren Hals herunter perlte. Einen kurzen Moment verfolgte der FBI Agent den Weg des Wassertropfens und überließ den Rest seiner Fantasie. Shuichi schüttelte den Kopf und legte sein Handy auf den Küchentisch. „Ich hab dir Tee gekocht.“ „Danke“, gab Jodie leise von sich und setzte sich zu ihm auf die Sitzbank. Sie nahm die Tasse und sah in das heiße Getränke. „Geht es dir etwas besser?“, wollte Akai wissen. „Ein wenig“, antwortete Jodie. „Mir ist wieder warm und…ich…ich glaube dir.“ „Mhm?“ Er sah sie überrascht an. „Ich erinnere mich nicht daran, was damals passiert ist“, entgegnete sie ruhig. „Aber wenn es eine Lüge gewesen wäre, hätte Amuro vorhin ganz anders reagiert. Es schien irgendwo so, als hättest du ihn in die Enge getrieben. Er wusste nicht mehr, was er machen sollte. Und das kommt bei den Mitgliedern sehr selten vor. Es lag auch nicht an den Bluff mit den FBI Agenten am Haus. Den hat er sicher durchschaut.“ „Mag sein“, kam es von Shuichi. „Möchtest du mir erzählen, was in dem letzten Jahr passiert ist?“ Jodie schluckte. „Eigentlich nicht“, antwortete sie. „Aber ich hab wohl keine andere Wahl.“ „Du hast immer eine Wahl, Jodie“, sagte er energisch. „Du bist hier keine Gefangene. Wenn du gehen willst, kannst du gehen, auch wenn es besser wäre, wenn du bleibst. Ich will dir helfen, Jodie, aber wenn du nicht darüber reden willst, musst du das auch nicht.“ „Mhm…“, murmelte Jodie. „Ich bin damals im Krankenhaus wach geworden. Mir tat alles so weh…mein Bauch…und mein Kopf“, begann sie. „Chris hat mich jeden Tag im Krankenhaus besucht und sich um mich gekümmert. Sie hat mir eine Wohnung besorgt und mir immer etwas zu Essen vorbei gebracht. Ich fand das Leben gar nicht so schlimm…aber dann kamen langsam ein paar Erinnerungen wieder. Es waren…nur Bruchstücke und ich konnte sie nicht zuordnen. Ich wusste, dass meine Eltern ermordet wurden…“ Shuichi schluckte. „Und dann haben sie dir eingeredet, dass ich für dein Unglück verantwortlich bin?“ Jodie nickte zaghaft und nahm einen Schluck von ihrem Tee. „So in etwa. Sie haben mir anfangs nie gesagt wer du bist und ich konnte auch nie dein Gesicht in meinen Erinnerungen erkennen. Aber vor einigen Tagen dann…wurden die Erinnerungen immer stärker. Ich habe jenen Abend gesehen. Ich war zu Hause…bei meinen Eltern und dann…saß ich bei dir im Wagen. Das Feuer brannte und das Haus…Anschließend warst du…mit mir…auf der Flucht…dein Wagen hat sich überschlagen“, murmelte sie. „Du hast mir…zwar rausgeholfen, aber dann…lag ich mit einer Schusswunde auf dem Boden und…du warst weg…und…“ „Schon gut.“ Shuichi legte seine Hand auf ihre. „Du musst nicht weiter erzählen, wenn du nicht willst.“ „Chris war da…sie sagte, sie kämen gerade noch rechtzeitig…und weil du dich in Bedrängnis sahst, bist du gefahren…ohne dein Werk zu beenden. Ich bin daraufhin ins Krankenhaus gebracht worden.“ Shuichi strich ihr über die Hand. „Es ist alles okay.“ „Als ich dein Gesicht…in meinen Erinnerungen sah…erzählten sie mir, dass du…hier immer mehr unserer Leute umbringst. Deswegen…wollten sie, dass ich dich aus der…Reserve locke.“ „Das dachte ich mir“, gab Akai von sich. „Du weißt, sie werden nicht aufgeben.“ „Mach dir darum keine Sorgen“, sagte Shuichi mit einem Lächeln. „Sie versuchen es schon seit einiger Zeit und wie du siehst, lebe ich noch. Ich bin zäher als ich aussehe. Allerdings…werden sie dich jetzt auch ins Visier nehmen.“ „Das dachte ich mir schon“, entgegnete Jodie leise. „Was…was ist vor einem Jahr an jenem Abend wirklich passiert?“ Shuichi runzelte die Stirn. „Bist du sicher, dass du dafür schon bereit bist?“ „Ich glaube nicht, dass ich je dafür bereit sein werde. Und wer weiß, wann und ob ich meine Erinnerungen überhaupt wiederbekomme.“ „In Ordnung“, sprach Akai. „Ich hatte dir damals davon erzählt, dass du die Tochter eines FBI Agenten bist und du wolltest mit meinem Vorgesetzten sprechen. Wir trafen uns in einem Restaurant, aber es kam Vermouth…also Chris in einer Verkleidung. Da sie uns von Anfang an erledigen wollte, hat sie dir die Wahrheit erzählt und die Entführung gestanden. Sie hat uns schließlich mit einer Waffe bedroht und wir sind notgedrungen mit nach draußen gegangen. Wir konnten zwar entkommen, aber sie und ein Scharfschütze der Organisation sind uns gefolgt. Sie schossen uns in die Reifen und der Wagen überschlug sich. Ich habe erst viel zu spät bemerkt, dass du angeschossen wurdest“, erzählte er sachlich. „Du wolltest, dass wir erst einmal getrennt fliehen, damit die Chancen größer werden. Gerade als ich weg war, fiel ein Schuss. Ich bin sofort wieder zurück, aber du lagst regungslos am Boden.“ Shuichi schluckte. „Ich wollte dich retten, aber mein Vorgesetzter und Camel schlugen mich nieder und brachten mich in ein Krankenhaus. Sie sind später erst wieder zurück an den Hafen gefahren, haben aber deine Leiche nie gefunden. Dennoch glaubten wir alle, dass du gestorben bist…weil sie einen Fehler nicht zweimal machen würden…“ Jodie schluckte. Sie hatte angefangen zu weinen und wischte sich die Tränen weg. „Ich ließ mich…von ihnen manipulieren.“ „Das war nicht deine Schuld“, entgegnete Akai und zog sie an sich heran. „Du hast nichts falsch gemacht, Jodie“, fügte er hinzu. Wie in Trance schmiegte sich Jodie an seinen Brustkorb. Das Gefühl kam ihr vertraut vor und es fühlte sich gut an. Sie hätte eine Ewigkeit in dieser Position verharren können. Jetzt wurde ihr bewusst, warum sie sich wohl damals auf ihn einließ. Er gab ihr das Gefühl, dass sie wichtig war und sich in Sicherheit befand. Nach einer gefühlten Ewigkeit hob sie den Kopf und sah in seine tiefgrünen Augen. Auf einmal geisterten so viele Gedanken, Wünsche und Fragen durch ihren Kopf und sie alle wollten an die Außenwelt gelangen. Als sein Blick langsam und fast hypnotisch zu ihrem Mund wanderte, schaltete sich ihr Verstand aus. Jodie bemerkte gar nicht, dass sie sich ihm langsam entgegenstreckte und die Augen schloss. Kurz bevor es zum Kuss kam, klingelte das Handy des FBI Agenten. Sofort fuhren die beiden wie die Teenager auseinander. Shuichi räusperte sich. „Ich muss da ran gehen.“ Jodie nickte verständnisvoll, sodass Akai das Gespräch entgegennahm. „Was gibt es?“ „Hast du die Nachrichten gehört?“, wollte Camel aufgebracht wissen. „Leider ja“, antwortete Shuichi und seufzte. „Und was denkst du darüber?“ „Ohne eine offizielle Beauftragung können wir in dem Fall nicht ermitteln“, entgegnete der FBI Agent. „Noch ist nicht viel bekannt.“ „Und wenn dieser Amuro doch zurück an den Hafen fuhr?“ „Dann werden wir dafür keinerlei Beweise finden“, sprach Shuichi ruhig. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde mich morgen mit dem NYPD in Verbindung setzen und die bisherigen Ermittlungsergebnisse anfragen. Aber nach allem was ich über ihn weiß, halte ich einen Selbstmord für nicht ausgeschlossen.“ „Mhm…“, murmelte Camel nachdenklich. „Wie geht es Jodie? Weiß sie schon davon?“ Shuichi sah aus dem Augenwinkel zu ihr. Er verfluchte seinen Kollegen dafür, dass er ihren ersten intimen Moment seit den Geschehnissen gestört hatte. „Ganz gut. Ich melde mich morgen“, antwortete er und legte auf. „Du hättest ruhig weitere telefonieren können.“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Passt schon. Möchtest du dich schlafen legen?“ Jodie nickte zaghaft. „Ich bereite dir das Bett vor.“ Shuichi stand auf. „Das Sofa reicht mir.“ „Das Sofa ist bereits durch mich besetzt“, konterte der FBI Agent und verließ den Raum. Er ging in sein Schlafzimmer und holte Kleidung für den nächsten Tag, sowie Bettwäsche aus dem Bettkasten heraus. Jodie beobachtete ihn. „Diskussionen bringen wohl nichts“, murmelte sie. „Richtig“, lächelte er und ging zu ihr. „Wenn du etwas brauchst, bedien dich ruhig. Gut Nacht“, fügte er hinzu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht“, sagte Jodie und sah ihm nach. Shuichi brachte die Sachen ins Wohnzimmer und bereitete sein nächtliches Quartier vor. Danach zog er den Laptop aus der Ablage des Tisches hervor und startete diesen. Er tippte sein Passwort ein und recherchierte über den Verstorbenen. Unruhig wälzte sich Jodie im Bett hin und her. Andauernd nahm sie eine neue Schlafposition ein, bis sie schließlich mit einem spitzen Schrei wach wurde. Mit einem Mal saß Jodie auf dem Bett. Sie schwitzte und hielt sich den Kopf. Jodie schaukelte hin und her. „Nein…nein…nein…“, wisperte sie leise. „Bitte..nicht…nicht schon wieder…“ Shuichi kam in Boxershorts ins Schlafzimmer gelaufen. „Was ist passiert?“, wollte er sofort wissen und sah zu ihr. „Oh, Jodie“, wisperte er leise. Er setzte sich zu ihr ans Bett und zog sie in seine Arme. „Es ist alles gut. Du hattest nur einen Albtraum“, flüsterte er ihr zu. „Nein…nein…mein Kopf…mein Kopf…tut so weh…“ Akai drückte sie an sich. „Alles ist gut…alles ist gut“, wiederholte er. „Ich…ich brauch…mein Medikament…“ „Medikament?“ Nun wurde der FBI Agent hellhörig. „Was für ein Medikament nimmst du?“ „Gegen…die Kopfschmerzen…“ „Du meinst Aspirin?“ Jodie schüttelte den Kopf. „Es ist…ein stärkeres…Schmerzmittel.“ „Hast du häufig diese Art von Kopfschmerzen?“ „Jeden Tag…wenn ich das Medikament nicht nehme…das sind die Folgen…vom Unfall damals…“ Sie kniff die Augen zusammen. „Die Bluse…sie hat eine kleine Tasche…dort ist eine…Pillendose für…den Notfall. Bitte…ich brauche…eine Pille…“ Shuichi strich ihr behutsam über den Rücken. Auf einmal wurde die Wahrheit so klar. „Jodie? Erinnerst du dich, was du mir vorhin erzählt hast? Du hast manchmal Erinnerungsfetzen und jetzt sagst du mir, dass die jeden Tag Medikamente nehmen musst. Ich weiß, es klingt sehr unglaubwürdig, aber hast du mal daran gedacht, dass die Organisation deine Erinnerungen damit unterdrückt?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein…es tut…so weh…es tut…weh…“ Jodie schluchzte. „Schh…sch…das kriegen wir hin“, murmelte er. „Ich rufe einen befreundeten Arzt an, in Ordnung? Er kann dir sicher helfen.“ „Okay“, murmelte die junge Frau. „Ich bin gleich wieder da“, sagte er und löste sich von Jodie. „Es wird alles wieder gut“, fügte er hinzu und verließ das Schlafzimmer. Jodie legte sich wieder ins Bett und massierte die Schläfen. Sie versuchte an etwas Anderes zu denken und den Schmerz weg zu atmen. Shuichi nahm sein Handy und informierte den befreundeten Arzt, anschließend zog er sich ein Oberteil und eine Hose an. Akai ging in das Badezimmer und inspizierte Jodies Bluse. Schnell fand er die kleine Pillendose und öffnete sie. Neugierig betrachtete er den Inhalt und runzelte die Stirn. Keine zwanzig Minuten später stand der Arzt vor seiner Haustür und klingelte. Shuichi steckte die Pillendose ein und ging an die Tür. Er ließ den Arzt hinein und brachte ihn zu Jodie. „Jodie? Das ist Dr. Lambert. Du kannst ihm vertrauen.“ Jodie setzte sich schmerzerfüllt auf. „Ihnen tut der Kopf weh?“, wollte Dr. Lambert wissen. Jodie nickte zaghaft. „Und…ich habe diese…Bilder im Kopf…Erinnerungen…“ Dr. Lambert setzte sich zu ihr ans Bett und öffnete seinen Arztkoffer. „Ich gebe Ihnen gleich ein mildes Beruhigungsmittel. Wenn Sie morgen früh immer noch diese Kopfschmerzen verspüren, kriegen Sie eine stärkere Dosis“, erklärte er und holte sowohl Spritze als auch die Flasche mit dem Medikament heraus. Er zog die Spritze auf und schob Jodies Ärmel nach oben. „Sie spüren gleich einen kurzen Stich“, fügte er hinzu. Er desinfizierte die Stelle und spritzte ihr dann das Medikament. „Danke“, murmelte Jodie leise. „Es braucht ein paar Minuten, aber es wirkt. Sie fühlen sich gleich besser.“ Jodie legte sich wieder hin. „Kann ich Sie kurz draußen sprechen?“, wollte Shuichi wissen. „Natürlich.“ Dr. Lambert packte seine Sachen zusammen und stand auf. „Gute Besserung“, fügte er hinzu und verließ mit dem FBI Agenten den Raum. „Ich hoffe, dass eine stärkere Dosis nicht notwendig sein wird.“ „Das hoffe ich auch“, gestand Akai. Er zog die Pillendose aus seiner Hosentasche und reichte sie dem Arzt. „Ich muss wissen, was das für ein Medikament ist.“ Dr. Lambert öffnete die Dose und betrachtete das Beweisstück. „Mhm…das wird nicht einfach sein. Es gibt keine Indizien auf eine bekannte Marke. Ich kann die Zusammensetzung prüfen, dann haben wir eine erste Einschätzung. Allerdings dauert die Analytik.“ Shuichi nickte. „Tun Sie alles, damit es schnell geht. Aber man soll nicht auf das FBI aufmerksam werden.“ Dr. Lambert schmunzelte. „Das ist selbstverständlich. Ich arbeite nicht das erste Mal mit dem FBI zusammen. Ich melde mich, wenn ich mehr weiß.“ „Danke“, entgegnete Shuichi und brachte ihn raus. Danach ging der FBI Agent zurück ins Schlafzimmer und beobachtete Jodie. Er setzte sich zu ihr und strich ihr über den Rücken. „Es wird alles gut“, versprach er. „Die Organisation wird dir nichts mehr tun. Ich pass jetzt auf dich auf.“ Kapitel 19: Im Hotel -------------------- Jodie lag im Bett und sah nach oben an die weiße Decke. In ihrem Kopf drehte sich alles. Eine Erinnerung nach der nächsten verschwamm und kehrte wie neu zusammengesetzt zurück. Wenigstens hatten die Kopfschmerzen aufgehört und Jodie konnte langsam wieder klarer Denken. Der Schleier, den sie all die Zeit verspürt hatte, wurde endlich gelüftet und sie fühlte sich wie befreit. Endlich konnte sie wieder die sein, die vor dem schrecklichen Unfall – so nannte es beinahe jeder – am Hafen vor einem Jahr existierte. Außerdem konnte Jodie endlich die Wahrheit von der Lüge unterscheiden, sie wusste wieder wer Freund und wer Feind war. Jodie schluckte. Ein Jahr hatte sehr vieles verändert. Vollgestopft mit Medikamenten hatte sie ihren schlimmsten Feinden – zu denen sie einst selbst gehörte und sie sogar ihre Familie nannte – vertraut und war ihnen weiterhin hörig. Und wozu? Sie hatten sie wieder einmal für ihre eigenen Zwecke benutzt und in die Hölle des Löwen geschickt. Und so hätte sie beinahe einem wichtigen Menschen das Leben genommen. Glücklicherweise war alles anders gekommen und Dai – Shuichi - brachte ihr ohne es zu wollen die Erinnerung zurück. Langsam schlug Jodie die Decke weg und setzte sich auf. Sie sah durch den Raum und lächelte leicht. Obwohl zwischen Tokyo und New York mehr als nur ein kontinentaler Unterschied lag, ähnelten sich seine Schlafzimmer. Sie waren gleichermaßen kühl eingerichtet – so als würde er jeden Moment damit rechnen umziehen zu müssen – strahlten aber auch eine gewisse Wärme und Geborgenheit aus. Die Amerikanerin schmunzelte bei dem Gedanken ihn endlich wieder zu sehen und dabei bei klarem Verstand zu sein. Zwar erinnerte sie sich an die Gespräche der letzten Tage mit ihm, aber trotzdem war sie nervös und neugierig zugleich. Sie stand auf und sah an sich runter. Auch wenn seine Sportsachen frisch aus der Wäsche kamen, vernahm sie noch immer seinen Geruch. Unweigerlich setzte sich eine Gänsehaut auf ihren Körper und Jodie musste wie ein kleines Schulmädchen kichern. Bei jedem Schritt in Richtung des Wohnzimmers zitterten ihre Beine, obwohl gar kein Grund dafür bestand. Dennoch hatte sie Angst vor seiner Reaktion und vor dem, was sich im letzten Jahr alles verändert hatte. Als Jodie im Wohnzimmer stand, fiel ihr Blick sofort auf den FBI Agenten. Sie beobachtete ihn einen kurzen Moment und lächelte. Es war als hätte er ihre Anwesenheit gespürt, da er sofort die Augen aufschlug. Automatisch wich Jodie ein paar Schritte nach hinten. „Jodie“, gab der Agent von sich und setzte sich abrupt auf. Unweigerlich musterte sie ihn. Von oben nach unten – bis sie an der störenden Decke ankam. „Ich…ich wollte…dich nicht…wecken“, murmelte sie leise. „Hab eh nicht mehr geschlafen“, antwortete Akai. „Aber ich dachte, ich würde dich wecken, wenn ich in der Küche zugange bin.“ „Ich glaube, dass…hättest du nicht geschafft“, sagte sie. „Ich hab sehr tief geschlafen. Das Mittel vom Arzt hat sehr gut gewirkt.“ Shuichi nickte verstehend. „Geht es dir jetzt besser?“, wollte er wissen. „Ja, ich fühle mich wieder klarer im Kopf“, gestand sie. „Und…ich kann mich wieder erinnern.“ Shuichi schluckte. Auf einmal spukten ihm zu viele Gedanken im Kopf herum. Was hatte sie alles im vergangenen Jahr erlebt? Wie schwer lasteten die Wunden auf ihrer Seele? Was fühlte sie? Langsam rückte Shuichi zur Seite und Jodie nahm neben ihm Platz. „Jodie, ich…“, murmelte er leise. „Ich bin damals zurück gekommen. Ich habe gesehen…wie du auf dem Boden lagst“, erzählte er. „Black und Camel…haben mich weggebracht und…ich hatte keine Chance und bin im Krankenhaus wach geworden. Einige Tage später bin ich zurück zum Hafen und habe nach Hinweisen gesucht…allerdings musste ich wieder nach New York zurück kehren. Es tut mir leid. Ich hätte…noch mehr nach dir suchen müssen.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Du hast…sicher getan, was du konntest“, wisperte sie. „Ich wollte…damals gehen, aber…Vermouth und Calvados kamen mir zuvor. Sie hat auf mich…geschossen, aber ich bin…wegen meiner Verletzungen zusammen gebrochen. Gerade als sie…als sie mich erschießen wollte, erhielt sie einen Telefonanruf. Und dann nahmen sie mich mit…“ Shuichi legte den Arm um sie und drückte sie an sich. „Ich bin im Krankenhaus zu mir gekommen“, erzählte sie leise. „Alle meine Erinnerungen waren weg und sie redeten mir…eine andere Vergangenheit ein. Ein Teil von mir…kannte aber immer die Wahrheit…nur gab es nie die Chance, dass sie an die Oberfläche kommt…denn immer wenn es soweit war, musste ich die Pillen nehmen. Irgendwann habe ich geglaubt, dass es Schmerzmittel sind und sie regelmäßig eingenommen. Sie haben mich schließlich hergeschickt, damit…ich dich erledige.“ „Und…Ackermann? Was hat er damit zu tun?“, wollte Shuichi wissen. „Ackermann hat früher in Japan gelebt…mit seiner Frau. Die Familie in die er eingeheiratet hat, hat Geld, also sollte ich sie um dieses erleichtern. Danach hatte er Angst und zog weg. Wir haben uns hier zufällig getroffen und natürlich will die Organisation kein Risiko eingehen.“ „Verstehe“, gab Akai von sich. „Deswegen solltet ihr euch um ihn kümmern.“ Akai überlegte. „Ackermann wurde tot aufgefunden.“ „Was?“ Jodie schluckte. „Dann hat Amuro…?“ „Ich glaube nicht, dass er es gewesen ist. Als wir gestern Nacht nach Hause gekommen sind, ist sein Tod öffentlich geworden. Wenn die Organisation nicht noch jemanden auf dem Schiff hatte, hatte er entweder einen anderen Feind oder es war Selbstmord. Ich werde mir heute noch die Ermittlungsergebnisse vom NYPD geben lassen.“ „In Ordnung“, sagte Jodie leise. „Hast du mich…schon deinem Vorgesetzten gemeldet?“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Ich wollte zuerst sicher gehen, dass es dir heute früh besser geht.“ „Und…was machen wir jetzt?“ „Du hast in der Nacht dein Medikament gewollt“, begann Shuichi. „Ich habe die Pille Dr. Lambert mitgegeben, damit er sich die Zusammensetzung anschaut. Wenn die Organisation tatsächlich etwas hat, womit sie Erinnerungen unterdrücken können, müssen wir entweder dafür sorgen, dass wir sie zerstören oder wir müssen ein Gegenmittel finden.“ „Dann…braucht ihr mehr von dem Medikament“, entgegnete die Amerikanerin. „Im Hotelzimmer hab ich noch mehr.“ „Dann sollten wir ins Hotel. Vielleicht finde ich dort auch einen Hinweis auf die Organisation.“ Jodie schluckte. „Hältst…hältst du das…für eine gute Idee?“ „Hast du Angst?“, wollte der FBI Agent wissen. „Ich…ich weiß nicht“, murmelte sie. „Wenn Amuro dort ist…“ Shuichi dachte nach. „Er wird dir nichts tun. Das verspreche ich dir“, murmelte er. „Ich kann uns ein kleines Zeitfenster verschaffen.“ „Wie?“ Shuichi stand auf. „Ich zieh mich an und wir fahren los. Ich erklär dir den Plan unterwegs.“ „Äh“, gab Jodie irritiert von sich. „Am besten du nimmst dann auch aus dem Hotel ein paar Sachen mit. Nicht, dass dir meine Sachen nicht stehen würden…“ „Ich weiß schon“, entgegnete Jodie etwas schmunzelnd. Shuichi parkte den Wagen und sah zu Jodie. „Bist du soweit?“, wollte er wissen. Jodie war angespannt und beobachtete den Eingang zum Hotel. Sie nickte, auch wenn es nicht der Wahrheit entsprach. Jodie ging den Plan ein weiteres Mal in ihrem Kopf durch: Shuichi würde im Hotel anrufen und nach Amuro verlangen. Anschließend würde er das Organisationsmitglied zu einem Treffen bewegen und warten bis dieser das Hotel verließ. Direkt danach würden sie ihr Hotelzimmer aufsuchen, ihre Sachen und Beweise gegen die Organisation holen und wieder zurück fahren. Wenn sie den Plan richtig umsetzten, würde Amuro den Schwindel erst bemerken, wenn es zu spät war. „Jodie“, begann er. „Komm, schau mich an.“ Jodie blickte zaghaft zu ihm. „Du schaffst das, hörst du? Ich weiß, dass du stärker bist als du denkst. Du hast schon so vieles überlebt und wenn du uns hilfst, kommen wir gegen die Organisation an.“ „Wir schaffen das“, wisperte Jodie leise. „Genau“, sagte er mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Er beugte sich zu ihr und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen. „Ich lass dich nicht alleine.“ „Du weißt…wie man mich beruhigt und wie man mir Mut macht“, entgegnete sie. „Als ob ich dich nach einem Jahr einfach allein lassen würde.“ „Wenn du noch so weiter machst, fang ich an zu weinen…was überhaupt nicht meine Art ist“, fing Jodie an. „Lass uns also anfangen.“ Shuichi nickte und zog sein Handy heraus. „Wenn Amuro draußen ist, haben wir nicht viel Zeit“, sprach er und wählte die Nummer der Rezeption. „Hudson Hotel, Sie sprechen mit Weaver, wie kann ich Ihnen helfen?“, wollte der Mann am anderen Ende der Leitung wissen. „Hier spricht Akai, bitte leiten Sie mich zu Herrn Amuro weiter. Er soll bei Ihnen übernachten.“ „Einen Moment, bitte.“ Shuichi hörte das schnelle Tippen auf der Tastatur. „Oh, das tut mir leid. Der Gast aus Zimmer 235 hat heute Morgen ausgecheckt. Soll ich Sie zu seiner Begleitung auf Zimmer 236 weiterleiten?“ „Oh“, gab Akai überrascht von sich. „Das ist nicht nötig. Danke trotzdem“, fügte er hinzu und legte auf. Er steckte das Handy in seine Hosentasche und sah zu Jodie. „Amuro hat heute früh das Hotel verlassen. Es scheint, als würde er nicht mehr zurück kommen.“ „Was?“, wisperte Jodie ungläubig. „Und…meine Sachen…ich…“ „Er hat ausgecheckt. An deiner Reservierung hat sich nichts geändert.“ Shuichi verschränkte die Arme. „Es könnte auch nur ein Trick sein und er beobachtet ab jetzt das Hotel und wartet auf deine Ankunft. Oder er ist zurück nach Tokyo. Allerdings…“ Shuichi runzelte die Stirn. „Allerdings?“ „Allerdings hätte er dann dafür gesorgt, dass deine Sachen verschwinden.“ Akai öffnete die Wagentür. „Was auch immer hier vorgeht, ich werde es heraus finden. Wir bleiben bei unserem Plan und gehen deine Sachen holen. Sollte Amuro zurück kommen, bin ich vorbereitet.“ Jodie nickte und stieg langsam aus dem Wagen. „Ich versteh das nicht.“ „Ich auch noch nicht“, gestand der FBI Agent. „Ich werde nicht noch einmal zulassen, dass dich die Organisation in ihre Hände bekommt“, fügte er hinzu. Er ging an den Kofferraum, holte eine Reisetasche heraus und betrat anschließend mit Jodie das Hotel. Shuichi ließ seinen Blick durch die Eingangshalle schweifen und als er sich sicher fühlte, ging er zu den Treppen. „Sind sicherer als der Fahrstuhl“, kommentierte er leise. Jodie nickte verstehend und folgte ihm bis zu ihrem Zimmer. Sie stand vor der Tür und schluckte. Ein Bitte nicht stören-Schild hing am Türknauf und Jodie überkam ein ungutes Gefühl. „Hast du den Schlüssel.“ „Ja“, murmelte sie leise und öffnete die Tür. Das Zimmer wurde chaotisch hinterlassen. Die Bettwäsche lag auf dem Boden, ihre Reisetasche wurde durchwühlt und ihre Kleidung lag überall verstreut herum. „Er war hier“, stellte Shuichi fest. Jodie sah sofort zur Durchgangstür. „Er hat bei der Reservierung darauf geachtet, dass die Zimmer miteinander verbunden sind.“ „Ich kümmer mich darum“, entgegnete der FBI Agent. Er zog seine Dienstwaffe heraus und ging auf die Durchgangstür zu. Langsam legte er seine Hand auf die Türklinke. Anspannung lag in der Luft und als er die Klinke herunterdrückte, passierte nichts. „Abgeschlossen.“ Jodie seufzte vor Erleichterung auf, während Shuichi seine Dienstwaffe wieder in das Holster steckte. „Kannst du schon vorab einschätzen, ob etwas fehlt?“, wollte er wissen. „Das kann ich“, murmelte Jodie. „Ich hab auf dem Flug ein paar Unterlagen zu deiner Person bekommen. Sie sind alle weg.“ Anschließend kramte Jodie in ihrer Handtasche. „Die Tabletten sind auch weg. Er hat…hier aufgeräumt.“ Shuichi verschränkte die Arme. „Das hab ich mir schon gedacht.“ Er blickte zu ihr. „Pack jetzt ein paar Sachen in die Tasche, die ich dir mitgab. Wir wissen nicht, was die Organisation verwanzt hat, also nimm nichts mit, was uns verraten könnte.“ „Ich beeil mich“, kam es von Jodie. Sie ging in das Badezimmer und holte aus ihrem Kulturbeutel alle notwendigen Utensilien heraus. Den Rest würde sie später einfach nachkaufen. Jodie atmete tief durch. Ein Augenblick hatte alles verändert und jetzt war sie auf der Flucht vor der Organisation – schon wieder. Sie kam zurück ins Zimmer und sah ihre Kleidung durch. Etwa zwanzig Minuten später klopfte es an der Zimmertür. Jodie sah irritiert dorthin, während Shuichi bereits die Hand an seinem Holster hatte. „NYPD“, rief ein Mann. „Bitte machen Sie die Tür auf. Shuichi verengte die Augen. „Bleib zurück“, sagte er zu Jodie und ging an die Zimmertür. Er setzte einen entspannten Gesichtsaufdruck auf und öffnete. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ Der Polizist sah ihn irritiert an. „Ich bin Detective Rogers, das ist mein Partner Detective West“, stellte er sich vor. „Wir sind hier wegen Miss…Amuro?“ Jodie schluckte. „Worum geht es?“ Detective Rogers sah an ihm vorbei. „Miss? Wir müssen Sie bitten uns aufs Revier zu begleiten.“ Jodie wich einen Schritt nach hinten. „Aber…warum…?“, wollte sie leise wissen. „Es geht um eine Befragung im Fall Ackerman. Sie haben bestimmt heute Morgen in den Nachrichten davon gehört.“ Shuichi zückte unverzüglich seinen Dienstausweis. „Ich bin FBI Special Agent Akai. Ich habe den Fall Ackermann übernommen.“ „Das FBI hat was?“, wollte Detective West etwas lauter wissen. „Das darf doch nicht wahr sein…schon wieder schnappt uns das FBI einen Fall weg“, zischte er wütend. Akai steckte seinen Dienstausweis wieder ein und holte seine Visitenkarte heraus. „Darauf finden Sie meine Mail Adresse. Schicken Sie mir all Ihre Informationen so schnell wie möglich zu. Wenn ich alles gesichtet habe, können wir uns um 13 Uhr zur Übergabe zusammen setzen.“ „Wenn es sein muss…“ Kapitel 20: Jodie Starling -------------------------- James Black und Andre Camel standen in dem kleinen Zwischenraum zwischen den beiden Verhörzimmern in der Niederlassung des FBIs und beobachteten Jodie durch die Scheibe. Auf der anderen Seite des Raumes schirmte ein Spiegel den Raum vor den Blicken von Verdächtigen, Anwälten und Zeugen ab. Außerdem gab es den Agenten die Möglichkeit die Personen erst einmal zu beobachten. Anschließend blieb während einer Befragung häufig ein Agent im Zwischenraum, beobachtete die Mimik und Gestik des Befragten und gab seinem Kollegen über ein Mikrofon weitere Hinweise oder Fragestellungen. „Oh mein Gott“, murmelte James „Ich habe zwar Fotos von ihr gesehen…aber ich hätte nicht gedacht dass sie ihrer Mutter so ähnlich sieht…“ „Sir?“ Camel sah seinen Vorgesetzten an. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht vorher Bescheid gegeben habe. Als mich Agent Akai zur Unterstützung dazu holte, war ich auch sehr überrascht, dass sie noch am Leben ist. Ich wollte es Ihnen sagen, aber nachdem ich damals diesen Fehler gemacht habe, wollte ich Akai jetzt nicht in den Rücken fallen.“ „Ist in Ordnung“, entgegnete James ruhig. „Ich kann es irgendwie verstehen. Wahrscheinlich hätte ich an Ihrer Stelle genau so gehandelt und ohne Beweise ist es schwer jemanden zu überzeugen. Und wie ich Sie einschätze, haben Sie alles getan was notwendig war um Jodies Leben zu schützen.“ Camel nickte. „Danke, Sir.“ Shuichi öffnete die Tür zum Zwischenraum und sah die beiden Männer an. „Ich habe mit den Detectives vom NYPD alles geklärt und möchte jetzt Jodie das Ergebnis mitteilen. Wenn Sie möchten, können Sie dabei sein.“ James nickte und folgte Akai nach draußen. „Agent Camel, wenn Sie wollen, können Sie zurück in Ihr Büro“, sagte er und betrat mit dem anderen FBI Agenten das Verhörzimmer. Jodie saß alleine und angespannt in dem Raum. Dennoch kannte sie sich bereits gut genug aus um zu wissen, dass sie über den Spiegel beobachtet wurde. Teilweise fühlte sie sich sogar etwas heimelig, da es keine große Veränderung zu Japan gab. Außerdem war es für Jodie in Ordnung beobachtet zu werden, immerhin gehörte sie zu den Feinden des FBIs. Die Amerikanerin war erleichtert, dass Shuichi die Lage im Hotelzimmer sehr schnell erfasst und entsprechend reagiert hatte. Hätte er den Fall nicht so schnell an sich gerissen, hätte es auch ganz anders für sie enden können. Als Shuichi in seinem Wagen seinen Vorgesetzten informiert hatte, wurde Jodie unweigerlich nervös, da alles auf einmal so schnell ging und sie ihre Vergangenheit immer noch nicht in ihrer gesamten Komplexität verstanden hatte. Der Nachteil daran war allerdings, dass sie die ganze Zeit über warten durfte, zuerst in Shuichis Büro und anschließend im Verhörzimmer. Außerdem gab es noch Agent Camel, der versuchte ihr die Situation so einfach wie möglich zu machen, was aber auch hieß, dass er gefühlt jede halbe Stunde in den Raum kam und sie nach ihren Bedürfnissen fragte. Aber wie würde es gleich weiter gehen? Würde das FBI ihre Taten unter den Teppich kehren oder würde sie mit einer Strafe rechnen müssen? Und was war mit Shuichi? Würden seine Handlungen ebenfalls Konsequenzen haben? Als die Tür des Verhörzimmers geöffnet wurde, zuckte Jodie zusammen, auch wenn sie eigentlich für solche Situationen ausgebildet wurde. „Jodie“, begann Shuichi und nahm neben ihr Platz. „Wie geht es dir? Hat man sich hier gut um dich gekümmert?“ „Ganz gut“, antwortete Jodie ruhig. „Ich habe etwas zu Essen und zu Trinken bekommen und…ansonsten war es ganz ruhig.“ Der FBI Agent nickte. „Ich verstehe. Jodie? Das ist mein Vorgesetzter, James Black. Du hast Vermouth damals in seiner Verkleidung schon einmal gesehen. Er ist…war außerdem der Partner von deinem Vater.“ Jodie musterte den älteren Mann. „Ich…ähm…wie war er so…also mein Vater?“, fragte sie leise. James setzte sich Jodie gegenüber. „Agent Starling war ein fantastischer Agent. Er hat immer den Ausgleich zwischen seiner Arbeit bei uns und seiner Familie gefunden. Er hat sie wahnsinnig geliebt und wollte immer dafür sorgen, dass es seiner Frau und Tochter an nichts fehlte. Weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft. Deswegen hat er oftmals auch schwierige Aufträge übernommen und über seine Grenzen hinaus gearbeitet. Er war ein guter Mann und einer meiner ältesten Freunde. Seine Frau war ein sehr liebevoller Mensch. Sie hat sich um alles und jeden gekümmert, selbst um die Tiere auf der Straße. Am liebsten hätte sie alle mit nach Hause genommen und gerettet. Sie war wirklich jemand, der sofort zur Stelle war, wenn ein anderer Hilfe brauchte“, erzählte er. „Starling hat kurz vor seinem Tod gegen die Organisation ermittelt und sich als Bodyguard von Sharon Vineyard bei ihnen mehr oder minder eingeschlichen. Wir gehen davon aus, dass sie die Wahrheit erfahren hat und daraufhin ihm und seine Frau aus Rache das Leben genommen hat.“ „…und mich entführte“, murmelte Jodie. „Vor etwa einem Jahr hat Ver…Chris das Verbrechen mir gegenüber gestanden. Sie sagte, sie hätte es nicht gekonnt ein Kind in den Flammen sterben zu sehen…“ „Ich verstehe“, gab James von sich. „Nun denn…wir müssen trotzdem überprüfen, ob Sie wirklich seine Tochter sind.“ „Black“, kam es von Akai. „Vermouth hat bereits gestanden. Und Sie selbst haben gesagt, dass die Ähnlichkeit zu verblüffend ist.“ „Das mag sein“, stimmte der FBI Agent zu. „Allerdings bin ich auch ein Mensch, der die Schlussfolgerungen und Indizien mit Beweisen belegt haben muss.“ Er sah zu Jodie. „Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich weiß, ich mute Ihnen viel zu, aber ich würde gern einen Vaterschaftstest durchführen lassen.“ Jodie schluckte. „Haben Sie denn seine DNA?“ „Unsere Agenten geben regelmäßig eine Blutprobe ab. In diesem Zuge wird auch eine DNA-Probe genommen und entsprechend aufbewahrt. Wenn von Ihrer Seite nichts dagegen spricht, sollte ein Test möglich sein. Natürlich nur, wenn es auch in Ihrem Interesse ist.“ „Ja…“, gab Jodie von sich. „Machen Sie den Test. Ich will die Gewissheit haben…schwarz auf weiß.“ „In Ordnung“, nickte James. „Ich werde gleich alles Weitere veranlassen.“ „Und…was passiert mit Shuichi?“, fragte Jodie leise. „Er hat mich…damals und…auch jetzt…nur schützen wollen.“ „Machen Sie sich um den mal keine Sorgen, der ist hart im nehmen“, antwortete James. „Es hat mich zwar überrascht, dass er den Ackerman Fall einfach so und ohne Rücksprache übernommen hat, aber er weiß schon was er tut.“ „Und er ist anwesend“, kam es trocken von Akai. James schmunzelte. „Sie wissen, wie ich das meine. Aber Spaß bei Seite. Sie wollten uns über den Ackerman Fall aufklären.“ Akai nickte. „Detective Rogers hat mir die bisherigen Ermittlungsergebnisse zur Verfügung gestellt und ich konnte sie entsprechend auswerten. Ackerman ist einige Stunden nachdem Jodie und ich über Board gefallen sind, ebenfalls ins Wasser gestürzt und ertrunken. Einige Gäste hatten seinen Sturz gesehen oder seine Hilferufe gehört. Es sind zwar einige Gäste auch nachgesprungen, aber für Ackerman war es bereits zu spät. Die Polizei hat es für einen schrecklichen Unfall gehalten. Seine Frau wurde daraufhin von Freunden der Familie nach Hause gebracht und fand dort einen Brief ihres Mannes. In dem Brief hat er sich bei ihr für alles entschuldigt und gestanden was vor über einem Jahr zwischen ihm und Jodie passiert ist. In dem Brief führte er weiterhin aus, dass er sie jetzt wieder getroffen hatte und sie ihm möglicherweise wieder auflauern würde. Er hatte auch ein Bild von dir“, erzählte Shuichi. „Ich nehme an, er hat den Brief geschrieben, weil er sich nach der Nacht im Gefängnis sah.“ „Du meinst…er hatte geahnt, dass ich auf dem Schiff sein würde und…hatte geplant mich umzubringen?“ „Es ist nicht auszuschließen. Aber wir können ihn nicht mehr Fragen. Jedenfalls hat sich seine Frau dann erinnert, dass sie dich auf dem Schiff sah und sofort die Polizei informiert.“ James hatte aufmerksam zugehört. „Dann hat sie also geglaubt, dass der Tod ihres Mannes durch Jodie verursacht wurde.“ „Genau“, entgegnete Shuichi. „Die Polizei hat daraufhin das Personal überprüft und selbstverständlich niemanden ausfindig gemacht, der auf Jodies Beschreibung passen könnte. Deswegen wurde sie zur Fahndung ausgeschrieben. Aufgrund der Beziehung zu Japan nahm man an, dass man dich möglicherweise im Hotel findet. Als wir dort waren, hat dich der Rezeptionist erkannt und das NYPD informiert.“ „Deswegen waren sie so schnell dort“, murmelte Jodie verstehend. „Unser Glück war Ackermans Paranoia. Auf dem Schiff waren überall Kameras, die erst heute Mittag ausgewertet wurden. Es war erkennbar, dass er den Triumph über dich gefeiert und zu viel getrunken hat. Durch das Schaukeln des Schiffes hat er letzten Endes den Halt verloren und ist über Board gegangen. Sein Tod war also tatsächlich ein Unfall. Außerdem war auf dem Video zu sehen, wie er dich gewürgt und vom Schiff gestoßen hat.“ „Und…wie geht es jetzt weiter?“, wollte Jodie wissen. „Mit dem Anwalt von Ackermans Frau haben wir ausgemacht, dass der Tod ihres Mannes weiterhin nur als Unfall in den Akten geführt wird und keine weiteren Details an die Presse weitergegeben werden. Außerdem verzichtest du auf eine Anzeige wegen Körperverletzung und versuchten Mordes, sowie auf das Schmerzensgeld was dir zustünde. In Anbetracht, dass wir sonst auch die Organisation im Nacken hätten, halte ich das für ein gutes Vorgehen. Ich hoffe, das war auch in deinem Interesse.“ Jodie nickte. „Ja, ja…natürlich…ich möchte nicht, dass…mich die Presse in ihrem Fokus hat…ansonsten…kann das nicht schön enden.“ „Wir können über diesen Ausgang froh sein.“ Jodie sah zu James. „Und was machen wir jetzt wegen mir und der Organisation?“ „Wir werden erst einmal den Test machen und das Ergebnis abwarten.“ James blickte zu Shuichi. „Ich denke, Sie können erst einmal bei Agent Akai bleiben und ich nutze die Zeit um mir etwas Einfallen zu lassen. In einer Woche treffen wir uns wieder.“ Angespannt saß Jodie in Shuichis Büro. Auch wenn sie wusste, wie das Testergebnis ausfiel, spielten ihre Gedanken verrückt. Jodie malte sich alle möglichen Szenarien aus und ging dabei immer vom Schlimmsten aus. „Dein Boss hat keine Andeutungen gemacht, wie der Test ausgegangen ist?“ Akai schüttelte den Kopf. „Er hat am Telefon nur gesagt, dass das Ergebnis da ist und ich dich mitbringen soll.“ Jodie schluckte. „Ich bin irgendwie aufgeregt.“ „Das musst du nicht sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vermouth damals gelogen hat.“ Jodie nickte. Als die Tür zum Büro aufging, stand sie automatisch auf. „Bleiben Sie ruhig sitzen“, sagte James und zog sich einen Stuhl vom benachbarten Arbeitsplatz heran. Er setzte sich und beobachtete Jodie. „Ich habe den Brief noch nicht geöffnet“, fügte er hinzu und holte den Umschlag aus seiner Mantelinnentasche. „Ich…ich bin irgendwie nervös…ich mein, ich weiß…wie das Ergebnis sein müsste…aber trotzdem…ich…“ „Ich kann Sie sehr gut verstehen“, nickte James. „Machen wir ihn zusammen auf. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?“ Jodie blickte auf Shuichi. „Soll ich lieber gehen?“, wollte der Agent wissen. Jodie schüttelte den Kopf. „Bitte bleib“, wisperte sie und sah dann auf den Briefumschlag. Sie atmete tief durch. „Wir können ihn öffnen.“ „In Ordnung“, entgegnete Black und öffnete den Briefumschlag. Er las sich die Zeilen durch. „…die Wahrscheinlichkeit einer Vaterschaft beträgt 99.999%...“ „Das heißt…“ James nickte. „Das heißt, dass Sie Jodie Starling sind.“ Jodie hielt sich die Hände vors Gesicht. „Ich bin…ich bin…“ „Ja“, murmelte der Ältere. „Wir haben Sie endlich gefunden.“ Jodie brauchte einen Moment um sich zu fangen. „Und…und wie geht es jetzt weiter?“ „Nun ja“, fing James an und runzelte die Stirn. „Sie haben die Möglichkeit den Namen Saintemillion zu behalten oder abzulegen und Starling anzunehmen. Das bleibt Ihnen überlassen. Außerdem haben Sie das Recht auf die Rücklagen Ihrer Familie.“ „Rück…rücklagen?“ Black nickte. „Ihr Vater war immer um Ihr Wohl bedacht. Nach dem Mord haben wir alle Konten soweit einfrieren lassen. Als berechtigte Erbin haben Sie auf diese nun Zugriff. Sie können sich von dem Geld eine Wohnung oder ein Haus kaufen oder Sie investieren es anderweitig in Ihre Zukunft.“ Jodie blickte zu Shuichi. „Ich…glaube…eine neue Wohnung…ist nicht nötig. Außer du…du willst mich los werden.“ „Auf gar keinen Fall“, kam es sofort von Shuichi. „James, ich denke, es ging Jodie mit ihrer Frage hauptsächlich um die Organisation. Wir wissen alle, dass sie sie jagen werden und müssen entsprechende Maßnahmen ergreifen.“ „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Die Organisation ist zwar auch im Ausland tätig, aber ihr eigentliches Handlungsgebiet ist Japan. Und…“ Er sah zu Jodie. „Ich kann Sie zwar nicht einfach zur FBI Agentin ernennen, aber wir haben einen Arbeitsvertrag vorbereitet. Sie können – natürlich nur wenn Sie wollen – als externe Beraterin für uns tätig sein. Das heißt, sollten auf Sie Anschläge verübt werden, geht die Aufklärung sofort in unseren Zuständigkeitsbereich über. Dadurch sind Sie zwar nicht komplett vor der Organisation geschützt, aber ihre Handlungsfähigkeit wird um einiges eingeschränkt werden. Selbstverständlich ist das nur eine Option und wenn Sie lieber das Land verlassen wollen oder Ihren eigenen Weg gehen möchten, stehen wir Ihnen nicht im Wege.“ „Ich hatte in der Organisation nicht viele Freiheiten was mein eigenes Schicksal angeht“, begann Jodie. „Aber ich kenne mich mit Verbrechen aus und damit, wie man sie am besten vertuscht. Ich würde deswegen gerne für Sie…also für das FBI arbeiten.“ Und was konnte sich Jodie auch mehr wünschen? Sie hatte eine neue Aufgabe bei der sie nicht ihre weiblichen Reize spielen lassen musste, einen Freund, den sie liebte und ein neues Leben. Eigentlich konnte es nicht besser laufen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)